Wenn man sich die jüngsten Reaktionen anschaut, dann scheint es mir so zu sein, dass die Iraner ihre Karten überreizt haben. Das was sie offenbar machen wollten hat ihr Verhandlungsführer so dargestellt:
[...]In an exclusive interview with Al Jazeera in the Austrian capital, Ali Bagheri Kani said on Friday Iran would deliver a third proposal once the first two it submitted the previous day were accepted.
“Iran’s proposals to the world powers cannot be rejected. They are based on the provisions of the 2015 agreement,” he said, adding that all nuclear-related US sanctions should be removed immediately.
On Thursday, the lead negotiator had said the two proposals were related to “the lifting of sanctions” and “Iran’s nuclear actions”, both main issues facing the JCPOA.
“Now the other side must examine these documents and prepare itself to hold negotiations with Iran based on these documents,” he told state media.
Reporting from Vienna, Al Jazeera’s Ali Hashem said “the third proposal is going to be mainly on the verification process and the guarantees Iran is requesting from the world powers in order to revive the nuclear deal”.[...]
https://www.aljazeera.com/news/2021/12/ ... e-rejected
Das war der Plan. Der Iran übergibt neue Dokumente, über die man in den Arbeitsgruppen verhandelt. Der Startpunkt beginnt bei iranischen Maximalforderungen und man lässt sich dann runterhandeln und wenn die USA einen Deal wollen, dann werden sie eine Menge Zugeständnisse machen müssen. All diese Verstöße in den letzten 2-3 Jahren sollten letztlich genau dahin führen. Man wollte möglichst viel Verhandlungsmasse haben, damit man selbst, auch wenn man Zugeständnisse macht, am Ende noch besser darsteht als vorher (=2015, JCPOA). Und die USA waren bereit sich darauf einzulassen, weil man nämlich selbst auch sehr viel Verhandlungsmasse mit den Sanktionen hat und es am Ende darum geht dem Iran den Weg zur Atomwaffe zu versperren und man ist letztlich bereit sich auf einiges an Zugeständnissen einzulassen, solange dieser letzte Schritt dem Iran nachvollziehbar versperrt bleibt. Dazu kommt, dass die Iraner nicht ganz Unrecht mit ihrer Rhetorik haben, dass die Welt durch den Aufstieg Chinas eine andere geworden ist und die USA sich auf den Konflikt mit China konzentrieren und sich aus der Region rund um Iran zurückziehen wollen. Der Afghanistan-Abzug und der Versuch einer diplomatischen Lösung mit Iran sind zwei Schritte um diesen langfristigen Strategiewechsel zu erzielen. Das heißt man geht davon aus, dass die USA und insbesondere Biden - der sich ja schon in Afghanistan blamiert hat - letztendlich zu Kompromissen bereit sind, sofern man die wirklich zentralen Punkte erreicht. Also das der Schritt zur Atomwaffe nachvollziehbar versperrt bleibt.
In Wien hatte man von März bis Juni 6 Verhandlungsrunden und offenbar wurden dabei verschiedene schwierige Kompromisse zwischen beiden Seiten erarbeitet. Dabei wurde natürlich noch nichts beschlossen, aber man kam zu verschiedenen Themen zu Lösungen, die für beide Verhandlungsteams in Ordnung waren. Was die Iraner jetzt gemacht haben, war dass sie diese Kompromisse genommen und ihren eigenen Anteil zurückgenommen, den Anteil der anderen Seite aber als selbstverständlich genommen haben. Dazu wollen sie Sanktionen aufheben, die beim besten Willen nichts mit dem Atomprogramm zu tun haben. So hat es jedenfalls ein Sprecher des US-Außenministeriums ausgedrückt:
[...]And, of course, most importantly or most visibly while we were in Vienna, what getting ready meant was to come with proposals that walked back anything – any of the compromises that Iran had floated during the sixth round of talks, pocket all of the compromises that others and the U.S. in particular had made, and then ask for more; in other words, not come back with a serious proposal about how we could resume mutual compliance with the JCPOA, but raising issues that go beyond the JCPOA, and on their side not being prepared to take the steps that, again, I think not just the U.S., not just the U.S. and E3, but all of the P5+1 thought was a reasonable basis to resume talks. And so I think you’ve heard from other of our colleagues – as I said, not just the Europeans, but the Russians and Chinese – some impatience that after all this time what Iran came back with was to walk back anything that they had floated and to assume that they could pocket all of the compromises that others had made.[...]
https://www.state.gov/briefing-with-sen ... poa-talks/
Und das sind halt keine Maximalforderungen, sondern das ist einfach nur bescheuert und die europäischen Diplomaten sind ja dann auch einfach abgereist ohne diese Vorschläge mit einer Antwort zu würdigen. Verarschen können sie sich auch alleine und der Tenor von europäischen Diplomaten und aus den USA ist ja, dass die Iraner das ja wohl nicht ernst meinen können und offenbar nicht seriös sind.
Wenn ich mir aber die Statements von Bagheri Kani so anschaue und bedenke, dass die iranische Delegation 40 Leute stark war und ein Haufen Offizieller umfasste aus dem iranischen Finanzsektor wie z.B. ein ehemaliger Chef der iranischen Zentralbank. Dann denke ich schon, dass , die angereist sind um sehr ernsthaft vor allem über die Details zu sprechen, wie die Sanktionen aufgehoben werden könnten. Denn darüber wollten sie offenbar in Wien sprechen: Wann und wie die Sanktionen aufgehoben werden und die Maximalforderungen sollten am Ende zu einem guten Ergebnis führen, dass viele Sanktionen aufgehoben werden.
[...]The presence of "prominent experts and officials involved with the phenomenon of unjust sanctions in recent years" and the new team's "considerable differences" with the negoting team in the previous administration demonstrates Iran's resolve for a "clear-cut and complete political and economic agreement," the official news agency (IRNA) wrote Sunday.
The new team consists of Reza Najafi, deputy foreign minister for legal and international affairs and Iran's former envoy to the IAEA. The rest are banking and financial experts: Ebrahim Shaybani, former Central Bank governor, Gholamreza Panahi, Central Bank deputy governor for international affairs, Ali Fekri, deputy economy minister and head of the Investment Organization, Ahmad Asadzadeh, caretaker of oil ministry's international and trade department, and Mehdi Safari, the economic diplomacy deputy of the ministry of foreign affairs.
Nearly all the team's members have also served as envoys or representatives to international organizations in the past.[...]
https://www.iranintl.com/en/20211128550215
Diese Leute sind auch bezüglich dessen von Bedeutung, wenn es um Details über die Verifikation der Sanktionserleichterungen geht. Weil den Iranern ist ja nicht entgangen, dass die Sanktionen zwar 2015 "aufgehoben" wurden aber trotzdem de facto viele Sanktionen beibehalten wurden. Denn die Firmen haben erstmal abgewartet wie die Lage sich entwickelt und man konnte z.B. als Privatmensch nie im Iran auf Konten im Ausland zugreifen. Das wäre natürlich bei einem Deal jetzt nochmal stärker der Fall, weil man erstmal die Wahlen in den USA abwarten muss und die Iraner hatten da offenbar ein paar Ideen, wie man trotz dieser Unsicherheiten Sanktionen effektiv aufheben könnte. Es war eine Neuheit bei dieser Verhandlungsrunde, dass der Iran ein eigenes Dokument vorbereitet hatte, wie man sich das mit der lange geforderten und nie wirklich konkretisierten Verifikation der Aufhebung von Sanktionen denn vorstellt. Dieses Dokument sollte eigentlich als Drittes übergeben werden, dazu kam es jetzt aber nicht, weil die Europäer nach den ersten beiden Dokumenten bereits abgereist sind.
Dazu sind die Leute aus dem iranischen Finanzsektor natürlich auch die Leute, mit denen man reden muss, wenn es darum geht ein Interimsabkommen zu schließen. Also ein Teilabkommen, wo die Iraner auf einen Teil ihrer Verstöße verzichten und dafür dann Sanktionserleichterungen bekommen. In einem
Interview (bei 1:16) wurde der iranische Verhandlungsführer Bagheri-Kani gefragt, ob er sich das vorstellen könnte und die Reaktion darauf war vielsagend. Denn er war ziemlich überrascht, dass ihm die Frage gestellt wurde und seine Antwort war die Frage, ob die USA einen solchen Vorschlag unterbreitet haben. Die Antwort des Interviewers war, dass man es hat durchblicken lassen und er sagt dann, dass er über einen solchen Vorschlag nicht informiert ist. Das ist alles andere als ein Nein und mir scheint, dass die Iraner genau das wollten bzw. wollen. Weil sie nämlich auf der einen Seite unbedingt Sanktionserleichterungen brauchen um den eigenen Staatshaushalt finanzieren zu können, auf der anderen Seite aber offenbar wenig motiviert sind eine komplette Rückkehr der USA zum JCPOA herbeizuführen. Weil das würde dann innenpolitisch einen großen politischen Preis kosten, man müsste Khamenei überzeugen, vermutliche praktisch alle nuklearen Fortschritte der letzten Jahre wieder abbauen und es stellt sich die Frage, ob das Sanktionstechnisch überhaupt so richtig viel bringt wegen der innenpolitsichen Situation in den USA. Dazu müsste man dann womöglich auch noch weitere Verpflichtungen zu Gesprächen über die regionale Rolle des Iran etc. eingehen. Auf all diese Dinge hat die Raisi-Regierung wohl wenig Lust und es ist daher für den Iran schon sehr attraktiv ein Teilabkommen zu schließen, wo man schnelle und effektive Sanktionserleichterungen bekommt für überschaubare Zugeständnisse im Atomprogramm. Das wären ja hauptsächlich dann die Verstöße der letzten Jahre, womit der Iran dann weiterhin in einer besseren Situation ist. Realistische Sanktionen die schnell wirken und ein Atomprogramm das stärker ausgebaut ist als im vollständig gültigen JCPOA. Es spricht nach meinem Dafürhalten einiges dafür, dass bei der iranischen Delegation genau das die Strategie war. Eine Einigung zum JCPOA erschweren und eine gute Ausgangsposition für ein Teilabkommen bekommen, was dann als schneller Erfolg verkauft werden kann.
Aber anstatt aus einer starken Position die Details der Sanktionserleichterungen zu besprechen und sich langsam von Maximalforderungen runterhandeln zu lassen haben sie mit ihren Vorschlägen die anderen Teilnehmer der Verhandlungen so vor den Kopf gestoßen, dass die Europäer einfach nur mit den Köpfen geschüttelt haben und nach Hause gefahren sind. Da hat die neue iranische Delegation jetzt einfach den Bogen überspannt, zu hoch gepokert, die Karten überreizt und hat einen diplomatischen Patzer begangen.
Es ist jetzt die Frage, ob da nächste Woche wirklich nochmal was kommt. Die Iraner verlangen von den Europäern eine offizielle Antwort auf ihre Vorschläge, aber Macron hat die Tage bei einem Besuch in den Emiraten schonmal durchblicken lassen, dass womöglich eine längere Pause folgen wird:
The Vienna talks were not successful, French President Emmanuel Macron said Friday, one day after the conclusion of the first round.
Macron, speaking at the UAE, asserted that the next round of talks could possibly "not reopen swiftly," warning that there could be a longer break in the talks that resumed on November 29.
"I think it's probable that this round of negotiations, given the positions, does not succeed," Macron said from Dubai. "It is most likely that these negotiations do not continue in the short term."
https://english.almayadeen.net/news/pol ... ul:-macron
Aber es ist klar, dass die Iraner sich bewegen müssen, wenn es eine Fortsetzung der Gespräche geben soll. Natürlich müssen sie zumindest einen großen Teil wenn nicht alle der kritisierten Änderungen zurücknehmen und einen enormen Gesichtsverlust hinnehmen. Womöglich braucht es auch weitere Zugeständnisse, zum Beispiel gibt es die Forderung der IAEA die Anlage in Karaj wieder zu überwachen, welche mutmaßlich von Israel per Drohne in die Luft gesprengt wurde. Die Iraner weigern sich da wieder Kameras installieren zu lassen, was die IAEA mit Nachdruck fordert. Ein Zugeständnis da würde die iranische Verhandlungsposition zum JCPOA nicht beeinträchtigen und wäre eine positive Geste an die Gegenseite. Es sind jetzt vor allem Russland und China gefragt die Iraner zu überzeugen das zu machen. Wenn sie auf ihren ursprünglichen Positionen beharren braucht es nächste Woche keine weitere Sitzung, weil die dann nämlich im offiziellen Scheitern der Gespräche enden würde und dann müsste die Sache vor den UN-Sicherheitsrat.
Wie auch der Weg zum Krieg jetzt sehr kurz scheint, weil der Iran reichert bereits sehr hoch an (60%) und wenn sie das weiter machen und insbesondere den Anreicherungsgrad nochmal auf waffenfähiges Niveau aus lauter Trotz erhöhen, dann muss Biden und Israel die Atomanlagen bombardieren, weil man nämlich genau das seit Jahrzehnten ankündigt für den Fall, dass es so weit kommt.
Man muss jetzt abwarten was passiert, aber die Iraner haben sich offenbar verspekuliert. Wie es dazu kommen konnte ist eigentlich recht klar. Weil die Leute die da jetzt federführend sind, scharren schon seit Monaten mit den Hufen und wollen ihren Vorgängern der Rohani-Regierung mal zeigen, wie man so richtig erfolgreich und standhaft mit den USA und dem Westen verhandelt. Sie sind der Meinung, dass die USA geopolitisch auf dem absteigenden Ast sind und sich am Ende auf fast alles einlassen, während man selbst den Schulterschluss mit einer neuen asiendominierten geopolitischen Ordnung sucht, d.h. Russland und China. Die Vorgänger waren ja alle vom Westen verführte Schwächlinge, die sich zu viele Kompromisse abringen lassen. Man selbst kann ja größtenteils nicht mal Englisch und ist vor allem in seiner Position, weil man ideologisch besonders strikt ist und zu allem Ja und Amen sagt was Khamenei sich wünscht. Ihre Vorgänger im Außenministerium waren natürlich auch keine Dissidenten, aber sie hatten aufgrund ihrer Ausbildung etc. die in nicht wenigen Fällen im Westen erfolgte, zumindest einen Sinn für Realismus, was bei hochkarätigen internationalen Verhandlungen geht und was einfach nur ideologisch-motivierte Deppertheit und Ja-Sagerei zu allem was Khamenei sich wünscht ist. Letzeres hat jetzt faktisch zu einem Zusammenbruch der diplomatischen Verhandlungen geführt, was natürlich Gespräche über das von ihnen selbst vermutlich gewollte Interimsabkommen mit einschließt. Man wird sich aber mittelfristig sicher nochmal treffen und sich dann womöglich auf irgendwas einigen können. Für den Moment hat man aber mal ordentlich ins Klo gegriffen und musst jetzt erstmal Lehrgeld zahlen.
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