Ibnjulia » Fr 10. Okt 2014, 21:28 hat geschrieben:
Die Feststellung, das "gut" und "böse" Gegenbegriffe sind ist keine Antwort auf die Frage "Was unterscheidet "gut" und "böse"?" sondern auf "Werden gut und böse unterschieden?" Genau so beantwortet die Festellung, dass man nicht sagen kann was "gut" und "böse" sind, die Frage nicht, denn die war was sie
unterscheidet.
Dagegen ist eine Antwort auf die Frage, genau wie:
Auch wenn beide ein wenig simpler sind als ich es mir erhofft hätte. Aber selbst "nichts" wäre eine adäquate antwort gewesen, ihr Versuch keine Wertung vor zu nehmen dagegen nicht.
Das ist das Surrogat, das übrig bleibt, wenn der Rest verdampft ist. Davor stünde die Feststellung, dass moralische Kategorien äußerst flexibel sind. Mord ist "böse", kann aber durch hypermoralische Begründungen wie das Berufen auf eine Ideologie oder ähliches von den Mordenden als gute Tat empfunden werden. Der eine Teil der Ansicht der Perspektive als Unterscheidungskriterium für "gut und böse" gründet also auf der Subjektivität von Moral, sie ist nicht klar hierarchisiert. Die Bewertung ist Ergebnis eines inneren Abwägungsprozesses.
Moralische Ansichten werden zwar oft von Mitglieder einer Gesellschaft oder Gemeinschaft geteilt, aber unverbindlich. IdR machen es deren Mitglieder mit sich selbst aus, was sie für "böse" oder "gut" halten. Dennoch wird über die moralischen Ansichten geurteilt, sei es durch eine offizielle Instanz oder durch die anderen Mitglieder der Gesellschaft/Gemeinschaft (zB Nachbarschaftsklatsch). An dieser Stelle wird dem Urteil des Einzelnen ein Urteil der (Teil-)Gesamtheit entgegengehalten - öffentliche Instanzen agieren im Namen aller oder vieler - und ein Gedanke oder eine Tat als "gut" oder "böse" eingestuft. Ein zweiter Punkt ist also die Bewertung als Ergebnis eines äußeren Abwägungsprozesses, welche sich zum großen Teil auf der Kongruenz der Ansichten vieler verschiedener Menschen basiert. Die Perspektive als Unterscheidungsmerkmal von "gut" und "böse" speist sich demnach zum Zweiten aus dem Versuch der Objektivierung von Moral.
Dazu gehört auch der dritte Punkt, nämlich die Frage danach, über welche Dinge nach den Maßstäben "gut" und "böse" geurteilt wird. Dinge, die unmittelbar das Leben bzw. den Schutz desselben betreffen, fallen meist darunter. Aber was ist bspw. mit ungeschütztem außerehelichen Sex, fällt das in eine objektivierte Kategorie "böse" oder entscheidet der Einzelne, ob er das überhaupt moralisch bewertet? Je nach gesellschaftlichen und persönlichen Kontext wird sich die Antwort unterscheiden. Womit die nächsten beiden Punkte deutlich werden, was "gut" ist und was "böse", unterliegt dem Anwendungswillen der Urteilenden der Kategorie auf eine bestimmte Handlung. Es ist eine Frage der Perspektive, ob das oder das "gut" oder "böse" ist, zum einen da eine objektivierte Moral meist institutionalisiert ist, sie also sich über lange Zeiträume erhält, und da Menschen und deren Umwelt dynamisch sind, unterliegt diese Moralfestlegung Interpretationsspielraumschwankungen. Man könnte sagen, die zeitliche Perspektive spielt eine Rolle. Zum anderen ist es eine Frage, wie der Einzelne die objektivierte Moral, aber auch seine subjektive auffasst. Sieht er sie als leitend oder zwingend an? Wird er versuchen, den Moralinstanzen zu folgen, oder sie eigenurteilend auf möglichst viele Bereiche seines Lebens anzuwenden oder sie als Fixpunkte begreifen, an denen man sich orientiert. Welche Lebensbereiche werden durch "gut" und "böse" unmittelbar berührt? So ist also auch die räumliche Perspektive von Bedeutung.
Das lässt sich sicher weiter und tiefer ausführen, zeigt aber mMn, dass die Antwort auf die Frage, was gut und böse unterscheide, gar nicht anders als "die Perspektive" lauten kann.
Mit anderen Worten: Aufgrund des Konstruktionscharakters von Wirklichkeit können "gut und böse" als Bestandteile derselben nicht ohne Beachtung der Dynamik, der Veränderlichkeit unterschieden werden. Es ist eine Frage des Standpunkts und damit der Perspektive.