Progressiver hat geschrieben:(15 Sep 2020, 19:51)
Wo ist die linke Partei, die sich auf all diese Namen und Strömungen beruft?!
Du schreibst dass du dich als politische links stehend und als Laizist siehst.
Ich möchte dir darauf mit einem Auszug aus einem Dialog antworten den ich vor ca. 15 Jahren führte.
User: Bist Du eigentlich gläubiger Christ ? Oder wandelst Du nur fromm in diesem Raum um dort zu sein, wo das Volk leidet?
lemonitor: Christ bin ich in sofern als dass ich Gott als eine Art letzten Prüfstein für mein ethisches Denken sehe
User:spannend
lemonitor: Das Kuriosum dabei ist, das aus dieser Sichtweise die Existenz oder nicht Existenz
Gottes völlig bedeutungslos ist: Gott kann als bloßer Begriff im Denken wirksam sein- und das genügt
User: Und wie vereinbarst Du das mit Deinem Marxismus ?
lemonitor: Für mich ist die Notwendigkeit des Wirtschaftens und seine Bedingungen die eine Frage -und darauf geben die Wirtschaftswissenschaften –also auch Marx- eine Auskunft
lemonitor: Entscheidend hat der Mensch zu sein- und zwar nicht der Mensch wie er ist- sondern wie er sein kann wenn man ihm wirklich und ernsthaft hilft
User: Ich sehe Du bist ein Spinozist.
Ich habe diesen Dialog vorangestellt, um deutlich zu machen, dass man Debatten nicht führen kann in dem man eigene Weltanschauungen hervorhebt und gleichzeitig andere Weltanschauungen bekämpft.
Eine der Errungenschaften der Aufklärung ist die Gewaltenteilung. Die Gesetzgebung betreffend ist die Trennung von Kirche und Staat längst vollzogen. Deshalb stell ich dir die Frage: Wenn du eine Vertretung der Atheisten forderst- was willst du damit erreichen?
Nun zum Thema links.
Von der Sitzordnung in den Parlamenten abgesehen definiert sich links aus den Klassenkämpfen der Frühzeit des Kapitalismus. Es war der Interessengegensatz zwischen der Arbeitnehmerseite und der Arbeitgeberseite, der die soziale Bewegung hervorbrachte. Diese bestand aus einer starken (Massen) Arbeiterschaft, welche organisiert war in starken Gewerkschaften und die in sozialistischen Parteien eine politische Vertretung fanden.
Inzwischen sind die Massenarbeitsplätze wegrationalisiert und die Arbeitgeberseite hat Mittel und Wege gefunden, die Macht der Gewerkschaften zu zersplittern und aus den Betrieben herauszuhalten. Die Sozialdemokratie, welche nie wirklich das Wesen des Kapitalismus verstanden hat, ist zu einem zahnlosen Tiger geworden, dem das Klientel Arbeiterschaft abhanden gekommen ist.
Weder die Gewerkschaften noch die Sozialdemokratie haben auf den Wegfall der Massenarbeitsplätze einen strategische Antwort gefunden, mit der sie das alte Machtinstrument Arbeiterklasse- Gewerkschaften- Sozialdemokratie hätten erhalten können. So konnte die Arbeiterklasse –obwohl nach wie vor existent- "geistig zerstört" werden: Die Arbeiter haben das Bewusstsein dafür verloren, dass sie nach wie vor eine Klasse sind, welche für die Arbeitgeberseite als Humankapital zur beliebig austauschbaren Ware geworden ist.
Es jedoch keineswegs so, dass diese Entwicklungen nicht vorhersehbar gewesen ist. Das Wesen des Kapitalismus ist der Ersatz der menschlichen Arbeitskraft durch Maschinen, Kapitalismus führt global zur Kapitalisierung des (Human)Kapitals in Niedriglohnregionen, Kapitalismus führt zur Kapitalakkumulation(Geldmittel konzentrieren sich in Händen weniger) und Herausbildung eines von der Wirtschaft losgelösten Finanzmarktes (nicht Kapitalmarkt). Um all das zu erkennen genügt es, die Volkswirtschaftslehre als Ideologie zu entlarven, zu verstehen, weshalb der Kapitalismus ein Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell ist, für das Marx den Begriff „politische Ökonomie“ geprägt hatte.
Es gibt jedoch eine Warnung vor Revolutionen:
Alle Revolutionen vervollkommneten [...] nur die Staatsmaschinerie, statt diesen ertötenden Alp abzuwerfen. Die Fraktionen und Parteien der herrschenden Klassen, die abwechselnd um die Herrschaft kämpften, sahen die Besitzergreifung (Kontrolle) (Bemächtigung) und die Leitung dieser ungeheuren Regierungsmaschinerie als die hauptsächliche Siegesbeute an. Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stand die Schaffung ungeheurer stehender Armeen, eine Masse von Staatsparasiten und kolossaler Staatsschulden.“
Genau das ist eingetreten in der russischen Revolution, die recht schnell zu einer monopolistischen Parteien- und Staatsdiktatur verkam, die aber niemals auch nur in die Nähe dessen kam, was Kommunismus ist: Die Überwindung des Kapitalismus- und damit die Überwindung der Ausbeutung des Menschen und der Natur durch den Menschen.
Die Folge des russischen Experiment einer von Intellektuellen geführten "Revolution von oben" für moderne soziale Bewegungen besteht darin, dass die theoretischen Grundlagen einer Strategie gegen den Kapitalismus argumentativ verbrannt sind. Sagt jemand Marx- kommt das Gegenargument der ist schuld am kalten Krieg oder ähnlicher Unsinn. Und wird er Kapitalismus kritisiert, wird der Staatskapitalismus der UdSSR gleichgesetzte mit Kommunismus.
Die Sozialdemokratie steht also vor dem Problem, sich völlig neu erfinden zu müssen. Dabei wurde gegen die Übermacht des Kapitals noch nie so dringend eine Gegenmacht gebraucht als heute.
Wer aber meint, man müsse Marx nicht kennen, der irrt. Auch wenn sich Marx mit der Prognosen eines baldigen Endes des Kapitalismus irrte, so hat Marx das Wesen des Kapitalismus bis heute gültig und unwiderlegt so beschrieben, wie es ist: Zerstörend für Mensch und Umwelt.
Die große historische Leistung von Karl Marx besteht darin, dass er die Schattenseiten des aufstrebenden Kapitalismus, die ungleiche Vermögensverteilung, die Ausbeutung und Ausnutzung der Arbeiter bewusst gemacht hat. Seine Antwort darauf war der Klassenkampf, die Aufforderung an alle Unterdrückten, sich zusammenzuschließen und auf die irgendwann notwendigerweise kommende Umwälzung zu vertrauen. Der Kapitalismus, so lautete seine Lehre, geht irgendwann natürlich zugrunde, als historische Gesetzmäßigkeit. Aber die Abhängigen hätten den Auftrag, sich für die Umschwung zu einer neuen Zeit ständig zu rüsten.
Inzwischen erleben wir nicht nur eine Krise der politischen Ökonomie, sonder wir erleben auch eine Krise der von Parteien dominierten und geführten parlamentarischen Demokratie, die immer weniger verleugnen kann, dass wir bestenfalls in einer Oligarchie leben, welche ihre Unzulänglichkeit durch Wahlen und Wahlergebnisse zu kaschieren versucht.
Nach dem Modell der Gewaltenteilung sollte das Parlament die Regierung beauftragen und diese kontrollieren. Wenn jedoch das Wahlergebnis so verfälscht wird, dass mit der Rückendeckung von Koalitionen die Regierung machen kann was sie will, weil sie sich auf ein ihr höriges Parlament stützt, wenn also das Parlament nur noch sich selbst und nicht mehr das Volk vertritt, dann ist es nicht verwunderlich, wenn das Volk als ganze und quer durch alles Schichten sich von Parteien und Parlament nicht mehr vertreten sieht- und sich abwendet. In einer solchen Scheindemokratie ist es kein Wunder, dass ALLE Parteien ihre Reputation verlieren- zumal keine Partei noch für die Werte steht, für die sie einst angetreten sind.
Die Probleme haben sich verlagert: Das Klassenbewusstsein der Arbeiter existiert nicht mehr, die Sozialdemokratie ist tot. Und die alten, wertekonservativen Parteien wurden überrollt von einer neuen Mittelklasse, welche ohne jegliche soziale Verantwortung nur noch den eigene finanziellen Vorteil sucht.
Eine neue soziale Bewegung hat nicht mehr den Arbeitgeber als Gegner- eine neue soziale Bewegung wird die neue (Finanz)Mittelklasse bekämpfen müssen.
Alles andere ist Schnee von gestern.