Fliege hat geschrieben:(07 Apr 2019, 18:55)
In einer freiheitlich-demokratisch organisierten Gesellschaft sind Meinung und Wahrheit derart entkoppelt, dass Meinungen vertreten werden dürfen, die nicht wahr sind. Dies drückt sich darin aus, dass einer Regierung eine Opposition gegenüber steht, die abzulehnen berechtigt ist, was die Regierung vorschlägt (und umgekehrt). Da zwei sich widersprechende Auffassungen nicht zugleich wahr sein können, kann nur höchstens eine Seite, wenn überhaupt, die Wahrheit kennen. In der Opposition zu sein, ist allerdings in einer freiheitlich-demokratisch organisierten Gesellschaft kein Indiz dafür, ein schlechter Mensch zu sein.
Ideologen sind allerdings nicht freiheitlich-demokratisch gesinnt, so dass es Ideologen auch nicht schwer fällt, Opposition verbieten zu wollen oder gar zu verbieten, sobald sie an der Regierung sind.
Für die Threadfragestellung bedeutet das meines Erachtens: Ob man nun Meinung und Person trennt oder nicht, in einer freiheitlich-demokratisch organisierten Gesellschaft ist Widerspruch
unabhängig von der Wahrheitsfrage zulässig und auszuhalten.
Man kann es auch so sagen: Personen haben Meinungen, doch Meinungen sind keine Personen; Meinungen sind wahr oder falsch – nicht Personen; Personen können sich irren.
Die Herleitung mit der Politik verstehe ich nicht ganz. Offensichtlich sind Meinungen subjektiv, wie andere es schon geschrieben haben. Die Dinge die im Parlament von Gruppierungen von Menschen vertreten werden müssen noch nicht einmal deren Meinungen entsprechen - sie sind oft schlicht politischer Advokat für diese Position, wie sehr sie sich auch immer damit identifizieren. Gerade bei Politiker wäre ich also sehr vorsichtig von der Meinung auf den Menschen zu schließen.
Bei der Schußfolgerung bis Du sehr radikal und trennst die Meinung vollständig vom Menschen. Dabei betonst Du aber die Wahrheit der Meinung als Gradmesser für die Güte seiner Meinung. Auch da könnte man sicherlich lange drüber diskutieren.
Wenn der Mensch und seine Meinung 100% voneinander zu trennen sind, müssten wir dann nicht alle Menschen gleich wertschätzen?
Ich sage nein! Ich denke, dass wir Menschen aufgrund dessen wertschätzen, wie wir ihr Handeln einschätzen.
Ich kann mit einem Kommunisten und Anhänger Pol Pots locker ein Bier trinken und gemütlich über die politische Lage reden, wenn ich davon ausgehen kann, dass er selber niemand ist der Menschen aufgrund ihrer Brille erschlagen wird. Ich habe aber ein riesiges Problem mit Menschen ein Bier zu trinken, der sich in jedem Verein und in der Gesellschaft ehrenamtlich engagiert, der sozial eingestellt ist und gegen den Hunger in der Welt kämpft, von dem ich aber weiss, dass er seine Kinder zuhause misshandelt weil sie nicht seinen Vorstellungen entsprechen.
Meinungen sind keine Taten. Nur dann wenn ich davon ausgehe dass Handlungen aus ihnen hervorgehen die mein Gefühl von Moral verletzen, werden sie relevant.
Zudem habe ich eine recht klare Auffassung davon wie Meinungen entstehen und wieviel Verantwortung jeder einzelne für seine eigene Meinung hat. Diesen Einfluss halte ich für sehr gering (was übrigens nicht bedeutet, dass derjenige keine Verantwortung für sein Denken und Handeln übernehmen muss). Wenn man aber sehr wenig von dem beeinflussen kann, was seine eigene Meinung bestimmt, wie kann ich dann über den Menschen wertend urteilen? Ich kann seine Taten verdammen, aber aus dem Blickwinkel heraus ist es kaum noch möglich einen Menschen zu verachten - schon garnicht seiner Meinung wegen.