Hier stellt Sandra Kostner wunderbar dar, was es mit der Woke-Bewegung in den USA auf sich hat. Diese liefert die Grundlage für die Cancel Culture und ist mE ein viel weitgreifenderer Trend, als dass man sie auf die USA beschränken würde (daher die Plazierung hier im Gesellschaftsforum).
In dem Artikel wird eindringlich beschrieben, was die Woke-Bewegung ist. Die Autorin lässt dabei keine Unklarheiten darüber aufkommen, wie sie selber diese Bewegung sieht.
In meinen Augen bewegt sich das schon näherungsweise in die Richtung einer Gehirnwäsche, wenn also als Fakt vorausgesetzt wird, dass ein System rassistisch sei, und den Mitarbeitern Wege aus ihrem ethnisch bedingten Rassismus aufgezeigt werden.Dass die Vorstellung allmächtiger weißer Strukturen trotz dieser offensichtlichen empirischen Schwächen gerade von Studierenden und Hochschulabsolventen vertreten wird, ist ein Ergebnis der Ausbreitung der Critical Race Theory an den Universitäten. Die Vertreter der Critical Race Theory zeichneten sich von Anbeginn durch die Neigung aus, auf faktenbasierte Argumente, die ihrer Theorie widersprechen, nicht mit Gegenargumenten zu reagieren, sondern die Person, die sie vorbringt, mit dem Mittel der moralischen Diskreditierung sozial auszugrenzen. Damit haben sie die Grundlagen für die heutzutage um sich greifende „Cancel Culture“ – eine „Kultur“, die radikal Andersdenkende ausgrenzt – gelegt, die vor circa zehn Jahren an den Universitäten ihren Ausgang nahm, aber inzwischen auch die Medien und den Kulturbetrieb erfasst hat.
Die Vorantreiber der „Cancel Culture“ betrachten Andersdenkende nicht als legitime Diskursteilnehmer. Selbst wer die Meinungsfreiheit als Menschenrecht und als notwendige Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie verteidigt, wird vom moralischen Furor der Cancel-Culture-Aktivisten erfasst. Aus Sicht der Aktivisten ist die Ausgrenzung Andersdenkender notwendig, um Rassismus auszumerzen. Dabei gilt die Formel: Alles, was von Aktivisten als rassistisch gedeutet wird, ist rassistisch.
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In den USA hat auf der linken Seite des politischen Spektrums in den letzten Jahrzehnten ein regelrechtes Mainstreaming dieses identitätspolitischen Denkens stattgefunden. Dementsprechend verlagerte sich das Ziel linker Gleichstellungspolitik sukzessive von gleichen Chancen, für deren Erreichung Weiße und Schwarze gemeinsam die Verantwortung tragen, hin zur Abschaffung weißer Privilegien, wofür allein Weiße zuständig sind.
Ablesbar ist diese Zielverlagerung nicht zuletzt an der in den letzten Jahren stark gewachsenen Zahl an Programmen und Workshops, mit denen Institutionen ihr schuldbehaftetes Weißsein überwinden möchten. Beispielhaft sei hier die Stadt Seattle genannt, die kürzlich für ihre weißen Mitarbeiter einen Workshop veranstaltete, der den aufschlussreichen Titel „Interrupting Internalized Racial Superiority and Whiteness“ trug. Den weißen Mitarbeitern wurde beigebracht, dass internalisierte weiße Überlegenheit Perfektionismus, Individualismus, Intellektualisierung und Objektivität umfasst. Zudem wurde ihnen nahegelegt, diese Eigenschaften dadurch zu überwinden, dass sie Beziehungen zu anderen Weißen beenden und die Kontrolle über das Land sowie ihre „garantierte körperliche Sicherheit“ aufgeben.
https://www.ipg-journal.de/regionen/glo ... ehne-4501/
Letztendlich lässt sich aus dieser radikalen Bewegung auch ein Teil der Gegenbewegung erklären, die offensichtlich das Trump-Lager stärkt:
Der Artikel ist es wirklich wert komplett gelesen zu werden.Ein besonders radikaler Teil der Aktivisten hält noch nicht einmal mehr die politischen Grundwerte der USA, also Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Rechtsstaat, für erhaltenswert. Für sie sind das in Sünde geborene Werte, weil die US-Verfassung zu einem Zeitpunkt in Kraft trat, als Sklaverei und Rassismus weitverbreitet waren. Ein anderer radikaler Teil der Aktivisten will die Grundwerte nicht gänzlich über Bord werfen, aber er will sie an die eigene identitätspolitische Agenda anpassen. Konkret: Freiheitsrechte, Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit und demokratische Teilhaberechte sollen nicht mehr für Individuen, sondern für Kollektive gelten. Menschen mit weißer Hautfarbe wären solange zu benachteiligen, bis ein gesellschaftlicher Zustand erreicht sei, in dem weiße Amerikaner in keinem Bereich mehr besser dastünden als Afroamerikaner. Die Priorisierung von Kollektivrechten würde offenkundig eine solche Pervertierung der amerikanischen Verfassungswerte bedeuten, dass dies ihrer Abschaffung gleichkäme.
All das wirft die Frage auf: Warum kann eine auf moralische Läuterung und Wiedergutmachung ausgerichtete Identitätspolitik zur geistigen Triebfeder für einen Systemwechsel umfunktioniert werden? Den Kern zur Radikalisierung trägt jede Identitätspolitik – auch eine gut gemeinte – in sich. Das liegt daran, dass Identitätspolitik Menschen aufgrund von Abstammungsmerkmalen kollektiviert, und damit in Identitätsgefängnisse einsperrt, aus denen sie nicht entkommen können. Für die Weißen, die unter ihrem identitätspolitisch verordneten Schuldstatus leiden, wird es zum obersten Ziel, diesen abzustreifen. Je stärker sich die Rassismusdebatte von individuellen rassistischen Handlungen zum strukturellen Rassismus verschoben hat, desto mehr rückte das System in den Fokus der Läuterungsaktivisten, welches sie nun für ihren Schuldstatus verantwortlich machen. Deshalb lautet ihre Lösung: Macht kaputt, was euch zu Schuldigen macht.
https://www.ipg-journal.de/regionen/glo ... ehne-4501/
Für diejenigen mit Welt-Abo, kann ich in dem Zusammenhang das Interview mit Brent Weinstein empfehlen - einem Biologieprofessor, der sich geweigert hat Weiße aus seinen Vorlesungen auszuschließen, und dadurch Ziel von Angriffen der Woke-Bewegung wurde (wodurch er seinen Lehrstuhl verlor).
https://www.welt.de/kultur/plus22321048 ... ieren.html
Wie ist die Meinung der Foristen?
Ist Woke etwas, was wir hier brauchen um bestehende systematische Ungerechtigkeiten zu beseitigen?
Oder ist es etwas, das totalitaristische Methoden nutzt um Interessen bestimmter Gruppen undemokratisch durchzusetzen?
Oder muss man das ganz entspannt sehen - eine Bewegung die sich nicht durchsetzen wird, oder von liberalen Strömungen wieder eingefangen wird?