Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

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Tom Bombadil
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Tom Bombadil »

Ernst76 hat geschrieben:(19 May 2021, 09:04)

Finden in Diktaturen Wahlen statt?
Du hast offensichtlich in Geschichte nicht aufgepasst oder von der Zeitgeschichte nur wenig mitbekommen.
The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots and tyrants. It is its natural manure.
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Platon
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Fars News hat eine inoffizielle Liste der Kandidaten veröffentlicht, die aber doch stutzig macht. Die Namen sind Said Ibrahim Raisi (Chef der Judikative, Gewinner der Wahl und nächster Präsident des Iran), Mohsen Rezai (prominenter Revolutionsgardengeneral), Mohsen Mehralizadeh (Reformkandidat aus der zweiten Reihe), Said Jalili (Konservativer, der bereits angekündigt hat zugunsten von Raisi zu verzichten. War mal Chef-Atomunterhändler, aber der Kandidat bei dem man sicher sein kann, dass diplomatisch aber auch gar nichts zustande kommt), Alireza Zakani (Konservativer), Abd al-Nasr Hemati (Ökonom, Aktuell Chef der iranischen Zentralbank) und Said Amir Hussein Qazizadeh Hashemi (konservatives Parlamentsmitglied sagt Wikipedia). Zwei prominente Revolutionsgardengeneräle haben bereits zugunsten von Raisi ein Ende der eigenen Kandidatur erklärt, Hossein Deghan und Rostam Ghasemi. Man durfte fest davon ausgehen, dass Ahmadinejad nicht auf der Liste steht, aber es fehlen vor allem die Namen von Larijani und Ishaq Jahangiri, der einzige wirkliche Reformkandidat, der eine Rolle spielen könnte und vermutlich irgendwann zugunsten von Larijani verzichtet.

Report: Jahangiri, Larijani disqualified from running in June 18 election
Iran Election Watchdog Disqualifies Three Main Candidates - Fars Report

Ich gehe davon aus, dass sich ein paar der Namen noch verändern werden und man im Regime jetzt miteinander reden und verhandeln wird, ehe am Ende ein wie auch immer gearteter Konsens der Kandidatenliste erreicht ist.
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Platon
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Es sieht danach aus, als würden es tatsächlich diese sieben Namen werden.
The lengths Iran's Guardian Council went to to squash the presidential hopes of top moderates shocked even many hard-liners in the Islamic Republic.

After nearly 10 days of deliberations, the 12-member body of ultraconservative clerics and lawyers came out with a list of seven candidates from among nearly 600 individuals who had registered. Ali Larijani, Iran's long-serving former parliament speaker, was not on the list.

Rising as a conservative politician in the 1980s, Larijani has been for decades at the very top circle of decision-making in the Islamic Republic and is currently serving as an adviser to Supreme Leader Ayatollah Ali Khamenei. Yet he has gradually transformed into a moderate figure, showing increasing closeness to incumbent President Hassan Rouhani. Larijani's shift toward the center has earned him the ire of hard-liners.
[...]
Tehran hard-liner council bans leading centrists from presidential race
https://www.al-monitor.com/originals/20 ... ntial-race

Theoretisch könnte Khamenei noch intervenieren zugunsten von Larijani, der aber schon die Entscheidung akzeptiert hat.
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Orbiter1
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Orbiter1 »

Platon hat geschrieben:(26 May 2021, 00:56)

Es sieht danach aus, als würden es tatsächlich diese sieben Namen werden.

Tehran hard-liner council bans leading centrists from presidential race
https://www.al-monitor.com/originals/20 ... ntial-race

Theoretisch könnte Khamenei noch intervenieren zugunsten von Larijani, der aber schon die Entscheidung akzeptiert hat.
Spielt letztlich keine Rolle ob Larijani noch zugelassen wird oder nicht. Der nächste Präsident wird der ultrakonservative Ebrahim Raissi. Bei Wikipedia kann man sich einen ersten Eindruck von ihm verschaffen. Und der zeichnet ein klares Bild.

"Ebrahim Raissi ... ist ein islamischer Geistlicher und ultrakonservativer Politiker im Iran. Er war einer der Hauptverantwortlichen für die Massenhinrichtung politischer Gefangener 1988, die als Chomeini-Massaker bekannt wurden. Wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen steht Raissi auf der Sanktionsliste der Europäischen Union und des Außenministeriums der Vereinigten Staaten. ...

Ebrahim Raissi ist ein Befürworter der Geschlechtertrennung und der Anwendung der Todesstrafe. Auch unterstützt er die Islamisierung der Universitäten sowie die Zensur im Internet und lehnt westliche Hochkultur ab. Wirtschaftlich schwebt ihm eine sogenannte „Widerstands-Ökonomie“ gegen Sanktionen vor. Raissi ist Mitglied der klerikal-konservativen Vereinigung der kämpfenden Geistlichkeit und gilt als israelfeindlicher „Hardliner“." Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Ebrahim_R ... prov=sfla1

Das bestärkt mich in der Überzeugung dass die USA nicht mehr in den JCPOA zurückkehren werden. Der Iran wird sich unter Raissi vollständig vom Westen abwenden und weiter daran arbeiten mit den Sanktionen zu leben. Die Proxies, die im Ausland für Unruhe sorgen, werden weiter gestärkt. Die IAEA wird in den iranischen Atomanlagen nicht mehr viel zu sehen bekommen. Die "Reformer" haben in den vergangenen Jahren ihre Chance nicht genutzt und hatten das Pech auf einen US-Präsidenten Trump zu stoßen. Jetzt sind die "Hardliner" dran.
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Vongole
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Vongole »

Platon hat geschrieben:(26 May 2021, 00:56)

(..)

Theoretisch könnte Khamenei noch intervenieren zugunsten von Larijani, der aber schon die Entscheidung akzeptiert hat.
Natürlich hat Larijani "akzeptiert", nachdem Karimi-Ghodousi ihn bezichtigte, ein britischer Agent zu sein.
Am Yisrael Chai

"It's God's job to judge the terrorists, it's our duty to arrange that meeting." (IDF)
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Platon
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Vongole hat geschrieben:(27 May 2021, 00:14)

Natürlich hat Larijani "akzeptiert", nachdem Karimi-Ghodousi ihn bezichtigte, ein britischer Agent zu sein.
Man muss mal abwarten. Die Reformer haben angekündigt keinen Kandidaten unterstützen zu wollen und Ahmadinejad meint, dass er auch nicht wählen und niemanden unterstützen wird. Rohani hat einen Brief an Khamenei geschrieben und Raisi selbst meinte auf Twitter er agiere hinter den Kulissen, dass man die Wahl etwas kompetitiver gestaltet. Und selbst ein Mitglied des Wächterrats hat die Liste öffentlich kritisiert. Es macht den Eindruck, dass doch ein erheblicher Teil des Regimes - womöglich sogar die überwiegende Mehrheit - die aktuelle Kandidatenliste so nicht gut heißt. Es verletzt den bisherigen Konsens des Systems wie Präsidentschaftswahlen im Iran ablaufen und dass die verschiedenen Lager innerhalb des Regimes bei Wahlen miteinander konkurrieren. Aber der Wächterrat hat ja schon bei der Ankündigung der Kriterien, wer sich als Kandidat registrieren darf, gegen den bisherigen Konsens verstoßen. Das wurde dann de facto auch ignoriert. Es würde mich nicht wundern, wenn da nicht doch noch was kommt.
Gerade nach den letzten Protesten kann sich das Regime eine politische Krise und einen ernsthaften internen Machtkampf eigentlich kaum leisten. Auch wäre es ja lächerlich und könnte Unruhen hervorrufen, wenn Raisi am Ende mit 30% Wahlbeteilligung gewählt wird. Ahmadinejad spielt darauf mit seiner Rhetorik an. Es ist am Ende einfach politisch unklug das so zu machen, wie der Wächterrat das offenbar versucht durchzusetzen.

https://iranintl.com/en/iran/ahmadineja ... candidates
https://iranintl.com/en/iran/iran-refor ... ntial-poll
https://iranintl.com/en/iran/iran%E2%80 ... ime-change
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Khamenei unterstützt die Entscheidung vom Wächterrat. Da kann man mal gespannt sein. Ich tippe wie schon geschrieben auf eine offizielle Wahlbeteilligung von 51%. Die reale wird bei 20-30% liegen, aber wer eine solche Zahl offiziell veröffentlichen würde, sollte in den Wochen und Monaten danach keine dunklen oder abgelegenen Gassen mehr aufsuchen...

https://www.reuters.com/article/iran-el ... SKCN2D80W8
https://iranintl.com/en/iran/khamenei-d ... candidates
https://www.presstv.com/Detail/2021/05/ ... al-Council
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Platon
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Orbiter1 hat geschrieben:(23 May 2021, 14:40)

Angeblich lebt die Tochter von Larijani im Land des großen Satans (aus Sicht der Mullahs). Und so jemand darf bei den Wahlen mitmachen?
Das war offenbar für ein paar Leute wirklich ein Thema, auch wenn es am Ende vermutlich nicht das ausschlaggebende war.

Daughter’s Foreign Ties Used To Exclude Larijani From Iran Poll
https://iranintl.com/en/iran/daughter%E ... -iran-poll
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GreenStorm
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von GreenStorm »

Interessant auch, dass mögliche Dynamiken vielleicht ziemliche Außenseiter wie Abdolnasser Hemmati ins Reformerlager spülen. Bzw. eher das Reformerlager Richtung Hemmati.
Zuletzt geändert von Moses am Do 1. Jul 2021, 17:38, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: moderiert
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Da die Wahlen nun nur noch gut 2 Wochen entfernt sind nehmen sich auch die großen Nachrichtenseiten langsam dem Thema an:
(CNN)The list of candidates for the June 18 Iranian presidential election is out, and it's worse than anyone hoping for a moderate leader could have imagined. The top candidate is the chief justice of Iran, Ebrahim Raisi, a thorough hard-liner and the favorite of Supreme Leader Ali Khamenei.

Khamenei, who oversees the Guardian Council that approves the candidate list, is not leaving this critical election to chance. Last time, the supreme leader's willingness to admit moderates -- at least in Iranian terms -- to the list of candidates led to Raisi's 2017 defeat at the hands of Hassan Rouhani, the two-term incumbent who is not eligible to stand for reelection. Now, there will be no viable moderate candidate on the ballot. Raisi seems to be a shoo-in.[...]
https://edition.cnn.com/2021/06/01/opin ... index.html

In diesem Artikel von CNN ist der Autor der Meinung, dass die Konservativen/Hardliner gegen den JCPOA wären. Das ist m.E. nicht der Fall, weil die Notwendigkeit die US-Sanktionen aufzuheben - trotz aller Rhetorik von Resistance Economy etc. - offensichtlich und alternativlos ist. Die Entscheidung den JCPOA abzuschließen und auch die Entscheidung aktuell über eine Rückkehr zu verhandeln wurde nicht von Rohani getroffen, sondern vom Nationalen Sicherheitsrat und damit von allen Machtzentren im System, selbstverständlich inklusive Khamenei. Es ist auch Khamenei der seinen Unterhändlern Vorgaben macht und der allem zustimmt, was diese verhandeln. Meiner Meinung nach sind die Gegner von Rohani nicht prinzipiell gegen den JCPOA, sie sind aber gegen Rohani und ihnen passt nicht, dass dieser den Vertrag als seinen Erfolg reklamieren kann.
Iranians are due to choose a new president this month at a pivotal time for the country, both at home and abroad. Much has changed in the four years since the last election - and here are key reasons why this one will be closely watched.

Growing dissatisfaction

Since the last presidential election in 2017, a series of events has drastically changed the Iranian political landscape. They include deadly crackdowns on anti-government protests; arrests of political and social activists, executions of political prisoners; the shooting down of a Ukrainian airliner by Iran's Islamic Revolution Guard Corps (IRGC); and a severe economic crisis as a result of US sanctions.

The repercussions among ordinary Iranians are having a significant impact on the upcoming election. Perhaps the most substantial blow to Iran's rulers would be low voter turnout, as dissatisfaction among the electorate is at its peak.[...]
https://www.bbc.com/news/world-middle-east-57097664

Auf Atlantic Council erscheinen immer mal wieder interessante Artikel über die Wahlen:
The Guardian Council, which vets all candidates for elected office in Iran, has done everything possible to ensure that Judiciary Chief and hardliner Ebrahim Raisi is elected president on June 18 by disqualifying all those who presented any semblance of competition to him. Conventional wisdom is that the election will facilitate Raisi’s ascent to the real decision-making post in Iran—that of Supreme Leader—when its 82-year-old incumbent passes from the scene.

But nothing is ever certain in Iran’s contentious politics. In the thirty-two years since Ayatollah Ali Khamenei has led the country, many would-be successors have fallen one way or another.

Former Judiciary Chief Ayatollah Mahmoud Hashemi Shahroudi died of a brain tumor in 2018. Former President Akbar Hashemi Rafsanjani died a year earlier while swimming—circumstances that even regime loyalists considered suspicious. A third contender, Expediency Council chairman and former judiciary chief Ayatollah Sadeq Larijani, faces allegations of corruption. Larijani, who is also a veteran member of the Guardian Council, has confirmed that security forces directly intervened in the presidential process to eliminate Raisi competitors, such as Larijani’s brother, former parliamentary speaker Ali Larijani.

The disqualification of Larijani had a dual function: not just removing a pragmatist who was considered Raisi’s main rival, but ensuring that his brother Sadeq would lose influence over the battle to succeed Khamenei. Besides Raisi, the only remaining leadership hopeful with a significant chance is Khamenei’s powerful second son, Mojtaba. [...]
https://www.atlanticcouncil.org/blogs/i ... me-leader/

The race for Iran’s presidency - Who will win Iran’s presidential election in June? This rolling series examines the likely candidates and the issues that may impact the race.
https://www.atlanticcouncil.org/program ... residency/
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Orbiter1 hat geschrieben:(23 May 2021, 14:40)

Angeblich lebt die Tochter von Larijani im Land des großen Satans (aus Sicht der Mullahs). Und so jemand darf bei den Wahlen mitmachen?
Platon hat geschrieben:(28 May 2021, 13:44)

Das war offenbar für ein paar Leute wirklich ein Thema, auch wenn es am Ende vermutlich nicht das ausschlaggebende war.

Daughter’s Foreign Ties Used To Exclude Larijani From Iran Poll
https://iranintl.com/en/iran/daughter%E ... -iran-poll
Khamenei hat ein Statement abgegeben, welches nach allgemeiner Auffassung wohl u.A. auf diese Vorwürfe anspielt. Es sieht aber im Moment nicht so aus, als wenn das an der Entscheidung noch etwas ändert.
Iran’s Constitutional Council says no erroneous information was used in its vetting of presidential hopefuls, rejecting speculation that some of the hopefuls may have been disqualified based on untrue reports.

The statement by the Council came shortly after concise remarks on Friday (June 4) by Leader of the Islamic Revolution Ayatollah Seyyed Ali Khamenei about some of the hopefuls who were disqualified sparked a media frenzy and a flurry of speculation about the meaning of the Leader’s comments.

Earlier in the day, Ayatollah Khamenei said at the end of a televised speech that some of the hopefuls who had been disqualified had been treated unjustly.

“In the episode [where some hopefuls were not found qualified]…, some of those whose qualification [to run for president] had not been ascertained were wronged, were treated unjustly” the Leader said in his speech.

“Certain things were attributed to them — either to themselves or to their family members — that were not true. Well, there were wrong and incorrect reports… and they were later proven wrong, but they were spread among people by word-of-mouth, [and] were unfortunately published on virtual space,” he added.[...]
Leader’s remark about ‘unjust treatment’ of some hopefuls prompts vetting body to issue statement

Iran's Supreme Leader said on Friday some of the candidates rejected from this month's presidential election had been "wronged" and unfairly maligned online, though the vote watchdog said its original decision to bar them still held.

Supreme Leader Ayatollah Ali Khamenei, who has the final say on Iran's affairs, last month endorsed the watchdog's rejection of several prominent moderate and conservative candidates for the June 18 vote, including former parliament speaker Ali Larijani.[...]
Iran leader says some rejected vote candidates were 'wronged''
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Die erste TV-Debatte fand die Tage statt:
[youtube][/youtube]


Iran Presidential Candidates Clash On Economic Crisis In First Debate
https://www.rferl.org/a/iran-election-d ... 92555.html
Moments after it began, Iran’s first presidential election debate of 2021 descended into all-out warfare. Perhaps aware that they have little time for courtesy and appeasement, the atmosphere between the candidates was far more hostile than in 2013 and 2017 and two of the participants, Abdolnaser Hemmati and Mohsen Rezaei, even threatened each other with legal action.

Hemmati, the former governor of Iran’s Central Bank, presented himself as the main competitor to Chief Justice Ebrahim Raeesi in the upcoming race. In turn, he dismissed other candidates – especially conservative ex-MP Alireza Zakani – as nothing more than “supporting actors” for Raeesi. [...]
Amid Old Jokes and Fake Tears, Hemmati Outshines Raeesi in the First Presidential Election Debate
https://iranwire.com/en/features/9673

Man kann die gesamte TV-Debatte auf PressTV auf Englisch anschauen:
Iranian presidential candidates trade barbs in 1st TV debate: Part I
https://www.presstv.com/election/Detail ... ate-PART-1

Iranian presidential candidates trade barbs in 1st TV debate: Part II
https://www.presstv.com/election/Detail ... ate-PART-2

Bezüglich der Ökonomischen Situation im Iran kann ich nur auf folgenden Post von mir hinweisen:
https://www.politik-forum.eu/viewtopic. ... 5#p4929995
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Ali Larijani fordert auf Twitter und in einem Brief eine öffentliche Stellungname vom Wächterrat warum er disqualifiziert wurde. Dabei bezieht er sich (im persischen Text auf Twitter/ISNA) ausdrücklich auf die oben erwähnte Rede von Khamenei, wo er falsche Berichte als Qualifikationsgrund nennt, d.h. es geht ihm darum, ob es an den Berichten über seine Familie gelegen hat.
The former speaker of the Iranian parliament Ali Larijani demanded on Saturday an explanation from an election watchdog on why he was barred from running in next week’s presidential vote.
Last month, the hardline Guardian Council approved just seven hopefuls to stand in Friday’s poll and disqualified several prominent candidates, including Larijani and former president Mahmoud Ahmadinejad.
“I urge the esteemed Guardian Council...to formally, publicly and transparently provide all the reasons behind my disqualification,” Larijani said in a tweet hours before the final presidential debate.[...]
https://www.jpost.com/breaking-news/ira ... ion-670806
https://www.reuters.com/world/middle-ea ... 021-06-12/

https://www.isna.ir/news/1400032215629/ ... 9%86%D8%AF
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Man hat den Eindruck, dass es immer mehr auf einen Zweikampf zwischen Raisi und Hemmati hinausläuft. Man darf aber erwarten, dass in den nächsten Tagen vor der Wahl der ein oder andere konservative Kandidat noch zugunsten von Raisi seine Kandidatur zurückzieht, was auch schon gefordert wurde. Ebenso könnte der einzige Reformkandidat Mohsen Mehralizadeh zugunsten von Hemmati zurückziehen. Hemmati ist ein Technokrat/Ökonom, der den gemäßigten Konservativen zugerechnet wird und der als Leiter der iranischen Zentralbank ein paar Erfolge vorzuweisen hat beim Abfedern der Sanktionen unter Trump. (Hemmati: The dark horse of the Iranian presidential election?) Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass seine potenziellen Wähler, d.h. Unterstützer der Reformbewegung in großer Zahl an die Urnen gehen. Wenn man davon ausgeht, dass sich das Kandidatefeld kurzfristig noch verkleinert ist die Frage ob Raisi direkt im ersten Wahlgang gewählt wird und dort über 50% der Stimmen kommt.

Bezüglich der Aussichten einer Präsidentschaft von Raisi kann man im Grunde nicht viel aussagen, weil Raisi nie in der Exekutive tätig war. Er war bisher immer jemand, der außerhalb der Öffentlichkeit in der Judikative gewirkt hat. Daraus stammt dann auch seine Beteilligung an der Ermordung von tausenden Oppositionellen, hauptsächlich von den Volksmujahedin in 1988. Diese geschahen auf Anweisung von Khomeini und Raisi war Mitglied in einer vierköpfigen Kommission, welche an der Umsetzung dieser Anweisung beteilligt war. Ich vermute mal, dass wir in Zukunft noch verschiedene Versionen davon zu hören bekommen, wie groß seine Rolle dabei tatsächlich war.
https://en.wikipedia.org/wiki/1988_exec ... _prisoners
Dies und seine weiteren Tätigkeiten im Justizsystem wird dann in der aktuellen Berichterstattung gerne als Hinweis genommen, dass man unter seiner Präsidentschaft einen Anstieg an Repressialien zu erwarten hat. Das heißt gegen Oppositionelle und eine Verschärfung z.B. der Kontrollen ob die Kleidungsvorschriften in der Öffentlichkeit eingehalten werden. Die bekannte Moralpolizei, welche unter Ahmadinejad weitaus aktiver und präsenter war im Land als unter Rohani.
Unter den Talaren: ein Favorit mit dunkler Vergangenheit

Bezüglich des JCPOA ist mittlerweile bei den Meisten angekommen, dass auch die Ultra-Konservativen/Prinzipialisten den JCPOA unterstützen, auch wenn sie das nicht davon abhält Rohani zu kritiseren, wo es nur geht. Denn diese haben sich längst mit den Einschränkungen des Atomprogramms abgefunden und wollen selbstverständlich, wenn es auch nur irgendwie möglich ist, die Sanktionen aufheben lassen. (With a Raisi presidency, would the Iran nuclear deal remain on the table?, Die EU und Iran nach Rohani: Beziehungen auf Sparflamme?)

Im Endeffekt weiß man nicht viel darüber, wie eine Regierung von Raisi aussehen wird, weil er wie gesagt nie ein politisches Amt bekleidet hat und sich auch sonst mit konkreten Aussagen zurückhält. ich habe nicht viel von ihm gesehen, aber mal ein wenig hier und da in die erste TV-Debatte reingehört und Raisi hat hauptsächlich davon geredet, dass er das Prinzip der Gerechtigkeit wieder anwenden will. Das ist ein zentrales Motiv im politischen Denken des klassischen Islams (klick mich) und es geht im Grunde darum, dass eine islamische Herrschaft immer danach streben sollte möglichst große Gerechtigkeit herzustellen. Zumindest in dem Sinne, wie man sich das für eine islamische Gesellschaft vorstellt. Das heißt beispielsweise, dass die Löhne von Reich und Arm nicht zu weit auseinander liegen sollten und das es keine Korruption geben sollte. Raisi hat ja bekanntlich seit seiner Wahlniederlage öffentlichkeitswirksam Korruptionsverfahren eröffnet. Das heißt Raisi versucht sich als jemand aufzubauen, welcher für eine gerechte islamische Herrschaft steht und im Wahlkampf versucht er auch genau das hervorzuheben. Es ist auch zumeist übersehen worden, dass Raisi, als er sich zur Wahl registriert hat, sich keineswegs als Kandidat einer bestimmten Gruppe oder Richtung, z.B. der Prinzipialisten, hat aufstellen lassen, sondern er präsentiert sich als unabhängiger Kandidat, der keiner bestimmten Richtung angehört. All diese Dinge deuten m.E. darauf hin, dass Raisi nicht in erster Linie versucht Präsident zu werden, sondern er versucht sich in Stellung zu bringen als Nachfolger von Khamenei. Seine allgemein und abstrakt gehaltenen Reden über Gerechtigkeit machen bei einem TV-Wahlkampf wenig Eindruck, sie taugen aber sehr dafür als zukünftige Zitate eines Revolutionsführers herzuhalten.

Ein Problem für Raisi ist, dass er bisher noch keine Wahl gewonnen hat und noch keine Erfahrung in der Exekutive hat. Als Präsident hätte er das und er würde damit dem Beispiel von Khamenei folgen, welcher selbst vor seiner Wahl zum Revolutionsführer iranischer Präsident war. Aber, und das ist ein großes Aber, die letzten Präsidenten haben sich allesamt zu eher kontroversen Persönlichkeiten im Iran und innerhalb des Regimes entwickelt. Vor allem Khatami und Ahmadinejad aber auch Rohani sind nicht gerade unumstritten im System und wenn Raisi nach der Präsidentschaft Revolutionsführer werden will, dann braucht er die Unterstützung oder zumindest stillschweigende Akzeptanz von allen Strömungen und Gruppen innerhalb des Regimes inklusive der Reformer und eher moderaten Konservativen. Wenn er jetzt im Laufe der Präsidentschaft im Regime und der Bevölkerung unpopuläre Entscheidungen trifft und so zu einer sehr kontroversen Figur wird, dann wäre es ein Risiko für das Regime ihn zum obersten Führer desselben zu küren. Einen ähnlichen Effekt könnte eine extrem niedrige Wahlbeteilligung und die Niederschlagung von Protesten nach der Wahl haben. Raisi wird also ein großes Interesse daran haben, sich als Präsident aus Kontroversen raus zu halten und versuchen möglichst populäre Entscheidungen zu treffen und unpopuläre zu vermeiden. (A Raisi presidential win may be his undoing as future Supreme Leader)

Dafür ist ja durchaus auch mit der Rückkehr in den JCPOA der Boden bereitet, weil in Folge des Aufhebens der Sanktionen ein wirtschaftlicher Aufschwung zu erwarten ist, welcher den Leuten innerhalb des Regimes, wie auch der allgemeinen Bevölkerung zu gute kommen wird. Es wird zu steigenden Staatseinnahmen führen, was beispielsweise Spielraum eröffnen wird die Sozialleistungen, Renten und Löhne zu erhöhen und allgemein Geld in der Bevölkerung zu verteilen. Das wird natürlich die Popularität von Raisi steigern und eine stabile Situation für eine Machtübergabe schaffen.

Auf der anderen Seite wird er natürlich Leute aus dem konservativen Lager, welche ihn bei der Wahl unterstützen Posten verschaffen müssen. Diese werden dann bestrebt sein Teile der Politik aus der Zeit von Ahmadinejad wieder aufleben zu lassen. Beispielsweise was die striktere Durchsetzung von islamischen Normen angeht. Auch ist zu befürchten, dass die Außenpolitik sich verändert. Vor allem, wenn er jemanden wie Said Jalili zum Außenminister macht. Dieser könnte/dürfte die Tage seine eigene Kandidatur als Präsident zugunsten von Raisi zurückziehen und dafür genau diesen Posten fordern. Er hatte als Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats und Chefunterhändler zum Atomprogramm einen maßgeblichen Anteil an der Außenpolitik von Ahmadinejad und der Eskalation im Atomstreit. (Saeed Jalili: The former nuclear negotiator that rubs diplomats the wrong way) Der Typ hat einfach einen an der Waffel und gehört zu den Leuten im Regime mit denen beim besten Willen nichts anzufangen ist...

Innenpolitisch hoffe ich aber, dass Raisi aufgrund der Absicht Revolutionsführer werden zu wollen, eher eine gemäßigte Politik verfolgt und womöglich auch Leute in sein Kabinett holt, die dem gemäßigten Lager oder gar den Reformern zuzurechnen sind um eine überparteiliche Koalition zu schmieden, die seinen angestrebten Status als Revolutionsführer schon ein wenig vorweg nimmt. Denn das Regime im Iran funktioniert, wie vorherige Regimes auch, nach einem "Teile und Herrsche"-Prinzip. Es gibt verschiedene politische Strömungen, Netzwerke, Lager die miteinander um Einfluss und Macht konkurrieren. Darüber steht ein Schah oder Revolutionsführer, welcher als oberster Entscheider fungiert und vor allem dafür sorgen muss, dass kein Lager zu viel Macht erlangt und dominant werden kann, um ihn selbst in seiner Macht beschneiden zu können. Das System bleibt aber natürlich nur solange stabil, wie alle Gruppen die eigene Rolle und die Rolle des obersten Entscheiders akzeptieren. Daher wird Raisi bereits als Präsident versuchen wollen eine gewisse Überparteilichkeit für sich in Anspruch zu nehmen um dann bei der zukünftigen Auswahl des Revolutionsführers als eine gute und unkontroverse Option zu erscheinen.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Eine recht ulkige Aktion, welche Raisi 2017 gemacht hat, als er gegen Rohani die Wahl zum Präsidenten verloren hat, war ein Treffen mit dem iranischen Rapper Amir Tataloo. Das war offenbar ein Versuch Leute aus der jüngeren Generation für sich zu gewinnen. Amir Tataloo meinte, dass er eher unpolitisch ist, aber einen Freund bei den Revolutionsgarden hat und dieser Raisi unterstützt. Ging womöglich darum, dass Amir Tataloo versucht hat eine offizielle Erlaubnis zu bekommen aufzutreten und seine Musik zu vertreiben. Die ganze Aktion war so ein wenig ein Anime Crossover und recht ulkig.

[youtube][/youtube]
[youtube][/youtube]
Iranian rapper drops bomb with pro-nuke video
https://en.wikipedia.org/wiki/IRIS_Damavand_(77)
[youtube][/youtube]

This young Iranian rapper may have cost Raisi the presidency

Amir Tataloo ist mittlerweile in Istanbul und hat auch dort ein paar Schlagzeilen gemacht. Er wurde vom Regime für seine pro-Regime-Aktionen offenbar nicht hinreichend entlohnt.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/na ... _id=469622
https://en.radiofarda.com/a/iranian-rap ... 76509.html
https://en.wikipedia.org/wiki/Amir_Tataloo#Politics
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Die ersten zwei Leute haben ihre Kandidatur zurückgezogen. Der Reformkandidat Mohsen Mehralizadeh und der Prinzipialist Ali Reza Zakani.
https://www.tasnimnews.com/en/news/2021 ... nt-in-iran
https://www.tasnimnews.com/en/news/2021 ... l-election

Damit bleiben noch fünf Kandidaten. Neben Raisi und Hemmati noch zwei bekannte Namen: Mohsen Rezai und Said Jalili, und der eher unbekannte Amir-Hossein Ghazizadeh Hashemi. Es ist davon auszugehen, dass sich das Feld der Kandidaten noch weiter verkleinern wird.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Said Jalili hat nun auch zurückgezogen. Damit sind nur noch vier Kandidaten im Rennen.


Reformist Candidate, Two Hard-Liners Drop Out Of Iran's Presidential Election
https://www.rferl.org/a/reformist-candi ... 10681.html

Im Artikel ist dieses Video verlinkt:
[youtube][/youtube]

Es ist diese Krise, die hier anhand ein paar Eindrücke vor allem aus der immer größer werdenden Unterschicht gezeigt wird, weswegen im Iran jederzeit wieder Proteste ausbrechen können. Eine Gelegenheit wäre jetzt nach der Wahl und es ist der Grund warum das Regime gezwungen ist in den JCPOA zurück zu kehren, völlig egal welcher Richtung man angehört. Das ist keine Propaganda, sondern es zeigt realistische Eindrücke vor Ort.
https://en.wikipedia.org/wiki/Kidney_trade_in_Iran
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

[youtube][/youtube]

Aktueller Bericht des Weltspiegels aus dem Iran. Haben in Teheran, Rascht und Esfahan Leute interviewed. Jetzt nichts spektakuläres, aber nicht schlecht und auch der Blick auf iranische Frauen wirkt nicht übermäßig patronisierend, wie es häufiger der Fall ist. Allein das sie da aktuell recht frei mit der Kamera durchs Land fahren konnte, macht die 30 Minuten sehenswert. Das ist nicht selbstverständlich und da wird sie schon irgendeine Erlaubnis haben das zu machen. Ohne kommt sie mit derartigen Kameras nicht weit. :|
https://twitter.com/k_willinger?lang=en :thumbup:
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lili
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von lili »

Iran: Handverlesene, linientreue Kandidaten:

https://www.sueddeutsche.de/politik/ira ... -1.5320923
Wer einen Beruf ergreift, ist verloren.

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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Erste Berichte deuten erwartungsgemäß auf eine niedrige Wahlbeteilligung hin. 59.311 Mio Wähler sind möglich, davon 3.5 Mio im Ausland. Die Wahllokale sind bis Mitternacht Ortszeit (=21.30 Uhr deutscher Zeit) geöffnet, was aber um 2 Stunden verlängert werden kann. Das iranische Innenministerium sagte bis 13 Uhr Mittags haben 5 Millionen ihre Stimme abgegeben. Fars News berichtet von 14 Millionen die bis 16.45 Uhr Ortszeit ihre Stimme abgegeben haben. Damit liegt die Wahlbeteilligung bisher bei 23%. Man darf erwarten, dass sich diese Zahl am Ende bei 30-40% bewegen wird. Ein Endergebnis ist daher bereits am späten Abend zu erwarten. Da die Wahlbeteilligung niedrig ist, hat Hemmati die Wähler der Reformbewegung nicht mobilisieren können und damit ist ein klarer Sieg von Raisi - womöglich bereits im ersten Wahlgang - zu erwarten. Die Frage ist nun wie peinlich die Wahlbeteilligung für die Islamische Republik wird. Da die Wahl vom Innenministerium abgehalten wird und damit von Rohani und den moderaten Konservativen, deren aussichtsreiche Kandidaten alle ausgeschlossen wurden, könnte es sogar sein, dass die Zahl am Ende nicht nach oben "korrigiert" wird. Es wäre besonders peinlich, wenn Raisi weniger Stimmen bekommt als vor 4 Jahren als er klar gegen Rohani verloren hat.

https://iranintl.com/en/iran/live-cover ... -elections
https://www.tasnimnews.com/en/news/2021 ... ion-photos
https://www.presstv.com/Detail/2021/06/ ... polls-open
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Vongole »

So ungern ich deutsche Medien zu Nahost-Themen verlinke, trifft dieser Artikel zur Scheinwahl im Iran auf den Punkt!
Zumal Natalie Amiri weiß, wovon sie spricht und schreibt. Ihre Bericht deckt sich mit allem, was ich von iranischen Freunden und Ex-Kollegen höre:
Der Hashtag, der seit Wochen in den sozialen Medien zu lesen ist, lautet #NeinzurIslamischenRepublik. Auf Farsi, auf Englisch, in anderen Sprachen. Und: #RaibiRai, was soviel bedeutet wie: Meine Stimme bekommt ihr nicht. IranerInnen im Inland (dort ist es unter Androhung von Haftstrafe verboten, diesen Hashtag zu verwenden) und Ausland versehen ihre Tweets damit.
(..)
Die Bevölkerung hat inzwischen erkannt, dass die Politiker, die im Iran auf der politischen Bühne erscheinen, alle aus einem Topf stammen. Egal ob vermeintliche Reformer oder Konservative – Reformen wird es nicht geben. Eine Verbesserung ihres Lebensstandards auch nicht. Freiheit, darüber spricht schon lange keiner mehr. Nicht innerhalb diesen Systems.
(..)
Ich habe mit vielen gesprochen, doch einen Tag vor der Wahl erklärte mir eine Bekannte aus Teheran ausdrücklich : Sie kenne keinen, der zur Wahl geht, nicht einmal ihre Nachbarin, und die sei religiös. Sie sagte das mit einer Stimme, die verriet, dass sie sich schon lange dazu entschlossen hatte, Es war offenbar kein Thema, das sie aktuell bewegte.
(..)
Laut Umfragen iranischer Institute werden um die 40 Prozent der 59 Millionen Wahlberechtigten im Land zur Wahl gehen. Davon sind zahlreiche gezwungen, denn sie sind Staatsbedienstete und müssen ihren Wahlstempel vorweisen. Der Revolutionsführer hat im Staatsfernsehen aufgerufen, am Freitag zahlreich zur Wahl zu erscheinen, die Wahlen im Iran seien frei und kompetitiv. Ein Iraner schrieb dazu auf Twitter: „Entweder ist er wirklich weltfremd oder richtig dreist.“
https://www.tagesspiegel.de/politik/wah ... 97096.html
Nun wird man den Blutrichter Raisi "wählen", und schickt damit eine deutliche Botschaft an das iranische Volk: Wagt euch nicht, zu protestieren, wenn doch, werden die Folgen fürchterlich für euch werden!
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Tom Bombadil »

Gibt es internationale Wahlbeobachter?
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Tom Bombadil hat geschrieben:(18 Jun 2021, 15:58)

Gibt es internationale Wahlbeobachter?
Also es sind internationale Medien vor Ort, aber von einer Überwachung durch eine internationale Organisation der UN oder so was wüsste ich nichts. Wüsste auch gar nicht wer für so etwas zuständig wäre. Das Problem ist ja auch weniger der Prozess der Stimmabgabe als vielmehr wer als Kandidat antritt.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Tom Bombadil »

Platon hat geschrieben:(18 Jun 2021, 16:05)

Wüsste auch gar nicht wer für so etwas zuständig wäre.
Für Europa ist wohl die OSZE zuständig.
Das Problem ist ja auch weniger der Prozess der Stimmabgabe als vielmehr wer als Kandidat antritt.
Das Regime könnte sich ja eine tolle Wahlbeteiligung von 90% basteln. Die Kandidaten sind eh nur die Handpuppen des Wächterrates, was vermutlich auch im Iran bekannt ist.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Sungawakan »

Ernsthaft? Der Iran in einem Strang der arabischen Welt? Zarathustras Fluch über euch.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Vongole »

Tom Bombadil hat geschrieben:(18 Jun 2021, 15:58)

Gibt es internationale Wahlbeobachter?
Ist nach diesen Kriterien gar nicht möglich:
Wahlbeobachtung setzt voraus, dass die technischen und rechtlichen Voraussetzungen für die Abhaltung demokratischer Wahlen im Grundsatz gegeben sind: eine unabhängige Wahlkommission, ein demokratisches Wahlgesetz, die Teilnahme der Opposition an der Wahl, freie Meinungsäußerung und der Zugang zu den Medien für alle politischen Parteien.
Grundlage für die Entsendung von Wahlbeobachtern ist eine entsprechende Einladung der jeweiligen Regierung sowie eine internationale Koordinierung der Mission.
https://www.auswaertiges-amt.de/de/auss ... lfe/217424
Außerdem, wie man bei Natalie Amiri sehen kann, deren Artikel ich verlinkt hatte, könnte das ziemlich gefährlich werden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Natalie_Amiri
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Tom Bombadil hat geschrieben:(18 Jun 2021, 16:16)Für Europa ist wohl die OSZE zuständig.

Das Regime könnte sich ja eine tolle Wahlbeteiligung von 90% basteln. Die Kandidaten sind eh nur die Handpuppen des Wächterrates, was vermutlich auch im Iran bekannt ist.
Eine Wahlbeteilligung von 90% wäre aber offensichtlich gefälscht und könnte Proteste auslösen. Prinzipiell sind die Wahlen eine Möglichkeit für das Regime die eigene Legitimität zu stärken, weil die Bevölkerung aktiv am politischen Prozess teilnimmt und durch die Teilnahme das System fortwährend legitimiert. Es ist auch ein Weg um die verschiedenen Machtzentren innerhalb des Regimes miteinander konkurrieren zu lassen. Die Wahlen sind daher schon sehr wichtig für die Stabilität und Integrität des Systems. Aber es sind natürlich keine freien Wahlen. In dem Sinne ist es auch überhaupt nicht wünschenswert, dass internationale Beobachter die Stimmabgabe etc. beobachten, weil das den gesamten Prozess nur unnötig legitimieren würde.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Vongole hat geschrieben:(18 Jun 2021, 16:26)
[...]
Außerdem, wie man bei Natalie Amiri sehen kann, deren Artikel ich verlinkt hatte, könnte das ziemlich gefährlich werden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Natalie_Amiri
Als Doppelstaatlerin und Journalistin ist es insbesondere seit dem Ausstieg von Trump im Iran wirklich zu gefährlich. Eher schon erstaunlich, dass sie bis 2020 durchgehalten hat. Das AA warnt in ihren Warnhinweisen schon länger Doppenstaatlern vor Reisen in den Iran bzw. es wird " dringend abgeraten" das zu machen.
Zuletzt geändert von Platon am Fr 18. Jun 2021, 16:41, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Tom Bombadil »

Vongole hat geschrieben:(18 Jun 2021, 16:26)

Ist nach diesen Kriterien gar nicht möglich:
Alles klar.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von streicher »

Sungawakan hat geschrieben:(18 Jun 2021, 16:23)

Ernsthaft? Der Iran in einem Strang der arabischen Welt? Zarathustras Fluch über euch.
Was ist denn sein Fluch? Ist seine Religion im Iran weiterhin auf dem Vormarsch?
Die Zukunft ist Geschichte.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Vongole »

Platon hat geschrieben:(18 Jun 2021, 16:37)

Als Doppelstaatlerin und Journalistin ist es insbesondere seit dem Ausstieg von Trump im Iran wirklich zu gefährlich. Eher schon erstaunlich, dass sie bis 2020 durchgehalten hat. Das AA warnt in ihren Warnhinweisen schon länger Doppenstaatlern vor Reisen in den Iran bzw. es wird " dringend abgeraten" das zu machen.
Es war schon vor dem Ausstieg von Trump gefährlich, frei aus dem Iran zu berichten.
Ich kenne Journalisten, die mir erzählt haben, wie jede Reportage überwacht und dirigiert wird, dass Aufnahmen auch mal "verschwinden", weil das Gepäck heimlich durchsucht wurde.
Wer gar versucht, mit versteckter Kamera/Mikro aufzunehmen, ist seines Lebens nicht sicher, auch wenn er den Iran bereits verlassen hat.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Sungawakan »

streicher hat geschrieben:(18 Jun 2021, 16:44)

Was ist denn sein Fluch? Ist seine Religion im Iran weiterhin auf dem Vormarsch?
Iraner sind nun mal keine Araber. Und Zarathustras Religion ist tatsächlich auf dem Vormarsch im Iran, auch wenn es die religiösen Machthaber niemals zugeben würden.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Vongole hat geschrieben:(18 Jun 2021, 16:47)

Es war schon vor dem Ausstieg von Trump gefährlich, frei aus dem Iran zu berichten.
Ich kenne Journalisten, die mir erzählt haben, wie jede Reportage überwacht und dirigiert wird, dass Aufnahmen auch mal "verschwinden", weil das Gepäck heimlich durchsucht wurde.
Wer gar versucht, mit versteckter Kamera/Mikro aufzunehmen, ist seines Lebens nicht sicher, auch wenn er den Iran bereits verlassen hat.
Ja natürlich. Internationale Journalisten haben im Iran einen extrem schweren Stand. Bin sogar selbst mal zeitweise verhaftet worden, weil ich mit Bekannten auf einer pro-Regime Demo war und einer der Begleiter eine große Kamera dabei hatte, Leute fotographiert hatte und dann von Geheimdienstleuten bezichtigt wurde ohne Erlaubnis journalistisch tätig zu sein. Wurden dann ins Auto geladen und zur nächsten Polizeistation gebracht, wo sich die Sache dann ohne weitere Konsequenzen regeln ließ. Und das war am Anfang der Regierungszeit von Rohani. Von daher ja. Man ist da schon länger ziemlich dünnhäutig, wenn es um Journalismus geht bzw. das ist ein gute Gelegenheit Ziel von Repressionen zu werden.

Aber das man Doppelstaatler gerne auch mal willkürlich verhaftet ist eher eine jüngere Entwicklung, weil man versucht Leute freizupressen, die wegen Unterlaufung der Sanktionen verhaftet wurden. Das hat ja auch ein paar Mal schon gut funktioniert. Es ist auch ein Weg für Gegner der Regierung bei den Geheimdiensten die Regierung Rohani international zu blamieren und die freundlichen Beziehungen ein wenig zu stören. Das mit der Nichtanerkennung von Doppelstaatlichkeit ist dazu eine allgemeine Sache. Wenn sie wissen, dass man auch die iranische Staatsangehörigkeit hat, dann lassen sie einen auch nicht mit dem ausländischen Pass ausreisen und man muss den iranischen benutzen. Für Natalie Amiri als Journalistin mit beiden Staatsangehörigkeiten war es da dann einfach nicht mehr zu vertreten die Tätigkeit auszuführen. Ihre Nachfolgerin hat ja jetzt nur die deutsche Staatsangehörigkeit und ihre aktuelle Doku habe ich ja gestern hier im Strang verlinkt.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Platon hat geschrieben:(18 Jun 2021, 15:19)Das iranische Innenministerium sagte bis 13 Uhr Mittags haben 5 Millionen ihre Stimme abgegeben.
Fars News berichtet von 14 Millionen die bis 16.45 Uhr Ortszeit ihre Stimme abgegeben haben. Damit liegt die Wahlbeteilligung bisher bei 23%.[...]
FarsNews spricht von 22 Mio abgegebenen Stimmen, d.h. 37%.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Ein Berater des Innenministers hat auf Twitter erklärt, dass man Zahlen, die nicht offiziell verkündet wurden, damit meint er die von FarsNews, nicht beachten soll. Da deutet sich bereits ein Konflikt hinter den Kullissen an, dass manche versuchen werden die Wahlbeteilligung nach oben zu korrigieren könnten, während andere davon nichts halten bzw. es könnten auch Konflikte sein darüber wie hoch man sie korrigieren soll. Derartige Konflikte könnten natürlich dann öffentliche Proteste auslösen.
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Aldus
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Aldus »

Einfach mal neugierig in den Strang gefagt: Ich habe vor einigen Tagen ein Interview mit dem früheren Präsidenten Ahmadinedschad (richtig geschrieben?) gesehen, in welchem u.a. erwähnt wurde, das der iranische Wächterrat seine Kandidatur abgelehnt hat (Euronews). Was ist da der Hintergrund von? Ich meine, nach dem Rest des Interviews konnte ich es mir fast denken, aber dann hätte der seine Ansichten wirklich stark geändert - er war doch mal ein absolouter Hardliner und Liebling der Mullahs? Würde mich interessieren, wenn es wer weiß.

Btw.: Meine Güte, ist der alt geworden...
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"Wir müssen die gar nicht verstehen, die haben zu gehorchen." - Prof. Harald Lesch
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Aldus hat geschrieben:(18 Jun 2021, 19:48)Einfach mal neugierig in den Strang gefagt: Ich habe vor einigen Tagen ein Interview mit dem früheren Präsidenten Ahmadinedschad (richtig geschrieben?) gesehen, in welchem u.a. erwähnt wurde, das der iranische Wächterrat seine Kandidatur abgelehnt hat (Euronews). Was ist da der Hintergrund von? Ich meine, nach dem Rest des Interviews konnte ich es mir fast denken, aber dann hätte der seine Ansichten wirklich stark geändert - er war doch mal ein absolouter Hardliner und Liebling der Mullahs? Würde mich interessieren, wenn es wer weiß.

Btw.: Meine Güte, ist der alt geworden...
Ahmadinejad hat sich während seiner zweiten Präsidentschaft nach 2009 und danach mit dem konservativen Establishemt zerstritten. Seine Anhänger bilden faktisch einen eigenen Block im System. Zwei sehr enge Mitarbeiter von ihm sein Schwiegersohn Mashaei und Baghaei befinden sich im Gefängnis. Insbesonderer ersterer ist durch unorthodoxe Sichtweisen aufgefallen, welche stark von der politischen Orthodoxie abweichen. Er wurde nach der Wiederwahl von Ahmadinejad zum Vizepräsident und wurde dann nach direkter Aufforderung durch Khamenei entlassen, stattdessen dann zum "Chief of Staff" von Ahmadinejad ernannt. Er hat sich zuletzt häufig kritisch gegenüber dem konservativen Establishement geäußert, was ihn offensichtlich in Konflikt mit Khamenei gebracht hat. Er hat unter Anderem mal dessen Sohn Mojtaba kritisiert. https://en.wikipedia.org/wiki/Mahmoud_A ... er_of_Iran
Alle Versuche von ihm selbst oder mit ihm verbündete Kandidaten Präsident zu werden wurde vereitelt, alle wurden disqualifiziert. Dazu hat er sich auch zunehmend, vor allem auf Twitter, zu jemanden entwickelt, der ein hohes Interesse an den USA hat. Sein letzter Twitterpost beispielsweise betrauert den Todestag von Tupac #WestSide... Auf Twitter sind auch Mashaei und Baghaei die beiden Herren neben Ahmadinejad in seinem Background-Bild. Er hat sich ab der Kontroverse um seinen Schwiegergsohn Mashaei zunehmend zu einem etwas vogelwilden Charakter entwickelt und er steht nicht mehr im Mainstream der konservativen im Iran und er genießt nicht das Vertrauen vom Revolutionsführer Khamenei. Dennoch versucht er eine Rolle im politischen System und in der Öffentlichkeit zu spielen und relevant zu bleiben. Dabei nutzt er populistische Methoden, die jeden der nicht vorher mal Präsident war wohl eine Gefängnisstrafe oder Hausarrest eingebracht hätten. Er spielt im Regime keine entscheidende Rolle mehr.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Auch wenn Augenzeugen berichten, dass die Wahlbeteilligung gering war wurde die Öffnungszeit der Wahllokale immer weiter verlängert. Nun ist es aber im Iran später als 2 Uhr nachts und damit das vorgesehende maximale Ende erreicht. Es ist die Rede davon, dass Leute welche draußen warten weiterhin reingelassen werden. ^^ Es gab am Anfang wohl ein paar technische Probleme mit der elektronischen Stimmabgabe, weswegen Wahllokale an manchen Orten verspätet öffneten und Stimmzettel sollen nicht hinreichend da gewesen sein. Die Kritik soll wohl auch dazu dienen das Innenministerium für die geringe Wahlbeteilligung verantwortlich zu machen. Alles deutet aber darauf hin, dass die Wahlbeteilligung sehr gering war und man lediglich Verantwortliche sucht. Bezüglich des Ergebnis vermute ich eine Wahlbeteilligung von knapp über 50% bei einem 2/3 Stimmen für Raisi wäre das gewünschte Ergebnis für viele seiner Unterstützer im Regime. Aber es könnte auch eine Überraschung geben und eine Stichwahl von Hemmati und Raisi. Derartiges würde bedeuten, dass selbst Wähler der Ultra-Konservativen mit der Art und Weise der Kandidatenauswahl unzufrieden waren. Wie schon erwähnt ist auch von Bedeutung ob Raisi zumindest auf die 15,8 Mio Stimmen kommt, welche er vor 4 Jahren bekommen hat, als er Rohani unterlag, der 23,6 Mio Stimmen bekommen hatte. Damals lag die Wahlbeteilligung bei 73%...

https://iranintl.com/en/iran/iran-hardl ... hanis-team
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Sungawakan »

Kann man den Strang nicht ins Asien-Forum verschieben? Schließlich würde auch niemand auf den Gedanken kommen, Israel und Palästina hier zu behandeln.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Es gibt lt. Iranintl inoffizielle Zahlen. Demnach wurde 29 Mio Stimmen abgegeben, was bei 59,3 Mio Stimmen, je nach Nachkommastelle 50% oder knapp unter 50% sind. 24 Mio davon sind bereits ausgezählt. Demnach hat Raisi erwartungsgemäß gewonnen mit bisher 15 Mio Stimmen. Auf den zweiten Platz kommen demnach ungültige Stimmen - etwa 3 Mio - gefolgt von Mohsen Rezai mit 2,8 Mio Stimmen und Hemmati mit 2 Mio Stimmen und Ghazizadeh mit 850 000 Stimmen. Ein Teil der Reformer hatte angekündigt zwar abstimmen zu wollen, aber einen leeren Zettel abzugegeben. Wenn dem so ist würde das womöglich erklären warum das Innenministerium noch keinerlei Ergebnisse veröffentlicht hat, weil man entweder eine Wahlbeteilligung klar unter 50% oder "Ungültig" als stärksten Kandidaten neben Raisi bekanntgeben müsste ^^.

Mohsen Rezai hat Raisi schon zur Wahl gratuliert.

Auch Hemmati hat Raisi zur Wahl gratuliert.

Ebenso Ghazizadeh.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Die ersten offiziellen Zahlen sprechen von 28,6 Mio abgegebenen Stimmen. Das entspricht einer Wahlbeteilligung von 48,2%. 90% davon seien gezählt.
17,8 Mio für Raisi (=62,2% bisher)
Mohsen Rezai 3,3 Mio
Hemmati 2,4 Mio
Qazizadeh 1 Mio

Es fehlen von den 28,6 noch 4 Mio Stimmen. Ist die Frage, ob man am Ende wirklich bekanntgibt, dass die ungültigen Stimmen mehr sind als was Mohsen Rezai bekommen hat.
Zuletzt geändert von Platon am Sa 19. Jun 2021, 09:11, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Tom Bombadil »

Nette Arschgeige wurde da "gewählt". Die Iraner können einem nur leid tun, aber sie müssen das Joch der Mullahs selber abwerfen.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von JJazzGold »

Tom Bombadil hat geschrieben:(19 Jun 2021, 09:11)

Nette Arschgeige wurde da "gewählt". Die Iraner können einem nur leid tun, aber sie müssen das Joch der Mullahs selber abwerfen.
Das gestaltet sich äusserst schwierig, wenn der Ayatollah im Vorfeld bereits festlegt, dass er seinen henkerfreudigen Freund auf dem Präsidentenstuhl sitzen sehen will.
Das lässt letztendlich nur noch die Wahl zwischen gequält wählen und nicht wählen, oder auswandern und dazu hat inzwischen nicht einmal mehr der Mittelstand das Geld.
Mit tun viele Iraner leid, aber meine ehemaligen Freunde und Kollegen sind längst ausgewandert und wollen auch nie mehr zurück.
Dabei ist der Iran ein wunderschönes Land, nicht nur mit Landschaft, sondern auch mit Kulturlandschaft. So viele Schuhe kann man im Iran gar nicht besitzen, wie sie nötig wären, um diese diesem menschenverachtenden Ayatollah und seiner ebenso menschenverachtenden Entourage um die Ohren zu werfen.
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Auch wenn die Staatsmedien die Wahl von Raisi als einen Erdrutschsieg feiern, ist das Wahlergebnis eigentlich ziemlich ernüchternd für seine Anhänger. Um das ganze mal in einen Kontext zu setzen, habe ich ausgerechnet wie viele Stimmen der Wahlsieger seit Ende des Iran-Irak-Krieges bekommen hat, anteilig an der gesamten Menge der Wahlberechtigten. Also 17,92 Mio Stimmen von 59,33 Mio Wahlberechtigten sind 30,2%. Es ist das schwächste Ergebnis für einen Wahlsieger und Raisi konnte seinen Anteil an den Wählern im Vergleich zur Wahl vor 4 Jahren, bei der er schonmal angetreten ist, nur geringfügig steigern. Jeder Kandidat, der die vorbehaltlose Unterstützung der Wähler der Reformbewegung gehabt hätte, hätte Raisi bei dieser Wahl geschlagen. Aber die Reformer konnten bzw. wollten dieses Jahr aus bekannten Gründen ihre Wähler nicht mobilisieren. Es wird auch mehr als deutlich, dass das Wahlergebnis 2009 selbstverständlich gefälscht war.

2021 Raisi 30,2%
2017 Rohani 41,8% [Raisi 28,06%]
2013 Rohani 37,08%
2009 Ahmadinejad 53,23% ^^
2005 Ahmadinejad 12,18% (Erster Wahlgang) 36,85% (Stichwahl)
2001 Khatami 51,22%
1997 Khatami 55,12%
1993 Rafsanjani 31,67%
1989 Rafsanjani 51,44%
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Tom Bombadil »

Welche "Reformer"?
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Platon »

Tom Bombadil hat geschrieben:(20 Jun 2021, 12:50)

Welche "Reformer"?
Die Reformbewegung existiert nach wie vor. Es haben sich mit 2009 natürlich viele Streitpunkte ergeben und ideologisch hat man ziemlich heruntergeschraubt wie weit die Reformen denn wirklich gehen könnten, aber unter Rohani wurden viele ihrer Vertreter wieder in Posten geholt. Viele dieser Leute befinden/befanden sich in Stadträten oder sind in Ministerien etc. beschäftigt. Einige Minister gehören zu den Reformern wie z.B. Außenminister Zarif. Der Stadtrat von Teheran bestand zu 100% aus Reformern, die zur "Partei" von Khatami gehören. Das hat sich mit der Wahl jetzt allerdings geändert, da bei dieser neben der Abstimmung über den Präsidenten auch Kommunalwahlen stattfanden. Von daher mögen die Reformer auf nationaler Ebene nicht mehr die dominante Rolle spielen verglichen mit Mitgliedern des moderaten Establishments oder den Leuten, die zu den Konservativen/Prinzipialisten gehören, aber sie sind nach wie vor ein Teil der staatlichen Administration und sind als Teil des Regimes aktiv. Die sind schon noch da, aber bei dieser Wahl haben sie aus verschiedensten Gründen keine entscheidende Rolle gespielt.
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Tom Bombadil »

Und was haben diese Reformer positiv für die Menschen im Iran verändert?
The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots and tyrants. It is its natural manure.
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Ammianus
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Ammianus »

Und was sagt die "Heiligkeit unserer Zeit":

"Die epische und freudige Präsenz bei den Wahlen vom 18. Juni hat Ihren Ehrungen eine weitere brillante Seite hinzugefügt. Unter den Faktoren, die die Wahlbeteiligung irgendwie hätten verringern können, war Ihre spektakuläre Präsenz in den Wahllokalen im ganzen Land ein klares Zeichen ihrer Entschlossenheit und Ihrer wachsenden Hoffnung auf den Urnengang"

"Der große Gewinner der gestrigen Wahlen ist die iranische Nation, die angesichts der Propaganda der feindlichen Söldnermedien und der Versuchungen der Kriminellen und Groller erneut ins Herz der politischen Arena des Landes aufgestiegen ist."
"Ich möchte an einem Ort sein, an dem es keine Politik gibt, keine Waffen, keine Religion."
Libanesin Anfang August 2020
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Tom Bombadil
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Tom Bombadil »

Tom Bombadil hat geschrieben:(20 Jun 2021, 13:49)

Und was haben diese Reformer positiv für die Menschen im Iran verändert?
Nichts. Habe ich mir gedacht.
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Vongole
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Re: Iranische Präsidentsschaftswahlen 2021

Beitrag von Vongole »

Tom Bombadil hat geschrieben:(22 Jun 2021, 11:27)

Nichts. Habe ich mir gedacht.
Was hast du erwartet? Da findet sich nicht mal was in den sog. regierungstreuen Medien.
Am Yisrael Chai

"It's God's job to judge the terrorists, it's our duty to arrange that meeting." (IDF)
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