Der spirituelle Weg als Sackgasse?

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BlueMonday
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von BlueMonday »

Papaloooo hat geschrieben:(16 Apr 2021, 06:45)

Religiosität ist schlicht der Dogmatismus. Die Religion versteht sich als Vermittlerin zwischen dem niedrigen und höheren Selbst. Der direkte Kontakt, ohne den Vermittler sei Frevel.

Esoterik ist ein Konglomerat von allerlei irrsinnigen Vorstellungen, denen sich Menschen, denen der Halt fehlt, unterwerfen, oder zumindest daran orientieren.

Spiritualität ist die Reise nach innen, die letztlich nur mit der Abkehr von Regeln, die dafür von Außen vorgegeben wurden, gelingen kann.
Eso-terik bedeutet ja, sich nach innen zu richten. Einen "inner circle" zu bilden. Am Ende in eine völlige Privatsprachlichkeit (Idiosynkrasie) zu verfallen, also nicht mehr nach außen zu wirken und verstanden werden zu können oder zu wollen.
Die meisten Religiösen sind hingegen betont exoterisch, wollen nach außen wirken, missionieren, wachsen, sich verbreiten, Sprache und damit Einfluss entwickeln.

Wenn für dich Spiritualität "die Reise nach innen"(etwa durch meditative Introspektion) statt nach außen ist, dann wäre ja gerade diese Reise im Extrem esoterisch, denn niemand kann damit mehr etwas anfangen außer du selbst, weil sich jegliche Begrifflichkeit auflöst damit.
Eigentlich ist Spiritualität aber eine Bewegung("Reise"), eine bewusste Entwicklung über sich hinaus(Transzendenz), eine Brückenbildung nach außen, zum "Ganzen" oder zum "Urspung" usw., was freilich nur als Einbildung, Vorstellung, metaphysische Spekulation gelingen kann. Spiritualitität ist das Mittel der Religion, kurz gesagt. Oder Religion ist Ergebnis von erfolgreicher, zu breiten Mode gewordenen, exoterischer, expressiver Spiritualtität, also ein metaphysisches, etabliertes, kollektives Begriffssystem, das über die Privatvorstellung hinausgewachsen ist, eine "geistige Kirche".
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Papaloooo
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Papaloooo »

BlueMonday hat geschrieben:(16 Apr 2021, 15:50)
[Fullqoute]
Ja, letztlich ist vieles eine Definitionssache.
Oft kommt man aus der bloßen begrifflichen Sprachanalyse nicht zu dem,
was ein Begriff umgangssprachlich aussagt,
bzw. wie eine Sache gemeinhin verstanden (und ausgelebt) wird.

Ein Zweig der Esoterik ist ja z.B. auch die Homöopathie,
wenn Heilpraktiker sich z.B. um psychische Probleme mit Zuckerkügelchen annehmen,
welche sie zuvor ausgependelt haben, oder aus irgendwelchen Büchern entnommen haben.

Und ja, Spiritualität IST eine Idiosynkrasie.
Die Erfahrungen, die ein Individuum daraus zieht,
können so nicht vermittelt oder übertragen werden.
Es ist immer die eigene innere Bereitschaft,
sich nach innen zu kehren.
Es ist auch die Bereitschaft, Wertungen und Bewertungen des Geschehens völlig infrage zustellen.
Es ist die Bereitschaft, Dinge quasi als Außenstehender zu betrachten,
ohne sich zu fragen, was bedeutet das für mich,
ja selbst eine Sache, die gemeinhin eine schlimme psychische Verletzung nach sich zieht,
zu betrachten, indem man sich und dem anderen zuschaut,
ohne für den einen oder den anderen (sich selbst) Partei zu ergreifen.

Und ja, eben weil man das so nicht direkt weitergeben kann,
denn die Erfahrung MUSS ja sebstgemacht sein und von innen kommen,
und wird für andere auch schlecht nachzuvollziehen sein,
ist es die eigene "innere Sprache" wie du es schriebst.
Eine passende Bezeichnung.

Dennoch wirkt dies auf andere Menschen,
und kann zum Beispiel Menschen,
welche selbst durch tiefe Verletzungen gingen,
auf ihre Art beruhigen.

Es gibt solche Menschen,
welche durch ihre bloße Präsenz einen guten Einfluss zumindest auf die ausüben,
welche nicht völlig verbohrt sind.

Ich habe sowas selbst schon öfters erlebt,
und manches davon hat mich sogar langfristig,
ja dauerhaft positiv beeinflusst.
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Progressiver
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Progressiver »

Papaloooo hat geschrieben:(16 Apr 2021, 06:45)

Und ja, auch Spiritualität kann Menschen alltagsuntauglich machen.
Da gebe ich dir (Progressiver) durchaus recht.
Es ist wie so vieles abhängig davon wie man es handhabt (bzw. in diesem Fall einsetzt und praktiziert).
Es kann einen Menschen aber auch befreien von dem Getriebensein nach ständig höheren materiellen Zielen,
welche letztlich nie erreichbar sind, denn die Zielmarke wird man dann stets in der Ferne sehen.

Eine gesunde Einstellung in der Spiritualität ist:

- erwarte nichts, aber sei zu allem bereit.
- es ist gut so wie es ist, aber es muss nicht so bleiben, wie es ist.
Genau das ist ja auch der Grund dafür, dass ich hinter den Threadtitel ein Fragezeichen gesetzt habe.

Bei YouTube hat mal ein Gitarrenlehrer gesagt, dass selbst das Gitarre spielen etwas spirituelles bzw. meditatives haben kann. Da ich Unterricht bei einem Gitarrenlehrer nehme und mehr oder weniger regelmäßig übe, kann ich das eigentlich bestätigen. Wenn ich mir aber vorstelle, dass ich in stundenlangen Retreats meditieren müsste bis zum Umfallen, so wäre das absolut nichts für mich. Um mal bei mir selbst anzufangen: Das wichtigste im Leben ist meines Erachtens, dass man sich selbst so lieben und akzeptieren kann, wie man ist. Bei mir hat das Jahrzehnte gedauert, bis mir diese Einsicht kam und bis ich einigermaßen Frieden mit mir geschlossen hatte. Wer mit sich selbst im Krieg ist, der kann weder andere Menschen lieben noch sehen oder akzeptieren, dass er selbst geliebt wird. Wenn also jemand hunderte von Meditationssitzungen braucht, um zu dieser Einsicht zu kommen, dann ist das eben so. Es gibt aber auch sehr viele Leute da draußen, die unbewusst ihr ganzes Leben mit sich selbst im Krieg sind. Und solche Menschen lernen es nie, worauf es ankommt. Da kann dann eben auch lebenslange Dauermeditation wirken wie der Lauf des Hamsters im Laufrad.

Wenn man aber mal mit sich selbst Frieden geschlossen hat, dann wird man auch neugieriger auf andere Menschen. Jetzt ist zwar gerade Corona-Zeit. Und eigentlich sollten die Menschen ihre Kontakte einstellen. Zumindest, solange sie noch nicht beide Schutzimpfungen bekommen haben. Aber ein allzu einsiedlerisches Leben halte ich auf die Dauer für ziemlich freudlos. Wenn ein spiritueller Weg dahin führt, dass man der gesamten Gesellschaft den Rücken kehrt, um dann nur noch um sich selbst zu kreisen, dann verhindert man ja auch, dass man Freude und neue Freunde finden kann. Deswegen meine ich ja: In bestimmten Fällen kann der spirituelle Weg eine Sackgasse sein. Nur wenn man mit sich selbst beschäftigt ist, heißt das ja nicht, dass man davor geschützt ist, in eine Art "Problemtrance" zu fallen.

Eine Lektion, die ich schon in jüngeren Jahren gelernt habe, war: Man kann vor allen Leuten flüchten. Und meinetwegen um den ganzen Globus reisen. Aber sich selbst nimmt man immer mit. Man kann also noch so weit reisen und sich in zwischenmenschliche Beziehungen stürzen. Oder aber sich in extreme Abgeschiedenheit verabschieden. Wenn das Hauptproblem darin besteht, dass mit dem eigenen Charakter etwas nicht stimmt oder dass man mit sich selbst im Krieg ist, weil man sich nie gut genug ist, dann wird jeder Weg zur Hölle. Egal, ob es als Folge des Gefühls der Unzufriedenheit mit sich selbst zu Konflikten mit der zwischenmenschlichen Umwelt kommt. Oder aber, dass sich der entsprechende Mensch ganz in sich selbst zurückzieht, um sich dann selbst zu kasteien und zu bestrafen.

Natürlich kann es auch in materieller Hinsicht ein "Höher, schneller, weiter" geben, so dass man nie an irgendeinem Ziel angelangt. Bestimmte Arten von spirituellen Wegen, die einem Schuldkomplexe wegen einer eingebildeten Sündhaftigkeit, Askese, Selbstkasteiungen und -bestrafungen und ähnliche schlimme Dinge auferlegen, sind da aber meiner Meinung nach nicht besser.
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Papaloooo
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Papaloooo »

Progressiver hat geschrieben:(16 Apr 2021, 22:31)

[Fullquote]
Das spricht mir aus der Seele.
Geflüchtet aus der schwäbischen Provinz in die Großstadt Berlin für ein Jahr.
Geflüchtet von dort als selbsternannter Kulturflüchtling in einen kleinen Bauernhof im Grenzgebirge zwischen Italien und Frankreich für zwei Jahre.
Von dort dann mit einem 5-Jahre Visum nach Indien.

So war doch die wichtigste und wesentlichste Erkenntnis,
man kann niemals vor sich selbst fliehen.

Fasziniert war ich im Himalaja von manch einem Asketen,
der in seinem notdürftig zusammenzimmerten Hüttchen am Ganges
halbnackt aber mit Asche eingeschmiert solch eine tiefe Zufriedenheit ausgestrahlt hatte.
Versorgt werden die von den Pilgern, die mit ihrer Gabe an den spirituellen Erfolgen dieser Asketen teilzunehmen glauben.

Das hatte mich auf die Idee gebracht, doch dort mal in ein Hindu-Kloster zu gehen.
Strenger Tagesablauf, früh aufstehen, viel meditieren, Hatha-Yoga, Reinigungsüberungen etc. und Wanderungen durch die Berge, das alles für rund 50Cent am Tag. Also idealistisch geführt.

Das anfänglich ständige mentale ...ich könnte doch jetzt eigentlich... hatte alsbald aufgehört.
Meditieren muss ich längst nicht mehr,
es ist eher eine Grundhaltung fürs Leben geworden.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Antonius »

Papaloooo hat geschrieben:(17 Apr 2021, 07:19)
[...]
So war doch die wichtigste und wesentlichste Erkenntnis,
man kann niemals vor sich selbst fliehen.
Ja, sicherlich eine wichtige und wesentliche Erkenntnis. Das kann ich gut nachvollziehen.
Papaloooo hat geschrieben:(17 Apr 2021, 07:19)
[...]
Das anfänglich ständige mentale ...ich könnte doch jetzt eigentlich... hatte alsbald aufgehört.
Meditieren muss ich längst nicht mehr,
es ist eher eine Grundhaltung fürs Leben geworden.
Sehr gut. :)
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von BlueMonday »

Papaloooo hat geschrieben:(16 Apr 2021, 16:26)

Ja, letztlich ist vieles eine Definitionssache.
Oft kommt man aus der bloßen begrifflichen Sprachanalyse nicht zu dem,

Nicht vieles ist Definitionssache, sondern alles Sprachliche ist ausnahmlos von Definitionen abhängig. Sprechen als Sprachakt ist im Wesentlichen die nach außen gerichtete Suche nach gemeimsamen Defintionen also einem gemeinsamen Begriff der Welt.
Der Esoteriker will aber -wie gesagt- nach innen wirken, er will gar nicht verstanden werden, jedenfalls von keinem größeren allgemeinen Kreis. Homöopathie ist damit auch keine Esoterik.
Der Grundgedanke ist hier, "Gleiches mit Gleichem" oder Ähnlichem zu behandeln. Der ganze, heute mehr denn je verfolgte Impfansatz baut letztlich auf diesem Grundgedanken auf, also einen gleichen, aber stark abgeschwächten Erreger zu verabreichen.

Und auch wie gesagt: Spiritualität, also spirituell motivierte Handlungen sind nicht notwendig eine reine Privatsache und nach innen gerichtet, sondern im Gegenteil, es ist ein Massenphänomen, von Millionen, ja Milliarden Menschen praktiziert. Was meinst du, was momentan die Muslime mit ihrem "Ramadan" bezwecken? Das ist praktizierte Spiritualität. Und eine äußerst exoterische.

Sicher ist der wahrnehmende, sinnstiftende Ausgangspunkt immer man selbst. Die Differenz besteht in der Entwicklungsrichtung. Ob eine Spiritalität nach außen gerichtet ist und eine gemeinsame Sprache entwickelt, also zur Religion oder Kirche wird, oder auf der Ebene des esoterischen Zirkels verbleibt, der Blick sich also in einem engen Bogen wieder zurück zum Erfinder begibt.

Spiritualität ist letztlich die Überwindung des profanen Alltags, der alltäglichen Banalität, des alltäglichen Flachwitzes oder der "Tagespolitik", ein darüberhinaus Reichen und Blicken..., die Suche nach Größerem, Erhabenerem.
So wie man bei einer "begrifflichen Analyse" darüber hinausreicht, was etwa "Esoterik" eigentlich bedeutet. Man spricht eben nicht alltäglich gedankenlos dahin, sondern ergründend, mit Geist.
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Negator
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Negator »

Geistige Überlegungen sind in einer ungeistigen Welt eigentlich etwas Positives.
Geist-liche Überlegungen würden bedeuten, dass man sich mit religiösen Themen beschäftigen will, was nicht für jeden etwas ist.

Dass es zu Manipulationen kommen kann, ist auch klar, wenn sich jemand als geistiger/geistlicher Lehrer aufspielen will, um andere emotional zu manipulieren.
Im Rahmen dessen, was man als Esoterik bezeichnet, gibt es sicher auch viele Irrationalismen.
Maat & Mate :thumbup:
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