Eulenwoelfchen hat geschrieben:(12 Jan 2021, 00:50)
Meiner Meinung nach hat es etwas mit dem Bergiff "soziale Medien" zu tun, der sozusagen zu einem Massenphänomen des Meinungsfreiheitsirrtums verleitet, und durch diesen irrenführenden Terminus "sozialer Medien" eine "gerechtere, korrigierte Welt einer tatsächlichen endliche freien Meinungsfreiheitswelt vorgaukelt wird, die bis es diesen, wenn man so will,
digitalen Ausweichanarchismus gab, eben den schon erwähnten Beschränkungen eines Journalismus und mächtiger
Zeitungsverlage ausgeliefert war. Die bestimmten, welch Volkes Stimme wie kungetan werden konnte und welche eben nicht. Die Meinungsäusserung sich mehr auf die Abonnierung der genehmen Presseerzeugnisse beschränkte und Meinungsäusserung sich mehr auf passiven Empfang reduzieren musste, denn selbstbestimmtes, aktives Äussern der eigenen Meinung.
Diese plötzliche Befreieung kann man durchaus als Revolution und Befreiung von den Fesseln fremdbestimmter Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten der individuellen Meinungsäusserung begreifen.
Grundsätzlich stimme ich Dir zu. In einem konkreten Punkt muss ich aber widersprechen. Es gehörte immer zum "guten Ton" in der (deutschen) Presselandschaft, eben NICHT willkürlich zu entscheiden, welche Meinungen geäußert werden dürfen und welche nicht. Ja, es gab auch immer die ausdrücklich meinungsgeprägten Ausnahmen. Natürlich konnte niemand verlangen, dass der "Vorwärts" einen Kommentar von Höcke abdruckt oder dass in der "Emma" die Meinung vertreten wird, Frauen gehören hinter den Herd oder alternativ ins Bett. Von solchen ausdrücklich meinungsbetonten Medien rede ich mal nicht. Ich meine nur die vorwiegend "berichterstattende" Presse. Und die hat in Deutschland halt nie Meinungen unterdrückt. Die hat sich nur der Pflicht gestellt, Meinungsäußerungen auf ihre Plausibilität und juristische Zulässigkeit zu hinterfragen und gegebenenfalls abweichende Meinungen oder widersprechende Fakten ebenfalls zu veröffentlichen.
Beispiel: Wenn in einem Leserbrief eine Verleumdung oder eine Beleidung geäußert wird, dann darf dieser Leserbrief nach deutschem Recht nicht veröffentlicht werden. Laut Gesetz ist nämlich Jeder der Beleidigung oder der Verleumdung schuldig, der so eine Beleidigung oder Verleumdung äußert
oder verbreitet. In den asozialen Medien ist das anders. Da kann jeder ganz anonym alles schreiben, ohne befürchten zu müssen, dass er irgendwie belangt wird. Nach deutschem Recht ist das eigentlich gesetzeswidrig. Es kann nur nicht geahndet werden, weil man die Verursacher nicht namhaft machen kann oder weil die Server, über die solche rechtswidrigen Inhalte veröffentlicht werden, in Nowosibirsk oder in St. Louis stehen.
Nachsatz: In deutschen Zeitungen wird kein (legaler) Leserbrief veröffentlicht, ohne dass der Urheber bekannt/ermittelt ist. Niemand kann unter dem Namen seines Nachbarn eine (formal legale) Meinung äußern, die der Nachbar vielleicht gar nicht teilt.
Zweites Beispiel: Wenn ein Politiker gegenüber einem "Presseerzeugnis" (Rundfunk und Fernsehen explizit eingeschlossen!) eine Meinung äußert oder eine Tatsachenbehauptung aufstellt, muss er sich damit abfinden, dass das "Presseerzeugnis" die getätigten Aussagen überprüft, unter Umständen widerlegende Fakten hinzufügt und die Ansichten der politischen "Gegenseite" mit veröffentlicht. Genau DAS ist es, was den selbsternannten "Verteidigern der Meinungsfreiheit" gegen den Strich geht. Die fordern das Recht ein, ihre Meinung äußern zu dürfen, OHNE dass sie auf ihre Richtigkeit überprüft wird. OHNE, dass mögliche Gegenmeinungen veröffentlicht werden. In den asozialen Medien können diese "Verteidiger der Meinungsfreiheit" genau das tun. In den "bösen, gleichgeschalteten Systemmedien" können sie es nicht.
Betrachten wir mal den Herrn Trump. Um den soll es hier eigentlich nicht gehen, aber der ist ein Paradebeispiel! Der Mann ist US-Präsident. Der hat nun wirklich keine Probleme, seine Meinung weltweit und medienwirksam zu äußern. Trotzdem hetzt er seit seinem ersten Auftritt auf der politischen Bühne gegen die "Fake-News-Medien". Warum macht er das? Weil die "Fake-News-Medien" in zensiert und seine Lügen nicht verbreitet hätten? Nein! Er hat das gemacht, weil die "Fake-News-Medien" seine Lügen immer verbreitet und gleichzeitig widersprechende Fakten mit verbreitet haben. Gemäß journalistischer Sorgfaltspficht.
Die selbsternannten "Verteidiger der Meinungsfreiheit" fordern gar keine Meinungsfreiheit. Tatsächlich fordern sie, dass sie ihre Meinung frei äußern dürfen, ohne dass ihnen jemand widersprechen darf. Sie fordern "Meinungsfreiheit" nur für sich selbst und sprechen sie allen anderen Menschen ab. In den asozialen Medien geht das. Da können diese Leute ihre Blasen bilden. In den "Systemmedien" geht das nicht.
Wie schon an anderer Stelle geäußert: Das Grundproblem der asozialen Medien liegt darin, dass jeder Mensch willkürlich ALLES äußern darf, ohne für den Wahrheitsgehalt geradestehen zu müssen. Das finden die angeblichen "Verteidiger der freien Meinungsäußerung" ganz toll. Ich kann das nicht nachvollziehen. Es gibt in Deutschland ein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Es gibt kein Grundrecht, unwidersprochen zu lügen.
Frag mich jetzt bitte nicht, wie man dieses Dilemma mit den asozialen Netzwerken lösen soll. Ich weiß es nicht. Eine Möglichkeit wäre es, die alle abzuschalten. Aber das will ja nun auch niemand. So wie sie sind, sind die genannten Netzwerke aber eine Gefahr für die Demokratie. Das hat Trump bewiesen.