Besinnung vieler auf alte Traditionen?

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Misterfritz
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Misterfritz »

Selina hat geschrieben:(11 Feb 2017, 09:23) Putin passt nicht in die Reihe dieser von dir genannten Nationalisten, weil die anderen alle nicht nur extreme Nationalisten, sondern zudem ziemlich finstere Rechtspopulisten sind, zu denen Putin nicht gehört (er ist sicher Nationalist in gewisser Weise oder besser Russland-Patriot, aber kein rechtsextremer).
Ach ja? Wie unterscheidet er sich denn z.B. von Erdogan?
Und wie unterscheidet sich ein russischer Nationalist von einem Russlandpatrioten?
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schokoschendrezki
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(11 Feb 2017, 09:23)

Kann ich alles unterschreiben. Bis auf eine kleine Kleinigkeit ;): Putin passt nicht in die Reihe dieser von dir genannten Nationalisten, weil die anderen alle nicht nur extreme Nationalisten, sondern zudem ziemlich finstere Rechtspopulisten sind, zu denen Putin nicht gehört (er ist sicher Nationalist in gewisser Weise oder besser Russland-Patriot, aber kein rechtsextremer). Und wenn wir (sorry für das Wörtchen "wir") nicht sehr aufpassen, könnte das in Europa unter Umständen in Richtung offener Faschismus gehen.
Orbán beispielsweise ist auch kein "finsterer Rechtspopulist". Was sollte man dann über die Politiker der Jobbik-Partei sagen? Es ist auch richtig, dass für Identität und Tradition einstehen nicht automatisch rechts und schon gar nicht "identitär" heißt. Es verstärkt und beschleunigt aber de facto - ob man will oder nicht - in jedem Fall das weitere Abdriften Europas und der Welt nach Rechts und nützt de facto denen, die für die identitäre Bewegung stehen.

Apropos: Heute 18:00 Deutschlandradio Kutlur: Die Invasion der Identitären. Ein Feature von Manuel Gogos.

Meine Skepsis gegenüber Putin hat vor allem damit zu tun, dass seine Regierung - im Unterschied zu all den genannten Rechtskonservativen und von Identität,Nation und Tradition schwadronierenden Populisten - in mehrere bewaffnete Konflikte verwickelt ist und darin eine Rolle spielt, die allermindestens zweifelhaft, wenn nicht völkerrechtswidrig ist.
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Dark Angel
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Feb 2017, 05:17)

Naja. Schauen wir mal, was demnächst alles so stattfindet in Europa und der Welt oder schon stattgefunden hat. Und wie die Konzepte dagegen aussehen werden.
Der gegenwärtige Trend ist eindeutig und das hat Gründe, statt die Nazikeule zu schwingen und zu plärren "alle räächts, alles phöhse" - das muss geändert werden, sollten vielleicht mal die Gründe für diese Entwicklung untersucht werden. Auch hier gilt das Prinzip von Ursache und Wirkung.
"Konzepte dagegen" sind ja schön und gut - nur die muss man auch durchsetzen (können). In einer Demokratie funktioniert das nur über das Mehrheitsprinzip und von einer Mehrheit sind Linke aber sehr weit entfernt. Mit gerade mal 8,6% der Wählerstimmen, wie bei der Bundestagswahl 2013, wird das aber nix.
Es ist ja nicht so, dass die AfD so viel Zulauf hat, weil sich die Menschen in ihren politischen Ansichten radikalisieren/stark radikalisieren, sondern weil sie sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen, weil sie unzufrieden mit deren aktueller Politik sind.
Es ist ja nicht so, dass die "politische Mitte" nicht mehr existieren würde, dass die nach "räächts gerückt" wäre, es ist vielmehr so, dass aktuelle Politik einen Ruck nach links vollzogen und damit ein "politisches Vakuum" erzeugt hat, in das die AfD hineinstößt.
Politiker der CDU sollten sich an die Worte von Franz Josef Strauß erinnern: "Rechts neben der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben!"
Genau da liegt nämlich das eigentliche Problem und nicht nur in Deutschland.
Und genau deshalb bleiben die "Visionen" von Linken und Grünen von den "Gegenkonzepten - einer Gemeinschaft jenseits von Identität/der Identität" auch nichts weiter als feuchte Träume.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Feb 2017, 11:29)

Meine Skepsis gegenüber Putin hat vor allem damit zu tun, dass seine Regierung - im Unterschied zu all den genannten Rechtskonservativen und von Identität,Nation und Tradition schwadronierenden Populisten - in mehrere bewaffnete Konflikte verwickelt ist und darin eine Rolle spielt, die allermindestens zweifelhaft, wenn nicht völkerrechtswidrig ist.
Mein Skepsis betrifft da beide Seiten. Die Stationierung deutscher Truppen und deutscher Militärtechnik gerade in so einem sensiblen Baltikum-Raum direkt an der russischen Grenze, schlimmer gehts ja nun nicht mehr. Das dreht die Rüstungsspirale immer weiter... Das macht mir echte Angst. Sorry an die Admins für OT.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Feb 2017, 11:29)

Orbán beispielsweise ist auch kein "finsterer Rechtspopulist". Was sollte man dann über die Politiker der Jobbik-Partei sagen? Es ist auch richtig, dass für Identität und Tradition einstehen nicht automatisch rechts und schon gar nicht "identitär" heißt. Es verstärkt und beschleunigt aber de facto - ob man will oder nicht - in jedem Fall das weitere Abdriften Europas und der Welt nach Rechts und nützt de facto denen, die für die identitäre Bewegung stehen.
Meine Zustimmung. Nur sehe ich da Putin ebenfalls nicht in vorderster Reihe. Der Besuch der AfD fand doch vor allem bei gleichgesinnten Rechtspopulisten in Russland statt. Oder? Und das ist - wie bei uns - nur ein Teil der Gesellschaft.
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Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(11 Feb 2017, 13:56)

Der gegenwärtige Trend ist eindeutig und das hat Gründe, statt die Nazikeule zu schwingen und zu plärren "alle räächts, alles phöhse" - das muss geändert werden, sollten vielleicht mal die Gründe für diese Entwicklung untersucht werden. Auch hier gilt das Prinzip von Ursache und Wirkung.
"Konzepte dagegen" sind ja schön und gut - nur die muss man auch durchsetzen (können). In einer Demokratie funktioniert das nur über das Mehrheitsprinzip und von einer Mehrheit sind Linke aber sehr weit entfernt. Mit gerade mal 8,6% der Wählerstimmen, wie bei der Bundestagswahl 2013, wird das aber nix.
Es ist ja nicht so, dass die AfD so viel Zulauf hat, weil sich die Menschen in ihren politischen Ansichten radikalisieren/stark radikalisieren, sondern weil sie sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen, weil sie unzufrieden mit deren aktueller Politik sind.
Und es ist keineswegs so, dass das Konzept "Gemeinschaft jenseits von Identität" identisch mit politisch links oder gar mit den Zielen der Partei Die Linke ist. Ebenso wie Traditionsrückbesinnung und Setzen auf Identität nicht identisch mit politisch rechts ist. Gewerkschafts-Unionismus, "Klassenbewusstsein", DDR-Nostalgie, alles was so unter linker "Fan-Kultur" in Massenveranstaltungssport und Pop läuft, sind einige Beispiele für links verortete Tendenzen, die ebenso identitär verseucht sind.

Der aktuelle politische Trend ist, glaube ich, viel zu machtvoll und dominant, um ihn auf irgendeine Unzufriedenheit mit irgendeiner Politik irgendeiner Partei zurückzuführen. Auf irgendeine nicht eingehaltene Rentenangleichsquote, einen nicht fristgerecht fertiggestellten Flugplatz oder irgendwelche als unangemessen empfundenen Autobahngebühren. Es ist eher ein globaler Schwenk von der Erfolgsgeschichte des Individualismus hin zu einem "Wir hier und die dort. Entscheide dich, wo du hingehörst. Und glaube ja nicht, dass du mit deinem "Ich zuerst" hier, heute und bei uns noch durchkommst."

Exemplarisch dafür ist für mich der völlig unbedachtsame Umgang mit dem "Abendland"-Begriff. Nicht nur bei Pegida, Legida und Co. Das "Abendland" ist in erster Linie und historisch gesehen ein Gegenpol-Konzept. Es steht dem "Morgenland" gegenüber. Novalis und die Brüder Schlegel stehen namentlich vor allem für eine romantische Abendland-Nostalgie. Die gesamte Epoche nach dem Wiener Kongress ist von diesem antiaufklärerischem Traditionalismus geprägt (um einigermaßen beim Thema zu bleiben). Man war um 1800 eigentlich schon so weit gekommen: Kant, Goethe, Humboldt, Leibnitz, Newton. Kategorischer Imperativ, Wahlverwandtschaften (schon vom Titel her antiidentitär), Infinitesimalrechnung, Latein und Antiqua-Schrift als kosmopolitische Austauschbasis und sozusagen historisches Internet statt "Abendland". Aber es kamen nun zig Dekaden Dunkelheit stattdessen. Eichenwaldrauschen, Wartburgfeste, deutsche Frakturschrift als Aufrichtigkeitsbekenntnis, patriotische Turnvereine, Treue, Ehre, Vaterland. Beendet wurde diese Finsternis letztlich nicht durch Politik sondern durch Eisenbahn, Dampfmaschine, Elektrizität und Telefon. Und deshalb - so hoffe ich jedenfalls - wird sich die Gesellschaftsutopie "Gemeinschaft jenseits von Identität" nicht durch den Wahlerfolg irgendeiner linken Partei sondern ganz objektiv durch Technologiefortschritt durchsetzen.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Selina »

Dark Angel hat geschrieben:(11 Feb 2017, 13:56)

Es ist ja nicht so, dass die AfD so viel Zulauf hat, weil sich die Menschen in ihren politischen Ansichten radikalisieren/stark radikalisieren, sondern weil sie sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen, weil sie unzufrieden mit deren aktueller Politik sind.
Es ist ja nicht so, dass die "politische Mitte" nicht mehr existieren würde, dass die nach "räächts gerückt" wäre, es ist vielmehr so, dass aktuelle Politik einen Ruck nach links vollzogen und damit ein "politisches Vakuum" erzeugt hat, in das die AfD hineinstößt.
Nein, das ist die Lesart vieler AfD-Wähler selbst. Weil Merkel im Sommer 2015 humanistisch und christlich handelte, soll sie "nach links gerückt" sein. Diese These ist schon sehr gewagt und auch etwas verschroben. Andere Lesarten sagen etwas anderes: Nämlich, dass die AfD-Anhänger wegen ihrer Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien einfach in Kauf nehmen, eine Partei zu wählen, die keine Berührungsängste mit noch weiter rechts hat, deren Protagonisten oft deutliches Nazivokabular verwenden und auch so denken, die bei den Identitären ein und aus gehen (oder die bei denen). Die AfD gehört klar zu den Neuen Rechten.

Bei dem Begriff "politische Mitte" hatte ich immer schon Bauchschmerzen, weil unter diesem Begriff (z. B. SPD, "Partei der Mitte" statt der sozialen Gerechtigkeit) auch locker die Agenda2010 eingeführt wurde, die einen gewaltigen Einschnitt in die bis dahin recht gut funktionierenden Sozialsysteme bedeutete mit immensen Folgen für die Menchen (Niedriglohnsektor gravierend vergrößert, immer mehr Armutsrenten). Und trotzdem gibt es natürlich immer noch viele Leute, die von sich selbst sagen, sie stünden eher in der politischen Mitte. Und diese Mitte ist in den letzten Jahren zusehends überschwemmt und infiltriert worden von "völkischen" Erklärungsmustern, die sich diese Mitte zum Teil sogar auch aneignete. Der Beginn war mit Sarrazins "Deutschland schafft sich ab" deutlich sichtbar, obwohl solches Denken schon immer (latent) vorhanden war.

Das geschieht alles sukzessive und scheinbar unauffällig und schleichend (auch mit solchen Diskussionen über eine angeblich stärkere Zuwendung zu Traditionen, zum Nationalen, zu angeblich indentitätsstiftenden Gemeinschaften - siehe Thread), so dass man als relativ aufmerksamer Beobachter nur feststellen kann, wie salonfähig rechtsnationales und rechtsextremes Gedankengut bereits wieder geworden ist. Vieles kommt harmlos und sich wissenschaftlich gebend daher. Dem gehen viele schlicht auf den Leim. Dieses Eindringen in Alltagsthemen der Menschen ("Genderwahn", "Frühsexualisierung", die "richtige" Familie bestehe aus Vater, Mutter, Kind) ist übrigens Konzept der Neuen Rechten. Sagen sie ganz offen. Locker sitzt die AfD in allen Talkrunden, wo sie offen für ihr Weltbild Propaganda machen darf. Hauptsache, die Quoten stimmen. Auch die Sündenbockpolitik (Flüchtlinge) funktioniert schon wieder sehr gut.

All das macht mir große Sorgen und vielen anderen Menschen verschiedener politischen Ausrichtung ebenso. Da sollte man schon genau hinschauen, auch diese Sorgen ernst nehmen und gegensteuern. Ich vernehme immer, wenn es um Pegida, AfD und co. geht, "man muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Sie fühlen sich nicht mehr vertreten durch die Politik". Da frage ich mich allmählich, wer die Sorgen der Menschen ernst nimmt, die kein Deutschland nach AfD-Verschnitt wollen. Und deren Zahl ist meines Erachtens ziemlich groß.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von think twice »

Selina hat geschrieben:(12 Feb 2017, 08:20)

Ich vernehme immer, wenn es um Pegida, AfD und co. geht, "man muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Sie fühlen sich nicht mehr vertreten durch die Politik". Da frage ich mich allmählich, wer die Sorgen der Menschen ernst nimmt, die kein Deutschland nach AfD-Verschnitt wollen.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(12 Feb 2017, 08:20)

Nein, das ist die Lesart vieler AfD-Wähler selbst. Weil Merkel im Sommer 2015 humanistisch und christlich handelte, soll sie "nach links gerückt" sein. Diese These ist schon sehr gewagt und auch etwas verschroben. Andere Lesarten sagen etwas anderes: Nämlich, dass die AfD-Anhänger wegen ihrer Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien einfach in Kauf nehmen, eine Partei zu wählen, die keine Berührungsängste mit noch weiter rechts hat, deren Protagonisten oft deutliches Nazivokabular verwenden und auch so denken, die bei den Identitären ein und aus gehen (oder die bei denen). Die AfD gehört klar zu den Neuen Rechten.
Die Unzufriedenheit mit Merkels selbstherrlicher Politik gibt es nicht erst seit 2015! Und es sind auch nicht die AfD-Anhänger, es sind sehr viel CDU-Wähler mit ihrer Politik unzufrieden - genauer, die Mehrheit der Bevölkerung ist es.
Selina hat geschrieben:(12 Feb 2017, 08:20)]Bei dem Begriff "politische Mitte" hatte ich immer schon Bauchschmerzen, weil unter diesem Begriff (z. B. SPD, "Partei der Mitte" statt der sozialen Gerechtigkeit) auch locker die Agenda2010 eingeführt wurde, die einen gewaltigen Einschnitt in die bis dahin recht gut funktionierenden Sozialsysteme bedeutete mit immensen Folgen für die Menchen (Niedriglohnsektor gravierend vergrößert, immer mehr Armutsrenten). Und trotzdem gibt es natürlich immer noch viele Leute, die von sich selbst sagen, sie stünden eher in der politischen Mitte. Und diese Mitte ist in den letzten Jahren zusehends überschwemmt und infiltriert worden von "völkischen" Erklärungsmustern, die sich diese Mitte zum Teil sogar auch aneignete. Der Beginn war mit Sarrazins "Deutschland schafft sich ab" deutlich sichtbar, obwohl solches Denken schon immer (latent) vorhanden war.
Du ignorierst 1. dass die Agenda 2010 bereits im Jahr 2000 auf einem Sondergipgeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Portugal beschlossen wurde ==> Lissaboner Strategie, die darauf ausgerichtet ist, Europa zu inem wettbewerbsfähigen, wissensbasierten Wirtschaftsraum zu machen und 2. das sie von den Grünen (als Koalitionspartner) mit getragen wurde.
Also nichts da mit "Bauchschmerzen wegen dem Begriff politische Mitte und nichts mit "statt sozialer Gerechtigkeit"!
Nunja - was Linke so unter "sozialer Gerechtigkeit" verstehen, ist durchaus kein Geheimnis.
Und ja natürlich - jeder, der sich mit diesem Staat verbunden fühlt, der sich für den Erhalt unserer (westlichen) Kultur einsetzt ist rechts - eigentlich jeder der nicht zu den 8,6% linken Wählern (oder max 17%, wenn man die Grünen mit einrechnet) ist rechts.
Da wundert es nicht, dass es für Linke keine politische Mitte gibt.
Selina hat geschrieben:(12 Feb 2017, 08:20)Das geschieht alles sukzessive und scheinbar unauffällig und schleichend (auch mit solchen Diskussionen über eine angeblich stärkere Zuwendung zu Traditionen, zum Nationalen, zu angeblich indentitätsstiftenden Gemeinschaften - siehe Thread), so dass man als relativ aufmerksamer Beobachter nur feststellen kann, wie salonfähig rechtsnationales und rechtsextremes Gedankengut bereits wieder geworden ist.
Ja natürlich - der "aufmerksame Beobachter" ist natürlich politisch links und selbstverständlich lehnt der - ganz im Sinne seine Ideologie alles ab, was mit Nationalstaat und Tradition zu tun hat, ab. Jeder, der sich für die Erhaltung (westlicher) Kultur, ihrer Traditionen und Werte einsetzt, ist aus diesem Blickwinkel rechtsextrem. Da zählen dann natürlich auch konservativ eingestellte Menschen dazu.
Selina hat geschrieben:(12 Feb 2017, 08:20)Vieles kommt harmlos und sich wissenschaftlich gebend daher. Dem gehen viele schlicht auf den Leim. Dieses Eindringen in Alltagsthemen der Menschen ("Genderwahn", "Frühsexualisierung", die "richtige" Familie bestehe aus Vater, Mutter, Kind) ist übrigens Konzept der Neuen Rechten. Sagen sie ganz offen. Locker sitzt die AfD in allen Talkrunden, wo sie offen für ihr Weltbild Propaganda machen darf. Hauptsache, die Quoten stimmen. Auch die Sündenbockpolitik (Flüchtlinge) funktioniert schon wieder sehr gut.
Ja genau - die Vertreter des Gender-Mainstream dringen zunehmend in das "Alltagsleben" der Menschen ein. SIE sind es, die per Diktat bestimmen, was Menschen zu tun und wie sie zu denken haben.
Hast du dir schon mal überlegt, woher die Gender-"Theorie" stammt, auf welcher Ideologie die basiert? - nein hast du sicher nicht! Sie basiert auf der Ideologie des Marxismus. Das Postulat einer "patriarchalen Gesellschaft" - des "Patriarchat" (schlechthin) stammt von Engels, propagiert in seinem Werk "Der Ursprung der Familie, des
Privateigentums und des Staats" - darin postuliert er die Existenz eines Matriarchats, welches durch das Patriarchat beseitigt wurde und das es nun zu beseitigen gelte.
Dumm nur, dass es keine archäologischen Hinweise - nicht einen einzigen - gibt, dass so etwas wie das Matriarchat in der Geschichte der Menschheit jemals in größerem Umfang gegeben hätte bzw dass matriarchale Strukturen jemals Einfluss und/oder Bedeutung für die kulturelle Entwicklung der Menschheit gehabt hätte.
Was Engels auf der Grundlage der Forschung eines einzelnen "Volkskundlers", der einzelne nordamerikanische Stämme besuchte, als "weltweites kulturtragendes Matriarchat" behauptet, entpuppt sich bei "näherem Hinsehen" als matrilineare bzw matrilokale Gesellschaft ohne jegliche hierarchische Strukturen.
Ebenso wenig gibt es archäologische Befunde oder auch nur Hinweise für die Existenz eines "Patriarchats".
Alle von Marija Gimbutas vertretenen Thesen zur "Einwanderung patriarchaler Völker" nach Europa und die damit verbundene gewaltsame Beseitigung matriarchaler Strukturen, sind inzwischen mittels archäologischer Befunde widerlegt!
Trotz dieser Widerlegung, wird von Feministinnen und Gendervertretern weiterhin von einem Patriarchat/patriachler Gesellschaft gefaselt, die es zu überwinden gelte. Wie soll etwas überwunden werden, das nie existiert hat? Kannst du mir das verraten?
Für die Thesen der Gendervertreter gibt es nicht die geringste wissenschaftliche Grundlage - es ist reine Ideologie.
Und mehr noch:
„Gender-Studies haben nachgewiesen, dass es kein vorgefertigtes Geschlecht gibt – es ist ein Konstrukt, abhängig von historischen und kulturellen Kontexten“, sagt Thorsten Voß, Dozent für den Studiengang Gender-Studies an der Universität Bielefeld. Das ist die ideologische Grundlage, das Mantra dieser Disziplin. Sie beruht auf einer Theorie des Psychologen John Money, die in den 70er-Jahren von Feministinnen begeistert aufgenommen wurde.
Moneys Versuch, seine Theorie der erlernten Geschlechtsrollen durch „Geschlechtsneuzuweisung“ am lebenden Objekt zu belegen, endete tragisch mit dem Selbstmord seines Patienten. Moneys Auffassungen sind durch die Naturwissenschaften, vor allem die Hirnforschung, längst widerlegt [...]
Was Eltern seit eh und je erfahren, ist auch nach Jahrzehnten geschlechtsverleugnender Pädagogik noch evident: Jungen und Mädchen, Männer und Frauen trennt nicht nur der „kleine Unterschied“. Sie sind im Wesen verschieden. Die Wochenzeitung „Die Zeit“, des antiemanzipatorischen Konservatismus unverdächtig, stellte kürzlich fest: „Alle erzieherischen Versuche, aus Jungen und Mädchen geschlechtsneutrale Wesen zu machen, sind gescheitert.“
Das politische und akademische Establishment findet sich nicht damit ab. [...]
Die Akteure der Gender-Studies verwischen den Unterschied zwischen der politischen Forderung nach Gleichheit und den Inhalten der Wissenschaft. Frauenförderung und Frauenforschung an den Universitäten sind meist weder personell noch inhaltlich getrennt. [...]
Wenn Gender-Forscher sich mit Naturwissenschaften befassen, dann interessieren sie meist weniger die bedeutenden Erkenntnisse von Biologie und Medizin über die Unterschiede der Geschlechter. Diese entkräften schließlich die Ausgangsthese der Gender-Studies und stellen somit ihre Disziplin als solche in Frage. [...]

Und hier nun der entscheidende Satz aus dem zitierten Link:
"Viele Gender- und vor allem Queer-Forscher machen kein Geheimnis daraus, dass ihr Forschungsgegenstand ihren sexuellen Interessen entspricht. Queer-Forscher befassen sich also „wissenschaftlich“ mit sich selbst, das heißt mit ihrer durch sexuelle Identitäten und Praktiken definierten Szene."
Eine marginale Minderheit - gemessen an der Gesamtbevölkerung - erforscht sich also selbst, formuliert ihre politischen Forderungen und diktiert diese der Mehrheit. Und wenn diese Mehrheit, sich gegen eine Ideologie, die nur den Interessen dieser marginalen Minderheit widersetzt, dann wird sie als rechts abgestempelt.
Ja selina - die "richtige" Familie besteht aus Vater-Mutter- und Kind! Es sind immerhin 78% aller Familien in Deutschland, die dieses Familienmodell leben.
Es sind immer noch ausschließlich Frauen, die Kinder gebären können und Männer die Kinder zeugen. Daran ändert auch die Reproduktionsmedizin nichts. In Vitro befruchtete Eizellen (Zygoten) werden Frauen implantiert. Noch kein einziger Mann hat bisher ein Kind geboren.
Und auch wenn Homosexuelle Kinder adoptieren, bleibt es eine Tatsache, dass dieses Kind von einem Mann gezeugt und von einer Frau geboren wurde.
Genauso wie es eine Tatsache bleibt, dass 90 bis 95% aller Menschen heterosexuell veranlagt sind.
Das hat nichts, aber auch gar nichts mit "rechts" oder "neurechts" zu tun, sondern mit biologischen Fakten.
Und an genau diesen biologischen Fakten hat sich der Unterricht - der Sexualkundeunterricht - in Schulen zu orientieren und nicht die Ideologie einer marginalen Minderheit zu vertreten und schon gar nicht mit deren Lebensvorstellungen und Lebensmodellen zu indoktrinieren.
Diesbezüglich gibt es eine Urteil des Bundesverfassungsgerichts, gegen welches mit den neuen "Bildungsplänen" verstoßen wird, die sehr wohl Frühsexualisierung beinhalten, wenn es nach einer Prof. Tuider und einem Prof Sielert geht.
Und auch das hat nichts, aber auch gar nichts mit "rechts" oder "neurechts" zu tun.
Nein - sich gegen das politische Diktat einer Minderheit zur Wehr zu setzen, hat nichts mit "rechts" zu tun!

Selina hat geschrieben:(12 Feb 2017, 08:20)All das macht mir große Sorgen und vielen anderen Menschen verschiedener politischen Ausrichtung ebenso. Da sollte man schon genau hinschauen, auch diese Sorgen ernst nehmen und gegensteuern. Ich vernehme immer, wenn es um Pegida, AfD und co. geht, "man muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Sie fühlen sich nicht mehr vertreten durch die Politik". Da frage ich mich allmählich, wer die Sorgen der Menschen ernst nimmt, die kein Deutschland nach AfD-Verschnitt wollen. Und deren Zahl ist meines Erachtens ziemlich groß.
Die Politiker jedenfalls nicht!
Einer Emnid-Umfrage zufolge (Nov.2016) sind zwei Drittel der Deutschen genau dieser Meinung.
Aber die sind ja alle rääächts, sind alle Pegida- und AfD- Anhänger - gelle!
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von think twice »

Dark Angel hat geschrieben:(12 Feb 2017, 18:19)

Einer Emnid-Umfrage zufolge (Nov.2016) sind zwei Drittel der Deutschen genau dieser Meinung.
Aber die sind ja alle rääächts, sind alle Pegida- und AfD- Anhänger - gelle!
Dass zwei Drittel der Deutschen der Meinung von Pegida und AfD sind, halte ich für ein Gerücht.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Feb 2017, 05:43)

Das sehe ich überhaupt nicht so. Diese Gesellschaft ist eine Errungenschaft der Aufklärung, der menschlichen Vernunft und der Idee universell gültiiger Menschenrechte.
Genau das macht die Kultur des Abendlandes aus.
schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Feb 2017, 05:43)
Der jüngere historische Aufstieg des "Abendland"-Begriffs fand vor allem in der Romantik Anfang, Mitte des 19. Jahrhunderts statt und er war, ganz im Gegenteil gegen Aufklärung, Humanismus und Bürgerlichkeit gerichtet. Er ist auch nur eine Abkürzung für "christliches Abendland". Und an die Stelle von Vernunft, Menschlichkeit und Humanismus treten dort mystische Fiktionen wie die von Karl dem Großen als Ahnherrn aller abendländischen Menschen oder der "Niebelungentreue".
"Abendland" ist in erster Linie ein geographischer Begriff.
Die Verengung auf den ideologischen Begriff der Romantik ist selbst ideologisch.
"Abendländische Kultur" und "westliche Kultur" sind synonyme Begriffe.

"Das Abendland wird sozialistisch sein, oder es wird nicht sein."
Walter Dirks, Das Abendland und der Sozialismus, in: FH 3(1946), S. 76
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Feb 2017, 05:54)
Richtig. Und die Forderung nach "Traditionalismusrückbesinnung" war eine der wesentlichen geistig-kulturellen Ursachen für den Niedergang der Weimarer Republik und den Aufstieg der Nationalsozialisten.
Um "Rückbesinnung" ging es den Nazis ganz sicher nicht. Sozialdarwinismus, biologistisch begründeter Rassismus und technische Fortschrittsgläubigkeit hatten überhaupt keinen Bezug zur Vergangenheit.
schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Feb 2017, 05:54)
Ich hatte bis vor kurzem selbst die Hoffnung, dass die, die auf Tradition, Nation und Identität setzen, sich quasi ganz von selbst zerlegen werden, und das Ende der EU-Parlaments-Rechtsaußenfraktion ITS (Identität, Tradition, Souveränität) schien das auch zu bestätigen. Der Aufstieg der Putins, Kaczynskis, Wilders, Le Pens, Orbáns, Erdogans usw. usf. belehrte mich jedoch inzwischen eines Schlechteren. Ohne ein aktives zutun derer, die für eine Gemeinschaft jenseits von identität eintreten, wird sich dieser Prozess der Entdemokratisierung fortsetzen.
Eine Ideologie, die Identitäten zerstören will, halte ich nicht für demokratisch, sondern für hochgradig faschistisch. Demokratie lebt von dem Respekt gegenüber dem jeweils Anderen eben gerade dadurch, daß er in seiner Identität als Anderer anerkannt wird. Im Prinzip funktioniert die "nichtidentitäre" Gemeinschaft genauso wie die völkische oder religiöse über das Herstellen von Homogenität. Das bedeutet nichts anderes als pure Gewalt.
Wieviele Chinesen muß man ermorden bis der überlebende Rest bereit ist, auf seine Identität als Chinesen zu verzichten?
Wieviele Muslime muß man ermorden bis der überlebende Rest bereit ist, auf seine Identität als Muslime zu verzichten?

100 Mio? 200 Mio? 300 Mio? 1 Milliarde?
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(13 Feb 2017, 00:58)

Um "Rückbesinnung" ging es den Nazis ganz sicher nicht. Sozialdarwinismus, biologistisch begründeter Rassismus und technische Fortschrittsgläubigkeit hatten überhaupt keinen Bezug zur Vergangenheit.

Eine Ideologie, die Identitäten zerstören will, halte ich nicht für demokratisch, sondern für hochgradig faschistisch. Demokratie lebt von dem Respekt gegenüber dem jeweils Anderen eben gerade dadurch, daß er in seiner Identität als Anderer anerkannt wird. Im Prinzip funktioniert die "nichtidentitäre" Gemeinschaft genauso wie die völkische oder religiöse über das Herstellen von Homogenität. Das bedeutet nichts anderes als pure Gewalt.
Wieviele Chinesen muß man ermorden bis der überlebende Rest bereit ist, auf seine Identität als Chinesen zu verzichten?
Wieviele Muslime muß man ermorden bis der überlebende Rest bereit ist, auf seine Identität als Muslime zu verzichten?

100 Mio? 200 Mio? 300 Mio? 1 Milliarde?
Die Motive für eine solch emotional aufgeladene Abwehrhaltung gegen das Konzept "Gemeinschaft jenseits von Identität" bleiben mir letztendlich unklar, obwohl ich jetzt einige Zeit darüber nachgedacht habe. Nur zur sachlichen Klärung jedenfalls: Es ist ein konsequent, ja geradezu radikal individualistisches Konzept. Das heißt: So lange gesetzliche und verfassungsmäßige Regeln eingehalten werden, hat es niemanden, aber wirklich niemanden, nicht den Staat, keine Behörde, keinen Geheimdienst, vor allem nicht die Öffentlichkeit, wirklich absolut niemanden etwas anzugehen, ob sich jemand als Chinese, Muslim, Kommunist, Antroposoph oder als von Chemtrails Verfolgter sieht. Die Grundrichtung ist einfach eine völlig andere. Es geht nicht im Mindesten um das Verbot einer Identität sondern um den Verzicht auf die Vorschreibung irgendeiner Identität. Es geht darum, das Konzept "Leitkultur" in jedweder Hinsicht zu verhindern.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Mo 13. Feb 2017, 10:52, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(13 Feb 2017, 00:36)

Genau das macht die Kultur des Abendlandes aus.

"Abendland" ist in erster Linie ein geographischer Begriff.
Die Verengung auf den ideologischen Begriff der Romantik ist selbst ideologisch.
"Abendländische Kultur" und "westliche Kultur" sind synonyme Begriffe.

"Das Abendland wird sozialistisch sein, oder es wird nicht sein."
Walter Dirks, Das Abendland und der Sozialismus, in: FH 3(1946), S. 76
Wesentlich ist, dass das Konzept universeller Menschenrechte und der Kantsche kategorische Imperativ - eben - universell gültig ist. Im Westen, Osten, Süden ebenso wie im Norden. So wie 1 plus 1 eben nicht nur in London oder Paris 2 ergibt sondern auch in Istanbul oder Tokio.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(12 Feb 2017, 18:19)
Ja natürlich - der "aufmerksame Beobachter" ist natürlich politisch links und selbstverständlich lehnt der - ganz im Sinne seine Ideologie alles ab, was mit Nationalstaat und Tradition zu tun hat, ab. Jeder, der sich für die Erhaltung (westlicher) Kultur, ihrer Traditionen und Werte einsetzt, ist aus diesem Blickwinkel rechtsextrem. Da zählen dann natürlich auch konservativ eingestellte Menschen dazu.
Das Problem ist, dass in fast allen Gesellschaften der Welt in den letzten 5 bis 10 Jahren eine Polarisierung in "Wir" und "Die" stattfand. Nur mal so exemplarisch dafür ein Auszug einer Reportage ("Europa heute") zur Gründung der "NEIN"-Partei in der Türkei, die sich gegen die Zustimmung zu einem Referendum im April zur Einführung eines Präsidialsystems einsetzt:
Gürsel Tekin bemüht sich um Anschaulichkeit. Bürgernähe heißt das Rezept, das sich seine Partei für ihre Nein-Kampagne verschrieben hat. Im dunklen Anzug schiebt sich der Mitfünfziger deswegen heute für 15 Minuten durch das Marktgedränge. Eine ältere Türkin, die Haare blond, die Lippen rot, fällt ihm in die Arme, bittet unter Tränen um ein gemeinsames Foto. "Retten Sie unser Land vor diesen Kulturlosen”, schluchzt sie, "retten Sie Atatürks Erbe."

Tekin ist sichtlich gerührt. Doch das Problem seiner Partei, zwischen Zwiebel- und Tomatenbergen wird es deutlich: Während offensichtlich säkulare Türken in freudige Aufregung geraten, sobald der CHP-Mann auftaucht, schauen die kopftuchtragenden Frauen, die an einem Eckstand Babywäsche begutachten, nicht einmal auf.

"Natürlich werde ich beim Referendum mit Ja stimmen. Alle wollen die Türkei schlecht machen und den Islam beschmutzen. Wenn Erdogan gegen sie kämpft, dann bin ich kompromisslos auf seiner Seite. Auch, wenn er bei manchen Themen falsch liegen mag. "
So sieht es (leider) fast überall auf der Welt aus. In den USA, in Fernost, in Russland, in der Türkei, in Europa. Hysterische Bekenntniseinforderungen statt rationaler Argumentation.
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Re:

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Feb 2017, 05:22)

Und es ist keineswegs so, dass das Konzept "Gemeinschaft jenseits von Identität" identisch mit politisch links oder gar mit den Zielen der Partei Die Linke ist. Ebenso wie Traditionsrückbesinnung und Setzen auf Identität nicht identisch mit politisch rechts ist. Gewerkschafts-Unionismus, "Klassenbewusstsein", DDR-Nostalgie, alles was so unter linker "Fan-Kultur" in Massenveranstaltungssport und Pop läuft, sind einige Beispiele für links verortete Tendenzen, die ebenso identitär verseucht sind.
Es handelt sich um ein politisches Konzept und nur darum geht es. Es geht darum, dass Menschen vorgeschrieben werden soll wie, womit bzw worüber sie sich zu identifizieren haben und das wiederum schränkt deren Freiheit ein.
Menschen identifizieren sich mit einer Gemeinschaft, sie identifizieren sich mit der Gemeinschaft, der sie sich zugehörig fühlen und nicht "jenseits davon".
Eine Gemeinschaft ist vollkommen wertneutral (in der Soziologie) eine überschaubare soziale Gruppeeine deren Mitglieder durch ein starkes „Wir-Gefühl“ eng miteinander verbunden sind – oftmals über Generationen. Ende - Aus! Und eine solche Gemeinschaft pflegt Traditionen.
Das hat nichts, aber auch gar nichts mit "identitär" zu tun.
schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Feb 2017, 05:22)]Der aktuelle politische Trend ist, glaube ich, viel zu machtvoll und dominant, um ihn auf irgendeine Unzufriedenheit mit irgendeiner Politik irgendeiner Partei zurückzuführen. Auf irgendeine nicht eingehaltene Rentenangleichsquote, einen nicht fristgerecht fertiggestellten Flugplatz oder irgendwelche als unangemessen empfundenen Autobahngebühren. Es ist eher ein globaler Schwenk von der Erfolgsgeschichte des Individualismus hin zu einem "Wir hier und die dort. Entscheide dich, wo du hingehörst. Und glaube ja nicht, dass du mit deinem "Ich zuerst" hier, heute und bei uns noch durchkommst."
Mir erschließt sich nich, wo du aus meinen Ausführungen zur Identitätsbildung/-entwicklung, zur Erhaltung und Pflege kulturellen Erbes und kultureller Traditionen ein "ich zuerst heraus lesen willst".
Eines ist jedoch sicher - das zeigt sich in ganz Europa - dass die Menschen mit einer Politik der Selbstaufgabe, Selbstverleugnung - die in Deutschland innerhalb eines bestimmten politischen Spektrums besonders stark ist - verbunden mit einer Preisgabe kultureller Werte, sehr unzufrieden sind. Sie wollen keine Aufgabe von Nation/Nationalstaat, sie wollen das Gegenteil - mehr Souveränität für die Nationalstaaten, weniger Bürokratie und weniger Vorschriften.
Und was du glaubst, ist irrelevant - der gegenwärtige Trend ist eindeutig und der zielt auf Bewahrung unserer Kultur, darauf nur Einflüsse zuzulassen, die mit dieser Kultur kompatibel sind, die diese Kultur tatsächlich bereichern und diese Einflüsse freiwillig aufzunehmen und nicht per politischen Beschluss alle Einflüsse - auch die zerstörerischen - aufnehmen zu müssen.
schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Feb 2017, 05:22)Exemplarisch dafür ist für mich der völlig unbedachtsame Umgang mit dem "Abendland"-Begriff. Nicht nur bei Pegida, Legida und Co. Das "Abendland" ist in erster Linie und historisch gesehen ein Gegenpol-Konzept. Es steht dem "Morgenland" gegenüber. Novalis und die Brüder Schlegel stehen namentlich vor allem für eine romantische Abendland-Nostalgie. Die gesamte Epoche nach dem Wiener Kongress ist von diesem antiaufklärerischem Traditionalismus geprägt (um einigermaßen beim Thema zu bleiben). Man war um 1800 eigentlich schon so weit gekommen: Kant, Goethe, Humboldt, Leibnitz, Newton. Kategorischer Imperativ, Wahlverwandtschaften (schon vom Titel her antiidentitär), Infinitesimalrechnung, Latein und Antiqua-Schrift als kosmopolitische Austauschbasis und sozusagen historisches Internet statt "Abendland". Aber es kamen nun zig Dekaden Dunkelheit stattdessen. Eichenwaldrauschen, Wartburgfeste, deutsche Frakturschrift als Aufrichtigkeitsbekenntnis, patriotische Turnvereine, Treue, Ehre, Vaterland. Beendet wurde diese Finsternis letztlich nicht durch Politik sondern durch Eisenbahn, Dampfmaschine, Elektrizität und Telefon. Und deshalb - so hoffe ich jedenfalls - wird sich die Gesellschaftsutopie "Gemeinschaft jenseits von Identität" nicht durch den Wahlerfolg irgendeiner linken Partei sondern ganz objektiv durch Technologiefortschritt durchsetzen.
1. den Begriff "Abendland" habe ich nirgends verwendet!

2. ist alles,aber auch wirklich alles, was du nennst - angefangen von unserer Schrift, wissenschaftlichen Erkenntnissen, Philosophie, Kunst, Dichtung Demokratie(!), Humaninsmus(!) bis hin zur Industrialiesierung - genaus das, was unsere Kultur ausmacht, das was es zu bewahren und zu schützen gilt.

3. Also was faselst du in diesem Zusammenhang von "identitärer Bewegung"?
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Direkt und namentlich und sozusagen offiziell für afd und pegida ist die eine Frage. Ich denke aber mal, es gibt eine sehr große Anzahl von Menschen, die so eine "naja, die sind ein bissel extrem ... aber eigentlich ... so ganz unrecht haben sie ja nicht"-Meinung vertreten.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Mo 13. Feb 2017, 11:29, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Dark Angel »

think twice hat geschrieben:(12 Feb 2017, 22:24)

Dass zwei Drittel der Deutschen der Meinung von Pegida und AfD sind, halte ich für ein Gerücht.
Lerne lesen!
Da steht, "einer emnid-Umfrage zufolge (November 2016) sehen zwei Drittel der Bevölkerung ihre Sorgen von der Politik nicht ernst genommen"
Kannst du gerne hier, hier oder hier nachlesen.
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Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(13 Feb 2017, 11:15)
Es handelt sich um ein politisches Konzept und nur darum geht es. Es geht darum, dass Menschen vorgeschrieben werden soll wie, womit bzw worüber sie sich zu identifizieren haben und das wiederum schränkt deren Freiheit ein.
Da gibt es offenbar keinerlei Möglichkeit der Verständigung. Ich sage im wesentlichen "Gemeinschaft jenseits von Identität" bedeutet, jeder soll individuell so sein wie er will. Niemandem soll irgendeine Art "Leitkultur" vorgeschrieben werden. Du sagst: "Gemeinschaft jenseits von Identität" würde das Vorschreiben von irgendetwas bedeuten.

Ich denke mal, es ist so: Das Nicht-Vorschreiben irgendeiner Art von Leitkultur würde de facto bedeuten, dass sich der Charakter der Gesellschaft langfristig verändern würde. Das ist es eigentlich, was von den Traditionalisten befürchtet wird. Und deshalb muss diese freiwillige Veränderung als "erzwungen" denunziert werden.
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Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 11:39)

Da gibt es offenbar keinerlei Möglichkeit der Verständigung. Ich sage im wesentlichen "Gemeinschaft jenseits von Identität" bedeutet, jeder soll individuell so sein wie er will. Niemandem soll irgendeine Art "Leitkultur" vorgeschrieben werden. Du sagst: "Gemeinschaft jenseits von Identität" würde das Vorschreiben von irgendetwas bedeuten.
Das sind Menschen, da bedarf es keines neuen Konzepts.
Dafür müsste man allerdings kapieren, dass Kultur etwas ist, was von Menschen geschaffen wurde und dass diese Menschen gleichzeitig auch Träger der/einer Kultur sind und das funktioniert nur, wenn sich die Menschen auch mit ihrer Kultur identifizieren. Menschen identifizieren sich nunmal mit der Kultur, in der sie sozialisiert werden, sie identifizieren sich mit und über deren Werte. Und das bedeutet in "unseren" Fall - "wir" identifizieren uns mit Werten wie Demokratie, Humanismus etc, weil diese Werte ihren Ursprung in "unserer" Kultur haben und weil die Gemeinschaften, denen sich Menschen zugehörig fühlen, ebenso Teil "unserer" Kultur sind.
Es gibt keine Gemeinschaft "jenseits" von Identität, weil die Gemeinschaft der "wir" uns zugehörig fühlen, Teil unserer Identität sind - nämlich deren soziale/gesellschaftliche Komponente.
schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 11:39)Ich denke mal, es ist so: Das Nicht-Vorschreiben irgendeiner Art von Leitkultur würde de facto bedeuten, dass sich der Charakter der Gesellschaft langfristig verändern würde. Das ist es eigentlich, was von den Traditionalisten befürchtet wird. Und deshalb muss diese freiwillige Veränderung als "erzwungen" denunziert werden.
Ich habe nirgends etwas von "Leitkultur" geschrieben!
Das Mindeste was man allerdings von Zu- und Einwanderern erwarten kann, ist Intergration = Anerkennen und Respektieren der kulturellen Werte, der Kultur, in der sie fortan zu leben beabsichtigen!
Und in genau diesem Sinn ist m.M.n. der Terminus "Leitkultur" auch gemeint.
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Re: Re:

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(13 Feb 2017, 12:25)
Und das bedeutet in "unseren" Fall - "wir" identifizieren uns mit Werten wie Demokratie, Humanismus etc, weil diese Werte ihren Ursprung in "unserer" Kultur haben und weil die Gemeinschaften, denen sich Menschen zugehörig fühlen, ebenso Teil "unserer" Kultur sind.
Das Problem wurde in diesem Thread auch schon mehrfach diskutiert und da dürfte der Dissenz kaum aufhebbar sein: Demokratie, Humanismus, Menschenrechte sind für mich universell gültige Werte und sie als "unsere" zu beanspruchen ist so widersinnig wie es die "Deutsche Physik" war.

Apropos Deutschland. Die Zustände in Deutschland sind ja - einerseits zum Glück und andererseits noch - einigermaßen liberal. Noch wird in Gottesdiensten oder auf Schulhöfen nicht die Nationalhymne abgesungen (wie in zahlreichen anderen sich als Demokratien verstehenden Ländern). Doch den Vorschlag oder auch die Forderung dazu gibt es seit Jahren immer mal wieder. Nicht (nur) von pegida oder afd sondern sehr wohl (auch) aus den Reihen der C-Parteien. Es steht einfach die Frage, ob man dieses Land einfach so in den weltweiten nationalistischen Strudel mitreißen lassen will. Für mich steht immer wieder die Frage und das Erstaunen, wie man eine solche panische Angst haben kann, Opfer eines islamistischen Anschlags zu werden, wo die Wahrscheinlichkeit dafür noch lange nicht mal im Promillebereich liegt, aber die viel viel wahrscheinlichere Möglichkeit, dass in Deutschland eine nationalistische Gesellschaft der einen oder anderen Variante die Oberhand gewinnt einen gleichgültig lässt oder sogar gewisse Hoffnungen nährt.
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Re: Re:

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 11:39)

Da gibt es offenbar keinerlei Möglichkeit der Verständigung. Ich sage im wesentlichen "Gemeinschaft jenseits von Identität" bedeutet, jeder soll individuell so sein wie er will. Niemandem soll irgendeine Art "Leitkultur" vorgeschrieben werden. Du sagst: "Gemeinschaft jenseits von Identität" würde das Vorschreiben von irgendetwas bedeuten.

Ich denke mal, es ist so: Das Nicht-Vorschreiben irgendeiner Art von Leitkultur würde de facto bedeuten, dass sich der Charakter der Gesellschaft langfristig verändern würde. Das ist es eigentlich, was von den Traditionalisten befürchtet wird. Und deshalb muss diese freiwillige Veränderung als "erzwungen" denunziert werden.
Um es zu verdeutlichen, dass es keine Gemeinschaft jenseits von Identität gibt, geben kann:
Christen - egal ob nun Katholiken, Methodisten, Protestanten etc p.p. - bilden jeweil eine Gemeinschaft - eine Religionsgemeinschaft und als Christen ist eine dieser Gemeinschaften, der sie angehören und der sie sich zugehörig fühlen, ein wichtiger, wenn nicht teilweise sogar der wichtigste Teil ihrer Indentität.
Da gibt es kein "jenseits", weil sie ohne die Zugehörigkeit zu einer dieser Gemeinschaften keine (eigene) identität mehr besitzen würden - sie würden sich der Beliebigkeit preisgeben - gesichtslos, austauschbar.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

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schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 10:45)

Die Motive für eine solch emotional aufgeladene Abwehrhaltung gegen das Konzept "Gemeinschaft jenseits von Identität" bleiben mir letztendlich unklar, obwohl ich jetzt einige Zeit darüber nachgedacht habe. Nur zur sachlichen Klärung jedenfalls: Es ist ein konsequent, ja geradezu radikal individualistisches Konzept. Das heißt: So lange gesetzliche und verfassungsmäßige Regeln eingehalten werden, hat es niemanden, aber wirklich niemanden, nicht den Staat, keine Behörde, keinen Geheimdienst, vor allem nicht die Öffentlichkeit, wirklich absolut niemanden etwas anzugehen, ob sich jemand als Chinese, Muslim, Kommunist, Antroposoph oder als von Chemtrails Verfolgter sieht. Die Grundrichtung ist einfach eine völlig andere. Es geht nicht im Mindesten um das Verbot einer Identität sondern um den Verzicht auf die Vorschreibung irgendeiner Identität. Es geht darum, das Konzept "Leitkultur" in jedweder Hinsicht zu verhindern.
Das Konzept der individuellen Grundrechte gibt es längst. Kodifiziert ist es in einem Machwerk namens Grundgesetz. Allerdings geht es über den "trans-identitären" Ansatz hinaus, indem es den Muslim nicht nur als Individuum, sondern tatsächlich als Angehörigen einer Glaubensgemeinschaft anerkennt. Aus der Freiheit der Religionsausübung ergibt sich zwangsläufig ein Gemeinschaftsrecht.
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Re: Re:

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(13 Feb 2017, 12:57)

Um es zu verdeutlichen, dass es keine Gemeinschaft jenseits von Identität gibt, geben kann:
Christen - egal ob nun Katholiken, Methodisten, Protestanten etc p.p. - bilden jeweil eine Gemeinschaft - eine Religionsgemeinschaft und als Christen ist eine dieser Gemeinschaften, der sie angehören und der sie sich zugehörig fühlen, ein wichtiger, wenn nicht teilweise sogar der wichtigste Teil ihrer Indentität.
Da gibt es kein "jenseits", weil sie ohne die Zugehörigkeit zu einer dieser Gemeinschaften keine (eigene) identität mehr besitzen würden - sie würden sich der Beliebigkeit preisgeben - gesichtslos, austauschbar.
Doch. Gibt es. Denn wie ich schon zigfach den von Dir ins Spiel gebrachten Johannes Keupp zitiert habe (bist leider nicht drauf eingegangen), gibt es in der Moderne einen Bruch zwischen den Identitätskonstruktionen wie sie sich etwa in christlichen Religionsgesellschaften bis vor kurzem gebildet haben und den heutigen modernen Gesellschaften. Also "unseren" Mitteleuropäischen zum Beispiel. Ich bringe gerne noch eine andere Keupp-Passage aus einem anderen Text dazu:
Wenn wir uns der Frage zuwenden, welche gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen die alltäglichen Lebensformen der Menschen heute prägen, dann kann man an dem Gedanken des „disembedding“ oder der Enttraditionalisierung anknüpfen. Dieser Prozess lässt sich einerseits als tiefgreifende Individualisierung und als explosive Pluralisierung andererseits beschreiben. Diese Trends hängen natürlich zusammen. In dem Maße, wie sich Menschen herauslösen aus vorgegebenen Schnittmustern der Lebensgestaltung und eher ein Stück eigenes Leben gestalten können, aber auch müssen, wächst die Zahl möglicher Lebensformen und damit die möglichen Vorstellungen von Normalität und Identität.
http://www.ipp-muenchen.de/texte/identi ... uktion.pdf
Ich habe mich gewiss an einigen Stellen etwas verquer ausgedrückt, aber das obige Zitat ist jedenfalls Wort für Wort exakt das, was ich zum Thema denke. Läuft auch unterm dem Stichwort des von dem berühmten Soziologen Zygmunt Baumann ab etwa 2000 ins Spiel gebrachte Stichwort "liquid modernity". Das Schreckensbild wertkonservativer Menschen von der "Gesichtslosigkeit" der Moderne hat sich längst und nachhaltig als nur eben solches herausgestellt. "Identitäten" existieren weiterhin und sind als solche weiterhin zu achten. Sie schwirren jedoch inzwischen als Identitätskorpuskeln durch den Raum und ballen sich von Zeit zu Zeit und von Ort zu Ort zu lokalen Identitätswolken. Dynamisch, flüchtig, instabil.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Mo 13. Feb 2017, 14:08, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(13 Feb 2017, 13:40)

Das Konzept der individuellen Grundrechte gibt es längst. Kodifiziert ist es in einem Machwerk namens Grundgesetz. Allerdings geht es über den "trans-identitären" Ansatz hinaus, indem es den Muslim nicht nur als Individuum, sondern tatsächlich als Angehörigen einer Glaubensgemeinschaft anerkennt. Aus der Freiheit der Religionsausübung ergibt sich zwangsläufig ein Gemeinschaftsrecht.
Ja. Das will auch niemand abschaffen. Aber ebensowenig kann mich jemand daran hindern, diese religiösen Gemeinschaften als Schnittmuster-Vorlagen anzusehen (siehe oben) und zu bezeichnen und meine eigene persönliche Handlungsethik dagegen zu setzen.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 10:51)

Wesentlich ist, dass das Konzept universeller Menschenrechte und der Kantsche kategorische Imperativ - eben - universell gültig ist. Im Westen, Osten, Süden ebenso wie im Norden. So wie 1 plus 1 eben nicht nur in London oder Paris 2 ergibt sondern auch in Istanbul oder Tokio.
Daß das Menschenrechtskonzept der Aufklärung Allgemeingültigkeit beansprucht, bedeutet nicht ihre tatsächliche Geltung. Mit Blick auf die islamischen Staaten läßt sich das sehr leicht feststellen.
Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte stellt die Grundrechte unter Vorbehalt der Scharia. Das entspricht den islamischen Werten. Die Werte der abendländischen Kultur sehen anders aus. Genau darum geht es.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(13 Feb 2017, 13:58)

Daß das Menschenrechtskonzept der Aufklärung Allgemeingültigkeit beansprucht, bedeutet nicht ihre tatsächliche Geltung. Mit Blick auf die islamischen Staaten läßt sich das sehr leicht feststellen.
Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte stellt die Grundrechte unter Vorbehalt der Scharia. Das entspricht den islamischen Werten. Die Werte der abendländischen Kultur sehen anders aus. Genau darum geht es.
Du vergisst dabei, dass es ein - sagen wir einmal - Daseinsmodell gibt, bei dem der logische Verstand den Sinn und die Richtigkeit dieser Grundrechte erkennt und dabei und danach nicht den mindesten Bedarf sieht, sich einer abendländischen oder morgenländischen Kultur zugehörig zu sehen.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 14:11)

Du vergisst dabei, dass es ein - sagen wir einmal - Daseinsmodell gibt, bei dem der logische Verstand den Sinn und die Richtigkeit dieser Grundrechte erkennt und dabei und danach nicht den mindesten Bedarf sieht, sich einer abendländischen oder morgenländischen Kultur zugehörig zu sehen.
Erzähl' das mal islamischen Rechtsgelehrten.
Deine Argumentation ist übrigens mehr als nur latent rassistisch, indem es den Muslimen, die die Scharia akzeptieren, implizit den Verstand abspricht.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Unité 1 »

Dark Angel hat geschrieben:(09 Feb 2017, 16:36)

Ich schrieb zwischenmenschliche Beziehung und nicht zwischenmenschliche Kommunikation - eine Beziehung ist "geringfügig" mehr als nur Kommunikation, weil zwischenmenschliche Beziehungen genau das schaffen, was Kommunikation allein nicht kann, nämlich soziale Kompetenz(en) entwickeln.
Ohne Kommunikation keine Beziehung. Du nanntest die Möglichkeiten globalisierter Kommunikation einen unzureichenden Ersatz für den Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen und stelltest das einer "Rückbesinnung" auf Traditionen gegenüber, also in einen Kommunikationskontext. Es bleibt die Frage bestehen, wieso eine Rückbesinnung überhaupt nötig sein soll, da das Knüpfen von zwischenmenschlichen Beziehungen - die zwischenmenschlicher Kommunikation bedürfen :rolleyes: - ein grundlegendes konstantes Bedürfnis von Menschen ist.
Wobei, hier gibt es eigentlich keine Frage, deine Aussage war unsinnig. Denn globalisierte Kommunikation hat erstens keinen Anspruch, als Ersatz für zwischenmenschliche Beziehungen zu fungieren. Zweitens sind zwischenmenschliche Beziehungen nicht mit dem Manufakturwesen verschwunden, der Zusammenhang von einer "Rückbesinnung auf Traditionen" und zwischenmenschlichen Beziehungen ist nicht unmittelbar gegeben. Nur als:
Wenn eine Rükbesinnung auf Tradition - egal welche und was man darunter auch verstehen will - zwischenmenschliche Beziehungen fördern kann, dann fördert das auch die Entwicklung sozialer Kompetenz(en).
Die Wiederentdeckung und Weitergabe traditioneller Handarbeitstechniken/Handwerkstechniken firmiert auch unter "Rückbesinnung auf Traditionen". Und da die vielfach in Vergessenheit geraten sind, IST Rückbesinnung notwendig.
Vereinsmeierei. Was denn auch sonst. Der einzige Bezugspunkt von Traditionspflege zum sozialen direkten Miteinander liegt im gemeinschaftlichen Bürsten von Büsten.
Dein Versuch, die "Notwendigkeit" einer Traditionsrückbesinnung nicht mehr mit sozialen Erfordernissen, sondern mit Handarbeitstechniken zu begründen, deutet darauf hin, dass du das selbst so siehst.
Nennt sich Pflege des kulturllen Erbes und ist u.a. ein Hauptanliegen der UNESCO ==> Deklaration von 1954 und Pariser Vertrag von 1972.
:D :rolleyes:

Nein natürlich kommt man nicht umhin, wenn man gewöhnt ist, alles durch die ideologische Brille zu betrachten und Tradition(en)
Ideologien verengen den Horizont, die Interpretation der Welt wird nur noch über ein einziges Erklärungsmuster=Ideologie als zulässig erachtet. Das heißt, dass nicht derjenige Ideologe ist, der Fragen aufwirft und Möglichkeiten erörtert, nicht wahr Dark Angel? Wohingegen das brüske Wegbürsten von Betrachtungen über Implikationen, die dem eigenen liebgewonnenen Deutungsmuster entgegenstehen, als Ausdruck ideologischen Handelns verstanden werden kann, nicht wahr Dark Angel?
oder z.B. ethisch-moralische Werte als "überflüssigen Ballast" betrachtet, dessen man sich schnellstens entledigen sollte. Dann ist das natürlich seehhr hilfreich, wenn man das in einem ganz bestimmten politischen Spektrum verorten kann.
100%ACK.
Ethisch-moralische Werte wie Aufrichtig- und Redlichkeit, der Verzicht auf Lügen und Falschdarstellungen oder das Unterlassen von Unterstellungen gehören als erstes über Bord geworfen, nicht wahr Dark Angel?
Jaaa natürlich - "Vereinsmeierei" - was schließen sich Menschen überhaupt in Vereinen zusammen, wenn nicht als "kollektive selbstkonstituierende Identitäten"?
Du hast mich offensichtlich nicht verstanden. Wenn Menschen eine Gemeinschaft bilden, ist das ihre Sache. Sie können sich soviele kollektive Identitäten zulegen wie sie möchten. Der Anfangspunkt der Identität liegt hier beim Menschen - er selbst ist identitätsstiftend. Ein Beispiel hierfür wären Vereine. Das ist ganz natürlich.
Wird stattdessen nicht mehr ein Mensch, sondern eine Sache wie z.B. Tradition oder Kultur als eigentlich identitätsstiftend begriffen, dann verkehrt sich das Verhältnis. Der Ursprung der Identität liege dann z.B. bei partikularen Werten. (Das ist selbstverständlich unmöglich - aber es gibt ja trotzdem manche Verfechter einer solchen Auffassung hier im Strang.) Damit verkommt der Mensch zum Automaten: Er schlüpft in die vorgegebene Identität. Die vorgegebene Identität braucht also keine Menschen zur Geburt; sie konstituiert sich selbst, ist also kollektive selbstkonstituierende Identität. Beispiele hierfür wären Nationalismen aller Art. Das ist durch und durch künstlich. (Und im Grunde verengt das auch die Möglichkeit zu zwischenmenschlichen Beziehungen, da das Entfaltungspotential von Menschen so von vornherein eingeengt wird.)
Schon mal auf die Idee gekommen, dass die gemeinsame Interessen, ein gemeinsames Hobby verbindet, welches sich nur in einem Verein betreiben lässt? Nicht?
Klar. Weswegen sonst sollte man Vereinen beitreten?
Wie bist du denn auf die Idee gekommen, dass mir hierzu keine Idee gekommen sei? Gibt's ne Begründung für die Unterstellung oder ist das komplett free style?
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Re: Re:

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 13:53)
Doch. Gibt es. Denn wie ich schon zigfach den von Dir ins Spiel gebrachten Johannes Keupp zitiert habe (bist leider nicht drauf eingegangen), gibt es in der Moderne einen Bruch zwischen den Identitätskonstruktionen wie sie sich etwa in christlichen Religionsgesellschaften bis vor kurzem gebildet haben und den heutigen modernen Gesellschaften. Also "unseren" Mitteleuropäischen zum Beispiel. Ich bringe gerne noch eine andere Keupp-Passage aus einem anderen Text dazu:
http://www.ipp-muenchen.de/texte/identi ... uktion.pdf
Ich habe keinen Johannes Keupp ins Spiel gebracht und auch nicht zitiert!
Der Mann, den ich ins Spiel gebracht habe, ist Prof. Dr.Heiner Keupp und auch dieser sagt:
Identität ist als konzeptioneller Rahmen zu verstehen, innerhalb dessen eine Person ihre Erfahrungen interpretiert und die jeweils die Basis bildet für die alltägliche Identitätsarbeit. Identitätsarbeit zielt darauf, ein individuell gewünschtes oder notwendiges "Gefühl von Identität" zu erzeugen. Voraussetzungen für dieses Gefühl sind soziale Anerkennung und Zugehörigkeit. Vor dem Hintergrund von Pluralisierungs-, Individualisierungs- und Entstandardisierungsprozessen ist das Inventar übernehmbarer Identitätsmuster ausgezehrt. Alltägliche Identitätsarbeit hat die Aufgabe, die Passungen, die Verknüpfungen unterschiedlicher Teilidentitäten vorzunehmen.

Auch Keupp sagt: "Voraussetzungen für dieses Gefühl [von individueller Indentität] sind soziale Anerkennung und Zugehörigkeit"
Und Zugehörigkeit bedeutet Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft! Er behauptet also nicht - wie von dir unterstellt - dass es eine Identität jenseits von (einer) Gemeinschaft gäbe. Dass du dir aber nur das selektiv herauspickst, was dir in den Kram passt, wundert mich gar nicht.

Dabei ignorierst du jedoch, was Keupp auch sagt - nämlich:
Das Leben in der Wissens-, Risiko-, Ungleichheits-, Zivil-, Einwanderungs-, Erlebnis- und Netzwerkgesellschaft verdichtet sich zu einer verallgemeinerbaren Grunderfahrung der Subjekte in den fortgeschrittenen Industrieländern: In einer "ontologischen Bodenlosigkeit", einer radikalen Enttraditionalisierung, dem Verlust von unstritttig akzeptierten Lebenskonzepten, übernehmbaren Identitätsmustern und normativen Koordinaten. Subjekte erleben sich als Darsteller auf einer gesellschaftlichen Bühne, ohne dass ihnen fertige Drehbücher geliefert würden. Genau in dieser Grunderfahrung wird die Ambivalenz der aktuellen Lebensverhältnisse spürbar. Es klingt natürlich für Subjekte verheißungsvoll, wenn ihnen vermittelt wird, dass sie ihre Drehbücher selbst schreiben dürften, ein Stück eigenes Leben entwerfen, inszenieren und realisieren könnten. Die Voraussetzungen dafür, dass diese Chance auch realisiert werden können, sind allerdings bedeutend. Die erforderlichen materiellen, sozialenund psychischen Ressourcen sind oft nicht vorhanden und dann wird die gesellschaftliche Notwendigkeit und Norm der Selbstgestaltung zu einer schwer erträglichen Aufgabe, der man sich gerne entziehen möchte. Die Aufforderung, sich selbstbewusst zu inszenieren, hat ohne Zugang zu der erforderlichen Ressourcen, etwas zynisches.[...]
Wie könnte man die Aufgabenstellung für unsere alltägliche Identitätsarbeit formulieren? Hier meine thesenartige Antwort: Im Zentrum
der Anforderungen für eine gelingende Lebensbewältigung stehen die Fähigkeiten zur Selbstorganisation, zur Verknüpfung Ansprüchen auf ein gutes und authentisches Leben mit den gegebenen Ressourcen und letztlich die innere Selbstschöpfung von Lebenssinn. [...]
Meine These bezieht sich genau darauf:
Identitätsarbeit hat als Bedingung und als Ziel die Schaffung von Lebenskohärenz. In früheren gesellschaftlichen Epochen war die Bereitschaft zur Übernahme vorgefertigter Identitätspakete das zentrale Kriterium für Lebensbewältigung. Heute kommt es auf die individuelle Passungs- und Identitätsarbeit an, also auf die Fähigkeit zur
Selbstorganisation, zum "Selbsttätigwerden" oder zur „Selbsteinbettung“. Kinder und Jugendliche brauchen in ihrer Lebenswelt „Freiräume“, um sich selbst zu entwerfen und gestaltend auf ihren Alltag einwirken zu können. Das Gelingen dieser Identitätsarbeit bemisst sich für das Subjekt von Innen an dem Kriterium der Authentizität und von Außen am Kriterium der Anerkennung."
(aus deinem Link!)

Keupp spricht von einer These, wie sich Identitätsbildung/-entwicklung in der modernen Welt vollziehen könnte, er erhebt jedoch keinen Anspruch darauf, dass diese These ein Konzept für die Identitätsbildung/-entwicklung darstellt. Er sagt auch nirgendwo, dass Identität jenseits (ohne) Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft möglich wäre/existieren könnte. Im Gegenteil auch Keupp betont die Zweidimensionalität von Identität - nämlich deren innere und äußere Dimension.
Und damit sagt er an keiner Stelle etwas anderes, als ich mit meinen eigenen Worten dargelegt habe!

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 13:53)Ich habe mich gewiss an einigen Stellen etwas verquer ausgedrückt, aber das obige Zitat ist jedenfalls Wort für Wort exakt das, was ich zum Thema denke. Läuft auch unterm dem Stichwort des von dem berühmten Soziologen Zygmunt Baumann ab etwa 2000 ins Spiel gebrachte Stichwort "liquid modernity". Das Schreckensbild wertkonservativer Menschen von der "Gesichtslosigkeit" der Moderne hat sich längst und nachhaltig als nur eben solches herausgestellt. "Identitäten" existieren weiterhin und sind als solche weiterhin zu achten. Sie schwirren jedoch inzwischen als Identitätskorpuskeln durch den Raum und ballen sich von Zeit zu Zeit und von Ort zu Ort zu lokalen Identitätswolken. Dynamisch, flüchtig, instabil.
Ja dumm nur, dass das was DU denkst, nicht mit dem übereinstimmt, was Keupp sagt bzw nichts mit dem zu tun hat, was Keupp sagt.
Darüber hinaus - auch Keupps vertritt nur eine Identitätstheorie - nämlich seine eigene. Aber auch diese ist nicht allgemeingültig, sondern nur eine Theorie von vielen nebeneinander existierenden Identitätstheorien.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(13 Feb 2017, 14:22)

Erzähl' das mal islamischen Rechtsgelehrten.
Deine Argumentation ist übrigens mehr als nur latent rassistisch, indem es den Muslimen, die die Scharia akzeptieren, implizit den Verstand abspricht.
:p entschuldige, wenn ich dieses Knäuel von logischen Widersprüchen und Fehlschlüssen in so wenig Text etwas amüsant finde. Die Tatsache, dass ich - und ich spreche nur für mich - so etwas wie den Kantschen Imperativ in erster Linie über den logischen Verstand rezipiere, heißt weder, dass andere dieses Prinzip überhaupt nicht rezipieren noch sagt das etwas über die Art und Weise aus, wie sie diesen rezipieren oder nicht rezipieren. Und da ich mich weder dem Morgen- noch dem Abendlande "zugehörig" fühle, muss ich auch weder einen islamischen Rechtsgelehrten von meinen Ansichten überzeugen noch diese von ihm absegnen lassen.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 10:51)

Wesentlich ist, dass das Konzept universeller Menschenrechte und der Kantsche kategorische Imperativ - eben - universell gültig ist. Im Westen, Osten, Süden ebenso wie im Norden. So wie 1 plus 1 eben nicht nur in London oder Paris 2 ergibt sondern auch in Istanbul oder Tokio.
Dat Dumme ist nur, dass der Kantsche kategorische Imperativ eben keine universelle Gültigkeit haben. Kant war Philosoph der Aufklärung und damit unserer Kultur verhaftet, arbeitete in der Tradition unserer Kultur, und eben nicht in der Tradition östlicher/fernöstlicher Philosophie und auch nicht in der Tradition "südlicher" Philosophie.
Wir - (damit meine ich die Menschen des westlichen Kulturraumes) und nur wir - erkennen die Menschenrechte als universelle (uneingeschränkte) Werte an, billigen sie damit allen Menschen zu.
Die islamische Kultur erkennt die Menschenrechte nicht als universellen Wert an und auch nicht uneingeschränkt - da steht die Scharia über den Menschenrechten.
In fernöstlichen Kulturen werden Menschenrechte nicht als universelle Werte anerkannt, sondern ihnen ein Pflichtenkanon gegenüber gestellt, in dem das Individuum hinter der Gemeinschaft zurück zu stehen hat. Gleiches gilt für diverse nationalstaatliche Diktaturen, die die Anerkennung der Menschenrechte als universelle Werte, als Eingriff in ihre staatliche Souveränität betrachten.
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Re: Re:

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 11:39)

Da gibt es offenbar keinerlei Möglichkeit der Verständigung. Ich sage im wesentlichen "Gemeinschaft jenseits von Identität" bedeutet, jeder soll individuell so sein wie er will. Niemandem soll irgendeine Art "Leitkultur" vorgeschrieben werden. Du sagst: "Gemeinschaft jenseits von Identität" würde das Vorschreiben von irgendetwas bedeuten.

Ich denke mal, es ist so: Das Nicht-Vorschreiben irgendeiner Art von Leitkultur würde de facto bedeuten, dass sich der Charakter der Gesellschaft langfristig verändern würde. Das ist es eigentlich, was von den Traditionalisten befürchtet wird. Und deshalb muss diese freiwillige Veränderung als "erzwungen" denunziert werden.
Da denkst du vollkommen verkehrt!
Jede Kultur verändert sich langfristig, indem externe Einflüsse freiwillig aufgenommen werden. Das Problem, warum von Leitkultur/dem Einführen einer Leitkultur gesprochen wird (übrigens auch von den Regierungsparteien) ist, dass Intergration eben nicht stattfindet, sich stattdessen Parallelgesellschaften bilden, die nicht mit unserem Wertekanon, unseren Rechtssystem vereinbar sind und die unseren Wertekanon und unser Rechtsssystem auch nicht anerkennen und respektieren.
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Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(13 Feb 2017, 15:15)

Ich habe keinen Johannes Keupp ins Spiel gebracht und auch nicht zitiert!
Der Mann, den ich ins Spiel gebracht habe, ist Prof. Dr.Heiner Keupp und auch dieser sagt:
Ja, sorry, ich weiß nicht wie ich auf "Johannes" komme (das heißt, ich ahne es schon, ist aber jetzt Privatsache), war ein Verschreiber, ich meine natürlich auch "Heiner".
Das Leben in der Wissens-, Risiko-, Ungleichheits-, Zivil-, Einwanderungs-, Erlebnis- und Netzwerkgesellschaft verdichtet sich zu einer verallgemeinerbaren Grunderfahrung der Subjekte in den fortgeschrittenen Industrieländern: In einer "ontologischen Bodenlosigkeit", einer radikalen Enttraditionalisierung, dem Verlust von unstritttig akzeptierten Lebenskonzepten, übernehmbaren Identitätsmustern und normativen Koordinaten. Subjekte erleben sich als Darsteller auf einer gesellschaftlichen Bühne, ohne dass ihnen fertige Drehbücher geliefert würden. Genau in dieser Grunderfahrung wird die Ambivalenz der aktuellen Lebensverhältnisse spürbar. Es klingt natürlich für Subjekte verheißungsvoll, wenn ihnen vermittelt wird, dass sie ihre Drehbücher selbst schreiben dürften, ein Stück eigenes Leben entwerfen, inszenieren und realisieren könnten. Die Voraussetzungen dafür, dass diese Chance auch realisiert werden können, sind allerdings bedeutend. Die erforderlichen materiellen, sozialenund psychischen Ressourcen sind oft nicht vorhanden und dann wird die gesellschaftliche Notwendigkeit und Norm der Selbstgestaltung zu einer schwer erträglichen Aufgabe, der man sich gerne entziehen möchte. Die Aufforderung, sich selbstbewusst zu inszenieren, hat ohne Zugang zu der erforderlichen Ressourcen, etwas zynisches.[...]

Ja. Distanziertheit und Skepsis ist erstmal gut und richtig. Auch hier. Stimme ich zu.
Wie könnte man die Aufgabenstellung für unsere alltägliche Identitätsarbeit formulieren? Hier meine thesenartige Antwort: Im Zentrum
der Anforderungen für eine gelingende Lebensbewältigung stehen die Fähigkeiten zur Selbstorganisation, zur Verknüpfung Ansprüchen auf ein gutes und authentisches Leben mit den gegebenen Ressourcen und letztlich die innere Selbstschöpfung von Lebenssinn. [...]

Meine These bezieht sich genau darauf:
Identitätsarbeit hat als Bedingung und als Ziel die Schaffung von Lebenskohärenz. In früheren gesellschaftlichen Epochen war die Bereitschaft zur Übernahme vorgefertigter Identitätspakete das zentrale Kriterium für Lebensbewältigung. Heute kommt es auf die individuelle Passungs- und Identitätsarbeit an, also auf die Fähigkeit zur
Selbstorganisation, zum "Selbsttätigwerden" oder zur „Selbsteinbettung“. Kinder und Jugendliche brauchen in ihrer Lebenswelt „Freiräume“, um sich selbst zu entwerfen und gestaltend auf ihren Alltag einwirken zu können. Das Gelingen dieser Identitätsarbeit bemisst sich für das Subjekt von Innen an dem Kriterium der Authentizität und von Außen am Kriterium der Anerkennung."
(aus deinem Link!)
Das wiederspricht sich doch aber nicht mit dem, was ich denke oder geschrieben habe. Oder ich habe mich wirklich zu verquer ausgedrückt. Genau auf die "Übernahme vorgefertigter Identitätspakete" (also Religion, Nation, Klasse, Ethnie usw.) bezieht sich meine ganze Kritik. Mehr habe ich nicht zu kritisieren.
Keupp spricht von einer These, wie sich Identitätsbildung/-entwicklung in der modernen Welt vollziehen könnte, er erhebt jedoch keinen Anspruch darauf, dass diese These ein Konzept für die Identitätsbildung/-entwicklung darstellt. Er sagt auch nirgendwo, dass Identität jenseits (ohne) Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft möglich wäre/existieren könnte. Im Gegenteil auch Keupp betont die Zweidimensionalität von Identität - nämlich deren innere und äußere Dimension.
Und damit sagt er an keiner Stelle etwas anderes, als ich mit meinen eigenen Worten dargelegt habe!

Ja dumm nur, dass das was DU denkst, nicht mit dem übereinstimmt, was Keupp sagt bzw nichts mit dem zu tun hat, was Keupp sagt.
Darüber hinaus - auch Keupps vertritt nur eine Identitätstheorie - nämlich seine eigene. Aber auch diese ist nicht allgemeingültig, sondern nur eine Theorie von vielen nebeneinander existierenden Identitätstheorien.
Ich habe geschrieben, dass genau die zitierten Sätze das ausdrücken, was ich dazu denke. Nicht mehr. Und dann, ganz wichtig: "jenseits" ist nicht dasselbe wie "ohne". "jenseits" verwendet man typischerweise im Sinne von "darüber hinausgehend". "Gemeinschaft jenseits von Identität" bedeutet nicht Gemeinschaft "ohne Identität" sondern mit einem Zusammenhaltskitt, der über ein traditionelles Verständnis von Identität hinausgeht.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Selina »

Sicher gibt es auch Erscheinungen von "Parallelgesellschaften", aber dieses Phänomen macht nicht die Masse der Menschen mit Migrationshintergrund aus. Das so zu bewerten, also immer die "Parallelgesellschafts"-Keule zu schwingen, ist eine einseitige Sicht und diffamiert die Leute mit fremden Wurzeln in ihrer Gänze. Das geht gar nicht. Die meisten von ihnen sind sehr wohl integriert, tragen zur Vermehrung unseres Steueraufkommens bei und fühlen sich durchaus diesem "Wertekanon" verpflichtet.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(13 Feb 2017, 15:27)

Dat Dumme ist nur, dass der Kantsche kategorische Imperativ eben keine universelle Gültigkeit haben. Kant war Philosoph der Aufklärung und damit unserer Kultur verhaftet, arbeitete in der Tradition unserer Kultur, und eben nicht in der Tradition östlicher/fernöstlicher Philosophie und auch nicht in der Tradition "südlicher" Philosophie.
Ja und? Was hat das mit der Gültigkeit seiner Aussagen zu tun? Gelten die Sätze indischer Mathematiker nur in Indien?
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 15:23)

:p entschuldige, wenn ich dieses Knäuel von logischen Widersprüchen und Fehlschlüssen in so wenig Text etwas amüsant finde. Die Tatsache, dass ich - und ich spreche nur für mich - so etwas wie den Kantschen Imperativ in erster Linie über den logischen Verstand rezipiere, heißt weder, dass andere dieses Prinzip überhaupt nicht rezipieren noch sagt das etwas über die Art und Weise aus, wie sie diesen rezipieren oder nicht rezipieren. Und da ich mich weder dem Morgen- noch dem Abendlande "zugehörig" fühle, muss ich auch weder einen islamischen Rechtsgelehrten von meinen Ansichten überzeugen noch diese von ihm absegnen lassen.
Irgendwie scheinst du nicht verstehen zu wollen, daß die realen Verhältnisse nicht einmal ansatzweise etwas mit deinem ideologischen Bild von der Wirklichkeit zu tun haben.
Deine Behauptung von der universellen Gültigkeit der Menschenrechte habe ich mit dem Verweis auf den Islam als leeres Geschwätz entlarvt, worauf du auf eine angebliche Logik verwiesen hast, mit der sich der Kategorische Imperativ erschließen lassen soll. Das ist der gleiche Unsinn. Moralische Kategorien haben grundsätzlich nichts mit Logik zu tun. Das Sittengesetz ist kein Naturgesetz.
Wenn es das wäre, müßte man eben die Muslime als intellektuell minderbemittelt ansehen. Das ergibt sich implizit aus deiner Argumentation, auch wenn du es nicht verstehst.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 15:55)

Ja und? Was hat das mit der Gültigkeit seiner Aussagen zu tun? Gelten die Sätze indischer Mathematiker nur in Indien?
Moralische Kategorien haben grundsätzlich nichts mit Logik und Naturgesetzen zu tun, sondern mit Kultur. Ihre Geltung hängt vom Anerkennen ab, nicht vom Erkennen.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Kael »

Philosophie hat soweit etwas mit Logik zu tun.
Für uns ist der Kat. Imperativ 'logisch' weil er aus unserer Kultur herauskommt und dadurh Forschung etc. gefördert wird.
In Asien hingegen ist es anders - dort ist wie gesagt der kat. imperativ nicht gültig weil das Werteverständnis ist

Philosophie ist nicht Mathe. In der Philosophie ist 1+1 = 2.

in der Philosophie kannst es folgendermaßen vergleichen:

Kat. Imperativ:

Westlich: 1+1=2
Östlich: 1+1 = 3
Asiatisch: 1+1 = 5
Arabisch: 1+1 = 7

Dabei spiegeln aber die Ergebnisse allerdings wieder, wie 'nah' deren Verständnis an unserem ist. Je größer die Zahl vom tatsächlichen Ergebnis abweicht, desto größer ist der Unterschied zu uns.
So würde es aussehen wenn es 'logisch' wäre.
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Re: Re:

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 15:52)

Ja, sorry, ich weiß nicht wie ich auf "Johannes" komme (das heißt, ich ahne es schon, ist aber jetzt Privatsache), war ein Verschreiber, ich meine natürlich auch "Heiner".
Es gibt da einen Dr. Johannes Keupp, der hat aber nix mit Soziologie oder Psychologie zu tun. ;)
schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 15:52)
]Das wiederspricht sich doch aber nicht mit dem, was ich denke oder geschrieben habe. Oder ich habe mich wirklich zu verquer ausgedrückt. Genau auf die "Übernahme vorgefertigter Identitätspakete" (also Religion, Nation, Klasse, Ethnie usw.) bezieht sich meine ganze Kritik. Mehr habe ich nicht zu kritisieren.
Ja - du hast dich sehr verquer ausgedrückt. Von "vorgefertigten Identitätspaketen" war nämlich nie und nirgends die Rede.
Es war die Rede von einer "sozialen Komponente" bzw von einem "sozialen Aspekt" der Identitätsbildung/-entwicklung - also das, was Keupp "das Außen" oder "äußere Dimension" nennt und die wiederum findet sich in "Zugehörigkeit und Anerkennung" und basiert auf der Kultur, in der man aufgewachsen ist, in der man lebt.
Auf welchem Teil dieser Kultur, ist individuell völlig verschieden - das habe ich doch nie bestritten, ebenso wenig habe ich bestritten, dass jedes Individuum Freiräume braucht, hat und die auch nutzt und dass jeder (Mensch) für sich selbst einen Lebensinn finden muss, ist nun wirklich eine Binse.
Die Tatsache, dass Religiosität langfristig abnimmt (im Moment ist es eher umgekehrt), änder doch nichts daran, dass sich ein Gläubiger seiner jeweiligen Religionsgemeinschaft zugehörig fühlt - ganz individuell und freiwillig - selbst gewählt. Wo siehst du da eine "vorgefertigtes Identitätspaket"?
Gleiches gilt für Nation oder Ethnie, beispielsweise Sorben und in diesem Zusammenhang Pflege von Tradtionen, Sprache, Kunst, Brauchtum - auch hier basiert das Zugehörigkeitsgefühl auf Freiwilligkeit. Wo siehst du da Zwang oder "vorgefertigte Identitätspakete"?
Ich fürchte, du siehst den Kulturbegriff viel zu eng! :?:
schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 15:52)Ich habe geschrieben, dass genau die zitierten Sätze das ausdrücken, was ich dazu denke. Nicht mehr. Und dann, ganz wichtig: "jenseits" ist nicht dasselbe wie "ohne". "jenseits" verwendet man typischerweise im Sinne von "darüber hinausgehend". "Gemeinschaft jenseits von Identität" bedeutet nicht Gemeinschaft "ohne Identität" sondern mit einem Zusammenhaltskitt, der über ein traditionelles Verständnis von Identität hinausgeht.
Was hast du nur immer mit "traditionellem Verständnis von Identität!?
Was soll das sein?
Pflege und Bewahrung von Traditionen, kulturellem Erbe etc, sind wichtig für den Erhalt einer Kultur - Bewahren was wichtig ist/was wichtig erscheint und freiwilliges Einbeziehen externer Einflüsse.
Keupp spricht von der Zweidimensionalität von Identität - dem "Innen" und "Außen" und nichts anderes mache ich, aber dieses "Außen" leugnest du bzw betrachtest es als überholt.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 15:55)

Ja und? Was hat das mit der Gültigkeit seiner Aussagen zu tun? Gelten die Sätze indischer Mathematiker nur in Indien?
Na das erzähle mal einem Chinesen, der mit der Philosophie eines Konfuzius oder Laozi oder mit dem Taoismus aufgewachsen ist. Der wird dir abeer sehr vehement widersprechen.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Kael hat geschrieben:(13 Feb 2017, 17:42)
Arabisch: 1+1 = 7
Dabei spiegeln aber die Ergebnisse allerdings wieder, wie 'nah' deren Verständnis an unserem ist. Je größer die Zahl vom tatsächlichen Ergebnis abweicht, desto größer ist der Unterschied zu uns.
Ja, Klar. Wenns um Algebra (abgeleitet vom arabischen Al-Dschabr="Zusammenfügen") und dann auch noch in Arabischen Ziffern geht, ist natürlich 1+1=7. :p

Kants Kategorischer Imperativ ist ein in sich logisch konsistenter, widerspruchsfreier Handlungsgrundsatz. Mathematisch gesehen wäre das etwas ähnliches wie die Suche nach Bedingungen, unter denen sich Transformationen ("Handlungen") lokal mit den gleichen Eigenschaften verhalten wie global. Metaphorisch, nicht quantitativ und exakt betrachtet.

Es gibt vielfältige andere Handlungsgrundsätze. Unter anderem solche, die sich aus der Bibel oder dem Koran ableiten, Im Gegensatz dazu ist aber der KI abstrakt und universell anwendbar ("anwendbar", nicht jedoch zwangsläufig "gültig").
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(13 Feb 2017, 18:12)

Na das erzähle mal einem Chinesen, der mit der Philosophie eines Konfuzius oder Laozi oder mit dem Taoismus aufgewachsen ist. Der wird dir aber sehr vehement widersprechen.
Naja ... auch, wenn ich mit den Lehren des Konfuzius nicht sonderlich vertraut bin. Er formuliert - sicher grob vereinfacht - vier Tugenden, die es gelte anzustreben und der Kern seiner Philosophie besteht - wenn ich es richtig verstanden habe - darin, dass er diese Tugenden als nicht wirklich erreichbar sondern immer nur annäherbar charakterisiert. Das ist in meinem Verständnis im Grunde ganz genauso die Bereitstellung einer universellen, konsistenten Handlungsethik. Wenn ich sage: Handle so, dass du so viel frisst, wie du nur kannst, ist das inkonsistent, weil man irgendwann platzt. Sowohl Kant als auch Konfuzius fanden Prinzipien, die man quasi immer weiter einhalten kann, ohne dass es langfristig zu individuellen Katastrophen oder zu Brüchen mit der Gesellschaft kommt.
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Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(13 Feb 2017, 15:15)
Dabei ignorierst du jedoch, was Keupp auch sagt - nämlich:
Das Leben in der Wissens-, Risiko-, Ungleichheits-, Zivil-, Einwanderungs-, Erlebnis- und Netzwerkgesellschaft verdichtet sich zu einer verallgemeinerbaren Grunderfahrung der Subjekte in den fortgeschrittenen Industrieländern: In einer "ontologischen Bodenlosigkeit", einer radikalen Enttraditionalisierung, dem Verlust von unstritttig akzeptierten Lebenskonzepten, übernehmbaren Identitätsmustern und normativen Koordinaten. Subjekte erleben sich als Darsteller auf einer gesellschaftlichen Bühne, ohne dass ihnen fertige Drehbücher geliefert würden. Genau in dieser Grunderfahrung wird die Ambivalenz der aktuellen Lebensverhältnisse spürbar. Es klingt natürlich für Subjekte verheißungsvoll, wenn ihnen vermittelt wird, dass sie ihre Drehbücher selbst schreiben dürften, ein Stück eigenes Leben entwerfen, inszenieren und realisieren könnten. Die Voraussetzungen dafür, dass diese Chance auch realisiert werden können, sind allerdings bedeutend. Die erforderlichen materiellen, sozialenund psychischen Ressourcen sind oft nicht vorhanden und dann wird die gesellschaftliche Notwendigkeit und Norm der Selbstgestaltung zu einer schwer erträglichen Aufgabe, der man sich gerne entziehen möchte. Die Aufforderung, sich selbstbewusst zu inszenieren, hat ohne Zugang zu der erforderlichen Ressourcen, etwas zynisches.[...]
Ich ignoriere das keineswegs. Gerade die zitierte Passage ist höchst aufschlussreich und interessant. Man braucht natürlichweise nur eine gewisse Zeit und Konzentration dafür, wenn man nicht einfach reflexhaft und nach eingeübten Reizmustern darauf reagieren will. Der formulierte Widerspruch zeigt sich für mich vor allem in der unendlich abgeleierten und phrasenhaften "Selbstverwirklichungs"-Literatur der 70er, 80er Jahre. Zum einen würde ich kurz und knapp sagen: Wenn ich mein "Selbst" nicht als so unabweisbar und "wirklich" empfinde, dass es einer "Verwirklichung" harrt, ist ohnehin Hopfen und Malz verloren. Zum anderen: Die beträchtliche Masse der Standard-SelbstverwirklicherInnen bilde(ten)n ihrerseits bereits eine identitäre Gruppe, zu der man gehörte oder eben nicht. Einen Fanclub. Daumen nach unten!
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Darkfire »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 15:55)

Ja und? Was hat das mit der Gültigkeit seiner Aussagen zu tun? Gelten die Sätze indischer Mathematiker nur in Indien?
Tja da waren die alten Nordmänner schon schlau.
Die wussten das wenn niemand mehr an ihre Götter glaubte diese ausgelöscht werden.
Vielleicht ist also deine Frage nicht mal so dumm wie sie sich anhört :thumbup:
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Darkfire »

Zunder hat geschrieben:(13 Feb 2017, 17:00)

Moralische Kategorien haben grundsätzlich nichts mit Logik und Naturgesetzen zu tun, sondern mit Kultur. Ihre Geltung hängt vom Anerkennen ab, nicht vom Erkennen.
Es wäre durchaus vorstellbar daß es eine Gesellschaft gibt in dem das Auffressen der Kinder des toten Bruders als Moralisch geboten gilt.
Das Problem mit solchen Denkmodelen ist halt das viele sie nicht als Model begreifen und jetzt glauben ich würde so was wollen oder verteidigen.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Darkfire »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 23:16)

Naja ... auch, wenn ich mit den Lehren des Konfuzius nicht sonderlich vertraut bin. Er formuliert - sicher grob vereinfacht - vier Tugenden, die es gelte anzustreben und der Kern seiner Philosophie besteht - wenn ich es richtig verstanden habe - darin, dass er diese Tugenden als nicht wirklich erreichbar sondern immer nur annäherbar charakterisiert. Das ist in meinem Verständnis im Grunde ganz genauso die Bereitstellung einer universellen, konsistenten Handlungsethik. Wenn ich sage: Handle so, dass du so viel frisst, wie du nur kannst, ist das inkonsistent, weil man irgendwann platzt. Sowohl Kant als auch Konfuzius fanden Prinzipien, die man quasi immer weiter einhalten kann, ohne dass es langfristig zu individuellen Katastrophen oder zu Brüchen mit der Gesellschaft kommt.
Du versuchst gerade mit aller Gewalt Äpfel und Birnen zu vergleichen.
Wenn in einer Gesellschaft erst das Individuum kommt und in der anderen erst die Gesellschaft, hast du mit dem Vergleichen schon mal ein grundsätzliches Problem.
Was mich eigentlich daran stört ist, daß du als scheinbarer Freigeist versuchst Menschen in eine einzige Schablone zu stecken und nicht anerkennst das jeder Mensch grundsätzlich total anders ist wie jeder andere.
Im Grunde sind es sogar sehr oft Religionen die du eigentlich ablehnst denke ich, die oft sehr sinnvolle dem jeweiligen Lebensumfeld der dort lebenden Menschen angepasste Strukturen aufbauten.
Nehmen wir mal das Verbot von Schweinefleisch.
Schweinefleisch galt durchaus als Delikatesse im Arabischen Raum, denn es war oft viel schmackhafter als die Alternative.
Nur verbraucht so ein Schwein gemessen an den gelieferten Kalorien sehr viel Nahrung.
Im Arabischen Raum ist das jetzt etwas schwierig Schweine zu züchten da so die Nahrung für eine größere Menge Menschen vernichtet wird.

Anders in Westeuropa, man braucht die Tiere nur in den Wald zu treiben, der frisst fast alles und man hat einen sehr guten Energielieferanten für den erhöhten Kalorienbedarf in der Kälte.

Heilige Kühe würde man in Indien die Kühe schlachten anstatt sie zur Arbeit auf den Feldern zu nutzen würde das die Energiebilanz in einem überbevölkerten Indien gravierend verschlechtern, denn da erzeugen die Kalorien der Kuh eben noch mehr Kalorien auf den Feldern.
Alles hat oft einen tieferen Sinn als wir selbst begreifen.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Darkfire hat geschrieben:(14 Feb 2017, 05:20)

Du versuchst gerade mit aller Gewalt Äpfel und Birnen zu vergleichen.
Wenn in einer Gesellschaft erst das Individuum kommt und in der anderen erst die Gesellschaft, hast du mit dem Vergleichen schon mal ein grundsätzliches Problem.
Was mich eigentlich daran stört ist, daß du als scheinbarer Freigeist versuchst Menschen in eine einzige Schablone zu stecken und nicht anerkennst das jeder Mensch grundsätzlich total anders ist wie jeder andere.
Mit der Bemerkung, dass in den östlichen Vorstellungen die Einfügung in die Gesellschaft Vorrang hat, hast du kulturhistorisch sicher nicht ganz unrecht ... Damit, dass ich Menschen in Schablonen zu stecken versuche, ganz sicher nicht. Ich sags frei heraus, dass mich Menschen als Personen (abgesehen von mir persönlich nahestehenden natürlich), naja, jetzt nicht so sonderlich interessieren. So als Zielscheibe für was auch immer. Nicht in positiver Hinsicht und in negativer schon überhaupt nicht. Gemeinsamkeiten/Unterschiede zwischen den Erkenntnissen Kant/Konfuzius zu finden, ist für mich einfach eine abstrakte, theoretische Sache.

Und dass jeder Mensch grundsätzlich total anders ist .... das genau ist meine persönliche heilige Schrift. Die ich versuche, gegen die Präferenz "vorgefertigter Identitätspakete" wie Nation oder Ethnie argumentativ zu verteidigen.

Es geht nicht im Mindestens um die Forderung, das "Deutschsein" oder "Katholischsein" unter Strafe zu stellen. Das ist ja eine der gängigen Diskreditierungsstrategien. Man wolle angeblich irgendwas "erzwingen". Umgekehrt: Man will nicht gezwungen werden. Nur als Beispiel (und direkt zum Thema): Kürzlich habe ich nebenbei aufgeschnappt, wie populär derzeit angeblich Bogenschießen-Sport in der Schweiz sei. Wer, bitte, hat irgendein Problem damit? Nur: Nur mal angenommen, einem Politiker würde es einfallen, Bogenschießen als nationales Kulturgut zum Pflichtfach für kleine schweizer Kinder zu erklären ... da fängt dann das Problem an.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Di 14. Feb 2017, 10:52, insgesamt 1-mal geändert.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Feb 2017, 23:16)

Naja ... auch, wenn ich mit den Lehren des Konfuzius nicht sonderlich vertraut bin. Er formuliert - sicher grob vereinfacht - vier Tugenden, die es gelte anzustreben und der Kern seiner Philosophie besteht - wenn ich es richtig verstanden habe - darin, dass er diese Tugenden als nicht wirklich erreichbar sondern immer nur annäherbar charakterisiert. Das ist in meinem Verständnis im Grunde ganz genauso die Bereitstellung einer universellen, konsistenten Handlungsethik. Wenn ich sage: Handle so, dass du so viel frisst, wie du nur kannst, ist das inkonsistent, weil man irgendwann platzt. Sowohl Kant als auch Konfuzius fanden Prinzipien, die man quasi immer weiter einhalten kann, ohne dass es langfristig zu individuellen Katastrophen oder zu Brüchen mit der Gesellschaft kommt.
Du vergleichst Äpfel mit Birnen!
Du kannst die fernöstliche Philosophie eines Konfuzius nicht mit der eines Kant vergleichen! Zwischen Konfuzius und Kant liegen 2200(!) kulturelle Entwicklung.
Konfuzius entwickelte seine Lehre im 5. bis 6 Jh vor der Zeitenwende und Kant im 18. Jh!
Wenn du vergleichen willst, dann bitte sehr im historischen Kontexst - dann musst du die Philosophie eines Konfuzius mit mit der eines Plato oder, Sokrates vergleichen.
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Re: Besinnung vieler auf alte Traditionen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(14 Feb 2017, 10:50)

Du vergleichst Äpfel mit Birnen!
Du kannst die fernöstliche Philosophie eines Konfuzius nicht mit der eines Kant vergleichen! Zwischen Konfuzius und Kant liegen 2200(!) kulturelle Entwicklung.
Konfuzius entwickelte seine Lehre im 5. bis 6 Jh vor der Zeitenwende und Kant im 18. Jh!
Wenn du vergleichen willst, dann bitte sehr im historischen Kontexst - dann musst du die Philosophie eines Konfuzius mit mit der eines Plato oder, Sokrates vergleichen.
Vergleichen kann man sehr wohl. Es macht überhaupt nur Sinn, Dinge zu vergleichen, die sich unterscheiden. 0<2200. Ganz einfach.

Die entscheidende Frage ist eine ganz andere: Sind die Lehren des Konfuzius in demselben Sinne als "Philosophie" anzusehen wie die von Kant? Ist der (nun ja tatsächlich) abendländische Begriff "Philosophie" überhaupt anwendbar? Ganz sicher lässt sich die Philosophie Kants mit den (gewiss als "Philosophie" anzusehenden) Lehren des Aristoteles vergleichen, obwohl da auch um die 2000 Jahre dazwischen liegen.
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