Cobra9 hat geschrieben:
Beide Staaten wollen sich am Westen orientieren ,wie die Ukraine , beide gefährden damit russische Interessen ...
Realpolitisch steht "pro-europäisch" bzw. "pro-russisch" vor allen Dingen für die Zugehörigkeit zu bestimmten Oligarchen-Clans. Der bisherige Wandel in der ukrainischen Politik ist de facto (bislang) kaum mehr als eine Machtumstrukturierung dieser Clans mit einem nach außen hin vesehenem geopolitischen Umanstrich. Gerade in jüngster Zeit mehren sich seriöse - und ich meine
wirklich seriöse politische Artikel in seriösen Medien - die zu diesem Ergebnis kommen.
So etwa der Politikwissenschaftler Klaus Müller am 20. März im Deutschlandfunk in der Reihe Dossier ("Die Ukraine am Abgrund"):
Der Sieg von zwei prowestlichen Parteien, des Blocks Petro Poroschenko und der Volksfront Arseni Jazeniuks, wurde als demokratischer Durchbruch und die Westverschiebung der Ukraine begrüßt. Einige Schönheitsfehler wurden dabei jedoch übersehen: Die vor der Präsidentschaftswahl im Mai zugesagte Reform des hochgradig korruptionsanfälligen Wahlsystems blieb aus. Oligarchen, die die Parteien finanzieren, hatten in alter Tradition ihre Kandidaten auf den Listen platziert. Poroschenko selbst hatte nicht darauf verzichtet, seinen regionalen Clan und seinen älteren Sohn ins Parlament zu hieven.
Er geht im weiteren darauf ein, wie Janukowitsch durch illegale Verteilung von Renten aus subventionierter russischer Energie sowie Direkteingriff in die Zentralbank begann "in die Verteilungsverhältnisse der Clans einzugreifen" um das "Aufstiegsmodell der 90er" für sich und seinen Zirkel" nachträglich zu realisieren. Ab einem gewissen Punkt machte das der Teil der Oligarchen, deren Geschäfte von einer engeren Westbindung wirtschaftlich eher profitieren, nicht mehr mit. Das ist es
eigentlich, was hinter so beschönigenden politischen Phrasen wie "2012 war er [Poroschenko] mehrere Monate Wirtschaftsminister, entwickelte sich danach aber zu einem Kritiker des Präsidenten Janukowitsch." steckt.
Mirko Petersen, ebenfalls Politikwissenschaftler an der Uni Bielefeld, schreibt in einem Artikel, der bezeichnenderweise mit "Ukraine: Pro-europäisch? Pro-russisch? Pro-oligarchisch!" betitelt ist:
Die jüngeren Auseinandersetzungen in der Ukraine lassen sich als ein Duell des Clans um Rinat Achmetov, der hinter der Partei der Regionen und Janukowitsch stand, mit dem Clan um Victor Pintschuk, der sich für die Wahl Poroschenkos zum Präsidenten und Witali Klitschkos zum Kiewer Bürgermeister einsetzte, beschreiben.
Einen Mann wie Poroschenko, der als ein Musterbeispiel für die postsowjetische Oligarchenbildung gelten kann und kein Problem damit hatte, auch unter Janukowitsch Minister zu sein, einen solchen Mann des alten Regimes und keinen Maidan-Aktivisten als Präsidenten an die Macht zu hieven ... das ist bezeichnend genug.
Wie extrem die Politik der Ukraine von Oligarchenclans gesteuert wird, zeigt besonders deutlich ein jüngerer Artikel des Bundeszentrale für politische Bildung vom 26. März zur sogenannten "Agentur zur Modernisierung der Ukraine" und zur Person Dmytro Firtaschs, der - kurz gesagt ein Verbrecher ist - und auf dessen Initiative die Bildung dieses Gremiums zurückgeht, das vorbei an allen demokratischen Institutionen eine Art Parallelinstanz ist. Bundespolitiker wie Steinbrück oder Rupert Scholz sind bereits offiziell auf Distanz gegangen.
Die Verhältnisse in Russland und in der Ukraine unterscheiden sich in dieser Hinsicht wohl nur insofern, als dass in Russland über der Macht der Oligarchen immer noch der ferne Zar in Moskau thront während in der Ukraine zum einen die Kapitalkonzentration viel stärker und in den Händen von weniger Oligarchen ist und diese in ihrem jeweiligen Machtbereich unumschränkte Herrscher sind, die sich nicht mit einer Zentralregierung sondern untereinander Machtkämpfe liefern.
http://www.deutschlandfunk.de/die-ukrai ... ddc11c.pdf
http://www.imi-online.de/2014/12/08/die ... r-ukraine/
http://www.bpb.de/internationales/europ ... nn-und-wie
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)