Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

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Ist der Freispruch gerecht?

Umfrage endete am Mi 3. Feb 2021, 00:12

Ja
6
43%
Nein
8
57%
 
Insgesamt abgegebene Stimmen: 14
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Fliege
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Fliege »

Liegestuhl hat geschrieben:(06 Jan 2021, 15:27)

Wenn jemand, der ein Verbrechen begangen hat, für dieses Verbrechen einen Freispruch erhält, kann man das Urteil für "juristisch in Ordnung" halten, aber nicht als "gerecht" empfinden.
Aldus hat geschrieben:(07 Jan 2021, 01:04)

Treffer, versenkt. Und genau das - ist das Problem mit den Juristen und der Judikative.
Wie könnten Juristen, deiner Meinung nach, herausfinden, was gerecht ist?
"Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen." – "Da der Mensch toll werden kann, so sehe ich nicht ein, warum es ein Weltsystem nicht auch werden kann" (Georg Christoph Lichtenberg).
Aldus
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Aldus »

Wie die anderen Gruppen in dem Beispiel auch - manche Dinge weiß man.

Wenn dieses Grundempfinden durch ein Studium vernebelt wurde und man plötzlich meint, manches erst "herausfinden" zu müssen - ist irgendwas gründlich schief gelaufen.
"Nur eine Maschine kann eine Maschine verstehen." - Alan Turing
"Wir müssen die gar nicht verstehen, die haben zu gehorchen." - Prof. Harald Lesch
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Aldus hat geschrieben:(07 Jan 2021, 19:33)

Wie die anderen Gruppen in dem Beispiel auch - manche Dinge weiß man.
Welche Dinge zum Beispiel?

Lassen Sie sich doch nicht alles aus der Nase ziehen. Einfach die Dinge klar beim Namen nennen und nicht die Gesprächspartner immer raten lassen, was Sie denken. ;)
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BlueMonday
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von BlueMonday »

Zusammengefasst: der Freispruch wird von manchen als "ungerecht" empfunden. Anders gesagt, man erwartet eine Bestrafung, um "Gerechtigkeit" herzustellen und Ungerechtigkeit zu vermeiden. Nun schließt sich unvermeidlich die Frage nach der Strafpraxis an, wie diese Strafe denn nun ausfallen und aussehen soll und was der gemeine Gerechtigkeitssinn dazu als "gerecht" empfindet. Aber bisher verstummt er da, weil er wohl billig auf die zuvor noch gescholtene Justiz verweist. Die Juristen und Richter sollen gefälligst das Strafmaß ermitteln, im Idealfalle so, dass wir es dann alle als gerecht empfinden.

Nur die sagen: "Wir können nicht in diesem Falle bestrafen." Und die Begründung dafür liefert der Verteidiger weit ausholend im Film. Mit wem stimmt nun etwas nicht? Mit dem Bürger, den eigentlich die Aufklärung dazu aufgerufen hat, nachzudenken, seinen Verstand zu gebrauchen oder sich wenigstens zu informieren: Was ist ein Rechtsstaat? Wie kann ein Strafrecht im Rahmen eines Rechtsstaats ausfallen? Welche Grenzen machen einen Staat zum Rechtsstaat? Oder stimmt etwas mit dem Verteidiger oder dem Richter nicht?

Man kann sich freilich auch ein alternatives Rechtssystem vorstellen, das auf andere Mechanismen setzt. Auf eine konkurrierende Rechtsdurchsetzung und Rechtssprechung (davon waren weite Teile des Mittelalters geprägt, s. Berman, Law and Revolution). Aber ob damit nun jeder so zurechtkäme, wenn er etwa in die Lage käme selbst angeklagt, verfolgt, bestraft zu werden, weil die verfolgende Rechtsagentur meint, sich sicher zu sein und zur Probe mal die Daumenschrauben anlegt. Also ich persönlich bin durchaus geneigt darüber nachzudenken und erkenne da auch den einen oder anderen Vorteil in so einem Rechtssystem, aber ebenso auch im bestehenden System.

Kurz: nichts ist kostenlos zu haben (tanstaafl). Welche Kosten eines Fehlurteils wiegen schwerer? Einen Unschuldigen zu bestrafen oder einen Schuldigen laufenzulassen? Ich glaube, da gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Präferenzen.
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Fliege
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Fliege »

Aldus hat geschrieben:(07 Jan 2021, 19:33)

Wie die anderen Gruppen in dem Beispiel auch - manche Dinge weiß man.

Wenn dieses Grundempfinden durch ein Studium vernebelt wurde und man plötzlich meint, manches erst "herausfinden" zu müssen - ist irgendwas gründlich schief gelaufen.
Sprichst du von etwas, das zuweilen "gesundes Volksempfinden" genannt wird?
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Liegestuhl »

Fliege hat geschrieben:(07 Jan 2021, 18:45)

Wie könnten Juristen, deiner Meinung nach, herausfinden, was gerecht ist?
Gerechtigkeit ist ein Empfinden, dass uns Menschen innewohnt.

Gelegentlich sogar in Jura-Studenten.
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Fliege
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Fliege »

Liegestuhl hat geschrieben:(07 Jan 2021, 22:00)

Gerechtigkeit ist ein Empfinden, dass uns Menschen innewohnt.

Gelegentlich sogar in Jura-Studenten.
Ist in den Menschen ein unverdorbenes Naturempfinden angelegt, welches es zu aktivieren gilt, um zu erkennen, was Gerechtigkeit ist?
"Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen." – "Da der Mensch toll werden kann, so sehe ich nicht ein, warum es ein Weltsystem nicht auch werden kann" (Georg Christoph Lichtenberg).
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Liegestuhl »

BlueMonday hat geschrieben:(07 Jan 2021, 20:24)

Zusammengefasst: der Freispruch wird von manchen als "ungerecht" empfunden. Anders gesagt, man erwartet eine Bestrafung, um "Gerechtigkeit" herzustellen und Ungerechtigkeit zu vermeiden.
Nein, ich erwarte keine Bestrafung. Das Urteil ist formal-juristisch in Ordnung. Das macht es aber für mein subjektives Empfinden nicht "gerecht", denn ein Straftäter erhält einen Freispruch.
Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Liegestuhl hat geschrieben:(08 Jan 2021, 08:15)

Nein, ich erwarte keine Bestrafung. Das Urteil ist formal-juristisch in Ordnung. Das macht es aber für mein subjektives Empfinden nicht "gerecht", denn ein Straftäter erhält einen Freispruch.
Offensichtlich ist es eine ziemliche intellektuelle Überforderung, wahrzunehmen, dass es in diesen Fall keinen Straftäter gab. Es fehlte jeglicher Beweis für die Tat bzw. Tatbeteiligung.

Schon eigentümlich, einen Freispruch als ungerecht zu empfinden gegenüber jemandem, den man sich einfach aus dem Bauch heraus zum Straftäter hinbastelt und daran sein Gerechtigkeitsempfinden ausrichtet.

Davon abgesehen ganz allgemein an all die "Richter" mit dem besseren Gerechtigkeitsempfinden, die in der Abstimmung hier im Thread das Urteil als ungerecht ankreuzten:

Welches Strafmaß für diesen nicht überführten Straftäter hielten Sie denn für gerecht? - Fünf Monate? Fünf Jahre oder lenebnsläglich wg. Mord?
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Liegestuhl »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 09:08)

Offensichtlich ist es eine ziemliche intellektuelle Überforderung, wahrzunehmen, dass es in diesen Fall keinen Straftäter gab. Es fehlte jeglicher Beweis für die Tat bzw. Tatbeteiligung.
Der Täter hatte Täterwissen und die Handlung des Films gibt keinen Hinweis auf einen Mittäter.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 09:08)


Davon abgesehen ganz allgemein an all die "Richter" mit dem besseren Gerechtigkeitsempfinden, die in der Abstimmung hier im Thread das Urteil als ungerecht ankreuzten:

Welches Strafmaß für diesen nicht überführten Straftäter hielten Sie denn für gerecht? - Fünf Monate? Fünf Jahre oder lenebnsläglich wg. Mord?
Die Frage kann ich, als jemand der "ungerecht" gewählt hat, nicht beantworten, weil sie sich so nicht stellt (für mich jedenfalls). Ich hatte oben versucht zu erklären, dass "ungerecht" eigentlich ein Begriff aus der Moralphilosophie und nicht aus dem Recht ist. Im Recht geht es primär darum, Normen durchzusetzen und Verstöße mit den entsprechenden Konsequenzen zu belegen und nicht darum, ein Gerechtigkeitsempfinden zu befriedigen. Es ist übrigens eines von Schirachs Anliegen, genau das auch zu zeigen, dass zwischen Recht und Moral zu trennen ist. Den Artikel, den der User Fliege oben erwähnt hat, ist dazu ganz empfehlenswert, weil er für diese Art von Begriffsverwirrungen aus Recht und Moral ein wenig Licht in die Sache bringt.

Und was den Angeklagten und seine (Un)Schuld angeht: Ich weiß zu viel über ihn, um ihn für unschuldig halten zu können. Das Argument, er könne zufällig vom Aufenthaltsort der Entführten Kenntnis erhalten haben, das gibt's nicht einmal in einem misslungenen C-Krimi.

Der User Blue Monday hat ebenfalls schon darauf hingewiesen: Die reine Rechtsleere ist - zumindest auf solche Fragen- eben wirklich rein, also leer. Das Urteil ist rechtmäßig, zwingend. Das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen bleibt hiervon erst einmal unberührt.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Liegestuhl »

Stoner hat geschrieben:(08 Jan 2021, 09:28)

Die Frage kann ich, als jemand der "ungerecht" gewählt hat, nicht beantworten, weil sie sich so nicht stellt (für mich jedenfalls). Ich hatte oben versucht zu erklären, dass "ungerecht" eigentlich ein Begriff aus der Moralphilosophie und nicht aus dem Recht ist. Im Recht geht es primär darum, Normen durchzusetzen und Verstöße mit den entsprechenden Konsequenzen zu belegen und nicht darum, ein Gerechtigkeitsempfinden zu befriedigen.
So ist es. Wenn ein Angeklagter freigesprochen wird, weil die Staatsanwaltschaft Fristen verpasst hat, mag das formal richtig sein. Gerecht ist es jedoch nicht. Zumindest was mein subjektives Empfinden angeht.
Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Das Gerechtigkeitsempfinden/Bauchgefühl des Volkes und sein höheres Wissen der Beweiskraft...
Dazu fällt mir der Fall von Kachelmann ein...Irgendetwas wird schon dran sein. Man muss sich das nur aus dem Bauch heraus zu eigen machen. Den Rest besorgt dann schon die eigene, untadelige Moraloberhoheit. Schön.


Da Hofa war's, da Sündenbock.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Liegestuhl »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 09:40)

Das Gerechtigkeitsempfinden/Bauchgefühl des Volkes und sein höheres Wissen der Beweiskraft...
Wer hat denn eine Beweiskraft beansprucht?

Gerechtigkeit ist ein Empfinden. Sie eignet sich wohl kaum als Beweis für irgendetwas.

:rolleyes:
Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen.
Eulenwoelfchen

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Liegestuhl hat geschrieben:(08 Jan 2021, 09:46)

Wer hat denn eine Beweiskraft beansprucht?

Gerechtigkeit ist ein Empfinden. Sie eignet sich wohl kaum als Beweis für irgendetwas.

:rolleyes:
Doch. Nämlich genau dafür: Als Beweis für die "berechtigte" Forderung einer Verurteilung von jemandem, auch wenn keine Schuld/Tat nachzuweisen ist.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 09:40)

Das Gerechtigkeitsempfinden/Bauchgefühl des Volkes und sein höheres Wissen der Beweiskraft...
Dazu fällt mir der Fall von Kachelmann ein...Irgendetwas wird schon dran sein. Man muss sich das nur aus dem Bauch heraus zu eigen machen. Den Rest besorgt dann schon die eigene, untadelige Moraloberhoheit. Schön.


Da Hofa war's, da Sündenbock.
:rolleyes:

Nach Ihrer Theorie ist in demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Ländern, in denen die Todesstrafe Recht ist, ein Todesurteil gerecht. Und nur Ihr Bauchgefühl, Ihre moralische Oberhoheit behauptet das Gegenteil.
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Liegestuhl
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Liegestuhl »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 09:52)

Doch. Nämlich genau dafür: Als Beweis für die "berechtigte" Forderung einer Verurteilung von jemandem, auch wenn keine Schuld/Tat nachzuweisen ist.
Ich habe keine Verurteilung gefordert. Ich habe lediglich angemerkt, dass dieses Urteil aus meiner Sicht nicht gerecht ist:
Nein, ich erwarte keine Bestrafung. Das Urteil ist formal-juristisch in Ordnung. Das macht es aber für mein subjektives Empfinden nicht "gerecht", denn ein Straftäter erhält einen Freispruch.
Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Stoner hat geschrieben:(08 Jan 2021, 09:56)

:rolleyes:

Nach Ihrer Theorie ist in demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Ländern, in denen die Todesstrafe Recht ist, ein Todesurteil gerecht. Und nur Ihr Bauchgefühl, Ihre moralische Oberhoheit behauptet das Gegenteil.
Bei dieser wild verdrehten Interpretation und Unterstellung erübrigt sich eine weitere Diskussion.

Im übrigen können Sie gerne im entsprechenden Todesstrafenthread (Sub 3, Nordamerika, falls Ihnen das entfallen ist) meine Meinung und Haltung dazu nachlesen.
Ob ihnen das aus ihrem Interpretationstiefflug heraushilft, vermag ich nicht zu sagen. Aber man soll nie nie sagen.
Ich glaube immer wieder gerne an das Gute im Menschen.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 10:13)

Bei dieser wild verdrehten Interpretation und Unterstellung erübrigt sich eine weitere Diskussion.

Im übrigen können Sie gerne im entsprechenden Todesstrafenthread (Sub 3, Nordamerika, falls Ihnen das entfallen ist) meine Meinung und Haltung dazu nachlesen.
Ob ihnen das aus ihrem Interpretationstiefflug heraushilft, vermag ich nicht zu sagen. Aber man soll nie nie sagen.
Ich glaube immer wieder gerne an das Gute im Menschen.
Echt jetzt, Sie geben so schnell auf? ;)

Ich kenne Ihre Haltung zur Todesstrafe, genau deshalb bringe ich das Beispiel hier.

Wie ich überhaupt glaube, dass manche "gerecht" hier weniger aus rechtspositivistischen Gründen gewählt haben, sondern der Rechtspositivismus nur eine Rationalisierung ihres moralischen Urteils, also ihrer Empörung über die Tatsache des Folterns ist. Aber so sehr ins Detail kann man in einem solchen Forum hier nicht gehen, leider fällt das auch bei Schirach untern Tisch.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Ganz allgemein: Was mich stört, ist diese Verachtung des Gerechtigkeitsempfindens, seiner Diffamierung als Bauchgefühl des Pöbels.

Es gibt keinen, der jedes Urteil eines Gerichts, das zwingend ist, auch als gerecht empfindet. Dem einen widerstrebt es, wenn jemand die Todesstrafe verhängt bekommt, dem anderen, wenn irgendein besonders smarter Steuerhinterzieher davonkommt, dem nächsten, wenn jemand wegen Homosexualität verurteilt wird usw. usf. Nicht jedes Gerechtigkeitsempfinden steht vor den Toren eines Gefängnisses oder Gerichtsgebäudes und fordert Schwanz ab, Rübe ab, alles ab, ab ab.

Sonst sähe das Recht auch ganz anders aus.
Eulenwoelfchen

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Liegestuhl hat geschrieben:(08 Jan 2021, 10:02)

Ich habe keine Verurteilung gefordert. Ich habe lediglich angemerkt, dass dieses Urteil aus meiner Sicht nicht gerecht ist:
Dieses Urteil als ungerecht zu beurteilen, impliziert automatisch eine Forderung nach Verurteilung. Welchen Sinn sollte denn diese Bewertung sonst machen? Deren Botschaft eindeutig ist, das hier ein Fehlurteil vorliegt, und der einfachen Logik folgend, damit auch eine Korrektur bzw. ein anderes Urteil nötig sei:
Wie Sie schon anmerkten, "es sei nicht gerecht, dass ein Straftäter für seine Tat nicht verurteilt wurde".

Sozusagen das Dilemma, wenn der Kopf mit dem Bauch denkt, aber behauptet es sei der Kopf.

Die Gerechtigkeit ist die kleine Schwester der Willkür.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Und noch ein Frage tut sich auf: Wenn der Kommissar sich durchsetzen würde mit seiner Vorstellung von "Rettungsfolger" und diese würde legalisiert - Waterboarding zum Beispiel verursacht bekanntlich keine bleibenden Schäden -, müsste das Gericht, weil das Geständnis (die Nennung des Aufenthaltsortes) verwertbar, den Angeklagten zwingend verurteilen, wofür genau auch immer (die Tat oder Beihilfe).

Vielleicht mache ich mal einen Strang unabhängig eines solchen emotionalisierenden Themas auf zum Verhältnis Recht und Moral.
Eulenwoelfchen

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Stoner hat geschrieben:(08 Jan 2021, 09:56)

:rolleyes:

Nach Ihrer Theorie ist in demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Ländern, in denen die Todesstrafe Recht ist, ein Todesurteil gerecht. Und nur Ihr Bauchgefühl, Ihre moralische Oberhoheit behauptet das Gegenteil.
Genau da irren Sie. Meine Beurteilung verbindet lediglich mein Bauchgefühl mit meiner Ratio zu einem Gleichklang, der Gerechtigkeit als völlig untauglich für die Rechtssprechung eines modernen Rechtsstaates ansieht.

Die diesbezüglichen Erklärungen hinsichtlich der archaischen Zuckungen, zu denen auch das sog. Gerechtigkeitsempfinden und dessen Befriedigung - neben dem Verlangen nach Vergeltung/Rache - gehört, habe ich im Todestrafenthread bereits erläutert und werde das hier nicht nochmals tun.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 10:54)

Genau da irren Sie. Meine Beurteilung verbindet lediglich mein Bauchgefühl mit meiner Ratio zu einem Gleichklang, der Gerechtigkeit als völlig untauglich für die Rechtssprechung eines modernen Rechtsstaates ansieht.
Das habe ich schon verstanden. Wenn man aber Gerechtigkeit als völlig untauglich für die Rechtssprechung eines modernen Rechtsstaates ansieht., ist das Urteil weder gerecht noch ungerecht.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Stoner hat geschrieben:(08 Jan 2021, 10:50)
... Waterboarding zum Beispiel verursacht bekanntlich keine bleibenden Schäden ...
Ihr höheres Wissen erstaunt mich immer wieder. Darf ich daraus schließen, dass Sie lebenslange Traumata eines massiven Waterboardings und real erlebte, albtraumhafte Todesnähe eines so Gefolterten für nicht für möglich halten oder wenigsrens nicht für einen bleibenden "Schaden" ansehen?

Zu ihren in den Raum gestellten Szenario einer ggf. geänderten Rechtslage, die ihr angedientes Waterboarding als legal erlauben würde, fällt mir Hans-Karl Filbinger ein:
"Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein".

Analog wünsche ich Ihnen viel Erfolg mit ihrem neuen Thread:
"Was gestern Unrecht war, kann morgen schon Recht sein".

Allerdings ohne mich. Gell.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von McKnee »

Das Thema ist bei diesem Rumgehüpfe zwischen Fiktion und Realität nicht zu diskutieren. Es ist kaum mehr als eine Flucht in die jeweiligen Lager. Und tüss
Der Hauptgrund für Stress ist der tägliche Kontakt mit Idioten.

Es ist mir egal, ob es ein Albert-Einstein-Zitat ist ...

.....er wusste es :D
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Stoner hat geschrieben:(08 Jan 2021, 11:04)

Das habe ich schon verstanden. Wenn man aber Gerechtigkeit als völlig untauglich für die Rechtssprechung eines modernen Rechtsstaates ansieht., ist das Urteil weder gerecht noch ungerecht.
Sicher dat. Eine moderne Rechtssprechung kann sich nicht nach der Gerechtigkeitsfrage ausrichten oder an dieser in ihrem hauptsächlichen Daseinszweck orientieren. Sie allenfalls soweit möglich, mit berücksichtigen.

Gerechtigkeit ist ein "zweischneidiges Pferd". :D - Und zu unterschiedlich in seiner willkürlichen Empfindung des nicht zu verurteilenden menschlichen Gefühls. Aber eben auch so immens weit und unterschiedlich in der Bandbreite, wann und ob Gerechtigkeit hergestellt sei oder noch nicht.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 11:13)

Ihr höheres Wissen erstaunt mich immer wieder. Darf ich daraus schließen, dass Sie lebenslange Traumata eines massiven Waterboardings und real erlebte, albtraumhafte Todesnähe eines so Gefolterten für nicht für möglich halten oder wenigsrens nicht für einen bleibenden "Schaden" ansehen?
Pardon, war mein Fehler: Keine bleibenden körperlichen Schäden, daher ist es nicht nachweisbar - das war eine Einlassung des Anwalts im Film.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

McKnee hat geschrieben:(08 Jan 2021, 11:19)

Das Thema ist bei diesem Rumgehüpfe zwischen Fiktion und Realität nicht zu diskutieren. Es ist kaum mehr als eine Flucht in die jeweiligen Lager. Und tüss
Ich kann nur auf das antworten, was angeboten wird.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Liegestuhl »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 10:38)

Dieses Urteil als ungerecht zu beurteilen, impliziert automatisch eine Forderung nach Verurteilung.
Natürlich nicht. Das Urteil ist nach deutschem Recht gesprochen worden.
Die Frage wurde aber gestellt, ob man es als gerecht oder ungerecht empfindet.
Du solltest dich von dem irrtümlichen Gedanken trennen, dass Rechtssprechung grundsätzlich Gerechtigkeit schafft. Das kann es nicht.
Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Liegestuhl hat geschrieben:(08 Jan 2021, 11:50)
...
Du solltest dich von dem irrtümlichen Gedanken trennen, dass Rechtssprechung grundsätzlich Gerechtigkeit schafft. Das kann es nicht.
Sie sollten einfach genauer nachlesen, was ich schreibe, statt mir unzutreffende Unterstellungen ans Bein zu binden. ;)
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Liegestuhl »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 11:55)

Sie sollten einfach genauer nachlesen, was ich schreibe, statt mir unzutreffende Unterstellungen ans Bein zu binden. ;)
Ich lese genau, was du schreibst:
Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 10:38)

Dieses Urteil als ungerecht zu beurteilen, impliziert automatisch eine Forderung nach Verurteilung.
Ich beurteile das Urteil als ungerecht und fordere ausdrücklich keine Verurteilung.

Deine Aussage ist widerlegt.
Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 10:38)

Dieses Urteil als ungerecht zu beurteilen, impliziert automatisch eine Forderung nach Verurteilung.
Nein. Und das sollten gerade Sie angesichts Ihrer Position gegenüber dem Gerechtigkeitsbegriff eigentlich verstehen.
Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 10:38)
Welchen Sinn sollte denn diese Bewertung sonst machen?
Sie drückt ein moralisches Urteil aus, was denn sonst um Himmelswillen?

Nachtrag: Unter Umständen auch ein Interesse an einer Änderung der Rechtslage, eine Unzufriedenheit mit geltendem Recht.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Ob jemand hier für "gerecht" oder für "ungerecht" abgestimmt hat: Beide haben die gleiche Art von Werturteil abgegeben.
Eulenwoelfchen

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Stoner hat geschrieben:(08 Jan 2021, 11:49)

Ich kann nur auf das antworten, was angeboten wird.

Ist halt etwas blöd gelaufen. :D

Ein Threadstanderl "chez Ferdinand" aufzumachen.,
und dann eine Speisekarte hinzuhängen mit solchen Sachen wie

Bulletten
Freakadellen
Folterschaschlik
Gerechtigkeitsgulasch
Moralpizza
Formaljuristische Rouladen
Maultaschen in Sternchenform
Schiracher Allerlei

...und dazu eine Philosophenmaß von Wolke 9

Das kann schon dazu führen, dass das einen ermittelnden Gourmand enttäuscht. :D
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 12:40)

Ist halt etwas blöd gelaufen. :D

Ein Threadstanderl "chez Ferdinand" aufzumachen.,
und dann eine Speisekarte hinzuhängen mit solchen Sachen wie

Bulletten
Freakadellen
Folterschaschlik
Gerechtigkeitsgulasch
Moralpizza
Formaljuristische Rouladen
Maultaschen in Sternchenform
Schiracher Allerlei

...und dazu eine Philosophenmaß von Wolke 9

Das kann schon dazu führen, dass das einen ermittelnden Gourmand enttäuscht. :D
Na, wenigstens stand noch der Eulenketchup in der preisgünstigen Großflasche zur Geschmacks- und Stimmungsaufhellung griffbereit auf dem Tisch. Dazu noch durchs Wölfchengehirnsieb passiertes sublimiertes Bauchgefühl auf ad personam-Kohl. Alles gut also. ;)
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Billie Holiday »

Dass das Leid und erlittene Traumata von echten Opfern weiter keine Bedeutung haben dürfen in einer Gerichtsverhandlung, während die Sorge groß ist, dass Tätern kein Haar gekrümmt wird, wird der eine oder andere schon ungerecht finden.
„Wer mich beleidigt, bestimme ich.“ (Klaus Kinski)

„Just because you’re offended, doesn’t mean you’re right.“ (Ricky Gervais)
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Billie Holiday hat geschrieben:(08 Jan 2021, 12:50)

Dass das Leid und erlittene Traumata von echten Opfern weiter keine Bedeutung haben dürfen in einer Gerichtsverhandlung, während die Sorge groß ist, dass Tätern kein Haar gekrümmt wird, wird der eine oder andere schon ungerecht finden.
Er wäre dann Täter, wenn ihm das nachgewiesen werden könnte, so bleibt er mutmaßlicher Täter, der freigesprochen wurde. Wie Juristen die Frage beantworten, ob er dann einen Anspruch hat, als unschuldig zu gelten, weiß ich nicht. Er kann jedenfalls nicht dagegen vorgehen, wenn ihn jemand trotzdem für den Täter hält. Vermutlich aber wohl gegen eine Tatsachenbehauptung, er sei der Täter. Der Fall um die getöteten Kinder Weimar war hier so langer Streitfall mit unterschiedlichen Urteilen und Beschuldigten.
Eulenwoelfchen

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Stoner hat geschrieben:(08 Jan 2021, 12:47)

Na, wenigstens stand noch der Eulenketchup in der preisgünstigen Großflasche zur Geschmacks- und Stimmungsaufhellung griffbereit auf dem Tisch. Dazu noch durchs Wölfchengehirnsieb passiertes sublimiertes Bauchgefühl auf ad personam-Kohl. Alles gut also. ;)
Jessas na, das hatte ich doch tatsächlich zu erwähnen vergessen. Danke, Judge Stoner. Sie sind ein vollumfänglich guter Mensch und Humorist. Und Schirachs lässiger, supreme court'scher Albtraum. :D
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Liegestuhl »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 13:28)

Jessas na, das hatte ich doch tatsächlich zu erwähnen vergessen. Danke, Judge Stoner. Sie sind ein vollumfänglich guter Mensch und Humorist. Und Schirachs lässiger, supreme court'scher Albtraum. :D
Aha....
Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 13:28)

Jessas na, das hatte ich doch tatsächlich zu erwähnen vergessen. Danke, Judge Stoner. :D
Keine Ursache. Frei nach Gordon Lightfoot (The House You Live In) I not only pity the stranger who stands at my door, I also pity those whose memory fails them, indem ich dann aushelfe. ;)
Eulenwoelfchen

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Stoner hat geschrieben:(08 Jan 2021, 14:20)

Keine Ursache. Frei nach Gordon Lightfoot (The House You Live In) I not only pity the stranger who stands at my door, I also pity those whose memory fails them, indem ich dann aushelfe. ;)
Bei so anrührenden Worten fällt mir ein, dass im ÖRR dringend ein wirklich kompetenter und seriöser Mann für das Wort zum Sonntag fehlt. Schade, dass Sie in diesem schlimmen Forum so ruchlos angekettet wurden! :D
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von BlueMonday »

Stoner hat geschrieben:(08 Jan 2021, 09:28)

Die Frage kann ich, als jemand der "ungerecht" gewählt hat, nicht beantworten, weil sie sich so nicht stellt (für mich jedenfalls). Ich hatte oben versucht zu erklären, dass "ungerecht" eigentlich ein Begriff aus der Moralphilosophie und nicht aus dem Recht ist. Im Recht geht es primär darum, Normen durchzusetzen und Verstöße mit den entsprechenden Konsequenzen zu belegen und nicht darum, ein Gerechtigkeitsempfinden zu befriedigen. Es ist übrigens eines von Schirachs Anliegen, genau das auch zu zeigen, dass zwischen Recht und Moral zu trennen ist. Den Artikel, den der User Fliege oben erwähnt hat, ist dazu ganz empfehlenswert, weil er für diese Art von Begriffsverwirrungen aus Recht und Moral ein wenig Licht in die Sache bringt.

Und was den Angeklagten und seine (Un)Schuld angeht: Ich weiß zu viel über ihn, um ihn für unschuldig halten zu können. Das Argument, er könne zufällig vom Aufenthaltsort der Entführten Kenntnis erhalten haben, das gibt's nicht einmal in einem misslungenen C-Krimi.

Der User Blue Monday hat ebenfalls schon darauf hingewiesen: Die reine Rechtsleere ist - zumindest auf solche Fragen- eben wirklich rein, also leer. Das Urteil ist rechtmäßig, zwingend. Das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen bleibt hiervon erst einmal unberührt.
Die Lösung liegt dann m.E. aber in der Synthese, also dass man Recht und Rechtsempfinden gerade nicht trennt, in dem Sinne, dass beides berührungslos voneinander unbeeinflusst auseinander steht. Wie gesagt, als Anstoß jedweden Rechts steht immer ein Affekt zu Beginn, ein totales Gefühl, die reine Qualität, die noch keinen Begriff, keine Satzform gefunden hat. Dass man Folter rigoros ablehnt, steht auch auf dem Grund einer starken Gefühlsregung, etwa in der Vorstellung selbst einmal in so eine Lage zu geraten. Damit arbeitet ja auch der Film, indem die Folter deutlich in Szene gesetzt wird.

So wie man sich in das Opfer hineinfühlt, mitfühlt. Die ganze Verhandlung findet ja überhaupt nur statt, weil man an der Tat, also was dem Opfer widerfahren ist, gefühlten Anstoß nimmt. D.h. die "Rechtslage", wie auch immer sie konkret beschaffen sei, nimmt nur ihren langen Zeichenweg, weil zu Beginn ein Empfinden steht und mit ihm das Bedürfnis, einen Schuldigen zu finden und zu bestrafen. Nur dass dieses Bedürfnis auf Gefühlskonkurrenz trifft, eben in Gestalt der Abneigung gegen Folter, "Rübe ab", Rache etc.
Die Rechtssetzung oder gebung ist ja ein politischer Vorgang, also etwas, das aus der Auseinandersetzung verschiedener affektgetriebener Standpunkte hervorgeht. Die Zeichketten, die Gedankengänge kommen auf unterschiedlichen Wegen daher. Mancher Weg ist kürzer, der der Jurisprudenz ist meist ein sehr langer und verschlungener und der auslösende Affekt gerät dabei etwas in Vergessenheit und außer Sicht.

Vor diesen mehr oder weniger langen Wegen gibt es ja keine "Schuld". Ist der Löwe schuldig, wenn er eine Gazelle reißt? Er ist für unser Rechtszeichen der "Schuld" unerreichbar. Recht ist nichts anderes als in Gedankenzeichen erstarrter, geronnener, abgekühlter Affekt.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Liegestuhl »

BlueMonday hat geschrieben:(08 Jan 2021, 15:12)

Die Lösung liegt dann m.E. aber in der Synthese, also dass man Recht und Rechtsempfinden gerade nicht trennt, in dem Sinne, dass beides berührungslos voneinander unbeeinflusst auseinander steht.
Das ist doch der Clou. Eine Frage an das Publikum "Haben die Richter in diesem Fall juristisch korrekt geurteilt?" bringt nur wenig, da dies überhaupt nicht in Frage steht.

Es geht doch vielmehr darum, dem Publikum aufzuzeigen wie deutsche Rechtsprechung in diesem bestimmten Extremfall ausgelegt wird, um anschließend zu entscheiden, ob das Urteil als gerecht empfunden wird.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Vongole »

Liegestuhl hat geschrieben:(07 Jan 2021, 22:00)

Gerechtigkeit ist ein Empfinden, dass uns Menschen innewohnt.

Gelegentlich sogar in Jura-Studenten.
Warum nur gelegentlich? Ich kann mich an Zeiten erinnern, wo z.B. die Radbruchsche Formel sehr heiß und leidenschaftlich diskutiert wurde, und könnte mir vorstellen, dass das heute ähnlich ist.

Thomas Fischer hat das Experiment der ARD sehr treffend zerrissen:
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/ ... b04fc149b7
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Aldus »

Liegestuhl hat geschrieben:(08 Jan 2021, 08:15)
Nein, ich erwarte keine Bestrafung. Das Urteil ist formal-juristisch in Ordnung. Das macht es aber für mein subjektives Empfinden nicht "gerecht", denn ein Straftäter erhält einen Freispruch.
Exakt. Aber da kommt eben der springende Punkt: Sollte ein juristisches System nicht gerecht sein? Sollten Gerechtigkeitsempfinden und Rechtsprechung nicht übereinstimmen? Ich persönlich denke, ja.
Eulenwoelfchen hat geschrieben:(08 Jan 2021, 09:08)
Offensichtlich ist es eine ziemliche intellektuelle Überforderung...
Offensichtlich ist es eine ziemliche intellektuelle Überforderung, solche Bermerkungen einfach mal zu unterlassen.
"Nur eine Maschine kann eine Maschine verstehen." - Alan Turing
"Wir müssen die gar nicht verstehen, die haben zu gehorchen." - Prof. Harald Lesch
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

BlueMonday hat geschrieben:(08 Jan 2021, 15:12)

Die Lösung liegt dann m.E. aber in der Synthese, also dass man Recht und Rechtsempfinden gerade nicht trennt, in dem Sinne, dass beides berührungslos voneinander unbeeinflusst auseinander steht. Wie gesagt, als Anstoß jedweden Rechts steht immer ein Affekt zu Beginn, ein totales Gefühl, die reine Qualität, die noch keinen Begriff, keine Satzform gefunden hat. Dass man Folter rigoros ablehnt, steht auch auf dem Grund einer starken Gefühlsregung, etwa in der Vorstellung selbst einmal in so eine Lage zu geraten. Damit arbeitet ja auch der Film, indem die Folter deutlich in Szene gesetzt wird.
Ja, das Recht entsteht nicht in einem leeren, von aller Moral unbeeinflussten Juristenkopf, kein Widerspruch. Der Norm geht natürlich immer etwas voraus, manche Normen verlangen ja sogar eine Auffüllung durch moralische Vorstellungen der Zeit (etwa die sog. "guten Sitten"). Aber wenn die Norm besteht, dann findet ein Verfahren auf der Basis dieser Norm statt, der Richter urteilt nach dieser Norm, dem berühmten "Buchstaben des Gesetzes". Er darf nicht anders urteilen in diesem Fall, das ist das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit (in der Praxis hatten wir das zuletzt bei den milden sog. Raserurteilen). Daher hadern wir eigentlich mit der zugrundeliegenden Norm, wenn wir das Urteil ungerecht empfinden, oder aber wir verteidigen die zugrundeliegende Norm, wenn wir es gerecht empfinden.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Aldus hat geschrieben:(08 Jan 2021, 15:43)

Exakt. Aber da kommt eben der springende Punkt: Sollte ein juristisches System nicht gerecht sein? Sollten Gerechtigkeitsempfinden und Rechtsprechung nicht übereinstimmen? Ich persönlich denke, ja.
Die Frage werden die meisten vermutlich mit Ja beantworten bzw. die meisten haben die Erwartung, dass es ihrem eigenen Gerechtigkeitsempfinden entsprechen sollte.

Die Folgefrage lautet dann immer: Wessen Gerechtigkeitsempfinden zählt im Konfliktfall?

Berühmtes Beispiel: Die Sklaverei in den USA wurde gegen das Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit der Menschen abgeschafft.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Liegestuhl »

Stoner hat geschrieben:(08 Jan 2021, 15:53)
Berühmtes Beispiel: Die Sklaverei in den USA wurde gegen das Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit der Menschen abgeschafft.
Das stelle ich in Frage. Sklaverei war schon immer ungerecht. Man hätte einfach nur die Sklaven fragen müssen. Die Menschen wussten auch, wie Sklaverei moralisch einzuordnen war. Sie haben es lediglich erfolgreich verdrängt.
Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Liegestuhl hat geschrieben:(08 Jan 2021, 16:27)

Das stelle ich in Frage. Sklaverei war schon immer ungerecht. Man hätte einfach nur die Sklaven fragen müssen. Die Menschen wussten auch, wie Sklaverei moralisch einzuordnen war. Sie haben es lediglich erfolgreich verdrängt.
Es geht nicht darum, wen man hätte fragen müssen, sondern allein um die Frage, ob das Recht hier der vorherrschenden Moral entsprach oder nicht. Und die Antwort lautet: Nein, es wurde hier ein Recht gegen die vorherrschende Moral geschaffen.

Es gibt auch umgekehrte Beispiele, wo die vorherrschende Moral der Mehrheit schon "weiter" ist. Klassisches Beispiel: Sterbehilfe. Wäre ein Arzt vor dem letzten Urteil des BVerfG wegen § 217 StGB verurteilt worden, hätte eine Mehrheit das Urteil als ungerecht empfunden, weil sie die Tat des Mannes gebilligt hätte.

So, dann noch ein Auszug aus dem von Fliege erwähnten Aufsatz von Erich Hilgendorf Recht und Moral. Hilgendorf schreibt zu Beginn:
Ausgangspunkt ... ist die Tatsache, dass im modernen Verfassungsstaat Recht und Moral nicht identisch sind. Die Durchsetzung der angeblich immer wieder angezweifelten Unterscheidung zwischen den beiden Normtypen gehört zu den großen rechtsstaatlichen Errungenschaften der letzten beiden Jahrhunderte.
Hervorhebung von mir.

Er zitiert dann wiederum die (auch auf Wiki unterm Stichwort "Rechtspositivismus" abrufbare Stllungnahme von John Austin:
Das Vorhandensein einer Rechtsnorm ist eine Sache; ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit eine andere. Ob sie besteht oder nicht, ist eine Frage; ob sie einer zugrundegelegten Idealvorstellung entspricht, eine andere. Ein bestehendes Gesetz ist auch dann Gesetz, wenn es uns nicht zusagt oder wenn es von dem Kriterium abweicht, nach dem wir unsere Billigung oder Mißbilligung orientieren.
Das vielleicht mal nur so als Hinweis, wie das in Deutschland in etwa gilt, wobei natürlich heftig gestritten wird, u.a. über die von Vongole oben erwähnte Radbruchsche Formel.
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