Dark Angel hat geschrieben:(24 Jun 2021, 10:49)
Ohne bestimmte Personen und deren Handlungen hätte es diese Wende nicht gegeben.
So. Für sich genommen ... ist dieser Satz vollkommen richtig. Nur erfährt man relativ wenig über die Ursachen des Zusammenbruchs des DDR-Systems, wenn man sich mit diesen Personen befasst. Das, was man über diese Personen erfährt, ist natürlich interessant. Ich kenne auch etliche solcher Personen persönlich. Viele sympathische Menschen aber auch nicht wenige ganz schön schwierige, widersprüchliche Leute.
Der wesentliche Punkt für das Auffinden irgendeines kausalen ZUsammenhang zwischen Sozialisierung in der DDR und irgendeiner Präferenz heute für rechtspopulistische, rechtsradikale oder gar rechtsextreme Parteien ... kann ich nur an diesem Phänomen erkennen, das ich grob als "Ich-Austreibung" im Zusammenhang - ganz wichtig! - mit fehlendem Widerstand dagegen, mit einer Präferenz für Konsens und Gemeinschaft erkennen. Du bist nix, die Gesellschaft, die Partei ist alles. Verkürzt. Der kleine Pionier oder die kleine FDJ-lerin, die - aus welchen Gründen auch immer - keinen Widerstands- und Anarchiewillen gegen diese Vereinnahmungen aufbringen konnte oder wollte, sondern lieber mit seiner Umwelt in Frieden und Eintracht leben wollte ... der ging darauf ein. Und, das Problem ist, das konnte sogar funktionieren. Das ist ja das Problem. Nicht anders als in der Frühzeit des NS-Staats als die junge Sophie Scholl eine begeisterte Verbandsjugendliche war und den kleinen Mädels und Jungs zeigen konnte, wie man mit dem Kompass durch die Wälder wandert. Eine Kombination aus dem Bedürfnis nach Konsens und dem Bedürfnis, auch einmal ein kleiner Bestimmer oder eine Bestimmerin zu sein.
Schau dir im Auszug den Brief des "Staatsschriftstellers" Dieter Noll, des Autors von "Die Abenteuer des Werner Holt" anlässlich der Biermann-Ausbürgerung die SED-Führung an:
Einige wenige kaputte Typen wie die Heym, Seyppel oder Schneider, die da so emsig mit dem Klassenfeind kooperieren, um sich eine billige Geltung zu verschaffen, weil sie offenbar unfähig sind, auf konstruktive Weise Resonanz und Echo bei unseren arbeitenden Menschen zu finden, repräsentieren gewiß nicht die Schriftsteller unserer Republik. Die Partei kann auch überzeugt sein, daß die überall in den Betrieben arbeitenden Menschen unseres Landes die Maßnahmen unserer Regierung billigen und kein Verständnis dafür aufbringen, wie da ein kleiner Klüngel von sogenannten Literaten verzweifelt von sich reden machen will, indem er sich vor den Karren des Westfernsehens spannen läßt oder die Partei mit unverschämten offenen Briefen traktiert.
"Unsere Menschen" ist ein Schlüsselbegriff zum Verständnis. Man kann das Problem auch einfach eine eingeschriebene Intellektuellen- und Individualismusfeindlichkeit nennen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)