Heute ein interessanter Artikel in der FAZ zur Flut in Rheinland-Pfalz und dem Versagen der dortigen Behörden:
FLUTNACHT VON AHRWEILER:
Rekonstruktion eines politischen Versagens
VON JULIAN STAIB UND TIMO STEPPAT-AKTUALISIERT AM 15.09.2021-07:51
Im Ahrtal wurden die Menschen erst gewarnt, als es viel zu spät war. Dabei kamen die ersten Hilferufe schon am Nachmittag.
Das Wasser kam nicht aus dem Nichts. Aber es kam schnell. Gegen kurz nach 18 Uhr am 14. Juli will Julian Kay mit seinem Schwiegervater die Heizkessel im Keller von dessen Haus in Altenahr abbauen, damit sie nicht wieder durch das Hochwasser zerstört werden. Sie haben Erfahrung mit Hochwasser, und dieses Mal steigt es schneller als sonst. Um 18.34 Uhr ruft Jessica Kay, seine Frau, zum ersten Mal die 112. „Gehen Sie ins Haus“, sagt man ihr wie ihrem Vater Günter Villinger, der kurz darauf ebenfalls den Notruf wählt. Dort seien sie sicher. Es ist ein verhängnisvoller Satz. Jessica Kay verabschiedet sich von ihren Eltern, sie wohnen im Nachbarhaus. Es ist das letzte Mal, dass sie miteinander sprechen.
Jessica Kay macht vom ersten Stock ihres Hauses aus kurze Videos mit dem Handy. Ein roter Kleinwagen wird weggerissen, wo sonst die Straße ist. Gegen 19 Uhr fällt der Strom aus. Kay und ihr Mann fangen an, ins Dachgeschoss zu tragen, was ihnen wichtig ist, Verträge und Technik vor allem. Bis halb neun steht das Haus der Eltern bis zur Hälfte unter Wasser. Von oben winkt Kay ihren Eltern. Auch wenn das andere Haus keine 15 Meter entfernt ist, können sie einander nicht hören. Sondern nur ohrenbetäubendes Rauschen. Gegen 22.40 Uhr ertönt ein heftiges Krachen. Die Giebelwand des Elternhauses bricht ab, das Wasser reißt die Bruchstücke davon. „Wie ein Puppenhaus sah es aus“, sagt sie.
In ihr steigt Panik auf. Den Eltern bedeutet sie, von der Abbruchkante wegzugehen. Wieder und wieder ruft sie den Notruf. Nur selten kommt sie durch. „Ich habe gefleht, gebettelt, dass sie meine Eltern und uns retten.“ Sie sagt, ihre Eltern könnten bald sterben. Die Mitarbeiter beim Notruf scheinen überfordert, der Ton wird immer schroffer, erinnert sich Kay. Ihre Eltern sollten sich aufs Dach begeben, bald komme ein Hubschrauber.
Wann genau, sagt man ihr nicht. Und wie sollen die Eltern aufs Dach kommen? Sie sind 64 und 83. Einmal sehen sie einen Hubschrauber, sie winken und leuchten, aber er dreht ab. Das Innenministerium in Rheinland-Pfalz gibt unter Berufung auf die Leitstelle an, dass nach Hilferufen Hubschrauber geschickt wurden. Windenoperationen seien aber durch die Wettersituation und die Gefahr durch Stromleitungen und Bäume erschwert worden. Gegen Mitternacht sagt man Kay beim Notruf, heute könne man nichts mehr tun: Es gebe keine Piloten mehr mit Nachtflugerlaubnis.
„Wir leben in keinem Entwicklungsland“
Sie schreit, aus Wut und Verzweiflung. Und hat etwas Glück. Gäste im Hotel nebenan hören sie und heben ein Türblatt aus. Zwischen dem Dach und einem Balkon balancieren sie mit Hund und Katze über die Fluten hinweg. In dem großen Hotelgebäude sind sie sicher. Jessica Kay versucht ihren Eltern zu winken. Aber in der Dunkelheit, im Rauschen des Wassers, kann sie sie nicht mehr sehen, nicht mehr hören. Erst löst sich gegen ein Uhr die hintere Wand des Hauses, dann reißt das Wasser das gesamte Haus mit, das dort über 100 Jahre stand.
Wenige Tage später werden die Leichen von Patricia und Günter Villinger geborgen. Warum kam keine Hilfe? „Wir leben in keinem Entwicklungsland. Es gibt doch Hubschrauber, mit denen meine Eltern hätten gerettet werden können“, sagt Kay. Hätte man nicht früher warnen müssen? Ihnen sagen, dass sie dort nicht bleiben dürfen?
Schon um 16.20 Uhr hatte die Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr, Cornelia Weigand, im Landratsamt angerufen und angesichts der prognostizierten Pegelstände um das Ausrufen des Katastrophenfalls gebeten. Kurz nach 20 Uhr hakte der örtliche Leiter der freiwilligen Feuerwehr, Frank Linnarz, nach eigenen Angaben telefonisch nach. Vergeblich. Da war in Altenahr schon Land unter. Erst um 23.09 Uhr rief der Landkreis den Katastrophenfall aus, erst dann sollten alle Gebäude im Umkreis von 50 Metern entlang der Ahr evakuiert werden. Die Häuser standen zu diesem Zeitpunkt schon seit fast drei Stunden unter Wasser. 134 Menschen starben in der Katastrophennacht, mehr als 760 wurden verletzt.
Stefan Villinger, Jessica Kays Bruder, sammelte Beweise und erstattete Anzeige gegen den Leiter des Krisenstabs des Landkreises, Landrat Jürgen Pföhler (CDU). Es geht ihm nicht um Beschuldigungen, Villinger will Aufklärung. Über Wochen reagiert die Staatsanwaltschaft Koblenz nicht. Sie befragt auch Jessica Kay nicht als Zeugin. Anfang August macht die Staatsanwaltschaft bekannt, dass sie gegen den Landrat sowie eine weitere Person aus der technischen Einsatzleitung des Landkreises ermittelt. Es geht um fahrlässige Tötung durch Unterlassen. Auch im Fall von Patricia und Günter Villinger will die Staatsanwaltschaft untersuchen, wann es noch welche Möglichkeiten gegeben hätte.
Lewentz war im Auge des Sturms
Nach Angaben eines Sprechers der Staatsanwaltschaft liegen mittlerweile mehr als 40 Strafanzeigen und 290 Hinweise vor, die über das eigens dafür eingerichtete E-Mail-Postfach eingegangen sind. Teilweise richten sich die Anzeigen gegen nicht namentlich benannte „Verantwortliche“.
Vorwürfe zur Katastrophennacht richten sich auch gegen die Landesregierung. Schließlich war Innenminister Roger Lewentz (SPD) an dem Abend vor Ort. Er besuchte die technische Einsatzleitung des Landkreises in Bad Neuenahr-Ahrweiler, war gewissermaßen im Auge des Sturms, als dieser schon längst tobte – offenbar, ohne das Ausmaß auch nur annähernd zu überblicken. Dabei hatten Regierungsbehörden früh vor der Katastrophe gewarnt. Aber reicht es, nur zu warnen?
Bei seiner Beerdigung Anfang September wurden Günter Villinger militärische Ehren erwiesen. Er war bis zu seiner Pensionierung Oberst bei der Bundeswehr. Jessica Kay und ihr Bruder schildern, dass ihnen mehrere Bundeswehrsoldaten berichtet hätten, am Nachmittag und in der Nacht des 14. Juli für Hilfe bereitgestanden zu haben, aber nicht gerufen worden zu sein. Auch andere in Altenahr sagen das und berufen sich auf Soldaten. Das Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr teilt mit, bereits in der Nacht im Rahmen der Soforthilfe Unterstützung geleistet zu haben. Obwohl die Anträge auf Unterstützung durch Hubschrauber bereits in der Nacht gestellt wurden, war die Luftunterstützung der Bundeswehr nach eigenen Angaben erst am Morgen im Einsatz.
Dabei hatte es frühzeitig Warnungen vor den enormen Regenmengen gegeben. Schon am 10. Juli warnte das Europäische Flutwarnsystem EFAS vor Überschwemmungen in der Region, auch der Deutsche Wetterdienst (DWD) warnte mehrfach. Auf Basis der DWD-Vorhersage sowie der gemessenen Niederschläge erstellt das Landesamt für Umwelt Hochwasservorhersagen – und warnt. Am 14. Juli wurde um 11.17 Uhr für die Ahr-Region die zweithöchste Warnstufe (rot) ausgerufen, ab 17.17 Uhr die höchste Stufe (violett), der zufolge die „Überflutung bebauter Gebiete in größerem Umfang“ droht.
Warnungen per E-Mail an die Kreise
Bereits um 13.30 Uhr wurde für Altenahr ein Pegelstand von 3,3 Metern prognostiziert, also beinahe die Höhe des „Jahrhunderthochwassers“ von 2016 (3,7 Meter). Um 15.24 Uhr warnte das Landesamt dann vor mehr als fünf Metern, um 20.36 Uhr vor fast sieben Metern – was später in etwa zutraf. Die Prognosen wurden im Internet veröffentlicht und in regelmäßigen Abständen per automatisierter E-Mail an den Landkreis geschickt, der für den Katastrophenschutz zuständig ist.
Dem Lagebericht des Landkreises zufolge übernahm um 17.40 Uhr der Brand- und Katastrophenschutzinspektor des Kreises Michael Zimmermann die Einsatzleitung. In dem Stab waren demnach Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Deutsches Rotes Kreuz, Polizei und Verwaltungsmitarbeiter des Kreises. Sie müssen theoretisch regelmäßig Schulungen zum Katastrophenschutz machen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe betreibt dafür eine Aus- und Weiterbildungsstätte, die Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung. Die liegt just in den Hügeln von Ahrweiler. Wann die Zuständigen im Landkreis ihre jüngste Stabsübung dort absolvierten, ist unklar. Der Kreis lässt eine entsprechende Anfrage unbeantwortet.
Antrag auf dauerhafte Dienstunfähigkeit
Zur Frage, warum der Einsatzstab nicht bereits am Nachmittag die höchste Warnstufe ausrief, heißt es von der Kreisverwaltung, das sei Gegenstand laufender Ermittlungen. Landrat Pföhler äußert sich nicht mehr öffentlich. Er war bald nach der Katastrophe krankgeschrieben, kürzlich stellte er einen Antrag auf dauerhafte Dienstunfähigkeit.
Vom Besuch des Innenministers in der Einsatzleitung veröffentlichte der Kreis ein Foto, von dem Lewentz vermutlich wünscht, es wäre nie entstanden. Es zeigt acht Männer, die nicht den Eindruck einer Notlage erwecken. Lewentz und Pföhler haben Jacken an, sind offenkundig auf dem Sprung.
Lewentz habe durch seinen Besuch in der Einsatzleitung „zum Ausdruck gebracht, dass das Land an der Seite der jeweiligen Kommunen steht, wenn Hilfe benötigt wird“, sagt eine Sprecherin des Innenministeriums. Aber was wusste Lewentz über die Situation zu dem Zeitpunkt? Eigenen Angaben nach war er zwischen 19.15 Uhr und 19.30 Uhr dort. Schon vier Stunden vorher hatte das Landesamt für Umwelt vor einem Pegel von mehr als fünf Metern gewarnt.
Die Frage, ob Lewentz die Zahlen vorlagen, beantwortet eine Sprecherin nicht. Anzunehmen ist es nicht. Denn Lewentz sagte später, er habe einen „ruhig und konzentriert arbeitenden Krisenstab“ erlebt. „Man sagte mir, dass alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen worden sind.“ Er habe sich dann „zurückgezogen, um erreichbar zu bleiben“. Denn zu diesem Zeitpunkt hätten auch weitere Landkreise im Fokus gestanden. Ob Lewentz danach mit Verantwortlichen im Kreis Kontakt hatte und wann ihm bewusst wurde, dass die Lage im Ahrtal katastrophal war, beantwortet sein Ministerium nicht.
Gerüchte, die sich als falsch erweisen
Wie lange Pföhler in der Einsatzleitung war, ist unklar. Vermutlich ging er mit Lewentz. Gegenüber der Staatsanwaltschaft hatte Pföhler angegeben, an dem Abend „überwiegend“ nicht in der Verwaltung gewesen zu sein. Die Leitung des Stabs hatte er delegiert, offenbar schon seit Jahren. Vorübergehend sei das zulässig, sagt dazu Frank Roselieb, Direktor des Kieler Instituts für Krisenforschung. Dauerhaft trage der Landrat aber weiter die Gesamtverantwortung.
Im Ahrtal geht das Gerücht um, Lewentz und Pföhler seien danach in ein Restaurant in Walporzheim gegangen. Lewentz dementiert das auf Nachfrage. Er sei im Anschluss nach Hause gefahren, in sein „privates Büro“. Der Besitzer des Restaurants lässt ebenfalls ausrichten, Lewentz sei nicht da gewesen. Eine Mitarbeiterin des Restaurants bestätigt dies. Das Gerücht ist also falsch. Doch zeigt es, welches Misstrauen es gegen die Behördenvertreter gibt. Und welches Vakuum die Landesregierung durch ihr Nichterklären des eigenen Handelns entstehen ließ. Auf Anfragen zur Flutnacht wird nur stark verzögert reagiert, vieles bleibt unbeantwortet.
Im Laufe jenes Abends wurde der Katastrophenfall im Landkreis Vulkaneifel, im Kreis Bitburg-Prüm und im Kreis Trier-Saarburg ausgerufen, obwohl dort die Lage weit weniger verheerend war. Im Kreis Ahrweiler folgte der Schritt erst, als es längst zu spät war. Bekam das die Landesregierung nicht mit? Auch diese Frage lässt das Ministerium unbeantwortet.
Gefährliche „Erleichertung“ im Krisenstab
Lewentz sprach später von einer „Momentexplosion“ des Wassers, Ministerpräsidentin Malu Dreyer sagte, das Ausmaß der Flut sei schlicht nicht absehbar gewesen. Doch die Warnungen des eigenen Landesamts kamen rechtzeitig. Es hätte Zeit gegeben, die Bevölkerung zu warnen.
Pföhler hatte gegenüber der Rhein-Zeitung als Erklärung von einem „Schlüsselmoment“ gesprochen, als um 18.24 Uhr das Landesamt für Umwelt seinen prognostizierten Pegelstand zwischenzeitlich von mehr als fünf Metern auf vier Meter reduzierte. Demnach hatte sich in der Einsatzleitung „Erleichterung“ breitgemacht. Lewentz’ Besuch fiel in diese Zeit. Womöglich ist das ein Teil der Erklärung. Lewentz sagte kürzlich, das Ausrufen eines Katastrophenfalls sei während seiner Anwesenheit „kein Thema“ gewesen.
Wenn Lewentz wie Pföhler den Stab zu einem Zeitpunkt verlassen hätte, als die prognostizierten Pegelstände gesunken seien, könnte das als „Entwarnung“ verstanden worden sein, sagt dazu Andreas Karsten. Er war zehn Jahre als Referatsleiter für die Ausbildung von Katastrophenschutzstäben an der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (die damals noch einen anderen Titel trug) tätig und arbeitet nun als Krisenberater. „Die Leute stehen unter Stress. Dann gehen zwei hochrangige Männer raus. Das signalisiert, die Krise ist vorbei.“
Eine Pressemitteilung mit falschem Informationsstand
Für die Arbeit eines Stabs sei es immer schlecht, wenn jemand von außen dazukomme, noch dazu jemand derart Ranghohes wie Lewentz, sagt Karsten. Das fresse Zeit und Aufmerksamkeit. Lewentz könne als nur indirekt Vorsitzender keine Befehle erteilen. Aber hätte er festgestellt, dass etwas nicht funktionierte, hätte er eingreifen müssen. „Er hat sich offensichtlich nicht erklären lassen, wie die Prognosen sind, sonst hätte er reagieren müssen.“
Fragen richten sich auch an Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne), der das Landesamt für Umwelt untersteht. Noch um 16.43 Uhr am 14. Juli verschickte ihr Ministerium eine Pressemitteilung, Titel: „Klimaschutzministerium informiert über Hochwasserlage“. Darin teilt Spiegel mit, es drohe „kein Extremhochwasser“. Sabine Riewenherm, Präsidentin des Landesamts für Umwelt, wird zitiert: Man behalte die Lage „im Blick“. Dabei hatte ihr eigenes Haus mehr als eine Stunde vorher vor einem horrenden Pegelstand von mehr als fünf Metern gewarnt. Lagen ihr die eigenen Daten nicht vor? Ein Sprecher teilt mit, die Präsidentin sei „kontinuierlich über die Entwicklung informiert“ worden.
Zu der E-Mail sagt eine Sprecherin des Umweltministeriums, die Aussage, es drohe kein Extremhochwasser, habe sich auf Rhein und Mosel bezogen. Umweltministerin Spiegel sei „am Nachmittag“ über die Lage im Norden des Landes durch den Innenstaatssekretär Randolf Stich informiert worden. „Am frühen Abend“ habe Spiegel eine E-Mail mit dem prognostiziertem neuen Höchststand am Pegel Altenahr von ihrem Staatssekretär Erwin Manz erhalten. „Im Laufe des Abends“ sei Spiegel mit Manz „über die unübersichtliche Lage an der Ahr und in der Eifel im Austausch“ gewesen. Spiegel wusste also Bescheid. Warum schlug sie nicht Alarm? Vom Umweltministerium heißt es, die Konsequenzen aus den Warnungen vor Hochwasser würden „vor Ort vom Katastrophenschutz gezogen“. Doch hätte Spiegel nicht auf einen Krisenstab der Landesregierung dringen müssen? Ein solcher wurde erst am 15. Juli aktiviert.
Die Aufsichtsbehörde hätte die Leitung an sich ziehen können
Am 14. Juli wurde nur eine Koordinierungsstelle bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion des Landes (ADD) aktiviert. Um elf Uhr morgens bot die ADD nach Angaben des Innenministeriums den Kreisen ihre Unterstützung an. Bei der Behörde handelt es sich um eine Art Kommunalaufsicht, sie unterstützt bei Bedarf die Kommunen. Was das aber genau bedeutete in jener Nacht, bleibt unklar. Die Frage, ob der ADD die Pegelstandswarnungen des Landesumweltamts vorlagen und ob die ADD Kontakt mit den Verantwortlichen im Landkreis hatte, beantwortet das Innenministerium nicht.
Die ADD hätte im schlimmsten Fall die Sache an sich reißen können, sagt dazu die Mainzer Verwaltungsrechtsprofessorin Elke Gurlit. Wenn der Landkreis etwa einer Aufforderung zur Evakuierung nicht nachkomme, könne das die Aufsichtsbehörde selbst veranlassen. Im Katastrophenschutzgesetz heißt es, die Aufsichtsbehörde kann „bei dringendem öffentlichen Interesse die Einsatzleitung übernehmen“. Lewentz sagte dazu kürzlich: „Nachts in unbekanntem Terrain können Sie nicht ad hoc irgendwo irgendeine Lage übernehmen.“
Der Innenminister habe der Ministerpräsidentin nach dem Besuch in der technischen Einsatzleitung berichtet, „dass er in Ahrweiler einen ruhig und konzentriert arbeitenden Krisenstab vorgefunden habe“, teilt ein Sprecher der Staatskanzlei auf Nachfrage mit. Es erstaunt, dass der Innenminister derartige Details mitteilt, wenn scheinbar alles ruhig ist. Doch zeigt es vor allem: Dreyer stellt sich in dem Fall bedingungslos hinter Lewentz.
„Natürlich hätten mehr Leute gerettet werden können“
Dass die Landesregierung bislang vergleichsweise glimpflich davonkam, liege auch an dem vielen versprochenen Geld, sagen böse Zungen im Tal. Von den Hilfen, auf die Bund und Länder sich geeinigt haben, sollen fast 15 Milliarden ins Ahrtal fließen. Wer ein Wohnhaus besaß, erhält bis zu 80, in Ausnahmefällen auch 100 Prozent der Kosten für den Wiederaufbau – nach heutigen Standards. Auch die Kays hoffen darauf, ihr Haus musste abgerissen werden. Trotzdem werden die Rufe nach Aufklärung lauter.
Pföhler sei ein „Bauernopfer“, sagt eine Frau, die in Ahrweiler am Wasser steht. Hier am westlichen Ortsrand leben die Besserverdienenden. Zu normalen Zeiten ist die Gegend idyllisch: Vorne schlängelt sich die Ahr durch das Tal, gleich dahinter beginnt ein Weg durch Weinberge, oben thront das Kloster Calvarienberg. Auch das Haus des Landrats befindet sich hier. Es ist von der Flut schwer getroffen und derzeit unbewohnt. Im Haus schräg gegenüber sei eine behinderte Frau ertrunken, erzählt die Spaziergängerin und beginnt unvermittelt zu weinen. „Natürlich hätten mehr Leute gerettet werden können, hätte es Warnungen gegeben“, sagt sie.
Warnte Pföhler im nahen Umfeld?
Die Brücke vor dem Haus des Landrats über die Ahr gibt es nicht mehr. An der Brücke sei Pföhler am 14. Juli gegen 21.30 Uhr gewesen, gegen 22.20 Uhr habe er dann plötzlich in ihrem Wohnzimmer gestanden, sagt eine andere Frau aus der Nachbarschaft. „Du musst das Haus evakuieren“, habe Pföhler ihr gesagt. Offenbar hat der Landrat also seine Nächsten und sein direktes Umfeld gewarnt, lange bevor die eigentliche Evakuierung ausgerufen wurde. Gegen Mitternacht sei dann mit einem lauten Knall die Brücke weggeflogen, auch alle Bäume seien weggespült worden, sagt die Frau. „Wie bei ,Jurassic Park‘.“
Allein in Bad Neuenahr-Ahrweiler starben in jener Nacht 67 Personen. Und selbst für Orte weiter unten am Fluss, wo die Wassermassen deutlich später ankamen, kam für einige alles zu spät. Sinzig etwa erreichte die Flutwelle erst nach Mitternacht, da waren Orte oben an den Zuflüssen der Ahr schon seit mehr als sechs Stunden abgesoffen. Trotzdem ertranken in Sinzig im „Lebenshilfehaus“, einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung, zwölf Bewohner. Ein Mitarbeiter der Einrichtung rettete Menschen, doch die Rettung der Eingeschlossenen gelang ihm nicht. Hätte es Warnungen gegeben, wäre das Haus evakuiert worden, teilt eine Mitarbeiterin des Verbands dazu mit.
Quelle: F.A.Z.