caulrophob hat geschrieben: ↑Mo 11. Mär 2024, 21:05
Hier ein Gedankenspiel: Was, wenn alles determiniert ist, der eigene Geist das aber nicht erfassen kann? Dann käme einem jede eigene Entscheidung wie eine eigene vor, obwohl sie vorausbestimmt ist. Ich glaube, ich will darauf hinaus, dass es praktisch keinen Unterschied macht, ob wir über einen freien Willen verfügen oder einfach nicht wissen, was wie determiniert ist.
Ich spiele ihr Gedankenexperiment einmal aus zwei grundlegend unterschiedlichen Perspektiven durch.
1
Die erste ist die Außenperspektive auf einen fremden Menschen, dessen Willen und dessen Willensfreiheit ich nicht kenne. Ich beobachte ihn, und sehe, dass er entweder handelt, oder eine Handlung unterlässt, in Situationen, in denen es sehr viele unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten gibt. Jetzt schließe ich auf seine Psyche. Ich denke mir, vielleicht will er das alles tun, was er tut, und das alles, was er nicht tut, nicht tun - denn sonst würde er ja anders handeln. Ich kenne seine Gründe nicht, denke mir aber, dass ein paar Zwänge schon darunter sein werden, gesunde und vernünftige, vielleicht die Notwendigkeit, den Lebensunterhalt verdienen zu müssen, vielleicht auch ein paar krankhafte.
Ich sehe, wie dieser Mensch manche Dinge sieht und nicht sieht, und offenbar hin und wieder Dinge unterlässt, nur weil sie nicht im Bereich seiner Wahrnehmung aller Möglichkeiten sind.
Jetzt überlege ich mir, dass dieser Mensch womöglich nie von seinen Freiheiten Gebrauch macht, weil ich kann ihn nicht während seiner Überlegungen beobachten. In seinem Handeln scheint nichts zufällig zu sein, sondern alles hierin ist zweckgemäß. Ich denke mir, vielleicht muss er so handeln, weil er so veranlagt ist.
Ich denke mir schließlich, dass dieser Mensch überhaupt niemals nachdenkt, vielleicht ist er ein philosophischer Zombie (ein anderes Gedankenexperiment).
Bis zu diesem Punkt habe ich diesen Menschen nach und nach von einem innerlich freien, intelligenten, und bewussten Menschen, in einen zwanghaften, vorherbestimmten, bewusstlosen Zombie, in ein Tier, eine Maschine gewandelt. Einfach so, weil ich selbst das aus meiner Außenperspektive für völlig naheliegend und logisch halte.
2
Aus Erfahrung meiner Innenperspektive, sind mir Zustände meines Willens bewusst. Ich kenne : Die Qual der Wahl - die Notwendigkeit einer Entscheidung in Ermangelung eines Willens,
die Identifikation - die Aneignung eines Willens gemäß einer durch Vernunft nahegelegten Perspektive,
die Mutlosigkeit - die Ermangelung des durch Notwendigkeit vorgeschriebenen Willens,
die Widerwilligkeit - die Widrigkeit des Willens angesichts eines Verhaltes,
den Übermut - den Exzess meines Willens angesichts einer als machbar begriffenen Situation
die Willenlosigkeit - die Preisgabe meiner Willensfähigkeit im Zustand begriffener Machtlosigkeit,
die Unsicherheit - die Möglichkeit meines Willens im Zustand ungewisser Entwicklungen
den Willensvorbehalt - mein Wissen, etwas anderes wollen zu würden, wäre die Realität anders,
die Willensgewissheit - mein Wissen, auch in Zukunft ein und denselben Willen zu haben,
die Willensfremdheit - mein Handeln im Affekt, der eine abweichende Willensanomalie in sonst andersartiger Willenskontinuität darstellt, deren Ursachen sich meinem Wissen, oder meiner Kontrolle entziehen
Diese inneren Zustände erscheinen mir so selbstverständlich, und natürlich, dass ich nicht lange über sie nachdenken muss, sie können mir sogar wie automatisch oder notwendig erscheinen, doch nur deswegen, und nur dann, wenn ich den eigenen Willen nicht zum Gegenstand meiner Introspektion mache, und seine Art, seine Ursachen, seine Verläufe als gegeben hinnehme.
Den Menschen unterscheidet vom Tier, dass er über sein Denken nachdenken, und seinen Willen wollen kann.
Tiere haben Ziele, Menschen haben Zwecke. Tiere nutzen die zur Erreichung von Zielen diesen gegebenen Handlungsfreiräume, und agieren darum bisweilen originell, und in gradueller Handlungsfreiheit.
Menschen können sich Ziele setzen, oder diese Ziele ignorieren, etwas, das ein Tier nicht tun kann. Derlei können wir nur darum tun, weil wir Zwecke reflektieren, ihren Sinn und Unsinn begreifen, und unseren Willen entsprechend unseren Zwecken bilden, oder kontrollieren können.
Die bloße Möglichkeit, hierüber nachdenken zu können, ist bereits die Nutzung einer Form von innerer Freiheit, und das Ergebnis dieser Überlegungen, ist die mögliche Form meines Willens.
Dieses Bewusstsein von Freiheit ist Freiheit, und hat mit Determinismus nichts zu tun. Die Art und Weise unseres Umganges mit unseren Gedanken mag genetisch irgendwie festliegen. Die Gegenstände und Beschlüsse unseres konkreten Denkens sind es sicher nicht.
3
Ich kehre ihr Gedankenspiel einmal um in eine Gegenfrage : Wie kann der Gedanke, dass ein Mensch immer nur so handeln wird, wie er handeln muss, weil alles determiniert ist, diesem bei einer Entscheidung behilflich sein ? Warum sagt man sich im Zustand der Ungewissheit angesichts einer wichtigen Entscheidung, nicht einfach : "Jetzt handle ich einfach so, wie ich muss, weil eh alles determiniert ist " ?
Könnte man so etwas tun, gäbe es nie mehr ein Zögern, kein Erwägen, keine Mischung der Gefühle, keine Qual der Wahl, denn man könnte einfach tun, was man eh tun wird, weil alles vorherbestimmt ist.
Ich behaupte, derlei ist unmöglich, weil Menschen nicht determiniert sind.