Das kann ich gut nachvollziehen, denn so empfinde ich meinen Standpunkt auch. Allerdings gilt diese Selbsteinschätzung wohl auch für die Schreihälse auf der Straße wie die No-Covid-Verfechter hier in der Diskussion ;-)Marmelada hat geschrieben:(27 Jan 2022, 00:12)
(...) Ich müsste also Vertreterin der extremen Mitte sein.
(Kenn noch jemand den Radio-Klassiker? "Vorsicht, auf der A2 kommt ihnen ein Geisterfahrer entgegen." - "Einer? Hunderte!")
Dass dem ein oder anderen Landesfürsten oder Minister Dinge zu Kopf steigen, ist sicher nicht auszuschließen. Woran ich aber keinen Zweifel habe: Die teilweise Rechtsbeugung hat keinen Bestand über die Pandemie hinaus, sie hängt allein mit den Umständen zusammen.Marmelada hat geschrieben:(27 Jan 2022, 00:12)
Eine Agenda im Sinne einer Verschwörung wollte ich nicht andeuten. Eigendynamik trifft es gut. Allerdings noch in anderer Hinsicht als von dir beschrieben. Nach meinem Eindruck ist es Figuren wie Söder und Kretschmann zu Kopf gestiegen, ihre Machtgrenzen in Dimensionen auzutesten, die sich vor zwei Jahren noch kein Mensch vorstellen konnte. Grundrechtseinschränkungen sind plötzlich vermeintlicher Todesschutz und Gelegenheit macht Diebe. Das wiederum unter Geleitschutz der Medien. Nur die doofen Gerichte stören, Kretschmann hat es schon beklagt. Das sehe ich als eigendynamischen Prozess, mehr oder weniger unbewusst ablaufend und keinesfalls in einer Verschwörerunde abgesprochen.
Ich bin da auch durchaus geteilter Meinung: Einerseits ist für mich völlig unstrittig, dass viele Maßnahme rechtswidrig waren; teilweise wurden sie ja auch von Gerichten gekippt oder es wurde - wie vom Bundesverfassungsgericht bzgl. der Schul-Lockdowns - dass Maßnahmen im Kontext der Unklarheiten zu Beginn der Pandemie zu bewerten sind.
Ich bin sicher, dass die gerichtliche Prüfung sehr vieler Maßnahmen ergeben würde, dass sie unverhältnismäßig und/oder ungeeignet waren. Das sind aber keine Fragen, die einer gründlichen Prüfung bedarf, da müsste ein Gericht sich mit entsprechenden Studien (die auch gar nicht vorlagen, bzw. vorliegen ...) beschäftigen. Das ist eine Frage von Jahren, mindestens Monaten. Und die Zeit hat man in der Pandemie nicht. Die Gerichte haben für mein Empfinden aber sehr deutlich gemacht, dass sie sich auf dünnes Eis begeben und arge Zweifel haben - aber eben auch nicht die fachliche Kompetenz und Zeit, die Politik zurückzupfeiffen.
Also, insofern habe ich schon Verständnis dafür, dass Fehler gemacht und Grenzen überschritten wurden. Die Pandemie stellt eine Ausnahmesituation dar, mit der unsere Gesellschaft bsiher nicht konfrontiert war. Wer beim Bund war weiß noch: Feuer und Bewegung. Wer unter Beschuss liegt, muss die Stellung wechseln. In so einer Situation darf man falsche Entscheidung treffen, was nicht geht, ist gar keine Entscheidung zu treffen und den Gegner sich einschießen lassen. Kein Militärgefasel, sondern sehr gut auf jede Krisensituation übertragbar. Es musste gehandelt werden, es wurde gehandelt.
Was hier kollidiert, ist die antrainierte/anerzogene Unfähigkeit von Politikern, im Nachhinein Fehler einzuräumen. Hier sind wir wieder bei der Empathielosigkeit mit den Menschen, für die Covid (im Sinne schwerer Verläufe und Todesfällen) abstrakt geblieben ist, die Folgen der Gegenmaßnahmen aber täglich konkret spürbar, bis hin zu Existenzängsten und Depressionen.
Der viel kritisierte Spahn hat dazu früh in der Pandemie etwas Kluges gesagt: "Wir werden uns viel zu verziehen haben", was das Dilemma sehr gut beschreibt. Denn so oder so würde es Verluste geben.
Ich hatte an anderer Stelle auf einige Studien zum Thema Berichterstattung in den Medien verwiesen, falls es interessiert: https://www.politik-forum.eu/viewtopic. ... 0#p5148440Marmelada hat geschrieben:(27 Jan 2022, 00:12)
Womit du aber auch beschreibst, wie Medien durchaus aktivistisch tätig sind.
Zu der Intention/dem Dilmema der Journalisten sagt eine Studie der Rudolf-Augstein-Stiftung auf S. 55 etwas, was ich genau so interpretiert habe:
Hier stellt sich die Frage, wie weit der "Erziehungsanspruch" von Journalismus gehen darf - auch wenn das Ziel zweifellos ein hehres ist?"Dabei dürfte vielen Journalistinnen und Journalisten rasch klar geworden sein, dass sie in dieser Situation noch mehr als sonst nicht nur einfache Beobachter und Vermittler von Geschehnissen sein würden, sondern eine erhebliche Mitverantwortung für den weiteren Verlauf der Pandemie und deren Wahrnehmung tragen würden."
(siehe S. 55.: https://rudolf-augstein-stiftung.de/wp- ... iftung.pdf)