Gottesdienste in einer Pandemie

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Progressiver
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Re: Gottesdienste in einer Pandemie

Beitrag von Progressiver »

Stoner hat geschrieben:(20 Dec 2020, 15:02)

Sorry, aber so wenig wie ich die Auferstehung des Herrn feiern möchte, so wenig möchte ich das demokratische Deutschland feiern. Ebenso wie den Herrn hat auch dieses demokratische Deutschland noch keiner gesehen, und über den zweckmäßigen Reisepass hinaus wollte ich mit einer solchen Erfindung der Obrigkeit ehrlich gesagt auch nichts zu tun haben.

"Gemeinschaft" zu stiften zwischen den in einem modernen Staat umherschwirrenden, einander teilweise scharf widerstrebenden Identitäten halte ich für eine grobe Illusion. So ein Tag wird bestenfalls ein kollektives Grillfest (falls im Sommer), die Gemeinsamkeit sind Fleisch, Würste, Bier, Salat und sonstige grillpartytypischen Zutaten. Aber die Idee, dass Linksidentitäre mit Rechtsidentitären, Rechtsidentitäre mit Muslimen, Linksidentitäre mit christlichen Fundamentalisten. Liberale mit Rechts- und Linksidentitären, Queere mit Homophoben und Atheisten mit Adventisten oder FfFler mit Fridays for Hubraumlern die deutsche Demkratie feiern, aus der sie den jeweils anderen am liebsten entsorgen würden, diese Idee halte ich für abwegig. Die Zentrifugalkräfte moderner Gesellschaften sind ein Fakt, den kein Festtag zu übertünchen vermag.
Ja, was soll denn dann die moderne Gesellschaft überhaupt noch zusammenhalten, wenn man nicht einmal einen einzigen Tag lang gemeinsam feiern kann? Jede Untergruppe und jedes Individuum lebt dann in seiner eigenen Filterblase. Und da ansonsten keiner was mit dem anderen zu tun hat, herrscht im besten Fall Anonymität und Sprachlosigkeit. Im schlechteren Fall wird die Rücksichtslosigkeit und die Verrohung der Umgangssitten im Alltag immer schlimmer. Die Rechten träumen jetzt schon von einem künftigen Bürgerkrieg. Und wenn die Gesellschaft immer mehr gespalten ist, werden die Konflikte immer weniger zu lösen sein.

Im Übrigen bin ich nicht ganz so pessimistisch und fatalistisch eingestellt. Circa achtzig Prozent der Bevölkerung halten die Demokratie immer noch für die beste Regierungsform.

Die Kirchen können da jedenfalls nichts dazu beitragen, den gesellschaftlichen Frieden zu wahren. Diese haben sich selbst diskreditiert und werden für immer mehr Leute immer unglaubwürdiger.
"Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum." Friedrich Nietzsche

"Wer nur einen Hammer als Werkzeug hat, dem wird bald jedes Problem zum Nagel."
Stoner

Re: Gottesdienste in einer Pandemie

Beitrag von Stoner »

Progressiver hat geschrieben:(20 Dec 2020, 18:20)

Ja, was soll denn dann die moderne Gesellschaft überhaupt noch zusammenhalten, wenn man nicht einmal einen einzigen Tag lang gemeinsam feiern kann? Jede Untergruppe und jedes Individuum lebt dann in seiner eigenen Filterblase. Und da ansonsten keiner was mit dem anderen zu tun hat, herrscht im besten Fall Anonymität und Sprachlosigkeit. Im schlechteren Fall wird die Rücksichtslosigkeit und die Verrohung der Umgangssitten im Alltag immer schlimmer. Die Rechten träumen jetzt schon von einem künftigen Bürgerkrieg. Und wenn die Gesellschaft immer mehr gespalten ist, werden die Konflikte immer weniger zu lösen sein.

Im Übrigen bin ich nicht ganz so pessimistisch und fatalistisch eingestellt. Circa achtzig Prozent der Bevölkerung halten die Demokratie immer noch für die beste Regierungsform.

Die Kirchen können da jedenfalls nichts dazu beitragen, den gesellschaftlichen Frieden zu wahren. Diese haben sich selbst diskreditiert und werden für immer mehr Leute immer unglaubwürdiger.
Die Rechten träumen vom Bürgerkrieg? Oder träumen die Linken davon, dass die Rechten vom Bürgerkrieg träumen? Kann man das so scharf auseinanderhalten?

Wie auch immer, wenn Ihre Analyse des Zersplitterten richtig ist, dann wird kein von oben verordneter Festtag etwas herstellen, was gar nicht empfunden wird. Menschen bejahen die Demokratie aufgrund der Möglichkeiten, ihre Interessen so unbehelligt wie möglich verfolgen zu können. Wenn das nicht mehr der Fall sein sollte, wird auch kein weiterer Opiumtag fürs Volk eine "Gemeinschaft" herstellen, weil jede Gemeinschaft ein Hindernis für offene Gesellschaften darstellt. Und alle Symbolik, an der sich offene Gesellschaften versucht, bleibt bestenfalls der Versuch, einen Mythos von oben per Gesetz oder Verordnung zu dekretieren.

Was die Verrohung angeht, so mag das allenfalls für eine starke Minderheit aus kriminellen Milieus gelten, wobei ich selbst hier noch skeptisch bin, ob dort eine solche Verrohung tatsächlich stattfindet. Die verbale Verrohung im Netz ist schließlich nichts weiter als die Sichtbarwerdung dessen, was schon immer vorhanden war. Das einzige uneingeschränkt wachsende Negativum ist die der Hypersensibilität geschuldete Zunahme erfolgreicher denunziatorischer Kommunikationsmuster. Die ziehen sich durch alle Schichten und Klassen.

Kurzum: Wegen mir kann man auch nur an Karfreitag tanzen dürfen und an allen anderen Tagen nicht. Das schränkt meine Freiheit nicht ein. Und darum geht es ja den meisten: die eigene Freiheit. :D
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JJazzGold
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Re: Gottesdienste in einer Pandemie

Beitrag von JJazzGold »

Stoner hat geschrieben:(19 Dec 2020, 14:22)

Wer darf denn über dieses "Müssen" am Ende entscheiden?
Viele Landesverfassungen lassen Volksbefragungen zu. Warum nicht über die Streichung oder Beibehaltung oder Ersetzung den angeblich mündigen Bürger befragen?
Ich, weil mir gerade danach war. ;)
Wenn man die Bürger fragt, dann wird das Ergebnis unter dem Motto stehen, “Schrei, wenn man dir nimmt, nimm, wenn man dir gibt“ (Zitat Lucy, Peanuts)
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
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Dietz
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Re: Gottesdienste in einer Pandemie

Beitrag von Dietz »

Liegestuhl hat geschrieben:(09 Dec 2020, 08:27)


Was konkret meinst du und was wisst ihr gottverlassenen Menschen schon darüber, was in den Kirchen vorgeht. Ihr besucht doch keine.
Da wäre ich mir nicht ganz sicher! Ich kenne Etliche, die nicht in Kirchen gehen und mehr von der christlichen Religion wissen und verstehen als die meisten Betbrüder und -Schwestern in der ersten Bank.

Wie sagte doch ein beruehmter Philosoph so treffend: Wer den Verstand befragt, bekommt unchristliche Anworten.
"Nehmen Sie die Menschen wie sie sind. Andere gibt es nicht." (Konrad Adenauer)
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