Die gleiche Art von Argumentation habe ich mal in der örtlichen Tageszeitung gelesen. Die Mittelschicht geht demnach immer noch quasi wie die Lemminge in die Kirche, während die Unterschicht dafür nicht mehr erreichbar zu sein scheint. Demgegenüber stehen jedoch Statistiken, die besagen, dass ein hoher Bildungsgrad mit einer atheistischen Einstellung korreliert. Was also ist wahr?
Es mag sein, dass auch religiöse Menschen ein gewisses Maß an Bildung besitzen. Aber können sie es infrage stellen? Sind sie neugierig genug, um sich zu neuen Wissenshorizonten aufzumachen? Wer sich zum Beispiel mit Astrophysik, Religionssoziologie, Wissenschaftslehre oder irgendeiner anderen Wissenschaft beschäftigt hat, wird eindeutig feststellen: Es gibt keinen Hinweis auf einen wie auch immer gearteten Gott. Natürlich gibt es auch keine Indizien, dass das Gegenteil richtig ist. Aber vielmehr haben wir es mit so metaphysischen Fragen mit unwichtigen Fragen zu tun. Fast die ganze Wissenschaft, Theologie ausgeschlossen, kommt ohne Gott aus. Selbst die Philosophen können mittlerweile ganz gut ihre ethischen Formeln ohne Metaphysik begründen. Oder um es drastischer zu formulieren: Die Religiösen haben den Schuss nicht gehört und glauben, bildlich gesprochen, quasi immer noch, dass die Erde eine Scheibe ist. Die Wissenschaft ist über die "Gott ist tot"-Erkenntnis eines Nietzsche hinaus und vernachlässigt vollkommen die Religion. Denn sie forscht, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, ergebnisoffen. Sie hat ein offenes Weltbild. Die Religiösen haben dagegen ein geschlossenes Weltbild. Und das nennt sich Ideologie.
Und da das Beispiel der USA auftaucht: Was soll das dort drüben bitteschön für eine Bildung sein, die die Kirchgänger genießen können? In den USA hat die Evolutionstheorie teilweise einen schweren Stand. Und viele Religiöse hängen lieber irgendwelchen wirren Kreationismustheorien an. Geglaubt wird da nur das, was in das eigene geschlossene Weltbild passt.
Und natürlich kann es überall auf der Welt gebildete Menschen geben: gebildete iranische oder buddhistische Geistliche genau so wie solche, die ein Studium der christlichen Theologie oder anderswo einen Doktortitel in Marxismus-Leninismus vorweisen können. Aber ist das irgendwie relevant? Handelt es sich dabei um sinnvolles Wissen, das die Realität abbildet? Machen diese Art von Bildungen einen automatisch zu einem ethisch besseren Menschen? Wird man dadurch zu einem Humanisten? Und auch, dass in vielen Religionen geglaubt wird, dass der Tod nicht das Ende sei, weil sie entweder als Buddha wiedergeboren werden könnten oder aber in einer islamischen Hölle landet, ist nur insofern relevant, wenn man in einem bestimmten Kulturkreis lebt, der ein geschlossenes Weltbild hat. Hat man dagegen ein offenes Weltbild, bleibt davon nichts übrig.
Im islamischen Orient ist man es jedenfalls, im Gegensatz zur westlichen wissenschaftlich orientierten Weltsicht, nicht gewohnt, grundlegende Fragen ergebnisoffen zu stellen. Wer es dennoch wagt, wird gelyncht. Und ich wage zu behaupten: Das ist einer der Gründe, warum es dem säkularen Europa auch wirtschaftlich besser geht. Die christlichen USA dagegen werden wissenschaftlich, technologisch und dann auch in puncto Wohlstand zurückfallen, weil sie ihre Religion immer mehr überhöhen.