Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

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Fazer
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Fazer »

H2O hat geschrieben:(10 May 2016, 11:56)

Der Streit ist doch müßig! Wichtiger scheint mir zu sein, daß in der öffentlichen Diskussion Polens der europäische Gedanke lebendig bleibt und sich an der betont rückwärtsgewandten Regierungspolitik reibt. Die Ohrfeigen werden kommen, wenn die neue Regierung es schafft, ausländische Beteiligungen außer Landes zu ekeln und Investitionen ausbleiben.

Oder wenn tatsächlich der Gedanke an ein Kerneuropa um sich greift, und Polen sich an den Rand geschoben sieht. Das muß noch nicht einmal mit harten Maßnahmen verbunden sein; allein das Gefühl: "Die planen jetzt ohne uns!" dürfte schon ernüchternd wirken.
In keiner Weise ist der Streit müssig. Die PiS regiert mit absoluter Mehrheit und erhebt insoweit den Anspruch "für das Volk" zu sprechen wenn sie einen Anti EU Kurs fährt. Wenn aber in einem Land wie Polen 240.000 Leute auf die Strasse gehen, dann zeigt dass, dass es erheblichen Widerstand gibt, den auch die Regierung berücksichtigen muss:
If the participants in the anti-government march are at the higher end, it show the opposition, led by the nonpartisan Committee for the Defense of Democracy, is able to galvanize enormous crowds against the PiS party government and the country’s deepening constitutional crisis.

...

The inability to agree on how many people walked through the capital of the EU’s sixth-largest country is a sign of the deep conflict in Poland, wrote Michał Szułdrzyński, deputy editor of the Rzeczpospolita newspaper.

“The fight over the number of participants in Saturday’s KOD demonstration is essentially a fight over the legitimacy of the ruling PiS as well as the opposition forces,” he wrote.

http://www.politico.eu/article/counting ... d-justice/
Im übrigen ist die Regierung schon dabei, Investoren zu verprellen. Für die Banken soll es eine Sondersteuer geben, die de facto fast den ganzen Gewinn aufzehrt. Für Einzelhändler soll es eine Sondersteuer geben, die so gestaffelt ist, dass fast nur die grossen internationalen Händler betroffen sind. Orban hat in Ungarn in den letzten Jahren das gleiche versucht und gemacht.
Freiheit bedeutet Verantwortung; das ist der Grund, weshalb sich die meisten vor ihr fürchten. (George Bernard Shaw)
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Fazer hat geschrieben:(10 May 2016, 12:48)

In keiner Weise ist der Streit müssig. Die PiS regiert mit absoluter Mehrheit und erhebt insoweit den Anspruch "für das Volk" zu sprechen wenn sie einen Anti EU Kurs fährt. Wenn aber in einem Land wie Polen 240.000 Leute auf die Strasse gehen, dann zeigt dass, dass es erheblichen Widerstand gibt, den auch die Regierung berücksichtigen muss:



Im übrigen ist die Regierung schon dabei, Investoren zu verprellen. Für die Banken soll es eine Sondersteuer geben, die de facto fast den ganzen Gewinn aufzehrt. Für Einzelhändler soll es eine Sondersteuer geben, die so gestaffelt ist, dass fast nur die grossen internationalen Händler betroffen sind. Orban hat in Ungarn in den letzten Jahren das gleiche versucht und gemacht.
Alles bekannt und klar! Nur würde ich eben nicht mehr zu große Worte darum machen, sondern eine Strategie für Europa an der polnischen und anderen Regierungen vorbei in Gang setzen. Einerseits freundliche Kommentare zu polnischen Anhängern der europäischen Einigung, und andererseits Jugendarbeit durch Anwerben von jungen Leuten zu Ausbildung und Studium.

Und nicht zuletzt auch mehr öffentlichen Anschub für das Kerneuropa der Willigen, das auf eine europäische Föderation hinaus läuft; wenn man so will: auf eine riesengroße Schweiz. Mal sehen, wann die Widerborste einknicken! :cool:
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(10 May 2016, 12:14)

Dieses Thema hatten wir aber schon einmal. Ein BIP beschreibt sämtliche Leistungen eines Gemeinwesens. In Polen sind 5% Zuwachs des BIP eine Zahl, die jeder Wirtschaftsminister mit Fanfarenklängen bekannt gäbe. Die 15 Mrd sind bares Geld, nicht irgendwelche Dienste der Verwaltung oder anderer staatlicher Einrichtungen.

Aber mir geht es nicht darum, hier Stimmungen zu fördern, wohl aber die Einsicht, daß Polen und viele seiner Bürger gern die Vorteile der EU genießen, der PiS-Staat aber im Gegenzug viel Ärger macht.

Wenn diese Vorteile so gering wären, wie Sie das hier vermitteln möchten, dann könnte Polen doch seinen eigenen Weg gehen, so wie inzwischen oft genug schrill angekündigt. Die verlegen sich aber ausschließlich auf das Stänkern.

Unsere europäische Strategie müssen wir daran anpassen: Die Europa und Deutschland freundlich gesonnenen jungen Leute in der EU und Russland ansprechen, sie zu Ausbildung und Studium nach Deutschland einladen, wenn sie über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügen. Und den Gedanken an ein Kerneuropa mit dem Ziel einer europäischen Föderation voran zu treiben, zu dem alle dazu gewillten Regierungen eingeladen sind, diesen Gedanken mit zu gestalten. Das wird mühsam, aber vielleicht rettet dieser Ansatz die EU.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die wirksamen Vorteile der EU-Mitgliedschaft Polens bei weitem eher darin liegen, viel einfacher und kostengünstiger ihre Produkte exportieren zu können, als von den EU-Zahlungen zu profitieren. Tagtäglich fahren hier in Berlin ausschließlich Nahverkehrs-Busse an mir vorbei, die in Poznan produziert werden. Und sicher ist das, was die PiS-Leute öffentlich erzählen, vor allem reine Propaganda. Noch ein Grund mehr, sich an rationale Argumente zu halten. Das Weltbild nicht weniger Bundesdeutscher, nach denen die Polen es sich mit "unseren" Zahlungen bequem machen und dann auch noch auf Europa schimpfen, ist und bleibt nicht nur einfach verzerrt sondern ist ganz grundsätzlich falsch.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 May 2016, 13:23)

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die wirksamen Vorteile der EU-Mitgliedschaft Polens bei weitem eher darin liegen, viel einfacher und kostengünstiger ihre Produkte exportieren zu können, als von den EU-Zahlungen zu profitieren. Tagtäglich fahren hier in Berlin ausschließlich Nahverkehrs-Busse an mir vorbei, die in Poznan produziert werden. Und sicher ist das, was die PiS-Leute öffentlich erzählen, vor allem reine Propaganda. Noch ein Grund mehr, sich an rationale Argumente zu halten. Das Weltbild nicht weniger Bundesdeutscher, nach denen die Polen es sich mit "unseren" Zahlungen bequem machen und dann auch noch auf Europa schimpfen, ist und bleibt nicht nur einfach verzerrt sondern ist ganz grundsätzlich falsch.
Wie schon einmal gesagt: Wenn die polnische Regierung beleidigt sein sollte, daß sie 5% ihres BIP aus der EU leistungslos erhält, dann könnte sie diese Mittel doch aus ihrer eigenen Schatulle entnehmen. Wieviel % trägt der polnische Export zum polnischen BIP bei? Welchen Anteil hat daran der Export von EU-Zweigbetrieben und EU-Unternehmensbeteiligungen? Wie viele Millionen Polen verdienen ihr Brot in anderen EU-Ländern? Das wäre eine nüchterne und ernüchternde Betrachtung. Damit sollte niemand ohne Not herum spielen!

Solcher Unsinn wie "die machen es sich auf unsere Kosten bequem" oder die inzwischen gewohnten Stänkereien polnischer Regierungsmitglieder gegen Deutschland allgemein gehören in den Bereich unfreundlicher bis bösartiger Beschimpfungen, für die mir jedes Verständnis abgeht!
Ein Liebeswerben um enge Zusammenarbeit stelle ich mir anders vor ;)

Ich meine, daß wir Europäer uns mit dieser polnischen Regierung einfach nicht mehr befassen sollten. Allenfalls vor dem EuGH Klage erheben, wenn sie versucht, die Interessen deutscher oder anderer EU-Unternehmen durch diskriminierende Gesetze zu beeinträchtigen.

Ansonsten Ermutigung der polnischen Europäer durch freundlichen Zuspruch und Förderung des Jugendaustauschs mit Polen, notfalls einseitige Einladungen, sich in Deutschland einer Ausbildung oder einem Studium zu widmen. Irgendwie muß es sich für junge Polen doch lohnen, Deutsch als Fremdsprache erlernt zu haben! Kerneuropa ins Gespräch bringen... auch das könnte Wirkung zeigen.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben: Wie schon einmal gesagt: Wenn die polnische Regierung beleidigt sein sollte, daß sie 5% ihres BIP aus der EU leistungslos erhält, dann könnte sie diese Mittel doch aus ihrer eigenen Schatulle entnehmen. Wieviel % trägt der polnische Export zum polnischen BIP bei? Welchen Anteil hat daran der Export von EU-Zweigbetrieben und EU-Unternehmensbeteiligungen? Wie viele Millionen Polen verdienen ihr Brot in anderen EU-Ländern? Das wäre eine nüchterne und ernüchternde Betrachtung. Damit sollte niemand ohne Not herum spielen!
Wenn wir diese Rechnung weiterschreiben, könnten wir uns auch fragen, wie hoch der Aktienanteil Saudi Arabiens oder der Emirate an den internationalen Firmen ist, die Zweigstellen in Polen betreiben und von dort exportieren ...
Von 1994 bis 1998 hatte, also noch vor EU-Beitritt hatte Polen übrigens ein jährliches BIP-Wachstum von mehr als 5 Prozent (1997: 7.1). Sowohl der spätere EU-Beitritt als auch die wirtschaftlich eher positive Entwicklung der letzten Jahre verdanken sich ganz sicher eher diesem wirtschaftlichen Initial-Schub als den regulären EU-Beiträgen.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(10 May 2016, 14:53)

Wenn wir diese Rechnung weiterschreiben, könnten wir uns auch fragen, wie hoch der Aktienanteil Saudi Arabiens oder der Emirate an den internationalen Firmen ist, die Zweigstellen in Polen betreiben und von dort exportieren ...
Von 1994 bis 1998 hatte, also noch vor EU-Beitritt hatte Polen übrigens ein jährliches BIP-Wachstum von mehr als 5 Prozent (1997: 7.1). Sowohl der spätere EU-Beitritt als auch die wirtschaftlich eher positive Entwicklung der letzten Jahre verdanken sich ganz sicher eher diesem wirtschaftlichen Initial-Schub als den regulären EU-Beiträgen.
Solche Wachstumsbetrachtungen sind aber leicht daneben. Die alte Bundesrepublik Deutschland hatte ein Wahnsinnswachstum. Leider müssen wir nun mit 1,5 oder 2% zufrieden sein. Diese Schwäche hat ihre Ursache wohl in einem sehr hohen Ausgangswert der Wirtschaft. Mehr als "Exportweltmeister" geht leider nicht!
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(10 May 2016, 14:37)
Wie schon einmal gesagt: Wenn die polnische Regierung beleidigt sein sollte, daß sie 5% ihres BIP aus der EU leistungslos erhält, dann könnte sie diese Mittel doch aus ihrer eigenen Schatulle entnehmen. Wieviel % trägt der polnische Export zum polnischen BIP bei? Welchen Anteil hat daran der Export von EU-Zweigbetrieben und EU-Unternehmensbeteiligungen? Wie viele Millionen Polen verdienen ihr Brot in anderen EU-Ländern? Das wäre eine nüchterne und ernüchternde Betrachtung. Damit sollte niemand ohne Not herum spielen!
Noch einmal dazu: Gerade in Länder wie Polen oder Ungarn wird ein beträchtlicher Teil der EU-Gelder für Infrastruktur verwendet. Verkehrsausbau insbesondere. Und davon profitieren nicht zuletzt die Niederlassungen großer Firmen aus den EU-Nettoeinzahlerländern. Ich bin der letzte, der einem Viktor Orbán etwas Positives abgewinnen könnte, aber mit
Viktor Orbán hat geschrieben: So viel Geld, wie die Europäische Union hierher gesandt hat, haben die westlichen Firmen auch wieder von hier mitgenommen. Wir sind quitt. Es gibt nichts, was wir einander vorwerfen könnten.
hat er vollkommen recht. (Aus einer wie meist ziemlich präzisen Analyse in der Reihe "hintergrund" des Deutschlandfunks, http://www.deutschlandfunk.de/orbans-un ... _id=352929)
Was soll ein Ingenieur bei Audi Motors im ungarischen Györ oder bei Ford oder Fiat im polnischen Tychy denken, wenn seine Entwicklungen weltweit nicht nur nicht als in seiner Heimat erfolgt sondern seine Landsleute auch noch als Schmarotzer angesehen werden? Richtig: Er wird eine rechtsnationalkonservativen Partei wählen.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 May 2016, 09:53)

Noch einmal dazu: Gerade in Länder wie Polen oder Ungarn wird ein beträchtlicher Teil der EU-Gelder für Infrastruktur verwendet. Verkehrsausbau insbesondere. Und davon profitieren nicht zuletzt die Niederlassungen großer Firmen aus den EU-Nettoeinzahlerländern. Ich bin der letzte, der einem Viktor Orbán etwas Positives abgewinnen könnte, aber mit

hat er vollkommen recht. (Aus einer wie meist ziemlich präzisen Analyse in der Reihe "hintergrund" des Deutschlandfunks, http://www.deutschlandfunk.de/orbans-un ... _id=352929)
Was soll ein Ingenieur bei Audi Motors im ungarischen Györ oder bei Ford oder Fiat im polnischen Tychy denken, wenn seine Entwicklungen weltweit nicht nur nicht als in seiner Heimat erfolgt sondern seine Landsleute auch noch als Schmarotzer angesehen werden? Richtig: Er wird eine rechtsnationalkonservativen Partei wählen.
Nein, so geht Wirtschaft wohl doch nicht; kein Wirtschaftsbetrieb wird eine ferne Niederlassung gründen, wenn er dabei keine Geschäftsgewinne machen kann. Wohltätigkeit liegt dem nie zu Grunde, jedenfalls nicht bei eigenverantwortlichen Unternehmungen. Wenn dann ein Mensch mit verdrehtem Hirn meint, daß er "quit" sei, dann tickt der nicht so richtig. Seine Mitbürger haben nämlich auch am Ort ihr Brot und vielleicht auch den Brotaufstrich dazu verdient... mit ihrer Arbeit, haben Steuern bezahlt und unter anderen auch Herrn Orban ausgehalten. Und das wird so lange geschehen, wie sich die Sache für das Unternehmen auszahlt, und endet, wenn die Geschäfte schlecht laufen oder der Anspruch der Menschen vor Ort nicht ihrer Produktivität entspricht... gilt auch hier zu Lande. Gnadenerweise sind das nie; Standorte müssen schon Vorteile bieten... da reißen sich für gewöhnlich die Lokalpolitiker alle Beine aus, und die Arme auch noch, damit nur ja Arbeit und Brot für fleißige Menschen vor Ort zu verdienen ist und Steuergelder in die Kassen fließen, Schulen, Krankenhäuser und andere öffentliche geschaffen oder erhalten werden können.

Ohne den Aufbau der Infrastruktur durch Fördergelder der EU-Partner (Energie, Straßen, Schienen, Flugplätze) hätte ein Unternehmen dort niemals mit Gewinn wirtschaften können, wäre erst gar nicht auf den verwegenen Einfall gekommen, sich irgendwo in der fernen Puszta nieder zu lassen. Gut funktionierende Betriebe mit wettbewerbsfähigen Produkten haben Herr Orban & Co sicher nicht aus eigener Kraft aufbauen können. Dann würde ihr Laden seit 1990 brummen!

Nur ausgemachte Esel können mit solchen dummen Reden "wir sind quit" ihre Wirtschaftspartner verprellen. Dann wird eben ihr Wirtschaftsstandort weniger anziehend; vielleicht will dann gar kein Manager aus einer Zentrale in Frankreich, Italien, den Niederlanden oder Deutschland mitsamt seiner Familie vor Ort die Interessen seines Unternehmens vertreten, und Fachkräfte werden dann eben nicht von dort in die Muttergesellschaft eingeladen und fortgebildet, neue Produkte nicht mehr dorthin vergeben. Mir fallen auf einen Schlag gleich mehrere Standorte ein, wo die Zusammenarbeit wenigstens von freundlichen Reden begleitet sein würde. Schlimm genug, daß man als Europäer solche Gedanken wälzen muß!

Wir wollen unseren Kontinent doch aufbauen und insgesamt zu einem guten Ort entwickeln. Leute vom Schlage Orbans/Kaczyńskis wollen das nur unter nationalem Vorzeichen und gegen ihre Nachbarn und gegen die Gemeinschaft. Das nervt!
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(12 May 2016, 10:34)

Nein, so geht Wirtschaft wohl doch nicht; kein Wirtschaftsbetrieb wird eine ferne Niederlassung gründen, wenn er dabei keine Geschäftsgewinne machen kann. Wohltätigkeit liegt dem nie zu Grunde, jedenfalls nicht bei eigenverantwortlichen Unternehmungen. Wenn dann ein Mensch mit verdrehtem Hirn meint, daß er "quit" sei, dann tickt der nicht so richtig. Seine Mitbürger haben nämlich auch am Ort ihr Brot und vielleicht auch den Brotaufstrich dazu verdient... mit ihrer Arbeit, haben Steuern bezahlt und unter anderen auch Herrn Orban ausgehalten. Und das wird so lange geschehen, wie sich die Sache für das Unternehmen auszahlt, und endet, wenn die Geschäfte schlecht laufen oder der Anspruch der Menschen vor Ort nicht ihrer Produktivität entspricht... gilt auch hier zu Lande. Gnadenerweise sind das nie; Standorte müssen schon Vorteile bieten... da reißen sich für gewöhnlich die Lokalpolitiker alle Beine aus, und die Arme auch noch, damit nur ja Arbeit und Brot für fleißige Menschen vor Ort zu verdienen ist und Steuergelder in die Kassen fließen, Schulen, Krankenhäuser und andere öffentliche geschaffen oder erhalten werden können.

Ohne den Aufbau der Infrastruktur durch Fördergelder der EU-Partner (Energie, Straßen, Schienen, Flugplätze) hätte ein Unternehmen dort niemals mit Gewinn wirtschaften können, wäre erst gar nicht auf den verwegenen Einfall gekommen, sich irgendwo in der fernen Puszta nieder zu lassen. Gut funktionierende Betriebe mit wettbewerbsfähigen Produkten haben Herr Orban & Co sicher nicht aus eigener Kraft aufbauen können. Dann würde ihr Laden seit 1990 brummen!

Nur ausgemachte Esel können mit solchen dummen Reden "wir sind quit" ihre Wirtschaftspartner verprellen. Dann wird eben ihr Wirtschaftsstandort weniger anziehend; vielleicht will dann gar kein Manager aus einer Zentrale in Frankreich, Italien, den Niederlanden oder Deutschland mitsamt seiner Familie vor Ort die Interessen seines Unternehmens vertreten, und Fachkräfte werden dann eben nicht von dort in die Muttergesellschaft eingeladen und fortgebildet, neue Produkte nicht mehr dorthin vergeben. Mir fallen auf einen Schlag gleich mehrere Standorte ein, wo die Zusammenarbeit wenigstens von freundlichen Reden begleitet sein würde. Schlimm genug, daß man als Europäer solche Gedanken wälzen muß!

Wir wollen unseren Kontinent doch aufbauen und insgesamt zu einem guten Ort entwickeln. Leute vom Schlage Orbans/Kaczyńskis wollen das nur unter nationalem Vorzeichen und gegen ihre Nachbarn und gegen die Gemeinschaft. Das nervt!
Die großen Konzerne, die Zweigstellen in Ungarn oder Polen betreiben, denken nicht im Traum daran, diese Länder zu verlassen. Und das, obwohl Orbán sie nicht nur verbal sondern mit Zusatzsteuern, Zwangsenteignungen (bei Energieunternehmen), rückwirkenden Steuereinnahmen, Zwangsumtauschkursen usw. usf. traktiert. Der Grund ist natürlich ganz einfach und eigentlich jedem bekannt: erheblich niedrigere Löhne bei gleicher Fachqualifikation. Ungarn hat gerade eben die letzte Rate eines Milliardenkredits zurückgezahlt, das es 2008 zur Rettung vor einer Staatspleite in Anspruchh nahm. Diese Kombination aus nationaler Symbolpolitik und wirtschaftlichen Erfolgen zahlt sich für Orbán aus: Nach einer gewissen Schwäche bei den letzten Wahlen steht er bei der Bevölkerung so gut da wie schon lange nicht mehr und kann vor Kraft kaum laufen. Das lässt diese sogar auch die niedrigen Einkommen vergessen. Ich sage das keineswegs, weil ich ein Befürworter der Orbán-Politik bin, im Gegenteil. Ich warne nur davor, den Mann zu unterschätzen. Eher wird es eine Konvegenz des osteuropäischen Nationalkonservatismus mit dem westeuropäischen geben.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 May 2016, 10:53)

Die großen Konzerne, die Zweigstellen in Ungarn oder Polen betreiben, denken nicht im Traum daran, diese Länder zu verlassen. Und das, obwohl Orbán sie nicht nur verbal sondern mit Zusatzsteuern, Zwangsenteignungen (bei Energieunternehmen), rückwirkenden Steuereinnahmen, Zwangsumtauschkursen usw. usf. traktiert. Der Grund ist natürlich ganz einfach und eigentlich jedem bekannt: erheblich niedrigere Löhne bei gleicher Fachqualifikation. Ungarn hat gerade eben die letzte Rate eines Milliardenkredits zurückgezahlt, das es 2008 zur Rettung vor einer Staatspleite in Anspruchh nahm. Diese Kombination aus nationaler Symbolpolitik und wirtschaftlichen Erfolgen zahlt sich für Orbán aus: Nach einer gewissen Schwäche bei den letzten Wahlen steht er bei der Bevölkerung so gut da wie schon lange nicht mehr und kann vor Kraft kaum laufen. Das lässt diese sogar auch die niedrigen Einkommen vergessen. Ich sage das keineswegs, weil ich ein Befürworter der Orbán-Politik bin, im Gegenteil. Ich warne nur davor, den Mann zu unterschätzen. Eher wird es eine Konvegenz des osteuropäischen Nationalkonservatismus mit dem westeuropäischen geben.
Darin sehe ich gar keinen Widerspruch zu meinen Ausführungen; so lange sich das Geschäft lohnt, wird es fortgesetzt: So funktioniert Wirtschaft. Erst wenn die Politik sich "gestaltend" einmischt, die Sache sich auch auf mittlere Sicht nicht mehr einfangen läßt, beginnt der Rückzug.

Was würde denn die "Konvergenz" mit westlichen Nationalisten bedeuten? Jeder politische Verführer würde doch Vorteile für seine "Kundschaft" durchaus zu Lasten anderer Wettbewerber heraus schinden wollen: Möglichst alles hierher. Mit Wirtschaften hat das wenig zu tun, wohl aber mit "Nationalsozialismus". Was daraus folgt, kann ich mir ganz gut ausmalen. La France et les Francais d'abord! Bestimmt erfinden unsere Nationalisten ähnliche Sprüche :eek: Und weil dann jeder für sich Recht hat, kommt es alsbald auch wieder zur Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(12 May 2016, 11:18)

Darin sehe ich gar keinen Widerspruch zu meinen Ausführungen; so lange sich das Geschäft lohnt, wird es fortgesetzt: So funktioniert Wirtschaft. Erst wenn die Politik sich "gestaltend" einmischt, die Sache sich auch auf mittlere Sicht nicht mehr einfangen läßt, beginnt der Rückzug.

Was würde denn die "Konvergenz" mit westlichen Nationalisten bedeuten? Jeder politische Verführer würde doch Vorteile für seine "Kundschaft" durchaus zu Lasten anderer Wettbewerber heraus schinden wollen: Möglichst alles hierher. Mit Wirtschaften hat das wenig zu tun, wohl aber mit "Nationalsozialismus". Was daraus folgt, kann ich mir ganz gut ausmalen. La France et les Francais d'abord! Bestimmt erfinden unsere Nationalisten ähnliche Sprüche :eek: Und weil dann jeder für sich Recht hat, kommt es alsbald auch wieder zur Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln.
Was das in Hinsicht auf die Flüchtlingsproblematik bedeutet, konnte man in jüngster Zeit vor allem anhand von Österreichs politiischem Schwenk und der Bundespräsidentenwahl dort sehen.
Auch der Besuch Orbáns beim CSU-Parteitag und beim Altkanzler gehören in dieses Fach.

Auch wenn es hier eigentlich um Polen geht: Die jüngeren Pressekommentare zur Entwicklung in Ungarn lauten ziemlich einhellig auf ein "Der Ruf der Regierung ist schlecht, der Wirtschaft aber geht es recht gut." hinaus. Und ich denke, so schnell wie anfangs erwartet, wird auch die PiS-Regierung die polnische Wirtschaft nicht ruinieren. Spitzenreiter im Fach "ruinieren" dürften ohnehin europaweit die Orbán-Vorgängerrergierungen von MSzP und SzDSz sein.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 May 2016, 13:18)

Was das in Hinsicht auf die Flüchtlingsproblematik bedeutet, konnte man in jüngster Zeit vor allem anhand von Österreichs politiischem Schwenk und der Bundespräsidentenwahl dort sehen.
Auch der Besuch Orbáns beim CSU-Parteitag und beim Altkanzler gehören in dieses Fach.

Auch wenn es hier eigentlich um Polen geht: Die jüngeren Pressekommentare zur Entwicklung in Ungarn lauten ziemlich einhellig auf ein "Der Ruf der Regierung ist schlecht, der Wirtschaft aber geht es recht gut." hinaus. Und ich denke, so schnell wie anfangs erwartet, wird auch die PiS-Regierung die polnische Wirtschaft nicht ruinieren. Spitzenreiter im Fach "ruinieren" dürften ohnehin europaweit die Orbán-Vorgängerrergierungen von MSzP und SzDSz sein.
Schon richtig; erst einmal wurde etwas aufgebaut mit fremdem Geld und fremder Hilfe. Das mit einem Schlage zu zerstören wäre auch ein politisches Meisterstück. Das sind eher schleichende Vorgänge, die mit dem Herausekeln von Investoren beginnen und danach in einen Stillstand mit dem Verzicht auf neue Produkte zum allmählichen Rückzug über gehen (Substanzverbrauch).

Verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen, das wird ein mühseliges Geschäft werden, wenn der Wettbewerb um Investoren diesen Leuten die Wahl läßt, wo sie ihr Glück suchen können.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Nomen Nescio »

H2O hat geschrieben:(12 May 2016, 15:14)

Schon richtig; erst einmal wurde etwas aufgebaut mit fremdem Geld und fremder Hilfe. Das mit einem Schlage zu zerstören wäre auch ein politisches Meisterstück. Das sind eher schleichende Vorgänge, die mit dem Herausekeln von Investoren beginnen und danach in einen Stillstand mit dem Verzicht auf neue Produkte zum allmählichen Rückzug über gehen (Substanzverbrauch).

Verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen, das wird ein mühseliges Geschäft werden, wenn der Wettbewerb um Investoren diesen Leuten die Wahl läßt, wo sie ihr Glück suchen können.
es gibt doch einen spruch über vertrauen und ein pferd ??
nathan über mich: »er ist der unlinkste Nicht-Rechte den ich je kennengelernt habe. Ein Phänomen!«
blues über mich: »du bist ein klassischer Liberaler und das ist auch gut so.«
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Nomen Nescio hat geschrieben:(13 May 2016, 21:38)

es gibt doch einen spruch über vertrauen und ein pferd ??
Dieser Spruch muß eine niederländische Abwandlung eines Spruchs über Vertrauen sein. In Norddeutschland ist er nicht verbreitet. Bitte lassen Sie uns teilhaben an dieser Volksweisheit!
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Nomen Nescio »

vertrauen kommt zu fuß und geht zu pferd.
nathan über mich: »er ist der unlinkste Nicht-Rechte den ich je kennengelernt habe. Ein Phänomen!«
blues über mich: »du bist ein klassischer Liberaler und das ist auch gut so.«
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Nomen Nescio hat geschrieben:(14 May 2016, 13:28)

vertrauen kommt zu fuß und geht zu pferd.
Ja, da habe ich gesucht, aber nichts dergleichen gefunden in deutschen Sprüchen. Müssen wir also aus den Niederlanden importieren. :)
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Alexyessin »

http://www.faz.net/aktuell/politik/eu-v ... 63846.html

So ist es richtig. Wer profitieren will, der muss auch Regeln einhalten. Mal sehen, was da kommt.
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin kein Nazi, aber...
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

Alexyessin hat geschrieben:(01 Jun 2016, 15:32)

http://www.faz.net/aktuell/politik/eu-v ... 63846.html

So ist es richtig. Wer profitieren will, der muss auch Regeln einhalten. Mal sehen, was da kommt.
Wenn im Ergebnis von EU-Rügen oder gar Sanktionen die Zehntausende, die unlängst in Warschau pro EU und kontra Justizreform protestierten, in eine Art nationale Solidarität mit der Regierung getrieben werden, dann geht die Sache aber ordentlich nach hinten los. Es sei denn, man legt selbst keinerlei Wert auf ein gutes Verhältnis zum Nachbarland. Dann kanns einem freilich egal sein.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Alexyessin »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Jun 2016, 15:42)

Wenn im Ergebnis von EU-Rügen oder gar Sanktionen die Zehntausende, die unlängst in Warschau pro EU und kontra Justizreform protestierten, in eine Art nationale Solidarität mit der Regierung getrieben werden, dann geht die Sache aber ordentlich nach hinten los. Es sei denn, man legt selbst keinerlei Wert auf ein gutes Verhältnis zum Nachbarland. Dann kanns einem freilich egal sein.
NEin, denn die Sanktionen zeigen den Menschen dort eher "Ihr seid nicht allein" .
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Jun 2016, 15:42)

Wenn im Ergebnis von EU-Rügen oder gar Sanktionen die Zehntausende, die unlängst in Warschau pro EU und kontra Justizreform protestierten, in eine Art nationale Solidarität mit der Regierung getrieben werden, dann geht die Sache aber ordentlich nach hinten los. Es sei denn, man legt selbst keinerlei Wert auf ein gutes Verhältnis zum Nachbarland. Dann kanns einem freilich egal sein.
Diese Reaktion kann doch gar nicht eintreten. Die EU hat es offenbar geschafft, daß die Regierung Szydlo sich nun doch bemüht, die Bedenken der EU-Kommission durch geänderte Maßnahmen zu entkräften. Es geschieht also genau das, was das KOD gefordert hat: Kein fortgesetzter Zank mit der EU.

Siehe auch http://www.rp.pl/Polityka/305269962-Szy ... lizmu.html; leider nur auf Polnisch zu lesen.

In ähnlicher Weise sind auch angekündigte unfreundliche Akte gegen ausländische Investoren inzwischen klammheimlich "beerdigt" worden.

Was will man mehr? Das KOD hat viel dazu beigetragen, daß die Regierung Szydlo sich mäßigen will. Niemand will Polen oder die Polen demütigen... das wäre ja wirklich dämlich. Aber sich derartig mit der EU anlegen, das geht nicht lange gut.

Nachtrag:
In einem weiteren Meinungsbeitrag in der Rzeczpospolita weist der Verfasser Szuldrzyński darauf hin, daß die Regierungspartei PiS auf völlig demokratischem Wege die politische Macht errungen hat, sie also auch dem Willen ihrer Wähler gemäß ein Recht auf Gestaltung der polnischen Politik habe. Er bezweifelt dann aber, daß der Ruin der Beziehungen Polens zur EU dem Willen des Wählers entspräche.

Jetzt wird es wohl drei Stufen der Gespräche geben: Die Kommission erwartet in spätestens 14 Tagen eine Stellungnahme der polnischen Regierung zu den Vorschlägen der EU, um in Polen wieder zu rechtsstaatlichen Verfahren zurück zu kehren. Dabei geht es im wesentlichen um die Besetzung des Verfassungsgerichts, aber auch den Umgang des Parlaments mit diesem Gericht. Wenn die Antwort darauf die EU-Kommission nicht befriedigen sollte, kommt eine nächste Steigerungsstufe, in der die EU ein Verfahren gegen Polen einleitet, das damit enden kann, daß Polen sein Stimmrecht in der EU verliert.Polen hat also noch Gelegenheit, im Sinne der EU-Verträge ein zu lenken.

Im Hintergrund drohen zum Jahresende Verhandlungen über den Haushalt der EU, in dem die EU praktisch geräuschlos ihren Haushalt umschichtet, um mehr Mittel für Forschung und Wissenschaften und weniger Mittel zur Regionalförderung beschließen zu können. Polen hätte im äußersten Falle dabei kein Stimmrecht.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

Hinter den Massenprotesten Anfang Mai in Polen steht die Bewegung KOD (Komitet Obrony Demokracji, Komitee zur Verteidigung der Demokratie). In einem Interview mit der Heinrich Böll Stiftung letzte Woche äußern sich zwei (an sich regierungskritische) KOD-Vertreter zur Frage der Kritik an Polen:
Heinrich Böll Stiftung: Wie sollten ausländische Staaten oder die EU auf die Geschehnisse in Polen reagieren?

AS: Ausländische Staaten, und Deutschland im Besonderen, sollten sehr vorsichtig sein mit zu harscher Kritik. Die PiS-Regierung würde in einem solchen Fall nämlich behaupten, dass diese Staaten versuchen, die polnische Politik zu beeinflussen. Die Internationale Gemeinschaft kann die Regierung jedoch auf Fehler hinweisen, und sie dazu auffordern, einen Richtungswechsel einzuschlagen.

JM: Es gibt nur einen Staat, der klare Ansagen machen könnte: die von der PiS sehr geschätzten USA. Andere Staaten sollten vorsichtiger sein. Diesen vorsichtigen Weg gehen wir von Beginn an, da wir der Meinung sind, dass wir so mehr für die polnische Gesellschaft und Entwicklung erreichen können.
(https://www.boell.de/de/2016/05/26/wir- ... alten-muss)

Die Situation in Polen ist einfach sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite wurde ausgerechnet die Partei des jetzt amtierenden EU-Rats-Präsidenten Tusk klar abgewählt und eine sehr EU-kritische Partei auf demokratischem Weg mit der Regierung beauftragt. Auf der anderen Seite gibt es in Polen, wie ich gerade erst wieder las, nach Schätzungen eine europaweit einmalige EU-Befürwortung in der Bevölkerung von etwa 80 Prozent. Letzteres ist ein wertvolles Kapital, das nicht einfach verspielt werden darf. So verstehe ich auch die Äußerungen der beiden KOD-Vertreter. Ihre Strategie zielt vor allem auf eines ab: Sich für eine höhere Wahlbeteiligung einzusetzen. Letztendlich wurde unter dem Strich die PiS von nur 18 Prozent der Wahlberechtigten gewählt.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

Und Nachsatz: Das unterscheidet die Situation in Polen auch grundlegend von der in Ungarn. Anders als noch vor einem Jahr steht eine mehr-als-zwei-Drittel-Mehrheit der Bevölkerung geschlossen hinter der Regierung. Nicht nur wegen der restriktiven Flüchtlingspolitik sondern auch wegen (maßvoller) wirtschaftlicher Erfolge. Insofern relativiert sich das mit der "Ungarisierung".
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(02 Jun 2016, 08:22)

Hinter den Massenprotesten Anfang Mai in Polen steht die Bewegung KOD (Komitet Obrony Demokracji, Komitee zur Verteidigung der Demokratie). In einem Interview mit der Heinrich Böll Stiftung letzte Woche äußern sich zwei (an sich regierungskritische) KOD-Vertreter zur Frage der Kritik an Polen:

(https://www.boell.de/de/2016/05/26/wir- ... alten-muss)

Die Situation in Polen ist einfach sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite wurde ausgerechnet die Partei des jetzt amtierenden EU-Rats-Präsidenten Tusk klar abgewählt und eine sehr EU-kritische Partei auf demokratischem Weg mit der Regierung beauftragt. Auf der anderen Seite gibt es in Polen, wie ich gerade erst wieder las, nach Schätzungen eine europaweit einmalige EU-Befürwortung in der Bevölkerung von etwa 80 Prozent. Letzteres ist ein wertvolles Kapital, das nicht einfach verspielt werden darf. So verstehe ich auch die Äußerungen der beiden KOD-Vertreter. Ihre Strategie zielt vor allem auf eines ab: Sich für eine höhere Wahlbeteiligung einzusetzen. Letztendlich wurde unter dem Strich die PiS von nur 18 Prozent der Wahlberechtigten gewählt.
Die KOD kann die polnischen Wähler nicht an die Wahlurnen treiben. Das sind viele Millionen Einzelentscheidungen und Bewertungen. Und wieviele Jahre soll dieser Zustand noch anhalten? Bis zu den nächsten Parlamentswahlen vergehen noch ~40 Monate!

Aus meiner Sicht macht die EU-Kommission es ganz richtig, daß Sie Polen auf Verletzungen von rechtsstaatlichen Grundsätzen hinweist, die aber in der EU als gemeinsames Verständnis voraus gesetzt werden. Nun liegt es an Polen, diese Gemeinsamkeit wieder her zu stellen oder sich einem Vertragsverletzungsverfahren aus zu setzen. KOD sollte nicht versuchen, die EU zu steuern. Das müssen die Organe der EU schon in eigener Verantwortung tun. Es sieht auch ganz danach aus, daß die EU in aller Gelassenheit diesen Weg beschreitet.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(02 Jun 2016, 08:58)

Die KOD kann die polnischen Wähler nicht an die Wahlurnen treiben. Das sind viele Millionen Einzelentscheidungen und Bewertungen. Und wieviele Jahre soll dieser Zustand noch anhalten? Bis zu den nächsten Parlamentswahlen vergehen noch ~40 Monate!

Aus meiner Sicht macht die EU-Kommission es ganz richtig, daß Sie Polen auf Verletzungen von rechtsstaatlichen Grundsätzen hinweist, die aber in der EU als gemeinsames Verständnis voraus gesetzt werden. Nun liegt es an Polen, diese Gemeinsamkeit wieder her zu stellen oder sich einem Vertragsverletzungsverfahren aus zu setzen. KOD sollte nicht versuchen, die EU zu steuern. Das müssen die Organe der EU schon in eigener Verantwortung tun. Es sieht auch ganz danach aus, daß die EU in aller Gelassenheit diesen Weg beschreitet.
Kritik ist ja auch richtig und angebracht. Wenn sie nicht mit dieser "Von oben"-Haltung daherkommt. Und vor allem, wenn sie sich gegen die Regierung und nicht gegen "die Polen" richtet. Gerade auch wegen der Tatsache, dass letztlich doch nur eine Minderheit tatsächlich hinter der Regierungspartei steht. Und was mich unglaublich nervt, ist diese endlose Argumentation, dass der Wohlstand in Polen vollständig durch EU-Gelder finanziert werde.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(02 Jun 2016, 09:23)

Kritik ist ja auch richtig und angebracht. Wenn sie nicht mit dieser "Von oben"-Haltung daherkommt. Und vor allem, wenn sie sich gegen die Regierung und nicht gegen "die Polen" richtet. Gerade auch wegen der Tatsache, dass letztlich doch nur eine Minderheit tatsächlich hinter der Regierungspartei steht. Und was mich unglaublich nervt, ist diese endlose Argumentation, dass der Wohlstand in Polen vollständig durch EU-Gelder finanziert werde.
Die EU-Kommission kann sich nur mit der polnischen Regierung und deren Maßnahmen befassen. Andere Eingriffsmöglichkeiten in innerpolnische Abläufe hat sie doch gar nicht. Wenn die PiS es schafft, die Stimmung in einer Wagenburg zu schüren mit "die in Brüssel gegen uns in Polen", dann kann man den Polen auch nicht mehr helfen. Dann nehmen die Dinge eben ihren Lauf. KOD ist da schon ein ganz gutes Gegengewicht als Stimme der Polen, denen das europäische Projekt Herzenssache ist.

Mich nervt es nicht, wenn ich immer wieder lesen muß, daß Deutschlands Wohlstand besonders dem Umstand geschuldet ist, daß wir Deutschen in der EU einen vergleichsweise freien Marktzugang haben. So soll es bleiben!

Natürlich ist es Blödsinn, den Polen vorhalten zu wollen, daß sie ihren Wohlstand im wesentlichen milden Gaben der EU verdanken. Die Polen arbeiten doch im Rahmen ihrer Möglichkeiten an der Entwicklung ihres Landes, und sie haben auch eindrucksvolle Erfolge auf zu weisen. Sie nutzen die Möglichkeiten der Niederlassungsfreiheit und Gewerbefreiheit in der EU. Finde ich gut!

Aber daß die EU mit Co-Finanzierungen in Polen fast unzählig viele Projekte ermöglicht, die ansonsten aus Mangel an verfügbaren Mitteln unterblieben, das können Sie in Westpommern an allen Ecken und Enden wirklich nicht übersehen. Auch das finde ich gut, denn in anderen EU-Ländern versickern diese Mittel ohne den hier sichtbaren Erfolg.

Dennoch wäre es sicher ein harter Schlag, wenn diese Mittel der EU plötzlich ausblieben und in der übrigen EU anderweitig eingesetzt werden würden. Dieses Risiko geht die polnische Regierung mit ihrer Verstocktheit gegen Mahnungen der EU augenblicklich ein... neben dem Verlust ihres Stimmrechts bei Abstimmungen innerhalb des Ministerrats. Und das müssen nicht die letzten Mittel sein, die die EU einsetzen kann, um Vertragsverletzungen entgegen zu wirken. Aber auch damit sollte man unaufgeregt umgehen.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Atheist »

Neues über die Ungarisierung Polens:
Die EU-Kommission übt im Streit um das polnische Verfassungsgericht weiter Druck auf Warschau aus. Mehrere polnische Abgeordnete tun das als „absurdes Theater“ ab.

Im Streit um die Einschränkung der Befugnisse des polnischen Verfassungsgerichts macht die EU-Kommission weiter Druck auf Warschau. Ihr Vizepräsident Frans Timmermans forderte die nationalkonservative Regierung am Dienstag abermals auf, die Grundwerte der EU einzuhalten. Dazu gehöre die Unabhängigkeit der Justiz. Zwar sei die umstrittene Reform des Verfassungsgerichts mittlerweile etwas abgemildert worden, es gebe aber immer noch Probleme, sagte Timmermans vor dem Europaparlament in Straßburg.

So entscheide die Regierung über die Veröffentlichung der Urteile des Verfassungsgerichts – und damit über ihr Inkrafttreten, kritisierte Timmermans. Die Exekutive lehne es nach sie vor ab, das Urteil der Verfassungsrichter gegen die Reform im Amtsblatt zu veröffentlichen. Problematisch sei auch die Zusammensetzung des Gerichts. „Der Streit ist nicht beendet“. Dabei gehe es um die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Justiz. Diese Prinzipien seien im EU-Vertrag verankert.

Der polnische Christdemokrat Janusz Lewandowski stellte sich hinter das Vorgehen der EU-Kommission. Der Wahlerfolg der erzkonservativen Regierungspartei PiS sei keine Rechtfertigung für die Reform. „Die Polen haben nicht für eine Schwächung ihres Verfassungsgerichts gestimmt“, sagte er. Sie hätten auch nicht für eine „Säuberung der öffentlichen Medien gestimmt.“ Davon seien 190 Journalisten betroffen. „Das alles ist für die ganze Welt sichtbar, es ist weder zu verschleiern, noch zu verleugnen.“

Der Chef der sozialdemokratischen Fraktion, Gianni Pittella, warf der polnischen Regierung vor, das ganze Volk in „Geiselhaft ihrer Angst“ zu nehmen. „Warum wollen Sie das Verfassungsgericht zügeln, wovor haben Sie Angst?“, fragte der Italiener
https://www.euractiv.de/section/eu-inne ... er-justiz/

Schon praktisch, diese Formalien, wie z.B. das Bekanntmachungserfordernis - passt ein Urteil nicht (und das trotz günstiger Zusammensetzung des Spruchkörpers), wird es kurzerhand einfach nicht bekannt gemacht.

Wertegemeinschaft. :cool:
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Die EU in ihrer derzeitigen Form braucht einen beinharten französischen Kommissionspräsidenten, der sich gut mit seinen deutschen Partnern abstimmt. Dann fliegen entweder EU-weit die Fetzen, oder es gibt endlich wieder ein gemeinsames Ziel. Letzteres wäre mir lieber, aber Ersteres auch nur ein Ende mit Schrecken. Immer noch besser als ein Schrecken ohne Ende, auf den die EU zielsicher zusteuert.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Atheist »

Das Europaparlament legt nach:
Mit großer Mehrheit haben die Europaparlamentarier Polen aufgefordert, bis Ende Oktober die Freiheit des Verfassungsgerichts zu garantieren. Alle Parteien im polnischen Parlament sollten dafür einen Kompromiss finden, hieß es in einer beschlossenen Resolution. Derzeit sei das Verfassungsgerichts gelähmt. Die Weigerung der Regierung, alle dessen Urteile zu veröffentlichen, gefährde "die Demokratie, die Grundrechte und die Rechtsstaatlichkeit".

Die EU-Kommission untersucht seit Januar in einem Prüfverfahren zur Rechtsstaatlichkeit die Lage in Polen. Das Verfahren kann letztlich dazu führen, dass das Land sein Stimmrecht in der EU verliert. Brüssel moniert unter anderem, dass die polnische Regierung sich weigert, mehrere Verfassungsurteile zu veröffentlichen und damit in Kraft zu setzen. Sie hatte die Arbeit des Verfassungsgerichts in einem Gesetz neu geregelt. Das Gericht hatte das Gesetz für unvereinbar mit der Verfassung bezeichnet. Die von der konservativen Partei PiS geführte Regierung hatte angekündigt, das Urteil nicht anerkennen zu wollen.
http://www.zeit.de/politik/ausland/2016 ... rise-frist

Der Beschwichtigungsversuch der PiS ist absurd und entlarvend:
Der EU-Abgeordnete Ryszard Legutko, Mitglied der polnischen Regierungspartei PiS, nannte die Resolution bei der Debatte darüber im Parlament "absurd". "Die Europäische Union durchlebt die bedeutendste strukturelle Krise in ihrer Geschichte und findet dabei die Zeit, sich mit einer total marginalen Angelegenheit zu befassen", sagte er. Der polnische Vorsitzende der konservative EVP-Fraktion Janusz Lewandowski warb für ein Einlenken: "Polen braucht Europa und Europa braucht Polen."
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

"Polen braucht Europa und Europa braucht Polen."

Weit entfernt davon, Polen für nebensächlich zu halten (ich lebe dort zeitweise!), so ist doch diese Einvernahme Europas durch Polen eine ziemliche Unverfrorenheit. Verdammt noch mal, liebe Polen, das darf Eure Regierung so nicht machen! Polen als Mühlstein am Halse der EU, wo Polen ein Antrieb sein könnte wie unsere anderen Nachbarn in den Niederlanden, in Frankreich und in Schweden! Was aber tut diese polnische Regierung: Sie spielt herum mit einem Sonderbündnis gegen Gemeinschaftsbeschlüsse... vielleicht sogar aus Eitelkeit, weil sie dort Erster unter Kleineren sein kann, anstatt Schrittmacherdienste zum Vorteil der Gemeinschaft zu leisten, wenn auch nicht immer ganz vorn. In seiner eitlen Trotzhaltung ist Polen in Europa überflüssig.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Cat with a whip »

PiS zieht nun auch gegen Frauen zu Felde. Ein absolutes Abreibungsverbot wird kommen und wäre ein Freifahrtschein für Vergewaltigungen und würde den Abtreibungstourismus weiter anheizen. Junge Frauen überlegen sich gar ganz auszuwandern...
http://ze.tt/totales-abtreibungsverbot- ... source=zon
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Cat with a whip hat geschrieben:(23 Sep 2016, 20:01)

PiS zieht nun auch gegen Frauen zu Felde. Ein absolutes Abreibungsverbot wird kommen und wäre ein Freifahrtschein für Vergewaltigungen und würde den Abtreibungstourismus weiter anheizen. Junge Frauen überlegen sich gar ganz auszuwandern...
http://ze.tt/totales-abtreibungsverbot- ... source=zon
Im schlimmsten Fall können junge Frauen in Deutschland um Hilfe bitten. Ein Abtreibungsverbot nach strafrechtlich bewerteter Vergewaltigung... das ist schon ein Stück aus dem Tollhaus! Ein Fall für den EuGH, meine ich. Mir ist nach wie vor nicht wohl bei Abtreibungen ohne vergleichbaren Hintergrund. Aber nach strafrechtlich bewerteter Vergewaltigung braucht das Opfer die Solidarität der Gesellschaft, auch unserer deutschen Gesellschaft, wenn die polnische Gesellschaft dabei versagt.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Fazer »

Cat with a whip hat geschrieben:(23 Sep 2016, 20:01)

PiS zieht nun auch gegen Frauen zu Felde. Ein absolutes Abreibungsverbot wird kommen und wäre ein Freifahrtschein für Vergewaltigungen und würde den Abtreibungstourismus weiter anheizen. Junge Frauen überlegen sich gar ganz auszuwandern...
http://ze.tt/totales-abtreibungsverbot- ... source=zon
"Freifahrtschein für Vergewaltigungen"?? Echt irre, was du dir da aus dem Ärmel schüttelst. So kann man den Widerstand gegen das unsinnige Abtreibungsgesetz dann gleich mit Irrsinn unglaubwürdig machen.
Freiheit bedeutet Verantwortung; das ist der Grund, weshalb sich die meisten vor ihr fürchten. (George Bernard Shaw)
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Atheist »

H2O hat geschrieben:(24 Sep 2016, 19:49)

Im schlimmsten Fall können junge Frauen in Deutschland um Hilfe bitten. Ein Abtreibungsverbot nach strafrechtlich bewerteter Vergewaltigung... das ist schon ein Stück aus dem Tollhaus! Ein Fall für den EuGH, meine ich. Mir ist nach wie vor nicht wohl bei Abtreibungen ohne vergleichbaren Hintergrund. Aber nach strafrechtlich bewerteter Vergewaltigung braucht das Opfer die Solidarität der Gesellschaft, auch unserer deutschen Gesellschaft, wenn die polnische Gesellschaft dabei versagt.
Das ist ein schwieriges Thema, bei dem ich aber die Haltung der PiS nachvollziehen kann. Denn an einer Vergewaltigung trägt der Vergewaltiger die Schuld und nicht das Kind als unschuldiger Dritter. Eine Abtreibung, deren Grund nicht der Schutz der Schwangeren vor einer Lebensgefährdung ist, kann ich nur schwer nachvollziehen, denn immerhin würde so ein ungeborenes Kind getötet - ein Kind, das leben will, selbst wenn ihm noch kein Recht auf Leben zugestanden wird.

Brüssel und Straßburg machen es sich auch zu einfach, wenn sie zwar einerseits ein "Menschenrecht auf Abtreibung" erblicken wollen, andererseits aber ungeborenen Kindern das Menschsein absprechen, um sich so nicht um deren Menschenrechte sorgen zu müssen.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Atheist hat geschrieben:(25 Sep 2016, 13:01)

Das ist ein schwieriges Thema, bei dem ich aber die Haltung der PiS nachvollziehen kann. Denn an einer Vergewaltigung trägt der Vergewaltiger die Schuld und nicht das Kind als unschuldiger Dritter. Eine Abtreibung, deren Grund nicht der Schutz der Schwangeren vor einer Lebensgefährdung ist, kann ich nur schwer nachvollziehen, denn immerhin würde so ein ungeborenes Kind getötet - ein Kind, das leben will, selbst wenn ihm noch kein Recht auf Leben zugestanden wird.

Brüssel und Straßburg machen es sich auch zu einfach, wenn sie zwar einerseits ein "Menschenrecht auf Abtreibung" erblicken wollen, andererseits aber ungeborenen Kindern das Menschsein absprechen, um sich so nicht um deren Menschenrechte sorgen zu müssen.
Ohne Jurist zu sein verstehe ich aber doch den Widerspruch zwischen dem Recht einer Frau, den Erzeuger von Nachwuchs in ihrem Leibe schon noch selbst bestimmen zu dürfen und dem Recht, einmal gezeugtes Leben nicht ohne guten Grund abtreiben zu dürfen. Eine Frau ist schließlich kein neutraler Acker, den jedermann nach Belieben bestellen kann, sondern ein Mensch mit allen Rechten auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung. Es versteht sich von allein (aus meiner Sicht!), daß mit dem Recht der körperlichen Selbstbestimmung nicht nach Belieben verfahren werden darf. Die Zeugung neuen Lebens in einem einvernehmlichen Liebesakt unterscheidet sich nun einmal von einer strafrechtlich festgestellten Vergewaltigung. Diese Erkenntnis sollte genügen, um der Frau die Zumutung des Austragens der Frucht eines Verbrechens gegen ihren Wunsch zu ersparen.

Ich halte den polnischen Ansatz für eine Unmenschlichkeit, die der EuGH sofort kassieren sollte.
Atheist

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Atheist »

H2O hat geschrieben:(25 Sep 2016, 21:19)

Ohne Jurist zu sein verstehe ich aber doch den Widerspruch zwischen dem Recht einer Frau, den Erzeuger von Nachwuchs in ihrem Leibe schon noch selbst bestimmen zu dürfen und dem Recht, einmal gezeugtes Leben nicht ohne guten Grund abtreiben zu dürfen. Eine Frau ist schließlich kein neutraler Acker, den jedermann nach Belieben bestellen kann, sondern ein Mensch mit allen Rechten auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung. Es versteht sich von allein (aus meiner Sicht!), daß mit dem Recht der körperlichen Selbstbestimmung nicht nach Belieben verfahren werden darf. Die Zeugung neuen Lebens in einem einvernehmlichen Liebesakt unterscheidet sich nun einmal von einer strafrechtlich festgestellten Vergewaltigung. Diese Erkenntnis sollte genügen, um der Frau die Zumutung des Austragens der Frucht eines Verbrechens gegen ihren Wunsch zu ersparen.

Ich halte den polnischen Ansatz für eine Unmenschlichkeit, die der EuGH sofort kassieren sollte.
Bestraft gehört aber der Vergewaltiger, nicht das Kind, der ungeborene Mensch, der keinerlei Schuld an der Vergewaltigung trägt. Polen steht übrigens mit seinem Schutz des ungeborenen Lebens nicht allein da, auch in Irland ist eine Abtreibung nur dann zulässig, wenn für die Schwangere Lebensgefahr besteht - darüber hinaus noch in Andorra, San Marino und auf Malta.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Atheist hat geschrieben:(25 Sep 2016, 21:37)

Bestraft gehört aber der Vergewaltiger, nicht das Kind, der ungeborene Mensch, der keinerlei Schuld an der Vergewaltigung trägt. Polen steht übrigens mit seinem Schutz des ungeborenen Lebens nicht allein da, auch in Irland ist eine Abtreibung nur dann zulässig, wenn für die Schwangere Lebensgefahr besteht - darüber hinaus noch in Andorra, San Marino und auf Malta.
Nein, das ist mir denn doch zu flach! Nur weil ein politischer Unsinn an mehreren Stellen gut geheißen wird, wird daraus doch noch kein Sinn!
Atheist

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Atheist »

H2O hat geschrieben:(25 Sep 2016, 21:47)

Nein, das ist mir denn doch zu flach! Nur weil ein politischer Unsinn an mehreren Stellen gut geheißen wird, wird daraus doch noch kein Sinn!
Dass ungeborene, unschuldige Menschen leben wollen, ist eher eine Frage der Sicht auf das Leben.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Atheist hat geschrieben:(25 Sep 2016, 21:51)

Dass ungeborene, unschuldige Menschen leben wollen, ist kein Unsinn, sondern eine Frage der Sicht auf das Leben.
Diese Sicht lasse ich Ihnen gern; es ist ja nicht verboten, persönlich und auf sich selbst bezogen sehr merkwürdigen Auffassungen zu folgen. Ich hoffe allerdings, daß weder Sie noch Ihre Frau, Ihre Tochter oder Ihre Enkelin jemals vor einer solchen Gewissensfrage stehen werden.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Atheist »

H2O hat geschrieben:(25 Sep 2016, 22:04)

Diese Sicht lasse ich Ihnen gern; es ist ja nicht verboten, persönlich und auf sich selbst bezogen sehr merkwürdigen Auffassungen zu folgen. Ich hoffe allerdings, daß weder Sie noch Ihre Frau, Ihre Tochter oder Ihre Enkelin jemals vor einer solchen Gewissensfrage stehen werden.
Es wird gewiss kaum jemand bestreiten, dass moralische Zwickmühlen unangenehm sind. Jedenfalls wünsche auch ich niemandem, vor solch einer Gewissensfrage zu stehen.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Adlerauge »

Was die Polen anbelangt,so wird ihnen der Papst schon die Wadln nach vorne richten.
Recht muss Recht bleiben, dem Unrecht muss das Recht entzogen werden!
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

Eklat im polnisch-litauischen Verhältnis. Der Büroleiter im polnischen Außenministerium, Jan Parys stellt Artikel 5 des NATO-Vertrags (Beistandshilfe) gegenüber Litauen in Frage, weil die Minderheitsrechte von Polen in Litauen "aufs Gröbste missachtet" würden.
Jan Parys hat geschrieben: Es ist paradox, dass die Situation der Polen in Weißrussland zurzeit besser ist als die in Litauen etwa. Und dass obwohl Weißrussland nicht unser militärischer Bündnispartner ist, nicht der EU angehört und auch keine gemeinsame Tradition mit Polen hat so wie Litauen.
(http://www.deutschlandfunk.de/polen-ekl ... _id=366552)
Polnische Oppositionspolitiker sprechen von einer "ungeheuerlichen Entgleisung". Man kanns aber durchaus als einen Teil der "Ungarisierung" ansehen.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Sep 2016, 09:40)

Eklat im polnisch-litauischen Verhältnis. Der Büroleiter im polnischen Außenministerium, Jan Parys stellt Artikel 5 des NATO-Vertrags (Beistandshilfe) gegenüber Litauen in Frage, weil die Minderheitsrechte von Polen in Litauen "aufs Gröbste missachtet" würden.

(http://www.deutschlandfunk.de/polen-ekl ... _id=366552)
Polnische Oppositionspolitiker sprechen von einer "ungeheuerlichen Entgleisung". Man kanns aber durchaus als einen Teil der "Ungarisierung" ansehen.

Na prima, endlich hat auch die NATO einmal Sorgen mit diesem störrischen Partner! :D

Naja, man sollte zuerst einmal die tatsächliche Lage der polnischstämmigen Menschen in Litauen prüfen... was ist an dem Vorhalt nachvollziehbar, und was ist Streben nach Hoheit über Nachbarstaaten? Ähnliche Vorhalte kamen ja auch bezüglich der zugewanderten polnischen Minderheit in Deutschland.

Auch da sollte man sehr sachlich prüfen, was zumutbar ist und was etwa weit über eine sinnvolle Einbeziehung und Teilhabe der polnischstämmigen Menschen hinaus geht. Ich meine, daß uns Deutschen kein Zacken aus der Krone fällt, wenn, genügend Nachfrage dieser Minderheit vorausgesetzt, wir in deutschen Schulen Polnisch als zweite Fremdsprache anbieten. Meinetwegen könnte auch an deutsch-polnische Schulen gedacht werden... nach dem Muster deutsch-französischer Schulen. Nur die Nachfrage muß natürlich gegeben sein.

Immerhin ist Deutsch in Polen doch sehr stark nachgefragt... finde ich dann auch wieder gut!

Vielleicht ist es aber auch gut, auf solche Fragen mit Schweigen zu antworten, insbesondere dann, wenn sie weit über eine sinnvolle Bitte hinaus gehen. Wenn der eine spinnt, muß der andere das nicht auch tun!
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(26 Sep 2016, 10:22)

Na prima, endlich hat auch die NATO einmal Sorgen mit diesem störrischen Partner! :D

Naja, man sollte zuerst einmal die tatsächliche Lage der polnischstämmigen Menschen in Litauen prüfen... was ist an dem Vorhalt nachvollziehbar, und was ist Streben nach Hoheit über Nachbarstaaten? Ähnliche Vorhalte kamen ja auch bezüglich der zugewanderten polnischen Minderheit in Deutschland.
In einer ersten Reaktion von seiten Litauens wurde betont, dass es als NATO-Mitglied selbstverständlich (umgekehrt) auch Beistandshilfe gegenüber Polen leisten würde. Der Beistandshilfe-Artikel ist ja auch tatsächlich der eigentliche Kern des Miltärbündnisses. Und weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass (zum Beispiel) die staatlichen Zuschüsse für polnischsprachige Schulen in Litauen um ein fünftel höher sein als allgemein üblich.

Alles in allem steht man da vor einem Rätsel. Jan Parys ist alles andere als ein politischer Neuling. Es ist davon auszugehen, dass er ganz genau wusste, was er mit seiner Äußerung auslöste. Einschließlich der Tatsache, dass Polen selbst in höchstem Maße aktuell auf NATO-Beistandshilfe (im Falle eines Konflikts mit Russland) besteht. Es bleibt die Frage des eigentlichen Motivs.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von SirToby »

schokoschendrezki hat geschrieben:(28 Sep 2016, 11:41)

In einer ersten Reaktion von seiten Litauens wurde betont, dass es als NATO-Mitglied selbstverständlich (umgekehrt) auch Beistandshilfe gegenüber Polen leisten würde. Der Beistandshilfe-Artikel ist ja auch tatsächlich der eigentliche Kern des Miltärbündnisses. Und weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass (zum Beispiel) die staatlichen Zuschüsse für polnischsprachige Schulen in Litauen um ein fünftel höher sein als allgemein üblich.

Alles in allem steht man da vor einem Rätsel. Jan Parys ist alles andere als ein politischer Neuling. Es ist davon auszugehen, dass er ganz genau wusste, was er mit seiner Äußerung auslöste. Einschließlich der Tatsache, dass Polen selbst in höchstem Maße aktuell auf NATO-Beistandshilfe (im Falle eines Konflikts mit Russland) besteht. Es bleibt die Frage des eigentlichen Motivs.
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(28 Sep 2016, 11:41)

In einer ersten Reaktion von seiten Litauens wurde betont, dass es als NATO-Mitglied selbstverständlich (umgekehrt) auch Beistandshilfe gegenüber Polen leisten würde. Der Beistandshilfe-Artikel ist ja auch tatsächlich der eigentliche Kern des Miltärbündnisses. Und weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass (zum Beispiel) die staatlichen Zuschüsse für polnischsprachige Schulen in Litauen um ein fünftel höher sein als allgemein üblich.

Alles in allem steht man da vor einem Rätsel. Jan Parys ist alles andere als ein politischer Neuling. Es ist davon auszugehen, dass er ganz genau wusste, was er mit seiner Äußerung auslöste. Einschließlich der Tatsache, dass Polen selbst in höchstem Maße aktuell auf NATO-Beistandshilfe (im Falle eines Konflikts mit Russland) besteht. Es bleibt die Frage des eigentlichen Motivs.
Wir sind uns also einig darin, daß wir ein wenig verwirrt unsere Köpfe schütteln... Bei manchen Leuten scheint mir in der Gegend dann wohl eine Schraube locker zu sein!

Nachtrag:
Vielleicht ist eisernes Schweigen zu diesen offensichtlichen Provokationen noch die beste Lösung?
Theophan
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Theophan »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Sep 2016, 09:40)

Eklat im polnisch-litauischen Verhältnis. Der Büroleiter im polnischen Außenministerium, Jan Parys stellt Artikel 5 des NATO-Vertrags (Beistandshilfe) gegenüber Litauen in Frage, weil die Minderheitsrechte von Polen in Litauen "aufs Gröbste missachtet" würden.

(http://www.deutschlandfunk.de/polen-ekl ... _id=366552)
Polnische Oppositionspolitiker sprechen von einer "ungeheuerlichen Entgleisung". Man kanns aber durchaus als einen Teil der "Ungarisierung" ansehen.

Erstaunlich, dass die EU zu der Missachtung der Minderheitenrechte der Polen in Litauen nichts sagt, sonst weiß doch die EU alles besser und belehrt alle rund herum was sie tun sollen.....
Die Aussage von Parys finde ich aber auch ausgesprochen dumm.
Allerdings verpflichtet der Artikel 5 eigentlich zur gar nichts.Die NATO Mitglieder sind nur vepflichtet Maßnahmen zu treffen, die sie für erforderlich halten....
Atheist

Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Atheist »

Theophan hat geschrieben:(02 Oct 2016, 10:03)

Erstaunlich, dass die EU zu der Missachtung der Minderheitenrechte der Polen in Litauen nichts sagt, sonst weiß doch die EU alles besser und belehrt alle rund herum was sie tun sollen.....
Die Aussage von Parys finde ich aber auch ausgesprochen dumm.
Im Wesentlichen soll es keine Diskriminierung geben:
Die Erweiterung und Wiederbelebung der kulturellen Rechte nicht nur des litauischen Volkes, sondern auch der Bewohner Litauens anderer Nationalität oder Volkszugehörigkeit und die Gleichberechtigung der in Litauen ansässigen Minderheiten stellten schon zu Beginn ein Hauptanliegen der Reformer dar. Sie waren Bestandteil des Programms der sich in Litauen - wie in den beiden anderen baltischen Staaten - ab 1987/88 formierenden nationalen Bewegung.23 Auf dem Gründungskongress der litauischen Volksfront S j dis waren dementsprechend auch Angehörige der Minderheiten vertreten. Noch das alte, in sowjetischen Akklamationswahlen gewählte Parlament verabschiedete im November 1989 ein Minderheitengesetz, das, von geringfügigen Änderungen im Januar 1991 abgesehen, die auch heute wichtigste allgemeine Regelung zur Rechtsstellung der in Litauen ansässigen Minderheiten beinhaltet.
In der Praxis werden Minderheitenrechte im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten liberal und großzügig gehandhabt. Auseinandersetzungen zwischen Mehrheits- und Minderheitenbevölkerung sind demzufolge im Wesentlichen unterblieben. Dies gilt insbesondere für das in den beiden anderen baltischen Staaten nicht immer unproblematische Verhältnis zwischen dem Staat bzw. der Mehrheitsbevölkerung und den im Lande lebenden russischen Bewohnern. Ein gespanntes Verhältnis bestand dagegen vorübergehend zwischen Litauern und Angehörigen der alteingesessenen polnischen Minderheit, wodurch zeitweise sogar die Beziehungen zwischen Litauen und Polen belastet wurden. Denn im Herbst 1989 waren in den beiden mehrheitlich von Polen besiedelten Landbezirken Autonomiebestrebungen, die zumindest teilweise von Moskau geschürt wurden, sichtbar geworden. Vor allem in Bezirksräten und Lokalverwaltungen wurde die Forderung nach Abspaltung der von Polen besiedelten Territorien und ihr Verbleib im Staatsverband der UdSSR erhoben. Die Krise entschärfte sich erst nach dem Augustputsch in Moskau. Nachdem die Bezirksräte offen Partei für die Putschisten ergriffen hatten, wurden sie im August 1991 aufgelöst und kommissarische Vertreter eingesetzt. Mit der Ablösung der Moskau treuen Kommunisten und der Neuwahl der Bezirksräte sind die Autonomieforderungen wieder verstummt.24
http://www.uni-koeln.de/jur-fak/ostrech ... chmidt.pdf

Ab S. 11 werden auch umfangreich Maßnahmen sowie die rechtlichen Grundlagen zum Minderheitenschutz in Litauen erörtert. Bei Verletzungen von Menschentechten könnte zudem der EGMR angerufen werden. Es ist daher äußerst fragwürdig, weshalb einzelne polnische Politiker sich mit einem Vertragsbruch zu drohen bemüßigt fühlen.
Allerdings verpflichtet der Artikel 5 eigentlich zur gar nichts.Die NATO Mitglieder sind nur vepflichtet Maßnahmen zu treffen, die sie für erforderlich halten....
Erst Angst vor dem Einmarsch des Russen schüren und dann auch noch ankündigen, einem Bündnispartner in den Rücken fallen zu wollen... hetzerischer geht's kam noch! Warum tritt diese rechtskonservativ-nationalistische Regierung nicht einfach aus?
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Cat with a whip »

Es ist ja bekannt dass die TAZ bei bestimmten Themen sich zu euphrischen Übertreibungen hinreisen lässt, jedenfalls benutzt sie bereits in einem Bericht über die Frauenporteste gegen die strengen Abtreibungsgesetze das Wort Streik. Ob tatsächlich ein landesweiter Ausstand erfolgt um die Regierung lahmzulegen darf sich noch erweisen. Es wäre jedoch ein wichtige Maßnahme und das Land in die Demokratie zurück zu holen.

http://www.taz.de/Protest-gegen-Abtreib ... /!5345061/
"Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen." Joseph Weizenbaum
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von Cat with a whip »

Tjahahaha, so schnell kanns gehen:
"Anna, die Romanistik studiert, setzt hinzu: „Ich habe mich nie groß für Politik interessiert. Das hatte nichts mit meinem Leben zu tun, dachte ich. Jetzt sehe ich, dass das ein Irrtum war.“
http://www.taz.de/Streiks-gegen-totales ... /!5340944/
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Re: Ungarisierung Polens schreitet voran: PiS entmachtet VerfG

Beitrag von H2O »

Cat with a whip hat geschrieben:(03 Oct 2016, 21:19)

Tjahahaha, so schnell kanns gehen:


http://www.taz.de/Streiks-gegen-totales ... /!5340944/
Wenn man nur das Politikinteresse betrachtet, dann zeigt sich in Polen das Bild, das man auch von den jungen Briten gewinnen konnte: Europa und die große Freiheit ganz toll... aber bei der BREXIT-Abstimmung den Hintern nicht hoch bekommen. Und nun haben die jungen Briten den Salat! Aus der Traum!

Unserer Anna wird nichts anderes übrig bleiben, als sich doch zumindest bei Wahlen am politischen Leben Polens zu beteiligen. Die Demonstrationen ändern die politischen Mehrheiten nicht. Die hat man der PiS geschenkt, und die kann bis zu den nächsten Parlamentswahlen durchregieren.
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