Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

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Selina
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

Dark Angel hat geschrieben:(22 Dec 2016, 18:37)

Ja genau - es geht um Verantwortung, Verantwortung dafür, dass sich 12 Jahre deutsche Geschichte nie wieder wiederholen (können), aber um Verantwortung übernehmen und auch tragen zu können, muss man sich auch zu der Nation bekennen, der man entstammt, muss sich zu seiner Geschichte bekennen, auch das hat was mit nationaler Identität zu tun. Und um dieser Verantwortung gerecht werden zu können, muss man sich zu dem bekennen (können), was Angehörige dieser Nation an Leistungen vollbracht haben, die den Menschen Nutzen gebracht haben, die zur Bereicherung unserer Kultur beigetragen haben und man muss diese Leistungen auch achten (können). Sonst wird das nichts mit der Verantwortung.
Och, weißt du, das sind alles zu viele individuelle Vorgänge. Ich sprach ja mit Absicht von mir selbst. Und nicht von dir. Wenn du es "musst", dann "musst" du. Ich "muss" gar nichts. Überhaupt nichts. Denn solange solche sehr individuellen Vorgänge und Reflexionen mit dem Wörtchen "muss" versehen werden, dann taugen sie nichts. Jedenfalls nicht für mich.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(22 Dec 2016, 18:37)
Ja genau - es geht um Verantwortung, Verantwortung dafür, dass sich 12 Jahre deutsche Geschichte nie wieder wiederholen (können), aber um Verantwortung übernehmen und auch tragen zu können, muss man sich auch zu der Nation bekennen, der man entstammt, muss sich zu seiner Geschichte bekennen, auch das hat was mit nationaler Identität zu tun. Und um dieser Verantwortung gerecht werden zu können, muss man sich zu dem bekennen (können), was Angehörige dieser Nation an Leistungen vollbracht haben, die den Menschen Nutzen gebracht haben, die zur Bereicherung unserer Kultur beigetragen haben und man muss diese Leistungen auch achten (können).
Sonst wird das nichts mit der Verantwortung.
Warum "muss" man all dies? Ich mein: Vielleicht ist das ja etwas gedankenlos einfach hingeschrieben, aber: Die deutsche Geschichte 1933 bis 1945 ist nur einer der vielen Teile der weltgeschichtlichen Katastrophe dieser Jahre. Was soll das denn konkret heißen: "Sich zu einer Nation bekennen". Selbst wenn man wirklich nur die deutsche Geschichte betrachtet: Die tatsächliche persönliche Lehre aus der Nazizeit kann für einen Deutschen nur heißen, sich im Falle einer Diktatur und/oder Barbarei auf dem Gebiet Deutschlands in den Widerstand zu gehen. Sich aktiv und bewusst gegen die eigene Nation zu stellen.
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Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(22 Dec 2016, 13:48)

Nationalstolz/Nationalgefühl/Nationalbewusstsein - wie auch immer man das nennen will, gehört zur Identität von Menschen einfach dazu, ganz unabhängig wie stark dieses Gefühl auch ausgeprägt sein mag. Im Grunde genommen soll damit nicht mehr - aber auch nicht weniger - ausgesagt werden, als dass man sich seiner Nationalität/Zugehörigkeit zu einem Volk nicht schämt.
Für Francois Hollande z.B. ist es selbstverständlich von Franzosen/dem französischen Volk zu sprechen - da klingt immer noch das "Grande Nation" mit. Hollande veranstaltet nicht so einen Eiertanz wie unsere Kanzlerin, die das Wort Deutsche nicht über die Lippen bringt und stattdessen von "denen die schon immer hier leben" spricht.
Solche Worte vom Staatsoberhaupt - von einem gewählten Vertreter eines Volkes - ist ein Schlag ins Gesicht dieses Volkes, der Menschen die sie gewählt haben und von denen sie wieder gewählt werden will.
Zur Erinnerung: Die entscheidende Wende hin zum Ersten Weltkrieg, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, war die Bewillligung der Kriegskredite durch die SPD zu einem Zeitpunkt, als Kaiser Wilhelm II bereits (und noch) der Meinung war, ein Kriegsgrund sei wegen des Einlenkens Serbiens "nicht mehr gegeben". Mal unabhängig von der Frage, wie es der sozialdemokratischen Bewegung gelungen ist, diese eminente historische Schuld, von sich abzuweisen (nur als Beispiel: Der Sohn Peter der proletarischen Künstlerin Käthe Kollwitz gehörte zu diesen sozialdemokratisch inspirierten flammenden Kriegsnationalisten ... und starb in einer der ersten Schlachten dieses Kriegs) ... die Inanspruchname des Attributs "Intellektualität" ist ganz grundsätzlich und niemals vereinbar mit Zugehörigkeit irgendeiner Art. Denn sie setzt immer kritische Distanziertheit voraus. Unabhängig davon, ob es sich um Zugehörigkeit zu einer Nation, Religion, Klasse, zur Gemeinschaft der Freunde bayerischer Lebenskultur, zur feministischen Bewegung, zum Fanclub der Ärzte oder des FC St. Pauli handelt. Ein Intellektueller geht immer und zu allem auf Distanz.
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Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Dec 2016, 06:29)

Zur Erinnerung: Die entscheidende Wende hin zum Ersten Weltkrieg, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, war die Bewillligung der Kriegskredite durch die SPD zu einem Zeitpunkt, als Kaiser Wilhelm II bereits (und noch) der Meinung war, ein Kriegsgrund sei wegen des Einlenkens Serbiens "nicht mehr gegeben". Mal unabhängig von der Frage, wie es der sozialdemokratischen Bewegung gelungen ist, diese eminente historische Schuld, von sich abzuweisen (nur als Beispiel: Der Sohn Peter der proletarischen Künstlerin Käthe Kollwitz gehörte zu diesen sozialdemokratisch inspirierten flammenden Kriegsnationalisten ... und starb in einer der ersten Schlachten dieses Kriegs) ... die Inanspruchname des Attributs "Intellektualität" ist ganz grundsätzlich und niemals vereinbar mit Zugehörigkeit irgendeiner Art. Denn sie setzt immer kritische Distanziertheit voraus. Unabhängig davon, ob es sich um Zugehörigkeit zu einer Nation, Religion, Klasse, zur Gemeinschaft der Freunde bayerischer Lebenskultur, zur feministischen Bewegung, zum Fanclub der Ärzte oder des FC St. Pauli handelt. Ein Intellektueller geht immer und zu allem auf Distanz.
Tja - hier liegt das Problem. Inzwischen herrscht unter Historikern Konsens, dass Deutschland nicht die Hauptschuld am Ausbruch des WK1 ist, sondern die "Gesamtsituation" - die politischen Machtverhältnisse in Europa die Voraussetzungen für den Ausbruch eines Krieges lieferten, dass die Ereignisse in Sarajewo nur noch den den letzten Funken lieferten. Es ist eben nicht die "historische Schuld" der (deutschen) sozialdemokratischen Bewegung.
"Flammende Kriegsnationalisten" gab es nicht nur in Deutschland, die gab es in Frankreich und Großbrittannien gleichermaßen.
Und ich bleibe dabei: Nationale Identität bedeutet auch Bekenntnis zur Geschichte dieser Nation - sowohl im negativen, wie positiven Sinn - und nicht Distanz zu dieser Nation, weil es Epochen in der Geschichte gibt.
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Re: Re:

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(25 Dec 2016, 12:12)

Tja - hier liegt das Problem. Inzwischen herrscht unter Historikern Konsens, dass Deutschland nicht die Hauptschuld am Ausbruch des WK1 ist, sondern die "Gesamtsituation" - die politischen Machtverhältnisse in Europa die Voraussetzungen für den Ausbruch eines Krieges lieferten, dass die Ereignisse in Sarajewo nur noch den den letzten Funken lieferten. Es ist eben nicht die "historische Schuld" der (deutschen) sozialdemokratischen Bewegung.
In Hinsicht auf die ursächlichen Kausalketten ist das ja richtig. In Hinsicht auf "Nationalgefühl" als entscheidender Katalysator der Weltkriegs-Katastrophe nicht. Da trifft die SPD des Kaiserreichs (nicht anders als die eigentlich rechtsnationalen) die volle Schuld. Was hilft dagegen? Grundsätzlich und immer bereit und in der Lage sein, das Vorgehen der eigenen Nation zu kritisieren und unter Umständen fundamental zu bekämpfen. Wie versetzt man sich in die Lage, solche Situationen analytisch zu erkennen und zu unterscheiden? Grundsätzlich und immer auf kritische Distanz zu kollektiven Identitäten (einschließlich Nation, Religion, soziale Klasse) gehen.
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Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(25 Dec 2016, 23:18)

Wie versetzt man sich in die Lage, solche Situationen analytisch zu erkennen und zu unterscheiden? Grundsätzlich und immer auf kritische Distanz zu kollektiven Identitäten (einschließlich Nation, Religion, soziale Klasse) gehen.
Sehr gut auf den Punkt gebracht :thumbup: Und falls ich es nicht schon erwähnte: Frohes Restfest :)
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Dark Angel hat geschrieben:(22 Dec 2016, 13:48)
Für Francois Hollande z.B. ist es selbstverständlich von Franzosen/dem französischen Volk zu sprechen - da klingt immer noch das "Grande Nation" mit.
Witzigerweise nutzt so gut wie kein Franzose diesen Begriff, egal ob er Pariser, Elsässer, Korse oder Baske ist. Und letztere haben auch mal gerne andere Ansichten vom "französischen Volk".
Labskaus!

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Re: Re:

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(25 Dec 2016, 23:42)

Und falls ich es nicht schon erwähnte: Frohes Restfest :)
Danke. Das "frohe Restfest" morgen wird in einer Fahrt (leider notwendigerweise mit dem Auto und nicht erholsamerweise mit dem Zug) von Berlin über Dresden, Prag, Brno, Bratislava in die Ecke des nordwestungarischen Sopron bestehen. Und wie so oft gemahnen die vorüberziehenden historischen Orte (von Theresienstadt in Böhmen bis Austerlitz bei Brno), besonders aber auch die wechselnden nationalen Zugehörigkeiten an die Zeitweiligkeit und Sekundarität von Dingen wie "Nationalgefühl". Das heute österreichische Burgenland war bis 1918 ungarisch und der Komponist "unserer" (späteren) Nationalhymne, Joseph Haydn, baute diese "Deutsche Nationalhymne" auf die Melodie eines kroatischen Volkslieds auf, das er während eines Spaziergangs am Südufer des Neusiedler Sees in einem kroatischen Dorf in einer Weinschenke erlauscht hatte, wo er sich vom anstrengenden Dienst als Hofkapellmeister des ungarischen Fürstenhauses Eszterhazi zu erholen gedachte. Es gibt keine kollektiven Identitäten. Es gibt Erzählungen, Narrative, wahlweise verfügbare oder auch wahlweise machttechnisch ausnutzbare Bezüglichkeiten. Die Melodie unserer Nationalhymne ist ein deutsch-ungarisch-österreichisch-kroatisches Mischwesen, von dem man sich nach Belieben seinen Teil herausgreifen kann. Nichts weiter.
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Re: Re:

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Dec 2016, 00:05)

Danke. Das "frohe Restfest" morgen wird in einer Fahrt (leider notwendigerweise mit dem Auto und nicht erholsamerweise mit dem Zug) von Berlin über Dresden, Prag, Brno, Bratislava in die Ecke des nordwestungarischen Sopron bestehen. Und wie so oft gemahnen die vorüberziehenden historischen Orte (von Theresienstadt in Böhmen bis Austerlitz bei Brno), besonders aber auch die wechselnden nationalen Zugehörigkeiten an die Zeitweiligkeit und Sekundarität von Dingen wie "Nationalgefühl". Das heute österreichische Burgenland war bis 1918 ungarisch und der Komponist "unserer" (späteren) Nationalhymne, Joseph Haydn, baute diese "Deutsche Nationalhymne" auf die Melodie eines kroatischen Volkslieds auf, das er während eines Spaziergangs am Südufer des Neusiedler Sees in einem kroatischen Dorf in einer Weinschenke erlauscht hatte, wo er sich vom anstrengenden Dienst als Hofkapellmeister des ungarischen Fürstenhauses Eszterhazi zu erholen gedachte. Es gibt keine kollektiven Identitäten. Es gibt Erzählungen, Narrative, wahlweise verfügbare oder auch wahlweise machttechnisch ausnutzbare Bezüglichkeiten. Die Melodie unserer Nationalhymne ist ein deutsch-ungarisch-österreichisch-kroatisches Mischwesen, von dem man sich nach Belieben seinen Teil herausgreifen kann. Nichts weiter.
Na dann viel Spaß in Ungarn. Und auf Hymnen stehe ich nicht so ;)
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Ger9374 »

Ich kann mich noch an einen User erinnern
der mich aufgrund meines avatars in die
Rechte Schublade stecken wollte, echt krass.
Da war ich leicht angepisst. Aber ich mag meinen
kleinen Avatar mit der FLAGGE . Ist nur schade
was die Leute immer noch auf äusseres geben.
Statt sich um Sachaussagen der User zu kümmern. Solches ist schließlich hier angesagt!!
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Ger9374 hat geschrieben:(26 Dec 2016, 04:58)
Aber ich mag meinen
kleinen Avatar mit der FLAGGE . Ist nur schade
was die Leute immer noch auf äusseres geben.
Aber dass in der Kombination beider Aussagen ein gewisser - nicht unbedingt politischer - aber einfach aussagenlogischer Widerspruch liegt, ist dir hoffentlich klar? ;)
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von H2O »

Ger9374 hat geschrieben:(26 Dec 2016, 04:58)

Ich kann mich noch an einen User erinnern
der mich aufgrund meines avatars in die
Rechte Schublade stecken wollte, echt krass.
Da war ich leicht angepisst. Aber ich mag meinen
kleinen Avatar mit der FLAGGE . Ist nur schade
was die Leute immer noch auf äusseres geben.
Statt sich um Sachaussagen der User zu kümmern. Solches ist schließlich hier angesagt!!
Mich leiten bei der Verwendung der Nationalsymbole zwiespältige Gefühle; sie sollten eigentlich zu besonderen Anlässen gezeigt werden, wenn aus gegebenem Anlaß die Gemeinschaft der Mitbürger feiern oder trauern soll. Allerdings ist es so, daß die Nationalfarben Eierpappen, Hühnerbrüste, Schweineschinken und Obsttüten zieren, mit oder ohne Bundesadler. Je häufiger man das beobachtet, um so geringer ist danach die Signalwirkung. Wenn man dann in Europa herum pendelt und einkauft, dann kommt eine hübsch bunte Mischung dabei heraus. :cool:
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Ger9374 »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Dec 2016, 08:54)

Aber dass in der Kombination beider Aussagen ein gewisser - nicht unbedingt politischer - aber einfach aussagenlogischer Widerspruch liegt, ist dir hoffentlich klar? ;)

Die Fahne ist Symbol für dieses Land,
dieser Staat ist aus meiner Sicht ein guter,
ich wünsche mir das es mal wie in Skandinavien
wird , wo unverkrampft die Flaggen dazu gehören.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

Ger9374 hat geschrieben:(26 Dec 2016, 09:18)

Die Fahne ist Symbol für dieses Land,
dieser Staat ist aus meiner Sicht ein guter,
ich wünsche mir das es mal wie in Skandinavien
wird , wo unverkrampft die Flaggen dazu gehören.
Ich wünsche mir, dass nirgendwo Flaggen und irgendwelche andere nationale Symbolik besonders wichtig sind. Ich brauchs nicht fürs Leben. Aber sooooo dolle stört mich dein Avatar-Fähnchen nun auch wieder nicht. Kommt immer auf die Inhalte der Beiträge an.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Dec 2016, 08:54)

Aber dass in der Kombination beider Aussagen ein gewisser - nicht unbedingt politischer - aber einfach aussagenlogischer Widerspruch liegt, ist dir hoffentlich klar? ;)
Postest du per Handy? Dachte, du bist schon tief in Osteuropa ;)
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von H2O »

Selina hat geschrieben:(26 Dec 2016, 09:30)

Postest du per Handy? Dachte, du bist schon tief in Osteuropa ;)
Man sollte gar nicht denken, wie rasch sich das Internet in Europa ausgebreitet hat! SKYPE mit einem Teilnehmer in Ruanda kein Aufreger mehr. Smartphones laufen auch am WLAN eines Routers, jedenfalls mein Smartphone. Auf diesem Planeten gibt es fast nichts, was es nicht gäbe...
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(26 Dec 2016, 09:30)

Postest du per Handy? Dachte, du bist schon tief in Osteuropa ;)
Ne, fahr erst gegen Mittag los und übernachte einmal in Tschechien.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Dec 2016, 09:53)

Ne, fahr erst gegen Mittag los und übernachte einmal in Tschechien.
Aber denk dran, manche Ungarn mögen keine Ausländer ;)
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Re: Re:

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(25 Dec 2016, 23:18)

In Hinsicht auf die ursächlichen Kausalketten ist das ja richtig. In Hinsicht auf "Nationalgefühl" als entscheidender Katalysator der Weltkriegs-Katastrophe nicht.
Da trifft die SPD des Kaiserreichs (nicht anders als die eigentlich rechtsnationalen) die volle Schuld.

Auch diesbezüglich existiert kein monolkausaler Zusammenhang. Der Ausbruch des WK1 war nur eine Frage der Zeit und wenn du schon von "Nationalgfühl als entscheidenden Katalysator" schwadronierst, betrifft das auf da Nationalgefühl aller beteiligten Nationen zu.
schokoschendrezki hat geschrieben:(25 Dec 2016, 23:18)Was hilft dagegen? Grundsätzlich und immer bereit und in der Lage sein, das Vorgehen der eigenen Nation zu kritisieren und unter Umständen fundamental zu bekämpfen. Wie versetzt man sich in die Lage, solche Situationen analytisch zu erkennen und zu unterscheiden? Grundsätzlich und immer auf kritische Distanz zu kollektiven Identitäten (einschließlich Nation, Religion, soziale Klasse) gehen.
Sich zu seiner Nation bekennem, bedeutet nicht, alles zu akzeptieren, das bedeutet auch bestimmten Entwicklungen kritisch gegenüber zu stehen.
Nationalgefühl hat auch nichts mit "kollektiver Identität" zu tun, sondern mit Zugehörigkeitsgefühl. Der Mensch, als soziales Wesen, stellt sich die Frage(n) "wer bin ich?", "wo/wem fühle ich micht zugehörig?", "wie werde ich in der Gesellschaft/von der Gesellschaft wahrgnommen?", "wie nehme ich diese Gesellschaft wahr" etc und das führt zwingend zur Identifkation mit Gruppen = Gruppenzugehörigkeit. Dabei kann es sich um temporäre Identifikation mit einer oder mehreren Gruppen handeln, aber auch zur ständigen Identifkation mit einer Gruppe. Identität ist immer besteht immer aus der "inneren" Sicht auf sich selbst und wie man von der Gesellschaft gesehen wird, heißt Identität ist immer ein Produkt der sozialen Verortung und dieses wiederum ist ein Grundbedürfnis jedes Menschen nach Anerkennung und Zugehörigkeit.
Also das genaue Gegenteil von dem, was du hier ständig behauptetst!
Und ich zutsche mir das auch nicht ssentimental aus den Fingern, sondern beziehe mich auf die Identitätstheorien von Erikson, Marcia und Giddens.
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Re: Re:

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(26 Dec 2016, 15:45)

Auch diesbezüglich existiert kein monolkausaler Zusammenhang. Der Ausbruch des WK1 war nur eine Frage der Zeit und wenn du schon von "Nationalgfühl als entscheidenden Katalysator" schwadronierst, betrifft das auf da Nationalgefühl aller beteiligten Nationen zu.
Erst mal ganz sachlich: Ein "Katalysator" ist niemals primär ursächlich. Nur innerhalb der beeinflussenden Faktoren mag der eine Katalysator wichtiger sein als der andere. Und dann polemisch: "Schwadronieren" stammt ursächlich aus der Sprache der Studenten der schlagenden Verbindungen und bedeutete quasi ein wildes Herumfuchteln mit der Waffe bzw. im übertragenen SInne ein wildes Herumfuchteln mit nationalen Gefühlen in sprachlichen Phrasen.
Sich zu seiner Nation bekennem, bedeutet nicht, alles zu akzeptieren, das bedeutet auch bestimmten Entwicklungen kritisch gegenüber zu stehen.
Nationalgefühl hat auch nichts mit "kollektiver Identität" zu tun, sondern mit Zugehörigkeitsgefühl. Der Mensch, als soziales Wesen, stellt sich die Frage(n) "wer bin ich?", "wo/wem fühle ich micht zugehörig?", "wie werde ich in der Gesellschaft/von der Gesellschaft wahrgnommen?", "wie nehme ich diese Gesellschaft wahr" etc und das führt zwingend zur Identifkation mit Gruppen = Gruppenzugehörigkeit.
Ich könnte mich durchaus auf eine Diskussion einlassen, wie heterogene Gesellschaften aus Individualisten und Gruppenidentifizierten funktionieren könnten ... Dass Gruppenzugehörigkeit zwingend sein soll, hält mich aber davon ab. Nicht, weil ich mich nicht zwingen lasse (das sowieso nicht), sondern weil das Bestehen auf "Zwang" auf Ideologie hindeutet. Da ist (sachliche) Diskussion sinnlos ...
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(26 Dec 2016, 14:48)

Aber denk dran, manche Ungarn mögen keine Ausländer ;)
Ich weiß. Es gibt sogar eine im Parlament bedeutsam vertretene Partei, die sich offiziell dazu bekennt, Juden nicht zu mögen. Einmalig skandalös in Europa. Gleichzeitig gibt es in Budapest in der Dohány Utca (Tabakgasse) die größte jüdische Synagoge Europas, die jedoch, im Gegensatz zur Synagoge etwa in Berlin, weder durch Metallpöller gesichert noch durch schwerbewaffnete SIcherheitskräfte bewacht werden muss. Jedermann/frau kann sie ungehindert betreten, ohne dass es irgendwann zu nennenswerten Zwischenfällen kam.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Dec 2016, 19:25)

Ich weiß. Es gibt sogar eine im Parlament bedeutsam vertretene Partei, die sich offiziell dazu bekennt, Juden nicht zu mögen. Einmalig skandalös in Europa. Gleichzeitig gibt es in Budapest in der Dohány Utca (Tabakgasse) die größte jüdische Synagoge Europas, die jedoch, im Gegensatz zur Synagoge etwa in Berlin, weder durch Metallpöller gesichert noch durch schwerbewaffnete SIcherheitskräfte bewacht werden muss. Jedermann/frau kann sie ungehindert betreten, ohne dass es irgendwann zu nennenswerten Zwischenfällen kam.
Ich war mal in den 70ern in Budapest für zwei Wochen. Hat mich schwer beeindruckt damals diese Stadt. Die kam meinen Freunden und mir damals sehr westlich vor im Vergleich zum restlichen soz. "Lager". Also viel Vergnügen!
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Re: Re:

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Dec 2016, 19:13)

Erst mal ganz sachlich: Ein "Katalysator" ist niemals primär ursächlich. Nur innerhalb der beeinflussenden Faktoren mag der eine Katalysator wichtiger sein als der andere. Und dann polemisch: "Schwadronieren" stammt ursächlich aus der Sprache der Studenten der schlagenden Verbindungen und bedeutete quasi ein wildes Herumfuchteln mit der Waffe bzw. im übertragenen SInne ein wildes Herumfuchteln mit nationalen Gefühlen in sprachlichen Phrasen.
Ein "Katalysator" kann Reaktionen/Ereignisse sowohl beschleunigen, als auch bremsen.
Du hast allerdings der SPD am Ausbruch des WK1 zugesprochen und das stimmt so nicht, weil es nationalistische Bestrebungen (ist ein Unterschied zu Nationalgefühl und sollte auch nicht gleichgesetzt werden) in den anderen europäischen Staaten in gleichem Maß.
schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Dec 2016, 19:13)Ich könnte mich durchaus auf eine Diskussion einlassen, wie heterogene Gesellschaften aus Individualisten und Gruppenidentifizierten funktionieren könnten ... Dass Gruppenzugehörigkeit zwingend sein soll, hält mich aber davon ab. Nicht, weil ich mich nicht zwingen lasse (das sowieso nicht), sondern weil das Bestehen auf "Zwang" auf Ideologie hindeutet. Da ist (sachliche) Diskussion sinnlos ...
Du weißt aber schon, was ein menschlichen Grundbedürfnisses ist und du weißt auch, dass Grundbedürfnisse vor allen anderen Bedürfnissen befriedigt werden?
Daraus ergibt sich das "zwingend", nicht weil von außen Zwang ausgeübt wird.
Auch Individualisten streben nach Anerkennung und wollen sich irgndwo zugehörig fühlen - heißt auch Individualisten identifizieren sich mit Gruppen. Unabhängig und außerhalb der Gesellschaft (im "luftleeren Raum") sind auch Individualisten nicht lebens- oder überlebensfähig. Du scheinst absolut nicht verstehen zu wollen, dass "Gruppenzugehörigkeit" nicht gleichbedeutend mit Kollektivismus oder Konformismus ist.
Gruppenzughörigkeit hat auch nichts mit "Gruppenidentifizierten" zu tun, weil diese Identifikation eben nicht von außen (durch die Gesellschaft) vorgenommen wird, sondern vom Individuum selbst erfolgt. Es besteht also kein Widerspruch zwischen Individualismus und Gruppenzugehörigkeit.
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Re: Re:

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(27 Dec 2016, 14:14)
Du weißt aber schon, was ein menschlichen Grundbedürfnisses ist und du weißt auch, dass Grundbedürfnisse vor allen anderen Bedürfnissen befriedigt werden?
Daraus ergibt sich das "zwingend", nicht weil von außen Zwang ausgeübt wird.
Auch Individualisten streben nach Anerkennung und wollen sich irgndwo zugehörig fühlen - heißt auch Individualisten identifizieren sich mit Gruppen. Unabhängig und außerhalb der Gesellschaft (im "luftleeren Raum") sind auch Individualisten nicht lebens- oder überlebensfähig. Du scheinst absolut nicht verstehen zu wollen, dass "Gruppenzugehörigkeit" nicht gleichbedeutend mit Kollektivismus oder Konformismus ist.
Selbstverständlich existieren auch Individualisten nicht im luftleeren Raum. Schon deshalb nicht, weil die Muttersprache in jeder Hinsicht prägend für den Menschen ist. Nur: Erstens hat diese Prägung niemals eine eindeutige Richtung. Man kann etwa aus dem Einfluss einer dominanten Mutter jede beliebige Charaktereigenschaft herleiten. Genau wie auch die gegenteilige Eigenschaft. Es ist - unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten - einfach das bessere Lebensmodell, davon auszugehen, von gar nix geprägt und nur und allein eigenverantwortlich und aus eigenem Entschluss zu handeln. Vor allem aber gehört zweitens der Begriff "Nation" im Gegensatz etwa zu Muttersprache ganz sicher nicht zu diesen Prägungen und ist ein künstlicher Begriff viel jüngeren Datums mit politischer Ausrichtung.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

ZEIT ONLINE: Nun fühlen viele Franzosen aber ein Wir, einfach weil sie zusammen in Frankreich leben. Und Deutschen geht es ähnlich.

Guérot: Erstmal ist doch die Frage: Stimmt das? Ich bezweifle, dass es gerade zu einer Renationalisierung kommt, wie viele behaupten. Ich war vor drei Tagen in London. Dort gibt es zwei Lager: Entweder jung oder alt, London oder Landbevölkerung, dafür oder dagegen. Aber wer sind jetzt die Briten? Die Europäer, die für den Brexit waren oder die anderen? Wo ist die Einheit der britischen Nation?
deutsche Nation. Mit welchem Recht behaupten diese Gruppen, das deutsche Volk zu sein? [...]

Die Renationalisierung, von der so viel geredet und über die so viel geschrieben wird, findet in Wahrheit nur an der Oberfläche statt. Darunter sind die Nationen längst gespalten. Es findet eine transnationale Debatte statt, die sich grundlegend in zwei Lager aufteilen lässt: Da sind diejenigen, die für eine europäische Abschottung stehen. Selbst die Identitären haben sich kürzlich zu einem Kongress in Linz getroffen, der Titel war: die Verteidigung Europas. Das andere Lager sind jene, die das Erbe der französischen Revolution und der Aufklärung verteidigen.

ZEIT ONLINE: Wann verschwindet der Nationalstaat?

Guérot: Der Nationalstaat wird verschwinden. Schon jetzt ist er teilweise verschwunden. Es gibt eine große Städtebewegung, Leute sagen: Ich komme aus Barcelona oder London, nicht aus Spanien oder Großbritannien. Die zentrale Frage ist: Ist das Nationale das wichtigste identitäre Merkmal? Oder gibt es andere Merkmale, die über dem Nationalen stehen können? [...]

Vielmehr sage ich mit Robert Menasse: Heimat ist Region, Nation ist Fiktion.
http://www.zeit.de/politik/ausland/2016 ... ettansicht

Interessanter letzter Satz bzw. Zitat. Geht einher mit Umfragen, wonach die Heimatregion bzw. -stadt für Europäer der wichtigste Identifikationspunkt ist, weit vor dem Nationalstaat.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Ich würde Heimatregion oder auch "Heimatgefühl" jetzt allerdings weniger mit "bewusster Identifikation" verbinden. Es ist ein sehr menschliches und psychologisch völlig erklärliches Gefühl, das nicht zuletzt mit der beruhigenden Wirkung von Komplexitätsreduktion zusammenhängt. Ich kann mir in aller Ruhe die Wiesen, Bäume und den Abendhimmel anschauen, weil ich nicht erst überlegen muss, wo ich langzugehen habe oder Sätze in einer fremden Sprache gedanklich zusammenflicken muss. Und: Heimatgefühl schließt sehr wohl und gerade auch kritische Distanz ein. Denn man weiß in der Regel ziemlich genau, wo die häßlichen Ecken sind und weshalb es sie gibt.

Besonders die letzten Präsidentenwahlen in Österreich haben diesen Unfug mit der primären Nationenbindung gezeigt. Einen Wiener van-der-Bellen-Wähler und einen Lndoner Brexit-Verneiner verbindet weit mehr als die beiden gegensätzlichen poliitischen Lager in jeweils einem der beiden Länder.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

frems hat geschrieben:(04 Jan 2017, 12:31)

http://www.zeit.de/politik/ausland/2016 ... ettansicht

Interessanter letzter Satz bzw. Zitat. Geht einher mit Umfragen, wonach die Heimatregion bzw. -stadt für Europäer der wichtigste Identifikationspunkt ist, weit vor dem Nationalstaat.
Sehr gutes Interview, die Grundaussagen sehe ich ähnlich:

Zitat:

Guérot: Der Nationalstaat wird verschwinden. Schon jetzt ist er teilweise verschwunden. Es gibt eine große Städtebewegung, Leute sagen: Ich komme aus Barcelona oder London, nicht aus Spanien oder Großbritannien. Die zentrale Frage ist: Ist das Nationale das wichtigste identitäre Merkmal? Oder gibt es andere Merkmale, die über dem Nationalen stehen können? [...]
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Genau. Und so, wie "die Nation" Fiktion ist, halte ich auch die Diskussionen bei den Identitären und bei der AfD um das "Bewahren der deutschen Nation" und das "Schützen der Nation vor fremden Einflüssen" für pure Erfindung und Fiktion aus politischem Kalkül. Sorgen bereiten mir dabei die rechtsradikalen Tendenzen in Denken und Sprache dieser Leute, weil sie immer salonfähiger werden.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Laertes »

Selina hat geschrieben:(04 Jan 2017, 12:46)
Und so, wie "die Nation" Fiktion ist, halte ich auch die Diskussionen bei den Identitären und bei der AfD um das "Bewahren der deutschen Nation" und das "Schützen der Nation vor fremden Einflüssen" für pure Erfindung und Fiktion aus politischem Kalkül.
Weil es mir gefällt, wenn sich Diskussionen im Kreis drehen und ich mich gern selbst zitiere, stimme ich dir hier mit folgendem Zitat weitestgehend zu:
Laertes hat geschrieben:(23 Feb 2016, 20:52)

Nation ist m. E. ein Konstrukt, dass der politische Verstand sich im Nachhinein zurecht bastelt, um die unbewussten Regungen seines Identitätsbedürfnis zu verstehen (und dann für machtpolitische Zwecke zu instrumentalisieren). Deswegen sprach ich ja davon es in konstruktive Bahnen zu lenken: Lieber Identifikation im Kleinen (Heimat, Nachbarschaftlichkeit, Naturschutz, Ehrenamt, Fußballverein) statt im Großen (Nation, Europäische Union, der Westen, das Abendland).

Allerdings sind natürlich das Sprechen derselben Sprache und das Befolgen derselben Alltagsregeln maximal identitätsstiftend (weswegen Navid Kermani oder Hamed Abdel-Samad welche von 'uns' sind, und der nur arabisch sprechende Iman, der Frauen nicht die Hand gibt, einer von 'denen' ist).
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Selina hat geschrieben:(04 Jan 2017, 12:46)
Guérot: Der Nationalstaat wird verschwinden. Schon jetzt ist er teilweise verschwunden. Es gibt eine große Städtebewegung, Leute sagen: Ich komme aus Barcelona oder London, nicht aus Spanien oder Großbritannien. Die zentrale Frage ist: Ist das Nationale das wichtigste identitäre Merkmal? Oder gibt es andere Merkmale, die über dem Nationalen stehen können? [...]
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Genau. Und so, wie "die Nation" Fiktion ist, halte ich auch die Diskussionen bei den Identitären und bei der AfD um das "Bewahren der deutschen Nation" und das "Schützen der Nation vor fremden Einflüssen" für pure Erfindung und Fiktion aus politischem Kalkül. Sorgen bereiten mir dabei die rechtsradikalen Tendenzen in Denken und Sprache dieser Leute, weil sie immer salonfähiger werden.
Ob der Nationalstaat verschwindet, weiß ich nicht. Ich denke aber schon, dass er an Bedeutung verliert. Einerseits weil die Leute heutzutage mobiler sind. Zum anderen sind viele Probleme der heutigen Zeit nicht mehr nationalstaatlich zu lösen. Dass ältere Nationalisten nochmal laut zucken, ist da nur nachvollziehbar, auch wenn man viele Parolen abstoßend findet. So ist das halt bei jeder Generation, die mit Veränderungen konfrontiert wird, die sie über Jahrzehnte nicht für vorstellbar hielten. Und ich denke, dass das die heutige Jugend in 40, 50 Jahren auch betreffen wird, wenn auch mit völlig anderen Themen. Man sieht's ja auch beim technischen Fortschritt. "Digital natives" können nur mit den Augen rollen, wenn ältere Personen das Internet zum "Neuland" erklären, während sie selbst damit aufwuchsen und beim Umgang ihren Eltern und Großeltern weit voraus sind.

Gleichzeitig haben wir es global mit einer Urbanisierung zu tun. In der Wissenschaft wird da manchmal das Kofferwort der Glokalität benutzt, welches vereinfacht sagt, dass einerseits viele Bereiche (Handel, Digitalisierung, Bildung, Wirtschaft, Netzwerke etc.) immer internationaler werden. Gleichzeitig zieht es -- quasi als ergänzende, nicht ersetzende "Gegenbewegung" -- Menschen immer mehr auf die lokale Ebene, die bekanntlich eine stärkere Identifikation bietet als der Nationalstaat. Die eigene Stadt, in der man täglich verkehrt und seinen Mittelpunkt hat (Arbeit, Bekannte, Freizeit), ist eben "näher" als eine abstrakte Nation, die man primär über Medien wahrnimmt. Im Debattenblatt European gab's da mal auch eine recht spannende Reihe, wonach Städte bzw. Metropolregionen politisch immer stärker an Bedeutung gewinnen -- auf globaler, nicht nationaler Ebene. Falls von Interesse: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 und 11.

Artikel 1 ist von der bekannten Soziologin Saskia Sassen, die lange im Bereich "Global City" forschte. Ich fand aber vor allem Artikel 2 (Benjamin Barber) und 3 (Parag Khanna) interessant. 4 bis 11 beschäftigen sich vor allem mit technischen Innovationen (Verkehr, Ökologie, Energie, Digitalisierung usw.).
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

frems hat geschrieben:(09 Jan 2017, 01:03)

Gleichzeitig zieht es -- quasi als ergänzende, nicht ersetzende "Gegenbewegung" -- Menschen immer mehr auf die lokale Ebene, die bekanntlich eine stärkere Identifikation bietet als der Nationalstaat. Die eigene Stadt, in der man täglich verkehrt und seinen Mittelpunkt hat (Arbeit, Bekannte, Freizeit), ist eben "näher" als eine abstrakte Nation, die man primär über Medien wahrnimmt.
Vielen Dank für die interessanten Infos. Das mit der Regionalisierung von Befindlichkeiten und Gefühlswelten ist mir natürlich bekannt. Dazu wurde auch im Osten bereits in den 70ern und 80ern geforscht und erkannt, dass die Identifikation mit dem Regionalen und die Heimatverbundenheit (etwa "ich bin aus der Lausitz" oder "ich bin Thüringer" oder "ich bin Leipziger") eine große, ja wachsende Rolle für die Menschen spielte. Vielleicht auch als Pendant zur wachsenden Komplexität der Prozesse und zur Globalisierung, die man damals natürlich anders nannte. Und sicher auch als Versuch, sich vor allzu viel bevormundender Staatlichkeit zu retten. Heute ist das ähnlich. Nur mit anderen Vorzeichen natürlich. Wobei ich dennoch eine gewisse "völkische" Hinwendung zur "Nation" sehe, sehr gut und sehr pointiert und zugespitzt gestern im "Tatort" zu sehen. Stichwort "Ethnien dürfen sich nicht vermischen". Mir wird kalt dabei. Ansonsten habe ich gegen eine gewisse Bodenständigkeit und regionale Verbundenheit mit dem Leben und den Leuten vor Ort nichts einzuwenden. Wär ja auch weltfremd. Solange es keine Heimattümelei ist, ist alles gut.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Ein großartiges aktuelles Buch des schweizerisch-israelischen Psychologie- und Philosophie-Professors Carlo Strenger mit Bezug (u.a.) zum Thema: "Abenteuer Freiheit". Vorgestern in "Andruck" rezensiert: http://www.deutschlandfunk.de/demokrati ... _id=383355. Seine Grundthese besteht darin, dass "Freiheit" als Lebensgefühl in den westlichen Nachkriegswohlstandsgesellschaften zu einem bloßen Schlagwort verkommen ist und gleichzeitig die Tragik der menschlichen Existenz bedeutet. Eine absolut nichttriviale Erkenntnis: Sich zur individuellen Freiheit zu bekennen bedeutet Anstrengung, bedeutet, den Weg des geringsten Widerstands zu verlassen. Ist dem universell gültigen physikalisch-biologischen Naturgesetz der Wirkungsminimierung entgegengesetzt. Ich hätte im Leben nicht geglaubt, dass jemand heute, in dieser durch und durch hedonistischen Epoche ernsthaft dazu auffordert, sich zur "Tragik der menschlichen Existenz" zu bekennen. Genau darin und nicht in der Wohlfühl-Optimierung, den Weg der Selbsterkenntnis zu sehen. Und umgekehrt: Die Identitäts-Angebote (Religion, Klasse, Nation usw.) als Abwendung einmal von individueller Freiheit aber auch als Hinwendung zu Bequemlichkeitsangeboten, zu Komplexitätsreduktionsangeboten darzustellen. Freiheit ist unbequem, anstrengend und tragisch. Identität ist bequem, leicht und freudvoll.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von ThorsHamar »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Apr 2017, 13:40)

Ein großartiges aktuelles Buch des schweizerisch-israelischen Psychologie- und Philosophie-Professors Carlo Strenger mit Bezug (u.a.) zum Thema: "Abenteuer Freiheit". Vorgestern in "Andruck" rezensiert: http://www.deutschlandfunk.de/demokrati ... _id=383355. Seine Grundthese besteht darin, dass "Freiheit" als Lebensgefühl in den westlichen Nachkriegswohlstandsgesellschaften zu einem bloßen Schlagwort verkommen ist und gleichzeitig die Tragik der menschlichen Existenz bedeutet. Eine absolut nichttriviale Erkenntnis: Sich zur individuellen Freiheit zu bekennen bedeutet Anstrengung, bedeutet, den Weg des geringsten Widerstands zu verlassen. Ist dem universell gültigen physikalisch-biologischen Naturgesetz der Wirkungsminimierung entgegengesetzt. Ich hätte im Leben nicht geglaubt, dass jemand heute, in dieser durch und durch hedonistischen Epoche ernsthaft dazu auffordert, sich zur "Tragik der menschlichen Existenz" zu bekennen. Genau darin und nicht in der Wohlfühl-Optimierung, den Weg der Selbsterkenntnis zu sehen. Und umgekehrt: Die Identitäts-Angebote (Religion, Klasse, Nation usw.) als Abwendung einmal von individueller Freiheit aber auch als Hinwendung zu Bequemlichkeitsangeboten, zu Komplexitätsreduktionsangeboten darzustellen. Freiheit ist unbequem, anstrengend und tragisch. Identität ist bequem, leicht und freudvoll.
Und nun braucht es noch eine pfiffige Begründung, warum Menschen nicht das Recht haben sollten, " bequem, leicht und freudvoll", also mit Identität, leben zu wollen.
Gerade ein "schweizerisch-israelischen Psychologie- und Philosophie-Professor " steckt da mitten im Thema "Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl" und deren Widersprüchlichkeiten.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

ThorsHamar hat geschrieben:(12 Apr 2017, 14:24)

Und nun braucht es noch eine pfiffige Begründung, warum Menschen nicht das Recht haben sollten, " bequem, leicht und freudvoll", also mit Identität, leben zu wollen.
Sie haben jedes Recht dazu. Die Brisanz der Aussagen Carlo Strengers besteht darin, dass "Freiheit" im individuellen Bereich eben gerade keine Selbstverständlichkeit gesellschaftlich gegebener Zustände ist, sondern eine bewusste Entscheidung einzelner Menschen, Individuen für eine tragische Existenz, aber eben auch für tatsächliche individuelle Freiheit jenseits von "Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl".
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von ThorsHamar »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Apr 2017, 15:07)

Sie haben jedes Recht dazu. Die Brisanz der Aussagen Carlo Strengers besteht darin, dass "Freiheit" im individuellen Bereich eben gerade keine Selbstverständlichkeit gesellschaftlich gegebener Zustände ist, sondern eine bewusste Entscheidung einzelner Menschen, Individuen für eine tragische Existenz, aber eben auch für tatsächliche individuelle Freiheit jenseits von "Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl".
Ja, aber diese "Brisanz" ist doch keine Neuigkeit, finde ich ....
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

ThorsHamar hat geschrieben:(12 Apr 2017, 15:15)

Ja, aber diese "Brisanz" ist doch keine Neuigkeit, finde ich ....
Nach drei Nachrkriegsgenerationen, die mit Glücks- und Wohlstandsversprechen aufgewachsen sind? In einem anderen Kommentar zu Strengers neuem Buch heißt es:
Strenger sieht im Mentalitätsbestand der westlichen Gesellschaften mehrere, gravierende Probleme. Nach sieben Jahrzehnten fast ununterbrochenem Frieden und ständig steigendem Wohlstand, zumindest in Europa und den USA, gebe es nun drei Generationen, die nie für Freiheit kämpfen mussten. Diese nähmen die Freiheit als selbstverständlich, sagte Strenger.

Die Idee der Freiheit müsse man aber immer wieder durchdenken. Die liberale politische Ordnung sei sehr fragil und müsse gepflegt, gehegt und verteidigt werden. Doch diese Erkenntnis sei unpopulär geworden: Es solle alles so bequem wie möglich sein.

Die westliche Kultur verdrängt nach Ansicht des Philosophen zudem, dass das menschliche Leben im Grundsatz eine tragische Struktur hat. Alle meinten, ein Recht auf Glück zu haben - und machten dann die Gesellschaft oder die Eltern verantwortlich, wenn es sich nicht einstelle.

Strenger wirbt für eine grundsätzlich andere, schmerzhafte Perspektive.
Ich finde schon, dass ein solches Bekenntnis zur Tragik etwas, naja, ziemlich gegen den Strich der Zeit gerichtetes ist. Kritisieren würde ich nur den einseitigen Blick auf den Westen. Das "Recht auf Glück" kann auch in der Perspektive gesehen werden, gemeinsam mit allen einem Putin oder Erdogan als geeinte Nation oder auch Religionsgemeinschaft hinterherzulaufen. Dabei nicht mitzumachen ist ebenso tragisch wie gleichermaßen individuell-freiheitlich wie das westliche Wohlstandsversprechen anzuzweifeln.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von ThorsHamar »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Apr 2017, 15:48)

Nach drei Nachrkriegsgenerationen, die mit Glücks- und Wohlstandsversprechen aufgewachsen sind? In einem anderen Kommentar zu Strengers neuem Buch heißt es:


Ich finde schon, dass ein solches Bekenntnis zur Tragik etwas, naja, ziemlich gegen den Strich der Zeit gerichtetes ist. Kritisieren würde ich nur den einseitigen Blick auf den Westen. Das "Recht auf Glück" kann auch in der Perspektive gesehen werden, gemeinsam mit allen einem Putin oder Erdogan als geeinte Nation oder auch Religionsgemeinschaft hinterherzulaufen. Dabei nicht mitzumachen ist ebenso tragisch wie gleichermaßen individuell-freiheitlich wie das westliche Wohlstandsversprechen anzuzweifeln.
Da bin ich ganz bei Dir. Ist aber eben nicht neu für mich.
Ich bin schon vor vielen Jahren, es werden so ca. 40 sein, auf diese "Tragik" gekommen, als ich begann, mich mit der Geschichte Israels zu beschäftigen.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

ThorsHamar hat geschrieben:(12 Apr 2017, 16:05)

Da bin ich ganz bei Dir. Ist aber eben nicht neu für mich.
Ich bin schon vor vielen Jahren, es werden so ca. 40 sein, auf diese "Tragik" gekommen, als ich begann, mich mit der Geschichte Israels zu beschäftigen.
Sofern das nicht auch nur einem verbreiteten Anti-Israel-Reflex folgt und offen ist auch für die Pro-Israel- (und nicht nur einfach philosemitische) Sicht ... völlig o.k. und aus meiner Sicht eingeordnet in die kleine Minderheit der Freiheitsliebenden.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von ThorsHamar »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Apr 2017, 08:10)

Sofern das nicht auch nur einem verbreiteten Anti-Israel-Reflex folgt und offen ist auch für die Pro-Israel- (und nicht nur einfach philosemitische) Sicht ... völlig o.k. und aus meiner Sicht eingeordnet in die kleine Minderheit der Freiheitsliebenden.
Es war damals eine Folge meiner Israel Begeisterung ....
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Nochmal was zum Thema "deutsche Nation":
Wir sind das Volk der Unsicherheit und Selbstbefragung. In seiner monumentalen Studie „Was ist deutsch?“ legt der Heidelberger Professor Dieter Borchmeyer die deutsche Geschichte und Kultur auf die Couch. [...]

Die Deutschen, sagt man, wissen nicht, wer sie sind. Es hat auch damit zu tun, dass der Weg in den Nationalstaat für die Deutschen weit weniger zwingend war als etwa für Franzosen, Polen oder Belgier.

Das Gegenstück zur Zersplitterung der Deutschen in der Provinz war eine Ahnung und – bei Goethe und Schiller etwa – die Gewissheit, dass der politische Nationalstaat nicht zu den Deutschen passt, weil er zu eng, zu wenig menschheitlich ist. Das widerspricht der weitverbreiteten Überzeugung, alle Wege der Deutschen hätten seit eh und je direkt in den chauvinistischen Nationalstaat und dann in den Holocaust geführt. [...]

Goethe sah die Deutschen unfähig zur Nation, und das gefiel ihm durchaus. Er, das „Zeitablehnungsgenie“ (Heinrich Heine), stemmte sich gegen den nationalen Trend, weil er mehr wollte. Er wollte die Deutschen aus ihrer „Selbstigkeitslust“ befreien und sah „die Epoche der Welt-Literatur an der Zeit“.

Politischer war Schiller, der – heute fast vergessen – entschieden für übernationale Zusammenschlüsse, für ein vereintes Europa, eine „europäische Staatengesellschaft“ stritt. All jene, die heute wieder vom souveränen Nationalstaat träumen und sich dabei auch auf das kulturelle Erbe der „Weimarer Klassik“ berufen, sollte es beschämen, dass ihnen die Weimarer Koryphäen schon vor mehr als 200 Jahren weit voraus waren.
https://www.welt.de/kultur/literarische ... schen.html
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

frems hat geschrieben:(09 Jan 2017, 01:03)

Ob der Nationalstaat verschwindet, weiß ich nicht. Ich denke aber schon, dass er an Bedeutung verliert. Einerseits weil die Leute heutzutage mobiler sind. Zum anderen sind viele Probleme der heutigen Zeit nicht mehr nationalstaatlich zu lösen. Dass ältere Nationalisten nochmal laut zucken, ist da nur nachvollziehbar, auch wenn man viele Parolen abstoßend findet. So ist das halt bei jeder Generation, die mit Veränderungen konfrontiert wird, die sie über Jahrzehnte nicht für vorstellbar hielten. Und ich denke, dass das die heutige Jugend in 40, 50 Jahren auch betreffen wird, wenn auch mit völlig anderen Themen. Man sieht's ja auch beim technischen Fortschritt. "Digital natives" können nur mit den Augen rollen, wenn ältere Personen das Internet zum "Neuland" erklären, während sie selbst damit aufwuchsen und beim Umgang ihren Eltern und Großeltern weit voraus sind.

Gleichzeitig haben wir es global mit einer Urbanisierung zu tun. In der Wissenschaft wird da manchmal das Kofferwort der Glokalität benutzt, welches vereinfacht sagt, dass einerseits viele Bereiche (Handel, Digitalisierung, Bildung, Wirtschaft, Netzwerke etc.) immer internationaler werden. Gleichzeitig zieht es -- quasi als ergänzende, nicht ersetzende "Gegenbewegung" -- Menschen immer mehr auf die lokale Ebene, die bekanntlich eine stärkere Identifikation bietet als der Nationalstaat. Die eigene Stadt, in der man täglich verkehrt und seinen Mittelpunkt hat (Arbeit, Bekannte, Freizeit), ist eben "näher" als eine abstrakte Nation, die man primär über Medien wahrnimmt. Im Debattenblatt European gab's da mal auch eine recht spannende Reihe, wonach Städte bzw. Metropolregionen politisch immer stärker an Bedeutung gewinnen -- auf globaler, nicht nationaler Ebene. Falls von Interesse: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 und 11.

Artikel 1 ist von der bekannten Soziologin Saskia Sassen, die lange im Bereich "Global City" forschte. Ich fand aber vor allem Artikel 2 (Benjamin Barber) und 3 (Parag Khanna) interessant. 4 bis 11 beschäftigen sich vor allem mit technischen Innovationen (Verkehr, Ökologie, Energie, Digitalisierung usw.).
Tja aber schon komisch, wenn usere französischen Nachbarn ihre Sprache als Hauptmerkmal ihrer nationalen Identität betrachten und das sogar in der Verfassung verankern und die Academie Francaise über die Reinhaltung der französischen Sprache wacht.
Irgendwie haben doch nur "die die schon immer hier leben" (deutsche sagen, ist ja verpönt), ein Problem mit nationaler Identität.
Nur hier muss man sich als räächts titulieren lassen oder als "identitär", wenn von Nationalgefühl, nationaler Identität etc die Rede ist. Sorry, aber für mich grenzt sowas an Paranoia.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Dark Angel hat geschrieben:(29 Apr 2017, 18:47)

Tja aber schon komisch, wenn usere französischen Nachbarn ihre Sprache als Hauptmerkmal ihrer nationalen Identität betrachten und das sogar in der Verfassung verankern und die Academie Francaise über die Reinhaltung der französischen Sprache wacht.
Irgendwie haben doch nur "die die schon immer hier leben" (deutsche sagen, ist ja verpönt), ein Problem mit nationaler Identität.
Nur hier muss man sich als räächts titulieren lassen oder als "identitär", wenn von Nationalgefühl, nationaler Identität etc die Rede ist. Sorry, aber für mich grenzt sowas an Paranoia.
Ich finde es auch sehr paranoid, wenn man sich einbildet, es sei verpönt "Deutsche" zu sagen. So ein verkrampftes Verhalten und Aussagen wie "Man darf sich nicht zu Deutschland bekennen, blabla" finde ich wahrlich skurril, weil's Millionen von Menschen tun und es niemanden stört.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

frems hat geschrieben:(29 Apr 2017, 18:54)

Ich finde es auch sehr paranoid, wenn man sich einbildet, es sei verpönt "Deutsche" zu sagen. So ein verkrampftes Verhalten und Aussagen wie "Man darf sich nicht zu Deutschland bekennen, blabla" finde ich wahrlich skurril, weil's Millionen von Menschen tun und es niemanden stört.
Und warum kriegt dann unsere Kanzlerin das Wort nicht über die Lippen und spricht stattdessen von "die schon immer hier leben"?
Offensichtlich hat sie ein Problem damit, von Deutschen oder "dem deutschen Volk" zu sprechen, dem sie ihren Treueeid geleistet hat.
Was meinst du denn, woher der in Anführungszeichen gesetzte Ausdruck stammt. Aus den Fingern gezutscht hat sich den jedenfalls keiner.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

frems hat geschrieben:(29 Apr 2017, 18:54)

Ich finde es auch sehr paranoid, wenn man sich einbildet, es sei verpönt "Deutsche" zu sagen. So ein verkrampftes Verhalten und Aussagen wie "Man darf sich nicht zu Deutschland bekennen, blabla" finde ich wahrlich skurril, weil's Millionen von Menschen tun und es niemanden stört.
Genau. Du sagst es. Das wird doch dauernd gesagt: "Wir Deutschen", "wir Bio-Deutschen", "das Volk der Deutschen" oder "die Identität als Deutsche". Ich sehe da auch keine Unterdrückung oder Vermeidung dieser Begrifflichkeit. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Ich bin eher dankbar, wenn es mal ne Weile nicht so arg deutschtümelt :D
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Dark Angel hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:08)

Und warum kriegt dann unsere Kanzlerin das Wort nicht über die Lippen und spricht stattdessen von "die schon immer hier leben"?
Offensichtlich hat sie ein Problem damit, von Deutschen oder "dem deutschen Volk" zu sprechen, dem sie ihren Treueeid geleistet hat.
Was meinst du denn, woher der in Anführungszeichen gesetzte Ausdruck stammt. Aus den Fingern gezutscht hat sich den jedenfalls keiner.
Weil die Kanzlerin mal irgendeine Wortwahl nutzte, heißt das doch nicht, andere Bezeichnungen seien verpönt. Erst vor zwei Tagen sagte die selbe Person, deren Sprachgebrauch kein Staatsgesetz ist,sie wolle die "Interessen der Deutschen wahren" (http://www.handelsblatt.com/politik/deu ... 25346.html), sprach im März erst von "Wir Deutschen haben gute Argumente" (http://www.zeit.de/politik/ausland/2017 ... uch-plaene) und die Liste kann endlos erweitert werden, wenn man mal drei Begriffe bei Google eingibt statt sich hysterisch darüber aufzuregen, dass sie mal nicht (im eigenen Sinne) super politisch korrekt so redete, wie man es privat getan hätte. Wo ist es denn nun verpönt "Deutsche" zu sagen? Wer will's verbieten, wer will's verhindern, wer geht irgendwie gegen dieses Wort vor? Offensichtlich hat die Kanzlerin kein Problem damit, und wenn es sie hätte, wär's erstmal auch nicht wichtig. Dass sich manche Milieus da mehr reinspinnen als da tatsächlich steht, gehört halt dazu.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Selina hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:11)

Genau. Du sagst es. Das wird doch dauernd gesagt: "Wir Deutschen", "wir Bio-Deutschen", "das Volk der Deutschen" oder "die Identität als Deutsche". Ich sehe da auch keine Unterdrückung oder Vermeidung dieser Begrifflichkeit. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Ich bin eher dankbar, wenn es mal ne Weile nicht so arg deutschtümelt :D
Ich hab auch noch nie gesehen, dass irgendwer -- ob politisch/öffentlich oder privat -- mal von "den Deutschen" sprach und einzig und alleine dafür angepflaumt wurde, dass er dieses Wort nutzte. Entscheidend ist da höchstens der Kontext. Sagt z.B. jemand, die Deutschen seien asoziales Volk, würden da sicherlich viele widersprechen. Das Problem ist dann aber nicht "die Deutschen". Irgendwie wirkt das alles sehr an den Haaren herbeigezogen und verkrampft.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

frems hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:25)

Weil die Kanzlerin mal irgendeine Wortwahl nutzte, heißt das doch nicht, andere Bezeichnungen seien verpönt. Erst vor zwei Tagen sagte die selbe Person, deren Sprachgebrauch kein Staatsgesetz ist,sie wolle die "Interessen der Deutschen wahren" (http://www.handelsblatt.com/politik/deu ... 25346.html), sprach im März erst von "Wir Deutschen haben gute Argumente" (http://www.zeit.de/politik/ausland/2017 ... uch-plaene) und die Liste kann endlos erweitert werden, wenn man mal drei Begriffe bei Google eingibt statt sich hysterisch darüber aufzuregen, dass sie mal nicht (im eigenen Sinne) super politisch korrekt so redete, wie man es privat getan hätte. Wo ist es denn nun verpönt "Deutsche" zu sagen? Wer will's verbieten, wer will's verhindern, wer geht irgendwie gegen dieses Wort vor? Offensichtlich hat die Kanzlerin kein Problem damit, und wenn es sie hätte, wär's erstmal auch nicht wichtig. Dass sich manche Milieus da mehr reinspinnen als da tatsächlich steht, gehört halt dazu.
Ich rege mich nicht hysterisch auf, ich fand es nur arg daneben, auch den Kontext. Merkel ist Regierungschef dieses Landes und als solche kann sie nicht daher reden, wie es ihr gerade in den Sinn kommt. Das sollte eigentlich kein Politiker machen. Die stehen nunmal immer in der Öffentlichkeit und die schaut ihnen auch auf's "Maul".
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Dark Angel hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:55)

Ich rege mich nicht hysterisch auf, ich fand es nur arg daneben, auch den Kontext. Merkel ist Regierungschef dieses Landes und als solche kann sie nicht daher reden, wie es ihr gerade in den Sinn kommt. Das sollte eigentlich kein Politiker machen. Die stehen nunmal immer in der Öffentlichkeit und die schaut ihnen auch auf's "Maul".
Ja, und? Von "verpönt" kann nirgends die Rede sein. Wer ein unverkrampftes Verhältnis zu seiner Heimat hat, würde sich daran auch nicht stören, wenn irgendeine Politikerin in 99% der Fällen von "wir Deutsche" spricht und es dann einmal nicht tut. Das wirkt so als hätte man nur jahrelang darauf gewartet, dass mal eine andere Beschreibung vorkommt und nun wolle man es für etwas ausschlachten, was man noch nie belegen oder beweisen konnte. Hurra, endlich sagt sie etwas anderes! Da haben wir's! Wir dürfen nicht "Deutsche" sagen! Seriously? Sag's so oft Du willst, häng Dir ein Fähnchen ans Haus, teile jedem ungefragt mit wie sehr Du Deutschland liebst (und nicht verachtest, weil's hier angeblich so viel schlimmer sei als in Frankreich, wo die Verfassung anders aufgebaut ist) und so weiter. Wen juckt das? Kommt die Polizei und holt Dich ab? :?:
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:11)

Genau. Du sagst es. Das wird doch dauernd gesagt: "Wir Deutschen", "wir Bio-Deutschen", "das Volk der Deutschen" oder "die Identität als Deutsche". Ich sehe da auch keine Unterdrückung oder Vermeidung dieser Begrifflichkeit. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Ich bin eher dankbar, wenn es mal ne Weile nicht so arg deutschtümelt :D
Ja - wer hat denn den Begriff "Bio-Deutsche" geprägt und im welchem Zusammenhang - na?
Das war der Herr Özdemir und in dem Kontext in dem er den Begriff verwendete, war er abwertend gemeint. Und jetzt wundern sich einige, dass genau dieser Begriff von einem gewissen Klientel in gegenteiliger Bedeutung verwendet wird.
Von mir wirst du den Begriff jedenfalls noch nicht gelesen haben.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

frems hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:58)

Ja, und? Von "verpönt" kann nirgends die Rede sein.
Hier fehlt ein Ironie-Smilie!
frems hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:58) Wer ein unverkrampftes Verhältnis zu seiner Heimat hat, würde sich daran auch nicht stören, wenn irgendeine Politikerin in 99% der Fällen von "wir Deutsche" spricht und es dann einmal nicht tut. Das wirkt so als hätte man nur jahrelang darauf gewartet, dass mal eine andere Beschreibung vorkommt und nun wolle man es für etwas ausschlachten, was man noch nie belegen oder beweisen konnte. Hurra, endlich sagt sie etwas anderes! Da haben wir's! Wir dürfen nicht "Deutsche" sagen! Seriously? Sag's so oft Du willst, häng Dir ein Fähnchen ans Haus, teile jedem ungefragt mit wie sehr Du Deutschland liebst (und nicht verachtest, weil's hier angeblich so viel schlimmer sei als in Frankreich, wo die Verfassung anders aufgebaut ist) und so weiter. Wen juckt das? Kommt die Polizei und holt Dich ab? :?:
Sorry - aber jetzt bist du derjenige der hyperventiliert.
Wir - haben ein Problem mit nationaler Identität und wir haben ein Problem, so etwas wie Nationalstolz zu zeigen - außer beim Fußball. Und dieses Problem hängt mit den dunkelsten 12 Jahren unserer Geschichte zusammen.
Wir dürfen diese 12 Jahre nicht aus unserem Gedächtnis streichen, wir dürfen unsere Geschichte aber auch nicht auf diese 12 Jahre reduzieren und eine Art Schuldkomplex entwickeln - wie das bestimmte Zeitgenossen gern hätten und immer mal wieder anmahnen, welche Schuld doch auf uns lastet.
Ich habe nirgends irgendwas bemängelt oder behauptet, dass es hier viel schlimmer als in Frankreich ist. Bis gestern abend habe ich nichtmal gewusst, dass die französische Sprache als Merkmal nationaler Identität in der französischen Verfassung verankert ist und dass über die Reinhaltung der französischen Sprache gewacht wird. Ich fand und finde das lediglich interessant.
Könnte uns allerdings auch nicht schaden, sowas wie "Reinhaltung der deutschen Sprache", dann gäbe es weniger denglische Begriffsfindungen, die wenn man sie mal wörtlich übersetzt, vollkommen sinnbefreit sind.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Dark Angel hat geschrieben:(29 Apr 2017, 20:14)

Hier fehlt ein Ironie-Smilie!


Sorry - aber jetzt bist du derjenige der hyperventiliert.
Wir - haben ein Problem mit nationaler Identität und wir haben ein Problem, so etwas wie Nationalstolz zu zeigen - außer beim Fußball. Und dieses Problem hängt mit den dunkelsten 12 Jahren unserer Geschichte zusammen.
Wir dürfen diese 12 Jahre nicht aus unserem Gedächtnis streichen, wir dürfen unsere Geschichte aber auch nicht auf diese 12 Jahre reduzieren und eine Art Schuldkomplex entwickeln - wie das bestimmte Zeitgenossen gern hätten und immer mal wieder anmahnen, welche Schuld doch auf uns lastet.
Ich habe nirgends irgendwas bemängelt oder behauptet, dass es hier viel schlimmer als in Frankreich ist. Bis gestern abend habe ich nichtmal gewusst, dass die französische Sprache als Merkmal nationaler Identität in der französischen Verfassung verankert ist und dass über die Reinhaltung der französischen Sprache gewacht wird. Ich fand und finde das lediglich interessant.
Könnte uns allerdings auch nicht schaden, sowas wie "Reinhaltung der deutschen Sprache", dann gäbe es weniger denglische Begriffsfindungen, die wenn man sie mal wörtlich übersetzt, vollkommen sinnbefreit sind.
Ich hab gar kein Problem mit meiner Identität und mir ist real auch noch niemand begegnet. Diese reflexhafte Fokussierung auf die NS-Zeit ist mir auch fremd. Sprachvereine gibt's übrigens viele in Deutschland, wovon auch einige mit der englischen Sprache fremdeln (https://www.welt.de/kultur/article16052 ... tiert.html). Warum immer so verkrampft behaupten, man dürfe dies oder jenes nicht tun bzw. es sei angeblich verpönt? Ist doch gar nicht der Fall. Ich fand's ja mal urkomisch, als jemand behauptete, in Deutschland dürfe man sich nicht als Patriot bezeichnen. Erst am Tag zuvor tat es ein Ministerpräsident eines Bundeslandes und erhielt von den Bürgern Applaus statt Buhrufe. Da macht halt der Ton die Musik.
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