schokoschendrezki hat geschrieben:(20 Sep 2021, 13:16)
Letzteres bestreíte ich doch gar nicht. Es ist doch meine eigene Ansicht, dass moderner Rassismus und moderner Antisemitismus letztendlich ein Produkt der europäischen Aufklärung sind. Auch wenn es alle nur denkbaren Formen inhumaner Anschauungen schon vorher gab. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und am Ende des 18. Jahrhunderts kam die Mode der Sammelleidenschaft und der Klassifizierungswahn auf. Das Botanisieren, Schmetterlingsaufspießen und Käfersammeln.
Das war kein Wahn und auch keine Mode, sondern folgt dem
erkenntnistheoretischenAnsatz des Empirismus (dessen wichtigste Vertreter John Locke und David Hume waren), der unsere modernen Naturwissenschaften begründete. Der erkenntnistheoretische Ansatz des Empirismus geht davon aus, dass alle Erkenntnis auf sinnlichen Erfahrungen basiert und sich induktiver Methoden bedient. Wenn in einer Erkenntnistheorie davon ausgegangen wird, dass alle Erkenntnis auf Sinneserfahrungen beruht/basiert, kommt man NICHT umhin zu sammeln, zu untersuchen und zu klassifizieren.
Mit dem, was du als Wahn und/oder Mode bezeichnest, wurde der Grundstein für unsere moderne wissenschaftliche Methodik, Systematik und Taxonomie (Biologie) gelegt. Das, was DU so abfällig als Wahn und Sammelleidenschaft abqualifizierst, ist der Grundstein unserer (modernen) Kenntnisse und Erkenntnisse über die Erdgeschichte, die Evolution u.v.m.
Und es gibt auch heute noch Wissenschaften, die empirisch arbeiten - die Archäologie ist so eine, da wird die empirische Methode auch Feldforschung genannt.
schokoschendrezki hat geschrieben:(20 Sep 2021, 13:16)
Kindern schenkte man leere Sammelalben und sie sollten sorgfältig alles mögliche darin einkleben und die genaue Artenbeschreibung darunter schreiben. Monat für Monat und Jahr für Jahr. Das Newtonsche physikalische Weltbild war das eines Universums als eine Art Präzisionsmaschine. In der das eine das andere umkreist. Da verwundert es
überhaupt nicht, dass man auf die Idee kam, auch Menschen und Menschengruppen in diesen Klassifizierungs- und Rangordnungswahn mit einzubeziehen. Und so gab es irgendwann die Europiden, die kaukasische Rasse und daneben eben noch die Mongoliden und die Negriden.
Nochmal: das war KEIN Wahn, sondern der Beginn wissenschaftlichen Arbeitens, wissenschaftlicher Methodik, der Grundstein/die Grundlage unserer modernen Naturwissenschaften.
Es ist nunmal eine grundlegende Eigenschaft des Menschen, neugierig zu sein, nach Wissen und Erkenntnis zu streben und Antworten bzw Erklärungen für alle möglichen Fragen zu finden. Der erkenntnistheoretiche Ansatz des Empirismus war EIN Weg zum Erkenntnisgewinn. Eine Frage, auf die nach Antworten/Erklärungen gesucht wurde, war die, warum sich Menschen im Aussehen unterscheiden, warum sich diese Unterschiede (auch) geographisch manifestierten. Dazu muss man halt sammeln, vergleichen, untersuchen und klassifizieren - mit Geschwätz erlangt man keine Erkenntniss(e).
schokoschendrezki hat geschrieben:(20 Sep 2021, 13:16)
So. Und nun gab es neben der Mendelssohn-Verehrung im 19. Jahrhundert zum Beispiel auch sowas wie die "jüdischen Salons" in Berlin. Rahel Varnhagen ist die vielleicht bekannteste unter den Betreiberinnen. In diesen Salons verkehrten nicht nur Menschen jüdischer Herkunft sondern zeitweilig alles was irgendwie im intellektuellen Bereich Rang und Namen hatte. Von Schlegel und Tieck bis zu Mitgliedern der Hohenzollern-Familie. Da sage man mir doch nicht, dass der "Zeitgeist" komplett in der Hand von Antisemiten war. Für mich ist das eine völlig oberflächliche und auch völlig durchschaubare Strategie, nationalistisch denkende Geister wie etwa Ernst-Moritz Arndt irgendwie nachträglich zu rehabilitieren. Nach dem Motto: Sie konnten ja gar nicht anders!
Und nochmal: (allgemeiner) Judenhass und die Verehrung eines einzelnen Juden für dessen Leistungen schließen einander nicht aus. Niemand hat behauptet, dass religiös motivierter Antijudaismus etwas war, dem sich niemand entziehen konnte bzw sich niemand entzogen hat. Es war - genau wie heute - ein
gesamtgesellschaftliches Problem, dem sich mindestens genauso viele entzogen haben, wie Antijudaismus pflegten.
Ernst-Moritz Arndt, war KEIN Nationalist/nationalistisch denkender Geist, sondern ein
national - vor allem aber
demokratisch denkender Geist. Er strebte - wie viele andere seiner Zeit - ein geeinte deutsche Nation an.
Du und viele andere, die ihre heutige Denk- und Sichtweise, losgelöst vom historischen Kontext, auf die Vergangenheit projizieren, übersehen dabei, dass die deutschen Kleinstaaten durch Napoleon besetzt waren.
Arndt muss nicht
"nachträglich rehabilitiert" werden, er ist vielmehr ein Opfer woken bzw linksidentitäteren Tugendwahns bzw linksidentitärer moralischer Überheblichkeit.
schokoschendrezki hat geschrieben:(20 Sep 2021, 13:16)
Mit Sartre hat das wenig bis gar nix zu tun. Es handelt sich einfach um kulturgeschichtliche Fakten.
Nein, es handelt sich NICHT um kulturgechichtliche Fakten, sondern um deren
emotionale Verzerrung.
Mit Fakten hat die Diskreditierung historischer Persönlichkeiten rein gar nichts zu tun, dafür alles mit moralischer Bewertung aus moderner Sicht, mit
"fühlt sich gut oder nicht gut an" - linksidentitäre Bilderstürmerei, aber KEINE (kulturgeschichtlichen) Fakten!
(nicht markiertes Zitatteil entfernt)
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.
Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen