Julian hat geschrieben:(23 Jun 2019, 10:00)
Mir ging ein Licht auf, als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal eine amerikanische Zeitung las. So etwas hatte ich vorher noch nie gelesen! Es war ein Artikel, in dem berichtet wurde, was geschehen war und wer was dazu gesagt hatte. Das Bemühen um eine objektive, neutrale Berichterstattung ohne Präferenz einer ideologischen Richtung, ohne den Willen, zu belehren, war für mich erstaunlich.
Für die Zitate wurden neutrale Wörter verwendet, etwa so:
Mr. XY
said: "I do not believe that this is the right decision". Oder: Mr. XY
said that he did not believe this was the right decision. Also nicht etwa: Mr. XY "kritisierte"/ "polemisierte"/ "entgegnete"/ "betonte", sondern einfach nur: "sagte". Das wäre deutschen Journalisten viel zu langweilig.
Ihr Hinweis auf Menschenfeindlichkeit zeigt aber, dass es Ihnen um etwas anderes geht, eben nicht um Information, sondern um Erziehung und Belehrung. Und was Menschenfeindlichkeit ist, entscheidet die Bundesregierung oder das Politbüro? Nein danke.
Was Menschenfeindlichkeit ist, dafür gibt es allgemeinverbindliche Erklärungen. Zum Beispiel ist Rassismus Menschenfeindlichkeit. Oder Gewaltverherrlichung. Oder Bagatellisierung von Mord und Totschlag. Oder auch, mit körperlicher Gewalt auf Ansichten von politischen Gegnern zu reagieren. Frauen- und Behindertenfeindlichkeit ist Menschenfeindlichkeit und und und. Menschenfeindlich ist es auch, ganze Gruppen von Menschen wegen ihrer Herkunft oder ihrer religiösen Traditionen auszugrenzen und zu diffamieren.
Und was die Medien anbelangt: Es gibt keine "neutralen" Zeitungen und Sender, alle haben entsprechende politische Profile. Sie brauchen nur mal diverse große Blätter googeln, ob nun Welt oder Die Zeit oder FAZ oder Süddeutsche. Da kommt immer an einer bestimmten Stelle die Erklärung zum
Profil. Und diese Profile sind nun mal äußerst unterschiedlich. Deswegen haben diese Zeitungen auch unterschiedliche Leserkreise mit unterschiedlicher politischer Heimat. Berichterstattung und Kommentierung werden immer diesem Profil entsprechen. Was der eine Leser dann als ungerechtfertigte Kritik an der eigenen politischen Auffassung betrachtet, findet der andere gerade richtig so. Dazu gibt es nun mal die unterschiedlichen Profile. Alle Zeitungen ergeben in ihrer Gesamtheit dann ein buntes pluralistisches Bild. Und der Rezipient hat die Wahl. Er ist nicht gezwungen, dieses oder jenes Blatt, diesen oder jenen Sender zu konsumieren. Was er in der Regel ja auch nicht tut, zwangsweise etwas rezipieren.
Aber selbstverständlich gibt es ein paar journalistische Prinzipien. Objektivität gibt es dabei nie zu 100 Prozent, sondern es wird immer nur eine Annäherung an die Objektivität geben. Dabei spielt unter anderem auch der subjektive Faktor eine Rolle. Das können Sie gut testen, wenn sie mal in einer heterogenen Gruppe eine These in den Raum stellen und jeden Einzelnen auffordern, diese These mit den eigenen Worten wiederzugeben und dann auch noch zu kommentieren. Sie werden sehen, wie unterschiedlich das Ergebnis ist. 100 Prozent Objektivität wäre dann eine Zeitung ohne jegliches Profil, eine ohne Meinung, ohne politische Kommentierung. Und das gibt es nicht. Muss es auch nicht geben. Mal von der Gärtnerzeitung abgesehen. Aber selbst zur Gartenarbeit gibt es unterschiedliche Meinungen
Dennoch gibt es auch immer Dinge im Journalismus zu kritisieren. Das ist normal, läuft er doch in der Öffentlichkeit ab. Ich zum Beispiel kritisiere ständig die Tatsache, dass ziemlich oft nicht die Gegenseite gehört und zitiert wird. Das aber ist ein Grundprinzip im Journalismus: Immer die andere Seite auch hören und zitieren! Das hat was mit Ausgewogenheit, Wahrhaftigkeit und Überprüfbarkeit von Sachverhalten zu tun. Heute wird oft nur ein Umstand, Fakt, Sachverhalt in den Raum gestellt. Einer (zum Beispiel der Bundesaußenminister) kommentiert ihn bzw. sagt aus seiner Sicht was dazu und das wars dann auch. Aber gerade bei schwierigen politischen Sachverhalten, von denen unter Umständen die Sicherheit auf der Welt abhängt, gehört immer die Gegenseite dazu. Der kritisierten Seite
muss die Möglichkeit eingeräumt werden zu reagieren. Aber keine einzige Zeitung, auch nicht die rechtsnationalen Blätter, halten sich an dieses Prinzip. Achten Sie mal spaßenshalber darauf. Und so wird bei bestimmten Sachverhalten ein verzerrtes Bild entstehen, kein ausgewogenes. Ein sehr kritikwürdiger Zustand.
Was aber die Position der Neuen Rechten anbelangt, die ja sagt, die großen Blätter und Sender würden allesamt "lügen", "erziehen" wollen oder gar ein "Meinungsdiktat" ausüben, das ist natürlich Unfug. Es ist allerhöchstens eine
andere Meinung als die eigene, die man lesen und hören kann, aber keine "Erziehung". Im Übrigen ist es jedem Leser und Zuschauer erlaubt, sich an die Redaktionen mit seiner Kritik zu wenden. Die Online-Redaktionen vieler Zeitungen veröffentlichen häufig sehr konträre Meinungen. Das halte ich schon für sehr frei und demokratisch.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz