Dark Angel hat geschrieben:(19 Apr 2021, 15:34)
Das Problem ist nicht, dass es den jungen Menschen an etwas mangelt, sondern dass sie zu viel davon haben - nämlich an Fürsorge.
Woran könnte das liegen? Ging es der Elterngeneration als Kind denn so furchtbar schlecht? Oder sind es die Verlockungen des Fortschritts, die Eltern so irre machen?
Das geht los mit "mach dich nicht schmutzig", "nimm dich in acht, sei vorsichtig, sonst fällst du", es geht damit weiter, dass Kinder nicht auch mal unbeaufsichtigt spielen, toben dürfen - da kreist Mama, wie ein Helicopter und passt auch, dass der Liebling ja keinen Kratzer abbekommt. Die Tage vieler Kinder sind durchorganisiert, ihre Terminkalender voller als die manches Erwachsenen...
Prima, dass du das auch so kritisch siehst. Da könnte ich so viel drüber erzählen - die (alleinerziehenden) Mütter aus der Nachbarschaft sind der Wahnsinn, was das angeht...und wenn man die drauf anspricht, wie die ihr Verhalten begründen...
Ich habe mich letztens mal mit einer Kollegin, Mutter eines Kita-Kindes, darüber unterhalten. Ich fragte sie, ob es stimme, was dauernd in Medien behauptet wird - dass die Kinder aufgrund coronabedingter Schließungen von Schulen und Kitas zuhause "verhaltensauffällig" würden. Sie meinte ja und bestätigte desweiteren meine Thesen dazu vollumfänglich: Die Kinder sind es aufgrund Ganztagesbetreuung & Co schlicht nicht mehr gewohnt, zuhause mehr Zeit als nötig zu verbringen; weil sie gar nicht mehr wissen (können) was ein Zuhause ist - "Zuhause" ist nur noch ein Ort, wo sie sich aufhalten können, wenn sie bspw. nicht in der Ganztagesbetreuung sind; wo sie zu essen und zu trinken bekommen, wenn sie nicht in Schule oder Kita sind; wo sie ihre Eltern treffen, wenn diese nicht bei der Arbeit sind usw.
Und nunmehr sind sie an einem Ort "gefangen", den sie ihr Zuhause nennen (müssen?), den sie aber nicht als Zuhause begreifen, bzw. nie begreifen konnten, weil sie diesem schon mit bspw. einem Jahr entzogen und in Ganztagesbetreuung gesteckt wurden, weil die Eltern arbeiten wollten (oder mussten). Auch eine selbstverständliche innige Beziehung zu den Eltern war darum nicht wirklich möglich, wie auch umgekehrt seitens der Eltern zu ihren Kindern.
So beschrieb es auch meine Kollegin - sie, ihr Mann und ihr gemeinsames Kind würden sich durch Corona eigentlich erst "richtig" kennenlernen, mit allen Facetten und somit mit allerhand positiven und negativen Überraschungen. Man habe vor Corona immer leichtfertig von Familie gesprochen, aber man lerne erst jetzt, was Familie überhaupt bedeutet und wie sich Familie anfühlt.
Auch über Erziehung haben wir gesprochen: Darüber haben sie und ihr Mann sich nie wirklich Gedanken gemacht - selbige erfährt das Kind schließlich in der Ganztagesbetreuung! Man selbst muss ja Geld verdienen, hat wenig bis keine Zeit. Das Kind ist werktags so ab fünf, halb sechs zuhause, dann gibt's Abendbrot, eine Stunde Film/Serie oder spielen im Zimmer und dann ab ins Bett. Morgens Stress und Hektik, bis alle aus dem Haus sind. Wochenends ist das Kind viel bei Verwandten, weil sie Eltern auch mal Zeit für sich allein benötigen.
Ich finde das entsetzlich traurig furchtbar erschreckend! Da bin ich froh, dass ich selbst weniger "Wohlstand" erfahren habe - dafür aber "fest im Sattel des Lebens sitzen" lernte = zuhause, von den Eltern (in meinem Fall nur vom Vater). Ganztagesgedöns hatte ich nie; entweder war jemand zuhause, der für mich bspw. kochte, bis ich selbst für mich kochen konnte. Schule war für mich der Ort, wo ich hin musste, obwohl ich lieber zuhause geblieben wäre. Mein zweites Zuhause war die Stadtbibliothek, wo ich all das lernte, was man mir zuhause nicht beibringen konnte und in der Schule nicht beibringen wollte. Zum Glück gab's damals noch kein Internet (zumindest noch lange nicht so, wie wir es heute kennen), sonst wäre ich bestimmt zum Stubenhocker verkommen!
...man will seinem Nachwuchs ja schließlich was bieten.
Oooh, das würde ich nicht so sagen - eher will man sich selbst was bieten/anderen was beweisen.
Der Helikoptermutti, die ihr Kind am liebsten bis an den Platz in der Klasse fahren würde, geht es nicht um das Wohl ihres Kindes, sondern um den Eindruck, den sie damit bei anderen Helikoptermuttis hinterlässt: Seht her, wie sicherheitsbewusst ICH bin!
Der Helikopterpapi hat nicht den dicken SUV gekauft, weil er für sich und seine Lieben nur das Beste will, sondern weil er bei den anderen Helikopterpapis angeben will: Schaut her, was ICH mir leisten kann!
Die Helikoptereltern, die ihr Kind nach der Ganztagesbetreuung noch in unzählige Kurse oder Vereine stopfen, beabsichtigen nicht, dass ihr Kind irgendwann mal bessere Chancen im Leben hat, als sie selbst, sondern sie wollen ihrem Umfeld mitteilen: Nehmt euch an UNS ein Beipiel!
Überfürsorgliches Verhalten ggü. des Kindes, wie jenes der sogenannten Helikoptereltern, ist mMn zutiefst egozentrischer Natur. Es gibt Eltern, die versuchen sich selbst über ihre Kinder zu verwirklichen; bzw. ihren Kinder ihr persönliches, aber unerfüllt gebliebenes, Ideal von Kindheit aufzuzwängen = in eben diese Richtung schlägt das elterliche "helikoptern".
Viele junge Leute haben aber nur das "gut gemeint" kennen gelernt und wissen nicht, wie "gut gemacht" funktioniert, deshalb denken sie die Welt ließe sich mit "gut gemeint" ändern, deren Probleme auf diese Weise beseitigen und das bringt dann sowas wie Woke hervor.
Ich verstehe das voll und ganz, jedoch kann ich es schwer nachvollziehen - weil es eben, genauso wie du es darstellst, schlicht nicht logisch ist.
Was meinst du, wie könnte man was daran ändern?
Gegen Schimpf und Schande sind sie ja entweder völlig resistent oder nicht "von schlechten Eltern" (= verbal extremst ausufernd). Sachlicher Diskurs ist nicht weniger zwecklos - weil entweder wieder Resistenz oder "Überbildung" (= viel wissen, aber trotzdem keine Ahnung haben) die Reaktionen sind. Es wäre vielleicht förderlich, ihnen keinen Plattformen zu geben - aber die sozialen Medien sind übermächtig und unbeherrschbar.
"Man kann auf seinem Standpunkt stehen, aber man sollte nicht darauf sitzen." Erich Kästner