Progressiver hat geschrieben:(24 Jul 2021, 15:11)
Vorab: Von Kant ist der Wahlspruch überliefert: "Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen." Jeder ist also selbst dafür verantwortlich, wenn er sich zum Denksklaven missbrauchen lässt. Und genau dies kommt mir hier so vor, wenn ich Leute sehe, die die Reichen in Schutz nehmen.
Dabei hat doch gerade der deutsche Geldadel eine besonders schmutzige und problematische Vergangenheit. Die meisten unserer heutigen deutschen Konzerne gab es schon zu Zeiten der Nazis. Und diese haben selbstverständlich kräftig Kohle gemacht mit der Ausbeutung von Zwangsarbeitern und KZ-Insassen. Konsequenzen gab es aber nach dem Zweiten Weltkrieg kaum. Die Konzerninhaber wurden weder enteignet noch zur Zwangsarbeit nach Russland geschickt. Es waren also im Gegenteil die Opfer, die oftmals keine Entschädigung erhalten haben für das an ihnen verübte Unrecht. Während die reichen Konzerninhaber sich nach dem Zweiten Weltkrieg alle "weiß waschen" konnten, mussten ihre Opfer oftmals mit ihrem Leben oder mit ihrer Gesundheit bezahlen.
Dafür mussten aber unschuldige Deutsche bluten. Meine Familie stammt aus dem heutigen Rumänien. Bei uns hat nie jemand die Nazis gewählt. Aber als die Wehrmacht den Russlandfeldzug angefangen hatte, hat sie alle Angehörigen der deutschsprachigen Minderheiten eingezogen. Manche machten das freiwillig mit. Viele aber wurden zwangseingezogen. Viele durften für ein Regime sterben, das sie nicht gewählt hatten. Im Gegensatz zu den Reichsdeutschen. Was war die Konsequenz? Als der Zweite Weltkrieg verloren war, wurden in Rumänien zuerst die Bauern enteignet. Und die deutschen jungen Frauen und Männer durften zur Zwangsarbeit in die heutige Ostukraine, um dort Kohle zu schippen. Meine Oma väterlicherseits und ihre Schwester hatten das mehr oder weniger traumatisiert überlebt. Aber auch dort gab es Tote. Meine Oma mütterlicherseits wiederum hatte gerade mal die Chance, die Grundschule abzuschließen, da sie vor lauter Armut gucken musste, wie sie etwas zu beißen bekam. Ich war folglich der erste in unserer Familie, der sein Abitur machen und ein Studium anfangen konnte.
Während die Konzerninhaber und Kriegsgewinnler im Westen Deutschlands wieder rauschende Feste feierten, mussten die Deutschen in Südosteuropa für die Verbrechen der Nazis bluten. In Rumänien wurden die Deutschen "nur" unterdrückt und später verkauft. Ganz anders war es dagegen in Jugoslawien. Da die Wehrmacht dort oftmals die Bevölkerung massakriert hatte, wurden im Gegenzug auch die meisten Deutschen massakriert und/oder vertrieben.
Was ich damit sagen will, ist: Die reichen deutschen Konzernchefs von damals hatten nie größeren Schaden zu befürchten. Sie sind mit den Zwangsarbeitern reicher geworden. Und auch heute können sie ihren Wohlstand noch vermehren. Andere Deutsche dagegen, die nie etwas mit Hitler am Hut hatten, wurden gleich mehrfach bestraft. Zuerst hat die Wehrmacht die Männer zwangseingezogen und ins Verderben geschickt. Als dann die Russen kamen, wurden sie für ihr Deutschsein bestraft.
Und da jetzt vermutlich gleich jemand mit der Neidkeule kommt: Zumindest meine eigenen Vorfahren waren empfindsame Menschen. Im Gegensatz zu den völlig verrohten reichsdeutschen KZ-Wärtern und Konzernbesitzern wäre es ihnen nie in den Sinn gekommen, für ihre Ziele über Berge von Leichen zu gehen. "Profit over People" zählt auch heute noch in den deutschen Vorstandsetagen etwas. Diese kriminellen Unternehmen und ihre nicht minder kriminellen Besitzer wurden aber nie richtig belangt. Dafür durften dann aber unschuldige Deutsche stellvertretend für den westdeutschen Geldadel, der mit den Nazis stark verstrickt war, in der Sowjetunion Zwangsarbeit leisten.
Ich finde es also äußerst befremdlich, wenn hier 76 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch so getan wird, als ob die deutschen Konzernchefs alle Philanthropen wären, die schon immer nur das beste für die Menschen wollten. Dies ist nachweislich falsch. Und auch der Grund ihres wirtschaftlichen Erfolges hat damit zu tun, dass viele von ihnen auf Kosten von Zwangsarbeitern und KZ-Insassen seinerzeit kräftig Kohle gescheffelt hatten.
Ich kann das folglich nicht stehen lassen, wenn man die Reichen von damals und heute zu Heiligen erklären will. Aber der deutsche Untertanengeist scheint hierzulande vielerorts immer noch vorhanden zu sein. Aufweckversuche sind da vermutlich zwecklos, da sie nur alte Monster wieder zum Vorschein bringen würden. Viele Leute scheinen sich halt immer noch nach Führerfiguren zu sehnen. Und sei es, dass sie die Reichen von damals und heute hochleben lassen.