Um mal ein wenig zu verdeutlichen, in welcher Position die Iraner sich eigentlich befinden im Moment. Im Mai 2018 hat Trump die Sanktionen wieder eingesetzt und damit eine schwere Wirtschaftskrise im Iran ausgelöst. Dabei geht es vor allem um zwei Sachen. 1. Die Inflation, die Staat und Bevölkerung gleichermaßen trifft und zu sozialen Unruhen führt sowie 2. fehlendes Einkommen für den iranischen Staat durch Wegbrechen der Ölverkäufe, was eine Budgetkrise ausgelöst hat.
Im Iran sind die Preise gemessen in ausländischen Währungen recht stabil. Der Burger mit Pommes in der Shopping-Mall im Norden Teherans der vor 2-3 Jahren 5 Euro gekostet hat, kostet immer noch 5 Euro. Nur waren 5 Euro im April/Mai 2018 300 000 Rial, aktuell sind 5 Euro etwa 1 500 000 Rial. Entsprechend lässt sich aus der Entwicklung des tatsächlichen Wechselkurses imho recht gut ablesen, wie sich die Inflation mittelfristig entwickelt:
https://bonbast.com/graph/eur/2018-01-01/2021-02-13, wahre Wechselstubenpreise vor Ort liegen immer ca. 10 000-20 000 Rial darunter
Und dort sehen wir einen ersten Verfall der Währung in den Monaten nach dem erneuten Einsetzen der Sanktionen im Mai 2018, ehe sich die Lage etwas stabilisierte und ein erneuter Verfall der Währung jetzt während der Coronakrise ab März 2020. Wenn wir sagen Ende Februar 2020 150 000 für den Euro und aktuell 300 000 für den Euro waren 100 Mio Rial im Februar 666,67 Euro wert und aktuell 333,34 Euro. Der iranische Rial hat nach aktuellem Stand, während der Coronakrise nochmal ca. 50% an Wert verloren und entsprechend sind die Preise gestiegen. Es hat im Iran in den letzten Jahrzehnten immer hohe Inflation gegeben, aber das ist auch für den Iran nicht normal.
Das ist ein Problem, weil im Iran seit jeher ein Großteil der Bevölkerung arm ist. Das war auch schon vor der Revolution 79 so und hat sich seitdem grundsätzlich nicht geändert. Aus dem Grund sind viele Alltagsgüter wie Brot und Benzin im Iran stark subventioniert, weil anders die öffentliche Ordnung überhaupt nicht aufrecht zu erhalten wäre, und zwar komplett unabhängig davon wer die Herrschaft ausübt. Wenn man sich fragt, von welcher Größenordnung man da redet. Es geht je nachdem was „arm“ bedeutet um Zahlen von 15-20%, ein Drittel oder bis weit über die Hälfte der Bevölkerung. Das ist im Iran einfach so und die Reduktion von Armut ist ein ganz zentraler Punkt im ideologischen Programm der Islamischen Republik. Es gibt große Stiftungen wie die
Imam Khomeini Relief Foundation und die
Mostazafan Foundation, welche nach der Revolution gegründet wurden um den Bedürftigen zu helfen. Das ist so ein wenig die Version der IRI eines Sozialstaates, ohne die das Land auch völlig unregierbar wäre. Wobei diese Stiftungen lediglich 50%(?) ihrer Ausgaben für wohltätige Zwecke ausgeben müssen und darüber hinaus z.B. dazu dienen Gefolgsleute zu belohnen und entsprechend von den USA
mit Sanktionen belegt wurden. Dazu gibt es noch die
Sozialversicherung, die bereits bei der Revolution bestanden hat. Aber Subventionen und Sozialhilfen können am Ende nichts an der grundsätzlichen Lage ändern, dass die iranische Wirtschaft einen sehr erheblichen Teil der Bevölkerung nicht mit Jobs und einem Einkommen versorgen kann, welches diese nicht zur Armut verurteilt. Nach meiner eigenen Erfahrung reden wir hier von Leuten, die 100-150 Euro oder weniger im Monat verdienen und davon dann Auto, Kranken- und Sozialversicherungen, Essen, Wohnung und Kinder finanzieren sollen. Und diese Leute erleben dann, dass die Währung innerhalb von ein paar Monaten 50% an Wert verliert und Sozialhilfen und Gehälter natürlich nur nachträglich und womöglich nur zum Teil angepasst werden. Die Kaufkraft sinkt so Stück für Stück, gerade für diejenigen am unteren Ende der sozialen Leiter. Und die daraus entstehende Unzufriedenheit, dass das eigene Geld ständig weniger und weniger wert ist und man beständig ökonomisch unter Druck steht, lässt ein Potenzial für politische Unruhen entstehen.
Deepening Poverty Threatens the Social Contract in Iran
Statistics Suggest Half Of Iranians Living In Poverty
Spiralling poverty in Iran adds to pressure on regime
35 percent of Iranians are on the brink of malnutrition (das sind übrigens Zahlen von der Forschungsstelle des iranischen Parlaments und nichts was sich irgendein ausländischer Think Tank ausgedacht hat!)
With poverty and economic woes growing, unrest looming in Iran
Der zweite Punkt ist das im Iran durch die Sanktionen erneut die Einnahmen aus den Ölverkäufen weggebrochen sind und Investitionen aus Europa und China, die sich nach dem Abschluss des Atomabkommens angekündigt haben, dann nicht erfolgt sind. Die Iraner müssen einsehen, dass auch Länder wie Russland und China, die Gegner der USA auf der weltpolitischen Bühne sind, nicht bereit sind für Geschäfte mit dem Iran ins Visier von US-Sanktionen zu geraten. Darum konnte man nur wenig Öl verkaufen. Käufer sind Länder wie Venezuela, Syrien, Nordkorea oder wie kürzlich hier im Forum hingewiesen auch der Schwarzmarkt in den USA. Der Preis pro Barrel dürfte dabei weit unter dem Marktpreis liegen. Auch können durch die Sanktionen die Iraner auf ihr Geld außerhalb des Landes nicht zugreifen, weil die dortigen Banken Angst vor Vergeltungsmaßnahmen durch die USA haben müssen.
Der Fall Südkorea zeigt, wie das konkret gelaufen ist. Vor den Sanktionen durch Trump hatte Südkorea mit dem Iran gehandelt und man hat Südkorea Öl verkauft und dafür Fertigprodukte aller Art bezogen. Da eine entsprechende Ausnahmegenehmigung der USA abgelaufen ist haben die Südkoreaner ab Mai 2019 kein Öl mehr gekauft und im September 2019 war man gezwungen das Vermögen in zwei südkoreanischen Banken einzufrieren, damit diese nicht wegen Verstoß gegen US-Sanktionen bestraft werden.
South Korea responds angrily to Iran threats over frozen assets Das haben die Iraner dann nicht dabei bewenden lassen und haben Anfang Januar den koreanischen Öltanker im Golf festgesetzt und die Besatzung in Gewahrsam genommen. Es kam dann zu diplomatischen Kontakte auf höchster Ebene, aber die Südkoreaner konnten halt auch nichts weiter sagen, als das sie durch die USA nicht in der Lage sind die 7 Milliarden US-$ zurück zu geben. Mittlerweile wurde die Besatzung
freigelassen, aber der Öltanker ist immer noch im Iran. Man überlegt jetzt inwiefern die Mittel womöglich für den Kauf von humanitären Hilfsgütern verwendet werden könnten oder für Impfstoffe bei Covax. Die USA haben immer mal wieder Ausnahmen für die Sanktionen zugelassen für diese Sachen. (
South Korea and Iran remain split over tanker seizure issue)
Die Iraner versuchen in den letzten Jahren verzweifelt an ausländische Devisen zu kommen. Der aktuelle irakische Premierminister kam ins Amt durch einen Deal zwischen Iran und die USA, das die Iraner ihn als Premier akzeptieren und ihre Verbündeten im Irak anweisen ihn nicht zu verhindern, während die USA zusicherten nicht einzuschreiten, wenn in Europa eingefrorene iranische Gelder freigegeben werden. Es soll sich dabei um 1,6 Milliarden US-$ in Luxemburg gehandelt haben, welche ein dortiges Gericht
den Iranern zugesprochen hatte.
REVEALED: The secret US-Iran deal that installed Kadhimi in Baghdad. Der Versuch des Iran einen Kredit von 5 Milliarden US-$ bei der IMF aufzunehmen, im Rahmen eines Programms Finanzmittel für die Bekämpfung der ökonomischen Schäden des Coronavirus, wurde nach iranischen Aussagen von den USA verhindert.
Iran's Rouhani Says US Blocking $5 Billion IMF Loan To Fight COVID
Um diese Zahlen mal in ein Verhältnis zu setzen: das offizielle Staatsbudget des Iran lag zuletzt zumeist bei ca. 40 Milliarden US-$ Dollar. Wobei das nicht wirkliche alle Ausgaben des Systems umfasst. Beispielsweise sind bei dieser Zahl gerade mal 6-7 Milliarden für die Revolutionsgarden zugeordnet (knapp 3 Milliarden für die Armee/Artesh) und selbstverständlich ist das tatsächliche Budget der Revolutionsgarden weit höher als das. Dazu kommen dann immer noch Einnahmen und Ausgaben der frommen Stiftungen die von den Revolutionsgarden kontrolliert werden. Hier ist dann keine klare Grenze zu ziehen zwischen Staat, Revolutionsgarden und Wirtschaftsunternehmen. Überhaupt werden im Iran viele Aufgaben des Staates durch säkulare NGOs und religiöse Stiftungen übernommen.
https://en.wikipedia.org/wiki/Bonyad
Iran’s Defense Spending
Dies trägt dann auch dazu bei, dass die iranische Regierung nur 1/3 ihrer Einnahmen aus Steuern bekommt, weil natürlich die Revolutionsgarden oder fromme Stiftungen wie die oben genannten oder allgemein wer Einfluss und Macht besitzt, im Iran keinerlei Steuern zahlt. Die Öleinnahmen können das ausgleichen, aber die sind zuletzt größtenteils weggefallen, weswegen man jetzt natürlich ein Problem hat und was erklärt, warum man so verzweifelt nach ausländischen Devisen sucht.
Dazu wird im Budget natürlich in der iranischen Währung gerechnet und man konnte in den letzten Jahren feststellen, dass das offizielle Staatsbudget nicht so schnell gestiegen ist wie die Inflation, nach absoluten Zahlen also geschrumpft ist. Dazu braucht es natürlich ständig neue Nachtragshaushalte und beständig müssen die Löhne und Renten erhöht werden, im jüngsten Budget für 2021/22 wurde alles pauschal um 50% erhöht und im Laufe des Jahres kommt da sicher mehr dazu. Die Inflation betrifft die Mitarbeiter in den staatlichen Behörden natürlich genauso wie den Rest der Bevölkerung.
A Look at Iran’s 2020-2021 Budget
Iran's Crisis Budget
The Revolutionary Guards' Outsize Share of Iran's Next Budget
Iran outlines budget to resist U.S. sanctions as oil exports plunge
In Erwartung einer Einigung mit den USA haben die Iraner auch schon die Ölproduktion hochgefahren und im neuesten Budget wird mit stark steigenden Öleinnahmen gerechnet. Das heißt die iranische Regierung hat damit bereits Anfang Dezember ein Budget vorgelegt, das von einem Ende der Sanktionen in 2021 ausgeht und optimistische Annahmen über Ölverkäufe macht.
Iran's Draft Budget Is Based On Assumption Of An End To US Sanctions
Iran’s oil exports rise in January despite sanctions – trackers
A fragile budget (2 Mitglieder des iranischen Parlaments kritisieren das kommende Budget im Artikel in iranischer Zeitung)
Das ist der Hintergrund vor dem die Iraner nun ihre Verhandlungen mit den USA führen und warum sie ziemlich motiviert sind, dass die USA ihre Sanktionen schnellstmöglich wieder aufheben. Die Proteste im November 2019 nachdem man den Benzinpreis leicht angehoben hat, was die Unzufriedenheit mit der Inflation zum Vorschein kommen ließ, dürften auch dem Letzten im System deutlich gemacht haben, wie groß die Unzufriedenheit unter der armen Bevölkerung ist, welche einen erheblichen Teil, womöglich sogar die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen dürften und eigentlich vom Regime als potenzielle Unterstützer umworben werden. Die Aussage des Geheimdienstministers, dass man durch die Sanktionen womöglich wie eine in die Ecke gedrängte Katze um sich schlagen und doch eine Atombombe entwickeln könnte, sagt viel darüber aus, für wie schlimm man die Sanktionen einschätzt. Eine Revolutionsgardenzeitung hat ihn ja dann für diese Aussagen ermahnt und gemeint, dass auch eine Atombombe einen Kollaps des Systems nicht verhindern könnte. Auch Zarif sprach davon, dass das Ziel der Sanktionen offenbar der Kollaps des Systems sei. Gerade nach dem erneuten Verfall der Währung während der Coronakrise muss das System eine Verbesserung der Lage herbeiführen oder zumindest einen Weg aus der Krise aufzeigen, will man nicht erneute Unruhen heraufbeschwören. Ob diese dann wirklich zum Erfolg führen würden ist dann wieder eine andere Sache. Aber es ist schon klar, dass die derzeitige Situation für die Islamische Republik auf Dauer untragbar ist.
Ein Ende der Sanktionen würde dann auch neue Perspektiven eröffnen für Investitionen aus Europa, aber vor allem auch China. Es ist offenbar eine gemeinsame Stellungnahme von China und dem Iran in Arbeit über vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit und Investitionen der Chinesen in Höhe von bis zu 400 Milliarden US-$ im Iran. Die Chinesen sehen den Iran dabei ein Partner ihrer
neuen Seidenstraßeninitiative, mit dem man allein durch seine geographische Lage zusammen arbeiten muss. Diese Partnerschaft würde auch militärische Kooperation umfassen, wobei die Stationierung chinesischen Militärs am Golf, wie mal gemutmaßt wurde, allein schon angesichts der Einstellungen im Iran zu dieser Frage doch ziemlich unwahrscheinlich ist. Man sollte das Ganze aber auch nicht überbewerten, weil China enge Handelsbeziehungen mit allen Ländern in der Region anstrebt und die Partnerschaft mit dem Iran keineswegs umfangreicher oder privilegierter ist als die mit Saudi Arabien und anderen Ländern. Der Iran dürfte ebenfalls gute Beziehungen mit möglichst vielen Ländern anstreben um am Ende nicht doch noch als chinesischer Vasallenstaat zu enden und ohnehin europäische Investitionen bevorzugen.
Iran-China 25-year Cooperation Program
China Won’t Rescue Iran (geschrieben von jemanden, der lange im Iran gefangen gehalten wurde)
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