Julian hat geschrieben:(18 Nov 2017, 12:08)
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Wird eine Transferunion gewünscht? Diese Frage wurde nie gestellt, doch wir bewegen uns mit großen Schritten eben darauf zu. Das heißt, dass italienische Rentner, spanische Arbeitslose und griechische Patienten letztlich von deutschen Steuer- und Beitragszahlern mitfinanziert werden, ob nun direkt und offen oder indirekt und verdeckt.
Man kann gerne darüber diskutieren, ob das gewünscht wird oder nicht; es ist eine legitime Frage. Wenn wir uns auf einen europäischen Bundesstaat zubewegen, ist es unausweichlich. Ich habe lediglich den Eindruck, dass unsere Sozial- und Steuersysteme und auch die damit einhergehende Mentalität zu verschieden sind, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt.
Es gibt eben große Unterschiede in der Steuermoral, in der Effizienz der öffentlichen Verwaltung, im Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat, gerade im Vergleich von Nord- und Südeuropa. Ich sehe große Konflikte auf uns zukommen, wenn hier eine abgehobene Elite die Integration weiter vorantreibt, ohne den Bürgern reinen Wein einzuschenken und sie nach ihrer Meinung zu fragen.
... Dennoch: Die sichtbare Armut hat meiner Meinung nach zugenommen. Mir ist früher nie aufgefallen, welche verhärmten Gestalten auf den Straßen rumlaufen.
Wenn wir unser europäisches Projekt voran bringen wollen, dann sind Ausgleichszahlungen von wohlhabenden Regionen in solche, die bisher noch keinen europäischen Lebensstandard erreicht haben, wohl gar nicht zu umgehen. Das europäische Projekt soll ja wohl nach dem Empfinden seiner Unterstützer auf eine europäische Föderation hinaus laufen, in der so ungefähr gleiche Lebenschancen vor zu finden sind.
Allerdings erkenne ich in etlichen Fällen die Voraussetzungen für eine solche Föderation nicht. Völlig richtig wird doch bemängelt, daß etliche Mitglieder derzeit hinter die Aufnahmebedingungen der EU zurück gefallen sind, sie die im Vertrag von Lissabon eingegangenen Verpflichtungen zur Übernahme der Gemeinschaftswährung nicht erfüllen wollen. Kurzum erkenne ich keinen Sinn darin, Zahlungen zu leisten, die als Vorleistung für die stetig sich vertiefende Zusammenarbeit in Richtung einer europäischen Föderation zu verstehen sind.
Nur im Fall der Türkei ist die EU endlich bereit, die Vorauszahlungen für den beabsichtigten EU-Beitritt der Türkei zurück zu drehen. Da scheint aber auch geklärt zu sein, daß die heutige Türkei nicht beabsichtigt, die Aufnahmebedingungen der EU zu erfüllen.
Die EU muß sich häuten und alle Partner zurück lassen, die das europäische Projekt nicht als gemeinsames Ziel verstehen. Eine Frage irgendwelcher Eliten dürfte das gar nicht sein, sondern eine Sache des kühlen Verstandes. Welcher ordentlich wirtschaftende Europäer wünscht sich eine Zwangsvereinigung mit jenen Partnern, die im Überschwang der 2000er Jahre "Masse bringen" sollten... aber es an der Klasse dauerhaft vermissen lassen? Die die EU als Quelle von Mittelzuflüssen betrachten, ohne erkennbar das europäische Projekt zu fördern. Je eher diese Trennung vollzogen wird, desto besser. Das wachsende Mißvergnügen an der EU kann doch niemand übersehen... leider auch in den Ländern, die das europäische Projekt in Gang gebracht hatten.
Aus meiner Sicht hat die EU mit dem Glücksfall Macron einen Antreiber gewonnen, der das europäische Projekt ohne wenn und aber voran bringen möchte. Aber ohne tatkräftige Mitwirkung des deutschen Partners kann ihm das nicht gelingen. Wir müssen hoffen, daß die Regierungsbildung in Deutschland nun bald vollzogen sein wird. So weit ich das beurteilen kann, sind durchweg dem europäischen Projekt freundlich gesonnene Parteien an der Bundesregierung beteiligt. Dann muß das europäische Projekt und die Meilensteine dorthin gemeinsam mit den französischen Partnern festgelegt werden, damit sie mit unseren übrigen EU-Partnern besprochen werden können.
Damit besteht keinerlei Aussicht auf Minderung der Zahlungen aus deutschen Mitteln; aber die Hoffnung ist begründet, daß damit das europäische Projekt beschleunigt werden kann. Im Sinne der Strangüberschrift wird Deutschland dann aufgrund seines Wohlstands eine besonders hohe Verantwortung und ein besonders hohes Verdienst um die europäische Einigung zufallen. Ich bin der Meinung, daß diese Absichten "der Eliten" in vernünftigen Darlegungen bekannt gemacht werden sollten, damit sie bei der nächsten Bundestagswahl und den nächsten Präsidentschaftswahlen in Frankreich und in anderen Ländern der EU ihre Wirkung entfalten können... und die oben erwähnte Häutung der EU endlich in Gang kommt.
Als Deutscher und Europäer meine ich, daß Deutschland von der Einigkeit seiner Partner die größten Vorteile gewinnt... das für unsere Partner aber ein Deutschland dieses Zuschnitts zum Hauptgewinn wird.