Realist2014 hat geschrieben: ↑Mi 9. Nov 2022, 09:46
Ist dem tatsächlich so?
So wird zumindest in der Presse berichtet.
Es gibt nun einmal keine einheitliche Definition von "Gerechtigkeit":
Stimmt - aber ziemlich gute Argumente, um das ein oder andere durchaus als ungerecht, wenig gerecht oder ähnliches zu erleben - und für solche Einschätzungen gibt es oftmals in der Breite der Bevölkerung breite Mehrheiten.
Das Äquivalenzprinzip im Rentensystem, wie wir es seit Jahrzehnten haben, ist ja gerecht.
Ist es das? Auch in den vielen Details?
Ich mein - theoretisch klingt das Äquivalenzprinzip richtig toll - aber wenn in der Praxis durch viele Sonderregelungen dann das Äquivalenzprinzip aufgeweicht wird.....kann man dann noch davon sprechen, dass wir das Äquivalenzprinzip haben?
Nimm nur das Beispiel der Grundrente - faktisch wird den Beziehern der Grundrente mehr Rente gewährt, als ihnen ohne die Grundrente zustünde. Es gibt gute Gründe für die Grundrente - aber faktisch verwässert sie damit das Äquivalenzprinzip. In der Folge ist nicht mehr jeder Rentenpunkt gleich viel wert....der, der 45 Jahre lang jedes Jahr den Höchstsatz eingezahlt hat, hat zwar einen höheren Anspruch als der Bezieher der Grundrente. Allerdings musste der Grundrentenbezieher faktisch für einen Rentenpunkt weniger einzahlen, als der Höchstsatzbezieher.
Spannend wird es aber so richtig, wenn man sich der Frage stellt, wer finanziert wen?
Den deutliche Teile des deutschen Rentensystems werden steuerfinanziert - andere Teile aber über die Rentenbeiträge. Nun zahlt aber üblicherweise der, der Rentenbeiträge bezahlt, auch Steuern. Ob dann die Summe der Einzahlungen über Steuern und Abgaben wirklich in einer Äquivalenzrelation zu den Anwartschaften stehen - das kann man locker verneinen.
Durch diesen systemischen Mischbetrieb werden die tatsächlichen Finanzierungsverhältnisse in der Rentenversicherung locker verschleiert.
Vernünftige Ansätze trennen deshalb scharf die Versicherungsleistung von den steuerfinanzierten Leistungen - das aber ist in Deutschland definitiv nicht gegeben.
Deshalb finanzieren Beitragszahler zur RV staatliche Leistungen mit, die eigentlich steuerfinanziert sein müssten.
Es gibt bessere Ansätze. Dabei kann man auch über viele Parameter im Detail reden, die alles andere als optimal gestaltet sind. Um nur ein paar fragwürdige Punkte zu benennen (und fragwürdig meint hier: dass es da richtig wäre, mal genau nachzufragen und ggf. aus den Antworten heraus Schlüsse für Verbesserungen zu ziehen):
- Sollten alle Einkommensarten für Beiträge zur Rentenversicherung herangezogen werden?
- Sollten auch Beamte, Politiker, Selbstständige etc. etc. über die Rentenversicherung versichert sein? (Umgekehrt: Warum gibt es Bürger, die nicht in der Rentenversicherung organisiert sind?)
- Sollte es eine scharfe Trennung zwischen der Finanzierung von sozialen Leistungen geben, die über die Rentenversicherung abgewickelt werden, und den Beitragszahlungen bezogen auf die normalen Beiträge zur RV?
- Ist es wirklich hilfreich, wenn man das Rentenniveau aus politischen Gründen absenkt - oder wären alternative Ansätze, wie sie in anderen europäischen Ländern gefahren werden, nicht auch für Deutschland eine vernünftige Alternative? Schließlich bringt die Absenkung des Rentenniveaus durchaus auch viele Probleme mit sich.....
- Ist es wirklich hilfreich, wenn zukünftig Opa Krause mit 94 noch eine Steuererklärung abgeben muss - oder geht das an der Lebenswirklichkeit älterer Menschen vorbei?
- Der überwiegende Teil der Renten in Deutschland dient allein der Existenzsicherung im Alter. Ist das wirklich der richtige Ansatz - oder sollte man die Existenzsicherung (nicht nur aber insbesondere im Alter) auf Steuerfinanzierung umstellen, und dafür die reine Rentenversicherung auf die Beträge und Bezüge oberhalb der Existenzsicherung umstellen? Schließlich ist die Existenzsicherung eine allgemeine Aufgabe, die aus Steuermitteln sicher zu stellen ist - während die Rente einen individuellen Anspruch auf Gelder oberhalb der Existenzsicherung darstellen sollte - deren Rechtfertigung sich aus Einzahlungen in eine entsprechende Versicherung ergeben sollte....?
- Die Rentenversicherung deckt nicht nur Ansprüche bezüglich der Rente ab, sondern auch viele weitere Leistungen, die teilweise schon im Erwerbsleben greifen. Wäre eine Profilschärfung der Aufgaben der Rentenversicherung nicht vorteilhaft? Solange es um Gesundheitsfragen im Erwerbsleben geht, könnten die entsprechenden Aufgaben auch ausschließlich über die KV organisiert werden. Wäre das nicht besser? (Fokussierung)
- Warum gibt es ein (relativ) hartes Renteneintrittsalter? Würde es den Betroffenen nicht gerechter werden, wenn der Ausstieg aus dem Arbeitsleben vollkommen dynamisch erfolgen könnte - halt mit entsprechenden Abschlägen oder Zuschlägen?
- Warum werden die Rentenansprüche auf individuellen Konten der Versicherten verwaltet - während es gleichzeitig für Verheiratete Regelungen gibt, was die Verrechnung angeht....nur wird diese nirgends ausgewiesen?
- Warum gibt es eine Beitragsbemessungsgrenze? Ist diese wirklich sinnvoll und notwendig?
Das ist ein kleiner Ausschnitt von Fragen, die alle berechtigterweise an das vorhandene oder auch an ein zukünftig anderes Rentensystem gestellt werden können. Fragen, die man je nach politischem Gusto unterschiedlich beantworten kann. Aber fragwürdig sind diese Fragen in jedem Fall - und die Idee, dass unser Rentensystem gerecht ist, weil es schon lange so ist wie es ist.....die ist definitiv falsch. An unserem Rentensystem wurde über die Jahrzehnte vielfach herumexperimentiert, und immer wieder wurden neue Ergänzungen, Steigerungen, Kürzungen, etc. etc. etc. eingebracht. Was wir heute haben ist ein Rentensystem, was alles andere ist als aus einem Guss. Hier mal ordentlich aufzuräumen, mal wieder Klarheit und Eindeutigkeit herzustellen - mal für Transparenz zu sorgen - allein das wäre schon ein lohnenswertes Projekt, selbst dann, wenn sich an der grundlegenden Systematik noch nicht mal was ändern würde.