Was ist (nicht) links?

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BlueMonday
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von BlueMonday »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 10:47)

Und was den Iran betrifft: Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen: Hinsichtlich der schiitischen Glaubenskrieg hätte der Iran einen natürlichen Verbünden in der Welt: Aserbaidshan. Noch dazu dank seiner natürlichen Ressourcen ein wirtschaftlich ziemlich potentes Land. Der Iran fürchtet jedoch separatistische politische Bewegungen in seinen Nordprovinzen. Und schon ist es aus mit der "schiitischen Ideologie". Macht kommt zuerst. Ideologie im 21. Jahrhundert ist allenfalls Bemäntelung von Machtstreben. Erzählung für die Dummköpfe,
Immer wieder das Gleiche.
Die Macht(= das Vermögen, die Möglichkeit) ist eine Folge einer Investition, ist Teil eines langen Kommunikationsprozesses. Erst einmal kommt die Vorstellung, Story, der Mythos, die mitreißende Idee, das Ziel. Versuch doch mal endlich die Gegenprobe und präsentiere irgendeine Macht, die ohne Idee auskam, ohne gedanklichen Gehalt und Differenz zum Bestehenden. Wozu braucht eine rein hypothetische "Macht", die ideenlos "zuerst kommt", überhaupt noch irgendeine Idee? Wieso sollte sie den "Dummen" noch irgendetwas "erzählen" wollen? Hätte sie ja als etablierte Macht gar nicht nötig. Gerade im erfolgreichen Storyerzählen besteht die Macht.

Wenn es nicht um Ideen ginge, wieso sollte man dann einer Macht überhaupt entgegentreten, wieso sich ihr nicht einfach anschließen, an ihr teilhaben? Die Ideen, Farben, Richtungen spielen doch deiner Meinung nach keinerlei Rolle und könnten nicht dagegen sprechen. Stattdessen: Molon labe! Wovon getrieben, wenn nicht von einer starken Überzeugung? Was steht wohl entgegen sich dem Nationalsozialismus anzuschließen, wenn nicht eine Idee, eine Überzeugung, eine Vorstellung, eine Moral, eine Ästhetik, irgendein geistiges Ding?
Du erzählst immer wieder diese kuriose Story, dass man den Hammer nur des Hammers haben will, aber nicht um Nägel in die Wand zu schlagen. Also bar einer Zielvorstellung, eines Zwecks, einer Idee.

Dass Ideen nicht immer halten, was sie versprechen, das liegt ja nun in ihrer Natur als Vorstellung, also dass sie ihrer Verwirklichung voraus gehen und die Realisierung in einer unsicheren Zukunft liegt. Bspw. der Verfassunsganspruch(=Idee) ist selten deckungsgleich mit der Verfassungswirklichkeit eines Staates. Ein Schalck-Golodkowski ist dann die Folge des Scheiterns der Idee vom Sozialismus, praktisch das Beatmungsgerät, das man dem Patienten noch mal umglegt hat, damit er ein paar Jahre weiter überdauert. Der Idealismus ist auch weitaus älter als Hegel und auch räumlich nicht auf Deutschland begrenzt.
ensure that citizens are informed that the vaccination is not mandatory and that no one is under political, social or other pressure to be vaccinated if they do not wish to do so;
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schokoschendrezki
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

BlueMonday hat geschrieben:(11 Dec 2020, 20:05)

Immer wieder das Gleiche.
Die Macht(= das Vermögen, die Möglichkeit) ist eine Folge einer Investition, ist Teil eines langen Kommunikationsprozesses. Erst einmal kommt die Vorstellung, Story, der Mythos, die mitreißende Idee, das Ziel. Versuch doch mal endlich die Gegenprobe und präsentiere irgendeine Macht, die ohne Idee auskam, ohne gedanklichen Gehalt und Differenz zum Bestehenden. Wozu braucht eine rein hypothetische "Macht", die ideenlos "zuerst kommt", überhaupt noch irgendeine Idee? Wieso sollte sie den "Dummen" noch irgendetwas "erzählen" wollen? Hätte sie ja als etablierte Macht gar nicht nötig. Gerade im erfolgreichen Storyerzählen besteht die Macht.

Wenn es nicht um Ideen ginge, wieso sollte man dann einer Macht überhaupt entgegentreten, wieso sich ihr nicht einfach anschließen, an ihr teilhaben? Die Ideen, Farben, Richtungen spielen doch deiner Meinung nach keinerlei Rolle und könnten nicht dagegen sprechen. Stattdessen: Molon labe! Wovon getrieben, wenn nicht von einer starken Überzeugung? Was steht wohl entgegen sich dem Nationalsozialismus anzuschließen, wenn nicht eine Idee, eine Überzeugung, eine Vorstellung, eine Moral, eine Ästhetik, irgendein geistiges Ding?
Du erzählst immer wieder diese kuriose Story, dass man den Hammer nur des Hammers haben will, aber nicht um Nägel in die Wand zu schlagen. Also bar einer Zielvorstellung, eines Zwecks, einer Idee.

Dass Ideen nicht immer halten, was sie versprechen, das liegt ja nun in ihrer Natur als Vorstellung, also dass sie ihrer Verwirklichung voraus gehen und die Realisierung in einer unsicheren Zukunft liegt. Bspw. der Verfassunsganspruch(=Idee) ist selten deckungsgleich mit der Verfassungswirklichkeit eines Staates. Ein Schalck-Golodkowski ist dann die Folge des Scheiterns der Idee vom Sozialismus, praktisch das Beatmungsgerät, das man dem Patienten noch mal umglegt hat, damit er ein paar Jahre weiter überdauert. Der Idealismus ist auch weitaus älter als Hegel und auch räumlich nicht auf Deutschland begrenzt.
Nee nee. Ganz blende ich das nicht aus. Der Vergleich mit dem Hammer ist übrigens bezeichnend. Der "Hammer" als Teil des Staatswappens der DDR ... worauf geht die Symbolik "Hammer Zirkel Ährenkranz" zurück? Auf Lenins zentrale Schrift "Was tun". In der er neben dem Konzept der "Partei neuen Typus" (sprich: der Kaderpartei) ein strategisches Bündnis Arbeiterklasse/Intelligenz/Bauernschaft entwickelte. Das genau ist der Hammer im Staatssozialismus. Nicht das Werkzeug, um Nägel einzuschlagen sondern das Werkzeug um ein strategisches Bündnis der Arbeiterklasse mit Bauernschaft und Intelligenz herzustellen. Ich bleibe dabei: Eine sorgfältig konzipierte Erzählung für die Dummköpfe. Zum Zwecke der Machterlangung bzw. des Machterhalts.

Wie ist es nun heute. Politiker, nennen wir die derzeit drei Mächtigsten, Trump, Putin und Jinping ... sind einerseits Ideologen. Klar. Aber es sind ein-Drittel oder ein-Viertel oder auch nur ein-Siebentel-Ideologen. Die anderen Sechs Siebentel bestehen aus Dealmakerei.Auch die bestimmenden Leute des 30jährigen Kriegs waren allesamt gläubige Menschen. Durch und durch. Der 30jährige Krieg war dennoch nicht in erster Linie ein GLaubenskrieg!
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 19:57)

Hunger und Elend in der Welt haben sich noch nie so schnell und gravierend geändert wie etwa durch einen rabiaten Kapitalismus in Bangladesh. Trotz der extremen und gravierenden Begleiterscheinungen. Keinem Menschen dort wünsche ich eine Rückkehr in das Elends- und Hungerland Bangladesh der 70er Jahre des sich "sozialistisch" gebenden Präsidenten Mujibur Rahman. Dann lieber der totale Kapitalismus mit Niedriglohn und Kinderarbeit. Das mag verstörend klingen. Aber die meisten Menschen haben aufgrund eines sehr eingeschränkten Medienzugangs einfach nix mitbekommen von den Schrecknissen dieser Zeit, Es hat auch wiederum überhaupt nix mit "Sozialismus" oder irgendeiner Ideologie zu tun, was in den 70er Jahren in Bangladesh passierte. Sondern mit Interessenswahrnungen und Machtpolitik. Der "Sozialist" Rahman wurde erst zu einem Islamisten, um seine Macht zu erhalten und dann zu einem Diktator. Dann wurde er ermordet. So geht das. Nix Ideologie.Nix Sozialismus. Nix bessere Welt. Macht. Macht. Macht.
Das ist alles Vergangenheit. Kein Linker möchte einen Sozialismus zurück, der solche Zustände verursacht hat. Es geht um etwas Neues: Den demokratischen Sozialismus. Eigentlich ist es auch egal, wie man das nennt, es geht um ein Gesundheitswesen ohne "Fallpauschalen" und Personalmangel, um einen modernen kostenlos zu nutzenden Nahverkehr, um ein Arbeitsleben, das keine Maloche ist, sondern sinnstiftende Tätigkeit, um gleiche Bildungschancen und kein Bildungsprivileg, um bezahlbare Mieten und und und.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Teeernte »

Selina hat geschrieben:(11 Dec 2020, 21:24)

Das ist alles Vergangenheit. Kein Linker möchte einen Sozialismus zurück, der solche Zustände verursacht hat. Es geht um etwas Neues: Den demokratischen Sozialismus. Eigentlich ist es auch egal, wie man das nennt, es geht um ein Gesundheitswesen ohne "Fallpauschalen" und Personalmangel, um einen modernen kostenlos zu nutzenden Nahverkehr, um ein Arbeitsleben, das keine Maloche ist, sondern sinnstiftende Tätigkeit, um gleiche Bildungschancen und kein Bildungsprivileg, um bezahlbare Mieten und und und.
...einer MUSS die Lete "treiben"....sonst murkeln die nur noch privat.

...sinnstiftende Tätigkeit - zu Ostzeiten - im SKL - die haben sich 20er Jollenkreuzer aus Stahl geschweißt....während der Arbeit, aus Firmenmaterial...
Obs zu kalt, zu warm, zu trocken oder zu nass ist:.... Es immer der >>menschgemachte<< Klimawandel. :D
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Zunder
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 19:42)

Also "hier" gehts ......
Hier geht es schlicht und ergreifend um die Antwort auf einen Beitrag, in dem ich anhand eines konkreten Beispiels gezeigt habe, daß deine Behauptung:

"Selbstverständlich klaffen Idee und Praxis auseinander. Und zwar nicht ausnahmsweise sondern grundsätzlich."

in dieser Grundsätzlichkeit nicht zutrifft.

Mit der Frage, was denn links oder nicht links sein soll, hat das nur insofern zu tun, als diese ganze Enteignungspolitik auch dann zweifellos dem linken Spektrum zuzuordnen ist, wenn man Ulbricht oder Honecker von noch weiter links aus gesehen für rechts hält.
Stoner

Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Stoner »

Selina hat geschrieben:(11 Dec 2020, 21:24)

Das ist alles Vergangenheit. Kein Linker möchte einen Sozialismus zurück, der solche Zustände verursacht hat. Es geht um etwas Neues: Den demokratischen Sozialismus. Eigentlich ist es auch egal, wie man das nennt, es geht um ein Gesundheitswesen ohne "Fallpauschalen" und Personalmangel, um einen modernen kostenlos zu nutzenden Nahverkehr, um ein Arbeitsleben, das keine Maloche ist, sondern sinnstiftende Tätigkeit, um gleiche Bildungschancen und kein Bildungsprivileg, um bezahlbare Mieten und und und.
Darum ging es doch immer: Um das Neue, das sich als Überwindung des Hier und Jetzt anpries, um die Aufhebung dessen Negativität, seiner Transzendenz ins Überbiedermeier. Wenns nicht geklappt hat, war's noch nicht links, sondern wird es erst beim nächsten Mal sein. Alles Sein muss, wie's der eschatologische Ernschtl zum Programm erhoben hat, ins Werden aufgelöst werden. Und wer sich jetzt nicht versäumt, wird abgeräumt, der eine gleich, der andere später.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(11 Dec 2020, 23:31)

Hier geht es schlicht und ergreifend um die Antwort auf einen Beitrag, in dem ich anhand eines konkreten Beispiels gezeigt habe, daß deine Behauptung:

"Selbstverständlich klaffen Idee und Praxis auseinander. Und zwar nicht ausnahmsweise sondern grundsätzlich."

in dieser Grundsätzlichkeit nicht zutrifft.

Mit der Frage, was denn links oder nicht links sein soll, hat das nur insofern zu tun, als diese ganze Enteignungspolitik auch dann zweifellos dem linken Spektrum zuzuordnen ist, wenn man Ulbricht oder Honecker von noch weiter links aus gesehen für rechts hält.
Die Zwangs-Kollektivierungen in der Landwirtschaft sind zweifellos einem sich selbst und auch von außen als irgendwie "links" zugeordneten Spektrum zuzuordnen. Das bestreite ich doch gar nicht.

Heute. Und real. Wie siehts aus: Die Lebensverhältnisse in Rand-Berlin, im sogenannten Speckgürtel kenne ich ziemlich genau. Die Bauern wurden enteignet und zwangskollektviert. Ja. Gleichzeitig haben sie unmittelbar nach 45 für eine Kiste Kartoffeln einen Familienschmuck eingeheimst. Und wussten den auch zu Geld zu machen. Nach 1990 waren die wiederprivatisierten Genossenschaftsimmobilien eine Art Lotto-Gewinn. Die armen zwangskollektivierten Bauern in Randberlin - wirklich, ich bin da zu Hause - die waren und sind Menschen, die den Tag über in Gummistiefeln und mit Arbeitsjacke rumlaufen .. die aber hunderttausende auf ihren Konten haben. Heute wie auch zu DDR-Zeiten.

Nur ein Beispiel für eine Betrachtungsweise, die nicht davon ausgeht, dass Geschichte nicht die Materialisierung von Ideen, Ideologien, von "Geist" im Sinne von Hegel ist ... sondern dass sich Geschichte schlicht und einfach ereignet. Dass sie sich entlang von Interessenswahrnehmungen vollzieht.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(11 Dec 2020, 21:24)

Das ist alles Vergangenheit. Kein Linker möchte einen Sozialismus zurück, der solche Zustände verursacht hat. Es geht um etwas Neues: Den demokratischen Sozialismus. Eigentlich ist es auch egal, wie man das nennt, es geht um ein Gesundheitswesen ohne "Fallpauschalen" und Personalmangel, um einen modernen kostenlos zu nutzenden Nahverkehr, um ein Arbeitsleben, das keine Maloche ist, sondern sinnstiftende Tätigkeit, um gleiche Bildungschancen und kein Bildungsprivileg, um bezahlbare Mieten und und und.
Da geht es dann darum, wo man die Grenze ziehen will zwischen Existenzsicherung, Daseinsvorsorge und den divergierenden Lebenswelten. Was Existenzsicherung anbelangt, bin ich ganz klar überzeugter demokratischer Sozialist und insofern auch Linker. Ich setze nur vermutkich diese Grenze sehr viel weiter unten an als die Mehrheit der Linken in Deutschland. Zumindest bis zu den Coronasperren lebte ich einen Teil des Jahres in Ungarn und weiß ganz genau, dass Existenzsicherung auch mit einem Drittel des Durchschnittseinkommens in Deutschland möglich ist. Oder auch mit noch weniger. Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus: Alle Sozialhilfeempfänger, die ich kenne, sind, was materielle Ansprüche anbelangt, komischerweise wesentlich anspruchsvoller als ich, der ich ein ziemlich gutes und gesichertes Einkommen habe. Wie geht das? Die belächeln mich, weil ich zum Beispiel die Leistung meines Autos in PS gar nicht zu benennen weiß. Mich interessiert das einfach nicht. Diese Sozialhilfeempfänger besitzen - meiner Erfahrung nach - auch TV-Geräte, Schränke, Kleidungsstücke, Schuhe usw. usf. die völlig jenseits meiner Vorstellungen liegen. Nicht, weil ich sie mir nicht leisten könnte, Sondern einfach, weil mich der ganze Scheiß schlicht und einfach nicht interessiert. So. Und nun sage einer mal, es müsse unbedingt soziale Gerechtigkeit in Deutschland hergestellt werden.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Stoner »

Eigentlich ist die Haltung, genau zu wissen, mit wie viel weniger als man selbst hat, jemand auskommen kann, eine typisch rechte, also nicht-linke Haltung.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Dec 2020, 14:36)

Da geht es dann darum, wo man die Grenze ziehen will zwischen Existenzsicherung, Daseinsvorsorge und den divergierenden Lebenswelten. Was Existenzsicherung anbelangt, bin ich ganz klar überzeugter demokratischer Sozialist und insofern auch Linker. Ich setze nur vermutkich diese Grenze sehr viel weiter unten an als die Mehrheit der Linken in Deutschland. Zumindest bis zu den Coronasperren lebte ich einen Teil des Jahres in Ungarn und weiß ganz genau, dass Existenzsicherung auch mit einem Drittel des Durchschnittseinkommens in Deutschland möglich ist. Oder auch mit noch weniger. Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus: Alle Sozialhilfeempfänger, die ich kenne, sind, was materielle Ansprüche anbelangt, komischerweise wesentlich anspruchsvoller als ich, der ich ein ziemlich gutes und gesichertes Einkommen habe. Wie geht das? Die belächeln mich, weil ich zum Beispiel die Leistung meines Autos in PS gar nicht zu benennen weiß. Mich interessiert das einfach nicht. Diese Sozialhilfeempfänger besitzen - meiner Erfahrung nach - auch TV-Geräte, Schränke, Kleidungsstücke, Schuhe usw. usf. die völlig jenseits meiner Vorstellungen liegen. Nicht, weil ich sie mir nicht leisten könnte, Sondern einfach, weil mich der ganze Scheiß schlicht und einfach nicht interessiert. So. Und nun sage einer mal, es müsse unbedingt soziale Gerechtigkeit in Deutschland hergestellt werden.
Für das Existenzminimum gibt es Kriterien. Dazu zählt auch das soziokulturelle Existenzminimum. Freiwilliges Eremitendasein ist damit nicht gemeint.
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Zunder
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Dec 2020, 14:15)

..... sondern dass sich Geschichte schlicht und einfach ereignet........
Geschichte ereignet sich nicht, Geschichte wird gemacht. Sie ist ein fortwährender Prozess menschlichen Handelns, wobei der bewußte und gewollte Teil des Handelns auf Interessen und Überzeugungen beruht. Sofern diese Überzeugungen mehr als rein privater Natur und halbwegs konsistent sind, haben wir es mit Ideologien zu tun. Das heißt nicht, daß jede Herrschaft auf Ideologie beruht - ich wüßte nicht, für welche Ideologie z.B. ein Idi Amin stünde -, das heißt aber, daß Ideologien ernst zu nehmen sind, wenn man Geschichte und Gegenwart verstehen will.

Wer Ideologie ignoriert, wird sich dann halt wundern, daß er Trumps Politik bekommt, wenn er Trump wählt.
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conscience
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von conscience »

Zunder hat geschrieben:(12 Dec 2020, 15:19)

Geschichte ereignet sich nicht, Geschichte wird gemacht. Sie ist ein fortwährender Prozess menschlichen Handelns, wobei der bewußte und gewollte Teil des Handelns auf Interessen und Überzeugungen beruht. Sofern diese Überzeugungen mehr als rein privater Natur und halbwegs konsistent sind, haben wir es mit Ideologien zu tun. Das heißt nicht, daß jede Herrschaft auf Ideologie beruht - ich wüßte nicht, für welche Ideologie z.B. ein Idi Amin stünde -, das heißt aber, daß Ideologien ernst zu nehmen sind, wenn man Geschichte und Gegenwart verstehen will.

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Und Marx hatte also doch Recht.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Stoner hat geschrieben:(12 Dec 2020, 14:42)

Eigentlich ist die Haltung, genau zu wissen, mit wie viel weniger als man selbst hat, jemand auskommen kann, eine typisch rechte, also nicht-linke Haltung.
"zu glauben genau zu wissen ...." wenn schon. Macht nix. Mir egal. Ich kenne jemanden, der haust in einem Zelt. Auch winters. Auch wenn er sich eine gute Wohnung leisten könnte. Sich im Bereich hochwertiger Konsumgüter auszukennen ... früher war das mal ein Symptom von irgendwie Angekommenheit in der bürgerlichen Mittelschicht. Von "Es-geschafft-habenheit". Für mich ist dies heute zuallererst ein Symptom von Ungebildetheit und Zurückgebliebenheit. Wer sich auf Relativitätstheorie, KI, Java-Programmierung, Impfstoffentwicklung, Sinologie usw. einlässt ... hat gar keine Zeit, sich mit besonders hochwertigen Kochtöpfen, Matratzen oder Mobiltelefonen zu befassen.
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naddy
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von naddy »

Stoner hat geschrieben:(12 Dec 2020, 14:42)

Eigentlich ist die Haltung, genau zu wissen, mit wie viel weniger als man selbst hat, jemand auskommen kann, eine typisch rechte, also nicht-linke Haltung.
Ich wollte Sarrazin damals auch schon empfehlen, doch mal probeweise zwei Wochen kalt zu duschen und sich von eineurofuffzig pro Tag zu ernähren. Wäre vielleicht heilsam gewesen. ;)
"Das gefährliche an der Dummheit ist, daß sie die dumm macht, die ihr begegnen." (Sokrates).
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(12 Dec 2020, 15:19)

Geschichte ereignet sich nicht, Geschichte wird gemacht. Sie ist ein fortwährender Prozess menschlichen Handelns, wobei der bewußte und gewollte Teil des Handelns auf Interessen und Überzeugungen beruht. Sofern diese Überzeugungen mehr als rein privater Natur und halbwegs konsistent sind, haben wir es mit Ideologien zu tun. Das heißt nicht, daß jede Herrschaft auf Ideologie beruht - ich wüßte nicht, für welche Ideologie z.B. ein Idi Amin stünde -, das heißt aber, daß Ideologien ernst zu nehmen sind, wenn man Geschichte und Gegenwart verstehen will.

Wer Ideologie ignoriert, wird sich dann halt wundern, daß er Trumps Politik bekommt, wenn er Trump wählt.
Sie sind schon ernst zu nehmen. Sie machen - einfach aufs Geratewohl und subjektiv geschätzt - ein Drittel Einfluss aus. Es gibt zum Beispiel überhaupt keinen Zweifel daran, dass die verschiedenen Akteure des 30 jährigen Kriegs in Europa tatsächlich und wirklich der Glaubensrichtung anhingen, für die sie an diesem Krieg teilnahmen. Anfang/Mitte des 17. Jahrhunderts waren die Menschen in Europa gläubig. Wirklich gläubig. Auch der mächtigste Herrscher hatte in seinerm Innersten Angst vor der ewigen Verdammnis. Es trifft aber dennoch nicht das Wesentliche, diesen 30jährigen Krieg im Kern als einen "Religionskrieg" anzusehen. Dieser Krieg fand in einer historischen Umbruchphase statt. Nicht zuletzt weil das mittelalterliche Ständesystem für den AUfstieg des bürgerlichen Handels und der aufkeimenden Industrie mehr und mehr ein HIndernis darstellte. Und später: Frankreich war vor der französischen Revolution vor allem eines: Verschuldet bis über die Ohren. England war zwar weitaus höher verschuldet, aber einfach durch die Existenz eines frühen Parlamentarismus war Transparenz für ANleger gegeben. Das heilige Recht der frühen Parlamente bestand in dem Recht, Kredite für die Königshäuser bewilligen oder verweigern zu können. Insbesondere Kredite für dynastische Kriege. Das ging einfach mehr konform mit den Anforderungen des beginnenden Industriezeitalters. Der Mensch hat die Eigenschaft, sich im Nachhinein solche Entwicklungen als Ergebnis von edlen Einstellungen und Kampf für hohe Gesinnungen schönzureden. Als Ergebnis von Entwicklungen, in denen "die bessere, die richtigere Ideologie" den Sieg davon getragen hat. Das ist menschlich vielleicht verständlich. In Wirklichkeit hat sich aber einfach nur Geschichte ereignet. Die aufstrebende Industrie und Wirtschaft braucht Investitionen und von daher Sicherheiten. Parlamentarismus und Dinge wie Pressefreiheit waren einfach Parameter für eine optimalere Lösung des Problems und haben sich demzufolge durchgesetzt. So wie ein Apfel eben nach unten und nicht nach oben fällt.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

naddy hat geschrieben:(12 Dec 2020, 16:24)

Ich wollte Sarrazin damals auch schon empfehlen, doch mal probeweise zwei Wochen kalt zu duschen und sich von eineurofuffzig pro Tag zu ernähren. Wäre vielleicht heilsam gewesen. ;)
Klar ist, dass Konsumverzicht das Privileg einer sozial privilegierten Schicht ist. Keine Frage.

Was zur Existenzsicherung gehört ... ist dennoch ziemlich klar und eindeutig definierbar. Kleidung, Nahrung, Schutz vor Natureinflüssen, Recht auf Bildung, Gesundheitsversorgung, Polizeischutz. Irgendwas habe ich vielleicht noch vergessen. Aber das ist klar eingrenzbar.

Das Problem bei Sarrazin ist doch, dass er die Plünderung der Sozialsysteme irgendwie herkunfts- oder eigentlich sogar rassemäßig meinte festmachen zu können.

Ich kann nur meine persönlichen Erfahrungen dokumentieren: Ich erlebe einerseits sozial augegrenzte, die im Winter nicht mal eine Decke zum schlafen haben und irgendwo in einem Berliner U-Bahnhof ein warmes Plätzchen für die Nacht suchen. In der Regel keine deutschen Staatsbürger. Und ich erlebe Sozialhilfeempfänger, die die Schränke, Kochtöpfe, Schuhe, Computer, Autos, die ich so normalerweise verwende als Zumutung ansehen, weil sie den Anspruch auf hochwertige Konsumgüter erheben.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Vongole »

naddy hat geschrieben:(12 Dec 2020, 16:24)

Ich wollte Sarrazin damals auch schon empfehlen, doch mal probeweise zwei Wochen kalt zu duschen und sich von eineurofuffzig pro Tag zu ernähren. Wäre vielleicht heilsam gewesen. ;)
Diese Ansicht dürfte für Einige einer Blasphemie gleichen. ;)
Am Yisrael Chai

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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

conscience hat geschrieben:(12 Dec 2020, 15:25)

Und Marx hatte also doch Recht.
Naja. Womit hatte Marx Recht? Dass das Sein das Bewusstsein bestimme und nicht umgekehrt. Oder dass die Philosophen die Welt immer nur unterschiedlich interpretiert haben, es aber darauf ankomme, sie zu verändern? Der Spruch aus Marxens Thesen zu Feuerbach stand während meiner Studentenzeit groß im Hauptempfangsgeböude der Humboldt-Uni. Ich muss bei Gelegenheit direkt mal nachschauen, ob dieser Schriftzug dort immer noch angebracht ist.

Es braucht trivialerweise natürlich die Akteure in der Geschichte. Von nix kommt nix. Dinge wie Parlamentarismus, Gewaltenteilung, Demokratie und Meinungsfreiheit sind aber dennoch primär keine "Erfindungen" oder Hervorbringungen kluger Geister oder heroischer Männer oder edler Gesinnungen sondern Notwendigkeiten. Sie waren in erster Linie die bessere Lösung für das aufsteigende Indutriezeitalter. Und die Geschichte folgt einem Prinzip der kleinsten Wirkung ebenso wie alles in der Physik. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich nur mit Hegelscher Dialektik aufklären. Und "Dialektik" ist keineswegs einfach eine Art philosophischer Taschenspielertrick nach dem Motto "Sowohl als auch".
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von BlueMonday »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 20:20)

Nee nee. Ganz blende ich das nicht aus. Der Vergleich mit dem Hammer ist übrigens bezeichnend. Der "Hammer" als Teil des Staatswappens der DDR ... worauf geht die Symbolik "Hammer Zirkel Ährenkranz" zurück? Auf Lenins zentrale Schrift "Was tun". In der er neben dem Konzept der "Partei neuen Typus" (sprich: der Kaderpartei) ein strategisches Bündnis Arbeiterklasse/Intelligenz/Bauernschaft entwickelte. Das genau ist der Hammer im Staatssozialismus. Nicht das Werkzeug, um Nägel einzuschlagen sondern das Werkzeug um ein strategisches Bündnis der Arbeiterklasse mit Bauernschaft und Intelligenz herzustellen. Ich bleibe dabei: Eine sorgfältig konzipierte Erzählung für die Dummköpfe. Zum Zwecke der Machterlangung bzw. des Machterhalts.

Wie ist es nun heute. Politiker, nennen wir die derzeit drei Mächtigsten, Trump, Putin und Jinping ... sind einerseits Ideologen. Klar. Aber es sind ein-Drittel oder ein-Viertel oder auch nur ein-Siebentel-Ideologen. Die anderen Sechs Siebentel bestehen aus Dealmakerei.Auch die bestimmenden Leute des 30jährigen Kriegs waren allesamt gläubige Menschen. Durch und durch. Der 30jährige Krieg war dennoch nicht in erster Linie ein GLaubenskrieg!
Also der eigentlich Unlgläubige ist der "Dumme", dem man eine Geschichte erzählt? Entweder macht man ihn dadurch zu einem willigen Gläubigen, der wegen einer Idee in den Krieg zieht. Oder es muss was anderes sein und er ist gar nicht der Dumme, dem man erst Geschichten erzählen muss. Sicherlich gibt es viele Motive. Der bezahlte Söldner steht vor den Toren Jerusalems dann wohl wegen seines Solds vor allem. Aber warum sollte man ihm einen Sold bezahlen, auf dass er sich durch die halbe Welt zu Fuß einem Kreuzzug nach Jerusalem anschließt? Für eine eigentlich wertlose Stadt in der wüsten Wüste, ein Ort, der seinen Wert gerade durch die Erzählung, den Mythos erhalten hat. Ein riesiger Aufwand für eine bloße Idee.
Oder "man" zwingt die Menschen zum Soldatentum. Aber dazu braucht man wiederum hinter jedem Soldaten einen Politruk. Aber wo kommt nun der Politruk her, was bewegt ihn? Oder man muss hinter dem Politruk noch einen Überzeugteren stellen. Man hangelt sich offenbar zu einer Idee zurück. Wie ist ein Krieg ohne Idee möglich? Wozu überhaupt einen Raumgewinn? Die Idee ist Begriff. Der Begriff ist nichts anderes als die Unterscheidung, ein Schnitt durch die Welt. Ohne diesen Schnitt ist alles einerlei. Es gäbe gar nichts zu erobern, keine Grenzen zu verschieben, weil es keine Grenzen gäbe.

Was ist denn die minimalste Ideologie? Die findet sich in jeder bewussten menschliche Handlung. Da gibt es ein Ziel, einen Zweck, einen Grund, also eine Idee. Dann folgt die Frage nach dem Mittel. In Dingen ein Mittel zu sehen ist wiederum Idee. Und dass das gewählte Mittel den Zweck bewirkt, ist die Vorstellung von Kausalität. Das Ganze nichts anderes als ein Ideensystem. Und Macht ist es, wenn die ganze Theorie tatsächlich funktioniert. Im sozialen Kontext ist das wesentliche Mittel eben die Sprache. Wie bringt man Menschen dazu, einen "Mundnasenschutz" aufzusetzen? Und warum? Dazu muss man eben eine glaubhafte Geschichte erzählen, die überzeugt, die Angst macht, die einen Nutzen verspricht, einen Grund erklärt usw. Allein der Begriff des "Schutzes" erzählt eine Geschichte.

Nun kann man unterstellen, dass eine bestimmte Idee nur eine vorgeschobene Idee ist, dass hinter der vermeintlichen Maskerade eine andere Idee steckt. Aber damit hat nun immer noch nicht die Idee aus dem Spiel geworfen und hängt nur einer Verschwörungsidee an. Sicherlich gibt es auch zahlreiche Trittbrettfahrer, die dann ihr Kapital schlagen aus einer etablierten Grundidee, die als Ideenkatalysatoren wirken, die etwas auch dramatisieren im eigenen Interesse. Aber überzeugen kann man nur effektiv, wenn man selbst überzeugt ist.
Himmler, die Posener Reden. Da sprich im "inner circle" der SS. Muss sich nicht verstellen, etwas vorgeben. Herbst 43. Der Krieg fortgeschritten. Eine gewisse "Pragmatik" wird ausweichlich. Aber er spricht immer noch voller Überzeugung von der nationalsozialistischen Sache, von der Idee der SS und vielen anderen Vorstellungen, von der Minderwertigkeit der Slawen, vom "Wlassow-Rummel", dass ein russischer Offizier kein Maßstab für einen deutschen sein kann usw. Ideen, Ideen, Ideen. Oder die letzten Interviews Honeckers, da spricht ein Überzeugter, der seine Idee immer noch lebendig wähnt.
Zuletzt geändert von BlueMonday am Sa 12. Dez 2020, 20:33, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Dec 2020, 16:46)

Klar ist, dass Konsumverzicht das Privileg einer sozial privilegierten Schicht ist. Keine Frage.

Was zur Existenzsicherung gehört ... ist dennoch ziemlich klar und eindeutig definierbar. Kleidung, Nahrung, Schutz vor Natureinflüssen, Recht auf Bildung, Gesundheitsversorgung, Polizeischutz. Irgendwas habe ich vielleicht noch vergessen. Aber das ist klar eingrenzbar.

Das Problem bei Sarrazin ist doch, dass er die Plünderung der Sozialsysteme irgendwie herkunfts- oder eigentlich sogar rassemäßig meinte festmachen zu können.

Ich kann nur meine persönlichen Erfahrungen dokumentieren: Ich erlebe einerseits sozial augegrenzte, die im Winter nicht mal eine Decke zum schlafen haben und irgendwo in einem Berliner U-Bahnhof ein warmes Plätzchen für die Nacht suchen. In der Regel keine deutschen Staatsbürger. Und ich erlebe Sozialhilfeempfänger, die die Schränke, Kochtöpfe, Schuhe, Computer, Autos, die ich so normalerweise verwende als Zumutung ansehen, weil sie den Anspruch auf hochwertige Konsumgüter erheben.
Ja, Konsumverzicht ist ein Privileg hierzulande. Die Menschen in den Flüchtlingslagern, die sich Deutschland mit aller Kraft vom Leibe hält, würden deine Worte wie Hohn empfinden. Du hast es doch sonst so mit internationalen Vergleichen. Ich rede vom globalen Kapitalismus mit allen seinen schrecklichen Verwerfungen und nicht vom kuscheligen Wohlstands-Deutschland. Obwohls hier natürlich auch Altersarmut gibt. Ein Drittel künftiger Rentner wird von der Rente alleine nicht mehr leben können und muss Grundsicherung beantragen oder Flaschen sammeln. Der Niedriglohnsektor ist in D einfach zu groß seit Schröders Entsolidarisierungs-Aktion. Vor allem im Osten.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Realist2014 »

Selina hat geschrieben:(12 Dec 2020, 15:06)

Für das Existenzminimum gibt es Kriterien. .
keine absoluten.

Sondern relative = Kosumverhalten der unteren 15%, die keine Trnsferleistungen beziehen.
Laut Aussage der linken Ideologen sind alle ökonomisch erfolgreichen dumm, und die wahre Intelligenz tritt sich in der untersten ökonomischen Etage auf die Füße.....daher muss diese Etage ausgebaut werden
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von 3x schwarzer Kater »

Realist2014 hat geschrieben:(12 Dec 2020, 19:38)

keine absoluten.

Sondern relative = Kosumverhalten der unteren 15%, die keine Trnsferleistungen beziehen.
War es nicht das unterste Quintil? Also 20%? Oder hat sich das geändert?
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Tom Bombadil »

Selina hat geschrieben:(12 Dec 2020, 18:58)

Ich rede vom globalen Kapitalismus...
Dank des globalen Kapitalismus ging es noch nie so vielen Menschen so gut wie heute. Natürlich mit Ausnahme der sozialistischen Experimente Venezuela, Kuba, Nordkorea. Denen geht es immer bescheidener.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(12 Dec 2020, 18:58)

Ja, Konsumverzicht ist ein Privileg hierzulande. Die Menschen in den Flüchtlingslagern, die sich Deutschland mit aller Kraft vom Leibe hält, würden deine Worte wie Hohn empfinden. Du hast es doch sonst so mit internationalen Vergleichen. Ich rede vom globalen Kapitalismus mit allen seinen schrecklichen Verwerfungen und nicht vom kuscheligen Wohlstands-Deutschland. Obwohls hier natürlich auch Altersarmut gibt. Ein Drittel künftiger Rentner wird von der Rente alleine nicht mehr leben können und muss Grundsicherung beantragen oder Flaschen sammeln. Der Niedriglohnsektor ist in D einfach zu groß seit Schröders Entsolidarisierungs-Aktion. Vor allem im Osten.
Ja. Denkt man erst mal. Ich habe vor ein zwei Jahren einen Bericht zum Problem "Zwangsweise Stromabschaltung" gehört. Demnach war dieses Problem "Stromabschaltung" vor allem und komischerweise ausgerechnet im reichen Baden-Württemberg vakant. MIch wundert das überhaupt nicht, Für mich ist das ganz logisch. In Vorpommern wird wesentlich weniger Menschen zwangsweise und wegen Bezahlschulden der Strom abgeschaltet. Warum. Weil man in BW einfach der Meinung ist, dass dieses und jenes nicht Luxus ist sondern zu dieser sogenannten "Grundversorgung" gehört.

Gegenwärtig wird Berlin von diesen "Querdenkern" besucht. Irgendwie meist Leute aus der Antroposophen- und Ernährungsstatlinistenszene in Stuttgart ... Ich fasse es zuweilen nicht. Ich werde noch zu einem "Schwabenhasser" obwohl ich selbst aus einer sogenannten "donauschwäbischen" Familie herkomme.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von BlueMonday »

Links scheint jedenfalls die Vorstellung zu sein, dass der Staat das "Soziale" zu lösen habe. Die ewige Klage an den Staat, mehr zu tun, mehr zu nehmen, um mehr zu geben, mehr umzuverteilen. Jede Mäßigung oder Rücknahme daran ein Affront.
"Versorgungsstaat von der Wiege bis zum Grab."
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Realist2014 »

BlueMonday hat geschrieben:(13 Dec 2020, 00:27)

Links scheint jedenfalls die Vorstellung zu sein, dass der Staat das "Soziale" zu lösen habe. Die ewige Klage an den Staat, mehr zu tun, mehr zu nehmen, um mehr zu geben, mehr umzuverteilen. Jede Mäßigung oder Rücknahme daran ein Affront.
"Versorgungsstaat von der Wiege bis zum Grab."

Daher auch die unermüdlichen Forderungen alles zu "verstaatlichen", was der "Daseinsvorsorge" dient...

also zurückdrängen der Marktwirtschaft und des Eigentums an den PM

Das größte Problem der Linken ist ihre Unfähigkeit, aus den Fakten & Ergebnissen der Vergangenheit bezüglicher derartiger "Versuche" zu lernen.

Ist wahrscheinlich irgendein Gendefekt.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Realist2014 »

3x schwarzer Kater hat geschrieben:(12 Dec 2020, 22:38)

War es nicht das unterste Quintil? Also 20%? Oder hat sich das geändert?
20% war Wunsch von "links", 15% war dann das Ergebnis- ich würde die untersten 5% nehmen....
Laut Aussage der linken Ideologen sind alle ökonomisch erfolgreichen dumm, und die wahre Intelligenz tritt sich in der untersten ökonomischen Etage auf die Füße.....daher muss diese Etage ausgebaut werden
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Sören74 »

Tom Bombadil hat geschrieben:(12 Dec 2020, 22:44)

Dank des globalen Kapitalismus ging es noch nie so vielen Menschen so gut wie heute. Natürlich mit Ausnahme der sozialistischen Experimente Venezuela, Kuba, Nordkorea. Denen geht es immer bescheidener.
Aus Sicht der Republikaner in den USA finden ja in Europa massenhaft sozialistische Experimente statt. ;)
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Sören74 »

BlueMonday hat geschrieben:(13 Dec 2020, 00:27)

Links scheint jedenfalls die Vorstellung zu sein, dass der Staat das "Soziale" zu lösen habe. Die ewige Klage an den Staat, mehr zu tun, mehr zu nehmen, um mehr zu geben, mehr umzuverteilen. Jede Mäßigung oder Rücknahme daran ein Affront.
"Versorgungsstaat von der Wiege bis zum Grab."
Schöne Parallele zur Corona-Pandemie. Nicht nur Linke haben die Vorstellung, dass der Staat alleine das Problem zu lösen habe. Diese Sichtweise bzw. Glaube an den Staat als Problemlöser hat mich in den letzten Monaten zugegeben recht überrascht.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(12 Dec 2020, 18:58)

Ja, Konsumverzicht ist ein Privileg hierzulande. Die Menschen in den Flüchtlingslagern, die sich Deutschland mit aller Kraft vom Leibe hält, würden deine Worte wie Hohn empfinden. Du hast es doch sonst so mit internationalen Vergleichen. Ich rede vom globalen Kapitalismus mit allen seinen schrecklichen Verwerfungen und nicht vom kuscheligen Wohlstands-Deutschland. Obwohls hier natürlich auch Altersarmut gibt. Ein Drittel künftiger Rentner wird von der Rente alleine nicht mehr leben können und muss Grundsicherung beantragen oder Flaschen sammeln. Der Niedriglohnsektor ist in D einfach zu groß seit Schröders Entsolidarisierungs-Aktion. Vor allem im Osten.
Es ist ja nichts Neues, dass Linke mit der Realität auf Kriegsfuß stehen und die sieht folgendermaßen aus:
die "schrecklichen Verwerfungen des globalen Kapitalismus" haben dazu geführt, dass die Armutsquote (und damit ist absolute Armut gemeint) von 35% in den Achtzigern auf 8,5% (2015) gesunken ist.
Solche Tatsachen werden beflissentlich ignoriert, ignoriert wird ebenfalls, dass die so genannten Flüchtlinge aus Zentralafrika (Subsahara) keinesfalls zu diesen absolut Armen gehören, gar nicht gehören können.
Die absolut Armen Afrikas können sich die mehreren Tausend US$ für die Schlepper gar nicht leisten.
Ein weiterer Denkfehler Linker besteht darin, zu ignorieren, dass Reichtum a) erwirtschaftet werden muss bevor er verteilt werden kann und b) dass dieser Reichtum (der den "Reichen" weggenommen soll) nur einmal verteilt werden kann.
Ist dieser Reichtum einmal verteilt, war's das, da gibt es keinen Nachschub mehr.
Was Linke ebenso (gerne) vergessen ist, dass der Reichtum, den sie so gerne verteilen wollen, NICHT in frei verfügbaren Geldmitteln zur Verfügung steht, sondern in Form von so genanntem Buchgeld (Aktien, Unternehmenswerten etcpp)
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

BlueMonday hat geschrieben:(12 Dec 2020, 18:34)

Also der eigentlich Unlgläubige ist der "Dumme", dem man eine Geschichte erzählt? Entweder macht man ihn dadurch zu einem willigen Gläubigen, der wegen einer Idee in den Krieg zieht. Oder es muss was anderes sein und er ist gar nicht der Dumme, dem man erst Geschichten erzählen muss. Sicherlich gibt es viele Motive. Der bezahlte Söldner steht vor den Toren Jerusalems dann wohl wegen seines Solds vor allem. Aber warum sollte man ihm einen Sold bezahlen, auf dass er sich durch die halbe Welt zu Fuß einem Kreuzzug nach Jerusalem anschließt? Für eine eigentlich wertlose Stadt in der wüsten Wüste, ein Ort, der seinen Wert gerade durch die Erzählung, den Mythos erhalten hat. Ein riesiger Aufwand für eine bloße Idee.
Oder "man" zwingt die Menschen zum Soldatentum. Aber dazu braucht man wiederum hinter jedem Soldaten einen Politruk. Aber wo kommt nun der Politruk her, was bewegt ihn? Oder man muss hinter dem Politruk noch einen Überzeugteren stellen. Man hangelt sich offenbar zu einer Idee zurück. Wie ist ein Krieg ohne Idee möglich? Wozu überhaupt einen Raumgewinn? Die Idee ist Begriff. Der Begriff ist nichts anderes als die Unterscheidung, ein Schnitt durch die Welt. Ohne diesen Schnitt ist alles einerlei. Es gäbe gar nichts zu erobern, keine Grenzen zu verschieben, weil es keine Grenzen gäbe.

Was ist denn die minimalste Ideologie? Die findet sich in jeder bewussten menschliche Handlung. Da gibt es ein Ziel, einen Zweck, einen Grund, also eine Idee. Dann folgt die Frage nach dem Mittel. In Dingen ein Mittel zu sehen ist wiederum Idee. Und dass das gewählte Mittel den Zweck bewirkt, ist die Vorstellung von Kausalität. Das Ganze nichts anderes als ein Ideensystem. Und Macht ist es, wenn die ganze Theorie tatsächlich funktioniert. Im sozialen Kontext ist das wesentliche Mittel eben die Sprache. Wie bringt man Menschen dazu, einen "Mundnasenschutz" aufzusetzen? Und warum? Dazu muss man eben eine glaubhafte Geschichte erzählen, die überzeugt, die Angst macht, die einen Nutzen verspricht, einen Grund erklärt usw. Allein der Begriff des "Schutzes" erzählt eine Geschichte.

Nun kann man unterstellen, dass eine bestimmte Idee nur eine vorgeschobene Idee ist, dass hinter der vermeintlichen Maskerade eine andere Idee steckt. Aber damit hat nun immer noch nicht die Idee aus dem Spiel geworfen und hängt nur einer Verschwörungsidee an. Sicherlich gibt es auch zahlreiche Trittbrettfahrer, die dann ihr Kapital schlagen aus einer etablierten Grundidee, die als Ideenkatalysatoren wirken, die etwas auch dramatisieren im eigenen Interesse. Aber überzeugen kann man nur effektiv, wenn man selbst überzeugt ist.
Himmler, die Posener Reden. Da sprich im "inner circle" der SS. Muss sich nicht verstellen, etwas vorgeben. Herbst 43. Der Krieg fortgeschritten. Eine gewisse "Pragmatik" wird ausweichlich. Aber er spricht immer noch voller Überzeugung von der nationalsozialistischen Sache, von der Idee der SS und vielen anderen Vorstellungen, von der Minderwertigkeit der Slawen, vom "Wlassow-Rummel", dass ein russischer Offizier kein Maßstab für einen deutschen sein kann usw. Ideen, Ideen, Ideen. Oder die letzten Interviews Honeckers, da spricht ein Überzeugter, der seine Idee immer noch lebendig wähnt.
Ein interessanter Beitrag, für den ich auch erstmal Zeit finden musste, um ihn in Ruhe zu lesen ...

Eine Atemschutzmaske zu tragen ist für mich so vernünftig wie mit dem Auto bei Rot an der Ampel stehenzubleiben. Ich brauche dafür keineswegs so etwas wie ein Ideensystem. Beides ist die Lösung einer Optimierungsaufgabe, die ich aber nicht erst durchrechnen muss, sondern die mir offensichtlich und instinktiv klar ist.

Ich muss zugeben, dass ich ganz subjektiv und persönlich von dieser Person Hannah Arendt zutiefst beeindruckt bin. Vor allem von ihrer konsequenten Weigerung gegen irgendeine Art von Herkunftsloyalität. Dennoch ist mir klar: Adolf Eichmann war kein bürokratischer Vollstrecker sondern ein antisemitischer Ideologe, ein Judenhasser aus Überzeugung. Da hat sich diese überaus kluge Frau einfach geirrt. Interessant ist nun, dass ihr Buch dennoch und noch immer solch einen Einfluss hat. Es wird meist mit dem Stichwort "Die Banalität des Bösen" erwähnt. Das war jedoch nur den Nebentitel. Der eigentliche Haupt-Titel war "Eichmann in Jerusalem". Viele Menschen ahnen einfach zurecht, dass mit dieser Formel "Die Banaliät des Bösen" ... also: Ideologien sind Erzählungen für die Dummköpfe ... eben doch genau die richtige geschichtsphilosophische Perspektive getroffen ist.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(12 Dec 2020, 18:58)

Ja, Konsumverzicht ist ein Privileg hierzulande. Die Menschen in den Flüchtlingslagern, die sich Deutschland mit aller Kraft vom Leibe hält, würden deine Worte wie Hohn empfinden. Du hast es doch sonst so mit internationalen Vergleichen. Ich rede vom globalen Kapitalismus mit allen seinen schrecklichen Verwerfungen und nicht vom kuscheligen Wohlstands-Deutschland. Obwohls hier natürlich auch Altersarmut gibt. Ein Drittel künftiger Rentner wird von der Rente alleine nicht mehr leben können und muss Grundsicherung beantragen oder Flaschen sammeln. Der Niedriglohnsektor ist in D einfach zu groß seit Schröders Entsolidarisierungs-Aktion. Vor allem im Osten.
Ja, der globale Kapitalismus hat vor allem einen unfassbaren Rückgang von Hunger und Elend gebracht. Frag mal heute einen Menschen zwischen 20 und 40 nach "Biafra". Einer von hundert weiß vielleicht etwas damit anzufangen. Von den größen Hungerkatastrophen der Menschheitsgeschichte in China um 1960 herum mal ganz abgesehen.

Aber wie schon geschrieben. Ich bin ja nicht blind. Und ich gehe eigentlich auch mit offenen Augen durch die Welt. Ich sehe die Obdachlosen in Berlin. Die Stadt Berlin ist ganz allgemein ein ziemlicher sozialer Brennpunkt. Hier kommt einiges zusammen. Ich kenne auch noch mal innerhalb von Berlin die sozialen Brennpunkte, Neukölln, Marzahn-Hellersdorf ganz genau. Ich weiß wirklich wie es zugeht. Vermutlich nirgendwo in Deutschland laufen soviel Flaschensammler und Mülltonnendurchsucher herum wie in Berlin.

Aber der Deutsche mit deutscher Staatsbürgerschaft ... ein Rentner hat das Recht auf Dinge wie Pflegestufen. Studenten kommen und mähen bei meinen Schwiegereltern den Rasen. Einfach so. Nicht weil sie das privat bezahlen. Sondern als staatliche Unterstützung. Deutschland, auch der Osten: Ein Paradies auf Erden. Und auch in Ländern in Mittelosteuropas herrscht das Paradies. Nur: Da muss man sich dieses Leben halt etwas mehr organisieren. Da musst Du schauen, dass deine Schwiegereltern halt ab und zu die Kinder nehmen. Du musst im Bügrermeisteramt mal ab und zu ein kleines Geschenk vorbeibringen. Du musst den Gasinstallateur bar bezahlen, damit die Rechnung vor dem Steueramt verborgen bleibt. Usw. Usf.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Mo 14. Dez 2020, 11:42, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Stoner »

schokoschendrezki hat geschrieben:(14 Dec 2020, 11:12)

Ein interessanter Beitrag, für den ich auch erstmal Zeit finden musste, um ihn in Ruhe zu lesen ...

Eine Atemschutzmaske zu tragen ist für mich so vernünftig wie mit dem Auto bei Rot an der Ampel stehenzubleiben. Ich brauche dafür keineswegs so etwas wie ein Ideensystem. Beides ist die Lösung einer Optimierungsaufgabe, die ich aber nicht erst durchrechnen muss, sondern die mir offensichtlich und instinktiv klar ist.

Ich muss zugeben, dass ich ganz subjektiv und persönlich von dieser Person Hannah Arendt zutiefst beeindruckt bin. Vor allem von ihrer konsequenten Weigerung gegen irgendeine Art von Herkunftsloyalität. Dennoch ist mir klar: Adolf Eichmann war kein bürokratischer Vollstrecker sondern ein antisemitischer Ideologe, ein Judenhasser aus Überzeugung. Da hat sich diese überaus kluge Frau einfach geirrt. Interessant ist nun, dass ihr Buch dennoch und noch immer solch einen Einfluss hat. Es wird meist mit dem Stichwort "Die Banalität des Bösen" erwähnt. Das war jedoch nur den Nebentitel. Der eigentliche Haupt-Titel war "Eichmann in Jerusalem". Viele Menschen ahnen einfach zurecht, dass mit dieser Formel "Die Banaliät des Bösen" ... also: Ideologien sind Erzählungen für die Dummköpfe ... eben doch genau die richtige geschichtsphilosophische Perspektive getroffen ist.
Nur so als kleine Anmerkung: Die Banalität des Bösen schließt für mich den Judenhasser und Ideologen nicht aus. Die Banalität des Bösen zeigt sich immer dann, wenn die Ideologen die Macht zu ihrer Umsetzung verloren haben und dann auf sich selbst zurückgeworfen vor dem jurisitischen oder moralischen "Gerichtshof" in der Öffentlichkeit stehen in ihrer ganzen personalen Erbärmlichkeit. Ich hatte ja auch schon den Mielke irgendwo verlinkt mit seinem "Ich liebe euch doch alle - alle Menschen ..." In dieser Erbärmlichkeit liegt die Banalität der meisten ihrer Macht beraubten "Monster".
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Stoner hat geschrieben:(14 Dec 2020, 11:42)

Nur so als kleine Anmerkung: Die Banalität des Bösen schließt für mich den Judenhasser und Ideologen nicht aus. Die Banalität des Bösen zeigt sich immer dann, wenn die Ideologen die Macht zu ihrer Umsetzung verloren haben und dann auf sich selbst zurückgeworfen vor dem jurisitischen oder moralischen "Gerichtshof" in der Öffentlichkeit stehen in ihrer ganzen personalen Erbärmlichkeit. Ich hatte ja auch schon den Mielke irgendwo verlinkt mit seinem "Ich liebe euch doch alle - alle Menschen ..." In dieser Erbärmlichkeit liegt die Banalität der meisten ihrer Macht beraubten "Monster".
Das betrifft jetzt die Sich auf konkrete Menschen.

Aber die vielleicht interessantere Frage ist doch: Von welchen Grundsätzen wird der Fortgang der realen politischen Entwicklung bestimmt. Putin zum Beispiel hat es mit bemerkenswerter Offenheit zugegeben: Die Krim-Annexion war schlicht und einfach das Ergebnis des Ergreifens einer historischen Gelegenheit. Welcher Ideologie soll man das zuschreiben -- außer der Ideologie, halt einfach ein Maximum an Macht und Einfluss zu gewinnen. Welcher Ideologie folgen Boris Johnson und die harten Brexitiers? Der Ideologie, UK wieder zu dem Ruhm und der Größe zu verhelfen, die sie mal Anfang des 20. Jahrhunderts hatten? Nee. Johnson will schlicht und einfach als glänzender Premier in die Geschichte eingehen. Deshalb werden die - realiter eigentlich eher unbedeutenden - Fischereirechte in den Vordergrund des politischen Handelns geschoben. Man muss sich doch da nix vormachen lassen.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(12 Dec 2020, 15:19)

Geschichte ereignet sich nicht, Geschichte wird gemacht. Sie ist ein fortwährender Prozess menschlichen Handelns, wobei der bewußte und gewollte Teil des Handelns auf Interessen und Überzeugungen beruht. Sofern diese Überzeugungen mehr als rein privater Natur und halbwegs konsistent sind, haben wir es mit Ideologien zu tun. Das heißt nicht, daß jede Herrschaft auf Ideologie beruht - ich wüßte nicht, für welche Ideologie z.B. ein Idi Amin stünde -, das heißt aber, daß Ideologien ernst zu nehmen sind, wenn man Geschichte und Gegenwart verstehen will.

Wer Ideologie ignoriert, wird sich dann halt wundern, daß er Trumps Politik bekommt, wenn er Trump wählt.
"Geschichte wird gemacht" ... das ist, du wirst Dich möglicherweise beim Schreiben dieses Beitrags nur nicht daran erinnert haben, ein Textzitat aus einem bekannten Song der deutschen Band Fehlfarben von Anfang der 80er Jahre. Interessanterweise wird und wurde "Es geht voran" von der medialen Öffentlichkeit als der eine große Hit der Band und vor allem als eine Art "Hausbesetzerhymne" angesehen während die Bandmitglieder selbst diesen Song am liebsten nicht auf ihrem Erfolgsalbum "Monarchie und Alltag" gehabt hätten. Zurecht. Denn hinter Passagen wie "Geschichte wird gemacht. Es geht voran" ... steckt nämlich nix. Außer völlig diffusen politischen irgendwie-Assoziationen. Peter Hein, Mitarbeiter bei Rank Xerox Düsseldorf, Fehlfarben, NDW, die 80er Jahre. Thatcher, Reagan. Natürlich das Gefühl, Geschichte werde irgendwo gemacht.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(14 Dec 2020, 11:35)

Ja, der globale Kapitalismus hat vor allem einen unfassbaren Rückgang von Hunger und Elend gebracht. Frag mal heute einen Menschen zwischen 20 und 40 nach "Biafra". Einer von hundert weiß vielleicht etwas damit anzufangen. Von den größen Hungerkatastrophen der Menschheitsgeschichte in China um 1960 herum mal ganz abgesehen.

Aber wie schon geschrieben. Ich bin ja nicht blind. Und ich gehe eigentlich auch mit offenen Augen durch die Welt. Ich sehe die Obdachlosen in Berlin. Die Stadt Berlin ist ganz allgemein ein ziemlicher sozialer Brennpunkt. Hier kommt einiges zusammen. Ich kenne auch noch mal innerhalb von Berlin die sozialen Brennpunkte, Neukölln, Marzahn-Hellersdorf ganz genau. Ich weiß wirklich wie es zugeht. Vermutlich nirgendwo in Deutschland laufen soviel Flaschensammler und Mülltonnendurchsucher herum wie in Berlin.

Aber der Deutsche mit deutscher Staatsbürgerschaft ... ein Rentner hat das Recht auf Dinge wie Pflegestufen. Studenten kommen und mähen bei meinen Schwiegereltern den Rasen. Einfach so. Nicht weil sie das privat bezahlen. Sondern als staatliche Unterstützung. Deutschland, auch der Osten: Ein Paradies auf Erden. Und auch in Ländern in Mittelosteuropas herrscht das Paradies. Nur: Da muss man sich dieses Leben halt etwas mehr organisieren. Da musst Du schauen, dass deine Schwiegereltern halt ab und zu die Kinder nehmen. Du musst im Bügrermeisteramt mal ab und zu ein kleines Geschenk vorbeibringen. Du musst den Gasinstallateur bar bezahlen, damit die Rechnung vor dem Steueramt verborgen bleibt. Usw. Usf.
Ich meinte eher solche Verwerfungen wie die der Flüchtlingslager. Moria 2 auf Lesbos ist da nur ein Beispiel. Überall auf der Welt gibt es solche Lager. In einigen herrschen noch schlimmere Zustände. Und die reichen Industrienationen, die nicht ganz unbeteiligt sind an Krieg und Krisen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, schauen passiv zu. Eine Schande. Gäbe es nicht solche tollen Einzel-Initiativen und Aktionen - wie hier beschrieben - würde nix passieren. Das ist wirklich zum Kotzen.

https://www.bistum-essen.de/pressemenue ... er-moria-2
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Selina »

Zur "Banalität des Bösen" fällt mir immer dieser "Beamten-Apparat" in den Konzentrationslagern der deutschen Nazis ein. Wie akribisch sie alle Brillen, Koffer, Schuhe, Jacken, Kleider, Hosen, einfache letzte Besitztümer ihrer Opfer registrierten und notierten. Furchtbar. Die Frauen, Männer und Kinder wurden vergast, erschlagen, erschossen, man ließ sie einfach verhungern und nahm an ihnen grausame medizinische Experimente vor. Aber zuerst musste alles noch erfasst, notiert und registriert werden. Das ist für mich im wahrsten Sinne des Wortes die "Banalität des Bösen".
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Realist2014 »

Selina hat geschrieben:(14 Dec 2020, 12:33)

Ich meinte eher solche Verwerfungen wie die der Flüchtlingslager. Moria 2 auf Lesbos ist da nur ein Beispiel. Überall auf der Welt gibt es solche Lager. In einigen herrschen noch schlimmere Zustände. Und die reichen Industrienationen, die nicht ganz unbeteiligt sind an Krieg und Krisen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, schauen passiv zu. Eine Schande. Gäbe es nicht solche tollen Einzel-Initiativen und Aktionen - wie hier beschrieben - würde nix passieren. Das ist wirklich zum Kotzen.

https://www.bistum-essen.de/pressemenue ... er-moria-2
Ändert alles nichts daran, dass durch den Kapitalismus die Situation auf diesem Planeten massiv besser geworden ist.
Was natürlich nicht bedeutet, das es noch weiteren Verbesserungsbedarf gibt.

Wobei das obige ja nichts mit "Kapitalismus" zu tun hat, sondern mit der Souveränität der Staaten...
Laut Aussage der linken Ideologen sind alle ökonomisch erfolgreichen dumm, und die wahre Intelligenz tritt sich in der untersten ökonomischen Etage auf die Füße.....daher muss diese Etage ausgebaut werden
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(14 Dec 2020, 12:33)

Ich meinte eher solche Verwerfungen wie die der Flüchtlingslager. Moria 2 auf Lesbos ist da nur ein Beispiel. Überall auf der Welt gibt es solche Lager. In einigen herrschen noch schlimmere Zustände. Und die reichen Industrienationen, die nicht ganz unbeteiligt sind an Krieg und Krisen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, schauen passiv zu. Eine Schande. Gäbe es nicht solche tollen Einzel-Initiativen und Aktionen - wie hier beschrieben - würde nix passieren. Das ist wirklich zum Kotzen.

https://www.bistum-essen.de/pressemenue ... er-moria-2
Die Frage in Bezug auf diesen Thread in diesem ZUsammenhang - wenn ichs richtig verstanden habe - lautet nun: Hat es diesen wirklichen, solidarischen und demokratischen Sozialismus nur noch nicht gegeben. Weil die Sozialisten sich einfach reihenweise als Autokraten entpuppten. Und das möglichst konkret. In Rumänien hat die PSD bei den Wahlen gerade erhebliche Verluste eingefahren. Die PSD kann man als links, konservativ, zum Teil sozialdemokratisch und zum Teil nationalistisch einschätzen. MIt einem erheblichen ANteil von sogenannten "Altkommunisten" in ihren Reihen. Aus dieser Richtung jedenfalls wird es kaum eine Initiative für eine Verbesserung der Lage der Flüchtenden geben.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Billie Holiday »

Selina hat geschrieben:(14 Dec 2020, 12:45)

Zur "Banalität des Bösen" fällt mir immer dieser "Beamten-Apparat" in den Konzentrationslagern der deutschen Nazis ein. Wie akribisch sie alle Brillen, Koffer, Schuhe, Jacken, Kleider, Hosen, einfache letzte Besitztümer ihrer Opfer registrierten und notierten. Furchtbar. Die Frauen, Männer und Kinder wurden vergast, erschlagen, erschossen, man ließ sie einfach verhungern und nahm an ihnen grausame medizinische Experimente vor. Aber zuerst musste alles noch erfasst, notiert und registriert werden. Das ist für mich im wahrsten Sinne des Wortes die "Banalität des Bösen".
Da du dich nicht im Geschichtsforum befindest, ist das wohl eine versteckte Unterstellung an heutige Beamte.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(14 Dec 2020, 12:54)

Die Frage in Bezug auf diesen Thread in diesem ZUsammenhang - wenn ichs richtig verstanden habe - lautet nun: Hat es diesen wirklichen, solidarischen und demokratischen Sozialismus nur noch nicht gegeben. Weil die Sozialisten sich einfach reihenweise als Autokraten entpuppten. Und das möglichst konkret. In Rumänien hat die PSD bei den Wahlen gerade erhebliche Verluste eingefahren. Die PSD kann man als links, konservativ, zum Teil sozialdemokratisch und zum Teil nationalistisch einschätzen. MIt einem erheblichen ANteil von sogenannten "Altkommunisten" in ihren Reihen. Aus dieser Richtung jedenfalls wird es kaum eine Initiative für eine Verbesserung der Lage der Flüchtenden geben.
Mit CDU, FDP und AfD aber erst recht nicht. Und ja, diesen demokratischen Sozialismus gab es noch nicht, stimmt. Ich möchte ja eure kleine heile deutsche Welt auch gar nicht stören. Und wenn es alles so toll ist mit dem Kapitalismus, wie ich hier erfahren darf, dann ist ja alles gut.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Selina »

Billie Holiday hat geschrieben:(14 Dec 2020, 13:01)

Da du dich nicht im Geschichtsforum befindest, ist das wohl eine versteckte Unterstellung an heutige Beamte.
Sag mal, gehts noch? Mit den heutigen Beamten hat meine Bemerkung nichts zu tun. Ich sprach von den deutschen Nazis, ihrer Gründlichkeit und Genauigkeit... selbst beim Morden. Eben von der "Banalität des Bösen".
Zuletzt geändert von Selina am Mo 14. Dez 2020, 13:13, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Realist2014 »

Selina hat geschrieben:(14 Dec 2020, 13:09)

Und wenn es alles so toll ist mit dem Kapitalismus, wie ich hier erfahren darf, dann ist ja alles gut.
Es wird alles kontinuierlich besser

Was es mit den Ansätzen, die du gerne hättest, niemals geworden ist und auch nicht werden würde
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Realist2014 hat geschrieben:(14 Dec 2020, 12:49)

Ändert alles nichts daran, dass durch den Kapitalismus die Situation auf diesem Planeten massiv besser geworden ist.
Was natürlich nicht bedeutet, das es noch weiteren Verbesserungsbedarf gibt.

Wobei das obige ja nichts mit "Kapitalismus" zu tun hat, sondern mit der Souveränität der Staaten...
Einen Großteil des Elends der Flüchtenden kann man ja auf die bekannten Konfliktherde der Welt zurückführen: Afghanistan, Syrien, Sudan, Äthiopen, Ex-Jugoslawien. Allesamt sind es Beispiele dafür, dass die politischen Entwicklungen nicht ideologiegetrieben sondern machtgetrieben und von Gelegenheitswahrnehmung geprägt sind. Bereits die sowjetische Invastion in Afghanistan hatte nix, aber auch gar nix mit der offiziell vertretenen KdDSU-Ideologie zu tun sondern mit der Sicherung internationaler Einflusssphären. Genau wie auch umgekehrt die amerikanische Unterstrützung der Mudjahedin-Kämpfer nix, absolut nix mit irgendeiner westlichen Freiheitsideologie zu tun hat. Für wen läutete die Freiheitsglocke in Westberlin, für wen sprach der Sprecher einer "freien Stimme der freien Welt" davon, dass er jedem Angriff auf die Freheit, so wahr ihm Gott helfe, eintreten werde. Für wen ereiferte sich die KpDSU im Namen von "Frieden, Freundschaft, Solidarität"? Na für die Dummköpfe natürlich. Was denn sonst!
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von naddy »

schokoschendrezki hat geschrieben:(14 Dec 2020, 11:12)

Ich muss zugeben, dass ich ganz subjektiv und persönlich von dieser Person Hannah Arendt zutiefst beeindruckt bin. Vor allem von ihrer konsequenten Weigerung gegen irgendeine Art von Herkunftsloyalität. Dennoch ist mir klar: Adolf Eichmann war kein bürokratischer Vollstrecker sondern ein antisemitischer Ideologe, ein Judenhasser aus Überzeugung. Da hat sich diese überaus kluge Frau einfach geirrt.
Ich komme zwar nicht in allen Punkten zu den gleichen Schlußfolgerungen wie Hannah Arendt, aber in einem hat sie sich nach meiner Auffassung definitiv nicht geirrt:

Das wirklich Erschreckende an Figuren wie Eichmann ist, daß sie von ihrem Erscheinungs- und Weltbild her eher an den Schrebergärtner von nebenan erinnern, als an typische Vorstellungen massenmordender Monster à la "Vlad, der Pfähler".

Ein spießbürgerlicher, manipulierbarer Bürokrat, der unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen zum Organisator des Massenmordes mutiert und das problemlos mit seiner Pflichtauffassung begründen und seinem Gewissen vereinbaren kann - das ist der wahre Horror.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von ThorsHamar »

naddy hat geschrieben:(14 Dec 2020, 13:17)

Ich komme zwar nicht in allen Punkten zu den gleichen Schlußfolgerungen wie Hannah Arendt, aber in einem hat sie sich nach meiner Auffassung definitiv nicht geirrt:

Das wirklich Erschreckende an Figuren wie Eichmann ist, daß sie von ihrem Erscheinungs- und Weltbild her eher an den Schrebergärtner von nebenan erinnern, als an typische Vorstellungen massenmordender Monster à la "Vlad, der Pfähler".

Ein spießbürgerlicher, manipulierbarer Bürokrat, der unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen zum Organisator des Massenmordes mutiert und das problemlos mit seiner Pflichtauffassung begründen und seinem Gewissen vereinbaren kann - das ist der wahre Horror.
So ist es.
Der Mechanismus dabei ist jedoch ebenfalls relativ banal zu erklären:
"Man" muss es schaffen, den "Feind" nicht mehr als Menschen zu begreifen, zu sehen, zu empfinden, sondern als Material, als Arbeitsgegenstand.
Da fallen sofort Soldaten ein, deren eigene Persönlichkeit durch Drill für eine solche Tötungsstrategie gebrochen werden muss, damit sie dann so funktionieren, Menschen effektiv zu töten.
Und wenn man das mal tatsächlich wirken lässt und weiter denkt, wird klar, wieviele Menschen in jeder Sekunde andere Menschen mit Nummern versehen und somit cool und bürokratisch über deren Leben oder Tod bestimmen.
Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft; wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Stoner »

Als typisch "links" würde ich auch die manichäische Dichotomie von Sozialismus (das Gute) und Kapitalismus (das Böse) bezeichnen.

Der Kapitalismus bietet nicht zwingend einen Rückschluss auf das Gesellschaftssystem eines Landes, der Sozialismus dagegen sehr wohl.

Festzustellen ist ferner, dass das Narrativ des "Proletariers" durch das Narrativ der Gruppenangehörigen irgendwelcher Minderheiten und/oder Flüchtlinge ersetzt worden ist. Teilweise sogar ausschließlich, sodass die Mehrheitsspielart des "Linksseins 2020" heute nicht mehr in der Vergesellschaftung der Produktionsmittel besteht, sondern in moralischen Abschöpfungsforderungen der im dämonisierten Kapitalismus erzielten Gewinne.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

ThorsHamar hat geschrieben:(14 Dec 2020, 13:28)

So ist es.
Der Mechanismus dabei ist jedoch ebenfalls relativ banal zu erklären:
"Man" muss es schaffen, den "Feind" nicht mehr als Menschen zu begreifen, zu sehen, zu empfinden, sondern als Material, als Arbeitsgegenstand.
Da fallen sofort Soldaten ein, deren eigene Persönlichkeit durch Drill für eine solche Tötungsstrategie gebrochen werden muss, damit sie dann so funktionieren, Menschen effektiv zu töten.
Und wenn man das mal tatsächlich wirken lässt und weiter denkt, wird klar, wieviele Menschen in jeder Sekunde andere Menschen mit Nummern versehen und somit cool und bürokratisch über deren Leben oder Tod bestimmen.
Man braucht sich nur einen der aktuellen Konflikte in der Welt heausgreifen. Nehmen wir den Ostukrainekonflikt. Wer wird da von wem für dumm verkauft. In Moskau herrscht ein neuer Zar und ein nach imperialer Herrschaft strebendes, auokratisches Regiment. In Kiew herrschen seit langem die Vertreter einer neuen Oligarchenklasse. Mit Begriffen wie "Heimat", "Patriotismus", "Muttersprache" und "Vaterland" opererieren beide Seiten. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Vertreter beider Seiten jeweils nicht selbst daran glauben würden. Die Logik des Konflikts folgt jedoch der Logik der Interessenswahrnehmung. Ich weiß immer nicht, ob mir die Leute, die im Einsatz für die Machtinteressen anderer von Heimat und Vaterland schwatzen oder sogar Tränen darüber vergießen ... ob sie mir leid tun sollen oder ob ich sie verachten soll.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Realist2014 »

Stoner hat geschrieben:(14 Dec 2020, 13:29)

A sodass die Mehrheitsspielart des "Linksseins 2020" heute nicht mehr in der Vergesellschaftung der Produktionsmittel besteht, sondern in moralischen Abschöpfungsforderungen der im dämonisierten Kapitalismus erzielten Gewinne.
Was in Anbetracht einer Lohnquote von 77% in D geradezu lächerlich ist...
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von ThorsHamar »

schokoschendrezki hat geschrieben:(14 Dec 2020, 13:42)

Man braucht sich nur einen der aktuellen Konflikte in der Welt heausgreifen. Nehmen wir den Ostukrainekonflikt. Wer wird da von wem für dumm verkauft. In Moskau herrscht ein neuer Zar und ein nach imperialer Herrschaft strebendes, auokratisches Regiment. In Kiew herrschen seit langem die Vertreter einer neuen Oligarchenklasse. Mit Begriffen wie "Heimat", "Patriotismus", "Muttersprache" und "Vaterland" opererieren beide Seiten. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Vertreter beider Seiten jeweils nicht selbst daran glauben würden. Die Logik des Konflikts folgt jedoch der Logik der Interessenswahrnehmung. Ich weiß immer nicht, ob mir die Leute, die im Einsatz für die Machtinteressen anderer von Heimat und Vaterland schwatzen oder sogar Tränen darüber vergießen ... ob sie mir leid tun sollen oder ob ich sie verachten soll.
das ist denen egal .... :cool:
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