Der spirituelle Weg als Sackgasse?

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Progressiver
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Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Progressiver »

Gestern Abend hatte ich auf arte.tv eine Dokumentation gesehen. Sie hieß "Was uns heilig ist".

Quelle: siehe hier:

https://www.arte.tv/de/videos/098380-00 ... eilig-ist/

Aus der Inhaltsbeschreibung:
Ob in der Natur, in der Meditation oder bei einem religiösen Ritual – überall auf der Welt suchen Menschen nach dem Sinn des Lebens. Ihre spirituellen Erfahrungen nehmen – je nach Kulturkreis – sehr unterschiedliche Formen an. Frédéric Lenoir reiste rund um die Welt, um Menschen zu ihrem persönlichen Umgang mit dem zu befragen, "was uns heilig ist".
Lance Sullivan ist Schamane und Wunderheiler im australischen Queensland, Meister Hoshino praktiziert in Japan die Shugendo-Religion und Lina Barrios ist spirituelle Führerin bei den Maya in Guatemala. Alle drei stehen in ständigem Kontakt mit einer lebendigen Natur, die sie bewundern und ehren, weil sie unzählige Geheimnisse birgt.
Andere suchen das Heilige in höheren Sphären: Bhagwan Puri hat sich im indischen Varanasi einem streng asketischen Leben verschrieben, die jainistischen Nonnen Priyanca und Frooty aus Palitana wollen ihre Seelen erlösen und das Nirwana erreichen, der orthodoxe Mönch Abba Tesfay lebt abgeschieden in den äthiopischen Gheralta-Bergen, Rabia Hassan und die muslimischen Pilger ehren den Heiligen Sheikh Hussein mit einer Pilgerreise durch Äthiopien und in der Türkei tritt der Derwisch Omer Kilic durch unaufhörliches Wirbeln um sich selbst in Kontakt mit Gott.
Andere Menschen suchen die Weisheit in ihrem inneren Selbst: Die buddhistischen Mönche Palden und Thupten befreiten sich von allen materiellen Zwängen und führen ein abgeschiedenes Dasein in Mustang, Matthieu Ricard engagiert sich mit der Organisation Karuna-Shechen in Kathmandu für mehr Solidarität und Jon Kabat-Zinn aus New York und Nicole Bordeleau aus Québec lehren, wie Meditation heilen kann.
Frédéric Lenoir befragte auch Menschen, die in intensiven Naturerfahrungen ihren Weg finden: Guillaume Néry taucht über 100 Meter tief, Ludgimario und die neue Pilgergeneration legen im Einklang mit der Natur den Jakobsweg zurück und in Bern schöpft Forstingenieur Ernst Zürcher bei Waldspaziergängen neue Kraft und erklärt, warum der Kontakt zu Bäumen beruhigend und stimulierend zugleich wirkt.
Eng verbunden ist die Suche nach dem, was uns heilig ist, seit jeher mit der Betrachtung der Sterne. Was das bedeutet, erklärt der Astrophysiker Hubert Reeves im französischen Burgund.
Ich bringe die Inhaltsbeschreibung deswegen ganz, weil das Video nur noch bis zum 29.9.2021 in der Mediathek verfügbar sein wird.

Ich habe mir die Dokumentation mit Interesse angesehen. Mit dem Filmemacher kann man vielleicht die Faszination teilen, was die menschliche Fantasie als spirituelle Vorstellungen hervorgebracht hat. Auch wenn ich als Atheist einiges befremdlich finde. Was ich jedoch kritisch finde: Es ist zwar gut, wenn die Menschen wieder einen besseren Draht zu der Natur finden könnten. Aber fast alle dieser Protagonisten drehen sich mit ihren Problemen um sich selbst. Die Frau aus Indien zum Beispiel, die Nonne des Jainismus werden will, sagt sich von allem irdischen Besitz, aber auch von allen irdischen Freuden los, die das Leben zu bieten hat. Ebenso der christliche Eremit aus Äthiopien oder die buddhistischen Mönche im Himalaya. Andere meditieren fast bis zum Umfallen, um dann ihrer Meinung nach mehr Mitgefühl für ihre Umwelt zu bekommen. Geht das nicht auch ohne Meditieren oder das Praktizieren von Yoga? Wieso muss man erst so etwas machen, um empathisch für seine menschliche Umwelt zu sein? Und wo sind die Menschen, denen man gegenüber emphatisch sein könnte, wenn man die ganze Zeit nur still vor sich hin meditiert? Auch die Sufis aus der Türkei tanzen nur im Kreis um sich selbst herum, um ihrem Gott näher zu sein.

Wo aber ist die Lebensbejahung zu unserer Welt? Warum muss es immer weltabgewandte Askese sein? Warum praktizieren diese ganzen spirituellen Menschen alle einen eskapistischen Weg, der oft sogar zölibatär ist, wo doch Sexualität die stärkste Triebkraft des Lebens ist? Schneiden diese Leute sich nicht von dieser mächtigen Triebkraft ab, wenn sie sich stattdessen lieber selbst kasteien und alle möglichen Härten auferlegen? Der Film lässt also bei mir einiges an Fragen offen.

Zum Vergleich: Als Atheist weiß ich ebenfalls, dass ich der wichtigste Mensch in meinem Leben bin. Dies ist aber gar nicht egomanisch gemeint. Ich bin auch keineswegs narzistisch veranlagt. Meine bisherigen Lebenserfahrungen waren vor allem diese: Allen anderen Menschen kann man vielleicht irgendwie aus dem Wege gehen. Vor sich selbst flüchten ist dagegen zwecklos. Die eigenen Probleme und Macken nimmt man überallhin mit. Insofern ist es in einem zweiten Schritt auch besonders wichtig, mit sich selbst Frieden zu schließen. Das Christentum sagt ja zum Beispiel "Liebe deinen nächsten wie dich selbst." Falsch, sage ich da nur! Ich meine, dass man seinen Selbsthass nicht auf andere projizieren soll. Dadurch alleine wird die Welt schon besser. Aber damit nicht genug: Irgendwann im Leben kommt die Zeit, ab der man auch mit seinen eigenen Problemen mit sich selbst Frieden schließen sollte. Wer sich selbst nicht lieben kann, der ist auch unfähig, andere zu lieben. Oder aber Lob von anderen anzunehmen. So wird er immer unzufrieden mit sich selbst sein. Und sich selbst und allen anderen das Leben zur Hölle machen. Ich finde es, wie gesagt, wichtig, dass man lernt, sich selbst mit allen Schwächen und Stärken akzeptieren zu können. Wer dies schafft, der entwickelt auch in der Folge automatisch ein Interesse an anderen Menschen. Toxische Beziehungen verabscheue ich dagegen.

Diese ganzen spirituellen Menschen in der Dokumentation dagegen fliehen in der Regel sowohl vor sich selbst, wenn sie beispielsweise meinen, durch ihren Lebensweg ins Nirvana zu kommen. Und vor der menschlichen Gesellschaft flüchten sie auch. Selbst der Wanderer, der den Jakobsweg bewandert, ist meistens alleine mit sich selbst unterwegs. Vielleicht kann solch ein zeitweises Eremitendasein einen stärken. Aber der Mensch ist halt nun einmal -Corona hin oder her- ein soziales Wesen. Irgendwann sollte man dann doch wieder gucken, dass man neue zwischenmenschliche Beziehungen eingeht. Dies am besten mit Menschen, die ebenfalls nicht auf dem Kriegsfuss mit sich selbst sind, da die Beziehungen wiederum toxisch werden könnten.

Ich kann jedenfalls nichts hilfreiches finden, wie man durch diese spirituellen Praktiken ein gelingendes Leben in der Gesellschaft bekommen kann. Wer den spirituellen Weg geht, beraubt sich um die Möglichkeit, neue Freunde oder eine Beziehung zu finden. Positive Beziehungen sind jedoch das wichtigste, was ein Mensch haben kann. Ich finde folglich, dass der spirituelle Weg, den diese Protagonisten des Films gehen, in zwischenmenschlicher Hinsicht eine Sackgasse darstellt. Vielleicht gibt es hier spirituell eingestellte Menschen, die diesen Weg verteidigen wollen? Ich für meinen Teil will jedoch nicht vor der menschlichen Gesellschaft kapitulieren, flüchten oder ähnliches.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von lili »

Hallo,

ich denke dass es daran liegt, das sie die materielle Existenz überwinden wollen. Dazu gehört auch die Sexualität.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Misterfritz »

lili hat geschrieben:(04 Apr 2021, 15:55)

Hallo,

ich denke dass es daran liegt, das sie die materielle Existenz überwinden wollen. Dazu gehört auch die Sexualität.
Wenn sie die materielle Existenz überwinden wollen, dann geht das schneller mit entleiben :p
Das Salz in der Suppe des Lebens ist nicht Selbstdisziplin, sondern kontrollierte Unvernunft ;)
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von lili »

Misterfritz hat geschrieben:(04 Apr 2021, 17:56)

Wenn sie die materielle Existenz überwinden wollen, dann geht das schneller mit entleiben :p
Es kommt auf die Richtung an. In Advaita Vedanta wird das Leben als Maya = Illusion bezeichnet. Durch spirituelle Praktiken kommst du sozusagen in die Befreiung. Im Buddhismus wäre ja ein Suizid wieder ein egoistischer Akt. Sie wollen das Ego auflösen und ins Nirwana. Es gibt halt unterschiedliche Motive.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Progressiver »

lili hat geschrieben:(04 Apr 2021, 15:55)

Hallo,

ich denke dass es daran liegt, das sie die materielle Existenz überwinden wollen. Dazu gehört auch die Sexualität.
Und was, wenn es außerhalb der materiellen Existenz kein Leben gibt? Und nein: Ich will nicht als Idee weiterleben.

Zur Sexualität: Diese ist die Urkraft allen Lebens. Die meisten Lebensformen sind durch Sex entstanden. Wenn man sich also von dieser Urkraft abschneidet, dann erschafft man sich doch wirklich die eigene Hölle auf Erden. Auf jeden Fall wird das Leben doch ziemlich traurig, wenn man weder Sex hat noch Selbstbefriedigung. Oder man wird zu einer tickenden Zeitbombe, wenn man nicht gerade asexuell veranlagt ist. Aber das sind die wenigsten. Denn sonst wäre die Menschheit schon lange ausgestorben.

Das Ideal vieler Religionen, sich in sexueller Askese einzuüben, halte ich für total lebensfremd und nicht praktikabel.

Und das schreibe ich alles als jemand, der noch nie Sex mit einem anderen Menschen hatte. Und gerade deswegen verstehe ich diese Leute erst Recht nicht, die auf jegliche Form sexueller Betätigung -ob nun mit sich selbst oder mit anderen- verzichten wollen. Und schließlich geht es ja nicht nur um den Orgasmus, sondern auch um Berührungen allgemein. Wenn dies alles fehlt, dann leidet der Mensch. Da kann man ansonsten meditieren bis zum Umfallen oder heilige Texte rezitieren bis zum geht-nicht-mehr.

Oder um es anders auszudrücken: Mir selbst fehlt in meinem Leben auch der körperliche Aspekt der Liebe. Corona hin oder her. Und ich will das hier bei mir ändern. Wenn jetzt die Mönche, Nonnen, asketische Eremiten, aber auch sogar ansonsten westliche spirituell eingestellte Menschen freiwillig auf so etwas verzichten, so finde ich das ausgesprochen befremdlich. Es ist klar, dass die spirituellen Menschen von sich behaupten, dass sie dadurch sich selbst besser kennenlernen können. Aber ich behaupte, dass ohne gelebte Liebe auch die Seele langfristig Schaden nimmt.

Es ist für mich folglich kein Wunder, wenn diese spirituellen Menschen sich als seelisch vertrocknet empfinden und ihr Leben als Leiden, das es zu überwinden gilt. Aber sie gehen meines Erachtens den falschen Weg. Es kann ja sein, dass manche von denen schlechte Erfahrungen mit zwischenmenschlichen Beziehungen hatten. Aber sie schütten dann ja quasi das Kind mit dem Bade aus. Zumindest hier in Europa gibt es ja alle möglichen Beziehungsformen und individuellen Charaktere. Wenn man da folglich Pech in der Liebe hatte, dann muss das auf keinen Fall heißen, dass man beim nächsten Mal nicht doch ein glücklicheres Händchen hat. Und zu zweit kann man dann ja auch immer noch Bäume umarmen. Aber der Mensch ist eben ein soziales Wesen. Deswegen halte ich selbst den spirituellen Weg für eine Sackgasse. Aufgrund meiner Biographie will ich den exakt gegenteiligen Weg gehen, um glücklicher und zufriedener zu werden.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von lili »

Progressiver hat geschrieben:(04 Apr 2021, 23:38)

Und was, wenn es außerhalb der materiellen Existenz kein Leben gibt? Und nein: Ich will nicht als Idee weiterleben.

Zur Sexualität: Diese ist die Urkraft allen Lebens. Die meisten Lebensformen sind durch Sex entstanden. Wenn man sich also von dieser Urkraft abschneidet, dann erschafft man sich doch wirklich die eigene Hölle auf Erden. Auf jeden Fall wird das Leben doch ziemlich traurig, wenn man weder Sex hat noch Selbstbefriedigung. Oder man wird zu einer tickenden Zeitbombe, wenn man nicht gerade asexuell veranlagt ist. Aber das sind die wenigsten. Denn sonst wäre die Menschheit schon lange ausgestorben.

Das Ideal vieler Religionen, sich in sexueller Askese einzuüben, halte ich für total lebensfremd und nicht praktikabel.

Und das schreibe ich alles als jemand, der noch nie Sex mit einem anderen Menschen hatte. Und gerade deswegen verstehe ich diese Leute erst Recht nicht, die auf jegliche Form sexueller Betätigung -ob nun mit sich selbst oder mit anderen- verzichten wollen. Und schließlich geht es ja nicht nur um den Orgasmus, sondern auch um Berührungen allgemein. Wenn dies alles fehlt, dann leidet der Mensch. Da kann man ansonsten meditieren bis zum Umfallen oder heilige Texte rezitieren bis zum geht-nicht-mehr.

Oder um es anders auszudrücken: Mir selbst fehlt in meinem Leben auch der körperliche Aspekt der Liebe. Corona hin oder her. Und ich will das hier bei mir ändern. Wenn jetzt die Mönche, Nonnen, asketische Eremiten, aber auch sogar ansonsten westliche spirituell eingestellte Menschen freiwillig auf so etwas verzichten, so finde ich das ausgesprochen befremdlich. Es ist klar, dass die spirituellen Menschen von sich behaupten, dass sie dadurch sich selbst besser kennenlernen können. Aber ich behaupte, dass ohne gelebte Liebe auch die Seele langfristig Schaden nimmt.

Es ist für mich folglich kein Wunder, wenn diese spirituellen Menschen sich als seelisch vertrocknet empfinden und ihr Leben als Leiden, das es zu überwinden gilt. Aber sie gehen meines Erachtens den falschen Weg. Es kann ja sein, dass manche von denen schlechte Erfahrungen mit zwischenmenschlichen Beziehungen hatten. Aber sie schütten dann ja quasi das Kind mit dem Bade aus. Zumindest hier in Europa gibt es ja alle möglichen Beziehungsformen und individuellen Charaktere. Wenn man da folglich Pech in der Liebe hatte, dann muss das auf keinen Fall heißen, dass man beim nächsten Mal nicht doch ein glücklicheres Händchen hat. Und zu zweit kann man dann ja auch immer noch Bäume umarmen. Aber der Mensch ist eben ein soziales Wesen. Deswegen halte ich selbst den spirituellen Weg für eine Sackgasse. Aufgrund meiner Biographie will ich den exakt gegenteiligen Weg gehen, um glücklicher und zufriedener zu werden.
Ich denke die Sexualität wird als etwas schmutziges wahrgenommen. Sie wollen sich quasi vom materiellen Körper lösen.

Naja wenn die Advaita Vedanta Bewegung glaubt, das die Welt die Maya (Illusion) ist dann wollen sie sich ja aus dem weltlichen lösen. In anderen Religionen gibt ja das Karma. So nach dem Motto: Das Leben sei eine Strafe und man sollte kein weiteres Karma bekommen.
Maya ist die faszinierende, irreführende Täuschung, welche die tatsächliche, bedingte Natur mit ihrer verführerischen Mannigfaltigkeit als letztendliche Wirklichkeit erscheinen lässt. Maya ist ein Bewusstseinsphänomen, das Ergebnis einer mangelhaften Wahrnehmung.
https://vedanta-yoga.de/advaita-vedanta ... mysterium/



Dann ein Zitat von Kodo Sawaki (Zen-Meister)
Alles was wir tun ist umsonst. Alles was wir bekommen ist umsonst. Der Regen fällt umsonst. Die Sonne strahlt umsonst. Die Sonne schickt uns keine Rechnung für ihre "Solarenergie". Was ist schon dabei, dass wir nichts in den Tod mitnehmen können? Die Rechnung ist beglichen, fertig, aus! Was ist schon groß dabei, wenn du am Ende wie ein Köter am Straßenrand stirbst? Ich habe mein ganzes Leben mit der Absicht gelebt, wie ein Köter zu verrecken. Ich habe mein ganzes Leben an Zazen verschwendet. Alle versuchen dem Menschenleben noch etwas hinzuzufügen- darin liegt ihr Irrtum.
https://www.sasserlone.de/autor/70/kodo.sawaki/1/

Das hat jetzt wenig mit den gängigen Religionen zu tun. In jeglicher Form von Buddhismus geht es darum sich nicht an etwas anzuhaften. Im Zen ist es besonders extrem. Das klingt auch sehr nihilistisch.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Progressiver »

Alle Menschen sind durch Sex entstanden. Und wir sind nun mal materielle Wesen. Dies zu leugnen, kommt einer Lebensverneinung gleich. Es wundert mich nicht, dass diese spirituellen Menschen das Leben als eine Strafe ansehen. Wenn sie allerdings einsehen könnten, dass das Leben auch schöne Seiten haben kann und wir zweitens nur dieses eine Leben besitzen, dann würden sie vielleicht auch versuchen, es ganz im Sinne von Epikur zu genießen.

Im Übrigen gibt es auch das Tantra. Dort wird Sexualität nicht als schlecht dargestellt, sondern als spirituelle Praxis. Diese Tantriker sind aber, weltweit betrachtet, eine kleine Minderheit.

Der Zen-Buddhismus kommt wiederum in der Tat nihilistisch daher. Aber die anderen Menschen vergessen ja auch zumeist, dass jedes Leben als Drama endet. Aber anstatt sich ein Wunderland nach dem Tod herbeizuwünschen, wäre es meiner Ansicht nach besser, dafür zu sorgen, dass dieses Leben -welches das einzige ist, was wir haben- lebenswert ist. Ich für meinen Teil brauche keine Religion, um mitfühlend zu sein. Und um mich selbst zu kasteien in der trügerischen Hoffnung, dass nach dem Tod irgendetwas besseres wartet, darauf würde ich nicht wetten.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von lili »

Progressiver hat geschrieben:(09 Apr 2021, 14:20)

Alle Menschen sind durch Sex entstanden. Und wir sind nun mal materielle Wesen. Dies zu leugnen, kommt einer Lebensverneinung gleich. Es wundert mich nicht, dass diese spirituellen Menschen das Leben als eine Strafe ansehen. Wenn sie allerdings einsehen könnten, dass das Leben auch schöne Seiten haben kann und wir zweitens nur dieses eine Leben besitzen, dann würden sie vielleicht auch versuchen, es ganz im Sinne von Epikur zu genießen.

Im Übrigen gibt es auch das Tantra. Dort wird Sexualität nicht als schlecht dargestellt, sondern als spirituelle Praxis. Diese Tantriker sind aber, weltweit betrachtet, eine kleine Minderheit.

Der Zen-Buddhismus kommt wiederum in der Tat nihilistisch daher. Aber die anderen Menschen vergessen ja auch zumeist, dass jedes Leben als Drama endet. Aber anstatt sich ein Wunderland nach dem Tod herbeizuwünschen, wäre es meiner Ansicht nach besser, dafür zu sorgen, dass dieses Leben -welches das einzige ist, was wir haben- lebenswert ist. Ich für meinen Teil brauche keine Religion, um mitfühlend zu sein. Und um mich selbst zu kasteien in der trügerischen Hoffnung, dass nach dem Tod irgendetwas besseres wartet, darauf würde ich nicht wetten.
Es gibt viele spirituellen Lehren indem es dieses "Wunderland" gar nicht gibt. Das Leben wird als Täuschung betrachtet. Ich kann deren Sichtweise total verstehen.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von BlueMonday »

Progressiver hat geschrieben:(04 Apr 2021, 14:17)



Das Christentum sagt ja zum Beispiel "Liebe deinen nächsten wie dich selbst."
.
Nee, sondern liebe die Fernsten, deine Feinde, da beginnt das Christentum. Den Nächsten zu lieben ist nichts Besonderes.

Bei dir fällt mir immer wieder auf, dass du oft in ungeprüften Vorstellungen über andere lebst, hängst dich daran auf, wie andere scheinbar sind - statt einfach den Dingen nachzugehen, die du präferierst. Wenn du nichts mit Jakobswegspilgern oder Christen anfangen kannst, ja mei, dann ist das halt so. Du musst ja nicht mit ihnen zusammen gehen. Die Frage ist, was du positiv kreierst, setzt, behauptest, glaubst. Wenn man sich nur negativ definiert(A-theist), besteht die Gefahr, dass am Ende nichts Substanzielles übrig geblieben ist.

Im Grunde ist es ja eine Verunsicherung darüber, dass andere ihren Anker gefunden haben und man selbst nicht weiß, wie und wo man ankern will, weil man wie ein Blatt im Wand alles irgendwie versucht zu vermeiden, was keinen "progressiven" Anschein hat. Aber wohin fortschreiten, wenn man keinen Grund hat, auf den man sich stellen kann. Spiritualität ist eine entwickelte Bewusstheit für etwas, das größer ist als man selbst, mit dem man sich verbinden kann. Eine geistige Kirche bspw. Also nicht das physische Kirchengemäuer, sondern der Geist dahinter, der das Gemäuer immer wieder aufbaut.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von 3x schwarzer Kater »

Progressiver hat geschrieben:(04 Apr 2021, 14:17)


Diese ganzen spirituellen Menschen in der Dokumentation dagegen fliehen in der Regel sowohl vor sich selbst, wenn sie beispielsweise meinen, durch ihren Lebensweg ins Nirvana zu kommen. Und vor der menschlichen Gesellschaft flüchten sie auch. Selbst der Wanderer, der den Jakobsweg bewandert, ist meistens alleine mit sich selbst unterwegs. Vielleicht kann solch ein zeitweises Eremitendasein einen stärken. Aber der Mensch ist halt nun einmal -Corona hin oder her- ein soziales Wesen. Irgendwann sollte man dann doch wieder gucken, dass man neue zwischenmenschliche Beziehungen eingeht. Dies am besten mit Menschen, die ebenfalls nicht auf dem Kriegsfuss mit sich selbst sind, da die Beziehungen wiederum toxisch werden könnten.

Ich kann jedenfalls nichts hilfreiches finden, wie man durch diese spirituellen Praktiken ein gelingendes Leben in der Gesellschaft bekommen kann. Wer den spirituellen Weg geht, beraubt sich um die Möglichkeit, neue Freunde oder eine Beziehung zu finden. Positive Beziehungen sind jedoch das wichtigste, was ein Mensch haben kann. Ich finde folglich, dass der spirituelle Weg, den diese Protagonisten des Films gehen, in zwischenmenschlicher Hinsicht eine Sackgasse darstellt. Vielleicht gibt es hier spirituell eingestellte Menschen, die diesen Weg verteidigen wollen? Ich für meinen Teil will jedoch nicht vor der menschlichen Gesellschaft kapitulieren, flüchten oder ähnliches.
Das wesentliche Problem ist, dass du das gesehene mit deinen eigenen Wertmaßstäben bewertest, statt es einfach mal so stehen zu lassen, dass es Menschen gibt, die letztendlich ihre eigenen Werte haben und diese auch entsprechend leben. Dass das für dich falsch sein mag oder nicht der richtige Weg ist, ist ja in Ordnung, aber eine Antwort auf deine Frage wirst du so nicht finden.
„Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem.“ (Karl Valentin)
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Progressiver »

BlueMonday hat geschrieben:(09 Apr 2021, 15:17)

Nee, sondern liebe die Fernsten, deine Feinde, da beginnt das Christentum. Den Nächsten zu lieben ist nichts Besonderes.
Und gerade da irrt das Christentum gewaltig. Wie ich in meinem Eingangsposting schon schrieb: Liebe sollte zuallererst bei sich selbst anfangen. Oder wenigstens Selbstakzeptanz. Wenn diese nicht vorhanden ist, so wird aus einem "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" oder eben "Liebe deine Feinde" gleich ein "Hasse sie wie dich selbst". Deswegen meinte ich ja, dass jeder und jede zunächst anfangen sollte, ein positives Selbstbild von sich selbst aufzubauen. Also eine gesunde Eigenliebe anstatt Selbsthass, aber auch keine narzistische Selbstüberhöhung. Dies ist das, was ich bevorzuge. Da den Christen vor allem eingebläut wird, dass sie wegen der "Ursünde" fehlerhaft seien, fehlt ihnen diese gesunde Selbstliebe. Übrig bleiben Minderwertigkeits- und Schuldkomplexe. Und da sie sich nicht selbst lieben können, wirkt ihr pervertierter Liebesbegriff in der Praxis schlimmer als echter Hass. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wurde es als Akt der Liebe angesehen, wenn man Ketzer und sogenannte Hexen verbrannte, da man sie dadurch in christlicher Vorstellung davor bewahrte, noch mehr gegen den imaginierten christlichen Gott zu sündigen. Und, um es mal platt zu sagen: Selbst ein Hitler war fähig, sein Volk genauso stark zu lieben wie sich selbst. Und seine Feinde genau so. Da er sich selbst bis auf den Tod hasste und am Ende sogar Suizid beging, konnte sein letzter Befehl nur der Nero-Befehl sein. Er liebte sein Nazi-Volk so stark wie sich selbst. Also wollte er mit ihm gemeinsam untergehen.

Wer jedenfalls nicht mehr zwischen Liebe und Abneigung unterscheiden kann, der tut bald alles nur noch aus "Liebe". Oder aber er spaltet seine negativen Gefühle derart von sich ab, dass er sich selbst nicht mehr wieder erkennt. Dann hat das schon wieder etwas von "Dr. Jekyll und Mr. Hide".

Meine Botschaft ist aber das genaue Gegenteil. Wenn man sich selbst liebt, dann strahlt das in der Regel auch auf andere aus. Und solche Menschen, die mit sich selbst zufrieden sind und ja sagen können zu diesem Leben, haben in der Regel weder Lust auf Suizid noch darauf, andere Leute zu terrorisieren oder zu töten. Und das fängt ja auch schon in der Familie an. Welcher Mann, der ein gesundes Maß an Eigenliebe besitzt, hat es denn nötig, seine Frau, Freundin oder Kinder zu verprügeln? Solche Leute sind aber in unserer Gesellschaft nicht gerade selten.

Bei dir fällt mir immer wieder auf, dass du oft in ungeprüften Vorstellungen über andere lebst, hängst dich daran auf, wie andere scheinbar sind - statt einfach den Dingen nachzugehen, die du präferierst. Wenn du nichts mit Jakobswegspilgern oder Christen anfangen kannst, ja mei, dann ist das halt so. Du musst ja nicht mit ihnen zusammen gehen. Die Frage ist, was du positiv kreierst, setzt, behauptest, glaubst. Wenn man sich nur negativ definiert(A-theist), besteht die Gefahr, dass am Ende nichts Substanzielles übrig geblieben ist.
Doch. Natürlich bleibt etwas übrig. Anstatt sich in ein Wunderland hineinzufantasieren, das nach dem Tod kommen soll oder aber immer wieder nur Angst zu haben, negatives Karma anzusammeln und dadurch nie ins Nirvana zu kommen, bleibt übrig: 1. Ja zu sagen zu diesem Leben, egal wie dreckig es einem phasenweise gehen kann. 2. Eine gesunde Eigenliebe, die einen davor schützt, sich entweder selbst bewusst oder unbewusst zu schaden. Oder aber gegenüber anderen Leuten übergriffig zu werden. Gegenfrage: Wie viele Menschen machen sich selbst gesundheitlich kaputt und/oder aber terrorisieren ihre Mitmenschen auf die eine oder andere Art und Weise? Auch nicht gerade wenige, möchte ich feststellen.

Im Grunde ist es ja eine Verunsicherung darüber, dass andere ihren Anker gefunden haben und man selbst nicht weiß, wie und wo man ankern will, weil man wie ein Blatt im Wand alles irgendwie versucht zu vermeiden, was keinen "progressiven" Anschein hat. Aber wohin fortschreiten, wenn man keinen Grund hat, auf den man sich stellen kann. Spiritualität ist eine entwickelte Bewusstheit für etwas, das größer ist als man selbst, mit dem man sich verbinden kann. Eine geistige Kirche bspw. Also nicht das physische Kirchengemäuer, sondern der Geist dahinter, der das Gemäuer immer wieder aufbaut.
Du meinst, ich bin neidisch auf diese ganzen spirituellen Menschen? Nein. Ich bin ganz und gar im Diesseits verankert. Und mit diesem Realismus stehe ich fester im Leben als so mancher oder manche, die sich irgendetwas herbeiwünscht, das nach dem Ableben kommen kann. Die Devise sollte lauten: "Träume nicht dein Leben. Lebe deinen Traum." Und dass es Unsicherheiten und Ungewissheiten im Leben gibt, das stimmt durchaus. Aber ich finde, man sollte auch fähig sein, diese auszuhalten, anstatt sich gleich in irgendwelche geistige Kirchengemäuer zu flüchten, die sich nicht wissenschaftlich beweisen lassen. Und ja, ich stehe dazu: Religiöser Fundamentalismus ist mir völlig wesensfremd. Dies mag für manche furchtbar erscheinen. Ich dagegen bin entsetzt, auf was für Treibsand diese spirituellen Menschen ihre Gedankengebäude bauen. Mir ist es auch völlig egal, wenn man mich deswegen als fantasielos und langweilig beschimpft. Aber es ist dieses irdische Leben, das wir meistern müssen. Und hier auf diesem Planeten muss ein "Leben und leben lassen" möglich sein. Die meisten Religionen versuchen ja, ihre Sichtweise zu missionieren. Mir ist so etwas völlig fremd. Was hätte ich denn davon? Ich will mit Neugier durch die Welt gehen, anstatt mich auf vorgekaute Meinungen irgendwelcher religiöser Führer zu verlassen. Was bleibt, ist eine gewisse Unsicherheit. Dies ist aber immer noch besser wie wenn ein Glaubensfundamentalist sich nie traut, sein eigenes religiöses Gedankengebäude zu verlassen. Ich für meinen Teil stehe jedenfalls zu meinen Unsicherheiten. Dies verschafft mir im besten Fall eine geistige Flexibilität, mich umzustellen, wenn sich etwas anders darstellt. Wenn jedoch ein religiöser Fundamentalist Angst bekommt, dass sein Weltbild ins Wanken gerät, dann gibt es viel zu oft Mord und Totschlag. Und warum auch nicht? Er hat ja sein ganzes Glaubensfundament zu verlieren, wenn es bedroht wird. Dann fühlt er sich vielleicht total schutzlos und verloren. Er kann damit aber nicht umgehen.

Alles in allem versuche ich jedenfalls, das beste aus diesem Leben zu machen. Und mein Entsetzen darüber, wie andere ihr Leben wegschmeißen, kann ich nicht verheimlichen. Sei es, dass sie Suizid begehen. Sei es, dass sie sich irgendwelchen Religionen oder Psycho-Sekten anschließen, die ihnen einerseits zwar den Himmel auf Erden versprechen, aber andererseits im Hier und Jetzt mit ihren lebensfeindlichen Einstellungen das Diesseits zur Hölle machen. Mein zivilisiertes Entsetzen ist jedenfalls weniger tödlich als die Gesetze und Taten von religiösen Gruppen und Staaten, die bei blasphemischen Inhalten von Aussagen gleich Zeter und Mordio schreien. Oder aber gleich ganz zum Lynchmob mutieren.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Progressiver »

lili hat geschrieben:(09 Apr 2021, 14:52)

Es gibt viele spirituellen Lehren indem es dieses "Wunderland" gar nicht gibt. Das Leben wird als Täuschung betrachtet. Ich kann deren Sichtweise total verstehen.
Und wie soll das vonstatten gehen? Leben wir alle Platons Höhlengleichnis nach? Oder aber wir leben gleich ganz in der Matrix?
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von lili »

Progressiver hat geschrieben:(09 Apr 2021, 20:37)

Und wie soll das vonstatten gehen? Leben wir alle Platons Höhlengleichnis nach? Oder aber wir leben gleich ganz in der Matrix?
Sozusagen und man will sich von der Matrix befreien.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Antonius »

lili hat geschrieben:(09 Apr 2021, 20:41)
Sozusagen und man will sich von der Matrix befreien.
Das denke ich nicht.
Die Wirklichkeit geht weit über die Bestimmung der Matrix hinaus. :cool:
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von lili »

Antonius hat geschrieben:(10 Apr 2021, 13:15)

Das denke ich nicht.
Die Wirklichkeit geht weit über die Bestimmung der Matrix hinaus. :cool:
Natürlich. Dennoch denke ich, dass die Matrix wie die Maya eine Täuschung ist.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Papaloooo »

lili hat geschrieben:(04 Apr 2021, 18:09)

Es kommt auf die Richtung an. In Advaita Vedanta wird das Leben als Maya = Illusion bezeichnet. Durch spirituelle Praktiken kommst du sozusagen in die Befreiung. Im Buddhismus wäre ja ein Suizid wieder ein egoistischer Akt. Sie wollen das Ego auflösen und ins Nirwana. Es gibt halt unterschiedliche Motive.
Nein, die Advaita Vedanta entspringt nicht dem Buddhismus,
sie ist Bestandteil des Hinduismus.
Maya ist m.E. nicht das Leben selbst.
Maya ist, das allumfassende Eine, dem man selbst ja auch angehört,
als etwas Vieles, und im Bewusstsein getrennt voneinander bestehendes zu begreifen.

Außerhalb der Advaita Vedanta findet man dieses Gedankengut u.a. bei Schopenhauer,
und bei Erwin Schrödinger.

Ich möchte hier auch anmerken,
dass der Hinduismus die Sexualtätsfeindlichkeit, welche dem Christentum zu eigen ist,
nicht verkörpert.

Man sieht in den Tempeln oftmals Shiva im Geschlechtsakt mit Parvati.
Über die historischen Devadasis, also die Tempelpriesterinnen, welche den Pilgern den Geschlechtakt anboten,
kann man natürlich geteilter Meinung sein.
Denn ob diese das alles wirklich freiwillig machten,
und als spirituelle Erfüllung ansahen, ist fraglich.

Unter indischen Männern sieht man gelegentlich die Hijras,
das sind Eunuchen, oder Transsexuelle.
Diese werden dort als Segensbringend verehrt,
zugleich sind sie aber auch aus der Gesellschaft ausgestoßen.

Kurzum wie vieles in Indien ist die Sache Sexualität eine sehr kontroverse Sache.

Was aber auffällt ist,
dass diesen Menschen dort unser "Selbstverwirklichungswahn" fehlt.
Man lebt nicht nach den Motto "Man lebt nur einmal".
Was man nicht erreicht hat, wird dann eben in einem anderen Leben erzielt.
Das hat etwas Heilsames.

Und nein, ich finde nicht, dass für Spiritualität zwingend Entsagung und Meditation erforderlich ist,
es ist vielmehr eine Lebenseinstellung.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von lili »

Papaloooo hat geschrieben:(10 Apr 2021, 16:20)

Nein, die Advaita Vedanta entspringt nicht dem Buddhismus,
sie ist Bestandteil des Hinduismus.
Maya ist m.E. nicht das Leben selbst.
Maya ist, das allumfassende Eine, dem man selbst ja auch angehört,
als etwas Vieles, und im Bewusstsein getrennt voneinander bestehendes zu begreifen.

Außerhalb der Advaita Vedanta findet man dieses Gedankengut u.a. bei Schopenhauer,
und bei Erwin Schrödinger.

Ich möchte hier auch anmerken,
dass der Hinduismus die Sexualtätsfeindlichkeit, welche dem Christentum zu eigen ist,
nicht verkörpert.

Man sieht in den Tempeln oftmals Shiva im Geschlechtsakt mit Parvati.
Über die historischen Devadasis, also die Tempelpriesterinnen, welche den Pilgern den Geschlechtakt anboten,
kann man natürlich geteilter Meinung sein.
Denn ob diese das alles wirklich freiwillig machten,
und als spirituelle Erfüllung ansahen, ist fraglich.

Unter indischen Männern sieht man gelegentlich die Hijras,
das sind Eunuchen, oder Transsexuelle.
Diese werden dort als Segensbringend verehrt,
zugleich sind sie aber auch aus der Gesellschaft ausgestoßen.

Kurzum wie vieles in Indien ist die Sache Sexualität eine sehr kontroverse Sache.

Was aber auffällt ist,
dass diesen Menschen dort unser "Selbstverwirklichungswahn" fehlt.
Man lebt nicht nach den Motto "Man lebt nur einmal".
Was man nicht erreicht hat, wird dann eben in einem anderen Leben erzielt.
Das hat etwas Heilsames.

Und nein, ich finde nicht, dass für Spiritualität zwingend Entsagung und Meditation erforderlich ist,
es ist vielmehr eine Lebenseinstellung.

Ich habe nicht geschrieben das Advaita Vedanta mit Buddhismus zu tun hat. Sie haben eher gegensätzliche Vorstellungen. Diesen Selbstwirklichkeitswahn finde ich eher hinderlich und auch ziemlich narzisstisch. Dadurch kommt diese Anhaftung ans Leben. Das finde ich nicht so fördernd. Muss sie auch nicht, dass kann jeder selber entscheiden.

PS: Ich habe die zwei Sachen erwähnt, deswegen kam es wahrscheinlich so rüber.
Zuletzt geändert von lili am So 11. Apr 2021, 09:18, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Papaloooo »

Es stellt sich zunächst die Frage:
Was ist eine "Sackgasse des Lebens"?

Das irdische Leben endet ja für alle mit dem Tod.
Und dann ist es natürlich eine sehr individuelle Frage,
womit man sein Leben bereichert.

Das Schöne am Leben ist, dass es an sich vollkommen sinnlos ist.
Denn dadurch, dass es sinnlos ist,
obliegt es jedem Menschen selbst,
seinem Leben einen Sinn eigener Wahl zu geben.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Progressiver »

Natürlich ist das Leben an sich eine sinnlose Angelegenheit. Und es endet unweigerlich mit dem Tod.

Dennoch sehe ich so etwas wie Sackgassen im spirituellen Leben. Wenn man sein Leben bereichern würde, dann hätte ich nichts dagegen einzuwenden. Dies meine ich nicht im weltlichen und materiellen Sinne eines "Bereichert euch!". Man sollte allerdings meiner Ansicht nach versuchen, das beste aus dem Leben zu machen. Nicht quantitativ, sondern qualitativ. Wer sich selbst kasteit bis zum Geht-Nicht-Mehr, der macht sich selbst dieses irdische Leben zur Hölle. Ebenso, wenn man die ganzen selbstzerstörerischen Schuldkomplexe verinnerlicht, die bestimmte Religionen wie insbesondere das Christentum oder der Islam anbieten. Aber auch, wer meint, negatives Karma verhindern zu müssen, beraubt sich seiner Möglichkeiten. Und letztendlich halte ich es für emotional schädigend, wenn man als gewöhnlicher Mensch ausschließlich die Einsamkeit sucht. Und letztendlich ist das auch gesundheitsschädigend.

Letztendlich halte ich jedenfalls auch die Sexualfeindlichkeit für eine Sackgasse. Dies meine ich nicht im biologistischen Sinne, so dass nur ein kinderreicher Mensch den absolut besten Weg finden könne. Und indem er oder sie mit der eigenen naturgegebenen Sexualität hadert oder sogar verbieten will, dass Mitglieder des eigenen Vereins sie ausüben oder irgendetwas mit NoFap versucht durchzuhalten, handelt diese Person jedenfalls entgegen seiner ursprünglichem Natur. Dies steht jedenfalls einem natürlichen Zugang zu einem glücklichen Leben im Wege.

Auf diese Weise bereichert man sein Leben nicht, sondern lässt es mit Askese, Schuldkomplexen, möglicherweise einem Schweigegelübde, Emotion- und Sexualfeindlichkeit verarmen und verkümmern.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Papaloooo »

Ich würde mal grundsätzlich unterscheiden zwischen:
1.) Religiosität
2.) Esoterik
3.) Spiritualität

Meine Definitionen (kurz und knapp, aber dadurch natürlich auch zu kurz gegriffen):
Und in der Praxis wird sich auch manches davon vermischen.

Religiosität ist schlicht der Dogmatismus. Die Religion versteht sich als Vermittlerin zwischen dem niedrigen und höheren Selbst. Der direkte Kontakt, ohne den Vermittler sei Frevel.

Esoterik ist ein Konglomerat von allerlei irrsinnigen Vorstellungen, denen sich Menschen, denen der Halt fehlt, unterwerfen, oder zumindest daran orientieren.

Spiritualität ist die Reise nach innen, die letztlich nur mit der Abkehr von Regeln, die dafür von Außen vorgegeben wurden, gelingen kann.

Die Esoteriker finden wir derzeit bis zum Übergeben in Corona-Verschwörer-Foren und leider auch außerhalb derer.
Mit denen braucht man diesbezüglich nicht zu reden, die haben diesbezüglich den Verstand längst abgelegt.

Was die Religion betrifft:
- der Dienst am Mitmenschen ist wichtiger als der Gottesdienst, denn Gott brauch deinen Dienst nicht.

Da es hier in diesem Thread aber um Spiritualität geht,
würde ich also Religiosität und Esoterik weglassen.

Und ja, auch Spiritualität kann Menschen alltagsuntauglich machen.
Da gebe ich dir (Progressiver) durchaus recht.
Es ist wie so vieles abhängig davon wie man es handhabt (bzw. in diesem Fall einsetzt und praktiziert).
Es kann einen Menschen aber auch befreien von dem Getriebensein nach ständig höheren materiellen Zielen,
welche letztlich nie erreichbar sind, denn die Zielmarke wird man dann stets in der Ferne sehen.

Eine gesunde Einstellung in der Spiritualität ist:

- erwarte nichts, aber sei zu allem bereit.
- es ist gut so wie es ist, aber es muss nicht so bleiben, wie es ist.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von BlueMonday »

Papaloooo hat geschrieben:(16 Apr 2021, 06:45)

Religiosität ist schlicht der Dogmatismus. Die Religion versteht sich als Vermittlerin zwischen dem niedrigen und höheren Selbst. Der direkte Kontakt, ohne den Vermittler sei Frevel.

Esoterik ist ein Konglomerat von allerlei irrsinnigen Vorstellungen, denen sich Menschen, denen der Halt fehlt, unterwerfen, oder zumindest daran orientieren.

Spiritualität ist die Reise nach innen, die letztlich nur mit der Abkehr von Regeln, die dafür von Außen vorgegeben wurden, gelingen kann.
Eso-terik bedeutet ja, sich nach innen zu richten. Einen "inner circle" zu bilden. Am Ende in eine völlige Privatsprachlichkeit (Idiosynkrasie) zu verfallen, also nicht mehr nach außen zu wirken und verstanden werden zu können oder zu wollen.
Die meisten Religiösen sind hingegen betont exoterisch, wollen nach außen wirken, missionieren, wachsen, sich verbreiten, Sprache und damit Einfluss entwickeln.

Wenn für dich Spiritualität "die Reise nach innen"(etwa durch meditative Introspektion) statt nach außen ist, dann wäre ja gerade diese Reise im Extrem esoterisch, denn niemand kann damit mehr etwas anfangen außer du selbst, weil sich jegliche Begrifflichkeit auflöst damit.
Eigentlich ist Spiritualität aber eine Bewegung("Reise"), eine bewusste Entwicklung über sich hinaus(Transzendenz), eine Brückenbildung nach außen, zum "Ganzen" oder zum "Urspung" usw., was freilich nur als Einbildung, Vorstellung, metaphysische Spekulation gelingen kann. Spiritualitität ist das Mittel der Religion, kurz gesagt. Oder Religion ist Ergebnis von erfolgreicher, zu breiten Mode gewordenen, exoterischer, expressiver Spiritualtität, also ein metaphysisches, etabliertes, kollektives Begriffssystem, das über die Privatvorstellung hinausgewachsen ist, eine "geistige Kirche".
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Papaloooo »

BlueMonday hat geschrieben:(16 Apr 2021, 15:50)
[Fullqoute]
Ja, letztlich ist vieles eine Definitionssache.
Oft kommt man aus der bloßen begrifflichen Sprachanalyse nicht zu dem,
was ein Begriff umgangssprachlich aussagt,
bzw. wie eine Sache gemeinhin verstanden (und ausgelebt) wird.

Ein Zweig der Esoterik ist ja z.B. auch die Homöopathie,
wenn Heilpraktiker sich z.B. um psychische Probleme mit Zuckerkügelchen annehmen,
welche sie zuvor ausgependelt haben, oder aus irgendwelchen Büchern entnommen haben.

Und ja, Spiritualität IST eine Idiosynkrasie.
Die Erfahrungen, die ein Individuum daraus zieht,
können so nicht vermittelt oder übertragen werden.
Es ist immer die eigene innere Bereitschaft,
sich nach innen zu kehren.
Es ist auch die Bereitschaft, Wertungen und Bewertungen des Geschehens völlig infrage zustellen.
Es ist die Bereitschaft, Dinge quasi als Außenstehender zu betrachten,
ohne sich zu fragen, was bedeutet das für mich,
ja selbst eine Sache, die gemeinhin eine schlimme psychische Verletzung nach sich zieht,
zu betrachten, indem man sich und dem anderen zuschaut,
ohne für den einen oder den anderen (sich selbst) Partei zu ergreifen.

Und ja, eben weil man das so nicht direkt weitergeben kann,
denn die Erfahrung MUSS ja sebstgemacht sein und von innen kommen,
und wird für andere auch schlecht nachzuvollziehen sein,
ist es die eigene "innere Sprache" wie du es schriebst.
Eine passende Bezeichnung.

Dennoch wirkt dies auf andere Menschen,
und kann zum Beispiel Menschen,
welche selbst durch tiefe Verletzungen gingen,
auf ihre Art beruhigen.

Es gibt solche Menschen,
welche durch ihre bloße Präsenz einen guten Einfluss zumindest auf die ausüben,
welche nicht völlig verbohrt sind.

Ich habe sowas selbst schon öfters erlebt,
und manches davon hat mich sogar langfristig,
ja dauerhaft positiv beeinflusst.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Progressiver »

Papaloooo hat geschrieben:(16 Apr 2021, 06:45)

Und ja, auch Spiritualität kann Menschen alltagsuntauglich machen.
Da gebe ich dir (Progressiver) durchaus recht.
Es ist wie so vieles abhängig davon wie man es handhabt (bzw. in diesem Fall einsetzt und praktiziert).
Es kann einen Menschen aber auch befreien von dem Getriebensein nach ständig höheren materiellen Zielen,
welche letztlich nie erreichbar sind, denn die Zielmarke wird man dann stets in der Ferne sehen.

Eine gesunde Einstellung in der Spiritualität ist:

- erwarte nichts, aber sei zu allem bereit.
- es ist gut so wie es ist, aber es muss nicht so bleiben, wie es ist.
Genau das ist ja auch der Grund dafür, dass ich hinter den Threadtitel ein Fragezeichen gesetzt habe.

Bei YouTube hat mal ein Gitarrenlehrer gesagt, dass selbst das Gitarre spielen etwas spirituelles bzw. meditatives haben kann. Da ich Unterricht bei einem Gitarrenlehrer nehme und mehr oder weniger regelmäßig übe, kann ich das eigentlich bestätigen. Wenn ich mir aber vorstelle, dass ich in stundenlangen Retreats meditieren müsste bis zum Umfallen, so wäre das absolut nichts für mich. Um mal bei mir selbst anzufangen: Das wichtigste im Leben ist meines Erachtens, dass man sich selbst so lieben und akzeptieren kann, wie man ist. Bei mir hat das Jahrzehnte gedauert, bis mir diese Einsicht kam und bis ich einigermaßen Frieden mit mir geschlossen hatte. Wer mit sich selbst im Krieg ist, der kann weder andere Menschen lieben noch sehen oder akzeptieren, dass er selbst geliebt wird. Wenn also jemand hunderte von Meditationssitzungen braucht, um zu dieser Einsicht zu kommen, dann ist das eben so. Es gibt aber auch sehr viele Leute da draußen, die unbewusst ihr ganzes Leben mit sich selbst im Krieg sind. Und solche Menschen lernen es nie, worauf es ankommt. Da kann dann eben auch lebenslange Dauermeditation wirken wie der Lauf des Hamsters im Laufrad.

Wenn man aber mal mit sich selbst Frieden geschlossen hat, dann wird man auch neugieriger auf andere Menschen. Jetzt ist zwar gerade Corona-Zeit. Und eigentlich sollten die Menschen ihre Kontakte einstellen. Zumindest, solange sie noch nicht beide Schutzimpfungen bekommen haben. Aber ein allzu einsiedlerisches Leben halte ich auf die Dauer für ziemlich freudlos. Wenn ein spiritueller Weg dahin führt, dass man der gesamten Gesellschaft den Rücken kehrt, um dann nur noch um sich selbst zu kreisen, dann verhindert man ja auch, dass man Freude und neue Freunde finden kann. Deswegen meine ich ja: In bestimmten Fällen kann der spirituelle Weg eine Sackgasse sein. Nur wenn man mit sich selbst beschäftigt ist, heißt das ja nicht, dass man davor geschützt ist, in eine Art "Problemtrance" zu fallen.

Eine Lektion, die ich schon in jüngeren Jahren gelernt habe, war: Man kann vor allen Leuten flüchten. Und meinetwegen um den ganzen Globus reisen. Aber sich selbst nimmt man immer mit. Man kann also noch so weit reisen und sich in zwischenmenschliche Beziehungen stürzen. Oder aber sich in extreme Abgeschiedenheit verabschieden. Wenn das Hauptproblem darin besteht, dass mit dem eigenen Charakter etwas nicht stimmt oder dass man mit sich selbst im Krieg ist, weil man sich nie gut genug ist, dann wird jeder Weg zur Hölle. Egal, ob es als Folge des Gefühls der Unzufriedenheit mit sich selbst zu Konflikten mit der zwischenmenschlichen Umwelt kommt. Oder aber, dass sich der entsprechende Mensch ganz in sich selbst zurückzieht, um sich dann selbst zu kasteien und zu bestrafen.

Natürlich kann es auch in materieller Hinsicht ein "Höher, schneller, weiter" geben, so dass man nie an irgendeinem Ziel angelangt. Bestimmte Arten von spirituellen Wegen, die einem Schuldkomplexe wegen einer eingebildeten Sündhaftigkeit, Askese, Selbstkasteiungen und -bestrafungen und ähnliche schlimme Dinge auferlegen, sind da aber meiner Meinung nach nicht besser.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Papaloooo »

Progressiver hat geschrieben:(16 Apr 2021, 22:31)

[Fullquote]
Das spricht mir aus der Seele.
Geflüchtet aus der schwäbischen Provinz in die Großstadt Berlin für ein Jahr.
Geflüchtet von dort als selbsternannter Kulturflüchtling in einen kleinen Bauernhof im Grenzgebirge zwischen Italien und Frankreich für zwei Jahre.
Von dort dann mit einem 5-Jahre Visum nach Indien.

So war doch die wichtigste und wesentlichste Erkenntnis,
man kann niemals vor sich selbst fliehen.

Fasziniert war ich im Himalaja von manch einem Asketen,
der in seinem notdürftig zusammenzimmerten Hüttchen am Ganges
halbnackt aber mit Asche eingeschmiert solch eine tiefe Zufriedenheit ausgestrahlt hatte.
Versorgt werden die von den Pilgern, die mit ihrer Gabe an den spirituellen Erfolgen dieser Asketen teilzunehmen glauben.

Das hatte mich auf die Idee gebracht, doch dort mal in ein Hindu-Kloster zu gehen.
Strenger Tagesablauf, früh aufstehen, viel meditieren, Hatha-Yoga, Reinigungsüberungen etc. und Wanderungen durch die Berge, das alles für rund 50Cent am Tag. Also idealistisch geführt.

Das anfänglich ständige mentale ...ich könnte doch jetzt eigentlich... hatte alsbald aufgehört.
Meditieren muss ich längst nicht mehr,
es ist eher eine Grundhaltung fürs Leben geworden.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Antonius »

Papaloooo hat geschrieben:(17 Apr 2021, 07:19)
[...]
So war doch die wichtigste und wesentlichste Erkenntnis,
man kann niemals vor sich selbst fliehen.
Ja, sicherlich eine wichtige und wesentliche Erkenntnis. Das kann ich gut nachvollziehen.
Papaloooo hat geschrieben:(17 Apr 2021, 07:19)
[...]
Das anfänglich ständige mentale ...ich könnte doch jetzt eigentlich... hatte alsbald aufgehört.
Meditieren muss ich längst nicht mehr,
es ist eher eine Grundhaltung fürs Leben geworden.
Sehr gut. :)
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von BlueMonday »

Papaloooo hat geschrieben:(16 Apr 2021, 16:26)

Ja, letztlich ist vieles eine Definitionssache.
Oft kommt man aus der bloßen begrifflichen Sprachanalyse nicht zu dem,

Nicht vieles ist Definitionssache, sondern alles Sprachliche ist ausnahmlos von Definitionen abhängig. Sprechen als Sprachakt ist im Wesentlichen die nach außen gerichtete Suche nach gemeimsamen Defintionen also einem gemeinsamen Begriff der Welt.
Der Esoteriker will aber -wie gesagt- nach innen wirken, er will gar nicht verstanden werden, jedenfalls von keinem größeren allgemeinen Kreis. Homöopathie ist damit auch keine Esoterik.
Der Grundgedanke ist hier, "Gleiches mit Gleichem" oder Ähnlichem zu behandeln. Der ganze, heute mehr denn je verfolgte Impfansatz baut letztlich auf diesem Grundgedanken auf, also einen gleichen, aber stark abgeschwächten Erreger zu verabreichen.

Und auch wie gesagt: Spiritualität, also spirituell motivierte Handlungen sind nicht notwendig eine reine Privatsache und nach innen gerichtet, sondern im Gegenteil, es ist ein Massenphänomen, von Millionen, ja Milliarden Menschen praktiziert. Was meinst du, was momentan die Muslime mit ihrem "Ramadan" bezwecken? Das ist praktizierte Spiritualität. Und eine äußerst exoterische.

Sicher ist der wahrnehmende, sinnstiftende Ausgangspunkt immer man selbst. Die Differenz besteht in der Entwicklungsrichtung. Ob eine Spiritalität nach außen gerichtet ist und eine gemeinsame Sprache entwickelt, also zur Religion oder Kirche wird, oder auf der Ebene des esoterischen Zirkels verbleibt, der Blick sich also in einem engen Bogen wieder zurück zum Erfinder begibt.

Spiritualität ist letztlich die Überwindung des profanen Alltags, der alltäglichen Banalität, des alltäglichen Flachwitzes oder der "Tagespolitik", ein darüberhinaus Reichen und Blicken..., die Suche nach Größerem, Erhabenerem.
So wie man bei einer "begrifflichen Analyse" darüber hinausreicht, was etwa "Esoterik" eigentlich bedeutet. Man spricht eben nicht alltäglich gedankenlos dahin, sondern ergründend, mit Geist.
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Re: Der spirituelle Weg als Sackgasse?

Beitrag von Negator »

Geistige Überlegungen sind in einer ungeistigen Welt eigentlich etwas Positives.
Geist-liche Überlegungen würden bedeuten, dass man sich mit religiösen Themen beschäftigen will, was nicht für jeden etwas ist.

Dass es zu Manipulationen kommen kann, ist auch klar, wenn sich jemand als geistiger/geistlicher Lehrer aufspielen will, um andere emotional zu manipulieren.
Im Rahmen dessen, was man als Esoterik bezeichnet, gibt es sicher auch viele Irrationalismen.
Maat & Mate :thumbup:
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