Provokateur hat geschrieben:(19 Apr 2016, 20:04)
Was bedeutet Toleranz?
Das Wort entlehnt sich aus dem lateinischen
"tolerare", was
"erdulden" oder
"ertragen" heißt. Später wurde der Begriff ausgeweitet, auf das Hinnehmen einer anderslautenden Meinung. Und damit wurde seine ursprüngliche Bedeutung verfälscht.
Denn grundsätzlich teilt sich alles, was wahrnehmbar ist, in drei Kategorien:
1) Es gibt Dinge, die kann die von ihnen betroffene Person
akzeptieren. Das bedeutet, er erkennt sie in ihrer Wesenheit an und betreibt keinerlei Aufwand, um sie zu ändern.
2) Es gibt Dinge, die werden von der betroffenen Person
nicht akzeptiert. Hier finden verschiedene Versuche statt, diese Dinge zu ändern, weil sie einerseits ein Problem in der Weltwahrnehmung des Rezipienten darstellen ("kognitive Dissonanz") oder andererseits eine Bedrohung für Leib, Leben, Besitz und/oder geistige Gesundheit darstellen.
3)
Hintergrundrauschen, Nichtwahrnehmbares, Ausgeblendetes (zum Beispiel die Tatsache, dass jeder jederzeit ein Stück seiner Nase sieht, das Gehirn aber beschließt, diese Information aufgrund von Irrelevanz auszublenden - wenn ihr euch konzentriert, könnt ihr das sehen. Und habt es im nächsten Moment vergessen. Aber herzlichen Glückwunsch, jetzt konzentriert ihr euch auf eure Atmung. Und atmet bewusst Habt ihr vorher auch nicht gemacht, oder?) - Dinge, die schlicht keine oder noch keine Bedeutung haben.
Wo findet sich jetzt die Toleranz? Von dem, was wir gelernt haben, würden wir das der Nummer 1 zuordnen. Aber halt - hier ist die
Akzeptanz. Ich kann auch Meinungen akzeptieren, wenn sie von meiner abweichen. Das bedeutet aber nicht, dass ich sie ertrage wie ein schmerzendes Knie - welches jeder übrigens durch Entlastung oder andere Haltung zu einem nicht mehr schmerzenden Knie verwandeln versucht, weil hier auch keine Toleranz vorliegt, sondern Schmerz. Und den genießen (--> akzeptieren) nur wenige Menschen. Selbst bei unvermeidbaren Schmerzen, zum Beispiel bei hartem Training oder danach, erinnert sich jeder daran zurück, wie es ohne Schmerzen war und freut sich darauf, wie es sein wird, wenn er wieder schmerzfrei ist.
Im Spannungsfeld zwischen Akzeptanz und Antiakzeptanz ist für Toleranz schlicht kein Platz.
Entweder die betroffene Person akzeptiert, dass eine andere Meinung existiert. Dann schütteln beide Meinungsträger die Hand, sagen "Ich habe meine Meinung, du deine, aber es gibt bestimmt andere Bereiche, in denen wir ähnlicher Meinung sind" und jeder geht seiner Wege.
Oder sie akzeptiert es nicht. Dann werden bestimmte Eskalationsstufen, beginnend mit demonstrativem Ignorieren über Gegenrede bis hin zu - auch tödlicher - Gewalt durchgespielt, bis die Situation bereinigt ist. Das bedeutet, bis nur noch eine Meinung geäußert wird.
Und da sind wir nur im Bereich der Meinungen. Richtig abstrus wird es, wenn es um Hautfarbe oder Sexualität geht, also nicht Meinungen, sondern Eigenheiten der Personen.
"Ich bin tolerant! Ich habe schwarze Freunde!"
Aha, du erträgst es, dass deine Freunde eine andere Hautfarbe haben? Brennt das ein wenig in den Augen, aber gerade nicht so schlimm, dass du sie in einem Gespräch noch lange genug anblicken kannst, um nicht unhöflich zu wirken?
"Ich toleriere Schwule!"
Nun, es wird dir nix anderes übrig bleiben, denn die existieren, ob du das nun gut findest oder nicht. Aber warum erdulden? Erstens ist es ziemlich schwul, sich darum zu kümmern, was andere Männer so mit ihrem Schwanz anstellen, zweitens, wenn du nicht schwul bist, hast du durch die Existenz der Schwulen wohl eher einen Vorteil als einen Nachteil - denn wenn zwei Männer einander lieben, kommen bei einer ausgewogenen Bevölkerungspyramide gleich zwei Frauen in deinen (hypothetischen) Paarungsverfügbarkeitspool.
Komischerweise sind Lesben deutlich weniger häufig derartigen Anfeindungen ausgesetzt. Obwohl die dieses Verhältnis eventuell wieder ausleveln, denn mit jedem Lesbenpaar verschwinden wieder zwei Frauen aus deinem (hypothetischen) Paarungsverfügbarkeitspool. Denn nein, in der Regel (no pun intended) lassen die nicht nicht als Live-Action-Dildo bei einer heißen Orgie mitmachen, auch wenn der Gedanke aufkommen mag.
Hier sind die Akzeptanzprobleme in der Regel deutlich geringer. Aber das ist ein Thema für einen anderen Strang.
Was also bleibt von der Toleranz?
Nicht viel, wie ich finde. Das bedeutet aber, dass "Intolerant" nicht mehr zwingend ein Schimpfwort ist, auch, wenn wir das gerne so verwenden, weil es eben bequem ist. Wir sind es gewohnt. Es ist wohlig, warm, bekannt und ein Schwert, dessen wir uns gerne bedienen.
Aber bei genauer Betrachtung ist es stumpf. Denn niemand toleriert. So etwas zu behaupten wäre - eine
Lüge.