Nicht der "Untergrund". Nochmal der oben gepostete Gegengegenkommentar von Stephan Detjen. Sorry, wenn ich jetzt ein Zitat nochmal wiederholt zitiere;
Die Diskussion um einen Zeitungsbeitrag und ein Deutschlandfunk-Interview des ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse ist Teil einer Auseinandersetzung, die Züge eines Kulturkampfes trägt. Es geht um tatsächliche oder vermeintliche Diskurshegemonien, Diversität in der Gesellschaft und Pluralität in den Medien. Dazu gehört auch die gestern an dieser Stelle gesendete Erwiderung auf das Thierse-Interview, die ihrerseits zu Klarstellung und Widerspruch herausfordert.
Klarstellung, weil darin aus der Redaktion dieses Senders heraus ein Postulat formuliert wurde, dass es zu „unserer Aufgabe“ erklärte „Mauern aus Privilegien“ aufzubrechen. Welches „Wir“ hier auch immer sprach – es kann jedenfalls nicht ein redaktionelles Kollektiv gewesen sein. Der Rundfunk ist durch seinen Verfassungsauftrag zu innerer Pluralität verpflichtet, die sich im lebendigen Wettstreit unterschiedlicher Meinungen beweisen muss. Wenn auch nur der Anschein erweckt wird, ein Medium ertrage am Abend die Äußerungen eines Gesprächspartners nicht mehr, den man am Morgen zum Interview geladen hat, ist dem zu widersprechen.
https://www.deutschlandfunk.de/kontrove ... _id=493268
Der Mann hat nun passenderweise zur These vom "inneren Exil" die von der "inneren Pluralität" (jedenfalls dieses Teils des ÖRRs) aufgestellt. Und ich kann das bestätigen.
Darüber hinaus bringt dieser Kommentar die durchaus richtige und wichtige Erkenntnis zum Ausdruck, dass die Gesellschaft der Bundesrepulbik (wie auch andere Gesellschaften)
grundlegend verändert haben. Diese alte gemütliche Bonner Bundesrepulbik kann auch nicht wiederhergestellt werden!
Es gab Zeiten, in denen diese Pluralität durch einen schlichten Proporz erfüllt werden konnte – heute ein Schwarzer im Interview, morgen ein Roter, einmal katholisch, einmal evangelisch, auf den Arbeitgebervertreter folgt der Gewerkschafter. Diese simple Rechnung geht in einer auf vielschichtigere Weise diversen Gesellschaft nicht mehr auf.
Wobei mit "Schwarzer" hier wohl eher "Unions-naher" gemeint sein dürfte.
Es gibt diese alte Bonner Bundesrepublik nicht mehr. Diese Zeiten, in denen sowas wie "Verhandlungen der IG Metall mit den Arbeitgebern" oder "Fluglotsenstreiks" regelmäßig die erste Meldung in der Tagesschau war. Die Katastrophe von Tschernobyl, die iranische Revolution, der polnische Papst, der beginnenden wirtschaftliche Aufstieg Chinas ... das waren in etwa zeitgleich Symptome eines grundlegenden Wandels der Welt.
Die Kritik an der Identitätspolitik von Thierse ist erstmal vollkommen richtig. Erst kürzlich hörte ich zum Beispiel einen Beitrag zur Geschichte der
innerafrikanischen Sklaverei. Rund tausend Jahre lang haben Afrikaner Afrikaner als Sklavenjäger gejagt und dann an andere Afrikaner in Afrika (oder Araber im Nahen Osten) verkauft. Von den Zahlen her ist das Ausmaß der innerafrikanischen Sklaverei weitaus bedeutsamer als das der nordamerikanischen.
https://www.hr-inforadio.de/podcast/wis ... 83176.html
Was letztere natürlich erstens nicht besser macht. Und zweitens sticht natürlich die nordamerikanische Sklaverei gegen ihr eigenes Selbstbild von Zivilisation und AUfgeklärtheit heraus. Aber egal: identitätspolitik ist
sowieso Unsinn. Die Frage, die sich mir stellt, ist dann, warum Thierse sich an diesem "Suchen nach einem Wir" beteiligt. Es gibt kein "Wir". Bzw. jeder, dem es nach einem "wir" gelüstet kann sich dieses aus seinem Freundes-, Bekannten- und Chatpartnerkreis selbst zusammenbauen. Eine andere Diskussion wäre förderlicher: Eine, die ein
positives Bild von Diversität zeichnet. So wie bei Detjen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)