Brauchen wir noch eine repräsentative Demokratie?

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Neandertaler
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Re: Brauchen wir noch eine repräsentative Demokratie?

Beitrag von Neandertaler »

denkmal hat geschrieben:(03 May 2021, 08:22)

Aber ist das nicht das gleiche Problem wie in der repräsentativen D.? Jemanden ohne Sekundärinteressen finden? Sich auf "Fachleute" verlassen, statt selbst zu prüfen (wobei ich ja letzteres wie erwähnt als unmöglich für den Einzelnen ansehe) - du sagst ja selbst, die Fachleute (als delegierte Wissensvermittler) müssen ja auch irgendwie erwählt werden.
das stimmt schon und ich würde Spekulieren das sich in einer reinen direkten Demokratie Strukturen bilden könnten, die so einer Mischung aus Lobbyisten Thing Tanks und Parteien wären, wahrscheinlich aber Loser.
Ich denke aber das die Chance in einer direkten Demokratie größer ist, das die Sachen von mehreren Seiten geprüft wird. Und das dies auch einzelne interessierte Bürger tun werden. Aber wie gesagt eine reine direkte Demokratie ist Spekulativ und ich kann da keinen Vorteil zu einem System aller Schweiz erkennen.
Also ich bin durchaus dafür, direktdemokratische Elemente in einer moderaten Form zu implementieren, sehe aber deren Schwächen (ok, wenn man die irgendwie minimieren kann) und sehe die (momentane) Unmöglichkeit, dass auf demokratischem Wege in der jetzigen Machtlandschaft in Deutschland durchzuführen. ...
Da müsste halt extremer Außerparlamentarischer Druck her um die führenden Parteien zum Einlegen zu bringen, so das dieses sich quasi selbst auf die Fahne schreiben, halte ich aber für schwierig herzustellen.
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Re: Brauchen wir noch eine repräsentative Demokratie?

Beitrag von Neandertaler »

Sören74 hat geschrieben:(10 May 2021, 01:08)

Wo zum Beispiel? :?

Kannst Du das etwas genauer erörtern, weil ich kann dem nicht ganz folgen.
mmm
:s ich muss gestehen daß ich nach dem ich die vorherigen Postings nochmal gelesen und nicht nur überflogen, ich hier etwas sterotyp auf von mir impliziertes reagiert habe. Da habe ich wohl etwas auf Strohmänner gefeuert. :|


Das sehe ich nicht so, dass das eine akademische Diskussion ist, wenn direkte und repräsentative Demokratie Hauptkategorien vieler politischer Diskussionen sind, mit denen eigentlich jeder was anfangen kann. Von daher kann man selbst gut prüfen, welche Elemente davon mehr in einem konkreten Land umgesetzt sind.
Wie gesagt ich halte es für wenig entscheidend ob man die Schweiz als repräsentative Demokratie mit starken direktdemokratischen Elementen oder umgekehrt hält.
Aber da wie gesagt die direktdemokratischen Elemente eindeutig Vorrang, Parlamentsentscheidungen stehen unter direkt demokratischen Vorbehalt, würde ich das zweite wählen. De jure und de facto. Auch wenn das Parlament bei der konkreten Umsetzung von Volksentscheiden eine wichtige Rolle spielt .
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Re: Brauchen wir noch eine repräsentative Demokratie?

Beitrag von Neandertaler »

Brainiac hat geschrieben:(07 May 2021, 22:15)

Was ich in meinem Umfeld öfters beobachte, ist, dass die Entscheidung der Briten für den Brexit in 2016 die Stimmung gegen direkte Demokratie hat kippen lassen. Das ist aus meiner Sicht ein sehr typischer Kurzschluss: Lehne das demokratische Verfahren ab, das zu einer dir nicht genehmen Entscheidung geführt hat. Es ist kein substantielles Gegenargument.
Ich habe das Gefühl es ist noch schlimmer und die echten Überzeugten Demokraten sind nur eine Minderheit. Bei vielen scheint mir Demokratie ein Wort für Sonntagsreden und Lippenkenntnisse. Wird es dann aber konkret und Mann sieht in weniger Demokratie einen augenblicklichen taktischen politischen Vorteil soll es dann auch nicht so viel Demokratie sein.
Es ist sinnfrei, hier ständig auf die Schweiz zu verweisen.
Warum? Die Schweiz hat einfach das bessere demokratischere System, praxiserprobt. Und das nicht nur wegen der direkten Demokratie, sondern auch wegen der offenen Listen, dem fehlenden Staatsoberhaupt etc. Zudem ist das System Schweiz geradezu eine Blauphase wie man die EU demokratisch gestalten könnte. Warum darf man nicht vom Nachbarn lernen wenn der es besser macht?
Die dort gelebte Praxis der direkten Demokratie, insbesondere der tief verwurzelte Grundkonsens, diese nicht zu missbrauchen, läßt sich nicht mal eben auf Deutschland überstülpen. So etwas braucht Jahrhunderte.
Wie genau definiertst du diesen Grundkonsens?
Die Jahrhunderte alte Tradition ist sicher ein Vorteil aber ich sehe da eher Sekundärinteressen als Hemmnis.
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Re: Brauchen wir noch eine repräsentative Demokratie?

Beitrag von Brainiac »

Neandertaler hat geschrieben:(11 May 2021, 01:08)

Warum? Die Schweiz hat einfach das bessere demokratischere System, praxiserprobt. Und das nicht nur wegen der direkten Demokratie, sondern auch wegen der offenen Listen, dem fehlenden Staatsoberhaupt etc. Zudem ist das System Schweiz geradezu eine Blauphase wie man die EU demokratisch gestalten könnte. Warum darf man nicht vom Nachbarn lernen wenn der es besser macht?
Ich möchte stark in Frage stellen, dass die Schweiz die "bessere" Demokratie sei. Das wirst du auch nicht beweisen können. Sie ist anders, mehr nicht.
Direkte Demokratie ist nicht per se "besser" als repräsentative Demokratie. Ich halte es für sinnvoll, beides zu kombinieren, um die Stärken beider Ansätze zu nutzen. Da sind wir in D auf Bundesebene Entwicklungsland und das würde ich gerne ändern - nicht aber die repräsentative Demokratie abschaffen.
Wie genau definiertst du diesen Grundkonsens?
Die Jahrhunderte alte Tradition ist sicher ein Vorteil aber ich sehe da eher Sekundärinteressen als Hemmnis.
Das System darf nicht missbraucht werden - es darf nicht die Demokratie mit jedem beliebigen irrelevanten Kram lahmgelegt werden.
Der allgemeine Grundkonsens in der Schweiz ist, dass man das einfach nicht tut. Es gehört sich nicht.

Ein Negativbeispiel war in dieser Hinsicht meines Wissens Kalifornien.

Und es muss natürlich eine gewisse Grundakzeptanz dem Verfahren gegenüber geben, wozu auch gehört, es nicht gleich zu verdammen, wenn es im Einzelfall nicht so wie gewünscht ausfällt (siehe oben).

Ich weiß einfach nicht, wie die deutsche Bevölkerung mit so etwas umginge, wenn es eben auch auf Bundesebene derartige Entscheidungsmöglichkeiten gäbe. Das ist einfach eine andere Kategorie - emotionaler, kontroverser, komplexer - als die Möglichkeiten, die es teilweise in den Bundesländern gibt. M.E. sollte man so etwas sehr langsam hochfahren.
History doesn't repeat itself, but it often rhymes (Twain). Unfortunately, we can't predict the rhyme.
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Re: Brauchen wir noch eine repräsentative Demokratie?

Beitrag von Sören74 »

Neandertaler hat geschrieben:(11 May 2021, 01:08)

Warum? Die Schweiz hat einfach das bessere demokratischere System, praxiserprobt.
Das wäre natürlich die Frage, nach welchen Kriterien man das bewertet.
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Re: Brauchen wir noch eine repräsentative Demokratie?

Beitrag von Neandertaler »

Brainiac hat geschrieben:(11 May 2021, 19:01)
Ich möchte stark in Frage stellen, dass die Schweiz die "bessere" Demokratie sei. Das wirst du auch nicht beweisen können. Sie ist anders, mehr nicht.
da kommen wir nicht zusammen, nach meiner Meinung ist das politische System der Schweiz nicht nur einfach anders sonder schlicht besser und durchdachter. Und das auch ganz ohne die direktdemokratischen Elemente. Ob ich es dir beweisen kann hängt natürlich davon ab was du als Beweis zulässt, demokratischer ist das Schweizer System auf alle Fälle.
...Ich halte es für sinnvoll, beides zu kombinieren, um die Stärken beider Ansätze zu nutzen. Da sind wir in D auf Bundesebene Entwicklungsland und das würde ich gerne ändern - nicht aber die repräsentative Demokratie abschaffen.
Hier sind wir doch einer Meinung, ich habe nicht gefordert die repräsentative Demokratie abzuschaffen. Es spricht nichts dagegen wenn der Bürger als Souverän Aufgaben deligiert.
Spekulationen über ein rein direktdemokratisches System betrachte ich eher als geistige Spielerei.
Das System darf nicht missbraucht werden - es darf nicht die Demokratie mit jedem beliebigen irrelevanten Kram lahmgelegt werden.
Der allgemeine Grundkonsens in der Schweiz ist, dass man das einfach nicht tut. Es gehört sich nicht.
kannst du da konkreter werden? Ansonsten gibt es auch Quoren etc. Um solches zu verhindern.
Ein Negativbeispiel war in dieser Hinsicht meines Wissens Kalifornien.
Da ist mein Wissen zu begrenzt, ich würde aber vermuten daß wenn eher die konkrete Ausgestaltung der direkten Demokratie, die natürlich wichtig ist, als ein bestimmter Konsens, für Probleme sorgt.
https://www.mehr-demokratie.de/themen/e ... lifornien/



Ich weiß einfach nicht, wie die deutsche Bevölkerung mit so etwas umginge, wenn es eben auch auf Bundesebene derartige Entscheidungsmöglichkeiten gäbe. Das ist einfach eine andere Kategorie - emotionaler, kontroverser, komplexer - als die Möglichkeiten, die es teilweise in den Bundesländern gibt.
M.E. sollte man so etwas sehr langsam hochfahren.
Beim langsamen hochfahren bin ich sehr skeptisch, gibt es dafür ein gelungenes Praxisbeispiel? Ich vermute daß dann schnell auf einen kleinen Schritt nach vorne, schnell zwei zurück folgen. Aber frisch eingeführte Demokratische Prozess sind leider öfter Frakil.
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Re: Brauchen wir noch eine repräsentative Demokratie?

Beitrag von Brainiac »

Neandertaler hat geschrieben:(12 May 2021, 11:35)

kannst du da konkreter werden? Ansonsten gibt es auch Quoren etc. Um solches zu verhindern.
Nehmen wir das Beispiel der fakultativen Referenden zu Bundesgesetzen in der Schweiz. Damit ein solches zustande kommt, bedarf es einer relativ geringen Menge an Unterschriften, die unter einem Prozent der Bevölkerung liegt und in gut drei Monaten gesammelt werden muss. Ich halte das auch für grundsätzlich sinnvoll - die Hürde darf nicht zu hoch sein, da es ja ständig neue Gesetze gibt und es oft nicht schnell genug möglich wäre, eine landesweite Aufmerksamkeit zu erlangen und erheblich höhere Quoren zu erreichen.

Andererseits liegt hier eben auch die Gefahr des Mißbrauchs, weil die Legislative so sehr stark ausgebremst werden kann. Ich hatte in meiner Zeit in der Schweiz mit verschiedenen Leuten darüber gesprochen und die meinten alle unisono: "Das ist verpönt" - das Instrument der direkten Demokratie sei so fundamental wichtig für das Selbstverständnis des Landes, dass man es nicht unbillig in Verruf bringen darf. (Natürlich gibt es dennoch auch Negativbeispiele von unnötigen Referenden oder seltsamen Volksinitiativen, aber im großen und Ganzen scheint so etwas relativ selten zu passieren.) Das meine ich mit "Grundkonsens", der so in Deutschland erst über längere Zeit erarbeitet werden müsste.

Beim langsamen hochfahren bin ich sehr skeptisch, gibt es dafür ein gelungenes Praxisbeispiel? Ich vermute daß dann schnell auf einen kleinen Schritt nach vorne, schnell zwei zurück folgen. Aber frisch eingeführte Demokratische Prozess sind leider öfter Frakil.
Aus meiner Sicht ist die Entwicklung der direkten Demokratie in den Bundesländern ein solches gelungenes Praxisbeispiel für ein "langsames Hochfahren". Von der Entwicklung her war es so, dass diese Möglichkeiten bis zur Wiedervereinigung in den westdeutschen Bundesländern relativ stark restringiert waren. Mit der Wiedervereinigung wurde in den fünf neuen Bundesländern starker Fokus auf plebiszitäre Elemente gelegt, um den Erfahrungen der "friedlichen Revolution" in der DDR Rechnung zu tragen; in Folge dessen haben auch die westlichen Bundesländer die Restriktionen für Plebiszite deutlich gesenkt. Heute haben wir in den Bundesländern aus meiner Sicht alles in allem eine gute Akzeptanz der direkten Demokratie und ihrer Entscheidungen erreicht (auch wenn die Rahmenbedingungen zwischen den Bundesländern einheitlicher sein könnten).

Das hängt m.E. aber auch damit zusammen, dass es in den Ländern eher um gut abgrenzbare Sachfragen geht, die in der Länderzuständigkeit liegen, beispielsweise ob ein Bahnhof in Stuttgart gebaut wird, oder es in Hamburg die sechsjährige Primarschule geben soll. Auf Bundesebene sind die Themen tendenziell erheblich emotionaler und komplexer, die Herausforderung ist dort also größer, sowohl eine konstruktive öffentliche Diskussion und Entscheidungsfindung als auch eine gute Akzeptanz der getroffenen Entscheidung sicherzustellen. Ich plädiere daher dafür, direktdemokratische Elemente auf Bundesebene zunächst nur sehr gezielt und nicht zu allumfassend einzuführen, um dann aus den Erfahrungen zu lernen. Beipielsweise könnte man als Einstieg eine relativ enge Kategorie von Gesetzgebungen definieren, für die Referenden möglich sind - dazu sollten dann m.E. vorrangig Themen zählen, die eine Langzeitwirkung entfalten, die weit über die vierjährige Legislaturperiode hinausreicht (um dem Nachteil entgegenzuwirken, dass die gewählten Volksvertreter naturgemäß oft auch ihre Wiederwahl im Auge haben und dadurch tendenziell kurzfristiger denken). Um dieses im Einzelfall zu entscheiden bzw. dagegen anzugehen - also ob ein geplantes Gesetz in diese Kategorie der Langzeitwirkung fällt, oder nicht -, könnte eventuell das Verfassungsgericht zuständig gemacht werden. Zu Gesetzen mit Langzeitwirkung könnten vor allem Verfassungsänderungen zählen, aber nicht nur (sondern beispielsweise auch Themen wie Renteneintrittsalter oder Sterbehilfe). Das ist jetzt noch nicht so richtig bis ins letzte durchdacht, zugegeben.
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