Diktatursozialisierung?

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Unité 1
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Unité 1 »

Ja, die Diktatursozialisierung ist tief in Kahrs verankert. Dass fehlende Gegenerzählungen aka Alternativlosigkeit Teil des Problems sein können, kann nur Ausdruck einer ostsozialisierten Haltung sein. Da darf sich Kahrs allerdings auch an seine bzw. die Nase seiner Partei fassen.
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Teeernte
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Teeernte »

Kohlhaas hat geschrieben:(19 Jun 2021, 17:27)

"ihr Ossis" offenbar ein Problem mit der Demokratie habt.
Wieder "Alle" über einen Löffel balbiert ?

Die Ossis haben darum gekämpft...Wessis ist die Demokratie geschenkt worden.
Obs zu kalt, zu warm, zu trocken oder zu nass ist:.... Es immer der >>menschgemachte<< Klimawandel. :D
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Ammianus
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Ammianus »

Teeernte hat geschrieben:(19 Jun 2021, 18:04)

Wieder "Alle" über einen Löffel balbiert ?

Die Ossis haben darum gekämpft...Wessis ist die Demokratie geschenkt worden.
Die rund 60 000, die am 9. Oktober in Leipzig auf die Straße gingen, konnten sich nicht sicher sein, ob sie nicht vielleicht eine Kugel in den Kopf bekämen oder in den vorbereiteten Lagern landen würden ...
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Unité 1
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Unité 1 »

Ironischerweise ist die Abstempelung ostdeutscher AfD-Wähler als dikatursozialisiert Ausdruck einer Unterteilung von "wir" - "unsere AfD-Wähler" - und die "anderen", was, das zeigt sich besonders in der Ausdrucksweise Kohlhaas', zudem ein generelles Verdachtsmoment gegenüber Ostdeutschen enthält. Diese Unterteilung kann selbst als Ausdruck einer Gefährdung der liberalen Demokratie betrachtet werden, da sie einer Bevölkerungsgruppe eine Andersartigkeit unterstellt und somit die Idee einer Verschiedenwertigkeit von Bevölkerungsgruppen ausdrückt. Kann man dem Ossi denn wirklich trauen, immerhin sind se alle ja diktatursozialisiert. Und wenn auch nur in 2. oder 3. Nachwendegeneration.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Dark Angel »

Kohlhaas hat geschrieben:(19 Jun 2021, 15:05)

Mein Gott! Langsam zweifele ich doch daran, dass Du eine humanistische Bildung genossen hast. Die Wessi-Zecken saugen die armen Ossis aus, weil die armen Ossis bei Aldi einkaufen? Bist Du noch normal? Ich lebe im Westen und muss auch bezahlen, wenn ich beim Aldi ein Stück Brot kaufe. Ich kriege seit 1990 jeden Monat einen Soli von meinem Gehalt abgezogen. Ja, sicher, der Westen hat den Osten immer nur ausgebeutet. Unterlass doch einfach mal diesen durchsichtigen Versuch des Dummenfangs.
Den Solibeitrag zahlen wir "Ossis" auch seit 1990.
Was allerdings nicht ausschließt, dass die Gelder für den "Aufbau Ost" verwendet werden. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass dieses Geld, ähnlich der Ökosteuer dazu dient, irgendwelche Haushaltslöcher zu stopfen.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Quatschki
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Quatschki »

Unité 1 hat geschrieben:(19 Jun 2021, 19:01)

Ironischerweise ist die Abstempelung ostdeutscher AfD-Wähler als dikatursozialisiert Ausdruck einer Unterteilung von "wir" - "unsere AfD-Wähler" - und die "anderen", was, das zeigt sich besonders in der Ausdrucksweise Kohlhaas', zudem ein generelles Verdachtsmoment gegenüber Ostdeutschen enthält. Diese Unterteilung kann selbst als Ausdruck einer Gefährdung der liberalen Demokratie betrachtet werden, da sie einer Bevölkerungsgruppe eine Andersartigkeit unterstellt und somit die Idee einer Verschiedenwertigkeit von Bevölkerungsgruppen ausdrückt. Kann man dem Ossi denn wirklich trauen, immerhin sind se alle ja diktatursozialisiert. Und wenn auch nur in 2. oder 3. Nachwendegeneration.
Es ist ein spezifischer Rassismus gegenüber Ostdeutschen.
Wenn wir irgendwelche Paschtunen oder Usbeken wären, würde es niemanden stören, wenn wir unseren Warlord wählen, weil wir glauben, dass der unsere Interessen im Parlament am besten vertritt.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von franzmannzini »

Kohlhaas hat geschrieben:(19 Jun 2021, 17:27)
... das "ihr Ossis" offenbar ein Problem mit der Demokratie habt...
Kohlhaas hat geschrieben:... Warum gibt es in den neuen Bundesländern doppelt so viele Nazis wie in den den alten Bundesländern? Beantworte doch einfach mal diese Frage!
Kohlhaas hat geschrieben:... bin ich tatsächlich der Meinung, dass viele Menschen in den neuen Bundesländern
wegen ihrer Diktatursozialisierung einfach nicht verstanden haben, was Demokratie überhaupt ist....
Drei Fehler eines Vertreters dieser Theorie:

Er vergleicht den Ostdeutschen mit einem Kind, das seit 1989 auf dieser Entwicklungsstufe stehen geblieben ist und erklärt alles an Erfahrung, die dieser Ostdeutsche nach 1989 sammelte, für obsolet,
so als wenn die Geschehnisse nach 1989, welche auf diesen Ostdeutschen wirkten, keine mentalen Spuren bei diesem hinterlassen haben könnten.

Weiterhin betrachtet er die gepflegten Gewohnheiten, welche der Ostdeutsche aus der DDR mitbrachte, nicht in seiner Widersprüchlichkeit, sondern eher einseitig, als Behinderung, als Unart,
die es schnellstmöglich abzuwerfen gilt.

Zum Abschluß rechtfertigt er jegliche Umstände der Nachwendejahre, mit denen der Ostdeutsche klar kommen mußte. Wirtschaftlicher Kahlschlag, Ehrverletzungen,
Ungerechtigkeiten folgten dem Umbruch und warfen zahllose Ostdeutsche aus der Bahn und stempelten einige davon dauerhaft zum Bürger zweiter Klasse.

Somit wird eine Untersuchung der Ursachen für die Demokratieskepsis = Rechtslastigkeit der Ostdeutschen,
bei gewohnheitsmäßiger Auslassung der Nachwendegeschichte wohl nicht zu dem richtigen Ergebnis führen.

Wie wirkte wohl die Demokratie auf so manchen Ostdeutschen, besonders wenn er sie vor 89 inbrünstig herbei sehnte,
oder gar noch aktiv mit erkämpft hatte,
als er sie dann endlich erfahren dürfte und die verbrieften Grundrechte einher gingen mit dem Verlust des wirtschaftlichen
und sozialen Halts?

Weitere Gründe, welche gegen den vermuteten Grund "Diktatursozialisierung" für hohe AFD-Zahlen sprechen:
https://www.zeit.de/politik/deutschland ... land-umzug
Die AfD ist dort stark, wo viele Menschen gingen
In den Landkreisen und kreisfreien Städten im Osten, deren Bevölkerung seit 1991 stark geschrumpft ist, schnitt die AfD bei der Bundestagswahl 2017 besonders gut ab.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von PeterK »

franzmannzini hat geschrieben:(19 Jun 2021, 22:12)
... als er sie dann endlich erfahren dürfte und die verbrieften Grundrechte einher gingen mit dem Verlust des wirtschaftlichen und sozialen Halts?
Mit Vielem, was Du weiter oben schreibst, gehe ich nicht d'accord ("erkämpft" etc.). Das Zitierte halte ich aber für vollkommen richtig.
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BlueMonday
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von BlueMonday »

franzmannzini hat geschrieben:(19 Jun 2021, 22:12)

Drei Fehler eines Vertreters dieser Theorie:

Er vergleicht den Ostdeutschen mit einem Kind, das seit 1989 auf dieser Entwicklungsstufe stehen geblieben ist und erklärt alles an Erfahrung, die dieser Ostdeutsche nach 1989 sammelte, für obsolet,
so als wenn die Geschehnisse nach 1989, welche auf diesen Ostdeutschen wirkten, keine mentalen Spuren bei diesem hinterlassen haben könnten.
Auch und gerade die Erlebnisse vor 1989 können einen Menschen (wenn er kein völlig lobotomisierter, hirngewaschener Unteran war) natürlich zu Schlüssen führen, die konträr zur Systemlinie lagen.
Wie sollte es auch anders zu einer "Wende" gekommen sein? Die war ja nun wahrlich nicht im Interesse des Systems und nicht Ziel irgendeiner offiziellen "Sozialisierung".
Da ist der Ostdeutsche, der die DDR noch erlebt hat, dem Altbundesbürger eher einen Entwicklungsschritt voraus. Ausnahmen gibt es freilich immer.

Unter den Altbundesbürgern dürfte es dann auch eine nicht unerhebliche Zahl von Untertanen geben, die sich zu anderen Zeiten in jedes noch so fragwürdige System eingereiht hätten - trotz (oder gerade wegen) aller gegenwärtigen "Sozialisierung" und dieser ganzen Litanei an Bekundungen, Bekenntnissen und Sonntagsreden. Zu irgendeiner Fahne lässt es sich schnell schwören. Wer sich derart dressieren lässt, ist jedenfalls ein Mensch, dem ich sehr misstrauisch gegenüber wäre. Es geht hier auch um ein Erfahrungsdefizit, das längst nicht jeder in der Lage ist auszugleichen, etwa mit empathischer Vorstellungskraft.

Kleines Beispiel: Ulrich Tukur. Hervorragender, versierter Schauspieler, der aber mindestens zur Hälfte beim Schauspiel Tukur bleibt. Spielt im Oscar nominierten "Das Leben der anderen" einen Oberstleutnant der Staatssicherheit. Durchaus bemüht und interessiert und bestimmt von der Regie auch eingehend instruiert, aber am Ende steckt doch ein Wessi in dieser Uniform. Also selbst jemand, dessen Beruf die Versetzung in eine fremde Lage, in ein anderes Leben, in eine andere Zeit ist, schafft diesen Sprung nicht in Gänze. Umgekehrt ist es ja so, dass man Erlebtes vergisst, dass es verblasst, dass man es nicht völlig in der Vorstellung behalten kann, obwohl man mittendrin und dabei war. Mancher ist eben nur mitgeschwommen. Wenig Reibung. Wenig Erinnerung. Nichts, was sich traumatisch eingebrannt hat. Wobei diese Leute auch nicht verstehen werden, was dieser Wanderwitz von ihnen überhaupt will. Der ja praktisch auch fast nicht "dabei" gewesen ist mit seinen 45 Jahren. Sonderlich wach scheint er damals jedenfalls nicht gewesen zu sein und das hat sich leider auch nicht geändert.
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Teeernte
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Teeernte »

Quatschki hat geschrieben:(19 Jun 2021, 21:11)

Es ist ein spezifischer Rassismus gegenüber Ostdeutschen.
Wenn wir irgendwelche Paschtunen oder Usbeken wären, würde es niemanden stören, wenn wir unseren Warlord wählen, weil wir glauben, dass der unsere Interessen im Parlament am besten vertritt.
Aber mit Waffenausgabe, Wegezoll, Mohnfeld, eigener Religion - 3 Ayatollah UND Atomaufbereitungsanlage. :D :D :D

Nebenbei..

https://www.tagesspiegel.de/politik/ana ... 68832.html
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Selina
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Selina »

Teeernte hat geschrieben:(20 Jun 2021, 03:52)

Aber mit Waffenausgabe, Wegezoll, Mohnfeld, eigener Religion - 3 Ayatollah UND Atomaufbereitungsanlage. :D :D :D

Nebenbei..

https://www.tagesspiegel.de/politik/ana ... 68832.html
Vielen Dank, Teeernte, für den ausgesprochen guten Tagesspiegel-Beitrag. Das ist eine ausführliche und alle Seiten der Frage "warum tickt der Osten anders?" beantwortende Analyse. Sehr lesenswert. Viele der Argumente habe ich an anderer Stelle, nicht nur in diesem Thread, auch schon gebracht. Zum Beispiel im AfD-Thread vor längerer Zeit. Lange vor der Wanderwitz-Diskussion. Mal sehen, ob ich das noch finde. Man muss ja das Fahrrad nicht immer wieder neu erfinden ;)

PS: Zum Beispiel hier:
https://www.politik-forum.eu/viewtopic. ... d#p4156374

https://www.politik-forum.eu/viewtopic. ... d#p4157432

https://www.politik-forum.eu/viewtopic. ... 0#p4841730

Das sind nur einige von hunderten solcher Dialoge. Dass es unter diesen östlichen Nachwende-Bedingungen die Weidel-Gauland-Höcke-Kubitschek-Konsorten aus dem Westen leicht hatten und haben, ihr rechtsradikales Denken zu verbreiten, das ist ja nun klar. Daher ist die Frage (also wenn man all das gelesen hat), warum so viele Ostdeutsche die AfD wählen, nur aus gesamtdeutscher Sicht zu beantworten. Das Ursachengeflecht ist gesamtdeutsch. Und es geht zuerst einmal um mehr als drei Jahrzehnte (!) Nachwende-Entwicklung.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
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Ammianus
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Ammianus »

Selina hat geschrieben:(20 Jun 2021, 08:43)

...

Dass es unter diesen östlichen Nachwende-Bedingungen die Weidel-Gauland-Höcke-Kubitschek-Konsorten aus dem Westen leicht hatten und haben, ihr rechtsradikales Denken zu verbreiten, das ist ja nun klar. Daher ist die Frage (also wenn man all das gelesen hat), warum so viele Ostdeutsche die AfD wählen, nur aus gesamtdeutscher Sicht zu beantworten. Das Ursachengeflecht ist gesamtdeutsch. Und es geht zuerst einmal um mehr als drei Jahrzehnte (!) Nachwende-Entwicklung.
Rechtsradikales Denken auf unterstem Niveau gab es im Osten schon immer. Am intensivsten wohl da, wo es nicht möglich war, Westsender zu empfangen.

"Polacken", "Fidschis"

"Die Polen stehen gerade einmal zwei Menschenrassen über den Negern."

Stolz bezeichnete sich der Anführer einer Langhaarigentruppe bei Leipzig als "Gauleiter von Probstheida."

In der großen Werkstatt des Straßenbahnhofes von Weissensee in Ostberlin gab es eine vietnamesische Brigade. Die wurde allgemein und ganz offen, natürlich nicht in Anwesenheit von Leitungspersonal oder der FDJ-Sekretären, als "Viehzeug" bezeichnet. War ganz normal, die waren das "Viehzeug".

Judenwitze waren auch verbreitet, obwohl Juden im normalen Leben kaum auftauchten.
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Kohlhaas
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Kohlhaas »

Unité 1 hat geschrieben:(19 Jun 2021, 19:01)

Ironischerweise ist die Abstempelung ostdeutscher AfD-Wähler als dikatursozialisiert Ausdruck einer Unterteilung von "wir" - "unsere AfD-Wähler" - und die "anderen", was, das zeigt sich besonders in der Ausdrucksweise Kohlhaas', zudem ein generelles Verdachtsmoment gegenüber Ostdeutschen enthält. Diese Unterteilung kann selbst als Ausdruck einer Gefährdung der liberalen Demokratie betrachtet werden, da sie einer Bevölkerungsgruppe eine Andersartigkeit unterstellt und somit die Idee einer Verschiedenwertigkeit von Bevölkerungsgruppen ausdrückt. Kann man dem Ossi denn wirklich trauen, immerhin sind se alle ja diktatursozialisiert. Und wenn auch nur in 2. oder 3. Nachwendegeneration.
Übertreib mal nicht. Ich unterstelle gar nichts, und schon gar nicht pauschal den "Ossis". Ich weise nur auf die Tatsache hin, dass die AfD in den neuen Bundesländern einen doppelt so hohen Stimmanteil hat wie in den alten Ländern. Es hilft keinen Schritt weiter, jetzt bloß die beleidigte Ost-Leberwurst zu spielen. Liefer doch einfach mal eine Erklärung für das beschriebene Wahlverhalten.
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Billie Holiday
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Billie Holiday »

Ammianus hat geschrieben:(20 Jun 2021, 11:22)

Rechtsradikales Denken auf unterstem Niveau gab es im Osten schon immer. Am intensivsten wohl da, wo es nicht möglich war, Westsender zu empfangen.

"Polacken", "Fidschis"

"Die Polen stehen gerade einmal zwei Menschenrassen über den Negern."

Stolz bezeichnete sich der Anführer einer Langhaarigentruppe bei Leipzig als "Gauleiter von Probstheida."

In der großen Werkstatt des Straßenbahnhofes von Weissensee in Ostberlin gab es eine vietnamesische Brigade. Die wurde allgemein und ganz offen, natürlich nicht in Anwesenheit von Leitungspersonal oder der FDJ-Sekretären, als "Viehzeug" bezeichnet. War ganz normal, die waren das "Viehzeug".

Judenwitze waren auch verbreitet, obwohl Juden im normalen Leben kaum auftauchten.
Also wußten die westdeutschen Rechtsradikalen, wo sie im Osten fette Beute machen können und kein Widerstand zu erwarten ist.
Hat mir 87 schon ein Punk in Dresden erzählt. Punks hatten zu DDR Zeiten offenbar mehr zu befürchten als Rechtsradikale, wie er sagte.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Kohlhaas »

franzmannzini hat geschrieben:(19 Jun 2021, 22:12)

Drei Fehler eines Vertreters dieser Theorie:

Er vergleicht den Ostdeutschen mit einem Kind, das seit 1989 auf dieser Entwicklungsstufe stehen geblieben ist und erklärt alles an Erfahrung, die dieser Ostdeutsche nach 1989 sammelte, für obsolet,
so als wenn die Geschehnisse nach 1989, welche auf diesen Ostdeutschen wirkten, keine mentalen Spuren bei diesem hinterlassen haben könnten.

Weiterhin betrachtet er die gepflegten Gewohnheiten, welche der Ostdeutsche aus der DDR mitbrachte, nicht in seiner Widersprüchlichkeit, sondern eher einseitig, als Behinderung, als Unart,
die es schnellstmöglich abzuwerfen gilt.

Zum Abschluß rechtfertigt er jegliche Umstände der Nachwendejahre, mit denen der Ostdeutsche klar kommen mußte. Wirtschaftlicher Kahlschlag, Ehrverletzungen,
Ungerechtigkeiten folgten dem Umbruch und warfen zahllose Ostdeutsche aus der Bahn und stempelten einige davon dauerhaft zum Bürger zweiter Klasse.

Somit wird eine Untersuchung der Ursachen für die Demokratieskepsis = Rechtslastigkeit der Ostdeutschen,
bei gewohnheitsmäßiger Auslassung der Nachwendegeschichte wohl nicht zu dem richtigen Ergebnis führen.

Wie wirkte wohl die Demokratie auf so manchen Ostdeutschen, besonders wenn er sie vor 89 inbrünstig herbei sehnte,
oder gar noch aktiv mit erkämpft hatte,
als er sie dann endlich erfahren dürfte und die verbrieften Grundrechte einher gingen mit dem Verlust des wirtschaftlichen
und sozialen Halts?

Weitere Gründe, welche gegen den vermuteten Grund "Diktatursozialisierung" für hohe AFD-Zahlen sprechen:
https://www.zeit.de/politik/deutschland ... land-umzug
Damit hast Du doch meine Analyse quasi bestätigt. Du schreibst doch selbst, dass die Nachwende-Erfahrungen im Osten zu einer überdurchschnittlichen Skepsis gegenüber der Demokratie geführt haben. Dass es quasi "unausweichlich" ist, dass die AfD im Osten so viele Wähler hat. Im Übrigen könntest Du es mal unterlassen, das so darzustellen, als würde ich pauschal über hundert Prozent der Ostdeutschen reden. Selbst in den neuen Bundesländern kommt die AfD nur auf 25 Prozent, regional vielleicht mal auf 30 Prozent der Stimmen. Das ist immer noch eine deutliche Minderheit. Unterstell mir also bitte nicht pauschales Ossi-Bashing. Hier wird die ganze Zeit über die Frage diskutiert, warum eine rechtsradikale Partei im Osten doppelt so hohe Zustimmung hat wie im Westen. Dafür muss es Erklärungen geben. Du siehst "Demokratieskepsis" als logische Folge von Nachwendeerfahrungen. Das nehme ich jetzt mal so zur Kenntnis.

Was Du über wirtschaftlichen Kahlschlag, angebliche Ehrverletzungen und vermeintliche Ungerechtigkeiten schreibst, solltest Du auch noch mal überdenken. Erstens habe ich da nichts "gerechtfertigt" (wenn Du anderer Meinung bist, kannst Du die entsprechenden Aussagen gern zitieren). Und zweitens waren nicht die alten Bundesländer schuld an der erbärmlichen Wirtschaftslage in der DDR. Es war die DDR-Regierung, die das Land völlig heruntergewirtschaftet hat. Die BRD konnte anschließend nur noch die Trümmer zusammenfegen. Das war gewiss keine leichte Aufgabe. Und es ist aller Ehren wert, dass das unter dem Strich so gut gelungen ist. Nie zuvor ist ein derart marodes Land in so kurzer Zeit in ein modernes Staatswesen umgewandelt worden. Das gehört auch zur Wahrheit!

Dass es für viele Menschen in der ehemaligen DDR dadurch zu Biographie-Brüchen gekommen ist, wissen wir alle. Dass das für viele Menschen ein durchaus schmerzhafter Prozess war, wissen wir auch alle. Aber wie hätte es denn anders funktionieren sollen? Sicher sind da auch Fehler gemacht worden. Schwere Fehler sogar. Aber tu bitte nicht so, als hätte die BRD die arme DDR ausgeraubt. Es war die DDR, die sich selbst zugrunde gerichtet hat. Das Problem konnte man einfach nicht ohne Biografie-Brüche lösen. Es musste sich was ändern. Was hätte man zum Beispiel mit dem Trabant-Werk in Eisenach machen sollen? Weiter wie gewohnt Trabis bauen? Sämtliche Arbeiter fuhren doch inzwischen mit Golfs und Opels auf den Parkplatz, um dann in der Halle weiter Trabis zusammenzukleben.

Du beklagst einen Verlust des wirtschaftlichen und sozialen Halts nach 1989? Einen wirtschaftlichen Halt hat es längst nicht mehr gegeben in diesem Land. Daran ist die DDR gescheiter. Wie hätte man den sozialen Halt nach der Wende sicherstellen können? Indem man alles so ließ wie es war? Eine schöne soziale Hängematte bauen, damit sich für die Menschen im Osten bloß nichts ändern würde? Das ging nicht. Es musste sich was ändern. Das System war zusammengebrochen. Und das war nicht die Schuld der BRD. Daran wart "Ihr" schon selbst schuld.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Kohlhaas »

BlueMonday hat geschrieben:(20 Jun 2021, 00:37)

Auch und gerade die Erlebnisse vor 1989 können einen Menschen (wenn er kein völlig lobotomisierter, hirngewaschener Unteran war) natürlich zu Schlüssen führen, die konträr zur Systemlinie lagen.
Wie sollte es auch anders zu einer "Wende" gekommen sein? Die war ja nun wahrlich nicht im Interesse des Systems und nicht Ziel irgendeiner offiziellen "Sozialisierung".
Da ist der Ostdeutsche, der die DDR noch erlebt hat, dem Altbundesbürger eher einen Entwicklungsschritt voraus. Ausnahmen gibt es freilich immer.

Unter den Altbundesbürgern dürfte es dann auch eine nicht unerhebliche Zahl von Untertanen geben, die sich zu anderen Zeiten in jedes noch so fragwürdige System eingereiht hätten - trotz (oder gerade wegen) aller gegenwärtigen "Sozialisierung" und dieser ganzen Litanei an Bekundungen, Bekenntnissen und Sonntagsreden. Zu irgendeiner Fahne lässt es sich schnell schwören. Wer sich derart dressieren lässt, ist jedenfalls ein Mensch, dem ich sehr misstrauisch gegenüber wäre. Es geht hier auch um ein Erfahrungsdefizit, das längst nicht jeder in der Lage ist auszugleichen, etwa mit empathischer Vorstellungskraft.
Aha. Hochinteressant. Wer schwört denn in Deutschland auf irgendwelche Fahnen? Um nochmal zum Kern des Themas zurückzukommen: Im Osten Deutschlands wählt ein doppelt so hoher Anteil der Menschen eine antidemokratische Partei. Welchen Entwicklungsschritt soll "der Ostdeutsche" also dem "Altbundesbürger" voraus haben und wodurch macht sich der "Altbundesbürger" für Dich verdächtig?
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Ammianus
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Ammianus »

Billie Holiday hat geschrieben:(20 Jun 2021, 11:33)

Also wußten die westdeutschen Rechtsradikalen, wo sie im Osten fette Beute machen können und kein Widerstand zu erwarten ist.
Hat mir 87 schon ein Punk in Dresden erzählt. Punks hatten zu DDR Zeiten offenbar mehr zu befürchten als Rechtsradikale, wie er sagte.
Genau so war es. Punks waren "Zecken". Bei den sich dann langsam formierenden rechtsradikalen Skinheads tat der Staat so, als gäbe es sie nicht. Davon abgesehen wirkten die Skins in den Augen der spießbürgerlichen Oberen nicht so abstoßend. Der Gerechtigkeit halber muss man sagen, dass es auch linke und Rechtsradikalität ablehnende Skin-Gruppen gab. Da waren die Red-Skins, die sich gern am Kneipentisch über gewonnene Prügeleien gegen Nazis-Skins unterhielten.

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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Billie Holiday »

Ammianus hat geschrieben:(20 Jun 2021, 12:17)

Genau so war es. Punks waren "Zecken". Bei den sich dann langsam formierenden rechtsradikalen Skinheads tat der Staat so, als gäbe es sie nicht. Davon abgesehen wirkten die Skins in den Augen der spießbürgerlichen Oberen nicht so abstoßend. Der Gerechtigkeit halber muss man sagen, dass es auch linke und Rechtsradikalität ablehnende Skin-Gruppen gab. Da waren die Red-Skins, die sich gern am Kneipentisch über gewonnene Prügeleien gegen Nazis-Skins unterhielten.

Wie lange das schon alles her ist ...
Das ist das, was der Punk und seine Kumpels mir und Klassenkameraden erzählt haben.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Selina »

Ammianus hat geschrieben:(20 Jun 2021, 11:22)

Rechtsradikales Denken auf unterstem Niveau gab es im Osten schon immer. Am intensivsten wohl da, wo es nicht möglich war, Westsender zu empfangen.

"Polacken", "Fidschis"

"Die Polen stehen gerade einmal zwei Menschenrassen über den Negern."

Stolz bezeichnete sich der Anführer einer Langhaarigentruppe bei Leipzig als "Gauleiter von Probstheida."

In der großen Werkstatt des Straßenbahnhofes von Weissensee in Ostberlin gab es eine vietnamesische Brigade. Die wurde allgemein und ganz offen, natürlich nicht in Anwesenheit von Leitungspersonal oder der FDJ-Sekretären, als "Viehzeug" bezeichnet. War ganz normal, die waren das "Viehzeug".

Judenwitze waren auch verbreitet, obwohl Juden im normalen Leben kaum auftauchten.
Ja, dazu hatte ich ja in den oben verlinkten Diskussionen (2018) auch schon was gesagt. Ich zitiere mich mal selbst:

Denn Fremdenfeindlichkeit gab es natürlich auch in der DDR. Ich weiß nicht genau, wie die Menschen in der alten BRD damals mit den türkischen und italienischen Gastarbeitern umgegangen sind, denn auch da wird es neben viel Freude sicher auch so manche Fremdenfeindlichkeit gegeben haben, denke ich mal. Aber hier im Osten war es schon so, dass die sozialistischen Vertragsarbeiter aus Kuba, Vietnam und aus afrikanischen Staaten und auch die Soldaten der Sowjetarmee oft angefeindet worden sind. Hab ich selbst erlebt. Das kam also vor, wurde aber durch Polizei und Stasi engmaschig kontrolliert und kleingehalten. Die "Russen" und die "Fidschis" war oft abfällig zu hören. Ich denke mal, dass etwa zehn Prozent der Bevölkerung im Osten auch schon vor der Wende latent fremdenfeindlich waren. Das wird aber im Westen ebenfalls so gewesen sein.

Dass das in Sachsen dann nach der Wende auf so besonders fruchtbaren Boden fiel, hat wie gesagt viel damit zu tun, dass die Regierenden dort immer auf dem rechten Auge blind waren. Da wurde bagatellisiert, was das Zeug hält. Und da ist der Boden halt schnell bereitet für so etwas wie Pegida, den Vorläufer der AfD. Die Anhänger wussten immer schon "uns passiert hier nicht viel, da können wir schalten und walten, wie wir wollen".


https://www.politik-forum.eu/viewtopic. ... d#p4156374
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Selina »

BlueMonday hat geschrieben:(20 Jun 2021, 00:37)

Auch und gerade die Erlebnisse vor 1989 können einen Menschen (wenn er kein völlig lobotomisierter, hirngewaschener Unteran war) natürlich zu Schlüssen führen, die konträr zur Systemlinie lagen.
Wie sollte es auch anders zu einer "Wende" gekommen sein? Die war ja nun wahrlich nicht im Interesse des Systems und nicht Ziel irgendeiner offiziellen "Sozialisierung".
Da ist der Ostdeutsche, der die DDR noch erlebt hat, dem Altbundesbürger eher einen Entwicklungsschritt voraus. Ausnahmen gibt es freilich immer.

Unter den Altbundesbürgern dürfte es dann auch eine nicht unerhebliche Zahl von Untertanen geben, die sich zu anderen Zeiten in jedes noch so fragwürdige System eingereiht hätten - trotz (oder gerade wegen) aller gegenwärtigen "Sozialisierung" und dieser ganzen Litanei an Bekundungen, Bekenntnissen und Sonntagsreden. Zu irgendeiner Fahne lässt es sich schnell schwören. Wer sich derart dressieren lässt, ist jedenfalls ein Mensch, dem ich sehr misstrauisch gegenüber wäre. Es geht hier auch um ein Erfahrungsdefizit, das längst nicht jeder in der Lage ist auszugleichen, etwa mit empathischer Vorstellungskraft.

Kleines Beispiel: Ulrich Tukur. Hervorragender, versierter Schauspieler, der aber mindestens zur Hälfte beim Schauspiel Tukur bleibt. Spielt im Oscar nominierten "Das Leben der anderen" einen Oberstleutnant der Staatssicherheit. Durchaus bemüht und interessiert und bestimmt von der Regie auch eingehend instruiert, aber am Ende steckt doch ein Wessi in dieser Uniform. Also selbst jemand, dessen Beruf die Versetzung in eine fremde Lage, in ein anderes Leben, in eine andere Zeit ist, schafft diesen Sprung nicht in Gänze. Umgekehrt ist es ja so, dass man Erlebtes vergisst, dass es verblasst, dass man es nicht völlig in der Vorstellung behalten kann, obwohl man mittendrin und dabei war. Mancher ist eben nur mitgeschwommen. Wenig Reibung. Wenig Erinnerung. Nichts, was sich traumatisch eingebrannt hat. Wobei diese Leute auch nicht verstehen werden, was dieser Wanderwitz von ihnen überhaupt will. Der ja praktisch auch fast nicht "dabei" gewesen ist mit seinen 45 Jahren. Sonderlich wach scheint er damals jedenfalls nicht gewesen zu sein und das hat sich leider auch nicht geändert.
Sehr gute Beschreibung der Situation. Die Wende hat eher gezeigt, welche Demokratisierungs-Kraft in den Ostdeutschen steckte und zum Teil sicher noch steckt. Das ist eher was, wovon man auch im Westen lernen könnte, wenn man denn wollte. Dazu müsste man Demokratie jedoch als Prozess begreifen und nicht als was Statisches, das man nicht weiter verbessern könnte. Und auch die Tukur-Beschreibung trifft den Kern :thumbup:
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Ammianus
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Ammianus »

Im Osten kamen noch andere Besonderheiten dazu. Wie ich schon schrieb, war ultrarechtes Gedankengut besonders dort angesagt, wo man nur schwer Westmedien konsumieren konnte. Hier grenzte man sich dann von den "Roten" damit ab, dass man sich zur radikalen Gegenpartei machte. Dazu kam noch eine zeitlich begrenzte Form der Sozialisation. Die in die DDR geborenen Generationen hatten ja noch intensiven Kontakt in Familie, Bekannten- und Kollegenkreisen mit Zeitzeugen der 12 Nazi-Jahre.
Eine der Kneipen in meinem Viertel war z.B. früher eine Stammkneipe des dortigen SA-Sturms. Mir erzählte mal ein alter Mann, dass in den 50ern und 60ern sich da nach offiziellen Kneipenschluss noch die alten Kameraden trafen und ihre Vergangenheit feierten und betrauerten. Das wird im Westen nicht anders gewesen sein, nur das die dort nicht auf den Kneipenschluss warteten. Wer solche Leute in der Familie hatte wuchs dann unter ganz anderen Vorzeichen auf.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von franzmannzini »

Kohlhaas hat geschrieben:(20 Jun 2021, 12:01)
Damit hast Du doch meine Analyse quasi bestätigt. ...
Welche Analyse ? Bis jetzt hast Du nur immer wiederholt das die AFD im Osten mehr Wählerstimmen hat und nach zähem Ringen hast Du die Diktatursozialisierung dafür verantwortlich
gemacht.
Kohlhaas hat geschrieben:Hier wird die ganze Zeit über die Frage diskutiert, warum eine rechtsradikale Partei im Osten doppelt so hohe Zustimmung hat wie im Westen.
Nein. Hier wird darüber diskutiert, ob die "Diktatursozialisierung" die Hauptursache für dieses Wahlverhalten ist.
Kohlhaas hat geschrieben:Dafür muss es Erklärungen geben. Du siehst "Demokratieskepsis" als logische Folge von Nachwendeerfahrungen. Das nehme ich jetzt mal so zur Kenntnis.
Nein. Ich sehe die Nachwendeerfahrungen nur als wichtigeren Grund für dieses Verhalten nach 30 Jahren, gegenüber der "Diktatursozialisierung",
denn Herr Wanderwitz macht nur diese dafür verantwortlich.
Kohlhaas hat geschrieben:... Erstens habe ich da nichts "gerechtfertigt" (wenn Du anderer Meinung bist, kannst Du die entsprechenden Aussagen gern zitieren).
Bis jetzt hast Du ja nicht mehr "analysiert", als im ersten Absatz erwähnt.
Kohlhaas hat geschrieben:... Die BRD konnte anschließend nur noch die Trümmer zusammenfegen. Das war gewiss keine leichte Aufgabe. Und es ist aller Ehren wert, dass das unter dem Strich so gut gelungen ist. Nie zuvor ist ein derart marodes Land in so kurzer Zeit in ein modernes Staatswesen umgewandelt worden. Das gehört auch zur Wahrheit!...
Ja, die BRD hat die Trümmer zusammengefegt und die ehemaligen DDR-Bürger haben dabei zugeschaut. :D
Kohlhaas hat geschrieben:...Du beklagst einen Verlust des wirtschaftlichen und sozialen Halts nach 1989? Einen wirtschaftlichen Halt hat es längst nicht mehr gegeben in diesem Land.
Ich beklage nicht, ich stelle fest, selbst wenn der wirtschaftliche Halt aus marktwirtschaftlicher Sicht, Deiner Sicht, nicht mehr vorhanden war,
war er für die meisten DDR-Bürger schon vorhanden. Sie gingen jeden Tag zur Arbeit, bekamen Geld und konnten damit ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Pünktlich mit dem rasanten Umbruch, war die Mehrheit dieser Bürger Transfer- und Maßnahmenempfänger (Bittsteller), oder konnten Jobs außerhalb jeglicher tariflicher Kontrolle annehmen.
Der "Böse" Kapitalismus, wie in seiner schlechtesten Form in den Staatbürgerkundebüchern und von Oberkommunisten beschrieben, hämmerte nun mit aller Kraft auf die gerade noch
staatsbetreuten, also wirtschaftlich und sozial abgesicherten DDR-Bürger ein.
franzmannzini

Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von franzmannzini »

Kohlhaas hat geschrieben: (20 Jun 2021, 12:01)
Daran ist die DDR gescheiter. Wie hätte man den sozialen Halt nach der Wende sicherstellen können? Indem man alles so ließ wie es war?
Eine schöne soziale Hängematte bauen, damit sich für die Menschen im Osten bloß nichts ändern würde? Das ging nicht.
Es musste sich was ändern. Das System war zusammengebrochen. Und das war
nicht die Schuld der BRD. Daran wart "Ihr" schon selbst schuld.
Die Diskussion darüber, was man in der Vergangenheit hätte anders machen können,
entfaltet wenig Wirkung auf aktuelle Ereignisse, wie auch die immer so gerne durchgeführte Suche nach
einem Schuldigen
Aber was bleibt den "etablierten Parteien" schon übrig, als die Verantwortung für ihre schlechten Wahlergebnisse nicht bei sich selbst zu suchen,
sondern irgendwo anders, häufig interessengeleitet und damit eine ordinäre Ideologie.
Genau das, was man der "Gegenseite" so gerne vorwirft.

So könnte man auch sagen, Deinem Sermon folgend:
"Der ehemalige DDR-Bürger ist Schuld an den Wahlerfolgen der AFD, oder an seiner Demokratieskepsis."
Kohlhaas hat geschrieben:...angebliche Ehrverletzungen und vermeintliche Ungerechtigkeiten schreibst,...
Emotionale Stärke geht nicht automatisch mit emotionaler Intelligenz, oder einfacher Empathie einher.
Ehrverletzungen würdest Du nicht einmal erkennen, wenn sie Dir mitten ins Gesicht springen.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von franzmannzini »

Billie Holiday hat geschrieben:(20 Jun 2021, 11:33)

Also wußten die westdeutschen Rechtsradikalen, wo sie im Osten fette Beute machen können und kein Widerstand zu erwarten ist.
Hat mir 87 schon ein Punk in Dresden erzählt. Punks hatten zu DDR Zeiten offenbar mehr zu befürchten als Rechtsradikale, wie er sagte.
Das Punk sein, sofern es sich um einen echten Punk handelte, stand dem System DDR ja auch diametral entgegen,
er neigte zu Arbeitsverweigerung, wofür es im StGB auch den Paragraphen 249 gab.
DDR StGB §249
(1) Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigt, indem er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist,
wird mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.
Ein Überbleibsel aus dem dritten Reich.

Die Zeit nach 89 bis ungefähr 92 war eine wilde Zeit. Es gab wenig an Regeln und wenig Staatsmacht die hier noch einzugreifen vermochte oder gar wollte.
Es gab ein Machtvakuum, der Staatsapparat der DDR hatte den kräftigen großen Daumen weggenommen, welcher durch nichts ersetzt wurde.
Wildwestatmosphäre wirtschaftlich, sozial, kulturell... . Jeder konnte machen was er wollte.
Der Höhepunkt dieses "nichts machens" waren die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen:
https://www.mdr.de/zeitreise/schwerpunk ... n-100.html
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von BlueMonday »

Es geht da eh drunter und drüber in den Einordnungen, allein wenn man einem Skin(in der Oi!-Geschmacksrichtung) nimmt und dann was von "rechts" faselt. Punk und Skin, das sind doch fließende Inhalte (mit ihrem "Antikapitalismus").
Vor allem sind das nun Subkulturen, die sicher nicht ihren Ursprung in der DDR oder im Osten hatten, sondern da allenfalls Nachahmung wie so vieles aus dem Westen fanden. Freilich mit einer eigenen lokalen Note versehen. Der Sandow-Punk ist dann noch ein anderer als einer aus Hamburg etc. Das waren typische Reaktionen auf die offizielle Pioniertuch/Blauhemd-Sozialisierung. Provokatives Anderssein, Ausscheren, Verweigern, Ungezogensein.
Das will man dann noch am Ende zusammenrühren mit einem rechten Konservatismus oder gar dem bürgerlichen Lager, das sein Kreuz bei einer konservativen Partei macht. Gauland neben einem Oi!-Skin stellen.

Da darf sich nun der Möchtergernsoziologe austoben. Wieso gibt es eine Oi!-Szene im tiefsten Westen? Und die anderen Subversivszenen? Reichsbürger? Gayskins?! Rockerszene? Ganz zu schweigen von Clanstrukturen, diversen Mafiosi. Oder die Drogenszene. Wie "erreichbar" ist der Untergrund im tiefsten Westen für steinmeiersche Sonntagsreden und Merkelraute? Das dürfte nun dem mentalen Zugriff von Experten wie diesem Wanderwitz in ihrer Blase entzogen sein.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Vongole »

Ammianus hat geschrieben:(20 Jun 2021, 12:37)

Im Osten kamen noch andere Besonderheiten dazu. Wie ich schon schrieb, war ultrarechtes Gedankengut besonders dort angesagt, wo man nur schwer Westmedien konsumieren konnte. Hier grenzte man sich dann von den "Roten" damit ab, dass man sich zur radikalen Gegenpartei machte. Dazu kam noch eine zeitlich begrenzte Form der Sozialisation. Die in die DDR geborenen Generationen hatten ja noch intensiven Kontakt in Familie, Bekannten- und Kollegenkreisen mit Zeitzeugen der 12 Nazi-Jahre.
Eine der Kneipen in meinem Viertel war z.B. früher eine Stammkneipe des dortigen SA-Sturms. Mir erzählte mal ein alter Mann, dass in den 50ern und 60ern sich da nach offiziellen Kneipenschluss noch die alten Kameraden trafen und ihre Vergangenheit feierten und betrauerten. Das wird im Westen nicht anders gewesen sein, nur das die dort nicht auf den Kneipenschluss warteten. Wer solche Leute in der Familie hatte wuchs dann unter ganz anderen Vorzeichen auf.
Stimmt, aber letztendlich fing im Westen in der 60er Jahren, auch angestoßen durch die Auschwitz-Prozesse, eine echte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit an, schmerzhaft, teils oft verbissen und mit schlimmen Auswüchsen (RAF), aber sie fand statt. Genau das vermisse nicht nur ich im Zusammenhang mit dem Unrechtsstaat DDR.
Statt dessen wird überwiegend schön geredet, abgestritten, relativiert etc.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von franzmannzini »

Vongole hat geschrieben:(20 Jun 2021, 17:47)

Stimmt, aber letztendlich fing im Westen in der 60er Jahren, auch angestoßen durch die Auschwitz-Prozesse, eine echte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit an, schmerzhaft, teils oft verbissen und mit schlimmen Auswüchsen (RAF), aber sie fand statt. Genau das vermisse nicht nur ich im Zusammenhang mit dem Unrechtsstaat DDR.
Der Focus lag in der DDR auf dem Antifaschismus, aber nur auf diesem, immer jeden Tag jede Stunde, der Ideologie
geschuldet. So kommt es auch das andere Opfer keine Rolle spielten, dafür war einfach kein Platz mehr.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Vongole »

franzmannzini hat geschrieben:(20 Jun 2021, 18:06)

Der Focus lag in der DDR auf dem Antifaschismus, aber nur auf diesem, immer jeden Tag jede Stunde, der Ideologie
geschuldet. So kommt es auch das andere Opfer keine Rolle spielten, dafür war einfach kein Platz mehr.
Ja, lag! Nach der Wende hätte man sich sehr gut mit dem System, seinen Opfern und der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen können, haben einige wenige ja auch getan.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Ammianus »

Vongole hat geschrieben:(20 Jun 2021, 17:47)

Stimmt, aber letztendlich fing im Westen in der 60er Jahren, auch angestoßen durch die Auschwitz-Prozesse, eine echte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit an, schmerzhaft, teils oft verbissen und mit schlimmen Auswüchsen (RAF), aber sie fand statt. Genau das vermisse nicht nur ich im Zusammenhang mit dem Unrechtsstaat DDR.
Statt dessen wird überwiegend schön geredet, abgestritten, relativiert etc.
Damit meine ich nicht Dich!
Gehe ich von dem aus, was in Medien oder an Literatur zu dem Thema DDR vorhanden ist, kann ich das nicht sagen. Glaube schon Ende der 90er hatte ich eine sehr dicke und umfassende Untersuchung zur Schulpolitik in der Hand. Da erfuhr man interessante Dinge. So dass z.B. zu Anfang der DDR sogenannte Bürgerliche, die z.B. als Ingenieure oder ähnliches gebraucht wurden, mit den Oberen aushandeln konnten, dass ihre Kinder das Abitur machen durften. Andererseits wurden Gymnasien in bürgerlichen Wohngegenden geschlossen und in Arbeiterviertel verlegt.
Auch Stasi und NVA sind gut aufgearbeitet. Wer sich da informieren möchte, hat jede Möglichkeit. Das sich trotzdem viele die DDR schönreden wundert nicht. Es gab 2 Millionen Mitglieder der SED, eine sechsstellige Anzahl von Stasi-Spitzeln. Tausende von Lehrer von denen jeder immer das gegenüber den Schülern zu vertreten hatte, was von der Partei verlangt wurde. Jeder der Abitur machen und studieren wollte, hatte sich tief vor den führenden Genossen zu verbeugen. All das prägt tief - Sozialisation eben.

Was den "Unrechtsstaat" angeht, so ist die Ablehnung, das Wegschwadronieren dieses Begriffes fast unbegreiflich. Jedes negative Moment reicht schon einzeln für die Einordnung. So dass die Kommunisten Millionen und Abermillionen dafür ausgaben, aber auch ausgeben mussten, um aus der DDR eine "Riesenknast mit Grünanlagen" zu machen. Oder das sie etwas, was die blanke Verarsche war als "Wahlen" ausgaben, wo die Nichtteilnahme wenigstens zu Druck führte und so eine Beteiligung von gut 99 % erzwang.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von BlueMonday »

franzmannzini hat geschrieben:(20 Jun 2021, 16:06)

"oder an seiner Demokratieskepsis."
Das ist doch im Grunde das große Missverständnis. Wer damals zumindest im Stillen an dem "Demokratischen" in der "Deutschen Demokratischen Republik" zweifelte, also eine skektische Haltung zum Status quo entwicklete, der war ja nun auch kein Antidemokrat, auch wenn er wohl so behandelt worden wäre, sobald er seinen Zweifel öffentlich geäußert hätte.
Letztlich die gleiche konservierende Immunisierungsstrategie, damals wie heute: Einen Wohlklang, eine Euphemie begrifflich mit dem Status quo deckungsgleich verbinden und schon klingt jeder Kritiker am Status Quo schlecht. Ein Missklang in den guten, wohlmeindenden Systemohren.

Es ist auch heute keine Skepsis ggü. "der Demokratie", sondern ungläubige Distanz zum vorherrschenden System, dem pol. Establishment und dafür gibt es ja nun auch gute Gründe. Wo hat man andererseits eine fundamentale Kritik an "der Demokratie" an sich zuletzt gehört? Dazu müsste man ja diesen Begriff auch viel unabhängiger inhaltlich befüllen, um überhaupt ein Maß und Anspruch zu haben, an dem man den Status quo misst, sofern dann in "der Demokratie" das Ideal gesehen wird. Das war es auch früher, was man unter "Kritik" verstand, die Benebelung durch den alltäglichen Gewohnheitsgedanken auszuschalten und Distanz zum betrachteten Gegenstand zu schaffen.

Das wäre auch eine grunsdsätzlichere Frage: Ist ein politisches alternativloses Establishment, also die sichtbare Existenz eines solchen überhaupt, Zeichen dafür, dass man es mit einer "Demokratie" zu tun hat oder ist es eher ein Indikator, dass etwas nicht stimmt, dass sich eher eine undemokratische Konstellation herausgebildet hat? Oder das Beharren auf platten Mehrheiten statt Duldung paralleler Subkulturen (die "wilden Zeiten") - was ist "demokratischer"?

Stattdessen werden nun Anspurch und Wirklichkeit immer wieder zusammengerührt. "Das beste Deutschland, das es je gab"(Steinmeier). Dicht am Ideal leben "wir" offenbar. Der undankbare, unerreichbare Kritiker kommt scheinbar gar nicht umhin
beides uno acto anzugreifen. Kein Blatt Papier bekommt er dazwischen.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Vongole »

Ammianus hat geschrieben:(20 Jun 2021, 18:26)

Gehe ich von dem aus, was in Medien oder an Literatur zu dem Thema DDR vorhanden ist, kann ich das nicht sagen. Glaube schon Ende der 90er hatte ich eine sehr dicke und umfassende Untersuchung zur Schulpolitik in der Hand. Da erfuhr man interessante Dinge. So dass z.B. zu Anfang der DDR sogenannte Bürgerliche, die z.B. als Ingenieure oder ähnliches gebraucht wurden, mit den Oberen aushandeln konnten, dass ihre Kinder das Abitur machen durften. Andererseits wurden Gymnasien in bürgerlichen Wohngegenden geschlossen und in Arbeiterviertel verlegt.
Auch Stasi und NVA sind gut aufgearbeitet. Wer sich da informieren möchte, hat jede Möglichkeit. Das sich trotzdem viele die DDR schönreden wundert nicht. Es gab 2 Millionen Mitglieder der SED, eine sechsstellige Anzahl von Stasi-Spitzeln. Tausende von Lehrer von denen jeder immer das gegenüber den Schülern zu vertreten hatte, was von der Partei verlangt wurde. Jeder der Abitur machen und studieren wollte, hatte sich tief vor den führenden Genossen zu verbeugen. All das prägt tief - Sozialisation eben.
Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Dass es in den Jahren direkt nach der Wende Untersuchungen/Berichte gab, man anfing, die Stasiunterlagen auszuwerten und aufzuarbeiten, das weiß ich und meinte ich nicht.
Ich habe jedoch den Eindruck, dass viele der Ex-DDR-Bürger gar nicht so erpicht darauf waren oder sind, diese ganzen Ergebnisse für sich selber auszuwerten, von den Betroffenen, sprich Opfern des Systems mal abgesehen.
Mein Mann z.B. war zwei Jahre nach Wende das erste Mal wieder zu Hause und kam fassungslos zurück. Jedes Gespräch mit vormals guten Freunde über die DDR wurde im Keim erstickt, unfreundlch abgewehrt, teilweise wurde ihm sogar
seine Flucht vorgeworfen. Diejenigen, mit denen er wirklich offen sprechen konnten, waren selbst schon auf dem Weg in den Westen, trotz der Schwierigkeiten, sie sie dort erwarteten.
Was den "Unrechtsstaat" angeht, so ist die Ablehnung, das Wegschwadronieren dieses Begriffes fast unbegreiflich. Jedes negative Moment reicht schon einzeln für die Einordnung. So dass die Kommunisten Millionen und Abermillionen dafür ausgaben, aber auch ausgeben mussten, um aus der DDR eine "Riesenknast mit Grünanlagen" zu machen. Oder das sie etwas, was die blanke Verarsche war als "Wahlen" ausgaben, wo die Nichtteilnahme wenigstens zu Druck führte und so eine Beteiligung von gut 99 % erzwang
Ja, unbegreiflich trifft's.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Selina »

franzmannzini hat geschrieben:(20 Jun 2021, 18:06)

Der Focus lag in der DDR auf dem Antifaschismus, aber nur auf diesem, immer jeden Tag jede Stunde, der Ideologie
geschuldet. So kommt es auch das andere Opfer keine Rolle spielten, dafür war einfach kein Platz mehr.
Ich stimme dir in vielem zu. Paar Dinge hast du in Kommentaren weiter oben sehr treffend beschrieben. Was den Antifaschismus anbelangt: Ich war und bin freiwillig Antifaschistin. Und das aus tiefster persönlicher Überzeugung. Dazu musste und muss mich niemand zwingen, nicht in der DDR und nicht im vereinten Deutschland. Das nur als Ergänzung, nicht als Widerspruch zu dem von dir Gesagten.

Gut fand ich auch die Aussage von dir (oder war das jemand anderes?), dass sich die Ostdeutschen die Demokratie im wahrsten Sinne des Wortes erkämpft haben, während die Westdeutschen die Demokratie quasi "geschenkt" bekommen haben.

Außerdem halte ich die Demokratie für einen Prozess und für nix Statisches. Da ist immer alles im Fluss, in Bewegung und kann täglich verbessert (im schlimmsten Fall auch verschlechtert) werden. Das vereinte Deutschland besteht nun mal nicht einfach aus den zusammengerührten Gebilden DDR und alte BRD, sondern es ist etwas Neues, etwas Gemeinsames entstanden. Die gewaltige Leistung der Ostdeutschen in diesem Prozess ist nicht zu unterschätzen. Davon können die Nachgeborenen ne Menge lernen.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Selina »

BlueMonday hat geschrieben:(20 Jun 2021, 17:27)

Es geht da eh drunter und drüber in den Einordnungen, allein wenn man einem Skin(in der Oi!-Geschmacksrichtung) nimmt und dann was von "rechts" faselt. Punk und Skin, das sind doch fließende Inhalte (mit ihrem "Antikapitalismus").
Vor allem sind das nun Subkulturen, die sicher nicht ihren Ursprung in der DDR oder im Osten hatten, sondern da allenfalls Nachahmung wie so vieles aus dem Westen fanden. Freilich mit einer eigenen lokalen Note versehen. Der Sandow-Punk ist dann noch ein anderer als einer aus Hamburg etc. Das waren typische Reaktionen auf die offizielle Pioniertuch/Blauhemd-Sozialisierung. Provokatives Anderssein, Ausscheren, Verweigern, Ungezogensein.
Das will man dann noch am Ende zusammenrühren mit einem rechten Konservatismus oder gar dem bürgerlichen Lager, das sein Kreuz bei einer konservativen Partei macht. Gauland neben einem Oi!-Skin stellen.

Da darf sich nun der Möchtergernsoziologe austoben. Wieso gibt es eine Oi!-Szene im tiefsten Westen? Und die anderen Subversivszenen? Reichsbürger? Gayskins?! Rockerszene? Ganz zu schweigen von Clanstrukturen, diversen Mafiosi. Oder die Drogenszene. Wie "erreichbar" ist der Untergrund im tiefsten Westen für steinmeiersche Sonntagsreden und Merkelraute? Das dürfte nun dem mentalen Zugriff von Experten wie diesem Wanderwitz in ihrer Blase entzogen sein.
Trotzdem ist mir eine Steinmeier-Merkel-Regierung hundertmal lieber als eine, die aus solchen Höcke-Leuten gebildet werden würde. Diese angestrebte deutsche Stromlinienförmigkeit, wo sämtliches Anderssein hinten runterfällt oder gar nicht erwünscht ist, wär wirklich nicht meins.
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franzmannzini

Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von franzmannzini »

Vongole hat geschrieben:(20 Jun 2021, 18:12)

Ja, lag! Nach der Wende hätte man sich sehr gut mit dem System, seinen Opfern und der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen können, haben einige wenige ja auch getan.
Wer genau hätte sich direkt nach der Wende damit auseinandersetzen sollen, die Bürger der ehemaligen DDR ?
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Kohlhaas »

Dark Angel hat geschrieben:(19 Jun 2021, 20:40)

Den Solibeitrag zahlen wir "Ossis" auch seit 1990.
Was allerdings nicht ausschließt, dass die Gelder für den "Aufbau Ost" verwendet werden. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass dieses Geld, ähnlich der Ökosteuer dazu dient, irgendwelche Haushaltslöcher zu stopfen.
Mir ist schon klar, dass auch die Menschen in den neuen Bundesländern den Soli bezahlen. Das ist ja auch nur gerecht. Warum hätten die Menschen in der ehemaligen "West-BRD" die Kosten der Wiedervereinigung allein tragen sollen? Es geht dabei aber um einen anderen Punkt: Die Menschen in der BRD hatten es nicht zu verantworten, dass die DDR-Wirtschaft dermaßen marode war. Sie waren nicht schuld daran, dass im Osten Fußwege mit Holzdächern überbaut werden mussten, damit den Passanten nicht Trümmer von den runtergekommenen Häusern auf den Kopf fallen. Dafür konnten "wir Wessis" nichts. Wir haben trotzdem dafür bezahlt, ohne groß zu klagen. Das sollte man in Erinnerung behalten, ehe man jetzt hier die "gequälte Ossi-Seele" raushängen lässt und so tut, als hätten "wir Besserwessis" den Osten anektiert und die Menschen dort beraubt. Damit meinte ich nicht Dich!

Richtig, der Soli dient sicher auch dazu, irgendwo Haushaltslöcher zu stopfen. Es lässt sich trotzdem nicht von der Hand weisen, dass die Wiedervereinigung gewaltige Milliardensummen gekostet hat und dass "wir Wessis" klaglos den Löwenanteil dieser Kosten bezahlt haben.

Um mal wieder die Schärfe aus der Debatte zu nehmen: Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass der Systemwechsel für die Menschen in der ehemligen DDR vielfach sehr schmerzhaft war. Ich wüsste aber nicht, wie man das hätte vermeiden können. Es war nunmal ein Systemwechsel. Das Land ist radikal umgekrempelt worden. Das tat an vielen Stellen auch weh. Wenn einzelne Diskussionsteilneher das jetzt so darstellen, als sei das "kapitalistisches Beuteverhalten" gewesen und hätte die Würde der Menschen verletzt, dann ist das allerdings mehr als überzogen. Die Menschen in der DDR wollten den Wechsel selbst. Niemand konnte erwarten, dass im Osten alles beim Alten bleibt und die Trabis nur durch West-Autos ersetzt werden.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Unité 1 »

Quatschki hat geschrieben:(19 Jun 2021, 21:11)

Es ist ein spezifischer Rassismus gegenüber Ostdeutschen.
Auf der Strukturebene des Arguments haut das hin, ja. Die Sozialisierung von Flüchtlingen usw. wird ja auch immer wieder gerne als "Argument" genommen, um eine Unvereinbarkeit mit der autochthonen Bevölkerung zu unterstellen.
Kohlhaas hat geschrieben:(20 Jun 2021, 11:33)

Übertreib mal nicht. Ich unterstelle gar nichts, und schon gar nicht pauschal den "Ossis". Ich weise nur auf die Tatsache hin, dass die AfD in den neuen Bundesländern einen doppelt so hohen Stimmanteil hat wie in den alten Ländern. Es hilft keinen Schritt weiter, jetzt bloß die beleidigte Ost-Leberwurst zu spielen. Liefer doch einfach mal eine Erklärung für das beschriebene Wahlverhalten.
"Nur". Sichi, diggi. Schau, deine ständigen Anspielungen und Unterstellungen sind etwas mehr als Hinweis darauf, dass im Osten die Sonne aufgeht. Der Diskussion entziehst du dich nicht nur durch dein freundliches und bescheidenes Auftreten, du ignorierst leider auch die Tatsache der der Stimmunterschiede innerhalb der östlichen Länder sowie zwischen dem Norden und Süden, zwischen Deutschland und Europa. Aufschlussreicher wäre also die Frage, was denn eigentlich "die Westdeutschen" vom Rest unterscheidet. Nur, wie gesagt, das lässt sich halt nicht über einen Kamm scheren.

Aber dann trotzdem Erklärungen haben wollen. Wie oben schon geschrieben werden wohl fehlende Gegenerzählungen eine erhebliche Rolle spielen. Fernerhin kann man politische Deprivation, die "Wendeerfahrung", also die Erfahrung, dass nichts so stabil ist, wie es scheint, und der Wegzug vieler Ostdeutscher vom Land und die damit einhergehende soziale und kommunale Ödnis sowie das relative Fehlen stabiler gewachsener (Vereins- und dergleichen)Strukturen als Faktoren betrachten.

Dann wiederum ist das viel zu kompliziert. Die Ossis komm' ausm Osten, da gab's Diktatur und fertich is die Kiste.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von PeterK »

Kohlhaas hat geschrieben:(20 Jun 2021, 19:44)
Es lässt sich trotzdem nicht von der Hand weisen, dass die Wiedervereinigung gewaltige Milliardensummen gekostet hat und dass "wir Wessis" klaglos den Löwenanteil dieser Kosten bezahlt haben.
Mir scheint, Du klagest.
franzmannzini

Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von franzmannzini »

BlueMonday hat geschrieben:(20 Jun 2021, 18:30)
...
Das wäre auch eine grunsdsätzlichere Frage: Ist ein politisches alternativloses Establishment, also die sichtbare Existenz eines solchen überhaupt, Zeichen dafür, dass man es mit einer "Demokratie" zu tun hat oder ist es eher ein Indikator, dass etwas nicht stimmt, dass sich eher eine undemokratische Konstellation herausgebildet hat? Oder das Beharren auf platten Mehrheiten statt Duldung paralleler Subkulturen (die "wilden Zeiten") - was ist "demokratischer"?
...
Ein alternativloses Establishment, was sich auch noch selbst, oder sein Wirken, als alternativlos bezeichnet hat mit Demokratie, so wie ich sie verstehe, überhaupt nichts zu tun.

Was wollte ich eigentlich 1989 und davor ?
An und für sich "nur" eine "andere" DDR, aber ich war jung und doof.
Ansonsten sehe ich Demokratie immer noch als "Herrschaft des Volkes" und da ich mich als Mitglied des Volkes durch die verfügbaren Repräsentanten nur begrenzt vertreten sehe,
was sicherlich nicht nur mir so geht, würde ich Reformen der Demokratie oder der demokratischen Entscheidungsfindung präferieren.
Den Ansatz hierzu sehe ich immer noch in Bürgerräten und teilweise auch in Volksentscheiden oder Referenda.
Demokratie ist für mich ein dynamischer Prozess, er muß ständig neu bewertet und an aktuelle Gegebenheiten angepasst werden.
Kohlhaas
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Kohlhaas »

PeterK hat geschrieben:(20 Jun 2021, 20:00)

Mir scheint, Du klagest.
Nö. Worüber denn? Ich fühle mich zu Unrecht angeklagt.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von PeterK »

Kohlhaas hat geschrieben:(20 Jun 2021, 20:08)
Nö. Worüber denn? Ich fühle mich zu Unrecht angeklagt.
Ach so. Dann fühl mal weiter.

BTT: Wie oben erwähnt, wählen die "Ostdeutschen" gar nicht mal so anders als Holländer, Franzosen, Finnen, Ungarn, Österreicher etc.
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Ammianus
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Ammianus »

Nur so nebenbei und weil vieles, was hier im Strang angesprochen wird auch darin zu finden ist:

Sahra Wagenknecht, Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt. 2021

Habe lange nicht so etwas gefunden, wo ich in den meisten angesprochenen Punkten nur zustimmen kann. Da geht es auch um Sozialisation, Tradition, Konservativismus u.s.w.
"Ich möchte an einem Ort sein, an dem es keine Politik gibt, keine Waffen, keine Religion."
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Ammianus
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Ammianus »

Vongole hat geschrieben:(20 Jun 2021, 18:48)

Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Dass es in den Jahren direkt nach der Wende Untersuchungen/Berichte gab, man anfing, die Stasiunterlagen auszuwerten und aufzuarbeiten, das weiß ich und meinte ich nicht.
Ich habe jedoch den Eindruck, dass viele der Ex-DDR-Bürger gar nicht so erpicht darauf waren oder sind, diese ganzen Ergebnisse für sich selber auszuwerten, von den Betroffenen, sprich Opfern des Systems mal abgesehen.
Mein Mann z.B. war zwei Jahre nach Wende das erste Mal wieder zu Hause und kam fassungslos zurück. Jedes Gespräch mit vormals guten Freunde über die DDR wurde im Keim erstickt, unfreundlch abgewehrt, teilweise wurde ihm sogar
seine Flucht vorgeworfen. Diejenigen, mit denen er wirklich offen sprechen konnten, waren selbst schon auf dem Weg in den Westen, trotz der Schwierigkeiten, sie sie dort erwarteten.

Ja, unbegreiflich trifft's.
Ich wurde rot erzogen, absolut im Sinne des siegreichen Weges der Arbeiterklasse zum Kommunismus. Das begann aber nach und nach schon früh zu bröckeln. Da war der lächerliche Umgang der DDR-Medien mit der amerikanischen Mondlandung. Als Anfang der 70er Westverwandte wieder in den Osten konnten und Mitschülern bei Filzungen in der Schule die West-Plastiktüten einfach weggenommen wurden, Vorgänge bei der Wahl der 1. FDJ-Leitung in meiner Schulklasse. Dann natürlich das Verbot der Renft-Combo, die Biermann-Ausbürgerung, der große Krawall 1977 auf dem Berliner Alexanderplatz, der Eurokommunismus.
Mein Traum war eine bessere freie DDR. Das ist eine Sozialisation, die bis heute nachwirkt wenn ich Landkarten sehe oder im Land unterwegs bin. In den 90ern kapierte ich, was Biermann schon früher begriffen hatte: Der Traum vom Sozialismus im Sinne von Marx war längst eine totes Kind mit dem die Mutter Erde schwanger ging.
Wie viele andere machte ich in den 80ern mein Ding in der Nischengesellschaft, war einfacher Facharbeiter der im Sommer durch Ungarn und Bulgarien trampte, sich von dort Westplatten mitbrachte. Mein damaliger und auch heutiger Bekanntenkreis sieht das ähnlich. Im Endeffekt sagen wir uns nur: Allen Göttern sei dank, dass wir das alles noch rechtzeitig erleben konnten.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Teeernte »

Kohlhaas hat geschrieben:(20 Jun 2021, 12:01)

Damit hast Du doch meine Analyse quasi bestätigt. Du schreibst doch selbst, dass die Nachwende-Erfahrungen im Osten zu einer überdurchschnittlichen Skepsis gegenüber der Demokratie geführt haben. Dass es quasi "unausweichlich" ist, dass die AfD im Osten so viele Wähler hat. Im Übrigen könntest Du es mal unterlassen, das so darzustellen, als würde ich pauschal über hundert Prozent der Ostdeutschen reden. Selbst in den neuen Bundesländern kommt die AfD nur auf 25 Prozent, regional vielleicht mal auf 30 Prozent der Stimmen..
DIE OLLEN über 50 haben mehr CDU gewählt.

Die jungen - ohne BRUCH OHNE OST OHNE DDR OHNE .....OHNE - NAchwendeJUGEND .....25-35 hat vorrangig AfD gewählt.
Obs zu kalt, zu warm, zu trocken oder zu nass ist:.... Es immer der >>menschgemachte<< Klimawandel. :D
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Quatschki »

Ammianus hat geschrieben:(20 Jun 2021, 20:25)

Nur so nebenbei und weil vieles, was hier im Strang angesprochen wird auch darin zu finden ist:

Sahra Wagenknecht, Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt. 2021

Habe lange nicht so etwas gefunden, wo ich in den meisten angesprochenen Punkten nur zustimmen kann. Da geht es auch um Sozialisation, Tradition, Konservativismus u.s.w.
Die wurde 25 Jahre vom Verfassungsschutz beobachtet.
Und niemand in der PDS ist all die Jahre auf die Idee gekommen, zu erklären:
"Oh, Genossin Wagenknecht, unser Verfassungsschutz beobachtet Dich, ich muß mich leider von Dir distanzieren!",
Aber jetzt wollen sie sie rausschmeißen!
(brauchen sie aber dummerweise für die 5%-Hürde)
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Teeernte »

Ammianus hat geschrieben:(20 Jun 2021, 20:40)

Ich wurde rot erzogen, absolut im Sinne des siegreichen Weges der Arbeiterklasse zum Kommunismus. Das begann aber nach und nach schon früh zu bröckeln. Da war der lächerliche Umgang der DDR-Medien mit der amerikanischen Mondlandung. Als Anfang der 70er Westverwandte wieder in den Osten konnten und Mitschülern bei Filzungen in der Schule die West-Plastiktüten einfach weggenommen wurden, Vorgänge bei der Wahl der 1. FDJ-Leitung in meiner Schulklasse. Dann natürlich das Verbot der Renft-Combo, die Biermann-Ausbürgerung, der große Krawall 1977 auf dem Berliner Alexanderplatz, der Eurokommunismus.
Mein Traum war eine bessere freie DDR. Das ist eine Sozialisation, die bis heute nachwirkt wenn ich Landkarten sehe oder im Land unterwegs bin. In den 90ern kapierte ich, was Biermann schon früher begriffen hatte: Der Traum vom Sozialismus im Sinne von Marx war längst eine totes Kind mit dem die Mutter Erde schwanger ging.
Wie viele andere machte ich in den 80ern mein Ding in der Nischengesellschaft, war einfacher Facharbeiter der im Sommer durch Ungarn und Bulgarien trampte, sich von dort Westplatten mitbrachte. Mein damaliger und auch heutiger Bekanntenkreis sieht das ähnlich. Im Endeffekt sagen wir uns nur: Allen Göttern sei dank, dass wir das alles noch rechtzeitig erleben konnten.
Mondlandung ? ...Medien ? Du bist älter als ich ?? Nun ja - die Ungarn -Rumänien-Bulgarientramperei hat ich ach als Lehrling...
Das Interesse war MÄDELs ->> (...NULL Politik). Da hab ich sicher besser ins System "gepasst".
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Dark Angel »

Kohlhaas hat geschrieben:(20 Jun 2021, 19:44)

Mir ist schon klar, dass auch die Menschen in den neuen Bundesländern den Soli bezahlen. Das ist ja auch nur gerecht. Warum hätten die Menschen in der ehemaligen "West-BRD" die Kosten der Wiedervereinigung allein tragen sollen? Es geht dabei aber um einen anderen Punkt: Die Menschen in der BRD hatten es nicht zu verantworten, dass die DDR-Wirtschaft dermaßen marode war. Sie waren nicht schuld daran, dass im Osten Fußwege mit Holzdächern überbaut werden mussten, damit den Passanten nicht Trümmer von den runtergekommenen Häusern auf den Kopf fallen. Dafür konnten "wir Wessis" nichts. Wir haben trotzdem dafür bezahlt, ohne groß zu klagen. Das sollte man in Erinnerung behalten, ehe man jetzt hier die "gequälte Ossi-Seele" raushängen lässt und so tut, als hätten "wir Besserwessis" den Osten anektiert und die Menschen dort beraubt. Damit meinte ich nicht Dich!
Och, was as angeht, rennst du bei mir offene Türen ein.
Tja, wenn allen alles gehört, dann fühlt sich halt niemand mehr verantwortlich, dann wird die gesamte Wirtschaft auf Verschleiß gefahren, wird nicht mehr investiert. Genau das ist in der DDR passiert und darum war auch die Wirtschaft so marode.
Die phösen Kapitalisten wissen und beherzigen das "Eigentum verpflichtet!", aber genau das interessiert niemanden bei Volkeigentum.
Kohlhaas hat geschrieben:(20 Jun 2021, 19:44)
Richtig, der Soli dient sicher auch dazu, irgendwo Haushaltslöcher zu stopfen. Es lässt sich trotzdem nicht von der Hand weisen, dass die Wiedervereinigung gewaltige Milliardensummen gekostet hat und dass "wir Wessis" klaglos den Löwenanteil dieser Kosten bezahlt haben.
Erzähle das mal den "Selinas dieser Welt". :s
Die Userin hat wahrscheinlich nie einen DDR-Produktionsbetrieb von innen gesehen. Hätte sie, dann wüsste sie, dass z.B. in der Textilproduktion an den Webstühle noch die Schwungräder für die Transmissionsriemen angeflascht waren, die Elektromotoren, mit denen sie arbeiteten, waren nachgerüstet. Jeder der auch nur ein kleines bisschen Ahnung hat, müsste wissen, was das bedeutet, wie alt diese Maschinen waren. Und dann wird bis heute über die Abwicklung dieser Betriebe gejammert. Das it do wohl'n Witz in Tüten.
Ich war im Braunkohlebergbau beschäftigt und die Brikettpressen, mit denen wir noch 1989 produzierten, waren in Durchschnitt 100 bis 120 Jahre alt.
Der Tagebau unseres Betriebes hat montanwachshaltiges Flöz - eine der weltweit drei Lagerstätten. Mit dem Zeug haben wir ca. 2/3 des gesamten Devisenaufkommes der DDR erwirtschaftet, aber Mittel für dringend notwendige Investitionen - Pustekuchen, wir durften weiter mit dem Schrott arbeiten, der uns zur Verfügung stand.
Als Betriebswirtschaftler ist mir sehr wohl bewusst, dass es die Wiedervereinigung nicht zum Nulltarif geben konnte, dass die Aufrechterhaltung der Weltmarktfähigkeit "Unsummen" kostet und dass die nicht mit den "Urwaldschmieden" der DDR-Wirtschaft zu erreichen ist.
Kohlhaas hat geschrieben:(20 Jun 2021, 19:44)
Um mal wieder die Schärfe aus der Debatte zu nehmen: Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass der Systemwechsel für die Menschen in der ehemligen DDR vielfach sehr schmerzhaft war. Ich wüsste aber nicht, wie man das hätte vermeiden können. Es war nunmal ein Systemwechsel. Das Land ist radikal umgekrempelt worden. Das tat an vielen Stellen auch weh. Wenn einzelne Diskussionsteilneher das jetzt so darstellen, als sei das "kapitalistisches Beuteverhalten" gewesen und hätte die Würde der Menschen verletzt, dann ist das allerdings mehr als überzogen. Die Menschen in der DDR wollten den Wechsel selbst. Niemand konnte erwarten, dass im Osten alles beim Alten bleibt und die Trabis nur durch West-Autos ersetzt werden.
Tja siehste und genau das ist das Problem, es war eben den wenigsten bewusst, dass der Systemwechsel sehr schmerzhaft werden wird. Die meisten dachten, sie kriegen die Westmark, können alles kaufen und ansonsten bleibt alles beim Alten.
Für sehr viele gab es dann ein böses Erwachen, als mit der Westmark auch westliche Wirtschaftsverhältnisse kamen und der Schlendrian, den sie gewöhnt waren, ein Ende hatte.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von Dark Angel »

Ammianus hat geschrieben:(20 Jun 2021, 20:40)

Ich wurde rot erzogen, absolut im Sinne des siegreichen Weges der Arbeiterklasse zum Kommunismus. Das begann aber nach und nach schon früh zu bröckeln. Da war der lächerliche Umgang der DDR-Medien mit der amerikanischen Mondlandung. Als Anfang der 70er Westverwandte wieder in den Osten konnten und Mitschülern bei Filzungen in der Schule die West-Plastiktüten einfach weggenommen wurden, Vorgänge bei der Wahl der 1. FDJ-Leitung in meiner Schulklasse. Dann natürlich das Verbot der Renft-Combo, die Biermann-Ausbürgerung, der große Krawall 1977 auf dem Berliner Alexanderplatz, der Eurokommunismus.
Mein Traum war eine bessere freie DDR. Das ist eine Sozialisation, die bis heute nachwirkt wenn ich Landkarten sehe oder im Land unterwegs bin. In den 90ern kapierte ich, was Biermann schon früher begriffen hatte: Der Traum vom Sozialismus im Sinne von Marx war längst eine totes Kind mit dem die Mutter Erde schwanger ging.
Wie viele andere machte ich in den 80ern mein Ding in der Nischengesellschaft, war einfacher Facharbeiter der im Sommer durch Ungarn und Bulgarien trampte, sich von dort Westplatten mitbrachte. Mein damaliger und auch heutiger Bekanntenkreis sieht das ähnlich. Im Endeffekt sagen wir uns nur: Allen Göttern sei dank, dass wir das alles noch rechtzeitig erleben konnten.
Die Mondlandung habe ich im "Westfernsehen" verfolgt, war damals noch sehr jung. Was mir dazu in Erinnerung geblieben ist, dass sie mehr oder weniger totgeschwiegen wurde, aber ein unwahrscheinlicher Bohei um Lunochod gemacht wurde.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von JJazzGold »

Dark Angel hat geschrieben:(21 Jun 2021, 00:02)

Tja siehste und genau das ist das Problem, es war eben den wenigsten bewusst, dass der Systemwechsel sehr schmerzhaft werden wird. Die meisten dachten, sie kriegen die Westmark, können alles kaufen und ansonsten bleibt alles beim Alten.
Für sehr viele gab es dann ein böses Erwachen, als mit der Westmark auch westliche Wirtschaftsverhältnisse kamen und der Schlendrian, den sie gewöhnt waren, ein Ende hatte.
Wurde denn der Schlendrian überhaupt noch als solcher empfunden? Ich kann mich an die Erzählung eines Bauunternehmers erinnern, der überrascht war, dass gelieferte Menge Baumaterial bereits innerhalb eines Vormittages verbaut waren. Als er erfreut zusicherte sofort weiteres auf die Baustelle liefern zu lassen, traf er auf Widerstand. Die Bauarbeiter hätten sich deshalb so beeilt, das vorhandene Material zu verarbeiten, damit sie den Nachmittag zur freien Verfügung hätten. Missverständnisse waren vorprogrammiert.

In meinem, zwangsläufig begrenzten, Umfeld kann ich dritteln. Ein Drittel, die damals Jungen, liessen alles stehen und liegen und wollten den Westen bis weit über die EU Grenze hinaus erkunden, ein Drittel, die Alten, blieben und legten mehr oder weniger ihr gewohntes Leben, ein Drittel, die Mittleren fingen vor Ort noch einmal von vorne an, schulten um oder machten sich selbstständig, durchlebten Höhen und Tiefen. Bei Familientreffen stelle ich Zufriedenheit fest. Man hat die Herausforderung gemeistert, jeder auf seine Art. Wie Ammianus schreibt, die DDR zurück will keiner haben. Jeder ist froh, dass die Wiedervereinigung erlebt werden durfte. Was sich auch feststellen lässt, das ist eine mehr oder weniger offen zu Tage tretende Verachtung für die heute noch Jammernden.
Kann es sein, dass diese Jammernden zweifach gesellschaftlich gespalten sind, einmal in ihrer negativen Ost/West Betrachtung und dann auch innerhalb des die umgebenden gesellschaftlichen Rahmens im Osten der Republik, in der Betrachtung erfolgreich gemeistert/nicht erfolgreich gemeistert? Dass die Wahl einer AfD als Verheissung erscheint, von "wahrgenommen werden", bis zu der vagen Möglichkeit, "wieder wer zu sein" und sei es auch nur, sich im Glanz einer erfolgreichen AfD spiegeln zu können?

Ich kann mich aber auch noch gut an das fassungslose Entsetzen meines Vaters (gebürtiger Sachse) erinnern, als bereits 2004 die NPD mit ca. 9% in den sächsischen Landtag einzog. Wenn ich die heutige AfD Entwicklung in Sachsen betrachte, war das bereits ein Fingerzeig, den man schlichtweg nicht wahrnehmen wollte?
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von schokoschendrezki »

Kohlhaas hat geschrieben:(19 Jun 2021, 11:19)

Wenn es für Dich identitätsstiftend ist, unbelehrbar zu sein, dann genieße es einfach.

Aber mal so am Rande gefragt: Kaufst Du manchmal Lebensmittel ein? Schon allein dadurch wirst Du zum Teil einer "Gemeinschaft". Fährst Du ein Auto? Beachtest Du dabei die Verkehrsregeln? Schon allein dadurch wirst Du zum Teil einer "Gemeinschaft". Wenn Dein Nachbar Dein Auto anzündet: Greifst Du dann zu Selbstjustiz oder rufst Du Die Polizei? Ohne Dich belehren zu wollen: Die Idee, dass Du so völlig unabhängig von jeglicher "Community" bist, hält nicht mal der oberflächlichsten Prüfung stand. Du hast eine Schule besucht (besuchen müssen), Du hast mit großer Wahrscheinlichkeit eine Arbeitsstelle angetreten,... Ich könnte fast endlos weitere Beispiele auflisten. Es ist schlechterdings unmöglich, in Deutschland zu leben und nicht Teil der Gesellschaft zu sein. Die bloße Vorstellung ist schon absurd. Das ist so, als würde sich jemand als Nonkonformisten bezeichnen und dann Uniform tragen. Aber wenn es Dich glücklich macht... Ich gönne es Dir.
Da kommen wir ein bissel vom Thema ab ... Natürlich ist man in einer sehr arbeitsteiligen Gesellschaft und in einem, ja, ausdifferenzierten Sozialsystem immer Teil von allen möglichen gemeinschaftlich organisierten Prozessen. Es ist aber immer noch ein Unterschied, ob man sich zu dieser kommunitaristischen Vorstellung eines Gemeinschaftslebens bekennt, ob man bei der Freiwilligen Feuerwehr mitmacht oder die Fußballjugend trainiert ... oder ob man einen eher urbanen Lebensstil bevorzugt.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Diktatursozialisierung?

Beitrag von schokoschendrezki »

Ammianus hat geschrieben:(20 Jun 2021, 20:40)

Ich wurde rot erzogen, absolut im Sinne des siegreichen Weges der Arbeiterklasse zum Kommunismus. Das begann aber nach und nach schon früh zu bröckeln. Da war der lächerliche Umgang der DDR-Medien mit der amerikanischen Mondlandung. Als Anfang der 70er Westverwandte wieder in den Osten konnten und Mitschülern bei Filzungen in der Schule die West-Plastiktüten einfach weggenommen wurden, Vorgänge bei der Wahl der 1. FDJ-Leitung in meiner Schulklasse. Dann natürlich das Verbot der Renft-Combo, die Biermann-Ausbürgerung, der große Krawall 1977 auf dem Berliner Alexanderplatz, der Eurokommunismus.
Mein Traum war eine bessere freie DDR. Das ist eine Sozialisation, die bis heute nachwirkt wenn ich Landkarten sehe oder im Land unterwegs bin. In den 90ern kapierte ich, was Biermann schon früher begriffen hatte: Der Traum vom Sozialismus im Sinne von Marx war längst eine totes Kind mit dem die Mutter Erde schwanger ging.
Wie viele andere machte ich in den 80ern mein Ding in der Nischengesellschaft, war einfacher Facharbeiter der im Sommer durch Ungarn und Bulgarien trampte, sich von dort Westplatten mitbrachte. Mein damaliger und auch heutiger Bekanntenkreis sieht das ähnlich. Im Endeffekt sagen wir uns nur: Allen Göttern sei dank, dass wir das alles noch rechtzeitig erleben konnten.
Man kann all dies verfolgen und darüber nachdenken ... ich glaube aber das ist eher ein Thema für die Literatur. Wenns einem um die aktuelle politische Entwicklung in der Welt geht ... landet man dabei gewissermaßen auf einem Nebengleis und irgenwann im Wald auf einer toten Strecke.

Es gibt in ganz Europa, bleiben wir mal bei Europa, seit zwanzig dreißig Jahren ein Wählerpotenzial von, sagen wir mal 15 bis 25 Prozent für Rechtspopulisten. Die Beispiele sind bekannt. Norwegen, Frankreich, Österreich, Niederlande usw. usf. bis hin zu den Wahren Finnen und den osteuropäischen Rechtspopulisten. Auch wenn die entsprechenden Parteien sich im einzelnen unterscheiden ... der rechtspopulistische Kern ist doch immer ähnlich. In den entsprechenden Ländern gibt es jedoch ganz unterschiedliche gesellschaftlich-soziale Entwicklungen. Besonders wenn man Ost- und Westeuropa vergleicht. Wenn diese Unterschiede dennoch zu ähnlichen politischen Entwicklungen führen ... dann muss man doch von der Logik her irgendwo anders suchen.

Die hohe Präferenz der 20 bis 40 jährigen kürzlich in Sachsen-Anhalt für die AfD ... es ist nicht dasselbe aber meiner Ansicht nach aus ähnlichen Reflexen heraus wie die hohe Präferenz der Jungen Union für Frierdrich Merz. Ich nenne das einfach mal "Chefismus". "Chefismus", einschließlich einer gewissen Verachtung von Parlamentarismus. Es soll nicht gequasselt sondern exekutiert werden.

Ganz ähnlich sehe ich die Entwicklung der FPÖ in Österreich. Ein kleines gut zu überblickendes Land. Die jungen Leute, die die FPÖ präferieren .... würde ich mal so ganz ungefähr dem Falco-Stil zuordnen. Taff irgendwie. Geradeaus. Und ebenfalls irgendwie "chefisch". Nicht umsonst haben schon die Strache-Leute alles mögliche unternommen, um Falco-Songs für ihre Wahlvideos zu verwenden. (Die Falco-Stiftung hat das übrigens aber unlängst untersagt).
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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