Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

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Ist der Freispruch gerecht?

Umfrage endete am Mi 3. Feb 2021, 00:12

Ja
6
43%
Nein
8
57%
 
Insgesamt abgegebene Stimmen: 14
Stoner

Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Nach der Beihilfe zum Suizid lief nun heute Schirachs Geschichte um die Folter - angelehnt an den berühmt-berüchtigten Fall der Entführung und Ermordung des 11-jährigen Jakob von Metzler.

Geschildert wird die Entführung eines Mädchens (das auf nicht geplante Weise stirbt, nachdem der unbekannte Täter es verlassen hat) und die Verhaftung eines Verdächtigen, der schließlich unter Folter (Waterboarding) den Ort verrät, wo das Mädchen versteckt wurde. Da das Geständnis jedoch durch Folter erpresst wurde, sind alle weiteren Geständnisse nicht verwertbar, das Gericht spricht den Mann frei, weil es außer seinem Geständnis und der Kenntnis des Aufenthaltsortes des entführten, keine weiteren schwer belastenden Indizien gibt. Allerdings ist die Kenntnis .

Zwischen den beiden Versionen lief noch eine Doku, in der auch das Abstimmungsergebnis des ausgewählten Publikums von 100 Personen, nämlich Eltern, Polizisten und Juristen lief.

Das Abstimmungsergebnis war dabei eigentlich etwas überraschend, wobei man sich wahrscheinlich bei diesen lediglich zwei Möglichkeiten auch schwertut.

Im Einzelnen sah es so aus:

Die Frage "Ist der Freispruch gerecht?" wurde so beantwortet:

Gesamtergebnis: 54% nicht gerecht, 46% gerecht
Polizisten: 59% nicht gerecht, 41% gerecht
Eltern: 84% nicht gerecht, 16% gerecht
Juristen: 23% nicht gerecht, 77% gerecht.

Außer bei den Polizisten haben mich eigentlich sämtliche Ergebnisse ein bisschen mehr oder weniger überrascht.

Ich will das erst einmal zur Abstimmung stellen und dann bei Interesse noch ein wenig die Einzelheiten aus dem Film aber auch allgemein diskutieren. Der Film selbst hat m.E. ein paar juristische Wackler in der Befragung durch den Anwalt. Der Kommissar hätte sich m.E. im Zeugenstand nicht selbst belasten müssen. Aber das nur am Rande.
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oga
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von oga »

Stoner hat geschrieben:(04 Jan 2021, 00:12)
Der Film selbst hat m.E. ein paar juristische Wackler in der Befragung durch den Anwalt.
Nicht nur juristische, aber auch.
I guess I should warn you, if I turn out to be particularly clear, you've probably misunderstood what I've said.
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Liegestuhl
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Liegestuhl »

Im Gegensatz zu "Gott" fand ich die Produktion gestern eher schwach. Im Film aus Sicht des Polizisten ist Klaus-Maria Brandauer unerträglich arrogant rübergekommen. Wir waren kurz davor umzuschalten. Das hat sich beim Film aus Sicht des Anwaltes geändert.

Ich habe als unrealistisch empfunden, dass jemand nur aufgrund einer Intuition/Ahnung und ohne handfeste Beweise anfängt, einen Beschuldigten zu foltern. Zudem hat es mich etwas geärgert, dass für den Fernsehzuschauer bis zum Schluss kein Zweifel an der Schuld des Angeklagten bestand. Man hätte zumindest die Möglichkeit offen lassen/andeuten können, dass er nur Mitwisser war.
Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen.
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McKnee
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von McKnee »

Die Frage ist, was soll diskutiert werden?

Der Fall Gäfken/von Metzler oder die Fiktion von Schirach?

Das Problem sind die wesentlichen Unterschiede der Einzelfälle.

Ich hab den Film bewußt nicht geschaut, bin daher über manche Details nicht informiert.

Die Abstimmungsergebnisse wundern mich nicht. Recht muss nachvollziehbar sein, ist aber nicht mathematisch zu errechnen. Viel hat mit der Beueteilung zu tun und da ist in letzter Instanz der Richter das Maß der Dinge. Viele Faktoren bilden ein Urteil und diese Faktoren werden unterschiedlich bewertet.

Hinzu kommen Erfahrung und Intentionen. Darum muss man sich gerade bei den Polizisten und Juristen die Frage nach Erfahrung und Tätigkeit stellen sowie eine persönliche Motivation. Letztere kann man gut am Beispielder Juristen darstellen....sind es Rechtsanwälte sind sie grundlegend anders motiviert, als Staatsanwälte.

Bei Polizisten ist vor allem die Erfahrung der kriminalpolizeilichen Arbeit ein wesentlicher Einflußfaktor auf die Beurteilung.

Schon die Darstellung der Folter und deren unterschiedliche Zielrichtung sind Faktoren, die sehr präzise wahrgenommen differenziert werden müssen. Geschieht das in der Frage nicht, werden die Ergebnisse zu stark suggestiv beeinflusst.

Was für ein Thema. :cool:

Ich weiß nicht, ob ihr das diskutieren wollt, aber die Fragen wären und sind ....

Wurde die Folter umgesetzt oder angedroht?
War das Ziel die Tatklärung oder die Rettung des Kindes?
War das Geständnis das einzige Beweismittel? Welche Beweisverwertungsverbote gab es?
Gab es tateinheitliche Tatbestandsverwirklichungen?
Der Hauptgrund für Stress ist der tägliche Kontakt mit Idioten.

Es ist mir egal, ob es ein Albert-Einstein-Zitat ist ...

.....er wusste es :D
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Liegestuhl hat geschrieben:(04 Jan 2021, 08:27)

Im Gegensatz zu "Gott" fand ich die Produktion gestern eher schwach. Im Film aus Sicht des Polizisten ist Klaus-Maria Brandauer unerträglich arrogant rübergekommen. Wir waren kurz davor umzuschalten. Das hat sich beim Film aus Sicht des Anwaltes geändert.

Ich habe als unrealistisch empfunden, dass jemand nur aufgrund einer Intuition/Ahnung und ohne handfeste Beweise anfängt, einen Beschuldigten zu foltern. Zudem hat es mich etwas geärgert, dass für den Fernsehzuschauer bis zum Schluss kein Zweifel an der Schuld des Angeklagten bestand. Man hätte zumindest die Möglichkeit offen lassen/andeuten können, dass er nur Mitwisser war.
Ja, ich stimme zu: Der Film hat nicht die Qualität von "Gott". Ich weiß nicht, ob letzteres, also die Gewissheit, dass der Verdächtige schuldig ist, eigentlich so beabsichtigt war. Und auch mir war zu viel Brandauerfestspiel, und ich vermute, dass die Zeugenbefragung insgesamt so von keinem Richter durchgelassen worden wäre.

Hilft nichts, die Frage, ob das Urteil so gerecht ist oder nicht, kann natürlich trotzdem gestellt werden. Ich bin dabei in der etwas albernen Zwischendoku heftig zusammengezuckt, als irgendwer da meinte, ein Polizist müsse auf die Stimme des Herzens hören.

Trotzdem kam insgesamt schon rüber, nicht zuletzt im Ergebnis, dass auch für nicht ressentimentgeladene Menschen mancher Abgrund zwischen Gerechtigkeit und Recht nicht überbrückbar ist.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

McKnee hat geschrieben:(04 Jan 2021, 09:32)

Die Frage ist, was soll diskutiert werden?
Auf keinen Fall der Fall Gäfken, sondern u.a.

1. Die Frage, ob ein solches Urteil gerecht ist. Warum oder warum nicht?
2. Alles was sonst dazu gehört. Der Kommissar sprach von Rettungsfolter und hat versucht, das zu begründen.


Der Fall Gäfken/von Metzler oder die Fiktion von Schirach?

Das Problem sind die wesentlichen Unterschiede der Einzelfälle.
McKnee hat geschrieben:(04 Jan 2021, 09:32)
Ich hab den Film bewußt nicht geschaut, bin daher über manche Details nicht informiert.
Eigentlich beschränkt es sich auf das, was ich eingangs in einem Satz zusammengefasst habe. Aus meiner Sicht sind die Figuren nicht sehr gut herausgearbeitet, deshalb lohnen sie eher nicht so sehr.
McKnee hat geschrieben:(04 Jan 2021, 09:32)
Wurde die Folter umgesetzt oder angedroht?
War das Ziel die Tatklärung oder die Rettung des Kindes?
War das Geständnis das einzige Beweismittel? Welche Beweisverwertungsverbote gab es?
Gab es tateinheitliche Tatbestandsverwirklichungen?
1. Ohne Androhung umgesetzt. Der Kommissar hatte beim Polizeipräsidenten einen Antrag auf Anwendung von Gewalt unter ärztlicher Aufsicht gestellt, der natürlich abglehnt worden war.

2. Die Rettung des Kindes.

3. Ja. Und: keine, denn soweit wird im Prozess nicht ins Detail gegangen, es konzentriert sich im Wesentlichen auf die Folter.

4. Das konzentrierte sich im Wesentlichen auf ein paar wenige psychische Aspekte des Verdächtigen. Aber (für mich jedenfalls) bleibt die Tat trotz allem ziemlich unausgeleuchtet.
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McKnee
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von McKnee »

Folter ist ein eng belegter Begriff und suggeriert das Schlimmste, was einem Menschen wiederfahren kann.

Eng genommen, kann sie aber beim harten Griff am Oberarm beginnen, wenn sie nicht gerechtfertigter Zwang sondern ihr Ziel allein auf eine Aussage gerichtet ist.

Ich persönlich kann Folter, also die Erzwingung einer Aussage unter physischen und/oder psychischem Druck nicht rechtfertigen, würde aber nicht ausschliessen, dass ich sie ebenfalls anwenden würde, um Leben zu retten. Dabei würde ich den Freispruch des Täters in Kauf nehmen, wenn sie Ultima Ratio ist.

PS
Allerdings ergeben sich für mich selbst dann Grenzen der Folter.
Der Hauptgrund für Stress ist der tägliche Kontakt mit Idioten.

Es ist mir egal, ob es ein Albert-Einstein-Zitat ist ...

.....er wusste es :D
Eulenwoelfchen

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

McKnee hat geschrieben:(04 Jan 2021, 09:32)
...

1. Wurde die Folter umgesetzt oder angedroht?
2. War das Ziel die Tatklärung oder die Rettung des Kindes?
3. das Geständnis das einzige Beweismittel? Welche Beweisverwertungsverbote gab es?
4. Gab es tateinheitliche Tatbestandsverwirklichungen?
Grunsätzlich wurde Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und die einschlägigen Art. des GG sowie die näheren Ausführungen dazu im deutschen Strafgesetz zur Folter dem ganzen Fall voran. bzw. gegenübergestellt.

Der Fall selbst stellte sich im wesentlichen so dar, das eine geplante Entführung vorlag, um Lösegeld zu erpressen.
Das Opfer, ein 12-jähriges Mädchen wurde in einem winterlichen Szenario in einem ca, 20 qm großem, mit einem Kohleofen beheiztem Raum festgehalten. Die ermitelnden Beamten gingen - ohne dafür allerdings Anhaltspunkte zu haben - davon aus, dass das Mädchen im Freien fetsgehalten würde und die hohe Gefahr bestehe, dass das Kind errieren könnte und deshalb möglichst schnell gefunden werden müsse.
Der Täter selbst behandelte das Kind nicht grausam, sondern versorgte es vielmehr mit Lebensnotwendigemwie Keksenund Wasser usw. - Zeigte dem Mädchen sogar, wie sie Briketts nachzuheizen habe.

Der Tod des Mädchens war ausserdem ein tragischer Unglücksfall, das ausserhalb des stillgelegtem Fabtikgeländes, in dem dasMädchen gefangen gehalten wurde, eine herrenlose Plstikfolie über die Kaminrohröffnung legte, den Kamin verstopfte und das Kind dadurch an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung starb.
Zum Zeitpunkt des vom Täter durch Waterboardingfolter des leitenden Kommissars erpressten Geständnisses bzw. der Nennung des Aufenthaltsortes wusste der als Täter Verdächtigte jedoch nicht, dass das Mädchen bereits tot war. Er ging davon aus, dass durch die Nennung des Verstecks das Mädchen gerettet werden konnte.

Dies als kurzer Abriß der Handlung des Falles.

Zu Ihren Fragen, die ich mit Ziffern versehen habe, folgendes:

1. Die Folter wurde ohne vorherige Androhung in Form von wiederholtem Waterboarding umgesetzt.
Vm ermittelnden Kommissar allein, ohne Beisein weiterer Beamter oder eines Arztes.
De folternde Kommissar hatte vorab einen ausführlichen Antrag für die Erlaubnis zur Folter bei der zuständigen
Polizeipräsidentin gestellt. Dieser wurde klar und eindeutig von dieser abgelehnt, mit absoluter, dienstlicher Verbotsanweisung zu jeglicher Gewaltanwendung! - Sowohl psychischer als auch physischer Art.

2. Vorrangig eindeutig die Rettung des Kindes. Nachrangig die Bestätigung der Intuition des Kommissars, da er bezüglich des Täters keinen Beweis hatte, ausser das dieser im nahen Umfeld der Familie des Kindes als Angestellter einer Sicherheitsfirma
tätig war und sich keinerlei andere Personen als Täter anboten. Er war sich einfach trotz vollkommen fehlender Beweise sicher, dass dies der Täter sein musste.

3. Ausser dem durch eine zweistufig eskaliernde Waterboardingfolter erzwungenem Geständnis ergab die gerichtliche Beweisaufnahme keinerlei Beweise einer Täterschaft. Es konnte ebenso nicht belegt werde, wie der Verteidiger feststellte, ob der Angeklagte ggf. nur komplizenhafter Mitwisser des eigentlichen Täters war, ohne an der Tat selbst und ihrer Ausführung beteiligt gewesen zu sein. Und ggf. der Täter ihm als Vertrauten den Tatort nannte, so dass der Angeklagte dann deshalb den Tatort unter Folter nennen konnte.
Beweisverwertungsverbote gab es nur zu dem einzigen gerichtlich ermittellten Beweis des durch phyisches Folter erzwungenen Geständnisses, das sich allerdings nur auf die Nennung des Verstecks beschränkte. Dieses Geständnis allerdings keinerlei Beweiskraft einer Tatbeteiligung oder Täterschaft belegen konnte.

4. Was Sie mit diesem Punkt genau meinen, kann ich nur vermuten.
Zusammengefasst ergab weder die Hausdurchsuchung der Wohnung des Verdaächtigten, noch Handydaten, Bewegungsprofile bzw. Daten auf dessen Datenpad irgendeine Tatbeteiligung oder Verbindung des Verdächtigten, Ebenso gab es keinerlei andere verwertbare Spuren wie DNA- bzw. Faserspuren, Fußabdrücke im Schnee vor dem Haus des entführten Kindes.
Ebensowenig erbrachte die kriminaltechnische Untersuchung eines ausgebrannten Ford Transit, der als Täterfahrzeug für den Transport des Opfers vermutet wurde, irgendeinen Beleg, der den gefolterten Angeklagten in die Nähe oder in den Zusammenhang mit diesem Fahrzeug bringen hätte können. Es konnte, wie gesagt, nicht einmal zweifelsfrei ermittelt werden, ob dieses Fahrzeug für die Entführung tatsächlich benutzt wurde.

Erschwerend im Sinne fehlender Beweise für die Täterschaft kam noch das Verhalten des leitenden Kommissars im Zeugenstand hinzu, idem er mehrmals die Unwahrheit sagte und ihm die Verteidigung diese Falschaussagen auch nachweisen konnte.
Unter anderem mit dem Eintrag im Besucherhandbuch des U-Gefängnisses, das letztlich ergab, dass er bereits vor der eigentlichen Vernehmung im offiziellen Venrehmungsprotokoll wusste, wo das Mädchen versteckt wurde und entsprechend auch vom Kommissar das SEK bereits vom Kommissar informiert wurde, ehe das Verhöt begann, in dem der vermeintliche Täter dann plötzlich und aus heiteren Himmel den Aufenthaltsort des Mädchens nannte.

Zusammenfassend kann man sagen. so wie der Kommissar hier agierte, ist so ein Mann als ermittelnder Polizeibeamter völlig untragbar, egal, ob er, da er selbst ine 12.-jährige Tochter hatte, von einem geradezu irrwitzigem Rettungsgedanken getrieben wurde, nicht nur gerinfügige rechtsstaatliche Grenzen überschritt, sondern Ermittlungsverhalten an den Tag legte, das ich mit Verlaub als eher sehr unrealistisch für den Polizeialltag ansehe. Auch unter Berücksichtigung einer für Ermittlungsbeamte besonders emotional belastenden Situation, und entsprchendem Druck, sich auch selbst alles abzuverlangen, um Ergebnisse zur Tataufklärung und besonders natürlich zur möglichen Rettung eines Kinderlebens, wie in diesem Entführungsfall, zu bekommen.

So weit von der rechtlichen Welt und korrekter Ermittlungsmethoden entrückt sehe ich unsere Polizeibeamten nicht. DAS störte mich an dem Fall am allermeisten.
Dieser Kommissar hatte nach meiner Wahrnehmung die Kontrolle über seine Emotionen völlig verloren.
Dies möchte ich als ausdrückliche Schwachstelle des Herrn von Schirach kritisieren.
Einem leitenden Ermittler psychisch so ausser Rand und Band geraten darzustellen halte ich für unredlich, manipulativ verfälschend und seriöse Polizeiarbeit fast schon diffamierend darstellend.

Die Frage, die der Fall übergeornet bentworten sollte oder wollte, ob der zwangsläufige Freispruch "in dubio pro reo", der aufgrund gerichtserwiesener, vollumfänglich fhlender Beweise einer Täterschaft bzw, auch einer "nur" genauso möglichen Mitwisserschaft nicht erbracht werden konnte, GERECHT sei oder NICHT, war für mich unsinnig bzw. wenig sinngebend.

Aus rechtlicher Sicht ist und war dieser Fall klar. Sowohl nach Art. 3 der Europ. Menschenrechtskovention als auch nach unseren GG/und seien einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen im Strafrecht bezüglich des strigenten Folterverbots sowohl physischer als auch psychischer Art. gibt es keine Chance auf ein gerechtes Urteil. Nur eines nach Recht und Gesetz.

Emotionale Gerechtigkeit für Opfer und Angehörige kann die Rechtssprechung eines RECHTSSTAATES wie des unsrigen einfach nicht leisten. Würde sie das können wollen, müsste sich der Rechtsstaat und seine Rechtssprechung zugunsten eines individuellen Racherechts abschaffen.

Nachtrag:
Etwaige Schreib- oder Formulierungsbuckel bitte ich mir nachzusehen.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Billie Holiday »

Es gab zwei Straftaten, Entfûhrung mit Todesfolge und die Folter.
Warum konnten nicht beide Straftaten bestraft werden?
Folter ist nicht schön, sein Kind beerdigen zu müssen ist übrigens auch nicht schön. Ohne die Entfûhrung würde das Mädchen noch leben. Tut mir leid, dass ich auf das wahre Opfer zu sprechen komme.
Dass man jemanden, der für den Tod eines anderen verantwortlich ist, frei läßt, finde ich persönlich ungerecht, wenn ich das so sagen darf, ohne dass mir unterstellt wird, ich würde Folter oder Todestrafe befûrworten.

So, Feuer frei.
„Wer mich beleidigt, bestimme ich.“ (Klaus Kinski)

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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Billie Holiday hat geschrieben:(04 Jan 2021, 13:22)

Es gab zwei Straftaten, Entfûhrung mit Todesfolge und die Folter.
Warum konnten nicht beide Straftaten bestraft werden?
Folter ist nicht schön, sein Kind beerdigen zu müssen ist übrigens auch nicht schön. Ohne die Entfûhrung würde das Mädchen noch leben. Tut mir leid, dass ich auf das wahre Opfer zu sprechen komme.
Dass man jemanden, der für den Tod eines anderen verantwortlich ist, frei läßt, finde ich persönlich ungerecht, wenn ich das so sagen darf, ohne dass mir unterstellt wird, ich würde Folter oder Todestrafe befûrworten.

So, Feuer frei.
Das ist das Problem an dieem Fall, die getrübte (emotionale) Wahrnehmiung des Falls.
Es ist nämlich keineswegs erwiesen, dass der Angeklgte auch der Täter ist.

Bestrafen kann man nur jemanden, dem eine Täterschaft auch nachzuweisen ist. Ind das war hier nicht der Fall.
Das erzwungne Geständnis bewies nämlich nur die Kenntnis vom Aufenthaltsort. Die allerdings auch ohne Täterschaft gegeben sein kann. Wie der Fall eigentlich auch deutlich machte.

Vermutungen ohne Beweise reichen für eine rechtsstaatlich korrekte Verurteilung nicht aus, höchstens für eine emorionale..
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Billie Holiday hat geschrieben:(04 Jan 2021, 13:22)

Es gab zwei Straftaten, Entfûhrung mit Todesfolge und die Folter.
Warum konnten nicht beide Straftaten bestraft werden?
Folter ist nicht schön, sein Kind beerdigen zu müssen ist übrigens auch nicht schön. Ohne die Entfûhrung würde das Mädchen noch leben. Tut mir leid, dass ich auf das wahre Opfer zu sprechen komme.
Dass man jemanden, der für den Tod eines anderen verantwortlich ist, frei läßt, finde ich persönlich ungerecht, wenn ich das so sagen darf, ohne dass mir unterstellt wird, ich würde Folter oder Todestrafe befûrworten.

So, Feuer frei.
Es ist glaube ich Schirach selbst, der in der Doku sagt, dass Aufgabe der Gerichte sei, sich mit den Tätern und nicht mit den Opfern zu beschäftigen. Das sei der wesentliche Punkt innerhalb von Rechtsstaatlichkeit.
odiug

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von odiug »

Billie Holiday hat geschrieben:(04 Jan 2021, 13:22)

Es gab zwei Straftaten, Entfûhrung mit Todesfolge und die Folter.
Warum konnten nicht beide Straftaten bestraft werden?
Folter ist nicht schön, sein Kind beerdigen zu müssen ist übrigens auch nicht schön. Ohne die Entfûhrung würde das Mädchen noch leben. Tut mir leid, dass ich auf das wahre Opfer zu sprechen komme.
Dass man jemanden, der für den Tod eines anderen verantwortlich ist, frei läßt, finde ich persönlich ungerecht, wenn ich das so sagen darf, ohne dass mir unterstellt wird, ich würde Folter oder Todestrafe befûrworten.

So, Feuer frei.
Ja ... wasch mich, aber mach mich nicht nass.
Es ist eigentlich ganz einfach: das eine schließt das andere aus.
Entweder das Geständnis unter folter ist juristisch verwertbar, dann ist die Folter nicht strafbar, oder es ist es eben nicht, dann steht Folter unter strafe.
Da gibt es kein sowohl als auch.
Eulenwoelfchen

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Stoner hat geschrieben:(04 Jan 2021, 13:31)

Es ist glaube ich Schirach selbst, der in der Doku sagt, dass Aufgabe der Gerichte sei, sich mit den Tätern und nicht mit den Opfern zu beschäftigen. Das sei der wesentliche Punkt innerhalb von Rechtsstaatlichkeit.
Diese Feststellung von Schirachs stimmt zwar, aber sie ist auch gefärhlich in dieser Formulierung.

Besser wäre gewsen, zu sagen, die vordringlichste Aufgabe eines Strafgerichtsprozesses und des Gerichts ist die Feststellung einer Täterschaft und der möglichst zweifelsfreie Nachweis einer Tat. Was logischerweise eine vorrangige Beschäftigung mit einem Täter ergibt.
odiug

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von odiug »

Dann noch etwas: die Frage der Abstimmung ist falsch gestellt.
Die Frage ist nicht, ob das "gerecht" sei, sondern ob das gerechtfertigt ist.
Im ersten Fall ist die Antwort immer nein, im zweiten Fall muss sie aber ja lauten.
Oder anders gesagt: im ersten Fall geht es um ein Einzelschicksal, im zweiten um die Fundamente unsere Gesellschaft.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(04 Jan 2021, 13:31)

Das ist das Problem an dieem Fall, die getrübte (emotionale) Wahrnehmiung des Falls.
Eine allgemeine Bemerkung dazu: Der "Witz" liegt eigentlich darin, dass die "getrübte Wahrnehmung" unabdingbare Voraussetzung eines humanen Rechts ist. Ein Mensch, der solcher Betrachtung nicht fähig wäre, von dem wäre anzunehmen, dass er keinerlei Empathie fähig ist. Und ohne das Gerechtigkeitsempfinden würde Recht ein reiner Willkürakt auf der Basis irgendwelcher Nützlichkeitserwägungen oder Machtpositionen sein.

Es sind ja immer nur gewisse Grenzsituationen, in denen Gerechtigkeitsempfinden und Recht(staatlichkeit) stark auseinanderklaffen.
Stoner

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

odiug hat geschrieben:(04 Jan 2021, 13:50)

Dann noch etwas: die Frage der Abstimmung ist falsch gestellt.
Die Frage ist nicht, ob das "gerecht" sei, sondern ob das gerechtfertigt ist.
Im ersten Fall ist die Antwort immer nein, im zweiten Fall muss sie aber ja lauten.
Oder anders gesagt: im ersten Fall geht es um ein Einzelschicksal, im zweiten um die Fundamente unsere Gesellschaft.
Ob der Freispruch gerechtfertigt ist, wäre aber im Sinne der Frage nach dem Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit, um das es Schirach ging, sinnlos, weil gerechtfertigt sich lediglich auf die formale Verfahrensebene bezieht, die nun nichts mit der Frage der Gerechtigkeit zu tun hat.
Eulenwoelfchen

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

odiug hat geschrieben:(04 Jan 2021, 13:50)

Dann noch etwas: die Frage der Abstimmung ist falsch gestellt.
Die Frage ist nicht, ob das "gerecht" sei, sondern ob das gerechtfertigt ist.
Im ersten Fall ist die Antwort immer nein, im zweiten Fall muss sie aber ja lauten.
Oder anders gesagt: im ersten Fall geht es um ein Einzelschicksal, im zweiten um die Fundamente unsere Gesellschaft.
Über die Formulierug der Umfrage kann man streiten.
Allerdings ergibt Schirachs Fall beidemale ein "Ja".
Der Freispruch ist nicht nur gerecht, sondern auch gerechtfertigt. Sofern man gerechtfertigt hier im Sinne von "rechtsstaatlich bzw. strafrechtlich korrekt" versteht.

Nota: Eine Verurteilung ohne Beweise - alleine auf reiner Verdächtigung - kann nicht gerecht sein.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Billie Holiday »

Was wäre, würden weitere Ermittlungen, Spurenauswertungen und Zeugenaussagen plus Anschlagen von Suchhunden und DNA Untersuchungen seine Täterschaft zweifelsfrei beweisen?
Spricht die erlittene Folter von allem frei oder würde er vor Gericht gestellt werden?
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von odiug »

Stoner hat geschrieben:(04 Jan 2021, 13:57)

Ob der Freispruch gerechtfertigt ist, wäre aber im Sinne der Frage nach dem Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit, um das es Schirach ging, sinnlos, weil gerechtfertigt sich lediglich auf die formale Verfahrensebene bezieht, die nun nichts mit der Frage der Gerechtigkeit zu tun hat.
Du wägst aber einen Einzelfall gegen ein Rechtssystem ab, dessen Aufgabe es ist, größtmögliche Gerechtigkeit zu gewährleisten.
Und größtmöglich ist eben nicht absolut.
Ein Geständnis unter Folter anzuerkennen widerspricht dem Anspruch, das wir an unser Rechtssystem stellen.
Das kann gut gehen ... wird es aber häufig nicht.
Ein Folteropfer gesteht alles ... früher oder später aber halt wirklich alles, auch kompletten Unsinn.
Folter ist für sich genommen ungerecht, daher kann es kein Bestandteil eines nach Gerechtigkeit strebenden Rechtssystem sein.
Und das gilt absolut ... auch unter Umständen, wo das "gesunde Volksempfinden" sagt, das sei ungerecht.
odiug

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von odiug »

Billie Holiday hat geschrieben:(04 Jan 2021, 14:06)

Was wäre, würden weitere Ermittlungen, Spurenauswertungen und Zeugenaussagen plus Anschlagen von Suchhunden und DNA Untersuchungen seine Täterschaft zweifelsfrei beweisen?
Spricht die erlittene Folter von allem frei oder würde er vor Gericht gestellt werden?
Das Geständnis ist nicht gerichtlich verwertbar.
Alles andere jedoch schon.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

Stoner hat geschrieben:(04 Jan 2021, 13:54)

Eine allgemeine Bemerkung dazu: Der "Witz" liegt eigentlich darin, dass die "getrübte Wahrnehmung" unabdingbare Voraussetzung eines humanen Rechts ist. Ein Mensch, der solcher Betrachtung nicht fähig wäre, von dem wäre anzunehmen, dass er keinerlei Empathie fähig ist. Und ohne das Gerechtigkeitsempfinden würde Recht ein reiner Willkürakt auf der Basis irgendwelcher Nützlichkeitserwägungen oder Machtpositionen sein.

Es sind ja immer nur gewisse Grenzsituationen, in denen Gerechtigkeitsempfinden und Recht(staatlichkeit) stark auseinanderklaffen.

Die "getrübte Wahrnehmung" bezieht sich nur darauf, ob jemand eine Täterschaft überhaupt als nachgewiesen erkannte. Und man dies als Grundlage seiner persönlichen Beurteilung dann auch entsprechend berücksichtigt oder zumindest anerkennt, dass dies essentielle Grundlage jedes Urteils sein muss. Diese Notwendigkeit hat nichts mit der Frage fehlender Emphatiefähigkeit zu tun.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Billie Holiday »

odiug hat geschrieben:(04 Jan 2021, 14:12)

Das Geständnis ist nicht gerichtlich verwertbar.
Alles andere jedoch schon.
Damit kann man wunderbar leben.
Der mutmaßliche Täter kann also je nach Beweislage noch belangt werden.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von odiug »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(04 Jan 2021, 14:02)

Über die Formulierug der Umfrage kann man streiten.
Allerdings ergibt Schirachs Fall beidemale ein "Ja".
Der Freispruch ist nicht nur gerecht, sondern auch gerechtfertigt. Sofern man gerechtfertigt hier im Sinne von "rechtsstaatlich bzw. strafrechtlich korrekt" versteht.

Nota: Eine Verurteilung ohne Beweise - alleine auf reiner Verdächtigung - kann nicht gerecht sein.
Das mag sein ... ich hab mir das nicht angesehen, weil mir Schirachs Machwerke nicht behagen.
"gesunder Menschenverstand" versus juristische "Spitzfindigkeit" mag ja unterhaltend sein für einige ... für mich jedoch nicht.
Andersherum ist das viel spannender :thumbup:

Und es geht ja nicht alleinig um Verdächtigungen, sondern um einen Verdacht, der durch Folter sich als wahr ergibt.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Eulenwoelfchen »

odiug hat geschrieben:(04 Jan 2021, 14:22)

Das mag sein ... ich hab mir das nicht angesehen, weil mir Schirachs Machwerke nicht behagen.
"gesunder Menschenverstand" versus juristische "Spitzfindigkeit" mag ja unterhaltend sein für einige ... für mich jedoch nicht.
Andersherum ist das viel spannender :thumbup:

Und es geht ja nicht alleinig um Verdächtigungen, sondern um einen Verdacht, der durch Folter sich als wahr ergibt.
Welchen Verdacht, der sich durch Folter als wahr herausstellte, meinen Sie denn da genau?
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von BlueMonday »

Gut gemachter Film. Überfällig die Form der bewusst mehrperspektivischen Darstellung, auf der Einsicht fußend, dass kein Fall eindeutig ist.

Letztlich geht es um Prinzipientreue vs. Instinkt und Affekt geleitetes Handeln. Beides hat seinen Platz und seine Berechtigung.
Analog, wenn man mit einer Entführung den Staat zu erpressen versucht, dann hat sich das Prinzip eingebürgert, dass man mit Erpressern niemals verhandelt, dass sich der Staat nicht erpressbar macht. Dass also kein Preis zu hoch ist, um die Unerpressbarkeit des Staates preiszugeben. Aber wenn dann die Bundeskanzlerin entführt, bricht man vielleicht doch dieses Prinzip. Macht eine ... Ausnahme für den Ausnahmefall.

Um die Ausnahme ging es auch im vorliegenden Film, aus der Perspektive der Eltern, des Mädchens, der sich der Polizist später anschließt. Die Rettung, koste es, was es wolle. Es wird immer Beweggründe geben, die über dem Staat, dem positiven Recht, dem Prinzip (Folterverbot, "Menschenwürde" etc.) stehen. Ich meine, wie entsteht denn ein Prinzip? Es entsteht auch nur aus einer Vielzahl von Erfahrungen mit Handlungen. Das Prinzip geht nicht voraus, sondern hinkt nach. Die Erfahrung, dass viele Erpresser immer weitere Forderungen stellen, wenn man es ihnen zu einfach macht => Verhandele nicht mit Erpressern, mach es ihnen wenigstens nicht zu leicht, bleibe hart. Es gibt aber auch einen verständlichen Hang zur Adaption, zur Zurechtmachung des Prinzips.

Schauspielerisch fand ich die Performance weitaus lebendiger, weniger gekünstelt als bei "Gott". Mädel hat wohl seine beste Rolle bisher abgeliefert. Brandauer hat einen genialen Anwalt gespielt. Bis ins letzte Detail. Wie er am Ende im Auto sitzend dem gleichaltrigen grauen Herrn auf dem Rad hinterherschaut und sich erneut eine Zigarette ansteckt. Auch bei den Nebenrollen keine Ausfälle.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

odiug hat geschrieben:(04 Jan 2021, 14:10)

Du wägst aber einen Einzelfall gegen ein Rechtssystem ab, dessen Aufgabe es ist, größtmögliche Gerechtigkeit zu gewährleisten.
Und größtmöglich ist eben nicht absolut.
Das ist richtig. Umgekehrt allerdings kann der einzelne Mensch in seinem Gerechtigkeitsempfinden immer nur den Einzelfall "verarbeiten". Das Rechtssystem als solches ist sozusagen kein Objekt der Empathie.
odiug hat geschrieben:(04 Jan 2021, 14:10)
Ein Geständnis unter Folter anzuerkennen widerspricht dem Anspruch, das wir an unser Rechtssystem stellen.
Ja.
odiug hat geschrieben:(04 Jan 2021, 14:10)
Das kann gut gehen ... wird es aber häufig nicht.
Das ist aufgrund des vorangegangenen Satzes im Grunde dann irrelevant.
odiug hat geschrieben:(04 Jan 2021, 14:10)
Ein Folteropfer gesteht alles ... früher oder später aber halt wirklich alles, auch kompletten Unsinn.
Das war auch Teil der Einlassung des Anwalts, was zwar allgemein gesehen richtig ist, allerdings kein Argument im vorliegenden Einzelfall, weil der Verdächtige nicht irgendetwas gestanden hat unter Folter, sondern etwas, was nur ein Täter oder Tatbeteiligter wissen konnte. Daher hätte das Gericht in diesem Falle den Anwalt abwürgen müssen, weil dieser Aspekt völlig irrelevant war.
odiug hat geschrieben:(04 Jan 2021, 14:10)
Folter ist für sich genommen ungerecht, daher kann es kein Bestandteil eines nach Gerechtigkeit strebenden Rechtssystem sein.
Das ist wahrscheinlich der größte Streitpunkt. Dass sie unter vielen Gesichtspunkten gesetzwidrig, nicht rechtsstaatlich, rechtswidrig ist, sagt nicht notwendigerweise etwas über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit aus. Im harten Rechtspositivismus werden moralische Kategorien wie "ungerecht" eigentlich verworfen.
odiug hat geschrieben:(04 Jan 2021, 14:10)
Und das gilt absolut ... auch unter Umständen, wo das "gesunde Volksempfinden" sagt, das sei ungerecht.
Moralischen Urteilen wie gerecht/ungerecht absolute Geltung zuzusprechen bedarf dann auch einer Begründung. Und dazu müssten Sie, um nicht selbst nur ein "gegengesundes Volksempfinden" auszudrücken, eine objektive moralische Grundlage liefern.

Meine Bitte wäre, nicht mit solchen Pauschalbegriffen aus der Kiste zu arbeiten. Ich finde, Schirach macht einen ganz guten Job mit seinen Geschichten, die ja nicht für den akademischen Diskurs, sondern für den Normalmenschen gedacht sind.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Vongole »

Billie Holiday hat geschrieben:(04 Jan 2021, 14:18)

Damit kann man wunderbar leben.
Der mutmaßliche Täter kann also je nach Beweislage noch belangt werden.
Nein, in Deutschland gilt der rechtliche Grundsatz "ne bis in idem", Erklärung hier:
https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/ ... is-in-idem

Auch ein Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten des Angeklagten muss hohe rechtliche Hürden überwinden:
https://dejure.org/gesetze/StPO/362.html
In diesem Fall griffe daraus der Abs.4: "wenn von dem Freigesprochenen vor Gericht oder außergerichtlich ein glaubwürdiges Geständnis der Straftat abgelegt wird".

Zum Film: Im Gegensatz zu anderen Schirach-Produktionen schwach, zu holzschnittartig, mit juristischen Schwächen, aber für ein rechtlich unerfahrenes Publikum thematisch ausreichend.
Verstört hat mich das Votum der Zuschauer, besonders der aus den fachlichen Bereichen.
Mein Urteil: Selbstverständlich gerecht!
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Billie Holiday »

Also hat ein Verbrecher Narrenfreiheit, sobald er ein paar Ohrfeigen beim Verhör provozieren kann.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Vongole »

Billie Holiday hat geschrieben:(04 Jan 2021, 15:32)

Also hat ein Verbrecher Narrenfreiheit, sobald er ein paar Ohrfeigen beim Verhör provozieren kann.
Sollte einem Beamten mal die Hand ausrutschen, dürfte das höchstens beamtenrechtliche Folgen haben.
Schlägt er einen Verdächtigen, um dessen Aussage zu erpresssen, ist das nach § 343 StGB erstens eine Straftat, und zweitens das Geständnis juristisch nicht verwertbar.
Nennt sich Rechtstaat und ist in meinen Augen überhaupt nicht verhandelbar.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Vongole hat geschrieben:(04 Jan 2021, 15:16)

Mein Urteil: Selbstverständlich gerecht!
Ich würde sagen: Ungerecht.

Der Freispruch ist formalrechtlich gesehen logisch und notwendig, aber - nicht zuletzt angesichts des Wissens, das der Zuschauer hat - klaffen hier für mich Recht und Gerechtigkeit auseinander. Nicht alles, was rechtsstaatlich ist, ist deshalb auch gerecht. Es gibt einen Unterschied zwischen gerecht und gerechtfertigt. Wäre es anders, müssten Recht und Gerechtigkeit immer deckungsgleich sein.

Zu den Schwächen des Films gehört, dass m.E. dieser Prozess so nicht zustande gekommen wäre, und falls doch, dann hätten Staatsanwaltschaft und Gericht furchtbar geschlampt, die Akten nicht richtig gelesen. Und formalrechtlich hätte der Kommisar m.E. wiederum darauf hingewiesen werden müssen, dass er sich in seiner Zeugenaussage nicht selbst belasten muss. Daher könnte man auch argumentieren, dass seine Zeugenaussage so nicht verwertet werden darf.

(Gibt's Juristen hier, die dazu was sagen können?)
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von BlueMonday »

Stoner hat geschrieben:(04 Jan 2021, 14:56)
Das war auch Teil der Einlassung des Anwalts, was zwar allgemein gesehen richtig ist, allerdings kein Argument im vorliegenden Einzelfall, weil der Verdächtige nicht irgendetwas gestanden hat unter Folter, sondern etwas, was nur ein Täter oder Tatbeteiligter wissen konnte. Daher hätte das Gericht in diesem Falle den Anwalt abwürgen müssen, weil dieser Aspekt völlig irrelevant war.
Nun, das war der eigentliche und einzige Verhandlungshebel des Anwalts: Dass der einzige Beweis für die Verstrickung in die Tat durch Folter aus dem Angeklagten gepresst wurde und das Prinzip der "Rechtsstaatlichkeit" dieses Vorgehen verbietet und keine Ausnahme duldet, dass der Beweis damit null und nichtig und zu verwerfen ist. Und er liefert dann mit seiner Einlassung dazu die Geschichte, die zu diesem rechtsstaatlichen Prinzip führte, die Erfahrungen mit staatlicher Folter und Gewalt, wenn sie zum gängigen Mittel wird, dass sie in den meisten Fällen nur das hervorbringt, was der Folterknecht des Staates hören will. Das ist der eigentliche Grund, wieso man nicht mehr foltert und auch keine Ausnahmen zulässt, weil man Gefahr läuft Unschuldige zu foltern. Der sog. Rechtsstaat hat seinen einzigen Grund durch die bitteren Erfahrungen mit dem Staat. Der Rechtsstaat, der Verfassungsstaat ist eine Grenze für den Staat, ein Prinzip gegen den Staat.

Eine zusätzliche, nur beiläufige Einlassung des Anwalts am Ende dazu war, dass dieses Wissen des Angeklagten über den Aufenthaltsort des Opfers seinen Anteil an der Täterschaft nicht belegt. So ist ja der ganze Film konstruiert, dass niemand weiß, wer der eigentliche Haupttäter war. Der Zuschauer nicht, der Anwalt nicht, die Polizei nicht, das Gericht nicht. Dass der Anwalt es nicht aus seinem Mandaten herausholt, was tatsächlich passiert ist, ist für mich das Bemerkenswerte an dem Film. Zumindest wird es nicht gezeigt. Für den Anwalt besteht der eigentliche Fall nur daraus, was auf dem Revier mit seinem Mandaten passiert ist, was er dort ursprünglich ausgesagt hat, warum er plötzlich am frühen Morgen so umgekippt ist. Ob er der Täter war, will er im Grunde gar nicht wissen und und dieses Wissen würde ihn wohl eher bei seiner Arbeit behindern.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Vongole »

Stoner hat geschrieben:(04 Jan 2021, 15:47)

Ich würde sagen: Ungerecht.

Der Freispruch ist formalrechtlich gesehen logisch und notwendig, aber - nicht zuletzt angesichts des Wissens, das der Zuschauer hat - klaffen hier für mich Recht und Gerechtigkeit auseinander. Nicht alles, was rechtsstaatlich ist, ist deshalb auch gerecht. Es gibt einen Unterschied zwischen gerecht und gerechtfertigt. Wäre es anders, müssten Recht und Gerechtigkeit immer deckungsgleich sein.

Zu den Schwächen des Films gehört, dass m.E. dieser Prozess so nicht zustande gekommen wäre, und falls doch, dann hätten Staatsanwaltschaft und Gericht furchtbar geschlampt, die Akten nicht richtig gelesen. Und formalrechtlich hätte der Kommisar m.E. wiederum darauf hingewiesen werden müssen, dass er sich in seiner Zeugenaussage nicht selbst belasten muss. Daher könnte man auch argumentieren, dass seine Zeugenaussage so nicht verwertet werden darf.

(Gibt's Juristen hier, die dazu was sagen können?)
Es gab - leider - nur diese beiden Auswahlmöglichkeiten, und im juristischen Sinn war das Urteil gerecht, weil gerechtfertigt. Dass Urteile nicht dem Gerechtigkeitsempfinden der Zuschauer/Beteiligten/Opfer entsprechen,
ist natürlich, und ebenso natürlich kann und darf der Rechtsstaat darauf keine Rücksicht nehmen.

Sie zeigen die Schwächen des Films auf, die auch mich erheblich gestört haben. Das fing damit an, dass der Beschuldigte schon vor dem Verhör nicht auf seine Rechte hingewiesen wurde, ging weiter bei der Folterszene im Gewahrsam,
wo dem Zuschauer suggeriert wurde, dass sich ein Polizist im U-Gefängnis derart frei bewegen und agieren könne, ohne das es jemandem auffiel oder er gehindert wurde, und fand seinen schlechten Höhepunkt im Gerichtssaal,
in dem die Richterin als willfährige Erfüllungsgehilfin des Verteidigers agierte, ohne etwa, wie Sie erwähnen, den Kommissar darauf aufmerksam zu machen, dass er sich nicht selbst belasten müsse.
Zugelassen werden konnte der Fall, denn der Täter hatte gestanden, auch wenn er widerrufen hatte, und aus den Akten ging nicht hervor, wie das Geständnis zustande kam, zumal der Täter dazu (aus mir unerfindlichen Gründen) schwieg.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Fliege »

Stoner hat geschrieben:(04 Jan 2021, 00:12)

Die Frage "Ist der Freispruch gerecht?" wurde so beantwortet:

Gesamtergebnis: 54% nicht gerecht, 46% gerecht
Polizisten: 59% nicht gerecht, 41% gerecht
Eltern: 84% nicht gerecht, 16% gerecht
Juristen: 23% nicht gerecht, 77% gerecht.

Außer bei den Polizisten haben mich eigentlich sämtliche Ergebnisse ein bisschen mehr oder weniger überrascht.
Meine Vermutung geht dahin, dass Juristen unter 'gerecht' rechtsförmig (Anm.) verstehen, was auf Polizisten etwas abfärbt, jedoch der breiten Bevölkerung weitgehend fremd ist, die Gerechtigkeit als geltendem Recht übergeordnet betrachtet.

(Anm.:
Ein Beispiel für die Verwendung von 'rechtsförmig', wie sie mir vorschwebt: "Unmittelbar nach dem Friedensschluss am 22. November wurde die Belagerung aufgehoben, die Gefangenen ausgetauscht und der frühere Zustand rechtsförmig wiederhergestellt.")
"Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen." – "Da der Mensch toll werden kann, so sehe ich nicht ein, warum es ein Weltsystem nicht auch werden kann" (Georg Christoph Lichtenberg).
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

Vongole hat geschrieben:(04 Jan 2021, 16:04)

Es gab - leider - nur diese beiden Auswahlmöglichkeiten, und im juristischen Sinn war das Urteil gerecht, weil gerechtfertigt.
Dann setzen Sie gerecht und gerechtfertigt also gleich, obwohl damit durchaus zwei unterschiedliche Sachverhalte beschrieben werden.

Wenn Sie das tun, wird es Ihnen schwerfallen, ein defizitäres Recht zu ändern. Beispielsweise hätten Sie vehement protestieren müssen, als man die "gerechten" Urteile gegen Homosexuelle, die nach dem im deutschen Rechtsstaat der Fünfziger und Sechziger geltenden Recht in rechtsstaatlichen Verfahren gesprochen wurde, vor ein paar Jahren aufhob und zu Unrecht erklärte.

Unser Recht basiert auf bestimmten, auf legale Weise zustande gekommenen Normen, nicht auf dem Prinzip der Gerechtigkeit, die das subjektive Empfinden der Menschen widerspiegelt. Insofern halte ich es für legitim, ein gerechtfertigtes Urteil (auf der Basis der geltenden Normen zustandegekommen) als ungerecht zu bezeichnen.
Fliege hat geschrieben:(04 Jan 2021, 16:09)

Meine Vermutung geht dahin, dass Juristen unter 'gerecht' rechtsförmig (Anm.) verstehen, was auf Polizisten etwas abfärbt, jedoch der breiten Bevölkerung weitgehend fremd ist, die Gerechtigkeit als geltendem Recht übergeordnet betrachtet.
Ich sehe keine Notwendigkeit, den Begriff "gerecht" im Verständnis der breiten Bevölkerung, sofern etwas anderes als "rechtsförmig" verstanden wird, deshalb als übergeordnet zu betrachten. Ich glaube, viele verstehen durchaus, dass es unmöglich ist, durch Recht wasserdichte Gerechtigkeit herzustellen, also Recht und moralische Vortellungen deckungsgleich zu machen.

Ich weiß nicht, aber ich glaube, Juristen meiden den Begriff der Gerechtigkeit eher.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von BlueMonday »

Das Problem des reinen, bloßen Rechtspositivismus(Kelsen) ist halt, dass er seinen sich ändernden Inhalt gar nicht erklären kann, die Quelle nicht mehr wahrnimmt. Das Recht genügt sich selbst. Der Rechtsbruch ist sein einziges Problem.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Stoner »

BlueMonday hat geschrieben:(04 Jan 2021, 16:45)

Das Problem des reinen, bloßen Rechtspositivismus(Kelsen) ist halt, dass er seinen sich ändernden Inhalt gar nicht erklären kann, die Quelle nicht mehr wahrnimmt. Das Recht genügt sich selbst. Der Rechtsbruch ist sein einziges Problem.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Vongole »

Stoner hat geschrieben:(04 Jan 2021, 16:34)

Dann setzen Sie gerecht und gerechtfertigt also gleich, obwohl damit durchaus zwei unterschiedliche Sachverhalte beschrieben werden.

Wenn Sie das tun, wird es Ihnen schwerfallen, ein defizitäres Recht zu ändern. Beispielsweise hätten Sie vehement protestieren müssen, als man die "gerechten" Urteile gegen Homosexuelle, die nach dem im deutschen Rechtsstaat der Fünfziger und Sechziger geltenden Recht in rechtsstaatlichen Verfahren gesprochen wurde, vor ein paar Jahren aufhob und zu Unrecht erklärte.

Unser Recht basiert auf bestimmten, auf legale Weise zustande gekommenen Normen, nicht auf dem Prinzip der Gerechtigkeit, die das subjektive Empfinden der Menschen widerspiegelt. Insofern halte ich es für legitim, ein gerechtfertigtes Urteil (auf der Basis der geltenden Normen zustandegekommen) als ungerecht zu bezeichnen.

(..)
Können oder wollen Sie mich nicht verstehen? Sowohl im Film als auch hier im Thread gibt es nur zwei Möglichkeiten, gerecht oder ungerecht, und zwar aus juristischer Sicht.
Meiner festen Ansicht nach darf ein durch Folter erzwungenes Geständnis niemals gerichtsverwertbar sein, man schüfe ansonsten einen Präzedenzfall, der dem Unrechtsstaat Tür und Tor öffnet.
Daher bezeichne ich das Urteil als gerecht, denn Unrecht (Folter) kann und darf nicht Basis eines Urteils ein.

Dass sich Rechtsnormen ändern, wie im Fall des §175, hat damit überhaupt nichts zu tun. Selbst diese Änderung wird ja von vielen als ungerecht angesehen, weil nach deren subjektivem Verständnis Homosexualität etwas derart Widerliches darstellt,
dass sie einfach strafbar sein sollte.
Subjektives Rechtsverständnis hat im gesetzlichen Recht nichts verloren, weshalb, wie Sie richtig anmerken, Juristen den Begriff Gerechtigkeit möglichst vermeiden.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Skeptiker »

odiug hat geschrieben:(04 Jan 2021, 14:10)
Du wägst aber einen Einzelfall gegen ein Rechtssystem ab, dessen Aufgabe es ist, größtmögliche Gerechtigkeit zu gewährleisten.
Und größtmöglich ist eben nicht absolut.
Ein Geständnis unter Folter anzuerkennen widerspricht dem Anspruch, das wir an unser Rechtssystem stellen.
Das kann gut gehen ... wird es aber häufig nicht.
Ein Folteropfer gesteht alles ... früher oder später aber halt wirklich alles, auch kompletten Unsinn.
Folter ist für sich genommen ungerecht, daher kann es kein Bestandteil eines nach Gerechtigkeit strebenden Rechtssystem sein.
Und das gilt absolut ... auch unter Umständen, wo das "gesunde Volksempfinden" sagt, das sei ungerecht.
Dem muss ich ganz klar widersprechen.

Ich bin kein Fan von Folter, und eine Erpressung eines Geständnisses hat keinerlei Beweiskraft, weil der Verdächtige natürlich den größten Unsinn gestehen würde. Das ist vollkommen klar.

Das Kernproblem ist aber, dass die Prinzipien die du hier definierst, auf der anderen Seite auch wieder Opfer erzeugen. Das Kernproblem dabei ist, dass durch unzulässige Ermittlungsmethoden nicht nur zweifelhafte Ergebnisse erzielt werden, sondern auch solide Fakten. Fakten, die absolut überzeugende Beweiskraft hätten, wenn sie denn zugelassen würden. Weiterhin kann auch die Anwendung unzulässiger Ermittlungsmethoden durchaus sinnvoll und "gerecht" sein, wenn es um ein höheres Gut geht, welches zu schützen ist; Beispielsweise das Leben eines Menschen.

In meinen Augen ist ein Szenario nicht ungewöhnlich, in dem ein mutmaßlicher Täter gefasst ist, und starke Indizien, oder sogar Teilgeständnisse den Täter überführen, dieser aber lebensrettende Informationen verweigert. In einem solchen Fall Folter anzuwenden um ein Menschenleben zu retten, ist in meinen Augen ein Fall von Nothilfe. Nach geltender Rechtssprechung würden sich allerdings die Ermittler strafbar machen und der Täter durch die dabei ermittelten Fakten nicht belastet werden dürfen. Das halte ich für falsch.

In meinen Augen gibt es keine unzulässigen Fakten. Fakten sind Fakten. Ich halte es für einen Fehler in den Grundprinzipien unseres Rechtssystems, die Zulässigkeit von Fakten von irgendwelchen Rahmenbedingungen abhängig zu machen. Dabei bin ich mir der Motivation dahinter durchaus bewusst. Natürlich will man nicht Tür und Tor öffnen für unsaubere Ermittlungsarbeit. Allerdings halte ich unsaubere Ermittlungsarbeit in sich für strafbar. Durch Folter erpresste Geständnisse können auch logisch betrachtet keinerlei Beweiskraft haben. Wozu also das Kind mit dem Bade ausschütten und Fakten, die in meinen Augen IMMER dienlich sind die Wahrheit herauszufinden, ignorieren?

Ich würde die Anwendung von gewaltsamen Ermittlungsmethoden als Mittel zur Nothilfe per richterlichem Beschluss einholen lassen - so wie das auch für andere hohe Rechtsgüter gilt. Das böte die Möglichkeit einer sauberen Abgrenzung. Ich hielte es für gerecht, und auch gerechtfertigt, in solchen Fällen Folter anzuwenden. Alles andere liefe in meinen Augen auf Prinzipienreiterei hinaus.
Skeptiker

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Skeptiker »

BlueMonday hat geschrieben:(04 Jan 2021, 16:45)

Das Problem des reinen, bloßen Rechtspositivismus(Kelsen) ist halt, dass er seinen sich ändernden Inhalt gar nicht erklären kann, die Quelle nicht mehr wahrnimmt. Das Recht genügt sich selbst. Der Rechtsbruch ist sein einziges Problem.
Richtig.

Letztendlich muss die Rechtssprechung dem Rechtsempfinden der Bevölkerung folgen. Damit ist nicht gemeint, dass man die Leute lynchen soll, sondern damit ist gemeint, dass es kaum vermittelbar ist, dass unbestreitbare Fakten nicht genutzt werden dürfen und somit ein für jeden erkennbarer Täter ungestraft entkommen kann.

In meinen Augen gilt es da zu erkennen, was der Beweggrund für dieses Rechtsprinzip ist, und ob es vielleicht noch bessere Möglichkeiten gibt dieses Ziel zu erreichen.
odiug

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von odiug »

Vongole hat geschrieben:(04 Jan 2021, 15:16)

Nein, in Deutschland gilt der rechtliche Grundsatz "ne bis in idem", Erklärung hier:
https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/ ... is-in-idem

Auch ein Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten des Angeklagten muss hohe rechtliche Hürden überwinden:
https://dejure.org/gesetze/StPO/362.html
In diesem Fall griffe daraus der Abs.4: "wenn von dem Freigesprochenen vor Gericht oder außergerichtlich ein glaubwürdiges Geständnis der Straftat abgelegt wird".

Zum Film: Im Gegensatz zu anderen Schirach-Produktionen schwach, zu holzschnittartig, mit juristischen Schwächen, aber für ein rechtlich unerfahrenes Publikum thematisch ausreichend.
Verstört hat mich das Votum der Zuschauer, besonders der aus den fachlichen Bereichen.
Mein Urteil: Selbstverständlich gerecht!
Ich hab mir dieses Machwerk nicht angetan ... aber mein Statement ging nicht um eine Wiederaufnahme oder Revision eines bestehenden Freispruchs, sondern ob mit der Verwerfung des Geständnis auch alle anderen Beweise und Indizien verworfen werden müssen.
Wobei, eine begründete Revision ist ja immer möglich bis zur Ausschöpfung des Rechtswegs.
Es geht also um, was man im angelsächsischen Recht den poisoned tree nennt.
Danach werden alle Beweise, die aufgrund illegaler Methoden "ermittelt" wurden, vom Gericht verworfen, egal ob wahr oder nicht.
Aber nach deutschem Recht ist das glaube ich nicht so.
Ein Beispiel: nach dem Grundsatz des poisoned tree wäre der Ankauf von Bankdaten, die illegal erworben wurden ( sprich gestohlen ) durch deutsche Finanzbehörden nicht gerichtsverwertbar.
Zuletzt geändert von odiug am Mo 4. Jan 2021, 17:49, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Adam Smith »

Billie Holiday hat geschrieben:(04 Jan 2021, 14:06)

Was wäre, würden weitere Ermittlungen, Spurenauswertungen und Zeugenaussagen plus Anschlagen von Suchhunden und DNA Untersuchungen seine Täterschaft zweifelsfrei beweisen?
Spricht die erlittene Folter von allem frei oder würde er vor Gericht gestellt werden?
Das Geständnis ist natürlich wertlos. Die anderen Beweise natürlich nicht. Dazu gehört natürlich auch Täterwissen.
Das ist Kapitalismus:

Die ständige Wahl der Bürger bestimmt das Angebot.
Adam Smith
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Adam Smith »

Beim Fall Jakob von Metzler ging es um eine ganz andere Problematik. Ich nehme mal an, dass der Film nichts mit diesem Fall zu tun hat.
Das ist Kapitalismus:

Die ständige Wahl der Bürger bestimmt das Angebot.
Skeptiker

Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Skeptiker »

Vongole hat geschrieben:(04 Jan 2021, 15:16)

Nein, in Deutschland gilt der rechtliche Grundsatz "ne bis in idem", Erklärung hier:
https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/ ... is-in-idem

Auch ein Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten des Angeklagten muss hohe rechtliche Hürden überwinden:
https://dejure.org/gesetze/StPO/362.html
In diesem Fall griffe daraus der Abs.4: "wenn von dem Freigesprochenen vor Gericht oder außergerichtlich ein glaubwürdiges Geständnis der Straftat abgelegt wird".

Zum Film: Im Gegensatz zu anderen Schirach-Produktionen schwach, zu holzschnittartig, mit juristischen Schwächen, aber für ein rechtlich unerfahrenes Publikum thematisch ausreichend.
Verstört hat mich das Votum der Zuschauer, besonders der aus den fachlichen Bereichen.
Mein Urteil: Selbstverständlich gerecht!
Ich würde sagen "rechtskonform". Korrekt.

"Gerecht" bemisst sich an meinem Moralempfinden - leider kann das Moralempfinden Fakten so schlecht ausblenden, sie sind einfach da. Daher kann es nicht gerecht sein, wenn eine Person faktischer Täter, aber prozesstechnischer Unschuldiger ist. Bei einer derartigen Dissonanz sagt mir die Logik, das die Rechtsprinzipien problematisch sind.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Vongole »

Skeptiker hat geschrieben:(04 Jan 2021, 17:22)
(..)

Ich würde die Anwendung von gewaltsamen Ermittlungsmethoden als Mittel zur Nothilfe per richterlichem Beschluss einholen lassen - so wie das auch für andere hohe Rechtsgüter gilt. Das böte die Möglichkeit einer sauberen Abgrenzung. Ich hielte es für gerecht, und auch gerechtfertigt, in solchen Fällen Folter anzuwenden. Alles andere liefe in meinen Augen auf Prinzipienreiterei hinaus.
Ich wäre unter den Ersten, die gegen eine solche Änderung der StPO und damit einer Grundgesetzänderung mit allen zulässigen Mitteln Sturm laufen würde.
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Fliege »

Stoner hat geschrieben:(04 Jan 2021, 16:34)

Dann setzen Sie gerecht und gerechtfertigt also gleich, obwohl damit durchaus zwei unterschiedliche Sachverhalte beschrieben werden.
Wenn Sie das tun, wird es Ihnen schwerfallen, ein defizitäres Recht zu ändern.
Das Problem mit dem Begriff 'Gerechtigkeit' entspringt rechtsphilosophischer Kritik an naturrechtlichen Gerechtigkeitskonzepten. Zudem wird Recht nicht von Juristen gesetzt und/oder geändert, sondern von Gesetzgebern.
Stoner hat geschrieben:(04 Jan 2021, 16:34)

Unser Recht basiert auf bestimmten, auf legale Weise zustande gekommenen Normen, nicht auf dem Prinzip der Gerechtigkeit, die das subjektive Empfinden der Menschen widerspiegelt. Insofern halte ich es für legitim, ein gerechtfertigtes Urteil (auf der Basis der geltenden Normen zustandegekommen) als ungerecht zu bezeichnen.
Das Prinzip der Gerechtigkeit wird in der breiten Bevölkerung, so meine Erfahrung, nicht bloß als subjektives Empfinden aufgefasst, sondern als objektiv gültiges Prinzip, welches nur dann im subjektiven Empfinden zum Ausdruck kommt, wenn dieses Empfinden moralisch ist. Insofern teile ich deine Auffassung, wonach Recht auf bestimmten, auf legale Weise zustande gekommenen Normen beruht, jedoch nicht deine Erläuterung von Gerechtigkeit als subjektives Empfinden.
Stoner hat geschrieben:(04 Jan 2021, 16:34)

Ich weiß nicht, aber ich glaube, Juristen meiden den Begriff der Gerechtigkeit eher.
Sie meiden den Begriff 'Gerechtigkeit', sofern Gerechtigkeit mehr sein soll als Rechtsförmigkeit, weil sie andernfalls ins Lager der Naturrechtler wechseln würden, was sie, so mein Eindruck, aufgrund (expliziter oder impliziter) rechtsphilosophischer Erwägungen, die sie zum Rechtspositivismus neigen lassen, nicht tun möchten.
"Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen." – "Da der Mensch toll werden kann, so sehe ich nicht ein, warum es ein Weltsystem nicht auch werden kann" (Georg Christoph Lichtenberg).
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Skeptiker »

Vongole hat geschrieben:(04 Jan 2021, 17:34)
Ich wäre unter den Ersten, die gegen eine solche Änderung der StPO und damit einer Grundgesetzänderung mit allen zulässigen Mitteln Sturm laufen würde.
Okay, dann hast du dein Plakat aufgestellt. Möchtest du es auch begründen?
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Vongole »

Skeptiker hat geschrieben:(04 Jan 2021, 17:37)

Okay, dann hast du dein Plakat aufgestellt. Möchtest du es auch begründen?
Habe ich bereits in meiner Antwort an Stoner: Die Erlaubnis zur sog. "Rettungsfolter" oder Folter überhaupt zur Erzwingung von Geständnissen öffnet dem Unrechtsstaat Tür und Tor.
Warum nach Beweisen suchen, wenn ich auch ein wahrheitswidriges Geständnis erzwingen kann, weil ich den Täter aus subjektiven Gründen für schuldig halten will?
Oder die Öffentlichkeit, die Opfer, das sog. "gesunde Volksempfinden" das will?
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Skeptiker »

Vongole hat geschrieben:(04 Jan 2021, 17:45)

Habe ich bereits in meiner Antwort an Stoner: Die Erlaubnis zur sog. "Rettungsfolter" oder Folter überhaupt zur Erzwingung von Geständnissen öffnet dem Unrechtsstaat Tür und Tor.
Warum nach Beweisen suchen, wenn ich auch ein wahrheitswidriges Geständnis erzwingen kann, weil ich den Täter aus subjektiven Gründen für schuldig halten will?
Oder die Öffentlichkeit, die Opfer, das sog. "gesunde Volksempfinden" das will?
Ja, dieses "Tür und Tor" Argument kommt eigentlich immer - so oft, dass es ein Spaß wäre damit Tabu zu spielen bei diesem Thema ...

Folter ist doch verboten. Wieso glaubst du jemand würde dieses Mittel anwenden, wenn er dadurch Beamtenstatus und Pension verliert? Zunächsteinmal ist das eine Unterstellung. Ich halte die Polizei da für disziplinierter.

Und nochmal - es geht nicht um "Aussagen". "Geständnisse" durch Folter können niemals Beweiskraft haben. Fakten haben aber IMMER Beweiskraft - aktuell nicht immer legal, aber grundsätzlich immer in der Logik. Und genau das halte ich für ein Problem.

Wir wollen also Folter verhindern, aber begnügen uns nicht damit sie zu verbieten und diejenigen die sie unberechtigt ausüben zu bestrafen, sondern wir behindern AKTIV die Wahrheitsfindung um ein Exempel zu statuieren, das niemand auf die Idee kommt dieses heilige Rechtspinzip zu verletzen. Das ist in meinen Augen pervers.

Jedes Rechtsprinzip muss in meinen Augen die Rechtssprechung so nahe an das Gerechtigkeitsempfinden bringen, wie das möglich ist. Leugnung von Fakten - aus welchen edlen Grunde auch immer - kann das nicht leisten.
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BlueMonday
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von BlueMonday »

Ja, man sollte zwischen Gefahrenabwehr und Strafprozess unterscheiden. Also erpresste Geständnisse nicht als Beweis im Strafprozess würdigen, aber evtl. zur Gefahrenabwehr zulassen. Das ist zumindest ein naheliegender Gedanke. Das Problem bleibt aber, dass man auch Unschuldige damit treffen könnte. Es geht als nicht darum, den offensichtlichen Täter mit "Samthandschuhen" anzufassen, sondern um die scheinbaren Täter, die unschuldig Verdächtigten. Um das mögliche Fehlurteil. Wie will man diesen Schaden einer Folter je wieder gut machen? Das ist das Grundproblem. Als Befürworter dieser Lösung müsste man auch einverstanden sein, unschuldig gefoltert zu werden, wenn man in Verdacht gerät.
ensure that citizens are informed that the vaccination is not mandatory and that no one is under political, social or other pressure to be vaccinated if they do not wish to do so;
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Vongole
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Re: Schirachs Feinde: Gerechtigkeitsempfinden vs. Rechtsstaatlichkeit

Beitrag von Vongole »

Skeptiker hat geschrieben:(04 Jan 2021, 17:57)

Ja, dieses "Tür und Tor" Argument kommt eigentlich immer - so oft, dass es ein Spaß wäre damit Tabu zu spielen bei diesem Thema ...

Folter ist doch verboten. Wieso glaubst du jemand würde dieses Mittel anwenden, wenn er dadurch Beamtenstatus und Pension verliert? Zunächsteinmal ist das eine Unterstellung. Ich halte die Polizei da für disziplinierter.

Und nochmal - es geht nicht um "Aussagen". "Geständnisse" durch Folter können niemals Beweiskraft haben. Fakten haben aber IMMER Beweiskraft - aktuell nicht immer legal, aber grundsätzlich immer in der Logik. Und genau das halte ich für ein Problem.

Wir wollen also Folter verhindern, aber begnügen uns nicht damit sie zu verbieten und diejenigen die sie unberechtigt ausüben zu bestrafen, sondern wir behindern AKTIV die Wahrheitsfindung um ein Exempel zu statuieren, das niemand auf die Idee kommt dieses heilige Rechtspinzip zu verletzen. Das ist in meinen Augen pervers.

Jedes Rechtsprinzip muss in meinen Augen die Rechtssprechung so nahe an das Gerechtigkeitsempfinden bringen, wie das möglich ist. Leugnung von Fakten - aus welchen edlen Grunde auch immer - kann das nicht leisten.
Eben, so nahe wie möglich, d.h., so nahe wie es unter Berücksichtigung des GG und der allgemeinen Menschenrechte geht, aber nicht einen Schritt weiter.
Folter wäre genau der eine Schritt zu weit, der dann unweigerlich zum nächsten führen wird. Heute Folter, morgen Todesstrafe z.B., die ja auch von vielen als durchaus gerecht empfunden wird.
Am Yisrael Chai

"It's God's job to judge the terrorists, it's our duty to arrange that meeting." (IDF)
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