Pure Vernunft darf niemals siegen?

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Ein Terraner
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Ein Terraner »

odiug hat geschrieben:(17 Dec 2018, 15:08)

Das ist ein Zirkelschluss: denn nur die Moral kann uns ja sagen: dieses menschliche Handeln ist richtig oder falsch.
Moral hat nichts mit Richtig und Falsch zu tun, Richtig und Falsch oder Fair und Unfair, das ist Ethik. Die Moral sagt was Gut und was Böse ist, ein kleiner aber bedeutsamer Unterschied.
Also wäre die ethische Analyse ja nur dann richtig, wenn sie moralisch begründet ist und die Moral nur dann gültig,wenn sie sich ethisch begründen ließe.
Das Urteil über die moralischen Wertvorstellungen anderer ist aber nur der eigenen Moral möglich.
Die Ethik kann dir aber dazu die Werkzeuge liefern, um dein Urteil zu begründen.
Früher war es moralisch begründet Hexen zu verbrennen weil diese böse waren.
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Enas Yorl
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Enas Yorl »

Watchful_Eye hat geschrieben:(17 Dec 2018, 06:22)
"Pure Vernunft darf niemals siegen", so lautet ein Albumtitel der Indieband "Tocotronic".
Und mich interessiert die Frage - warum eigentlich nicht? Was spricht dagegen? Und was wären die Vorzüge?
Pur - rein, ungetrübt, unverfälscht

Lassen wir das Pur weg, dann bin ich stark für Vernunft. Nur das Leben ausschließlich auf Vernunft zu reduzieren, ist furchtbar langweilig.
And it's been completely "demagnetised" by Stephen Hawking himself!
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Fuerst_48 »

Enas Yorl hat geschrieben:(17 Dec 2018, 15:38)

Pur - rein, ungetrübt, unverfälscht

Lassen wir das Pur weg, dann bin ich stark für Vernunft. Nur das Leben ausschließlich auf Vernunft zu reduzieren, ist furchtbar langweilig.
Keine Bange! Die Vernunft fristet derzeit mal wieder ein armseliges Dasein.... :mad:
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Jekyll
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Jekyll »

H2O hat geschrieben:(17 Dec 2018, 09:05)

Was wäre die Welt ohne Liebe, ohne verliebte Paare, ohne Balzrituale? Der Vernünftige lächelt darüber, bis die Liebe ihn selbst gepackt hat.
Ja, und wenn er wieder zur Vernunft gekommen ist, wundert er sich darüber, wie er nur so naiv und leichtsinnig sein konnte.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Jekyll »

Watchful_Eye hat geschrieben:(17 Dec 2018, 06:22)

"Pure Vernunft darf niemals siegen", so lautet ein Albumtitel der Indieband "Tocotronic".
Und mich interessiert die Frage - warum eigentlich nicht? Was spricht dagegen? Und was wären die Vorzüge?

Ich schreibe mal bewusst nichts weiter dazu, um eure Assoziationen nicht vorab in eine Richtung zu lenken. Vor was graut euch, wenn ihr an "pure Vernunft" denkt?
Dann hättest du die Diskussion nicht gleich mit einer Suggestivfrage anfange sollen. Vernunft, insbesondere die pure, kann niemals destruktiv sein. Aber ich denke, man meint hier eher die Kopflastigkeit, wenn man von "Vernunft" redet, was man zu meiden habe. Kopflastigkeit wäre aber etwas anderes als pure Vernunft, denke ich.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von H2O »

Jekyll hat geschrieben:(17 Dec 2018, 17:30)

Ja, und wenn er wieder zur Vernunft gekommen ist, wundert er sich darüber, wie er nur so naiv und leichtsinnig sein konnte.
Oft genug ist das so; aber meist eben doch nicht:

https://www.scheidung.org/scheidungsstatistik/
Zirka zwei Drittel der Ehen enden noch immer durch den Tod eines Ehegatten.
Diese Darstellung hat natürlich den Schönheitsfehler, daß viele Liebesbeziehungen es gar nicht erst bis zur Eheschließung bringen. Vielleicht sind viele Ehen auch gar nicht aus Liebe geschlossen worden. Die eine oder andere aber wohl doch. :)
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Jekyll »

odiug hat geschrieben:(17 Dec 2018, 11:28)

Weil Vernunft keine Moral kennt.
Vernunft ist immer egoistisch, allein auf den Zweck gerichtet.
Wenn dein Ziel die Ausrottung ganzer Völker ist, dann sind Gaskammern vernünftig, da effektiv, rationell und ökonomisch sinnvoll.
Du bedienst dich deiner Vernunft, während du diese Überlegungen machst.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von odiug »

Ein Terraner hat geschrieben:(17 Dec 2018, 15:13)

Moral hat nichts mit Richtig und Falsch zu tun, Richtig und Falsch oder Fair und Unfair, das ist Ethik. Die Moral sagt was Gut und was Böse ist, ein kleiner aber bedeutsamer Unterschied.



Früher war es moralisch begründet Hexen zu verbrennen weil diese böse waren.
Eigentlich begründeten sich die Hexenverbrennungen aus der Theologie, aus der sich die die moralischen Werte jener Zeit ableiteten .
Zuletzt geändert von odiug am Mo 17. Dez 2018, 18:09, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Uffzach »

Watchful_Eye hat geschrieben:(17 Dec 2018, 06:22)

"Pure Vernunft darf niemals siegen", so lautet ein Albumtitel der Indieband "Tocotronic".
Und mich interessiert die Frage - warum eigentlich nicht? Was spricht dagegen? Und was wären die Vorzüge?

Ich schreibe mal bewusst nichts weiter dazu, um eure Assoziationen nicht vorab in eine Richtung zu lenken. Vor was graut euch, wenn ihr an "pure Vernunft" denkt?
pur = rein.

Nach Kant ist reine Vernunft transzendental und also gibt es gar keine Alternative zu ihr, weil sie dem menschlichen begrifflichen Denken vor jedweder Erfahrung (a priori) innewohnt. Ignoranz dominiert dann, wenn die Grenzen der Vernunft nicht bekannt sind und weil in Unkennntnis dieser Grenzen die Vernunft dazu neigt 'abzuheben' in spekulative Gefilde.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Ein Terraner »

odiug hat geschrieben:(17 Dec 2018, 18:05)

Eigentlich begründeten sich die Hexenverbrennungen aus der Theologie, aus der sich die die moralischen Werte jener Zeit ableiteten .
Die lassen sich heute auch noch ableiten. ;) Die Kirchen haben in Teilen der Welt immer noch keine Probleme damit so manche Unethischen Taten mit ihrer Moral zu vereinbaren.

Aber egal, dein Link hat ja auch schön die Differenzierung zwischen Ethik und Moral erklärt.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Ein Terraner »

JunkerPhil hat geschrieben:(18 Dec 2018, 10:36)

Zu 1 : Red doch keinen Unsinn, Terraner ! Zwischen Gut und böse ist nicht ein kleiner, sondern ein großer Unterschied.
Es ging ja auch nicht um den Unterschied zwischen Gut und Böse sondern um den Unterschied zwischen "Gut und Böse" und "Fair und Unfair (bzw. Richtig und Falsch)"
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Tom Bombadil
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Tom Bombadil »

Es kommt auf die Ableitung an, was man aus Vernunft macht. So wäre es durchaus vernünftig, das Bevölkerungswachstum in Asien und Afrika zu begrenzen, daraus abzuleiten, zig Millionen Menschen umzubringen, ist nicht vernünftig.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Ein Terraner »

Tom Bombadil hat geschrieben:(18 Dec 2018, 13:22)

Es kommt auf die Ableitung an, was man aus Vernunft macht. So wäre es durchaus vernünftig, das Bevölkerungswachstum in Asien und Afrika zu begrenzen, daraus abzuleiten, zig Millionen Menschen umzubringen, ist nicht vernünftig.
Es wäre auch vernünftig den Ressourcen Verbrauch der westlichen Länder zu beschränken.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Tom Bombadil »

Ein Terraner hat geschrieben:(18 Dec 2018, 13:25)

Es wäre auch vernünftig den Ressourcen Verbrauch der westlichen Länder zu beschränken.
Sicher. Die Ableitung daraus, die westlichen Länder (was ist mit Russland, China und den Golfstaaten?) auf Entwicklungslandniveau zurecht stutzen zu müssen, wäre wiederum unvernünftig.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Ein Terraner »

Tom Bombadil hat geschrieben:(18 Dec 2018, 13:32)

Sicher. Die Ableitung daraus, die westlichen Länder (was ist mit Russland, China und den Golfstaaten?) auf Entwicklungslandniveau zurecht stutzen zu müssen, wäre wiederum unvernünftig.
Alles mit Vernunft, die einen ein bisschen weniger, die anderen ein bisschen mehr.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Aus meiner Sicht ist "Pure Vernunft darf niemals siegen" (2005) - zumindest auch! - eine Abrechnung mit einem bestimmten Geist der 90er Jahre. Stichwort T-Aktie. Der naive Glauben, dass alles irgendwie machbar ist. Wenn man nur auf den richtigen Kurs setzt. Dass eine Kuh auch dann Milch gibt, wenn sie kein Gras mehr frisst. Dieser Glaube ist natürlich einerseits in höchstem Maße unvernünftig. Indem er "Vernunft" zum Fetisch macht. Bzw. indem Vernunft zu Machbarkeitswahn und Komplexitätsunterschätzung verkommt. Andererseits erwies sich mit den Bankencrashs kurz nach Erscheinen das ganze Album als regelrecht prophetisch.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Mi 19. Dez 2018, 09:03, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Max Wein »

Solange man sich nicht beschränken lässt ist alles möglich.

Da kann man sogar unvernünftige sachen machen um auf vernünftige ideen zu kommen oder die mit solchen ideen zu lösen.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Max Wein hat geschrieben:(19 Dec 2018, 09:01)

Solange man sich nicht beschränken lässt ist alles möglich.

Da kann man sogar unvernünftige sachen machen um auf vernünftige ideen zu kommen oder die mit solchen ideen zu lösen.
Das Problem ist, dass die meisten solcher "Sachen" sich in Wirklichkeit als Nullsummen- oder sogar Verlust-Spiele erweisen. Das Projekt "Smart Hiome" zum Beispiel. Weil man nicht wirklich darüber nachdenkt, was "Lebensqualität" eigentlich sein soll, sondern darüber, wie sich Jalousien bei Einbrechen der Dämmerung von selber schließen könnten. Wie sich das technisch realisieren ließe.

Vernunft wird zum Fetisch. Zu einer Sache, die wir als Menschen nicht einfach nutzen sondern der wir paradoxerweise sogar ausgeliefert sind.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Tom Bombadil »

schokoschendrezki hat geschrieben:(19 Dec 2018, 09:10)

Weil man nicht wirklich darüber nachdenkt, was "Lebensqualität" eigentlich sein soll...
Ist das nicht eine sehr individuelle Entscheidung, was Lebensqualität für den Einzelnen bedeutet? Wenn jemand damit das automatische Schließen der Jalousien bei Einbruch der Dunkelheit verbindet, ist das doch sein Bier.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Max Wein »

schokoschendrezki hat geschrieben:(19 Dec 2018, 09:10)

Das Problem ist, dass die meisten solcher "Sachen" sich in Wirklichkeit als Nullsummen- oder sogar Verlust-Spiele erweisen. Das Projekt "Smart Hiome" zum Beispiel. Weil man nicht wirklich darüber nachdenkt, was "Lebensqualität" eigentlich sein soll, sondern darüber, wie sich Jalousien bei Einbrechen der Dämmerung von selber schließen könnten. Wie sich das technisch realisieren ließe.
Ja aber wenn man genau nachdenkt ist der mensch von natur aus faul, es bedeutet meist Lebensqualität, wenn man weniger machen muss.
Sowie es zb. In der pflege als Qualität angesehen wird, wenn die Pflegerin sich zeit nimmt und jemanden zuhört.

Es ist also kein verlust spiel sondern eine Weiterentwicklung auch wenn man es nicht wirklich braucht, aber es kann eins sparen und dann lohnt es sich.

Man sollte sich nicht beschränken lassen, den was sie beschreiben ist eigendlich mit denken, was vielen politikern und akademikern fehlt.
Wer sich nur an regeln hält, braucht sih nichts zu wundern wenn nichts läuft, wenn man aber mit denkt und die regeln so nutzt wie man die braucht, dann kommt ma weiter.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von H2O »

Max Wein hat geschrieben:(19 Dec 2018, 09:01)

Solange man sich nicht beschränken lässt ist alles möglich.

Da kann man sogar unvernünftige sachen machen um auf vernünftige ideen zu kommen oder die mit solchen ideen zu lösen.
Da uns die Natur aber Beschränkungen auferlegt, ist eben doch nicht alles möglich... sagt mir die Vernunft.

Ja, der zweite Satz bringt mich auf eine allgemeine Lebenserfahrung: Das liebende Paar (wie unvernünftig!) sieht Nachwuchsfreuden entgegen :eek: und eilt zum Standesamt, um eine Familie zu gründen :) (wie vernünftig; eine Folge der Unvernunft wurde vernünftig geregelt).
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Tom Bombadil hat geschrieben:(19 Dec 2018, 09:17)

Ist das nicht eine sehr individuelle Entscheidung, was Lebensqualität für den Einzelnen bedeutet? Wenn jemand damit das automatische Schließen der Jalousien bei Einbruch der Dunkelheit verbindet, ist das doch sein Bier.
Ja eben. Aber die meisten Menschen nehmen den technologischen Fortschritt nicht selbstentscheidend wahr sondern wie ein kleines Kind in einem Kinderautositz, das nicht wahrnimmt, dass man fährt, sondern dass die Landschaft scheinbar "auf uns zukommt". Es wird doch weithin gar nicht gefragt: Will ich ein "Smart Home", eine digitale Sprachassistentin sondern: "Kommt es" oder "Kommt es nicht". Und "Wie richte ich mich darauf ein".

Und in noch höherem Maße betrifft das die Art und Weise, wie Wirtschaft und Politik betrieben wird. Wenn selbst die Chefin von "Alternativlos" spricht ... was sollen wir kleinen Menschlein dann noch wollen können
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Max Wein »

H2O hat geschrieben:(19 Dec 2018, 09:20)

Da uns die Natur aber Beschränkungen auferlegt, ist eben doch nicht alles möglich... sagt mir die Vernunft.

Ja, der zweite Satz bringt mich auf eine allgemeine Lebenserfahrung: Das liebende Paar (wie unvernünftig!) sieht Nachwuchsfreuden entgegen :eek: und eilt zum Standesamt, um eine Familie zu gründen :) (wie vernünftig; eine Folge der Unvernunft wurde vernünftig geregelt).
Ja aber wir wurden ausgerüstet um unsere beschränkungen zu umgehen, zb. Die psyche, wenn man faul ist, kann man es mit der psyche umgehen, bis irgendwann halt ein totalversagen kommt xD.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Max Wein hat geschrieben:(19 Dec 2018, 09:18)

Ja aber wenn man genau nachdenkt ist der mensch von natur aus faul, es bedeutet meist Lebensqualität, wenn man weniger machen muss.
Das sehe ich überhaupt nicht so. Ich weigere mich zum Beispiel konsequent und prinzipiell, den Swimmingpool eines guten Freunds zu benutzen. Weil es für mich erheblich mehr Lebensqualität bringt, mit dem Fahrad an einen der schönen und klaren Seen östlich und nördlich von Berlin zu fahren und dort eine Runde zu schwimmen.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Max Wein »

schokoschendrezki hat geschrieben:(19 Dec 2018, 09:43)

Das sehe ich überhaupt nicht so. Ich weigere mich zum Beispiel konsequent und prinzipiell, den Swimmingpool eines guten Freunds zu benutzen. Weil es für mich erheblich mehr Lebensqualität bringt, mit dem Fahrad an einen der schönen und klaren Seen östlich und nördlich von Berlin zu fahren und dort eine Runde zu schwimmen.
Ja und für einen ist es Lebensqualität, wenn die Jalousien von alleine zu geht xD.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Das Paradoxe an der Vernunft besteht darin, dass der Mensch - scheinbar! - immer mehr Kontrolle über seine Umwelt erlangt. In Wirklichkeit aber immer mehr die Kontrolle verliert. Er ist der Vernunft ausgeliefert. Die Vernunft ist nicht einfach benutzbar sondern sie "gebietet" wie man so schön sagt. Ein vernünftiger Mensch sieht ein, dass es unvernünftig ist, weiterhin Bargeld zu benutzen. Also bitte! Sieh es ein! Und tausend weitere Vernunftsgebote bestmmen und determinieren mehr und mehr unser Leben. Vernunft, von der behauptet wird, dass der Mensch mehr und mehr die Kontrolle über die Natur übernimmt.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Max Wein hat geschrieben:(19 Dec 2018, 09:45)

Ja und für einen ist es Lebensqualität, wenn die Jalousien von alleine zu geht xD.
Die Frage ist auch politisch zu stellen. Und wir befinden uns ja nun in einem Politik-Forum (wenn auch in der Philosophie-Sparte): Was wird direkt oder indirekt im Namen irgendeiner "Vernunft" angeordnet, aufgezwungen.

Ich sehe das Problem darin, dass implizit immer eine Optimierungsaufgabe einfach stillschweigend vorausgesetzt wird und dass alle Menschen wie selbstverständlich auf eben dieselbe Optimierung aus sind. "Vernunft" besteht dann einfach in einem Lösungsversuch dieser Optimierungsaufgabe. Also zum Beispiel: Maximierung des Durchschnittseinkommens. Oder der durchschnittlichen Kaufkraft. Oder irgendeiner Form von "Sicherheit". Individueller Freiheitsspielraum steht sehr häufig solchen Optimierungskriterien entgegen. Man muss also erst mal grundsätzlich in Frage stellen, ob überhaupt alle Menschen der Gesellschaft wirklich zuallerst mehr Zeug kaufen möchten können. Oder vielleicht nicht doch - Existenzsicherung vorausgesetzt - freier und selbstendscheidender leben wollen.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von BlueMonday »

Habe mir noch mal den tocotronic Song angehört.
Erinnert mich stark an Guyau. Wobei die Frage ist, inwieweit der Song zur sehnsüchtigen Affirmation neigt und wie weit zur persiflierenden Warnung, irgendwo dazwischen wohl.

Das ist dann wohl auch das, was man Lebenskunst nennt, den lebbaren Weg zwischen Wahn und Ratio zu finden, der einen erfüllt bis ans Ende bringt. Demut, Furcht, Skepsis, Achtsamkeit halten von den Extremen fern.


"Heutzutage genügt schon eine Hypothese, eine bloße Möglichkeit, um uns anzulocken, uns zu fesseln. Die Hoheit des zu verwirklichenden Ideals ersetzt den Glauben an seine unmittelbare Verwirklichung. Wenn man etwas ganz Erhabenes erhofft, so schöpft man aus der Schönheit des Zieles den Mut, allen Widerständen zu trotzen. ... Je weiter das Ideal von der Wirklichkeit entfernt ist, desto erstrebenswerter erscheint es uns. ... Sich auf irgendeine immer zu enge Lehre hartnäckig einschwören, ist ein Wahn, der uns unter den Händen zerrinnt; aber immer vorwärts schreiten, immer suchen, immer hoffen, das allein ist kein leerer Wahn. Die Wahrheit liegt in der Bewegung, in der Hoffnung. ... Wir alle, wir Sucher und Arbeiter, sind wie der Schmetterling: unsere Kraft wird nur durch die Sonne, ja oft schon durch die Hoffnung auf einen Sonnenstrahl erweckt. Wir müssen also zu hoffen wissen. Die Hoffnung ist die Kraft, die uns aufwärts und vorwärts trägt. Ihr wendet ein: Sie ist nur ein Trugbild! Was wißt ihr davon? Sollen wir etwa unseren Fluß nicht vorwärts setzen aus Furcht, daß die Erde unter unseren Füßen eines Tages zerberste?" --Guyau

Wobei einem auch klar sein sollte, dass jeder Schritt, jeder Zugriff mindestens ein kleiner Krieg ist.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Tom Bombadil »

schokoschendrezki hat geschrieben:(19 Dec 2018, 09:27)

Aber die meisten Menschen nehmen den technologischen Fortschritt nicht selbstentscheidend wahr sondern wie ein kleines Kind in einem Kinderautositz, das nicht wahrnimmt, dass man fährt, sondern dass die Landschaft scheinbar "auf uns zukommt".
Und das weißt du woher?
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Papaloooo »

Die meisten unserer Entscheidungen sind Bauchentscheidungen, die kognitive Begründung basteln wir uns danach drumherum, ohne uns das wirklich einzugestehen.

Und im Großen und Ganzen fahren wir damit doch gut.

Vor allen Dingen sind wir so spontaner.

Klar geht das eine oder andere so in die Hose.

Aber es erzeugt doch auch eine Leichtigkeit, wäre schade, wenn wir das nicht hätten.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von 3x schwarzer Kater »

Papaloooo hat geschrieben:(19 Dec 2018, 16:49)

Die meisten unserer Entscheidungen sind Bauchentscheidungen, die kognitive Begründung basteln wir uns danach drumherum, ohne uns das wirklich einzugestehen.
Bei den meisten Entscheidungen basteln wir uns gar nichts drumherum, weil wir sie nicht mal als Entscheidung wahrnehmen, so automatisch läuft das ab. Dort wo wir anfangen etwas zu basteln haben wir ja letztendlich schon kognitiv entschieden, also eine bewussten Entscheidungsprozess gehabt und damit auch eine bewusste Entscheidung getroffen, die eben nicht aus dem Bauch heraus fällt ;)
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von H2O »

Tom Bombadil hat geschrieben:(19 Dec 2018, 16:08)

Und das weißt du woher?
Mit dem ersten Teil des Satzes hat Schoko doch Recht; wir nehmen technischen Fortschritt nicht stets gestaltend wahr, sondern die eine oder andere Gruppe von Menschen hat den Fortschritt ermöglicht; wir lernen ihn kennen, und die Mutigen unter uns nutzen ihn fast sofort, wenn er sich als sehr praktisch heraus stellt. Die weniger auf Neuerungen erpichten Zeitgenossen kommen dann irgendwann nach, weil die Verweigerung mit zu vielen Nachteilen verbunden ist.

Der Vergleich verständiger Menschen mit einem noch unausgereiften Kind ist sicher sehr unglücklich, aber er schadet ja nicht.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Tom Bombadil »

H2O hat geschrieben:(19 Dec 2018, 17:55)

Mit dem ersten Teil des Satzes hat Schoko doch Recht;
Nein, hat er nicht.
wir nehmen technischen Fortschritt nicht stets gestaltend wahr...
Was soll das heißen?
...sondern die eine oder andere Gruppe von Menschen hat den Fortschritt ermöglicht; wir lernen ihn kennen, und die Mutigen unter uns nutzen ihn fast sofort, wenn er sich als sehr praktisch heraus stellt. Die weniger auf Neuerungen erpichten Zeitgenossen kommen dann irgendwann nach, weil die Verweigerung mit zu vielen Nachteilen verbunden ist.
Also ich habe ganz von selber entschieden, Facebook nicht zu nutzen. Viele andere Menschen nutzen immer noch kein Smartphone oder kein Netflix, andere haben die Glotze gleich ganz abgeschafft. Und nu?
Der Vergleich verständiger Menschen mit einem noch unausgereiften Kind ist sicher sehr unglücklich, aber er schadet ja nicht.
Nun, wer dieser Meinung ist hat offensichtlich keine besonders hohe Meinung von seinen Mitmenschen.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Papaloooo »

3x schwarzer Kater hat geschrieben:(19 Dec 2018, 16:55)

Bei den meisten Entscheidungen basteln wir uns gar nichts drumherum, weil wir sie nicht mal als Entscheidung wahrnehmen, so automatisch läuft das ab. Dort wo wir anfangen etwas zu basteln haben wir ja letztendlich schon kognitiv entschieden, also eine bewussten Entscheidungsprozess gehabt und damit auch eine bewusste Entscheidung getroffen, die eben nicht aus dem Bauch heraus fällt ;)
Okay, da habe ich mich offensichtlich nicht klar genug ausgedrückt:

Wenn man uns fragt, warum wir diese oder jene Entscheidung getroffen haben, so war meistens diese Entscheidung zwar eine Bauchentscheidung, jedoch geben wir das seltenst zu.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von H2O »

Tom Bombadil hat geschrieben:(19 Dec 2018, 19:41)

Nein, hat er nicht.
Aus meiner Sicht schon, aus Ihrer eben nicht. Ist das so schlimm?
Was soll das heißen?
Das heißt, daß nicht jeder von uns ständig die neueste Technische Errungenschaft erfindet, sondern die Errungenschaften Dritter nutzt oder sie für unnütz hält.
Also ich habe ganz von selber entschieden, Facebook nicht zu nutzen. Viele andere Menschen nutzen immer noch kein Smartphone oder kein Netflix, andere haben die Glotze gleich ganz abgeschafft. Und nu?

Nun erklären Sie genau das, was ich Ihnen erklären sollte. Nun will ich Sie nicht mit den Amishen und Hutterern ärgern... aber den technischen Fortschritt haben die auch nicht bremsen können.
Nun, wer dieser Meinung ist hat offensichtlich keine besonders hohe Meinung von seinen Mitmenschen.
Teilweise gebe ich Ihnen Recht.
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Tom Bombadil
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Tom Bombadil »

H2O hat geschrieben:(19 Dec 2018, 20:06)

Aus meiner Sicht schon, aus Ihrer eben nicht. Ist das so schlimm?
Schlimm ist was anderes.
Das heißt, daß nicht jeder von uns ständig die neueste Technische Errungenschaft erfindet, sondern die Errungenschaften Dritter nutzt oder sie für unnütz hält.
Nur die allerwenigsten Menschen erfinden technische Errungenschaften, schon gar nicht ständig, das alles hat mittlerweile auch nichts mehr mit schokoschendrezkis Behauptung zu tun.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von z4ubi »

Es wäre wünschenswert, wenn die Vernunft immer siegen würde.
Aber das hängt natürlich von (meinem?) Vernunftbegriff ab. ;)
odiug hat geschrieben:(17 Dec 2018, 11:28)
Wenn dein Ziel die Ausrottung ganzer Völker ist, dann sind Gaskammern vernünftig, da effektiv, rationell und ökonomisch sinnvoll.
Nein. Es sollte erst einmal vernünftig begründet werden, wieso man überhaupt ein Volk ausrotten will. Und solange ist da ganz und gar nichts vernünftig dran.
JunkerPhil hat geschrieben:(17 Dec 2018, 09:38)
Würde man vernünftig denken, käme Sex nicht in Frage.
Nein. Es ist absolut vernünftig, wenn sich zwei Menschen lieben, dass sie das dann auch ausleben und glücklich sein dürfen.
Die Vernunft steht dem Glück des Menschen nicht im Wege, solange kein Dritter dabei zu Schaden kommt.
odiug

Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von odiug »

z4ubi hat geschrieben:(21 Dec 2018, 23:46)

Es wäre wünschenswert, wenn die Vernunft immer siegen würde.
Aber das hängt natürlich von (meinem?) Vernunftbegriff ab. ;)



Nein. Es sollte erst einmal vernünftig begründet werden, wieso man überhaupt ein Volk ausrotten will. Und solange ist da ganz und gar nichts vernünftig dran.

[...]
Eliminierung von Konkurrenz ... das ist das Rationell hinter Völkermord.
Und wenn du die indigene Bevölkerung nicht brauchst, um die Ressourcen eines eroberten Landstrichs auszubeuten,dann ist es nur vernünftig, diese auszurotten.
Das nicht zu tun, ist eine Verschwendung von Ressourcen,die du an anderer Stelle besser einsetzen kannst.
Das ist Vernunft ohne Moral.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von unity in diversity »

odiug hat geschrieben:(22 Dec 2018, 08:11)

Eliminierung von Konkurrenz ... das ist das Rationell hinter Völkermord.
Und wenn du die indigene Bevölkerung nicht brauchst, um die Ressourcen eines eroberten Landstrichs auszubeuten,dann ist es nur vernünftig, diese auszurotten.
Das nicht zu tun, ist eine Verschwendung von Ressourcen,die du an anderer Stelle besser einsetzen kannst.
Das ist Vernunft ohne Moral.
Manchmal wird an Vernunft und Verstand appelliert, um Moral und Ethik mattzusetzen.
Bei gefühlsbetonten Menschen klappt das am Besten.
So macht man aus Emotionen Geld.
Für jedes Problem gibt es 2 Lösungsansätze:
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von z4ubi »

odiug hat geschrieben:(22 Dec 2018, 08:11)

Eliminierung von Konkurrenz ... das ist das Rationell hinter Völkermord.
Und wenn du die indigene Bevölkerung nicht brauchst, um die Ressourcen eines eroberten Landstrichs auszubeuten,dann ist es nur vernünftig, diese auszurotten.
Das nicht zu tun, ist eine Verschwendung von Ressourcen,die du an anderer Stelle besser einsetzen kannst.
Das ist Vernunft ohne Moral.
Der ausbeuterische Umgang mit Ressourcen ist doch auch schon bereits unvernünfitg.
Ist es nicht gerade die Vernunft, die uns dazu geführt hat, auf Zusammenarbeit zu setzten statt auf Gewalt? (Rechtsstaat, Völkerrecht - auch wenn das alles noch auf wackeligen Beinen steht - optimistisch betrachtet)
Wäre es nicht das vernünftigste mit der Umwelt sorgsam umzugehen, um unseren Lebensraum für weitere Generationen aufrecht zu erhalten?

Die Vernunft kann gar nicht ohne Moral. Denn wenn man das menschliche Handeln vernünftig betrachtet, kann man doch fast immer sehen, dass unser Handeln moralische Konsequenzen hat.
Eine Vernuft, die das ignoriert, wird meiner Meinung nach ihrem Namen nicht gerecht.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Occham »

Ich finde schon das Vernunft siegen sollte, oder sollen die unvernünftigen Dinge siegen?
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von McKnee »

Occham hat geschrieben:(23 Dec 2018, 09:39)

Ich finde schon das Vernunft siegen sollte, oder sollen die unvernünftigen Dinge siegen?
Lies den Titel doch mal genauer
Der Hauptgrund für Stress ist der tägliche Kontakt mit Idioten.

Es ist mir egal, ob es ein Albert-Einstein-Zitat ist ...

.....er wusste es :D
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Occham »

McKnee hat geschrieben:(23 Dec 2018, 09:51)

Lies den Titel doch mal genauer
Also Vernunft ja, 'pure' Vernunft nein?
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McKnee
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von McKnee »

Occham hat geschrieben:(23 Dec 2018, 09:53)

Also Vernunft ja, 'pure' Vernunft nein?
So in etwa

Ein ausschließlich vernunftgesteuertes und bestimmtes Leben ist ärmer und verhindert Innovation.
Der Hauptgrund für Stress ist der tägliche Kontakt mit Idioten.

Es ist mir egal, ob es ein Albert-Einstein-Zitat ist ...

.....er wusste es :D
Occham

Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Occham »

McKnee hat geschrieben:(23 Dec 2018, 09:54)

So in etwa

Ein ausschließlich vernunftgesteuertes und bestimmtes Leben ist ärmer und verhindert Innovation.
Naja gut, Extreme sind immer schlecht.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von Selina »

Ich glaube an den Menschen, und das heißt, ich glaube an seine Vernunft! Ohne diesen Glauben würde ich nicht die Kraft haben, am Morgen aus meinem Bett aufzustehen.

Bertolt Brecht (Leben des Galilei, 1939 im dänischen Exil geschrieben)
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von 3x schwarzer Kater »

KeinKommentar hat geschrieben:(24 Dec 2018, 13:50)

Wie begründest du denn die schwerlich durch Fakten belegbare These die meisten Entscheidungen im Leben hingen von Bauchenscheidungen ab ?
Das ist nicht schwerlich belegbar, sondern Tatsache. Die meisten Entscheidungen die ein Mensch trifft, nimmt er nicht mal als solche war, so automatisch (aus dem Bauch heraus) trifft er sie.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von al-Faylasuf »

schokoschendrezki hat geschrieben:(19 Dec 2018, 08:57)

Aus meiner Sicht ist "Pure Vernunft darf niemals siegen" (2005) - zumindest auch! - eine Abrechnung mit einem bestimmten Geist der 90er Jahre. Stichwort T-Aktie. Der naive Glauben, dass alles irgendwie machbar ist. Wenn man nur auf den richtigen Kurs setzt. Dass eine Kuh auch dann Milch gibt, wenn sie kein Gras mehr frisst. Dieser Glaube ist natürlich einerseits in höchstem Maße unvernünftig. Indem er "Vernunft" zum Fetisch macht. Bzw. indem Vernunft zu Machbarkeitswahn und Komplexitätsunterschätzung verkommt. Andererseits erwies sich mit den Bankencrashs kurz nach Erscheinen das ganze Album als regelrecht prophetisch.

Max Horkheimer prägte hierzu den Begriff der "instrumentellen Vernunft". Ich würde zu der Frage nach dem richtigen Maß an Vernunft noch einen anderen Aspekt nennen, der sozusagen parallel damit einhergeht: Der Erosion der Identität in der Moderne. Nachdem man in weiten Teilen Europas Gott vom Sockel gestoßen hatte und an seiner Stelle die Nation emporhob, stellt sich die Frage, ob und was wir heute eigentlich haben. Hat unsere Ethik, Stichwort Humanismus, tatsächlich Fortschritte gemacht? Erinneren wir uns an John Grays Dekonstruktion in seinem bissigen "Abschied vom Humanismus". Mag Sklaverei bsp. verachtet werden, so hat es uns doch nicht daran gehindert, ein globales Wirtschaftssystem zu schaffen, dass auf Ausbeutung ärmerer Länder beruht.
[Der bedeutende John Locke bsp. wird eingehend in den Büchern als äußerst vernünftiger Philosoph dargestellt. Und so fand es Locke auch äußerst vernünftig, das von indigenen Einheimischen bevölkerte Land in Besitz zu nehmen, da die Indianer das Land schließlich nicht bewirtschaften]

Oder haben wir einfach das Nichts auf dem Sockel? Vor nicht allzulanger Zeit (2014 glaube ich) auf dem berühmten vierten Sockel auf dem Trafalgar Square ein großer blauer Hahn aus Plastik enthüllt wurde (übrigens vom Brexiteer und damaligen Bürgermeister Boris Johnson) - der quasi für das Ende der Bedeutung stellvertretend stand. Post-Aufklärung sozusagen. Oder wie Max Frisch, die meisten kennen ihn als Autor von "Homo Faber" und seinem "Fragebogen", es ausdrückte in einem Vortrag: "Am Ende der Aufklärung steht das Goldene Kalb."
Gleichzeitig gibt es auf technischem Niveau ständig etwas neues, was uns das Leben bequem macht. All dies wird angetrieben durch die ungeheure kreative Energie, entstanden aus dieser alles befreienden Leere. Alles ist in Bewegung, auch wenn offenbar keiner weiß, wohin eigentlich. Gut, man kann sich auf Facebook registrieren und man hat die Auswahl zwischen mehreren dutzend Geschlechtern. Es stehen einige grundlegende Veränderung in Bereichen wie Genetik an, doch können wir uns selbst eigentlich überhaupt noch definieren, wer/was wir eigentlich sind?

Ob sich diese, ich würde sie mal "Krise der Weisheit" nennen durch Algorythmen lösen lässt, die von einer Gruppe äußerst junger und äußerst gutbezahlter Informatiker in Kalifornien programmiert werden und die alle so ungemein vernünftig, weil bequem, klingen?

Vielleicht lassen sich die modernen Radikalisierungen wie das Revival des Nationalismus sowie der Islamismus u.a. auch dadurch erklären. Denn diese Ideologien füllen die Lücken, sie verleihen dem Menschen Identität. Und gerade wenn Religion zur Verleihung einer Identität herhält (statt ein Prozess der intellektuellen Reife darzustellen), so ist die Welt notwendigerweise augustinisch, wenn nicht gar manichäisch (Schwarz und Weiß)

Der Dichter und Maler William Blake (gest. 1827) schuf in seinen Werken einst vier Gestalten, die sozusagen jeweils einen menschlichten Aspekt darstellten. Eine davon, "Urizen" genannt, steht dabei für Rationalität und Wissenschaft und habe, so Blake, habe die Macht an sich gerissen und unterdrückt seither die anderen Aspekte der menschlichen Psyche. Für ihn stellte sich dieser "Urizen" als blinde Ignoranzda , gefangen in den von Newton enthüllten Kausalgesetzen, gleichzeit versunken in ungezügeltem Pathos.

Diese "instrumentelle Vernunft" lässt sich, da stimme ich mit Jekyll, so wie ich ihn verstanden habe, überein, nicht mit der "puren Vernunft", oder das was Aristoteles mit "nous" (Intellekt, Geist, Vernunft) bezeichnete, gleichsetzen.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von schokoschendrezki »

al-Faylasuf hat geschrieben:(28 Mar 2019, 12:31)
Vielleicht lassen sich die modernen Radikalisierungen wie das Revival des Nationalismus sowie der Islamismus u.a. auch dadurch erklären. Denn diese Ideologien füllen die Lücken, sie verleihen dem Menschen Identität. Und gerade wenn Religion zur Verleihung einer Identität herhält (statt ein Prozess der intellektuellen Reife darzustellen), so ist die Welt notwendigerweise augustinisch, wenn nicht gar manichäisch (Schwarz und Weiß)
Das ist sicherlich so. Aber eben nur bei einem Teil der Menschen. Ich würde mal schätzen bei jeweils ungefähr der Hälfte der Bevölkerung, manchmal vielleicht eher 1/3 zu 2/3 oder 2/3 zu 1/3 in den jeweiligen Gesellschaften.

Die Tatsache, dass sich grundsätzliche Fragen wie die zum Brexit oder zur Eigenständigkeit Kataloniens oder zum Namen "Nord-Mazedonien" häufig quer durch Familien zieht und nicht die sozial so gestellten Familien von den sozial anders gestellten Familien trennt, bedeutet für mich, dass das Soziale, Einkommen, Gesundheitswesen, Bildung, Infrastruktur hier gar nicht mehr die dominante Rolle spielt. Jan Müller von Tocotronic sagte in einem Interview 2005 zum Erscheinen von "Pure Vernunft darf niemals siegen" "Wir wollten eine Dogma-Platte". Die Frage für mich ist, ob solche Passagen wie
Wir brauchen dringend neue lügen
Die uns durchs universum leiten
die Bedürfnisse thematisisieren, die fast überall woanders auf der Welt durch eine Renaissance der (traditionellen) Religionen befriedigt werden. Die Songs von Tocotronic positionieren sich dabei allerdings nicht. Sie machens nur deutlich.
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Re: Pure Vernunft darf niemals siegen?

Beitrag von al-Faylasuf »

Unter diesem Zusammenhang wird ja immer wieder moniert, dass wir "heute keine Utopien, dafür umso mehr Dystopien haben". Selbst ein oberflächlicher Blick auf die jüngeren Sci-Fi-Filme, die sich mit Zukunftsvisionen befassen, dürfte das zeigen. Nun lehrt uns die moderne Psychologie, dass Religion zumindest eine Art "nützliche Illusion" sei, was natürlich ein Problem darstellt, weil man ja nicht einfach nur an Gott glauben kann, wenn man sich andererseits bewusst macht, dass er, wie Lennon einst sang, ein Konzept ist. All die Bücher, die man gelesen hat, das Wissen, das man sich dabei aufgesogen hat, lässt sich ja nicht wieder rückgängig machen. Zumindest nicht freiwillig. Das erinnert mich an diese Planetenbewohner, wie Douglas Adams sie in "Das Restaurant am Ende des Universums" beschrieb, die alle nur deshalb so ungemein depressiv waren aufgrund ihrer ungemein hohen Intelligenz.

Was ist nun aber diese andere Seite, die irgendwie regulatorisch dafür sorgen kann, dass die oben angesprochene "instrumentelle Vernunft" nicht überhand nimmt? Humanismus? Streitbare Denker wie John Gray bezweifeln das und zeigen auf, dass der Humanismus schlicht nur die säkulare Variante der christliche Illusion sei.
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