Hallo Alana4!
Schön, dass Du Dich so ausführlich mit dem Gesundheitssystem
auseinandersetzt!
syna hat geschrieben:
Die Private Krankenversicherung ist daher ein System, welches Jahr für Jahr
mit 9,2 Milliarden Euro (Zahlen aus 2013) von den Versicherten der gesetzlichen
Krankenversicherung subventioniert wird.
Das ist nämlich der Betrag, den die privat Versicherten in das Solidarsystem
zahlen müssten, würden sie sich wie die gesetzlichen Kassen beteiligen. Sie ist
eine Art Steuerschlupfloch für Reiche in der Krankenversicherung und
müsste genauso konsequent dichtgemacht werden wie andere
Steuerschlupflöcher.
Alana4 hat geschrieben:(09 Feb 2018, 13:38)
So pauschal und undifferenziert ist das vollkommener Quatsch.
Nein, nein, das ist GENAU SO!
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Ich erläutere gerne nochmal, was es überhaupt mit der 2-Klassengesellschaft
auf sich hat, weil das wohl für viele - gerade hier im Forum - wirklich schwer
zu verstehen ist.
Bevor ich wieder OECD-Tabellen und Statistiken heranziehe, aus denen
hervorgeht, dass Gesundheit in Deutschland zwar teuer, aber ineffizient
ist - verglichen mit anderen Ländern - und bevor ich wieder Fallbeispiele im
Gesundheitswesen darstelle, da will ich lieber ein
Gedankenexperiment
starten, welches die Problematik "plastisch erfahrbar" macht:
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G E D A N K E N E X P E R I M E N T
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Frisor - Autohaus - Boutique-Besitzer
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Stell Dir vor, Du bist ein Frisör ... oder der Betreiber eines Autohauses
mit Werkstatt ... oder der Betreiber einer kleinen Boutique für besondere
Frauen- und Männerbekleidung.
Und da hast Du (hoffentlich !) viele Kunden. Nun gibt es da aber eine
Besonderheit: Du hast nämlich 2 Arten von Kunden:
1. Kunden, die nur den normalen Preis zahlen.
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2. Kunden, die IMMER den 2 fachen bis 4-fachen Preis zahlen.
Und das macht sich dann auch bemerkbar: Nach jedem Haarschnitt (als Frisör)
darfst Du bei den Kunden der Art (2) das 2- bis 4-fache als Preis verlangen!
Genauso als Betreiber des Autohauses: Jeder Kunde der Art (2) zahlt bei
Reparaturen oder Wartungs-Checks doch wirklich das 2- bis 4-fache! Auch
beim Verkauf von Kleidungsstücken und Mode-Artikeln: Die Kunden der
Kategorie (2) ZAHLEN tatsächlich - auch bei Sonderangeboten - das 2- bis 4-
fache!
"Senstationell!" denkst Du Dir ... und mit der Zeit achtest Du darauf, dass
besonders viele Kunden der Art (2) Deinen Laden betreten! Denn diese
Kunden sind lukrativ!
Du lächelst nachdrücklicher, wenn sie den Laden betreten, fragst freundlich, aber
nicht aufdringlich, nach. Ja, damit diese Kunden auch wiederkommen, bietest Du
ihnen einen Kaffee und einen Keks an und bist gerne zum Plaudern aufgelegt.
Es bricht eine Zeit an, in welcher die Konkurrenz für Frisäre und
Einzelhändler stärker wird - und Du musst Deine Preise senken, um
konkurrenzfähig zu bleiben. Das führt dazu, dass Kunden der Art (1)
kaum Deine vielen Kosten decken können. Und Du musst Dir also
Strategien ausdenken, um noch mehr Kunden der Art (2) in Deinen
Laden zu "lenken".
Wenn der Andrang an Sonnabenden besonders groß ist, ist es vorteilhaft,
Kunden der Art (1) - sogenanntes "Kassenvieh" - aus dem Laden zu halten,
damit für Kunden der Art (2) genug Platz da ist. Deshalb fragst Du schon am
Eingang Deines kleinen Ladens jeden Kunden, der eintreten will: "Sind Sie
Kunde der Art 1 oder Kunde der Art 2"?
Das ist nämlich wichtig: Wenn der Laden sowieso schon ziemlich voll ist,
kannst Du dann Kunden der Art (1) abweisen. Mit der Begründung: "Ist schon
voll - hier kommt keiner mehr rein!". Falls aber ein Kunde der Art (2)
hereinkommen will, signalisierst Du ihm, dass "selbstverständlich noch genügend
Platz da ist" und lächelst besonderst freundlich.
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Alle gleichgut behandeln?
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Nun gibt es auch einige sehr idealistische "Ladenbesitzer" (also Frisöre,
Automechaniker oder Boutique-Besitzer), die sich in ihrer Jugend geschworen
haben: "Ich behandele alle meine Kunden gleich - egal, ob es Kunden der
Art (1) oder (2) sind."
Das ist ein hehres, idealistisches und löbliches Denken. Aber dieses Denken
kommt nicht gegen die Strukturen gegenan. Und die Strukturen sind nun mal
so, dass die einen (Kunden der Art 1) den einfachen Satz zahlen, und die
anderen (Kunden der Art 2) immer das 2-4,3-fache zahlen.
Wenn nämlich stürmische Zeiten anbrechen und die Gewinnspannen minimal
sind, wenn die Kreditschulden drücken, dann ist noch mehr ökonomisches
Handeln überlebenswichtig für Dich als Ladenbesitzer.
Du bist dann sogar darauf angewiesen, noch mehr Kunden der Art (2) in
Deinen Laden zu geleiten - auch wenn Du früher einmal idealistisch gedacht
haben solltest. Kunden der Art (2) werden dann besonders hofiert, umgarnt und
mit Extras gelockt. Du nimmst Dir auch viel mehr Zeit, diese Kunden zu beraten,
ihre Wünsche zu erfragen und mit ihnen zusammen zu überlegen. Denn Deine
Schulden zwingen Dich dazu: Wenn Du Deinen kleinen Laden nicht schließen
willst, dann musst Du den Kunden der Art (2) in den Allerwertesten kriechen -
selbst wenn Du das eigentlich nie wolltest.
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Was hat das mit dem Gesundheitssystem zu tun?
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Genauso, wie es Dir im obigen "Denkexperiment" als Frisör, Automechaniker
oder Boutiquebesitzer erging, so ergeht es jedem Arzt und jedem Krankenhaus in
unserem Gesundheitssystem: Es muss die Kunden der Art (2) - die Privat
Krankenversicherten - hofieren, umgarnen und mit vielen Extras locken. Und falls
der Andrang "der Kunden" mal höher ist, dann geht das natürlich zu Lasten der
Kunden der Art (1), der "Kassenpatienten".
Der Ladenbesitzer aus unserem Gedankenexperiment war darauf bedacht, gleich
beim Betreten des Ladens herauszufinden, ob es wohl ein Kunde der Art (1)
oder (2) ist. Genauso ist es auch bei unserem Gesundsheitssystem: Sobald Du
mit einer Praxis oder einem Krankenhaus Kontakt aufnimmst, wirst Du als erstes
gefragt, ob Du Kassenpatient (1) oder privatversichert (2) bist. Gleich am
Anfang! Damit der ganze Apparat - also die ganze Praxis oder das gesamte
Krankenhaus - gleich weiß, wie er Dich behandeln wird und mit Dir umspringen
wird. Gleich am Anfang!
Ach ja ...
... es ist sogar
noch extremer: Wenn Du bei einer Expertenabteilung
einer Universitätsklinik anrufst, fragt die Sekretärin auch gleich am Anfang:
"Kasse oder privat?" Wenn Du dann "Kasse" sagst, ist das Gespräch sogar
ganz zu Ende. Entweder sagt sie dann "Wir haben leider überhaupt keine
Termine - wenden sie sich woanders hin" oder sie sagt "Entschuldigen Sie, aber
wir sind sooo voll, einen Termin hätte ich erst nächstes Jahr."
Gleich am Anfang!