Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

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Platon
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von Platon »

Cem Dean hat geschrieben:(09 Apr 2021, 06:42)[...]

So ist vom Protokoll her der Eu-Ratspräsident einem Staatspräsidenten ebenbürtig,nicht aber die Eu-Kommissionspräsidentin.

Man beachte,dass dem türkischen Außenminister Cavusoglu ebenfalls ein Platz auf den Sofa zugewiesen wurde.
Wobei der türkische Außenminister nicht gleichwertig mit der Kommissionschefin ist. Es ist wohl tatsächlich eine offene Frage, wie sich die Ämter von Kommissionspräsident(in) und Ratspräsident verhalten. Das Amt des Ratspräsidenten gibt es auch erst seit 2009. Faktisch bildet man eine Doppelspitze mit unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen.
Der Präsident der Europäischen Kommission ist Vorsitzender der Europäischen Kommission. Er wird vom Europäischen Rat nominiert und durch das Europäische Parlament für fünf Jahre gewählt. Er gibt die Leitlinien der Kommissionsarbeit vor und soll für eine effektive und kollegiale Arbeitsorganisation der Kommission sorgen. Als Oberhaupt der Exekutive ist sein Amt mit dem eines Regierungschefs auf nationaler Ebene zu vergleichen. Derzeitige Amtsinhaberin ist Ursula von der Leyen. [...]
https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4s ... Kommission
Offen ist die Auswirkung des Präsidenten des Europäischen Rates auf die Stellung des Kommissionspräsidenten. Vergleicht man ihre Rollen mit denen in demokratischen Staaten, so weisen sie Ähnlichkeiten mit dem Verhältnis zwischen Staatsoberhaupt und Regierungschef auf (wobei auch der Europäische Rat als „kollektives Staatsoberhaupt“ begriffen werden kann). Es wird vielfach befürchtet, dass der Gemeinschaftscharakter der Europäischen Union durch die Doppelspitze gefährdet werde, auch wegen der fehlenden Legitimation des Präsidenten des Europäischen Rates durch das Europäische Parlament.[...]
https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4s ... chen_Rates

Von der Leyen gilt laut Wikipedia gleichwertig einem Regierungschef und man hat es womöglich so aufgefasst, dass Michel und Erdogan als Staatschefs Van der Leyen als Regierungschefin übergeordnet sind. Michel wird vom Europäischen Rat, d.h. den europäischen Staats- und Regierungschefs ernannt während von der Leyen von diesen vorgeschlagen und dann vom direkt gewählten europäischen Parlament gewählt/bestätigt wurde. Von der Leyen ist daher demokratisch besser legitimiert als Michel.

Ich vermute, dass es einfach blöd gelaufen ist und man nicht zu viel in die ganze Angelegenheit hineininterpretieren sollte.
Zuletzt geändert von Platon am Fr 9. Apr 2021, 15:11, insgesamt 1-mal geändert.
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Platon
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von Platon »

Der Vorgänger von Von der Leyen bestätigt, dass er als Kommissionspräsident als Nummer 2 der EU behandelt wurde und das protokollarisch so in Ordnung war:
[...]Yet Juncker said that when he travelled with the European Council presidents during his time at the helm of the Commission, it was “clear for everyone that, from a protocol point of view, the president of the Council is No. 1, and the president of the Commission is No. 2.”

“When I was traveling with [Donald] Tusk or [Herman] Van Rompuy, I always respected that protocol order,” Juncker told POLITICO in a phone interview, referring to the two former Council presidents. “Normally I had a chair next to the chair of the president of the Council, but sometimes it happened that I was sitting on a sofa.”

Nevertheless, the former Commission chief suggested that von der Leyen should have been treated differently.

“I think it would have been better to have her sitting at the same level” as Michel, “but from a protocol point of view the president of the Council is No. 1.”[...]
https://www.politico.eu/article/juncker ... -sofagate/
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Adam Smith
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von Adam Smith »

Platon hat geschrieben:(09 Apr 2021, 15:08)

Der Vorgänger von Von der Leyen bestätigt, dass er als Kommissionspräsident als Nummer 2 der EU behandelt wurde und das protokollarisch so in Ordnung war:

https://www.politico.eu/article/juncker ... -sofagate/
Die Sitzordnung ist egal. Wichtig ist, dass nicht nur 1 Nawalny im Gefängnis sitzt, sondern zig Richter, Journalisten und Politiker. Auch bedroht Erdogan alle Nachbarländer und hält Teile von Syrien besetzt. Erdogan rüstet so massiv auf, dass die Bevölkerung Probleme hat sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Dazu gibt es Eroberungsphantasien in Bezug auf Europa, Arabien und Zentralasien. In Bezug auf den Kaukasus und Teile der Ukraine natürlich auch. In Bezug auf China verhält sich Erdogan unterwürfig. Das sollte zu denken geben.
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Cem Dean
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von Cem Dean »

streicher hat geschrieben:(07 Apr 2021, 13:56)

Dann mal ein Zitat von Herrn Özdemir:
Sitzordnung bei Erdoğan sorgt für Kritik – von der Leyen muss aufs Sofa
Respekt holt man sich anders. Man kann dort anscheinend nicht so gut mit Frauen, die die erste Geige spielen.
3 Tage wurde in den Medien gehetzt und jetzt das.

Wie sich die EU auf der Weltbühne lächerlich macht
EU-Kommissionschefin von der Leyen wurde bei ihrem Türkeibesuch düpiert. Schuld war aber wohl nicht Gastgeber Erdoğan, sondern Ratspräsident Charles Michel. Szenen eines bizarren Machtkampfs.


https://www.spiegel.de/politik/ausland/ ... 0177062074
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von streicher »

Cem Dean hat geschrieben:(10 Apr 2021, 08:52)

3 Tage wurde in den Medien gehetzt und jetzt das.

Wie sich die EU auf der Weltbühne lächerlich macht
EU-Kommissionschefin von der Leyen wurde bei ihrem Türkeibesuch düpiert. Schuld war aber wohl nicht Gastgeber Erdoğan, sondern Ratspräsident Charles Michel. Szenen eines bizarren Machtkampfs.


https://www.spiegel.de/politik/ausland/ ... 0177062074
Gegendarstellung auch auf Spiegel. Leider hinter einer Bezahlschranke. Naja. Wir werden noch mehr davon lesen...
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von streicher »

Cem Dean hat geschrieben:(10 Apr 2021, 08:52)

3 Tage wurde in den Medien gehetzt und jetzt das.

Wie sich die EU auf der Weltbühne lächerlich macht
EU-Kommissionschefin von der Leyen wurde bei ihrem Türkeibesuch düpiert. Schuld war aber wohl nicht Gastgeber Erdoğan, sondern Ratspräsident Charles Michel. Szenen eines bizarren Machtkampfs.


https://www.spiegel.de/politik/ausland/ ... 0177062074
Michel hätte also protestieren sollen... So schreibt es welt.de
Im „Handelsblatt“ rechtfertigte sich Michel erneut. „Meine Befürchtung war, dass ich, wenn ich in irgendeiner Weise reagiert hätte, einen viel schwerwiegenderen Vorfall ausgelöst hätte“, sagte er. Bereits am Mittwoch hatte Michel der „herabgesetzten Behandlung“ von der Leyens in Ankara einen „bedauerlichen Charakter“ attestiert. Die türkische Regierung wies die Kritik als „unfair“ zurück und machte ihrerseits die EU für den Vorfall verantwortlich. Die Sitzordnung sei „in Übereinstimmung mit dem Vorschlag der EU“ festgelegt worden, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu.
„Wenn es möglich wäre, würde ich zurückreisen und die Sache reparieren“
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von Vongole »

streicher hat geschrieben:(10 Apr 2021, 16:07)

Michel hätte also protestieren sollen... So schreibt es welt.de

„Wenn es möglich wäre, würde ich zurückreisen und die Sache reparieren“
Michel hätte die unverschämte Provokation Erdogans einfach aus der Welt schaffen können, indem er, vielleicht begleitet von einer leicht süffisanten Bemerkung, den Platz mit vdL getauscht hätte.
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von olli »

Wer will denn freiwillig neben VdL sitzen ? Irgendwo muss man ihn auch verstehen.
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Vongole
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von Vongole »

olli hat geschrieben:(10 Apr 2021, 16:47)

Wer will denn freiwillig neben VdL sitzen ? Irgendwo muss man ihn auch verstehen.
Da wird sich Erdogan aber freuen, in dir so einen netten Verbündeten gefunden zu haben.
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von Adam Smith »

Vongole hat geschrieben:(10 Apr 2021, 16:55)

Da wird sich Erdogan aber freuen, in dir so einen netten Verbündeten gefunden zu haben.
Ich mag Erdogan nicht besonders. So wie es aussieht war es die EU selber schuld.
Das ist Kapitalismus:

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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von olli »

Vongole hat geschrieben:(10 Apr 2021, 16:55)

Da wird sich Erdogan aber freuen, in dir so einen netten Verbündeten gefunden zu haben.
Oh je, jetzt soll ich also ein Verbündeter des Kalifen vom Bosporus sein, nur weil ich ein gewisses Verständnis dafür habe sich nicht neben diese Person setzen zu wollen ? Großes Kino :rolleyes:
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von JJazzGold »

Vongole hat geschrieben:(10 Apr 2021, 16:40)

Michel hätte die unverschämte Provokation Erdogans einfach aus der Welt schaffen können, indem er, vielleicht begleitet von einer leicht süffisanten Bemerkung, den Platz mit vdL getauscht hätte.
Frau von der Leyens Stimme trägt sicher auch über die Distanz vom Sofa bis zu den Sesseln.
Wenn keiner weiß, wie er sich verhalten soll, dann macht man das Beste aus der Situation und konzentriert sich auf die anstehenden Themen. Wenn ich dieses seit Tagen andauernde Gequake wer was wie hätte tun sollen, davor, dabei, danach, dann nimmt die Form zu viel Raum ein und der Inhalt zu wenig.
Bei solch archaisch geprägten Typen wie Erdogan und Putin muss Frau darauf gefasst sein, in deren Hirn nur als unbedeutende, leicht einzuschüchtern Randfigur wahrgenommen zu werden. Es liegt an der betroffenen Frau dieses Bild nachhaltig zu korrigieren, nicht an den sie begleitenden Männern. Dass Frau von der Leyen das beherrscht, daran habe ich keinen Zweifel.
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von Kohlhaas »

JJazzGold hat geschrieben:(11 Apr 2021, 07:48)

Frau von der Leyens Stimme trägt sicher auch über die Distanz vom Sofa bis zu den Sesseln.
Wenn keiner weiß, wie er sich verhalten soll, dann macht man das Beste aus der Situation und konzentriert sich auf die anstehenden Themen. Wenn ich dieses seit Tagen andauernde Gequake wer was wie hätte tun sollen, davor, dabei, danach, dann nimmt die Form zu viel Raum ein und der Inhalt zu wenig.
Bei solch archaisch geprägten Typen wie Erdogan und Putin muss Frau darauf gefasst sein, in deren Hirn nur als unbedeutende, leicht einzuschüchtern Randfigur wahrgenommen zu werden. Es liegt an der betroffenen Frau dieses Bild nachhaltig zu korrigieren, nicht an den sie begleitenden Männern. Dass Frau von der Leyen das beherrscht, daran habe ich keinen Zweifel.
Sie hat sich schon richtig verhalten. Sie hat ihrem Unmut und ihrer Verwunderung Ausdruck verliehen und dann auf einen "Eklat" verzichtet. Das war professionell. Es ist aber auch vollkommen korrekt, dass dem Herrn Erdogan im Nachgang zu dieser Aktion deutlich gemacht werden muss, dass er so nicht mit Spitzenvertretern der EU umgehen darf. Im Kontakt mit der EU neigt Erdogan dazu, immer wieder kleine provokative Nadelstiche zu setzen. So wird das nichts mit der "Annäherung", die er angeblich will. Dieses Verhalten versaut die Stimmung zwischen den Parteien.
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von King Kong 2006 »

Die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern dürfte wohl dem Verhältnis der Türkei zum Westen auch nicht gut bekommen sein.
Biden hatte am Samstag als erster US-Präsident die Einstufung als Genozid vorgenommen. "Wir gedenken all derer, die im Völkermord an den Armeniern während der Zeit der Osmanen gestorben sind", erklärte er zum 106. Jahrestag der Massaker. Der US-Präsident betonte, es handele sich um die Bestätigung einer historischen Tatsache und gehe nicht darum, der Türkei "Vorwürfe zu machen".

Mit der Einbestellung von David Satterfield bringe das türkische Außenministerium seinen Protest gegen Bidens Äußerungen vom Samstag zum Ausdruck, berichtete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Bidens Äußerungen hätten "eine Wunde" in die Beziehungen beider Länder geschlagen, "die schwer wieder gut zu machen" sei, kritisierte das Ministerium in Ankara laut Anadolu.

https://www.tagesschau.de/ausland/asien ... d-103.html
Wenn man zuviel weiß, wird es immer schwieriger, einfache Entscheidungen zu treffen.
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von Kohlhaas »

King Kong 2006 hat geschrieben:(25 Apr 2021, 12:55)

Die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern dürfte wohl dem Verhältnis der Türkei zum Westen auch nicht gut bekommen sein.
Mir ist eigentlich nicht klar, warum die Türkei auf dieses Thema derart sauer reagiert. Die Anerkennung des Völkermords duch den Bundestag war ja seinerzeit schon der Grund dafür, dass das traditionell freundschaftliche Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei schwer beschädigt wurde. Jetzt im Falle der USA sieht das anders aus. Da herrscht in den Beziehungen ohnehin schon eine Eiszeit. Trump hat das in der für ihn typischen Bewunderung für Autokraten und Diktatoren noch ein bisschen gedämpft, aber Biden ist ein anderes Kaliber. Eigentlich müsste Erdogan jetzt langsam zur Kenntnis nehmen, dass es ihm nicht nutzt, wenn er sich wegen dieses Themas so aufplustert. Mit Deutschland konnte er das machen, zu seinem eigenen Schaden. Mit den USA kann er das nicht. Biden pfeift offensichtlich darauf, ob Erdogan ihn mag.
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King Kong 2006
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von King Kong 2006 »

Kohlhaas hat geschrieben:(25 Apr 2021, 13:34)

Mir ist eigentlich nicht klar, warum die Türkei auf dieses Thema derart sauer reagiert. Die Anerkennung des Völkermords duch den Bundestag war ja seinerzeit schon der Grund dafür, dass das traditionell freundschaftliche Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei schwer beschädigt wurde. Jetzt im Falle der USA sieht das anders aus. Da herrscht in den Beziehungen ohnehin schon eine Eiszeit. Trump hat das in der für ihn typischen Bewunderung für Autokraten und Diktatoren noch ein bisschen gedämpft, aber Biden ist ein anderes Kaliber. Eigentlich müsste Erdogan jetzt langsam zur Kenntnis nehmen, dass es ihm nicht nutzt, wenn er sich wegen dieses Themas so aufplustert. Mit Deutschland konnte er das machen, zu seinem eigenen Schaden. Mit den USA kann er das nicht. Biden pfeift offensichtlich darauf, ob Erdogan ihn mag.
Das hat vermutlich mit der Gründung der Türkei zu tun. Das osmanische Reich verlor nicht nur im 1.Weltkrieg, es zerbrach und hörte auf zu existieren. Da wurden viele äußere, wie innere Feinde erkannt. Auch die Armenier.

Aus der Wahrnehmung von inneren und äußeren Feinden "komplett zerlegt zu werden", quasi von der Landkarte gefegt zu werden wurde ein Narrativ. Die neue Türkei fusste grundlegend auf Ethnie und Sprache, der Nationalismus als Kit (Pakistans Staatsgründung eher auf die Religion, Israels Religion/Ethnie).

Wenn jetzt jemand kommt und die "Verteidigung" gegen von der Landkarte gefegt zu werden als Völkermord und Unterdrückung bezeichnet und das durch jahrzehntelange, nationalistische Schulung und Gründungsmythos, dann geht die Hutschnur hoch.

Wenn jemand den Gründungsmythos der USA oder eines anderen amerikanischen Landes auf den Knochen und Stämmen der indigenen Völker erwähnt, würde Washington oder eine andere Hauptstadt auch nicht gerade vor Begeisterung platzen. Auf jedenfall ein heißes Eisen.
Wenn man zuviel weiß, wird es immer schwieriger, einfache Entscheidungen zu treffen.
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von Kohlhaas »

King Kong 2006 hat geschrieben:(25 Apr 2021, 16:19)

Das hat vermutlich mit der Gründung der Türkei zu tun. Das osmanische Reich verlor nicht nur im 1.Weltkrieg, es zerbrach und hörte auf zu existieren. Da wurden viele äußere, wie innere Feinde erkannt. Auch die Armenier.

Aus der Wahrnehmung von inneren und äußeren Feinden "komplett zerlegt zu werden", quasi von der Landkarte gefegt zu werden wurde ein Narrativ. Die neue Türkei fusste grundlegend auf Ethnie und Sprache, der Nationalismus als Kit (Pakistans Staatsgründung eher auf die Religion, Israels Religion/Ethnie).

Wenn jetzt jemand kommt und die "Verteidigung" gegen von der Landkarte gefegt zu werden als Völkermord und Unterdrückung bezeichnet und das durch jahrzehntelange, nationalistische Schulung und Gründungsmythos, dann geht die Hutschnur hoch.

Wenn jemand den Gründungsmythos der USA oder eines anderen amerikanischen Landes auf den Knochen und Stämmen der indigenen Völker erwähnt, würde Washington oder eine andere Hauptstadt auch nicht gerade vor Begeisterung platzen. Auf jedenfall ein heißes Eisen.
Ja, sicher. Auch Österreich-Ungarn --- bis dahin eine der beherrschenden Großmächte Europas --- ist nach dem Ersten Weltkrieg zerbrochen. Und? Das ist alles mehr als hundert Jahre her! Warum macht sich ein Möchtegern-Sultan deshalb heute noch in den Frack? Weshalb sind diese Ereignisse, die vor mehr als hundert Jahren stattgefunden haben, heute noch so wichtig, dass Erdogan deswegen ein aktuelles Bündnissystem infrage stellt? Glaubst Du, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA dermaßen abkacken würden, wenn Deutschland den USA einen Völkermord an den Indianern vorwerfen würde? Ist das nicht schon passiert? Keine Ahnung. Es geht hier um Ereignisse, die viele Jahre her sind. Muss man sich deshalb so aufplustern? Ist doch alles längst vorbei. Das ist kein "heißes Eisen" mehr. Schon lange nicht mehr. Warum also der Aufstand?

Ich kann es nicht nachvollziehen. Aber meine Meinung interessiert da ja auch niemanden. Entscheidend ist die Meinung von Joe Biden. Und der hat mit seiner Äußerung gerade unmissverständlich klar gemacht, dass es ihm wurschtegal ist, was der neue Sultan der Türkei gern hätte. Nun darf Erdo darüber nachdenken, ob er noch ein bisschen weiter plustern oder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren will. Sein Gepluster hat jedenfalls ausschließlich innenpolitische Gründe. Er will sich aufspielen als großer Führer, der selbst den USA trotz. In den USA interssiert das keinen toten Hund. Klüger wäre es gewesen, wenn Erdogan einfach die Fresse gehalten hätte. Dann hätte in der Türkei kaum jemand mitgekriegt, was Biden so gesagt hat. Aber die türkische "Ehre" lässt es ja offensichtlich nicht zu, einen begangenen Völkermord einzuräumen. Nichtmal nach mehr als 100 Jahren.
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Re: Die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges - Vorderasien statt EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Oh, oh! Erdogan versucht, in der Türkei die Prohibition einzuführen. Das könnte sich als fataler Fehler erweisen. Viele Menschen bleiben ruhig, wenn man ihnen ihre Grundrechte entzieht. Aber wenn ihnen jemand ihre Drogen wegnehmen will, werden sie leicht mal ungehalten ;-)

https://www.merkur.de/welt/coronavirus- ... 77146.html
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