Stoner hat geschrieben:(02 Dec 2020, 22:23)
Zum Hervorgehobenen: Das mag sein. Aber es müsste gezeigt werden, dass das auch für die Geschichtsschreibung gilt, d.h. das Müller Stalin als beliebig und Meier Stalin als links einordnet und kein Mensch weiß, wer recht hat. Soll heißen: dass wir heute aus vielerlei naheliegenden Gründen nicht mehr wissen oder wissen wollen, was links ist und was nicht (ich weiß es, aber das geb ich erst später zum Besten), hebt weder die Geschichtsschreibung auf noch müssen wir jetzt alte Selbstdarstellungen der genannten Herrschaften jetzt umschreiben.
Daher ist meine Meinung: Die Kollegin lügt die Geschichte um. Sie kann sich mit den Fliegerschissern zusammentun, und gemeinsam können Sie dann nach historischem Vorbild einen Nichtangriffspakt schließen. Stalin war nicht links, Hitler nichts rechts. Dann teilen sie sich nicht Polen auf, sondern die aktuelle deutsche Demokratie.
Ich hab viel Sinn für Sophistik. Aber wenn jemand so dreist Geschichte fälschen möchte, wie das in dem Zitat zur Eröffnung des Strangs der Fall ist, dann kann man auch mal direkt sagen, was der Fall ist. Der einzige Vorbehalt wäre: Man hat das satirische Moment nicht verstanden. Das aber, wie der letzte Satz zeigt, ist ausgeschlossen. Es war ernst gemeint.
Das ist alles nicht so dramatisch, wie Sie es hier zornig beschreiben. Und mit Lüge hat es schon gar nichts zu tun. Ich hab dazu auch keine spezielle Theorie und auch keinen Politologen vorzuweisen und zu zitieren. Das sind einfach Erfahrungen. Ich bin quasi Zeitzeuge zweier völlig verschiedener Systeme und kann sehr gut vergleichen, was damals in der DDR diese Politbürokraten wollten und taten und was die heutige Linke will. Dazwischen liegen Welten. Die einen standen für demokratischen Zentralismus, in dem die eigenen Leute unterdrückt worden sind, wo es keine Meinungsfreiheit gab, wo die ständig geforderte "Kritik und Selbstkritik" eine Farce war. Sie sagten, das "Vertrauen zwischen Volk und Partei" vertiefe sich immer mehr. In Wirklichkeit bröckelte und zerbröselte dieses Vertrauen im Laufe der Jahrzehnte immer mehr und war zum Schluss überhaupt nicht mehr vorhanden. So genannte Parteikontrollkommissionen beurteilten, verurteilten, sprachen Berufsverbote gegen die eigenen Genossen aus, die sich zum Beispiel wagten, den Personenkult zu kritisieren.
All das hatte mit wirklichem Linkssein nix zu tun. Auch die ständige Intellektuellenfeindlichkeit, das misstrauische Beäugen von Schriftstellern und bildenden Künstlern hatte nichts mit links zu tun. Statt Weltoffenheit nur Enge und kleinbürgerliche Spießigkeit (die es natürlich auch im Westen gab; da nahmen sich die beiden Seiten nichts). Das echte Linkssein aber, das ich schon damals für erstrebenswert hielt und bei einzelnen Leuten sogar auch unter den geschilderten Verhältnissen vorfand, ist wirklich weltoffen, demokratisch, frei, pluralistisch, liberal, humanistisch, progressiv, gesellschaftskritisch, menschlich, ohne Diktat von oben. Das ist der Unterschied. Dass ich dennoch auch einzelne Teile des sozialistischen Versuchs ganz gut fand, steht auf einem anderen Blatt. Hab ich x-mal beschrieben, was genau ich damit meine. Heute gehts den Linken um einen demokratischen Sozialismus als Fernziel. Ein himmelweiter Unterschied zum verflossenen real existierenden Sozialismus.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz