LiberalKonservativ hat geschrieben:(30 May 2018, 16:21)
Hi, bin neu in diesem Forum, und sehe es eher wie Orbiter. In meinen Augen sollte man mal zwei, drei Schritte zurück gehen und sich fragen, was das "europäische Projekt" überhaupt ist. Ist die "europäische Idee" Rechtsstaat, Demokratie und der Friede sowie die freundschaftliche Kooperation zwischen den europäischen Völkern? Damit sind Konstrukte und Institutionen wie EU und Euro nichts anderes als Werkzeuge, die helfen sollten, diese Idee zu realisieren.
Oder sind die Konstrukte/Institutionen EU, Euro, United States of Europe selbst die "europäische Idee" und somit ihrer selbst Willen das Ziel?
Ich tendiere da sehr stark zur ersten Interpretation. Somit sind für mich weder der Euro, noch die EU "alternativlos" wie gerne behauptet wird. Im Gegenteil, es ist evident, dass v.a. durch die gemeinsame Währung unterschiedliche Systeme zusammenpresst wurden, was zu erhebliche Fliehkräfte führte und bereits für etliche Zwietracht zwischen den Völkern sorgte. Daher muss die Frage erlaubt sein, ob der Euro überhaupt das richtige Werkzeug ist, um die "europäische Idee" voranzubringen. Selbiges gilt in meinen Augen für die "ever closer union" mit dem lange nicht offiziell ausgesprochenen Ziel der United States of Europe.
In Medien und Politik kommt es mir immer öfter vor, als hätte man die Institutionen und Konstrukte zum eigentlichen "europäischen Projekt" erklärt und als Ziel nicht den Frieden zwischen europäischen Völkern sondern ein neues "europäisches Volk" zu schaffen. Ich für meinen Teil sehe nicht, weshalb die Nationalstaaten "überwunden" werden müssten. Die Zukunft gehört in meinen Augen immer noch ihnen.
Das 19. und 20. Jahrhundert haben gelehrt, daß Nationen keine Freundschaften pflegen, sondern Interessen haben, zu deren Durchsetzung sie sich wechselnd verbünden und unterwerfen. Wie soll denn ein Portugiese mit einem Finnen Freundschaft pflegen. Im persönlichen Einzelfall geht so etwas, aber doch nicht mit ganzen Nationen.
Schon innerhalb der EU versuchen etliche Partner, "ohne Rücksicht auf Verwandte" ihre Interessen durch zu setzen, indem sie geschlossene Verträge mutwillig und gegen Bitten und Ermahnungen aus der Gemeinschaft heraus brechen. Dazu verbünden sie sich nach bewährtem Muster. Diese Vorgehensweise war so in der Gründungsakte und der stetigen Entwicklung der westeuropäischen EG, EWG, EU überhaupt nicht denkbar. Nun stehen wir vor dem Scherbenhaufen, daß als Vorleistung auf die sich stetig vertiefende Zusammenarbeit gewährte solidarische Vorteile und Vergünstigungen gern einkassiert werden, die offenen Grenzen natürlich auch, das freie Niederlassungsrecht und die Freiheit, überall Dienstleistungen zu erbringen desgleichen... alles Dinge, die zu einem gemeinsamen Staat gehören. Mir ist klar, daß Vertragsverletzungen eine ganz schlimme Sache sind: Auf diese Partner ist kein Verlaß.
Dann bin ich durchaus der Meinung, daß sämtliche Vorteile der Mitgliedschaft in der EU aufgekündigt werden, um sie neu unter gleichgesinnten Partnern zu verhandeln. Ich erkenne die Notwendigkeit nicht, mit Partnern zusammen zu arbeiten, die die Rosinen aus dem fertigen Kuchen picken, aber ansonsten nichts beitragen dazu, daß es den Kuchen überhaupt gibt, und sie zu Lasten der Gemeinschaft eigene Interessen verfolgen.
Das europäische Projekt ist und bleibt eine staatenähnliche Gemeinschaft von Nationen, die wesentliche Teile ihrer Hoheitsrechte auf die Gemeinschaft übertragen haben. Dieser Prozeß soll auch völlig freiwillig ablaufen; dabei geht es langsam voran, weil in vielen oder gar allen Fragen Einigkeit hergestellt werden muß, ob nun großer Partnerstaat oder Kleinstaat. Aber niemand hat das Recht, sowohl Partner als auch Verhinderer dieses Prozesses zu sein.
Gut möglich, daß die Greuel des letzten Weltkriegs in Europa in Vergessenheit geraten sind. Diese schreckliche Erfahrung war aber der Ausgangspunkt, jetzt endlich Ernst zu machen mit dem europäischen Projekt. Erste Ansätze gab es schon nach dem 1. Weltkrieg, aber da waren Wut und Haß noch so tief verwurzelt, daß der nationale Weg den grausigen Sieg errang. Und nun fangen wir in Europa wieder so an? Von allen guten Geistern verlassen?
Die Grundlage eines friedlichen und gedeihlichen Zusammenlebens ist eine gemeinsam verabschiedete Rechtsordnung, an die sich alle Beteiligten ausnahmslos zu halten haben. Wer diese gemeinsame Ordnung nicht anerkennt und einhält, der spaltet die Gemeinschaft. Nur mit einer solchen Rechtsordnung können Portugiesen und Finnen, Zyprer und Iren verläßlich und auf Dauer zusammen arbeiten. Das 19. und 20. Jahrhundert müssen wir hier nicht wieder aufleben lassen.