Letzter_Hippie hat geschrieben:(19 Sep 2018, 23:30)
Betrachtet man die demokratische Regierungsbildung (in Deutschland, wie auch in vielen anderen Ländern), dann wird diese durch Parteien getragen. Diese haben unterschiedliche Profile und Kerninhalte, die man alle historisch gut nachvollziehen kann, und die auch berechtigt und valide sind.
1. Konservative Werte: CDU/CSU
Hier kenne ich die genaue historische Herkunft zwar nicht, aber das Profil zielt auf Erhalt von traditionellen Gesellschaftsstrukturen. Das ist schon deshalb ein wichtiges Anliegen, weil der Mensch mit allzuviel Veränderung schlecht umgehen kann, weil dann Unsicherheit und Zukunftsängste entstehen, und man letztlich nicht mehr weiss was man an seine Kinder weitergeben kann. Oder einfach gesagt: wenn man morgens aufsteht, möchte man, dass der Bäcker immer noch da ist wo er gestern war, immer noch Semmeln verkauft, und man die immer noch bezahlen kann.
2. Sozialstaat: SPD
Das Profil dieser Partei ist wohl v.a. aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen, als Folge der industriellen Revolution. Da wurde der Arbeiter zunächst als ein praktisch austauschbares und weitgehend recht- und schutzloses Subjekt angesehen, und entsprechend war es richtig und wichtig, dass die Betroffenen sich zusammenschlossen und sich auf der politischen Ebene für angemessene soziale Sicherheit einsetzten.
3. Liberale: FDP
Die Kernidee ist hier die möglichst freie Entfaltung des Individuums. Menschen sind individuell verschieden, und gerade das macht den Wert jedes Einzelnen aus. Entsprechend wichtig ist es, dass man seine persönlichen Interessen auch verwirklichen kann. Es ist zwar nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, der dabei eigene Wege beschreiten und sein Leben ganz in eigene Verantwortung nehmen will, aber gerade dieser Teil ist es, der Neuland beschreitet und Fortschritt bringt; ohne ihn gäbe es keine gesellschaftliche Weiterentwicklung.
4. Ökologie: GRÜNE
Diese politische Richtung ist relativ neu, ich vermute, ihre ideelle Wurzel liegt nicht unmaßgeblich
in diesem bekannten Bild, Während die vorgenannten Gruppen die verschiedenen Interessen des
Menschen im Blick haben, wurde hier erstmals plastisch sichtbar, dass die Erde als ganzes ein geschlosses System ist, und daher auch, über den Menschen hinausgreifend, als ganzes betrachtet werden muss.
Wir haben hier also vier verschiedene Facetten, verschiedene Blickwinkel auf das gesellschaftliche Leben, von denen jeder für sich vollkommen berechtigt ist, jeder für sich sogar notwendig ist, denn würde man einen davon komplett weglassen, dann würde die Gesellschaft Schaden nehmen.
Man kann auch das umgekehrte Gedankenexperiment machen und schauen was passiert wenn einer der Blickwinkel stark überbewertet und die anderen unterdrückt werden:
1. Konservativ: Erstarrung in Traditionen, kein Fortschritt, Unterdrückung von Abweichlern.
2. Sozialistisch: Gleichschaltung der Menschen, Enteignung von Unternehmern, Einförmigkeit von Kreativität und Kultur.
3. Liberalismus: Rücksichtslosigkeit, Egoismus, Schwächere fallen zum Opfer.
4. Ökologisch: Idee ist noch zu jung, um die Negativausprägungen klar auszumachen, es düfte aber in Richtung einer Über-Verwaltung zeigen, die den Lebensstil des Einzelnen beschränkt und sozialistische Züge annehmen könnte.
Das sind soweit alles keine Neuigkeiten, das ist alles allgemein bekannt; und das Ergebnis davon ist einfach, dass alle vier Aspekte gewürdigt und fair gewichtet werden müssen, um eine sinnvolle Gesellschaft zu bekommen.
Eine solche faire Gewichtung sollte dann durch demokratische Wahlen auch erreicht werden, indem die Bürger gemäß ihrer aktuellen Befindlichkeit die Schwerpunkte setzen.
Bis hierhin sieht alles ganz prima aus, aber jetzt kommt der entscheidende Mangel: um dann eine Regierung zu bilden, dürfen die vier Blickwinkel gerade nicht kooperativ zusammenarbeiten, sondern müssen
gegeneinander sein.
Daraus folgt:
1. Jede Partei muss Lösungen für das
gesamte Spektrum gesellschaftlicher Fragen anbieten, anstatt sich auf ihre Expertise in ihrem eigenen und berechtigten Anliegen zu konzentrieren.
2. Wer sich politisch aktiv einbringen möchte, muss sich für eine der vier Richtungen entscheiden, und muss sich damit notwendig gegen die anderen drei Richtungen entscheiden und deren berechtigte Anliegen geringer werten. (Wäre dem nicht so, dann hätte ich mich schon längst politisch engagiert, aber unter diesen Umständen ist das aus meiner Weltanschauung heraus schlicht unmöglich. Leider.)
3. Aufgrund des erforderten GEGENeinanders müssen dann für konkrete Lösungen in sehr reibungsintensiver Weise Kompromisse erarbeitet werden, anstatt eine konstruktive Ergänzung zu suchen. Es ist wichtiger, sich gegenüber dem anderen Anliegen zu profilieren, anstatt in konstruktiver Ergänzung das beste aus beiden zu kombinieren.
4. Das führt dazu, dass die ganze Politik zu einem "schmutzigen Geschäft" wird - zu einer von Gegnerschaft und Rivialität geprägten Arena, in der es oft eher darum geht, den Gegenüber "in die Pfanne zu hauen", als Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen.
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Mich interessiert nun, wie Ihr, soweit Ihr Euch politisch engagiert, mit diesem Problem praktisch umgeht, ob Ihr es vielleicht auch ganz anders seht oder ich einen Denkfehler mache. Und vielleicht gibt es ja auch Ideen, wie man das ganze besser lösen könnte, mit weniger Reibungsverlusten und mehr Nutzen für die Gesellschaft?