Diktatursozialisierung?

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PeterK
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von PeterK »

Selina hat geschrieben:(17 Jun 2021, 15:57)
Mehr im Scherz fragen wir uns manchmal, ob wir nicht in das West-Bundesland mit den niedrigsten AfD-Zahlen auswandern sollten :D.
Bitte nicht. Damit schwächtet Ihr ja die "Nicht-AfD-Wähler" in Eurer Gegend. ;)
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Billie Holiday
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Billie Holiday »

PeterK hat geschrieben:(17 Jun 2021, 16:06)

Bitte nicht. Damit schwächtet Ihr ja die "Nicht-AfD-Wähler" in Eurer Gegend. ;)
Dass S-H, Meck.-Pomm. oder Saarland erfreulich wenige AfD-Mitglieder haben, bedeutet nicht, dass die Bürger unbedingt die Linken haben wollen.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von PeterK »

Billie Holiday hat geschrieben:(17 Jun 2021, 16:44)
Dass S-H, Meck.-Pomm. oder Saarland erfreulich wenige AfD-Mitglieder haben, bedeutet nicht, dass die Bürger unbedingt die Linken haben wollen.
Davon ist optimistischerweise auszugehen.
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Selina
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Selina »

Billie Holiday hat geschrieben:(17 Jun 2021, 16:44)

Dass S-H, Meck.-Pomm. oder Saarland erfreulich wenige AfD-Mitglieder haben, bedeutet nicht, dass die Bürger unbedingt die Linken haben wollen.
Da verwechselst du was. Meckpomm ist kein West-Bundesland. Dort gibts ebenfalls ne stramme AfD-Wählerschaft zwischen 20 und 35 Prozent (regional unterschiedlich).
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Selina
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Selina »

PeterK hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:06)

Davon ist optimistischerweise auszugehen.
Och, unter meinen linken Westfreunden sind etliche, die sich freuen würden über so einen Wechsel.
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Selina
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Selina »

Mal verknappt und bildlich gesprochen: Die Westdeutschen haben ihr Rechtsextremismus-Problem im Osten entsorgt. Und nun sagen se: Seht zu, wie ihr klarkommt damit :D
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JJazzGold
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von JJazzGold »

Wie es aussieht, haben die Westdeutschen auch das Linksextremismusproblem im Osten der Republk gelassen.
Schon clever, “die Westdeutschen“. Wie sie das wohl gemacht haben?
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(16 Jun 2021, 20:23)

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich den Begriff "Gemeinschaft" anders als eine Gruppe beschrieben hätte, die aufeinander angewiesen, voneinander abhängig ist und miteinander kooperiert.
Diese Gemeinschaft kann eine Familie sein, kann ein Team in einem Unternehmen sein, kann ein Forschungsteam sein etc pp
IMMER sind es Menschen, die miteinander interagieren, die in bestimmten sozialen Strukturen miteinander in Verbindung stehen.
Wenn nix weiter daraus folgt, als dass es so ist ... dann kann man es für eine Analyse der aktuellen gesellschafttlichen Veränderungen und des politischen Geschehens auch beiseite und unbetrachtet lassen.

Das wichtigste oder jedentalls meistbesprochenste und in zig Sprachen übersetzte Buch zur Soziologie in den letzten Jahren trägt den Original-Titel "Die Gesellschaft der Singularitäten" (Andreas Reckwitz) ... Was der Begriff "Singularität" beschreibt ist dir klar? Die Moderne zeichne sich vor allem durch eine immer größere Relevanz des "Besonderen" gegenüber dem Allgemeinen bzw. dem Verallgemeinerbaren aus. Auf allen Ebenen, Nicht nur auf der Ebene der Individuen. Aber dort natürlich auch.

Immer mehr Menschen - ich auch - betreiben ihre Interessen, ihre Projekte, ihre persönlichen Vorhaben, setzen ihre Präferenzen so, dass sie sich am Ende maximal von allen anderen Menschen unterscheiden.

Was heißt das in Bezug auf diese These vom Zusammenhang von der AfD-Präferenz und der "Diktatursozialisierung"? Dass man sie nicht einfach so mir nix dir nix als einen monokausalen Zusammenhang hinstellen kann.

Es soll unbedingt demokratische Verhältnisse geben, Parlamentarismus, eine freie Presse, Gewaltenteilung, Rechtstaatlichkeit ... hab' ich was vergessen? Ein regelbasiertes System, das möglichst vernünftig und effektiv funktioniert. Ansonsten bekomme ich alle paar Jahre einen Wahlzettel, überlege, welche Partei sich am ehesten gegen den motorisiserten Individualverkehr einsetzt und wähle die dann. Und vergesse das ganze wieder und widme mich meinen persönlichen Interessen. Zu denen auch Politik gehört. Das ist aber kein Widerspruch. Ich weiß nix von einer "Gesellschaft"! "Kultur" ist all das, was mich persönlich interessiert und was ich persönlich und natürlich auch in Interaktion mit mir persönlich bekannten Menschen oder unter Einfluss von mir selbst für wichtig erachteten Menschen hervorbringe. Und man kann dementsprechend von meiner "Sozialisierung" (die, obwohl auf dem Territorium der DDR geschehen, dennoch keine Diktatursozialisierung war sondern eine von Aufklärung, Humanismus und Intellektualismus geprägte) nicht auf mein Wahlverhalten schließen.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Do 17. Jun 2021, 17:46, insgesamt 3-mal geändert.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von PeterK »

Selina hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:09)
Och, unter meinen linken Westfreunden sind etliche, die sich freuen würden über so einen Wechsel.
Wenn man sich die Flächenländer West anschaut (aber auch die Stadtstaaten), scheint sich die Begeisterung für "Die Linke" in einem überschaubaren Rahmen zu halten.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von JJazzGold »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:37)

Wenn nix weiter daraus folgt, als dass es so ist ... dann kann man es für eine Analyse der aktuellen gesellschafttlichen Veränderungen und des politischen Geschehens auch beiseite und unbetrachtet lassen.

Das wichtigste oder jedentalls meistbesprochenste und in zig Sprachen übersetzte Buch zur Soziologie in den letzten Jahren trägt den Original-Titel "Die Gesellschaft der Singularitäten" (Andreas Reckwitz) ... Was der Begriff "Singularität" beschreibt ist dir klar? Die Moderne zeichne sich vor allem durch eine immer größere Relevanz des "Besonderen" gegenüber dem Allgemeinen bzw. dem Verallgemeinerbaren aus. Auf allen Ebenen, Nicht nur auf der Ebene der Individuen. Aber dort natürlich auch.

Immer mehr Menschen - ich auch - betreiben ihre Interessen, ihre Projekte, ihre persönlichen Vorhaben, setzen ihre Präferenzen so, dass sie sich am Ende maximal von allen anderen Menschen unterscheiden.

Was heißt das in Bezug auf diese These vom Zusammenhang von der AfD-Präferenz und der "Diktatursozialisierung"? Dass man sie nicht einfach so mir nix dir nix als einen monokausalen Zusammenhang hinstellen kann.

Es soll unbedingt demokratische Verhältnisse geben, Parlamentarismus, eine freie Presse, Gewaltenteilung, Rechtstaatlichkeit ... hab' ich was vergessen? Ansonsten bekomme ich alle paar Jahre einen Wahlzettel, überlege, welche Partei sich am ehesten gegen den motorisiserten Individualverkehr einsetzt und wähle die dann. Und vergesse das ganze wieder und widme mich meinen persönlichen Interessen. Zu denen auch Politik gehört. Das ist aber kein Widerspruch. Ich weiß nix von einer "Gesellschaft"! Und man kann dementsprechend von meiner "Sozialisierung" (die, obwohl auf dem Territorium der DDR geschehen, dennoch keine Diktatursozialisierung war sondern eine von Aufklärung, Humanismus und Intellektualismus geprägte) nicht auf mein Wahlverhalten schließen.
Der Neugier geschuldet, eine Frage.
Würde sich die AfD gegen motorisierten Indiividualverkehr extrem stark machen, würden Sie dann AfD wählen?
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von PeterK »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:37)
Ansonsten bekomme ich alle paar Jahre einen Wahlzettel, überlege, welche Partei sich am ehesten gegen den motorisiserten Individualverkehr einsetzt und wähle die dann.
Jeder hat halt seine Prioritäten. Ich wähle eher nach möglichst großen Übereinstimmungen bei einem Mix von Themata.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von schokoschendrezki »

JJazzGold hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:46)

Der Neugier geschuldet, eine Frage.
Würde sich die AfD gegen motorisierten Indiividualverkehr extrem stark machen, würden Sie dann AfD wählen?
Das ist eine gute Frage. Wenn auch eine nur theoretische. So viel und lange muss man nicht überlegen, um zu der Einsicht zu kommen, dass sie das nicht tun wird.

Weitaus eher relevant wird diese Frage bei Parteien, die man so ganz grob als "ökofaschistisch" einordnen kann. Der "Reichsführer SS" Heinrich Himmler ist das vielleicht bekannteste Beispiel für einen Ökofaschisten. Für einen Vollwertkost und Germanenkult liebenden NS-Ideologen. Ein anderes Beispiel wäre die Eugenik-Politik der schwedischen Sozialdemokratie. Alva und Gunnar Myrdal. Ich habe das verkürzt. Natürlich gibt es grundsätzliche sozusagen "vorgeschaltete" Ausschlusskriterien. Und dann, danach eine Auswahl nach persönlichen Präferenzen.

Auf keinen Fall stelle ich mich jedenfalls in irgendeine durch soziale Prägung erfolgte Tradition. Weil meine Eltern und Vorgänger schon immer Sozialdemokraten waren. Oder Antroposophie-Liebhaber. Oder konservative Katholiken. Oder DDR-Nostalgiker.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Do 17. Jun 2021, 17:57, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Vongole »

JJazzGold hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:26)

Wie es aussieht, haben die Westdeutschen auch das Linksextremismusproblem im Osten der Republk gelassen.
Schon clever, “die Westdeutschen“. Wie sie das wohl gemacht haben?
Durch ihre bloße Gegenwart.
Für viele im Osten - nicht nur in Deutschland- blieb der "Gegner" einfach derselbe, nämlich das globalisierte kapitalistische System, das nur anfangs als Befreiung wahrgenommen wurde.
Zusammen mit der mangelnden Aufarbeitung und der inneren, sprich ostdeutschen Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Unrechtsstaat DDR ergibt das die Mischung aus Linke und AfD.
Putin (Russland) gut, USA (stellvertretend für den Westen) ganz schlecht.
Und natürlich, um das nicht zu vernachlässigen, auch viele Fehler seitens der Bundesrepublik-West in den Anfangsjahren der Wiedervereinigung.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Kohlhaas »

Selina hat geschrieben:(17 Jun 2021, 15:43)

Wie gesagt: Viele Faktoren tragen dazu bei. Wenn du die Augen verschließt vor dem, was im Osten nach der Wende geschah, wirst du das Wahlverhalten dieser Leute auch nicht verstehen. Ja, latent rechtsradikal denken zwischen 10 und 15 Prozent der Menschen in Ost und West.
Es ist eine ziemlich mechanistisch anmutende These, dass die Wessis wegen der Wiedervereinigung am Wahlverhalten der Ossis schuld seien. Das ist geradezu eine Überspitzung der These von der Diktatursozialisierung. Richtig ist, dass es in jeder Gesellschaft einen "Bodensatz" von Demokratieverächtern gibt. Üblicherweise bewegt sich der Anteil dieser Leute um 10 Prozent. Das hat niemand in Abrede gestellt. Fakt ist aber, dass der Anteil dieser Leute im Osten Deutschlands doppelt so hoch ist wie "normal". Und genau DAS ist die erklärungsbedürftige Tatsache.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von schokoschendrezki »

Vongole hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:54)

Durch ihre bloße Gegenwart.
Für viele im Osten - nicht nur in Deutschland- blieb der "Gegner" einfach derselbe, nämlich das globalisierte kapitalistische System, das nur anfangs als Befreiung wahrgenommen wurde.
Zusammen mit der mangelnden Aufarbeitung und der inneren, sprich ostdeutschen Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Unrechtsstaat DDR ergibt das die Mischung aus Linke und AfD.
Putin (Russland) gut, USA (stellvertretend für den Westen) ganz schlecht.
Und natürlich, um das nicht zu vernachlässigen, auch viele Fehler seitens der Bundesrepublik-West in den Anfangsjahren der Wiedervereinigung.
Eine "Aufarbeitung" gibt es ganz grundsätzlich nicht. Oder fast nicht. Nirgendwo! Weder für die Flick-Affäre noch für das was die Pentagon-Papiere hergaben noch für die niederländische oder portugiesische Kolonialgeschichte oder die Durchdringung der DDR-Gesellschaft mit Stasi-Leuten. Eine solche Aufarbeitung wäre notwendig verbunden mit der Durchdringung dieses Kokons aus Erzählungen, die das eigene historisch gewachsene Selbstbild ausmachen. Für eine solche radikale Hinterfragung muss man bereit sein, sich daneben zu stellen. Die Gesellschaft konsequent von außen zu betrachten. Nicht dazuzugehören. Letztendlich: Keine Herkunft zu haben. Zu einer solchen Konsequenz sind nicht viele Menschen bereit. Die Philosophin Hannah Arendt war allerdings ganz sicher eine von ihnen. Sie hat oft genug davon berichtet, wie sehr, wie extrem sie dafür angefeindet wurde.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Selina »

PeterK hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:37)

Wenn man sich die Flächenländer West anschaut (aber auch die Stadtstaaten), scheint sich die Begeisterung für "Die Linke" in einem überschaubaren Rahmen zu halten.
Bei Freundschaften gehts eher darum, sich auf einem ähnlichen Interessen-Level zu bewegen. Und darum, dass man sich gegenseitig mag. Ich könnte auch nie mit jemandem befreundet sein, der rassistisch denkt und sich so äußert. Undenkbar.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Kohlhaas »

Selina hat geschrieben:(17 Jun 2021, 15:51)

Die Merkel hat unter den Konservativen möglicherweise noch am meisten verstanden. Vielleicht auch gerade wegen ihrer Ostsozialisation. Aber was du da über die DDR erzählst, ist dermaßen naiv, kein Wunder, dass viele Menschen solche "Analysen" einfach nicht mehr nachvollziehen können.
Was habe ich denn naives über die DDR erzählt? Ich habe lediglich darauf verwiesen, dass es dort nie eine Demokratie gab. Was ist daran falsch? Ich habe außerdem darauf verwiesen, dass die Menschen in der Ex-DDR doppelt so "gern" Rechtsextremisten wählen wie in den alten Bundesländern. Was ist daran falsch oder naiv?

Nebenbei: Mein Vater stammt von dort, und die väterliche Hälfte meiner Familie lebt noch heute in den neuen Bundesländern. Es ist gewiss nicht so, dass ich keine persönlichen Erkenntnisse über die Verhältnisse im Osten hätte.

Was Merkel betrifft: Die Achse Berlin-Paris war immer die wichtigste treibende Kraft in der EU (und vorher in der EWG). Merkel hat da nicht als Motor gewirkt, sondern eher als Bremse. Ich erinnere mich noch gut daran, wie Berlin mit donnerndem Schweigen reagiert hat, als Macron seine Initiative zur Reform der EU gestartet hat und dringend auf Unterstützung aus Berlin angewiesen war. Das ist jetzt meine persönliche Interpretation. Die muss niemand teilen.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Kohlhaas »

Selina hat geschrieben:(17 Jun 2021, 15:57)

Stimmt. Ich atme auch jedesmal auf, wenn ich die West-AfD-Werte sehe. Mehr im Scherz fragen wir uns manchmal, ob wir nicht in das West-Bundesland mit den niedrigsten AfD-Zahlen auswandern sollten :D Im Osten kanns einem nämlich diesbezüglich nur noch schlecht werden. Es gibt hier einzelne Regionen mit fast 40 Prozent AfD.
Prima. Dann verstehst Du doch im Grunde, worum es geht. Erklär mal, warum es so ist, dass es im Osten Regionen gibt, in denen Demokratiefeinde fast die Mehrheit stellen.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 18:05)

Eine "Aufarbeitung" gibt es ganz grundsätzlich nicht. Oder fast nicht. Nirgendwo! Weder für die Flick-Affäre noch für das was die Pentagon-Papiere hergaben noch für die niederländische oder portugiesische Kolonialgeschichte oder die Durchdringung der DDR-Gesellschaft mit Stasi-Leuten. Eine solche Aufarbeitung wäre notwendig verbunden mit der Durchdringung dieses Kokons aus Erzählungen, die das eigene historisch gewachsene Selbstbild ausmachen. Für eine solche radikale Hinterfragung muss man bereit sein, sich daneben zu stellen. Die Gesellschaft konsequent von außen zu betrachten. Nicht dazuzugehören. Letztendlich: Keine Herkunft zu haben. Zu einer solchen Konsequenz sind nicht viele Menschen bereit. Die Philosophin Hannah Arendt war allerdings ganz sicher eine von ihnen. Sie hat oft genug davon berichtet, wie sehr, wie extrem sie dafür angefeindet wurde.
Man muss dafür gar nicht außerhalb einer Gesellschaft oder außerhalb einer Gemeinschaft stehen. Denn es ist immer ratsam, "sich daneben zu stellen" und die Dinge "konsequent von außen zu betrachten". Ohne eine solche distanzierte Betrachtungsweise wird es niemals zu einer Analyse kommen, die der Realität halbwegs entspricht. Alles, was man heute über deutsch-deutsche Fragen lesen kann, wird von bestimmten politischen Zielen und Methoden bestimmt. Aber: Zumindest eine gewisse Annäherung an die nie hundertprozentig erreichbare Objektivität wäre wünschenswert.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von discipula »

Kohlhaas hat geschrieben:(17 Jun 2021, 18:11)

Erklär mal, warum es so ist, dass es im Osten Regionen gibt, in denen Demokratiefeinde fast die Mehrheit stellen.
Vielleicht weil sie die "Demokratie" in der Deutschen Demokratischen Republik damals nur als Pseudo-Feigenblatt erlebten und der Demokratie als Konzept auch gar nicht mehr zutrauen? sich nicht vorstellen können, dass man Demokratie auch qualitätsvoller machen kann?
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Teeernte »

Vongole hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:54)

Durch ihre bloße Gegenwart.
Für viele im Osten - nicht nur in Deutschland- blieb der "Gegner" einfach derselbe, nämlich das globalisierte kapitalistische System, das nur anfangs als Befreiung wahrgenommen wurde.
Zusammen mit der mangelnden Aufarbeitung und der inneren, sprich ostdeutschen Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Unrechtsstaat DDR ergibt das die Mischung aus Linke und AfD.
Putin (Russland) gut, USA (stellvertretend für den Westen) ganz schlecht.
Und natürlich, um das nicht zu vernachlässigen, auch viele Fehler seitens der Bundesrepublik-West in den Anfangsjahren der Wiedervereinigung.

Und wieder - sind die "Alten Kameraden der SED" Schuld.....NUR blöd, dass grad DIE die CDU gewählt haben.

...und DIE die mit SED NULL zutun hatten ....Nachwende Geborene >>> im UUUUUUnrechtsstaaat sozialisierte :D :D :D ..... >> Rechts wählen !!!

und - bitte nicht Eure Probleme mit "Ost" alle in einen Korb. Das bekomm ich nicht abgearbeitet.

>>> Erst die Erkenntnis - Die Ungleichbehandlung der Lehrkräfte - hat auf die Schüler durchgeschlagen..

Wenn ihr das nicht sehen wollt (Teildiagnose) - wird es gegen Afd kein Mittel geben. Ja die Ossis sind selbst Schuld ? Dann in 5 Jahren 40% AfD !! Weiter auf bewährtem Kurs.
Obs zu kalt, zu warm, zu trocken oder zu nass ist:.... Es immer der >>menschgemachte<< Klimawandel. :D
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Vongole »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 18:05)

Eine "Aufarbeitung" gibt es ganz grundsätzlich nicht. Oder fast nicht. Nirgendwo! Weder für die Flick-Affäre noch für das was die Pentagon-Papiere hergaben noch für die niederländische oder portugiesische Kolonialgeschichte oder die Durchdringung der DDR-Gesellschaft mit Stasi-Leuten. Eine solche Aufarbeitung wäre notwendig verbunden mit der Durchdringung dieses Kokons aus Erzählungen, die das eigene historisch gewachsene Selbstbild ausmachen. Für eine solche radikale Hinterfragung muss man bereit sein, sich daneben zu stellen. Die Gesellschaft konsequent von außen zu betrachten. Nicht dazuzugehören. (..)
Aufarbeitung gelingt nur von innen, auch durch hinterfragen der eigenen Position in einem System. Wer sich daneben stellt, nur von außen schaut, obwohl er Teil des Ganzen war, macht genau das, was meine Generation
so verachtet hat bei der nachträglichen Auseinandersetzung mit dem Nazi-Regime.
Und genau das passierte nach dem Ende der DDR, die tiefgreifende Auseinandersetzung zwischen Alt und Alt, sowie Alt und Jung, blieb aus.
Statt dessen ließ sich Jung in großen Teilen von Alt sozialisieren.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von schokoschendrezki »

Vongole hat geschrieben:(17 Jun 2021, 18:29)

Aufarbeitung gelingt nur von innen, auch durch hinterfragen der eigenen Position in einem System. Wer sich daneben stellt, nur von außen schaut, obwohl er Teil des Ganzen war, macht genau das, was meine Generation
so verachtet hat bei der nachträglichen Auseinandersetzung mit dem Nazi-Regime.
Und genau das passierte nach dem Ende der DDR, die tiefgreifende Auseinandersetzung zwischen Alt und Alt, sowie Alt und Jung, blieb aus.
Statt dessen ließ sich Jung in großen Teilen von Alt sozialisieren.
Das sehe ich vollkommen anders. Man ist nicht Teil des Ganzen. Niemand! Weder die SS-Manns-Tochter noch der SED-Funktionärssohn. Man kann sich höchstens entscheiden, Teil des Ganzen sein zu wollen und diese Entscheidung irgendwann später bereuen und "aufarbeiten".
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Kohlhaas »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:53)Auf keinen Fall stelle ich mich jedenfalls in irgendeine durch soziale Prägung erfolgte Tradition. Weil meine Eltern und Vorgänger schon immer Sozialdemokraten waren. Oder Antroposophie-Liebhaber. Oder konservative Katholiken. Oder DDR-Nostalgiker.
Wieder verwendest Du Begrifflichkeiten in falscher Weise und in völlig überspitzter Auslegung. Niemand hat je behauptet, dass Sozialisation zu "Prägung" führt oder "bedingte Reflexe" auslöst. Trotzdem bleibt die Idee, dass Deine Persönlichkeit zu hundert Prozent ein Ergebnis Deiner eigenen freien Entscheidungen ist, völlig absurd. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er erzeugt nicht sich selbst. Jeder von uns hat zahlreiche Grundüberzeugungen, die mit "Meinung" oder "freier Entscheidung" gar nichts zu tun haben. Wir halten diese Grundüberzeugungen für "alternativlos" und sehen sie als quasi naturgesetzlich an. Wir hinterfragen die nicht mal. Auch das hat mit Sozialisierung zu tun.

Beispiel: Würdest Du Menschenfleisch essen? Wenn Du diese Frage mit "Ja" beantwortest, stellst Du Dich außerhalb der Gesellschaft, in der Du lebst. Die breite Masse der Menschen in unserer Gesellschaft würde spontan und ohne nachzudenken mit "Nein" antworten. Dabei ist es keineswegs selbstverständlich oder gar naturgesetzlich, dass Menschen kein Menschenfleisch essen dürfen. Es gibt Gesellschaften, in denen das als völlig normal gilt. Zumeist aus rituellen Gründen, aber das nur am Rande...

Wenn Du mal unvoreingenommen Deine eigene Lebenseinstellung betrachtest, wirst Du zahlreiche Punkte entdecken, die Du einfach als gegeben hinnimmst und nie hinterfragst. Dazu gehört zum Beispiel Deine Einstellung, dass Du selbst Dich durch Deine eigenen Willensentscheidungen definierst. Auch das ist nicht "naturgesetzlich" und selbstverständlich. Es gibt Gesellschaften, in denen das völlig anders ist. Es gibt zum Beispiel Gesellschaften, in denen der Begriff "Individuum" schwer verständlich ist. Das geht so weit, dass es in der Sprache dieser Gesellschaften keinen Begriff für "die Welle" gibt, sondern nur Umschreibungen für "stetiges Wogen ereignet sich". Es ist bestenfalls naiv anzunehmen, dass ein Mensch unbeeinflusst von der Gesellschaft bleiben könnte, in der er lebt.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Selina »

Kohlhaas hat geschrieben:(17 Jun 2021, 18:11)

Prima. Dann verstehst Du doch im Grunde, worum es geht. Erklär mal, warum es so ist, dass es im Osten Regionen gibt, in denen Demokratiefeinde fast die Mehrheit stellen.
Solange du eine fast 70jährige studierte Person, die weit mehr als die Hälfte ihres Lebens in der DDR gelebt hat, wie ein kleines Kind belehrst, wird das nichts mit uns. Das Ursachengeflecht für die hohen AfD-Zahlen hab ich im Forum in gefühlt 100 Beiträgen (hier gerade in drei) beschrieben. Offenbar verstehst du nicht, dass man auch in der DDR eine humanistische Bildung genießen und sich ebenfalls frei fühlen konnte. Ich rede nicht von Reisefreiheit, sondern von freiem Denken. Freiheit hat nichts mit den Sonntagsreden irgendwelcher Politiker am 3. Oktober zu tun. Und nur mal am Rande: In der DDR hab ich trotz aller Verwerfungen und Missstände nie Angst vor einem neuen Faschismus haben müssen. Heute in diesem großen vereinigten Deutschland hab ich diese Sorge durchaus, weil das Problem überall greifbar und real vorhanden ist.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Teeernte »

Vongole hat geschrieben:(17 Jun 2021, 18:29)

Aufarbeitung gelingt nur von innen, auch durch hinterfragen der eigenen Position in einem System. Wer sich daneben stellt, nur von außen schaut, obwohl er Teil des Ganzen war, macht genau das, was meine Generation
so verachtet hat bei der nachträglichen Auseinandersetzung mit dem Nazi-Regime.
Und genau das passierte nach dem Ende der DDR, die tiefgreifende Auseinandersetzung zwischen Alt und Alt, sowie Alt und Jung, blieb aus.
Statt dessen ließ sich Jung in großen Teilen von Alt sozialisieren.
Nun die DDR hatte für Kinder und Jugendliche ein Programm zur Aufarbeitung mit Nazideutschland.

Falls Du das Programm nicht kennst - kann ich Dir das auch noch erklären - zerpflückt hier den Thread.

Die "NEUE" Bildung hat DAS NICHT ! Die Aufarbeitung des Naziregiemes im Osten haben nun die Eltern zu bringen. Die Schule bringt DAS nicht.

------------------------------------------------------------------------------------

Danach etwas Mathe. Von 100 "bunten" Kugeln rollen 40 Grüne und Rote in den Westen. Die Blauen und Schwarzen Kugeln bleiben .

Es wird also auch dadurch zu einer Konzentration von schwarzen und blauen geben.

NUR NEBENBEI.
Obs zu kalt, zu warm, zu trocken oder zu nass ist:.... Es immer der >>menschgemachte<< Klimawandel. :D
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von schokoschendrezki »

Ich hab diesen Thread in die Welt gesetzt ... und es ist ja nicht so, dass ich in den zahlreichen Reflexionen zu den "Thesen" von Wanderwitz nicht herumgelesen hätte. Die vernünftigen unter ihnen kommen mehr oder weniger einheitlich zu dem Schluss: Wahlentscheidungen, z.B. Pro und Kontra AfD hängen weniger von "Dikatursozialisierung" vs "Demokratiseozualisierung" ab sondern viel viel mehr von "Themenorientierung" vs. "Sicherheitsorientierung". Das - jedenfalls nach eigenen Zielen - verhältnismäßig schlechte Abschneiden der AfD in Sachsen-Anhalt und das ziemlich gute Abschneiden der CDU lässt sich ziemlich klar aus der höhren Präferenz von "Sicherheit" der Babyboomergeneration - und das sind in Sachsen-Anhalte genau die vorgeblich "diktatursozialisierten" - ableiten. Während die verhältnismäßig hohe Präferenz der jungen, Nachwendesozualisierten Wähler für die AfD sich aus ihrer höheren Präferenz für "Themen" anstelle von "Sicherheit" ableiten lässt. In meinem Studium liefen diese Unterscheidungen unter den Begriffen "Minimierung des maximalen Risikos" versus "Maximimierung des minialen Gewinns". Und unter Fragestellung wie man diese Unterscheidung quantifizieren, statistisch auswerten, numerisch berechnen kann.

Mit diesem Ansatz ist auch der Aufstieg der Grünen in der Wählergunst in jüngerer Zeit gut zu erklären. Bei den Grünen erhofft man sich am ehesten einen Umschwung bei präferierten Themen. Zum Beispiel bei der Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs. Gleichzeitig jedoch ist dennoch das maximale Risiko gering. Das hat unter anderem damit zu tun, dass es eine mehr oder weniger erfolgreiche grüne Landesregierung gibt. Also: Vieles könnte anders werden bei einer grünen Bundeskanzlerin und gleichzeitig kann man sich ziemlich sicher sein, dass sie die Bundesrepublik nicht gleich an die Wand fahren werden. Diese mehr oder weniger optimale Kombination aus Sicherheit und Themenbezogenheit ist das Geheimrezept des Erfolgs.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Kohlhaas »

Selina hat geschrieben:(17 Jun 2021, 18:36)

Solange du eine fast 70jährige studierte Person, die weit mehr als die Hälfte ihres Lebens in der DDR gelebt hat, wie ein kleines Kind belehrst, wird das nichts mit uns. Das Ursachengeflecht für die hohen AfD-Zahlen hab ich im Forum in gefühlt 100 Beiträgen (hier gerade in drei) beschrieben. Offenbar verstehst du nicht, dass man auch in der DDR eine humanistische Bildung genießen und sich ebenfalls frei fühlen konnte. Ich rede nicht von Reisefreiheit, sondern von freiem Denken. Freiheit hat nichts mit den Sonntagsreden irgendwelcher Politiker am 3. Oktober zu tun. Und nur mal am Rande: In der DDR hab ich trotz aller Verwerfungen und Missstände nie Angst vor einem neuen Faschismus haben müssen. Heute in diesem großen vereinigten Deutschland hab ich diese Sorge durchaus, weil das Problem überall greifbar und real vorhanden ist.
Jetzt gerät die Diskussion auf eine neue Ebene...

Beantworte mir bitte zwei Fragen.

Erstens: Bist Du eine fast 70-jährige studierte Person?
Zweitens: Wo soll ich versucht haben, Dich zu belehren? Ich habe hier lediglich meine Meinung gesagt. Darf ich das nicht, wenn die Gefahr besteht, dass Du Dich dadurch einem Belehrungsversuch ausgesetzt siehst?

Was Du über "freies Denken" schreibst, dreht mir beinahe den Magen um. Freiheit ist nicht das Recht, tun zu dürfen was man selbst will. Freiheit ist das Recht, nicht tun zu müssen, was andere wollen. Und erzähl mir jetzt bloß nicht, dass es diese Freiheit in der DDR gegeben hat! Das DDR-Regime war ausgeprägt unfrei. Da sind Menschen bespitzelt und in den Knast gesperrt worden, weil sie mal eine "falsche" Meinung geäußert haben. Da wurden Menschen an der Grenze abgeknallt, weil sie woanders hin wollten. Dass Du Dich "frei gefühlt" hast, weil Du ja wenigstens noch "frei denken" konntest, besagt genau gar nichts. Es ist bestenfalls die Kapitulation vor der Macht der Herrschenden. Die innere Emigration. Ich weiß sehr wohl, dass die große Mehrzahl der Menschen in der DDR sich das Leben so gestaltet hat, dass man möglichst komfortabel leben konnte. Ich weiß sehr wohl, dass die meisten Menschen in der DDR damit gut zurecht gekommen sind ---- wenn sie sich systemkonform verhalten haben! Und das ist der entscheidende Punkt! Systemkonformes Verhalten. Das war der Schlüssel. Erzähl uns hier bitte nichts von "gefühlter Freiheit".

Du musstest in der DDR nie Angst vo einem neuen Faschismus haben? Interessant. Komischerweise grassiert der neue Faschismus heute gerade in der Ex-DDR. Gerade in den neuen Bundesländern, die ja angeblich immer so "antifaschistisch" waren, stimmt eine überdurchschnittlich große Zahl von Bürgern heute faschistischen Thesen zu. Das wäre natürlich nicht passiert, wenn Deutschland nicht wiedervereinigt worden wäre und wenn die östlichen Bundesländer eine Diktatur geblieben wären....

Zum Abschluss: Beleg doch bitte mal, wo ich behauptet haben soll, dass man in der DDR keine humanistische Bildung genießen konnte. Diese Bemerkung von Dir war voll daneben.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Vongole »

Teeernte hat geschrieben:(17 Jun 2021, 18:45)

Nun die DDR hatte für Kinder und Jugendliche ein Programm zur Aufarbeitung mit Nazideutschland.

Falls Du das Programm nicht kennst - kann ich Dir das auch noch erklären - zerpflückt hier den Thread.

Die "NEUE" Bildung hat DAS NICHT ! Die Aufarbeitung des Naziregiemes im Osten haben nun die Eltern zu bringen. Die Schule bringt DAS nicht.
(..)
Aufarbeitung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu allererst durch die Großeltern/Eltern und dazu begleitend durch die Schule.
Wird sie überwiegend nicht gewünscht, taucht sie auch kaum in den Lehrplänen auf, wie jahrelang in Westdeutschland, bis der Jugend der Geduldsfaden riss.
Nicht der Staat hat es zu richten, die Gesellschaft muss von alleine tätig werden, und das wurde sie bis auf wenige Ausnahmen nicht!

Die Programme der SED sind mir bekannt, ich hatte dort Verwandschaft und bin mit einem DDR-Flüchtling verheiratet.
Am Yisrael Chai

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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Teeernte »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 18:46)
Wahlentscheidungen, z.B. Pro und Kontra AfD hängen weniger von "Dikatursozialisierung" vs "Demokratiseozualisierung" ab sondern viel viel mehr von "Themenorientierung" vs. "Sicherheitsorientierung".
Wenn man so weiter macht und nicht erkennen WILL woran es liegt.....

Nun also liegts am "Regen" . Die AfD ist vom Dach gefallen und es liegt am Wetter....Themenorientiert.

>> HIER im OSTEN kommt "DEINE" Demokratie nicht an .

Ungleichbehandlung - Lohnunterschiede...Rentenberechnung "OOOOOST" .....30 Jahre nach der Wende... Seilschaften , Postengeschacher ...

Da wo Ihr öffentliche Aussprachen habt kommt hier die Polizei//Beamte und erklärt, dass es eben so ist im "Sozialstaat" - ohne Aussprache.

Das grösste Deutsche Staatsunternehmen - die DB AG hat "Beamte" West, Reichsbahner OST und NEUE. Tarif, Rente/Pension...Urlaub...Aufgaben alles unterschiedlich.
Schön dass es eine "OST"NeuGewerkschaft geschafft hat - dem Verein vor das Schienbein zu treten. Gewerkschaft der Lockführer - Gründung durch einen Rangierlockführer.

"Richtig" Westen....ist hier noch lange nicht - und das liegt auch an DENEN , die "uns" die Demokratie beibringen wollen.
---------------------------------------------------------------------------------------

Richtig lächerlich macht sich NEUE "Ostschule" - wenn man versucht - die "armen" Ostkinder für die Kirche zu missionieren.

Ja - das wird durch die "Diktatursozialisierung" der Eltern und Grosseltern WIRKLICH NICHTS !!!
Obs zu kalt, zu warm, zu trocken oder zu nass ist:.... Es immer der >>menschgemachte<< Klimawandel. :D
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Teeernte »

Vongole hat geschrieben:(17 Jun 2021, 19:00)

Aufarbeitung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu allererst durch die Großeltern/Eltern und dazu begleitend durch die Schule.
Wird sie überwiegend nicht gewünscht, taucht sie auch kaum in den Lehrplänen auf, wie jahrelang in Westdeutschland, bis der Jugend der Geduldsfaden riss.
Nicht der Staat hat es zu richten, die Gesellschaft muss von alleine tätig werden, und das wurde sie bis auf wenige Ausnahmen nicht!

Die Programme der SED sind mir bekannt, ich hatte dort Verwandschaft und bin mit einem DDR-Flüchtling verheiratet.
Im Osten hat das früher der Staat abgewickelt - so wie Mathe, Geographie und Deutsch. Davon gehen Eltern //Grosseltern weiter aus. Der "WEST" Lehrplan der durch Lehrermangel eh nicht durchgezogen wird ->> OHNE JEGLICHE Politik//Weltanschauung (ausser Kirche) - ist ...im Osten möglicherweise >> die FALSCHE WAHL ?? !
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von schokoschendrezki »

Teeernte hat geschrieben:(17 Jun 2021, 18:45)

Nun die DDR hatte für Kinder und Jugendliche ein Programm zur Aufarbeitung mit Nazideutschland.

Falls Du das Programm nicht kennst - kann ich Dir das auch noch erklären - zerpflückt hier den Thread.

Die "NEUE" Bildung hat DAS NICHT ! Die Aufarbeitung des Naziregiemes im Osten haben nun die Eltern zu bringen. Die Schule bringt DAS nicht.

------------------------------------------------------------------------------------

Danach etwas Mathe. Von 100 "bunten" Kugeln rollen 40 Grüne und Rote in den Westen. Die Blauen und Schwarzen Kugeln bleiben .

Es wird also auch dadurch zu einer Konzentration von schwarzen und blauen geben.

NUR NEBENBEI.
Es ist so: Du kannst die prozentualen AfD-Wähleranteile nach Bundesland farblich auf einer Karte darstellen ... und wie aus dem Nirvana erscheinen die Umrisse der ehemaligen DDR. Ja. Klar. Es gibt übrigens hochinteressante, wirklich faszinierende Verfahren, mit denen man Bodenvertiefungsunterschiede von wenigen Zentimetern messen kann ... und wenn man dann noch den aktuellen Pflanzenbestand digital wegrechnet ... dann sieht man plötzlich Fischteiche oder die Fundamente irgendwelcher alter Burganlagen, die vor hunderten von Jahren entstanden sind und die aus der Nähe kein Mensch wahrnehmen kann. Wie heißt das Verfahren? "Leva", "Lava"? ... habs vergessen. Die Userin D.A. wird das wissen. Aber jedenfalls: So interessant das für die Historie ist. Was willst Du daraus für den Wahlausgang in Sachsen oder Sachsen-Anhalt herleiten? Der zeitliche Abstand ist nicht das Problem. Man weiß, dass selbst noch in zweiter und dritter Generation traumatische Erlebnisse gewissermaßen weiterverebt werden. Aus dem Zweiten Weltkrieg zum Beispiel. Ich weiß es aus eigener Erfahrung. Was willst Du daraus ableiten? Dass Vergewaltigungen durch russische Soldaten in Berlin einen Einfluss auf das heutige Verhältnis der Menschen zu Russland haben. Oder dass die vielen traumatisierten US-SOldaten aus dem Vietnam-Krieg einen Einfluss auf die US-Wahlen haben? Es gibt nur ein schlüssiges Modell: Ich schaue mir die Dinge an, analysiere sie und entscheide mich bewusst und selbst für meine politischen Präferenzen.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von schokoschendrezki »

Kohlhaas hat geschrieben:(17 Jun 2021, 18:34)

Wieder verwendest Du Begrifflichkeiten in falscher Weise und in völlig überspitzter Auslegung. Niemand hat je behauptet, dass Sozialisation zu "Prägung" führt oder "bedingte Reflexe" auslöst. Trotzdem bleibt die Idee, dass Deine Persönlichkeit zu hundert Prozent ein Ergebnis Deiner eigenen freien Entscheidungen ist, völlig absurd.
Da verstehst Du glaub ich die Intention all der philosophischen Gedankengebäude, die das so postulieren, falsch. Wie heißt es bei Wolf Biermann: "So soll es sein. So wird es sein". Und das ist wirklich ernst gemeint. Die Wirklichkeit entsteht ganz wesentlich im Vollzug von Ideen und Vorstellungen. Aber in einem philosophischen und nicht in einem irgendwie naturwissenschaftlichen und dann empirisch verifizierbaren oder falsizifizierbaren Sinne. So soll es sein. Das ist mein Modell von der Welt, dem Universum, der Gesellschaft, meinem Ich. Und so wird es sein!
Beispiel: Würdest Du Menschenfleisch essen? Wenn Du diese Frage mit "Ja" beantwortest, stellst Du Dich außerhalb der Gesellschaft, in der Du lebst. Die breite Masse der Menschen in unserer Gesellschaft würde spontan und ohne nachzudenken mit "Nein" antworten. Dabei ist es keineswegs selbstverständlich oder gar naturgesetzlich, dass Menschen kein Menschenfleisch essen dürfen. Es gibt Gesellschaften, in denen das als völlig normal gilt. Zumeist aus rituellen Gründen, aber das nur am Rande...
Also, ob ich Menschenfleisch essen würde ... die Frage habe ich mir schon mal gestellt. Nicht, weil ich die Gelegenheit dazu hatte, sondern einfach so ....Und hätte ich die Gelegenheit, würde ich es nicht tun, nicht zuletzt, weil ich mir diese Frage selbst mit "Nein" beantwortet habe. Und nicht etwa vorrangig deshalb, weil es in Mitteleuropa unüblich ist, Menschenfleisch zu essen und nicht den kulturellen Traditionen entspricht.

Schau dir zum Beispiel die Entwicklung der Haltungen in Europa bezüglich sexueller Präferenzen an! Es handelt sich mehr und mehr um eine individulle Entscheidung und weniger und weniger um das Einbiegen in irgendeine Straße der Traditionen, Identitäten und Prägungen. Auch hier gilt das Prinzip: So soll es sein. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob solche Entscheidungen statistisch nachweislich in der realen Gesellschaft wirklich relevant sind oder ob sie im Nullommairgendwas-Bereich liegen.

Es handelt sich nicht um eine Sache, die man irgendwie ermittelt sondern um eine Sache, die man sich vornimmt, die man beschließt.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Teeernte »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 19:10)
Es gibt nur ein schlüssiges Modell: Ich schaue mir die Dinge an, analysiere sie und entscheide mich bewusst und selbst für meine politischen Präferenzen.
Dann versuch doch nicht, mir Deine (falsche) "Analyse" ....>> Faktenfrei aufzudrängen.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Kohlhaas »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 19:28)

Da verstehst Du glaub ich die Intention all der philosophischen Gedankengebäude, die das so postulieren, falsch. Wie heißt es bei Wolf Biermann: "So soll es sein". Und das ist wirklich ernst gemeint. Die Wirklichkeit entsteht ganz wesentlich im Vollzug von Ideen und Vorstellungen.
Ich bin jetzt kein Fan von Biermann. Deshalb sagt mir der Liedtitel nichts. Aber, ja, Du hast recht. Unsere Lebenswirklichkeit entsteht durch den Vollzug von Ideen und Vorstellungen. Die Frage ist nur: Wo haben wir die Ideen und Vorstellungen her? Basteln wir uns die alle selbst? In vielen Fällen machen wir das tatsächlich. Deshalb ist Sozialisierung auch nicht mit "Prägung" zu vergleichen. Sozialisierung hat deshalb auch nichts zu tun mit den bedingten Reflexen bei den Hunden von Pawlow. Es gibt Sozialisierung aber trotzdem. Das ist für sozial lebende Wesen wie Menschen einfach unvermeidlich. Jeder Mensch muss sich bis zu einem gewissen Grad an die Normen der Gesellschaft anpassen, in der er lebt. Ich unterstelle mal, dass Du ein erwachsener Mensch bist. Und ich behaupte, dass es Dir nicht leicht fallen würde, von jetzt auf gleich in einer Gesellschaft aus Inuit (Polarkreis) oder San (Kalahari) zu leben. Du würdest Jahre brauchen, um Dich an deren Sozialverhältnisse zu gewöhnen. Du müsstest bewusst "lernen", was diese Menschen quasi mit der Muttermilch eingesogen haben. Und Du müsstest bewusst "vergessen", was Du mit der Muttermilch eingesogen hast.

Sozialisierung bedeutet nicht, dass wir nicht mehr die Wahl haben, uns frei zu entscheiden was wir machen. Sozialisierung setzt einfach nur einen Rahmen. Grenzen, die gesellschaftlich akzeptiert sind. In den meisten Fällen hinterfragen wir diese Grenzen nichtmal. Wir betrachten sie als naturgesetzlich richtig. Sind sie aber nicht. Wir beachten solche Regeln nicht deshalb, weil sie "naturgesetzlich richtig" sind, sondern weil wir das so empfinden. Es ist aber nicht "naturgesetzlich", bestimmte Regeln zu befolgen. Regeln werden in GEMEINSCHAFTEN formuliert. Manchmal hat man die Freiheit, selbst zu entscheiden ob man sich den Regeln unterordnet. Manchmal hat man diese Freiheit aber auch nicht. Stichwort: Strafgesetzbuch.

Wieder ein Beispiel: Mein Nachbar zur rechten ist ein widerliches fettes Arschloch mit Naturlocken. Wenn ich den sehe, kriege ich unwillkürlich Lust, dem Kerl eine reinzuhauen. Ich mache das aber nicht. Und das liegt nicht daran, dass ich mich vor Strafverfolgung fürchte. Wenn ich das wirklich wollte, könnte ich den Penner jederzeit ungesehen vermöbeln. Ich mache das deshalb nicht, weil es in unserer Gesellschaft nicht akzeptabel ist, sowas zu tun. In unserer Gesellschaft gibt es ein Rechtssytem, eine staatliche Gewalt, die das alles im Zeifel übernimmt. Es gibt aber andere Gesellschaften, in denen das nicht so ist. Gesellschaften, in denen Individuen das Recht in die eigenen Hände nehmen müssen, weil es gar keinen Staat gibt.

Das war jetzt nur ein Beispiel von ganz vielen möglichen Beispielen. Du solltest Dich wirklich von der Therie lösen, dass Du selbst autonom und vollig rational entscheiden könntest, wie Du jeweils handelst. Das ist eine Illusion! Wenn Du handelst, dann tust Du das immer nur im Rahmen der gesellschaftlich akzeptierten und durch Sozialisation vermittelten Rahmenbedingungen. Natürlich kannst Du gegen die Rahmenbedingungen verstoßen. Dann bist Du aber zumeist ein Verbrecher.
Also, ob ich Menschenfleisch essen würde ... die Frage habe ich mir schon mal gestellt. Nicht, weil ich die Gelegenheit dazu hatte, sondern einfach so ....Und hätte ich die Gelegenheit, würde ich es nicht tun, nicht zuletzt, weil ich mir diese Frage selbst mit "Nein" beantwortet habe. Und nicht etwa vorrangig deshalb, weil es in Mitteleuropa unüblich ist, Menschenfleisch zu essen und nicht den kulturellen Traditionen entspricht.
Ich wollte Dir nicht unterstellen, dass Du ein potenzieller Menschenfresser bist. Ich hatte das Extrem-Beispiel gewählt, um deutlich zu machen, dass es sehr stark vom kulturellen Kontext abhängt, wie ein Individuum sich verhält. Ja, Du hast für Dich entschieden, dass es nicht in Ordnung ist, Menschenfleisch zu essen. Glaubst Du, dass Du diese Entscheidung genauso fällen würdest, wenn Du in Papua-Neuguinea aufgewachsen wärst? In einer Gesellschaft, in der es aus rituellen Gründen wichtig ist, die Gehirne von Verstorbenen zu essen, um diese Verstorbenen in Erinnerung zu behalten? Wir reden hier nicht über vollkommen freie Entscheidung eines Idividuums. Wir reden über Entscheidungen innerhalb eines Rahmen, den die Gesellschaft vorgibt. Das nennt man Sozialisierung.
Zuletzt geändert von Kohlhaas am Do 17. Jun 2021, 20:26, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(17 Jun 2021, 18:36)

Solange du eine fast 70jährige studierte Person, die weit mehr als die Hälfte ihres Lebens in der DDR gelebt hat, wie ein kleines Kind belehrst, wird das nichts mit uns. Das Ursachengeflecht für die hohen AfD-Zahlen hab ich im Forum in gefühlt 100 Beiträgen (hier gerade in drei) beschrieben. Offenbar verstehst du nicht, dass man auch in der DDR eine humanistische Bildung genießen und sich ebenfalls frei fühlen konnte. Ich rede nicht von Reisefreiheit, sondern von freiem Denken. Freiheit hat nichts mit den Sonntagsreden irgendwelcher Politiker am 3. Oktober zu tun. Und nur mal am Rande: In der DDR hab ich trotz aller Verwerfungen und Missstände nie Angst vor einem neuen Faschismus haben müssen. Heute in diesem großen vereinigten Deutschland hab ich diese Sorge durchaus, weil das Problem überall greifbar und real vorhanden ist.
'ne Angst vor nem neuen Faschismus hatte ich in der DDR-Zeit durchaus. Und ganz real.

Hier gehts ja um die Äußerungen von Wanderwitz. Und mein persönliches Fazit dazu lautet, dass es sich bei seinen Einlassungen um ein ähnlich grandioses Eigentor handelt wie das kürzlich beim Fußballspiel Deutschlands gegen Frankreich. Und das ist nichtmal (nur) meine persönliche Meinung sondern (auch) die Quintessenz des Teils der Analysen dazu, die irgendwie nachvollziehbar, vernünftig und rational klingen.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 20:16)

'ne Angst vor nem neuen Faschismus hatte ich in der DDR-Zeit durchaus. Und ganz real.

Hier gehts ja um die Äußerungen von Wanderwitz. Und mein persönliches Fazit dazu lautet, dass es sich bei seinen Einlassungen um ein ähnlich grandioses Eigentor handelt wie das kürzlich beim Fußballspiel Deutschlands gegen Frankreich. Und das ist nichtmal (nur) meine persönliche Meinung sondern (auch) die Quintessenz des Teils der Analysen dazu, die irgendwie nachvollziehbar, vernünftig und rational klingen.
Ja klar ist diese Äußerung Mist. Ich finde aber gut, dass du diesen Thread eröffnet hast und glaube, dass man hier durchaus diskutieren kann, was es denn dann ist, wenn nicht "diktatursozialisiert". Warum wählen im Osten so viele die AfD? Warum haben sich all die rechtsradikalen "Vordenker" aus dem Westen gerade den Osten für ihre Propaganda ausgesucht? Zufall? Nee. Sie wollten noch mal Karriere machen, politische und andere Karriere. Sie sind beseelt von ihrem Nationalismus und ihrer "Vaterlandsliebe" und möchten gerne "wieder stolz sein dürfen auf die Soldaten zweier Weltkriege". Und im Westen konnten sie damit nicht mehr landen, niemand wollte sie da. Warum schafften sie es dann im Osten, solch einen immensen Zuspruch zu erfahren? Schau dir die letzten 30 Jahre an, was im Osten so gelaufen ist außer "blühenden Landschaften". Dort findest du knallharte ökonomische und soziale Ursachen... neben der latent vorhandenen Rechtsradikalität bei etlichen Leuten. Die AfD-Nasen sind im Bundestag die größte Oppositions-Fraktion. Leute, die Demokratie und Regierung lieber heute als morgen abschaffen wollen. Was sagst du dazu? Egal?
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Kohlhaas »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 20:16)

'ne Angst vor nem neuen Faschismus hatte ich in der DDR-Zeit durchaus. Und ganz real.

Hier gehts ja um die Äußerungen von Wanderwitz. Und mein persönliches Fazit dazu lautet, dass es sich bei seinen Einlassungen um ein ähnlich grandioses Eigentor handelt wie das kürzlich beim Fußballspiel Deutschlands gegen Frankreich. Und das ist nichtmal (nur) meine persönliche Meinung sondern (auch) die Quintessenz des Teils der Analysen dazu, die irgendwie nachvollziehbar, vernünftig und rational klingen.
Was ist denn da nachvollziehbar, vernünftigt und rational?

Die Aussage, dass die Wessies schuld sind, wenn Ossies gern rechtsradikal wählen, ist aus meiner Sicht weder nachvollziehbar noch vernünftig noch rational.

Nochmal: Wir haben es mit dem Phänomen zu tun, dass in den neuen Bundesländern mindestens doppelt so viele Menschen bereit sind, rechtsradikalie Parteien zu wählen wie im Westen Deutschlands. Es ist ja wohl durch Wahlergebnisse empirisch bewiesen, dass es genau so ist. Und es ist ja wohl völlig bescheuert, den alten Bundesländern irgendwie anlasten zu wollen, dass es in den neuen Bundeslädern viel zu viel Rechtsradikale gibt!

Macht Euch ruhig schön schlank mit der Behauptung, dass es im Westen Deutschlands nicht anders zugeht als im Osten. Das ist und bleibt aber eine Lüge. Im Osten Deutschlands ist die Zustimmung zu rechtsradkalen Positionen mindestes doppelt so hoch wie im Westen Deutschlands. Das müsst Ihr auch irgendwann mal erklären. Die vollverblödete Aussage, dass die Wessies schuld sein müssen, weil es bei den Ossis ja staatlich verordnet nie Rechtsextremismus gab, könnt Ihr Euch getrost sonstwo hin schieben. Fakt ist und bleibt, dass rechtsradikale Thesen insbesondere in Ostdeutschland verbreitet werden und insbesondere in Ostdeutschland überdurchschnittliche Zustimmung finden. Bis hin zur Mehrheitsfägigkeit. Das ist unsäglich! Geht gar nicht!
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von schokoschendrezki »

Kohlhaas hat geschrieben:(17 Jun 2021, 20:16)

Ich bin jetzt kein Fan von Biermann. Deshalb sagt mir der Liedtitel nichts. Aber, ja, Du hast recht. Unsere Lebenswirklichkeit entsteht durch den Vollzug von Ideen und Vorstellungen.
Auch da muss ich dir sofort widersprechen. "Unsere Lebenswirklichkeit" ... wenn du damit die politische Entwicklung meinst ... entsteht durch Wahrnehmung und Durchsetzung von Machtinteressen. Die größere Geschichte wie auch die aktuelle politische Entwicklung verläuft keineswegs entlang von Ideologien, "Kulturen" oder Ideen sondern entlang von Interessenswahrnehmungen und Machterhaltungsstrategien. Darüber haben Putin und Biden jetzt in Genf verhandelt. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ideologien, Ideen, die da irgendwie von "oben" kommen sind fürs dumme Volk gemacht. Irgendwer musste sich ja dafür in Vietnam oder muss sich in der Ostukraine totschießen lassen.

Wenn ich meine eignen Ideen, Entscheidungen, meine positive Freiheit, meine Freiheit "für" dagegen setze, dann nicht, um die Machtverhältnisse in der Welt zu verändern ... sondern um meine persönliche Freiheit im Sinne von Reckwitzens Gesellschaft der Singularitäten umzusetzen. Das ist einfach Idealismus. Subjektiver Idealismus wahrscheinlich sogar.
Die Frage ist nur: Wo haben wir die Ideen und Vorstellungen her? Basteln wir uns die alle selbst? In vielen Fällen machen wir das tatsächlich. Deshalb ist Sozialisierung auch nicht mit "Prägung" zu vergleichen. Sozialisierung hat deshalb auch nichts zu tun mit den bedingten Reflexen bei den Hunden von Pawlow. Es gibt Sozialisierung aber trotzdem. Das ist für sozial lebende Wesen wie Menschen einfach unvermeidlich. Jeder Mensch muss sich bis zu einem gewissen Grad an die Normen der Gesellschaft anpassen, in der er lebt. Ich unterstelle mal, dass Du ein erwachsener Mensch bist. Und ich behaupte, dass es Dir nicht leicht fallen würde, von jetzt auf gleich in einer Gesellschaft aus Inuit (Polarkreis) oder San (Kalahari) zu leben. Du würdest Jahre brauchen, um Dich an deren Sozialverhältnisse zu gewöhnen. Du müsstest bewusst "lernen", was diese Menschen quasi mit der Muttermilch eingesogen haben. Und Du müsstest bewusst "vergessen", was Du mit der Muttermilch eingesogen hast.
:p
Nur mal so ... Bei den Inuit in Grönland wie auch in vielen Teilen Afrikas hätte ich ein Problem damit, mich an den obligatorischen Gebrauch eines Smartphones zu gewöhnen ... ich hab nicht nur keins sondern vor allem auch beschlossen keins haben zu wolllen ... auch wenn ich meinen Lebensunterhalt in der Herstellung, Durchschauung und Verfügbarmachung u.a. von Smartphone-Apps verdiene. Sprich, ich sitze mehr oder weniger den ganzen Tag über irgendwelchem Programmquellcode. Und ich hätte das Problem, dass die Inuits in Grönland oder Kanada eher Wodka und vor allem eher zuviel Wodka und andere harte Sachen trinken und ich mehr auch Weißwein stehe. Auch eine der weltweit höchsten Mordraten wie die in Grönland würde einen Aufenthalt dort jetzt nicht unbedingt verschönern. Bei den Chanten und Mansen in Nordwest-Sibirien würde ich zwar ganz ungefähr und irgendwie ahnungsweise feststellen, dass deren Sprache mit der Muttersprache meines Vaters gemeinsam zur finno-ugrischen Sprachfamilie gehört ... aber ich hätte das Problem, dass ich nicht mit der dortigen aktuellen Affinität zu Baptisten, Evangeliums-Christen und Pfingstler-Bewegungen zurechtkäme. Ähnliches würde auch für viele Regionen Brasiliens zutreffen. Ich hab mit der Muttermilch vor allem Proteine eingesogen, die mein Gehirn in die Lage versetzt haben, eine Sprache und das Einmaleins zu lernen.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Do 17. Jun 2021, 21:03, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von JJazzGold »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:53)

Das ist eine gute Frage. Wenn auch eine nur theoretische. So viel und lange muss man nicht überlegen, um zu der Einsicht zu kommen, dass sie das nicht tun wird.

Weitaus eher relevant wird diese Frage bei Parteien, die man so ganz grob als "ökofaschistisch" einordnen kann. Der "Reichsführer SS" Heinrich Himmler ist das vielleicht bekannteste Beispiel für einen Ökofaschisten. Für einen Vollwertkost und Germanenkult liebenden NS-Ideologen. Ein anderes Beispiel wäre die Eugenik-Politik der schwedischen Sozialdemokratie. Alva und Gunnar Myrdal. Ich habe das verkürzt. Natürlich gibt es grundsätzliche sozusagen "vorgeschaltete" Ausschlusskriterien. Und dann, danach eine Auswahl nach persönlichen Präferenzen.

Auf keinen Fall stelle ich mich jedenfalls in irgendeine durch soziale Prägung erfolgte Tradition. Weil meine Eltern und Vorgänger schon immer Sozialdemokraten waren. Oder Antroposophie-Liebhaber. Oder konservative Katholiken. Oder DDR-Nostalgiker.
Es scheint doch eine funktionierende Hemmschwelle bei Ihnen zu geben.
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von BlueMonday »

Selina hat geschrieben:(17 Jun 2021, 20:37)

Ja klar ist diese Äußerung Mist. Ich finde aber gut, dass du diesen Thread eröffnet hast und glaube, dass man hier durchaus diskutieren kann, was es denn dann ist, wenn nicht "diktatursozialisiert". Warum wählen im Osten so viele die AfD?
Viel naheliegender könnte man da auch "diskutieren", wieso die Linke etwa in Thüringen immer noch und wieder derartige Ergebnisse einfährt. Ob dies etwa mit den "Prägungen" aus dem Leben und den vergangenen Erfahrungen in der DDR noch zu tun haben könnte und inwiefern die Mitglieder und Wähler dieser Partei tatsächlich und nicht nur lippenbekennend in "der Demokratie" angekommen sind - was auch immer der Altbundesbürger darunter verstehen mag, denn dessen Verständnis davon wird ja mit viel Chuzpe als definierend hingestellt. Also etwas, zu dem der ehemalige DDR-Bürger nebst Nachkommenschaft erst hingeführt, hingebildet, hinbelehrt werden musste und muss, schließlich lebte der ja lange ahnungslose 40 Jahre in einer Diktatur hinter einer hohen Mauer. Sofern er überhaupt noch "erreichbar" ist. Wie will man so etwas von "Demokratie" wissen und vor allem wissen, an welcher Stelle der wackere Demokrat sein Kreuz zu machen hat.
ensure that citizens are informed that the vaccination is not mandatory and that no one is under political, social or other pressure to be vaccinated if they do not wish to do so;
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JJazzGold
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von JJazzGold »

Vongole hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:54)

Durch ihre bloße Gegenwart.
Für viele im Osten - nicht nur in Deutschland- blieb der "Gegner" einfach derselbe, nämlich das globalisierte kapitalistische System, das nur anfangs als Befreiung wahrgenommen wurde.
Zusammen mit der mangelnden Aufarbeitung und der inneren, sprich ostdeutschen Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Unrechtsstaat DDR ergibt das die Mischung aus Linke und AfD.
Putin (Russland) gut, USA (stellvertretend für den Westen) ganz schlecht.
Und natürlich, um das nicht zu vernachlässigen, auch viele Fehler seitens der Bundesrepublik-West in den Anfangsjahren der Wiedervereinigung.
Oh ja, gut, dass du es erwähnst, die Fehler dürfen wir auf gar keinen Fall vergessen. ;)
Man hätte sich besser der Blaupause zur Wiedervereinigung bedienen sollen. Nur war die nirgendwo zu finden. Weder im Westen, noch im Osten der Republik. Unverständlicherweise wird das nur “den Westdeutschen“ zum Vorwurf gemacht. Wo war denn “der Ostdeutsche“ mit seiner Blaupause? Naivität lässt auf beiden Seiten rückwirkend feststellen. Guter Wille auch, aber mich deucht, da sieht's im Osten magerer aus.

Mich erinnert diese ständige Fehleraufzählung an meine Frage an eine Freundin in Zypern, “Wann werdet ihr euch vergeben und wieder eins sein“? Ihre Antwort, “Vielleicht wenn meine Generation gestorben ist“. Wie man in Sachsen-Anhalt erkennen kann, reichen ein bis zwei Generationen nicht. Teile der aussterbenden Generation murmeln konstant “Fehler“ und deren Nachkommen wählen das, was ihnen als fehlerfrei verkauft wird, entweder die Putin affine Die Linke, oder die Trump und Putin affine AfD. Läuft im Endeffekt auf's Selbe raus, “Nimm mich an die Hand und sage mir was ich tun soll.“. Funktioniert nur nicht, hat es noch nie und wird es auch nie.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von schokoschendrezki »

JJazzGold hat geschrieben:(17 Jun 2021, 20:49)

Es scheint doch eine funktionierende Hemmschwelle bei Ihnen zu geben.
Natürlich gibt es die. Selbstverständlich. Wahlentscheidungen - zumindest bei mir - funktionieren im Prinzip so, dass es im Schritt Null eine generelle Ausschließung nach gewissen Kriterien gibt. Das ist so selbstverständlich, dass man es selbst gar nicht mehr als Teil irgendeiner Entscheidung wahrnimmt. Schritt eins ist dann: Themenorientiert plus Sicherheitsorientiert. Wie weiter oben erläutert. Maximierung des minimalen Gewinns plus Minimierung des maximalen Risikos. Ich halte mich nun aber eben für eher "themenorientiert orientiert". Ich brauche - rein aus subjektiver Gewinnmaximierungsabsicht her - eine Partei, die die Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs irgendwie als irgendwie halbwegs realistisches Projekt wenigstens zu versprechen scheint. Zweitens nun muss diese Partei aber auch die Garantie bieten, demokratische Strukturen, Pressefreiheit, Gewaltenteilung, Parlamentarismus zu erhalten und drittens darf nicht die Gefahr bestehen, dass diese Partei durch Dummheit, Inkompetenz, Personenübersteigerung ("Trump") das Land an die Wand fährt. So in etwa läuft das bei mir ab . Nur eines bin ich ganz sicher nicht: Traditions-, "Kultur"- oder Ideologieorientiert.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Do 17. Jun 2021, 21:14, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Selina »

BlueMonday hat geschrieben:(17 Jun 2021, 21:05)

Viel naheliegender könnte man da auch "diskutieren", wieso die Linke etwa in Thüringen immer noch und wieder derartige Ergebnisse einfährt. Ob dies etwa mit den "Prägungen" aus dem Leben und den vergangenen Erfahrungen in der DDR noch zu tun haben könnte und inwiefern die Mitglieder und Wähler dieser Partei tatsächlich und nicht nur lippenbekennend in "der Demokratie" angekommen sind - was auch immer der Altbundesbürger darunter verstehen mag, denn dessen Verständnis davon wird ja mit viel Chuzpe als definierend hingestellt. Also etwas, zu dem der ehemalige DDR-Bürger nebst Nachkommenschaft erst hingeführt, hingebildet, hinbelehrt werden musste und muss, schließlich lebte der ja lange ahnungslose 40 Jahre in einer Diktatur hinter einer hohen Mauer. Sofern er überhaupt noch "erreichbar" ist. Wie will man so etwas von "Demokratie" wissen und vor allem wissen, an welcher Stelle der wackere Demokrat sein Kreuz zu machen hat.
:thumbup: :D

Schöne Kurz-Satire :D
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Teeernte »

BlueMonday hat geschrieben:(17 Jun 2021, 21:05)

Viel naheliegender könnte man da auch "diskutieren", wieso die Linke etwa in Thüringen immer noch und wieder derartige Ergebnisse einfährt. Ob dies etwa mit den "Prägungen" aus dem Leben und den vergangenen Erfahrungen in der DDR noch zu tun haben könnte und inwiefern die Mitglieder und Wähler dieser Partei tatsächlich und nicht nur lippenbekennend in "der Demokratie" angekommen sind - was auch immer der Altbundesbürger darunter verstehen mag, denn dessen Verständnis davon wird ja mit viel Chuzpe als definierend hingestellt. Also etwas, zu dem der ehemalige DDR-Bürger nebst Nachkommenschaft erst hingeführt, hingebildet, hinbelehrt werden musste und muss, schließlich lebte der ja lange ahnungslose 40 Jahre in einer Diktatur hinter einer hohen Mauer. Sofern er überhaupt noch "erreichbar" ist. Wie will man so etwas von "Demokratie" wissen und vor allem wissen, an welcher Stelle der wackere Demokrat sein Kreuz zu machen hat.
Nebenbei...
Ihren absoluten Spitzenwert erzielte die Linke zum Beispiel in der Thüringer-Wald-Gemeinde Oberhof, wo bei der aktuellen Landtagswahl 44,3 Prozent der gültigen Zweitstimmen auf die Partei des amtierenden Ministerpräsidenten entfielen.

Weiter östlich im Thüringer Schiefergebirge erreichte die AfD in der Gemeinde Paska steil herausragende 62,7 Prozent. Wie überall allerdings gilt es hier, die stark voneinander abweichenden Gemeindegrößen zu berücksichtigen. Im ländlich geprägten Paska etwa waren insgesamt nur 89 Wahlberechtigte zur Wahl zugelassen.

Landesweit gibt es nur eine einzige Gemeinden, in denen Höckes rechte "Alternative" keine einzige Zweitstimme für sich verbuchen konnte: Der kleine Ort Gerstengrund weist jedoch weitere politische Anomalien auf. In der vergleichsweise winzigen Wartburgkreis-Gemeinde, der aus der Sicht der Landeshauptstadt weit im Südwesten hinter dem Thüringer Wald liegt, fuhr Mike Mohrings CDU ein Traumergebnis von 82,9 Prozent ein, und das bei einer Wahlbeteiligung von fast 90 Prozent.

In Gerstengrund leben allerdings auch nur 49 Wahlberechtigte, von denen sich sechs gar nicht an der Wahl beteiligen wollten - und zwei einen ungültigen Wahlzettel abgaben.
https://www.n-tv.de/politik/Kuriose-Det ... 57297.html

Nun müsste man wissen - welchen Anteil die Genossen dort früher hatten...wie auch in Suhl...oder Plauen.
Obs zu kalt, zu warm, zu trocken oder zu nass ist:.... Es immer der >>menschgemachte<< Klimawandel. :D
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 21:12)

Natürlich gibt es die. Selbstverständlich. Wahlentscheidungen - zumindest bei mir - funktionieren im Prinzip so, dass es im Schritt Null eine generelle Ausschließung nach gewissen Kriterien gibt. Das ist so selbstverständlich, dass man es selbst gar nicht mehr als Teil irgendeiner Entscheidung wahrnimmt. Schritt eins ist dann: Themenorientiert plus Sicherheitsorientiert. Wie weiter oben erläutert. Maximierung des minimalen Gewinns plus Minimierung des maximalen Risikos. Ich halte mich nun aber eben für eher "themenorientiert orientiert". Ich brauche - rein aus subjektiver Gewinnmaximierungsabsicht her - eine Partei, die die Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs irgendwie als irgendwie halbwegs realistisches Projekt wenigstens zu versprechen scheint. Zweitens nun muss diese Partei aber auch die Garantie bieten, demokratische Strukturen, Pressefreiheit, Gewaltenteilung, Parlamentarismus zu erhalten und drittens darf nicht die Gefahr bestehen, dass diese Partei durch Dummheit, Inkompetenz, Personenübersteigerung ("Trump") das Land an die Wand fährt. So in etwa läuft das bei mir ab . Nur eines bin ich ganz sicher nicht: Traditions-, "Kultur"- oder Ideologieorientiert.
Ich fänd auch Pazifismus ganz gut.
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Dark Angel
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:37)

Wenn nix weiter daraus folgt, als dass es so ist ... dann kann man es für eine Analyse der aktuellen gesellschafttlichen Veränderungen und des politischen Geschehens auch beiseite und unbetrachtet lassen.
Wie kommst du auf das schmale Brett?
schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:37)Das wichtigste oder jedentalls meistbesprochenste und in zig Sprachen übersetzte Buch zur Soziologie in den letzten Jahren trägt den Original-Titel "Die Gesellschaft der Singularitäten" (Andreas Reckwitz) ... Was der Begriff "Singularität" beschreibt ist dir klar? Die Moderne zeichne sich vor allem durch eine immer größere Relevanz des "Besonderen" gegenüber dem Allgemeinen bzw. dem Verallgemeinerbaren aus. Auf allen Ebenen, Nicht nur auf der Ebene der Individuen. Aber dort natürlich auch.
Ganz abgesehen davon, dass es den Beriff Singularität in der Soziologie gar nicht gibt, ist der Buchtitel ein Oxymoron - entweder es gibt eine Gesellschaft - heißt eine unbestimmte Anzahl von Personen, die als sozial Handelnde miteinander verknüpft leben, von einander abhängig sind und direkt oder indirekt sozial interagieren oder es gibt Singularitäten.
Beides zusammen gibt es nicht.
schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:37)Immer mehr Menschen - ich auch - betreiben ihre Interessen, ihre Projekte, ihre persönlichen Vorhaben, setzen ihre Präferenzen so, dass sie sich am Ende maximal von allen anderen Menschen unterscheiden.
Das alles ändert nichts an der Tatsche, dass dein Überleben von der Interaktion und der Kooperation anderer Mitglieder der Gemeinschaft - oder wenn dir der Begriff besser gefällt - Gesellschaft abhängig ist. Je größer die Spezialiserung der Gesellschaft, um so größer die Anzahl Menschen, von denen dein Überleben abhängt, die zur Sicherung DEINES Lebensunterhaltes beitragen.
Dabei ist es völlig irrelevant, ob du diese Menschen persönlich kennst oder nicht.
Durch ihre soziale Interaktion, ihre gegenseitige Abhängikeit voneinander und ihre Kooperation miteinander bilden alle diese Menschen eine Gemeinschaft, die zusammen das Überleben der gesamten Gemeinschaft/Gesellschaft (dauerhaft) sicherstellen.
schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:37)Was heißt das in Bezug auf diese These vom Zusammenhang von der AfD-Präferenz und der "Diktatursozialisierung"? Dass man sie nicht einfach so mir nix dir nix als einen monokausalen Zusammenhang hinstellen kann.
Wer - außer DIR - postuliert denn einen monokausalen Zusammenhang?
Auch eine Diktatursozialisation, wie sie Wanderwitz ins Gespräch bringt, ist niemals monokausal, kein geschichtliches Ereignis - nicht ein einziges hat monokausale Ursachen und/oder Zusammenhänge.
Bereits in den frühen Achtzigern hat sich eine relativ große Gruppe mit rechtsradikalen und rechtsextremen Ansichten heraus gebildet - insbesondere unter damaligen Jugendlichen.
Die Besonderheit dieser Gruppe war, dass es sich um die Kinder von Parteikadern und hohen MfS-Angehörigen handelte.
Das mag paradox erscheinen, war aber so. Diese jungen Menschen SIND in einer Diktatur aufgewachsen und haben durch ihre eigene Sozialisation erlebt, dass es "Führungspersönlichkeiten" in einer Diktatur sehr weit bringen können, dass starke Führer wichtig sind. Diese jungen Menschen waren es, die in und durch das Wendegeschehen Brüche in den Biographien ihrer Eltern hautnah erlebten und deren Biographien selbst Brüche aufwiesen.
Das waren aber auch die jungen Menschen, unter denen rechtsextreme Gruppen aus dem Westen recht leicht neue Mitglieder rekrutieren konnten.
Und diese Menschen sind es, die ihre Affinität für eine Diktatur, ihre rechtsextreme Sichtweise an ihre eigenen Kinder weitergibt, welche ein Anhänger- und Wählerschaft der AfD bilden.
Das kann möglicherweise EINE Erklärung für die hohen Wahlerfolge der AfD im Osten sein und würde auch für Wanderwitz' These sprechen.
schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 17:37)Es soll unbedingt demokratische Verhältnisse geben, Parlamentarismus, eine freie Presse, Gewaltenteilung, Rechtstaatlichkeit ... hab' ich was vergessen? Ein regelbasiertes System, das möglichst vernünftig und effektiv funktioniert. Ansonsten bekomme ich alle paar Jahre einen Wahlzettel, überlege, welche Partei sich am ehesten gegen den motorisiserten Individualverkehr einsetzt und wähle die dann. Und vergesse das ganze wieder und widme mich meinen persönlichen Interessen. Zu denen auch Politik gehört. Das ist aber kein Widerspruch. Ich weiß nix von einer "Gesellschaft"! "Kultur" ist all das, was mich persönlich interessiert und was ich persönlich und natürlich auch in Interaktion mit mir persönlich bekannten Menschen oder unter Einfluss von mir selbst für wichtig erachteten Menschen hervorbringe. Und man kann dementsprechend von meiner "Sozialisierung" (die, obwohl auf dem Territorium der DDR geschehen, dennoch keine Diktatursozialisierung war sondern eine von Aufklärung, Humanismus und Intellektualismus geprägte) nicht auf mein Wahlverhalten schließen.
Nun, du bist genau der Typus Mensch, der zum Totengräber der Demokratie wird, weil sie ihm de facto am Arxxx vorbei geht, der sein ganzes Engagement für demokratische Verhältnisse im Gang zu Wahlurne und dem Kreuzchen auf dem Wahlzettel besteht.
Darüber hinaus soll man ihn gefälligst in Ruhe lassen. Sich selbst einbringen, etwas tun - Fehlanzeige.
Auf Menschen wie dich passt der Spruch, welcher Archimedes zugesprochen wird.
Als die Römer seine Heimatstadt Syrakus angriffen, soll ihm nichts besseres eingefallen sein, als dem Überbringer der Nachricht zu sagen: "Störe meine Kreise nicht".
Dass man Demokratien, Rechtsstaatlichkeit etc nicht im Selbstlauf erhält, sondern täglich erkämpfen muss, interessiert Menschen wie dich nicht, weil sie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht wirklich interessiert.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von JJazzGold »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jun 2021, 21:12)

Natürlich gibt es die. Selbstverständlich. Wahlentscheidungen - zumindest bei mir - funktionieren im Prinzip so, dass es im Schritt Null eine generelle Ausschließung nach gewissen Kriterien gibt. Das ist so selbstverständlich, dass man es selbst gar nicht mehr als Teil irgendeiner Entscheidung wahrnimmt. Schritt eins ist dann: Themenorientiert plus Sicherheitsorientiert. Wie weiter oben erläutert. Maximierung des minimalen Gewinns plus Minimierung des maximalen Risikos. Ich halte mich nun aber eben für eher "themenorientiert orientiert". Ich brauche - rein aus subjektiver Gewinnmaximierungsabsicht her - eine Partei, die die Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs irgendwie als irgendwie halbwegs realistisches Projekt wenigstens zu versprechen scheint. Zweitens nun muss diese Partei aber auch die Garantie bieten, demokratische Strukturen, Pressefreiheit, Gewaltenteilung, Parlamentarismus zu erhalten und drittens darf nicht die Gefahr bestehen, dass diese Partei durch Dummheit, Inkompetenz, Personenübersteigerung ("Trump") das Land an die Wand fährt. So in etwa läuft das bei mir ab . Nur eines bin ich ganz sicher nicht: Traditions-, "Kultur"- oder Ideologieorientiert.
Kriterien, die sich oft/meist bei der Wahl finden dürften, individuelles Interesse, gepaart mit gesellschaftlichem Interesse, auch wenn dies vermeintlich rein individuell wäre.

Heute Abend habe ich zufällig Donne in der Hand gehabt und geblättert. Und wie es der Zufall will, musste ich an Sie denken.

“No man is an Island“
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Ammianus »

Selina hat geschrieben:(17 Jun 2021, 18:36)

...

Offenbar verstehst du nicht, dass man auch in der DDR eine humanistische Bildung genießen und sich ebenfalls frei fühlen konnte. Ich rede nicht von Reisefreiheit, sondern von freiem Denken.

...
Aber nur, so lange man nicht am falschen Ort, vor den falschen Leuten das Falsche sagte. Wenn man nichts werden wollte außer einfacher Facharbeiter, dann ging das vielleicht. Wobei, war man der Meinung, nicht Mitglied des FDGB (DDR-Pseudogewerkschaft), der FDJ (Freie Deutsche Jugend, so frei wie eine gerade ins Netz gegangene Fliege), der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, seien zu müssen, dann wurde das schon problematisch. Oder man machte es wie morgen ein großer Teil der Iraner es tun wird. Man ging nicht zu den Scheinwahlen, die aller paar Jahre mit fast 100% Wahlbeteiligung stattfanden. Das wurde dann an den Betrieb gemeldet und es gab Druck.

Und wenn man etwas werden, vielleicht studieren, wollte. Dann war man entweder dem Sozialismus und der Partei der Arbeiterklasse treu ergeben, brachte das zum Ausdruck oder man täuschte es vor. Da war dann jeder Aufsatz voller Heuchelei und Lüge und man wusste es. Freies Denken im Sinne des Eurokommunismus, Biermanns und Rudolf Barows (der bekam ein vieljähriges Terrorurteil, wurde aber nach der Amnestierung zum 30. Jahrestag der DDR in den Westen abgeschoben). Um hier Beispiele aus den 70er zu nennen. Freies Denken? Was ist mit dem Renft-Verbot? Die DDR war ein beschissener Unrechtsstaat in dem man sich in einer Nische einrichten konnte um so einigermaßen durchzukommen und das Beste draus zu machen wenn man nicht Jahre des Terrors und nicht unwahrscheinlicher Haft auf sich nehmen wollte um da rauszukommen.
"Ich möchte an einem Ort sein, an dem es keine Politik gibt, keine Waffen, keine Religion."
Libanesin Anfang August 2020
franzmannzini

Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von franzmannzini »

Kohlhaas hat geschrieben:(16 Jun 2021, 20:24)
...
Wir haben die "unschöne" statistisch nachgewiesene Erkenntnis, dass in den neuen Bundesländern anteilig mindestens doppelt so viele Menschen bereit sind, demokratiefeindlichen Thesen zuzustimmen wie im Westen. Dafür muss es Gründe geben.
...
Das sind die Statistiken ("Messung") der vermuteten Symptome ("Demokratiefeindlichkeit") resultieren aus einer vermuteten Diktatursozialisierung.
Wenn die Diktatursozialisierung bis 1989 der Grund für die gegenwärtigen 30 Jahre anhaltenden Symptome sein soll,
dann müssten Biografien, in Statistiken dargelegt, eine Rolle spielen.
Wenn man von Einzelfällen, bei denen mehr über ihr Leben bekannt ist, ausgeht, mehr ist ja nicht da,
abgesehen von einer Pauschalvermutung ("Diktaturen verderben einige Menschen für immer"),
dann läßt sich das Phänomen nicht erklären.
Es gibt den Systemtreuen, den Mitläufer, den Oppositionellen, ...
Daraus läßt sich dann in betrachteten Einzelfällen nicht schließen, ob jemand aus diesen willkürlich ausgewählten, und vereinfacht zusammengefassten Personengruppen zur "Demokratiefeindlichkeit" neigt.
Auch ist es für mich immer noch fragwürdig, ob ein Kreuz bei der AFD ein sicheres Zeichen dafür ist, ob der jeweilige Ankreuzer ein "Demokratiefeind" ist.
Hier kann man natürlich die These vom "Gemeinmachen" nachschieben. :)

Thematisch dazu passend, würde ich noch Flüchtlinge erwähnen, welche ja auch sämtlichst aus Diktaturen stammen,
somit sollte es auch bei diesen einen Anteil geben, bei dem sich eine gewisse "Demokratiefeindlichkeit" zeigen müsste.
Hier kann aber nicht mit deren Wahlverhalten für die AFD gemessen werden.
Wie wird da gemessen ?

Durch diese Art der "Diskussion" wird aber auf jeden Fall vermieden, sich mit den Geschehnissen nach 1989 und deren Wirkung
auf die ehemaligen DDR-Bürger (einige) zu beschäftigen, durch die es nun 32 Jahre nicht möglich war,
den Funken der Demokratie auf diese überspringen zu lassen.
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