Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovakei)

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schokoschendrezki
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(28 Sep 2018, 20:05)

Ist doch eine großartige europäische Leistung, daß Daimler und Audi dort in Ungarn eine europäische Zukunft ermöglicht, indem sie investieren, gestalten, aufbauen und ausbilden, integrieren und vermarkten. Wenn Leute ein ordentliches Ingenieursstudium mit Glanz bestanden haben, dann werden sie eingearbeitet in die besondere Aufgabenstellung, die besten vermutlich in Ingolstadt und Stuttgart. Danach ist es Wurst, wo sie geboren sind und wo sie leben, wenn sie diese Dinge beherrschen. Ist denn das so schwer fassen? Und was ist bei der Feststellung in irgendeiner Weise hochmütig?

Ähnliche Vorgänge laufen selbstverständlich auch in Polen ab... mit besten Erfolgen und auf allen Gebieten. So wird das Land und die Gesellschaft auch weiter entwickelt. Ist doch klar, daß die Menschen hier in Polen ihren Schweiß vergießen und ihr Gehirnschmalz zum Kochen bringen. Das geht in Deutschland auch nicht anders, wenn wir Erfolg haben wollen.

Und nun haben wir eben gemeinsame Erfolge durch Zusammenarbeit. Darauf sollte der Nachdruck liegen und nicht auf dieser zerstörerischen National- und Neidmacke, die diese Partner vor den EuGH bringt.
Sie vergessen die unterschiedlichen Gehälter: Sie müssen für die tausenden Ungarn, die bei VW, Audi und Bosch usw. arbeiten einzeln hernehmen und die Differenzen zu den Gehältern gleicher Qualifikationn in Deutschland ausummieren. Dann haben Sie die phantastischen Gewinne dieser Unternehmen durch Standortauslagerung. Selbst wenn Sie sie den EU-Zahlungen plus den Anfangsinvestitionen dieser Unternehmen gegenüberstellen. Die Anfangsinvestionen sind im wesentlichen nur einmal zu tätigen und müssen auch noch mit den EU-Gelder verrechnet werden, die in die Infrastruktur fließen, die für diese Produktionsstandorte benötigt werden. Die Gewinne durch Lohndifferenz steigen somit Jahr für Jahr an. Wenn Sie dies tun werden Sie vermutlich am Ende zu einer ganz anderen Meinung gelangen: Dass es ein Unding ist, dass sich Deutschland, das soviel aus der EU-Mitgliedschaft Ungarns netto erwirtschaftet sich auch noch als "Zahlmeister" aufspielt.

Eine ganz andere Frage ist, wo diese Gewinne eigentlich bleiben. Haben Sie sich schonmal gefragt, warum eine Firma wie VW Milliardenstrafen zu zahlen hat und dennoch ständig weiter steigende Umsatzgewinne erzielt? Den bundesdeutschen Bürgern kommen diese Gewinne natürlich nicht zugute. Im Gegenteil: Eine kleine Klasse von Vermögenden treibt die Preise für Häuser und Wohnungen in die Höhe. Gut, anderes Thema. Gehört eigentlich nicht hierher.

Was aber mit Sicherheit hierher gehört: Die Betroffenen des Demokratieabbaus in Unganr sind ja nicht wir hier. Sondern Intellektuelle, Künstler, Schriftsteller, Oppositionelle, unterdrückte Minderheiten und natürlich all die Flüchtlinge, die vom Verteilungsschlüssel eigentlich ein Anrecht auf Asyl in Ungarn hätten. DIe Sanktionen gegen Ungarn sind nicht nur berechtigt sondern noch immer viel zu zurückhaltend. Nur richten sie sich gegen das "Land" und nicht gegen die eigentlich Verantwortlichen: Regierung und Regierungspartei. Und da stünde als erstes der Rauswurf der Fidesz aus der EVP an. Aber, wie ich es vorausgesehen habe: Der ist vom Tisch. Aus einem einfachen Grund: Die EVP-Fraktion im EU-Mitglied würde an Parteienstärke um Eins sinken. Gegenüber den anderen Fraktionen eine Machteinbuße. Ganz einfach.

Es ist soviel Verlogenheit, Selbstgefälligkeit und Heuchelei in diesem Thema, dass einem schlecht werden kann.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Ganz so schlecht finde ich hohe Gewinne aus Investitionen außerhalb Deutschlands aber auch wieder nicht. Ohne diese Gewinnaussicht gäbe es diese Investitionen bestimmt nicht.

Wenn ich dort arbeitete, würde ich mir vielleicht einen besser entlohnten Arbeitsplatz mit erkennbaren Aufstiegsmöglichkeiten in Deutschland oder Frankreich oder den Niederlanden suchen. Nur sich zu Hause festkrallen, die Landesflagge schwenken und jammern, das wäre meine Sache nicht. Genau darauf beruht das Geschäftsmodell der Investoren.

Natürlich ist die viel zu zurückhaltende Umgangsweise der EU mit den Regierungen dieser EU Partnerstaaten überhaupt nicht das, was da jetzt angezeigt wäre. Letztenendes gerät die Milde zur Belohnung der Widerborste.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Und es kommt ja noch eines hinzu: Aufgrund der unterschiedlichen Gehaltshöhen ist nach wie vor die Fachkräfteabwanderung ein Riesenproblem. Und ein weiterer Gewinn für Deutschland. Und das Problem der Abwanderung von medizinischem Personal besonders aus Ländern wie Rumänien und Bulgarien ist ein möglicher Grund, weshalb unser Gesundheitssystem noch am Leben ist und in diesen Ländern gerade dabei ist, zusammenzubrechen. Der überwiegende Teil der Gewinne und Werte wird aus den Ländern Osteuropas in die Länder Mittwesteuropas gepumpt.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Mahmoud hat geschrieben:(28 Sep 2018, 22:49)

Ja!
In jedem Falle ist das Gerede von der angeblichen Gleichförmigkeit und "Verwestlichung" und Konsumorientierung ein Unsinn. Im Gegenteil: Die progressivste und innovativste Literaturzeitschrift im Ungarn Anfang des 20. Jahrhunderts hieß nicht zufällig "Nyugat" ("Der Westen"). Und den kosmopoltisch denkenden Intellektuellen und Künstlern in Ungarn, insbesondere wenn sie jüdische Wurzeln haben und eigenständig denken können, wird schlecht oder sie geben auf, wenn sie die allgegenwärtige "Wiederbesinnung" auf das Ungarntum und die "ungarische Kultur" erleben müssen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Oct 2018, 10:15)

Und es kommt ja noch eines hinzu: Aufgrund der unterschiedlichen Gehaltshöhen ist nach wie vor die Fachkräfteabwanderung ein Riesenproblem. Und ein weiterer Gewinn für Deutschland. Und das Problem der Abwanderung von medizinischem Personal besonders aus Ländern wie Rumänien und Bulgarien ist ein möglicher Grund, weshalb unser Gesundheitssystem noch am Leben ist und in diesen Ländern gerade dabei ist, zusammenzubrechen. Der überwiegende Teil der Gewinne und Werte wird aus den Ländern Osteuropas in die Länder Mittwesteuropas gepumpt.
Ja, das ist nun einmal so. Wenn meine Gewinnaussichten nicht so dolle sind, dann unterlasse ich Investitionen in einem anderen Land mit anderen Gewohnheiten. Investoren wollen Geld verdienen. Das unterscheidet sie von der EU. Die strebt in etwa gleiche Lebensbedingungen in ihrem Gemeinschaftsgebiet an... und gibt Geld aus für regionale Entwicklung und Infrastruktur. Ja, woher kommt nun wieder dieses Geld?

Vieles in der EU ist verbesserungswürdig, vieles hängt aber auch an den Menschen dort. Machen wir uns immer wieder klar, daß die baltischen Republiken bis eben noch Teil der SU waren... und die entwickeln sich prächtig... und meckern überhaupt nicht, sondern sie packen an. Die sind uns Nordlichtern wohl doch ähnlicher.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Oct 2018, 10:21)

In jedem Falle ist das Gerede von der angeblichen Gleichförmigkeit und "Verwestlichung" und Konsumorientierung ein Unsinn. Im Gegenteil: Die progressivste und innovativste Literaturzeitschrift im Ungarn Anfang des 20. Jahrhunderts hieß nicht zufällig "Nyugat" ("Der Westen"). Und den kosmopoltisch denkenden Intellektuellen und Künstlern in Ungarn, insbesondere wenn sie jüdische Wurzeln haben und eigenständig denken können, wird schlecht oder sie geben auf, wenn sie die allgegenwärtige "Wiederbesinnung" auf das Ungarntum und die "ungarische Kultur" erleben müssen.
So ganz ungewöhnlich kommen mir diese jüdischen Stimmen auch wieder nicht vor. In Deutschland gehen uns derzeit chauvinistische Nazisprüche auf die Nerven. Und schon erzählen jüdische Mitbürger in den Medien, daß sie auf gepackten Koffern sitzen. Nach den gemachten Erfahrungen kann ich den Leuten das wirklich nicht verdenken. Sie fremdeln und werden dadurch fremd. Eine unglückliche Wechselwirkung!
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Oct 2018, 10:15)

Und es kommt ja noch eines hinzu: Aufgrund der unterschiedlichen Gehaltshöhen ist nach wie vor die Fachkräfteabwanderung ein Riesenproblem. Und ein weiterer Gewinn für Deutschland. Und das Problem der Abwanderung von medizinischem Personal besonders aus Ländern wie Rumänien und Bulgarien ist ein möglicher Grund, weshalb unser Gesundheitssystem noch am Leben ist und in diesen Ländern gerade dabei ist, zusammenzubrechen. Der überwiegende Teil der Gewinne und Werte wird aus den Ländern Osteuropas in die Länder Mittwesteuropas gepumpt.
Um diese schrecklichen Mißstände zu beheben sollten die Osteuropastaaten aus der EU austreten. Dann ist für die dort verbliebene Bevölkerung endlich die Ausbeutung mittels Niedriglöhnen und unmenschlichen Arbeitsbedingungen westlicher Konzerne zu Ende, die Gewinne bleiben endlich wieder in diesen Ländern und die Mio von zurückkehrenden Fachkräften aus der EU sorgen für die Lösung der demographischen Probleme, funktionierende Gesundheitssysteme, .... kurz, für den Himmel auf Erden. Bei dieser Flut von Vorteilen sollte es ja nicht mehr allzu lange dauern bis der erste Osteuropastaat beschließt die EU zu verlassen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Tiefsinniger »

Balsamico hat geschrieben:(06 Sep 2017, 22:23)

Hallo,

Zunächst mal, ich verfolge politisches Geschehen kaum ein Jahr weshalb ich wahrscheinlich ein bisschen naiv erscheine. :)

Polen, Tschechien, Ungarn und die Slovakei weigern sich ja bekanntlich sich an dem Flüchtlingsproblem zu beteiligen. Das stinkt mir grade wenn ich ich mitbekomme, dass dort sogar junge Menschen extrem unsolidarisch zu sein scheinen. Zwar geht es uns in Deutschland wirtschaftlich viel besser, aber die Anzahl an Flüchtlingen die die genannten Staaten aufnehmen sollen sind doch lächerlich. Trotzdem scheint prinzipieller Egoismus zu überwiegen.
Waere nicht ein Ausweg, die USA zu ueberzeugen, den Krieg in Syrien zu beenden? Und am Wiederaufbau des von ihren "demokratischen Rebellen" (von IS) zerstoerten Landes zu beteiligen ? Dann kaemen keine neuen Fluechtlinge daraus zu euch mehr, und auch mehrere von angekommenen wuerden zurueckkehren?
Waere schon eine Loesung, oder ? Sogar eine wirtschaflich guenstigere Loesung.

Und natuerlich keinen gloriareichen Krieg gegen Russland anzufangen, fuer die Demokratie usw. Sonst kommt auch eine Menge von Russen zu euch, in Zusatz? Waere eine Katastrophe m.E.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Orbiter1 hat geschrieben:(01 Oct 2018, 10:39)

Um diese schrecklichen Mißstände zu beheben sollten die Osteuropastaaten aus der EU austreten. Dann ist für die dort verbliebene Bevölkerung endlich die Ausbeutung mittels Niedriglöhnen und unmenschlichen Arbeitsbedingungen westlicher Konzerne zu Ende, die Gewinne bleiben endlich wieder in diesen Ländern und die Mio von zurückkehrenden Fachkräften aus der EU sorgen für die Lösung der demographischen Probleme, funktionierende Gesundheitssysteme, .... kurz, für den Himmel auf Erden. Bei dieser Flut von Vorteilen sollte es ja nicht mehr allzu lange dauern bis der erste Osteuropastaat beschließt die EU zu verlassen.
Wenn Sie meinen Beitrag aufmerksam gelesen hätten: Oppositionelle, Flüchtlinge, Intellektuelle in Ungarn sind auf Gemeinschaften wie die EU angewiesen. Wenn sie nicht mit einer zunehmend undemokratischen Regierung leben wollen.

Und ferner und nochmal: Die eigentlicher Gewinner einer EU-Mitgliedschaft Ungarns sind typischerweise Länder wie Deutschland. Die Industrievertreter Deutschlands dort werden dafür sorgen, da kann man sich ziemlich drauf verlassen, dass das auch so bleibt. Mehr noch: Dass die Anzahl der EU-Mitglieder, die eine solche Gewinnerschaft garantieren, noch wächst. Ganz aktuelles Beispiel: Mazedonien. Warum bitte drängen mittelwesteuropäische Staaten so beharrlich darauf, dass der Namensstreit mit Griechenland ein Ende hat und das Land endlich beitrittsfähig wird.

Und es gibt noch ein anderes sehr sehr wichtiges Feld: Osteuropa als Absatzmarkt. Vielleicht noch wichtiger als die Gehälterdifferenz und der Brain Drain. Das sind jetzt keine ins Feld geführten positiven Phänomene. Sondern einfach die faktische WIrklichkeit.

Der "Pleitestaat" Griechenland etwa gehört zu den größten Importeuren von Waffen und Kriegsgerät aus Deutschland. Auch dort fließen die "Rettungsgelder" der EU indirekt wieder zurück in die reicheren Staaten. Es gilt uneingeschränkt der dumme Spruch von Gott und dem Haufen.

Und außerdem: Dass (vor allem) die Länder Westmitteleuropas wirtschaftlich und finanziell in der Summe die Nettogewinner sind, heißt ja noch lange nicht, dass diese Länder gar keine Gewinne machen. Die ziemlich niedrige Arbeitslosenquote ist zum Beispiel eine dieser Gewinne.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Mo 1. Okt 2018, 11:14, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Tiefsinniger hat geschrieben:(01 Oct 2018, 10:48)

Waere nicht ein Ausweg, die USA zu ueberzeugen, den Krieg in Syrien zu beenden? Und am Wiederaufbau des von ihren "demokratischen Rebellen" (von IS) zerstoerten Landes zu beteiligen ? Dann kaemen keine neuen Fluechtlinge daraus zu euch mehr, und auch mehrere von angekommenen wuerden zurueckkehren?
Waere schon eine Loesung, oder ? Sogar eine wirtschaflich guenstigere Loesung.
Das ist in einer so von klassischen Erzählungen bzw. Nachgeplappere von populären Sprüchen wahrscheinlich etwas zu tiefsinnig.

Den Flüchtlingen an der neuerbauten Südgrenze Ungarns jedenfalls wäre in keinster Weise damit gedient, dass das Land aus der EU fliegt. Im Gegenteil! Nur, es muss Druck auf die Regierung Orbán gemacht werden und nicht auf das Land und das Staatvolk. Das sehe ich aber überhaupt nicht.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

@ schokoschendrezki:

Dafür ist nicht Gott bekannt geworden, sondern der Teufel, der immer auf dem größten Haufen stuhlgeht.

Aber der große Haufen ist ja nicht von allein entstanden. Meine Mutter sagte dazu: Wer hat, der hat... gut lachen. Möge dies noch lange so bleiben. Es gab auch schon einmal schlechtere Zeiten, mit Care-Paketen und Schwedenspeisung. Daran erinnere ich mich noch sehr gut. Im Vergleich dazu geht es doch unseren Nachbarn heute "Gold". Und die wirtschaftlichen Verhältnisse im Osten bessern sich unübersehbar. Das hat der Teufel aus dem Blick verloren.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Oct 2018, 10:59)

Wenn Sie meinen Beitrag aufmerksam gelesen hätten: Oppositionelle, Flüchtlinge, Intellektuelle in Ungarn sind auf Gemeinschaften wie die EU angewiesen. Wenn sie nicht mit einer zunehmend undemokratischen Regierung leben wollen.
Was konkret tut denn die EU um den von ihnen angesprochenen Personenkreis vor zunehmend undemokratischen Regierungen zu schützen?
Und ferner und nochmal: Die eigentlicher Gewinner einer EU-Mitgliedschaft Ungarns sind typischerweise Länder wie Deutschland.
Und wenn es so wäre, was hat das mit dem Threadthema zu tun?
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Orbiter1 hat geschrieben:(01 Oct 2018, 11:17)

Was konkret tut denn die EU um den von ihnen angesprochenen Personenkreis vor zunehmend undemokratischen Regierungen zu schützen?

...
In Ungarn tut die EU tatsächlich gar nichts, um den benannten Personenkreis vor der Regierung zu schützen, die nur Mehrheitsbeschlüsse für Demokratie hält, und andere Errungenschaften wie Minderheitenschutz und deren Menschenrechte nicht als Bestandteil einer reifen Demokratie versteht. Eine Wertegemeinschaft mit der EU ist das schon lange nicht mehr.

Aber die EU hält immer noch ihre Grenzen offen und ermöglicht es den Intellektuellen, sich anderswo in Europa in das geistige Leben dort ein zu bringen, Akzente zu setzen und eigene Erkenntnisse zu erweitern. Das halte ich schon einmal für eine gute Sache!

Deshalb unterstütze ich Segnungen der EU für die Menschen auch in Nachbarländern, die nicht der EU angehören können, weil ihre Staaten noch nicht das europäische Verständnis gewonnen haben... oder eben auch ungarische Europäer, die zu Hause bedrückt werden.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(01 Oct 2018, 11:15)

@ schokoschendrezki:

Dafür ist nicht Gott bekannt geworden, sondern der Teufel, der immer auf dem größten Haufen stuhlgeht.
Ach Gott, ja, natürlich. Naja. Exkommunziert werden kann ich zum Glück nicht.
Aber der große Haufen ist ja nicht von allein entstanden. Meine Mutter sagte dazu: Wer hat, der hat... gut lachen. Möge dies noch lange so bleiben. Es gab auch schon einmal schlechtere Zeiten, mit Care-Paketen und Schwedenspeisung. Daran erinnere ich mich noch sehr gut. Im Vergleich dazu geht es doch unseren Nachbarn heute "Gold". Und die wirtschaftlichen Verhältnisse im Osten bessern sich unübersehbar. Das hat der Teufel aus dem Blick verloren.
Nur mal ein anderes Beispiel aus einem anderen Teil Europas. Willkürlich herausgesucht, da eben erst gehört:
"Als die Troika im November 2010 hierher [nach Irland] kam, habe ich richtig zu lesen begonnen" ... und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Troika aus EU, EZB und IWF war ja offiziell angetreten, um das Land vor der Pleite zu retten ... "Es ging hier um die Banken. Und die Skrupellosesten waren wohl die deutschen Banken. Dass wir 'gerettet' wurden oder auch Griechenland ist Nonsens und verhüllt die Tatsache, dass es eine Rettung der Banken war. Das Land, sagt o'Flynn, zahlt immer noch.
https://www.deutschlandfunk.de/steueroa ... _id=428051

Anderes Beispiel: Deutsche Rentenfonds kaufen in großem Stil Ackerland in Rumänien. In der Regel, ohne es zu bewirtschaften. Sondern um allein aus dem Besitz und aus dem grundsätzlich in ganz Europa wachsenden Flächenpreisen, Gewinn zu erzielen. Das wäre in Ungarn kaum möglich, weils dort eine selbsbewusste Agrarindustrie gibt. In Rumänien wird ein großer Teil von relativ armen Einzelbauern oder kleinen Gemeinschaften bewirtschaftet. Und vor allem: Die Regierung ist korrupt durch und durch. Und wird in diesem Fall nicht wie die Fidesz international von den Unionsparteien gestützt sondern von der SPD. Noch einmal idealer für Landgrabbing sind die Westbalkanstaaten. Wenn sie denn Teil der EU sind. Die Rentner in Hamburg kümmert das nicht bzw. sie wissen davon gar nix. Machen aber Geld damit. Und hören in den Nachrichten, dass Rumänien zu den Nettoempfängern der EU-Gelder gehört. Und dann klopfen sie mit dem Stock auf den Fußboden und rufen voller Zorn: "Die sollen erstmal ..."

Wer sich wirklich für Politik interessiert, sollte a) nix auf Anhieb glauben und b) versuchen, hinter die Kulissen zu schauen.

Mit diesem Strang hat das insofern etwas zu tun, als dass ein großer Teil der Diskussionen zu solchen Strafmaßnahmen sich gar nicht um die eigentlichen Probleme dreht und statdessen voller Selbstgefälligkeit sich auf der "guten Seite" wähnt.

Und zweitens: Ich behaupte, dass diejenigen, die jetzt lautstark den EU-Ausschluss von Ländern wie Ungarn fordern, gar nicht ahnen, in welchem Maße das für sie selbst negative Folgen hätte. Sie operieren in der Regel mit Klischees über sich selbst und mit Klischees über andere. Aber nicht mit wirklichen Fakten.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Meinen Sie, daß in Deutschland selbst Spekulation mit Land, ob Ackerland oder Bauland oder Bauerwartungsland, mit Häusern aus dem Bestand und aus städtischen Genossenschaften etwa nicht betrieben wird? Woher auch immer die Spekulanten und "Anleger" kommen... eine Zeitlang hieß es, daß vermögende Griechen sich so dem Zugriff ihres Staates entziehen wollten.

Dann heißt es, daß Indien in Afrika Ländereien aufkauft, oder China. Ich kann das nicht prüfen. In der EU ist es möglich, als EU-Bürger Immobilien zu erwerben. Habe ich selbst zu meiner vollen Zufriedenheit in Polen durchgezogen und tüchtig investiert in kleine polnische Unternehmen, pünktlich zahlend und immer korrekt. Das war den Beteiligten vor Ort der Erwähnung wert.

Tja, und wenn eine Regierung empfänglich für Schmiergeld ist, dann kann und wird man das ausnutzen. Das ist auch nicht neu, daß es Menschen gibt, die sich so gesund stoßen. Wer weiß, wie oft große Anleger auch in Deutschland auf diesem Klavier spielen und gespielt haben? Vermutlich funktioniert das in Rumänien oder Afrika noch besser? Ja, wenn die Rumänen das so hinnehmen... wir hindern sie doch nicht, ihre politische Klasse zum Teufel zu jagen und aus ihrer Mitte vertrauenswürdige Leute in Ämter zu wählen!

Ich finde es jetzt nicht ganz fair, den Rentner in Hamburg zu schelten, daß er solche Mißwirtschaft "nicht gut" findet. Wie, bitteschön, soll der nun in Rumänien hinter die Kulissen schauen? Das gelingt ja hier kaum noch! Er kann nur die Nachrichten verarbeiten, die er bekommt. Nix glauben = gar keine Nachrichten.

Rumänien kommt jetzt auch vor den EuGH wegen schlechter Regierungsführung; genauer wegen der Freigabe von Gesetzen, die die Kontrolle und Verfolgung korrupter Staatspolitiker unterbinden. Die Mühlen der EU mahlen nun einmal etwas langsam. Vielleicht sind die Rumänen da schneller... hoffe ich! Das würde ich auch den Normalverbrauchern in Ungarn und Polen wünschen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Oct 2018, 13:20)

Mit diesem Strang hat das insofern etwas zu tun, als dass ein großer Teil der Diskussionen zu solchen Strafmaßnahmen sich gar nicht um die eigentlichen Probleme dreht und statdessen voller Selbstgefälligkeit sich auf der "guten Seite" wähnt.
Hier geht's um eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten die gegen Regeln der EU verstoßen haben und gegen die deswegen ein Verfahren eingeleitet wurde, nicht mehr und nicht weniger.
Und zweitens: Ich behaupte, dass diejenigen, die jetzt lautstark den EU-Ausschluss von Ländern wie Ungarn fordern, gar nicht ahnen, in welchem Maße das für sie selbst negative Folgen hätte. Sie operieren in der Regel mit Klischees über sich selbst und mit Klischees über andere. Aber nicht mit wirklichen Fakten.
Was würde sich denn faktisch für den Durchschnittsbürger hierzulande ändern wenn die deutsche Wirtschaft (z.B. die Automobilindustrie) ihre Aktivitäten von Ungarn nach z.B. Marokko verlegen würde? Ökonomisch gar nichts, aber wir hätten stabilere wirtschaftliche und politische Verhältnisse in Nordafrika und einen Lösungsansatz für den Migrationsdruck aus der Region.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Orbiter1 hat geschrieben:(01 Oct 2018, 15:22)

Hier geht's um eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten die gegen Regeln der EU verstoßen haben und gegen die deswegen ein Verfahren eingeleitet wurde, nicht mehr und nicht weniger.
Was würde sich denn faktisch für den Durchschnittsbürger hierzulande ändern wenn die deutsche Wirtschaft (z.B. die Automobilindustrie) ihre Aktivitäten von Ungarn nach z.B. Marokko verlegen würde? Ökonomisch gar nichts, aber wir hätten stabilere wirtschaftliche und politische Verhältnisse in Nordafrika und einen Lösungsansatz für den Migrationsdruck aus der Region.
Ich glaube auch nicht daran, daß sich für den deutschen Durchschnittsbürger merklich etwas ändern würde, wenn Ungarn aus der EU geworfen würde. Ich wünsche mir das überhaupt nicht, im Gegenteil wünsche ich mir, daß Ungarn ein zuverlässiges und treues Mitglied unserer europäischen Familie bleibt und sich wieder unseren Umgangsformen anpaßt!

So ganz leicht werden die deutschen Kfz-Hersteller einen Ausstieg aus der ungarischen Niederlassung nicht verschmerzen. Denn ich gehe davon aus, daß Ungarn über wesentlich mehr einsetzbare technische Fachleute verfügt als gemäß Beispiel Marokko. Ich vermute schon, daß in Europa Bildung und Ausbildung einen sehr viel höheren Stellenwert haben als in Marokko.

Ich habe auch verstanden, daß in Ungarn nicht gerade Massenmurks erzeugt wird, sondern durchaus ernsthafte technische Entwicklungen für Daimler und Audi erledigt werden. Also nicht unbedingt "verlängerte Werkbank", sondern schon die nächste Stufe einer Zusammenarbeit.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

H2O hat geschrieben:(01 Oct 2018, 16:46)

Ich glaube auch nicht daran, daß sich für den deutschen Durchschnittsbürger merklich etwas ändern würde, wenn Ungarn aus der EU geworfen würde. Ich wünsche mir das überhaupt nicht, im Gegenteil wünsche ich mir, daß Ungarn ein zuverlässiges und treues Mitglied unserer europäischen Familie bleibt und sich wieder unseren Umgangsformen anpaßt!
Da bin ich zu 100% bei ihnen.
So ganz leicht werden die deutschen Kfz-Hersteller einen Ausstieg aus der ungarischen Niederlassung nicht verschmerzen. Denn ich gehe davon aus, daß Ungarn über wesentlich mehr einsetzbare technische Fachleute verfügt als gemäß Beispiel Marokko. Ich vermute schon, daß in Europa Bildung und Ausbildung einen sehr viel höheren Stellenwert haben als in Marokko.
Inzwischen werden auch in Marokko Autos produziert, von Renault, PSA und Fiat, mit zunehmender Zulieferindustrie im Land. https://www.maghreb-post.de/wirtschaft/ ... n-pkw-aus/
Ich habe auch verstanden, daß in Ungarn nicht gerade Massenmurks erzeugt wird, sondern durchaus ernsthafte technische Entwicklungen für Daimler und Audi erledigt werden. Also nicht unbedingt "verlängerte Werkbank", sondern schon die nächste Stufe einer Zusammenarbeit.
Da ist Ungarn sicher noch voraus, aber das lässt sich in wenigen Jahren ändern. Auch in Marokko, einem Land mit drei mal so großer Bevölkerung (Durchschnittsalter 28 Jahre) wie Ungarn passiert eine Menge in Sachen Qualifizierung. https://www.3sat.de/page/?source=/makro ... index.html
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Orbiter1 hat geschrieben:(01 Oct 2018, 17:22)
...

...

Da ist Ungarn sicher noch voraus, aber das lässt sich in wenigen Jahren ändern. Auch in Marokko, einem Land mit drei mal so großer Bevölkerung (Durchschnittsalter 28 Jahre) wie Ungarn passiert eine Menge in Sachen Qualifizierung. https://www.3sat.de/page/?source=/makro ... index.html
Die wenigen Jahre wollen dann aber auch industriell abgewettert werden. Völlig überzeugend wäre aber der weitaus größere Markt, möglicherweise in ganz Nordafrika, wenn man Zulieferungen geschickt verteilt. So gesehen erstaunlich, daß die großen deutschen Unternehmen dort nicht ganz energisch einsteigen.... trotz des ungarischen Engagements.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Orbiter1 hat geschrieben:(01 Oct 2018, 15:22)

Hier geht's um eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten die gegen Regeln der EU verstoßen haben und gegen die deswegen ein Verfahren eingeleitet wurde, nicht mehr und nicht weniger.
Was würde sich denn faktisch für den Durchschnittsbürger hierzulande ändern wenn die deutsche Wirtschaft (z.B. die Automobilindustrie) ihre Aktivitäten von Ungarn nach z.B. Marokko verlegen würde? Ökonomisch gar nichts, aber wir hätten stabilere wirtschaftliche und politische Verhältnisse in Nordafrika und einen Lösungsansatz für den Migrationsdruck aus der Region.
Ich habe mich in dieser Frage nicht für "gut" oder "schlecht" positioniert sondern lediglich auf bestehende Faktizitäten hingewiesen. Marokko ist auch schon jetzt ein attraktiver Produktionsstandort (z.B. für Textilindustrie). De facto würde die "Stabilität" in Marokko darin bestehen, dass mit König Mohammed ein noch erheblich autokratischerer Autokrat als Viktor Orbán ökonomischen Rückhalt erführe. Auch hier dringt wieder diese Selbstgefälligkeit und dieser Egoismus durch. Als ginge es in dem Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn um das Wohlergehen der Bürger Westmitteleruopas. Es geht dabei um den Erhalt der Rechtsstaatlichkeit und der Medienfreiheit für die Bürger Ungarns! Bitteschön.

Davon abgesehen, rein ökonomisch. Die EU-Mittel für Länder wie Ungarn fließen in hohem Maße in Verkehrsinfrastruktur, die wegen der geographischen Entfernung selbst zu Ländern wie Marokko kaum aufholbar sein dürften. Jedenfalls nicht für Produkte wie Autos und LKWs. Und es geht vor allem nicht nur um die Auslagerung von Produktion sondern zunehmend um die Auslagerung von Entwicklung. Es werden qualifizierte Ingenierue benötigt.
In Mathematik und Naturwissenschaften stellte Marokko 2003 das absolute Schlusslicht im Vergleich arabischer Länder dar.
Es wäre hervorragend, die jüngeren Anstrengungen Marokkos zur Verbesserung des Bildungswesens zu unterstützen. Aber kurz und mittelfristig liegen Welten zwischen der Ingenieurausbildung in Marokko und Ungarn.

Deutschland wurde - ökonomisch - bis etwa um das Jahr 2004 herum als "Kranker Mann Europas" bezeichnet. Und wurde dann in den nächsten zehn Jahren - ökonomisch - zum Superstar. Schon mal darüber nachgedacht, dass dieses - ökonomische - Wendejahr 2014 mit der EU-Osterweiterung 2014 zusammenhängen könnte? Mehrere seriöse Analysen kommten zu dem Schluss, dass es nicht etwa - wie vielfach behauptet - die Hartz-Reformen waren. Es ist auch nicht einfach der Vorteil der Standortverlagerung in Regionen mit niederigeren Lohnkosten. Hinzu kommt
Die neuen Möglichkeiten, die Produktion in die nahen, aufstrebenden Volkswirtschaften Osteuropas zu verlagern, veränderten die Machtverhältnisse zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden und zwangen Gewerkschaften und/oder Betriebsräte dazu, Abweichungen von branchenweiten Vereinbarungen zu akzeptieren, was oft niedrigere Löhne zur Folge hatte.
.
Man bekommt am Ende eine Art Zwangskonkurrenzsituation zwischen verschiedenen Arbeitnehmergruppen durch Globalisierung. Und es ist der dümmste und verheerendste Irrtum, sich dahineinschicken zu lassen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(01 Oct 2018, 16:46)
Ich glaube auch nicht daran, daß sich für den deutschen Durchschnittsbürger merklich etwas ändern würde, wenn Ungarn aus der EU geworfen würde. Ich wünsche mir das überhaupt nicht, im Gegenteil wünsche ich mir, daß Ungarn ein zuverlässiges und treues Mitglied unserer europäischen Familie bleibt und sich wieder unseren Umgangsformen anpaßt!
Was sind denn "unsere Umgangsformen"? Ich hatte genügend Beispiele genannt. Der VW-Konzern, die Deutsche Bank, mit zig Strafrechtsverfahren belastet. Fußballfunktionäre kommen in den Knast. Sogenannte Volksparteien streiten um Personenfragen statt sich Sachfragen zu widmen.

Es ist immer wieder erstaunlich - oder auch erschreckend - in welchem Maße viele Leute ihre eigenen persönlichen subjektiven kulturellen Präferenzen (z.B. Präferenz frankophoner Weltregionen) nicht von sachlicher politischer Analyse trennen können.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Oct 2018, 21:22)

De facto würde die "Stabilität" in Marokko darin bestehen, dass mit König Mohammed ein noch erheblich autokratischerer Autokrat als Viktor Orbán ökonomischen Rückhalt erführe.
Marokko unterliegt nicht den Regeln eines EU-Mitgliedstaates, Ungarn aber schon. Und im Gegensatz zu Ungarn die sich komplett verweigern bietet ein stabiles und wirtschaftlich prosperierendes Marokko einen Lösungsansatz für den Migrationsdruck aus Afrika. Schon aus diesem Grund sollte die Bundesregierung versuchen die Unternehmen mehr in Richtung Investitionen in Nordafrika statt Osteuropa zu drängen.
Auch hier dringt wieder diese Selbstgefälligkeit und dieser Egoismus durch.
Wer sich wegen seinem selbstgefälligen und egoistischen Verhalten vor der EU verantworten muß bin nicht ich sondern die Orban-Regierung.
Als ginge es in dem Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn um das Wohlergehen der Bürger Westmitteleruopas. Es geht dabei um den Erhalt der Rechtsstaatlichkeit und der Medienfreiheit für die Bürger Ungarns! Bitteschön.
Sie können sich ja aus dem Thread raushalten wenn sie sich als Westmitteleuropäer für den Erhalt der Rechtsstaatlichkeit und der Medienfreiheit der Bürger in Ungarn nicht interessieren und stattdessen permanent darauf rumreiten wer denn aus ihrer Sicht von der Aufnahme der EU-Osteuropastaaten am meisten profitiert hat.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Oct 2018, 10:59)

Wenn Sie meinen Beitrag aufmerksam gelesen hätten: Oppositionelle, Flüchtlinge, Intellektuelle in Ungarn sind auf Gemeinschaften wie die EU angewiesen. Wenn sie nicht mit einer zunehmend undemokratischen Regierung leben wollen.

Und ferner und nochmal: Die eigentlicher Gewinner einer EU-Mitgliedschaft Ungarns sind typischerweise Länder wie Deutschland.
Könntest du dazu bitte mal eine halbwegs plausible Modellrechnung erstellen oder verlinken? Ansonsten zweifle ich diese Aussage sehr stark an. Ich gehe davon aus, das Ungarn erheblich mehr von der EU profitiert, als umgekehrt. Das ist aufgrund der unterschiedlichen Ausgangslage und der Strukturförderungszuwendungen auch plausibel, das Gegenteil müsste man mir beweisen.

Btw, die Gewinne deutscher Unternehmen aus ungarischen Standorten werden idR dort auch versteuert und landen keineswegs 1:1 im deutschen Staatshaushalt.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(01 Oct 2018, 22:14)

Könntest du dazu bitte mal eine halbwegs plausible Modellrechnung erstellen oder verlinken? Ansonsten zweifle ich diese Aussage sehr stark an. Ich gehe davon aus, das Ungarn erheblich mehr von der EU profitiert, als umgekehrt. Das ist aufgrund der unterschiedlichen Ausgangslage und der Strukturförderungszuwendungen auch plausibel, das Gegenteil müsste man mir beweisen.

Btw, die Gewinne deutscher Unternehmen aus ungarischen Standorten werden idR dort auch versteuert und landen keineswegs 1:1 im deutschen Staatshaushalt.
Ich habe auch nicht geschrieben, dass sie im Staatshaushalt landen und davon Schulen und Kindergärten gebaut werden, sondern dass sie vermutlich dazu beitragen, dass Unternehmen wie VW trotz Milliardenstrafen weiterhin fröhlich Umsatzsteigerungen erzielen. Und dass eine immer schmalere Gruppe von Vermögenden die Preise für Mieten und Wohneigentum hochtreibt. Weiterhin: Die Inverstorenanlockungspolitik ist definitiv eben durch Steuererleichterungsangebote gekennzeichnet. In Ungarn moderat. In Polen in den Sonderwirtschaftszonen exzessiv. Und Irland treibt dieses Modell in schier ungeahnte Höhen. Alle großen Technologiekonzerne haben ihren Europa-Sitz in Irland, weil sie dort praktisch kaum Steuern zahlen müssen. Von einer konservativen slowakischen Poltikerin hörte ich unlängst den Satz "Die Slowakei ist ein reiches Land mit armen Menschen". Und das gilt - mit anderen absoluten Zahlen aber gleicher Relativität auch für Deutschland - Deutschland ist der ökonomische Superstar Europas mit haufenweise prekär Beschäftigten.

Ich kann keine exakte Modellrechnung erstellen. Sondern nur auf Symptome verweisen: Ausländische Investorenvertreter haben erwiesenermaßen ausgezeichnete Kontakte zu ungarischen Regierungsvertretern und interessieren sich für Demokratieeinschränkungen einen Scheiß. Wenn der Vorteil nicht auf ihrer Seite läge, müsste man hier als Grund Philantropismus vermuten. Das aber glaube wer will. Ich nicht. Was kann der Grund für immer neue Errichtungen von Produktions- und Entwicklungszentren in Ungarn sein? Wiederum Philantropismus? Oder Orbán-Fantum? Oder nicht vielleicht doch einfach Vorteils-Durchrechnungen? Und es geht dabei um ganz andere SUmmen als bei EU-Infrastrukturförderung. Bekanntermaßen zahlt ein großes superreiches Unternehmen wie Google oder Ikea im prozentualen Vergleich zu einem Handwerksbetrieb so gut wie gar keine Steuern.

Das Problem verschiebt sich einfach nach hierher. Die Frage müsste eigentlich lauten: Warum kommt im Staatshaushalt der Bundesrepublik nix von diesen exorbitanten Gewinnnen der Unternehmen an? Glaubst Du im Ernst, dass sich im internationalen Gefüge tatsächlich primär und vor allem "Staatshaushalte" gegenüberstehen? Und die einen gewähren und die anderen nehmen? Das ist doch naiv! Das wäre so, wenn die Wirtschaft rein im nationalen Rahmen agierte, den Staat mit Steuern finanzierte und dann die Staaten/Regierungen/Könighäuser international handelten. Diese Zeiten sind schon seit der Hanse oder den Fuggern und Welsern vorbeí. DIe Welser finanzierten die Kriegszüge Kaiser Karls und erhielten dafür das Vorrecht, in der Überseeprovinz Venezuela nach Belieben schalten und walten zu können.

Der Geldtransfer der Staatshaushalte (z.B. über EU-Zuwendungen) ist ein dünnes Bächlein in die eine Richtung. Der internationale Produkt- und Unternehmensgewinnntransfer ist ein reißender Strom in die andere Richtung. Und so war das gemeint mit den Netto-Gewinnlern und -Verlierern.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Oct 2018, 22:49)

Ich habe auch nicht geschrieben, dass sie im Staatshaushalt landen und davon Schulen und Kindergärten gebaut werden, sondern dass sie vermutlich dazu beitragen, dass Unternehmen wie VW trotz Milliardenstrafen weiterhin fröhlich Umsatzsteigerungen erzielen. Und dass eine immer schmalere Gruppe von Vermögenden die Preise für Mieten und Wohneigentum hochtreibt. Weiterhin: Die Inverstorenanlockungspolitik ist definitiv eben durch Steuererleichterungsangebote gekennzeichnet. In Ungarn moderat. In Polen in den Sonderwirtschaftszonen exzessiv. Und Irland treibt dieses Modell in schier ungeahnte Höhen. Alle großen Technologiekonzerne haben ihren Europa-Sitz in Irland, weil sie dort praktisch kaum Steuern zahlen müssen. Von einer konservativen slowakischen Poltikerin hörte ich unlängst den Satz "Die Slowakei ist ein reiches Land mit armen Menschen". Und das gilt - mit anderen absoluten Zahlen aber gleicher Relativität auch für Deutschland - Deutschland ist der ökonomische Superstar Europas mit haufenweise prekär Beschäftigten.

Ich kann keine exakte Modellrechnung erstellen. Sondern nur auf Symptome verweisen: Ausländische Investorenvertreter haben erwiesenermaßen ausgezeichnete Kontakte zu ungarischen Regierungsvertretern und interessieren sich für Demokratieeinschränkungen einen Scheiß. Wenn der Vorteil nicht auf ihrer Seite läge, müsste man hier als Grund Philantropismus vermuten. Das aber glaube wer will. Ich nicht. Was kann der Grund für immer neue Errichtungen von Produktions- und Entwicklungszentren in Ungarn sein? Wiederum Philantropismus? Oder Orbán-Fantum? Oder nicht vielleicht doch einfach Vorteils-Durchrechnungen? Und es geht dabei um ganz andere SUmmen als bei EU-Infrastrukturförderung. Bekanntermaßen zahlt ein großes superreiches Unternehmen wie Google oder Ikea im prozentualen Vergleich zu einem Handwerksbetrieb so gut wie gar keine Steuern.

Das Problem verschiebt sich einfach nach hierher. Die Frage müsste eigentlich lauten: Warum kommt im Staatshaushalt der Bundesrepublik nix von diesen exorbitanten Gewinnnen der Unternehmen an? Glaubst Du im Ernst, dass sich im internationalen Gefüge tatsächlich primär und vor allem "Staatshaushalte" gegenüberstehen? Und die einen gewähren und die anderen nehmen? Das ist doch naiv! Das wäre so, wenn die Wirtschaft rein im nationalen Rahmen agierte, den Staat mit Steuern finanzierte und dann die Staaten/Regierungen/Könighäuser international handelten. Diese Zeiten sind schon seit der Hanse oder den Fuggern und Welsern vorbeí. DIe Welser finanzierten die Kriegszüge Kaiser Karls und erhielten dafür das Vorrecht, in der Überseeprovinz Venezuela nach Belieben schalten und walten zu können.

Der Geldtransfer der Staatshaushalte (z.B. über EU-Zuwendungen) ist ein dünnes Bächlein in die eine Richtung. Der internationale Produkt- und Unternehmensgewinnntransfer ist ein reißender Strom in die andere Richtung. Und so war das gemeint mit den Netto-Gewinnlern und -Verlierern.
Das geht jetzt eher in die Richtung einer allgemeinen System-, Großkonzern- und Kapitalismuskritik. Ich sehe das anders, aber das führt hier zu weit.

Wenn man aber mal nur für diesen Strang das existente kapitalistische Wirtschaftssystem, zu dem meines Wissens noch keine bessere Alternative gefunden wurde, als gegebene Rahmenbedingung akzeptiert, dann bleibt festzustellen: Wenn man die Staaten und deren Bevölkerung wie deren Haushalte betrachtet, dann scheinen mir der ungarische Staat und seine Bevölkerung erheblich mehr von der EU zu profitieren, als umgekehrt. Die Strukturförderung haben wir schon erschöpfend diskutiert. Und die Investitionen von VW und anderen Großunternehmen in Ungarn nutzen direkt der ungarischen Bevölkerung (über Arbeitsplätze) und dem ungarischen Staat (über Steuereinnahmen). Der deutschen Bevölkerung und dem deutschen Staatshaushalt nutzen sie erst mal gar nichts. Oder wirken sogar negativ, da hier entfallend / wegverlagert.

Für dich gilt anscheinend irgendwie "VW = Deutschland". Diese Betrachtungsweise führt mE. bei global agierenden Konzernen in die Irre. VW = VW.

Und vor diesem Hintergrund, back to topic, wäre der "Rauswurf" - oder auch Zuwendungskürzungen als Vorstufe dazu - aus ungarischer Sicht mE. schon ein sehr ungutes Szenario. Es wird nicht geschehen, denn die EU besitzt die dazu erforderliche innere Stärke nicht. Das ist aber ein anderes Thema.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Brainiac hat geschrieben:(02 Oct 2018, 05:51)

Das geht jetzt eher in die Richtung einer allgemeinen System-, Großkonzern- und Kapitalismuskritik. Ich sehe das anders, aber das führt hier zu weit.

Wenn man aber mal nur für diesen Strang das existente kapitalistische Wirtschaftssystem, zu dem meines Wissens noch keine bessere Alternative gefunden wurde, als gegebene Rahmenbedingung akzeptiert, dann bleibt festzustellen: Wenn man die Staaten und deren Bevölkerung wie deren Haushalte betrachtet, dann scheinen mir der ungarische Staat und seine Bevölkerung erheblich mehr von der EU zu profitieren, als umgekehrt. Die Strukturförderung haben wir schon erschöpfend diskutiert. Und die Investitionen von VW und anderen Großunternehmen in Ungarn nutzen direkt der ungarischen Bevölkerung (über Arbeitsplätze) und dem ungarischen Staat (über Steuereinnahmen). Der deutschen Bevölkerung und dem deutschen Staatshaushalt nutzen sie erst mal gar nichts. Oder wirken sogar negativ, da hier entfallend / wegverlagert.

Für dich gilt anscheinend irgendwie "VW = Deutschland". Diese Betrachtungsweise führt mE. bei global agierenden Konzernen in die Irre. VW = VW.

Und vor diesem Hintergrund, back to topic, wäre der "Rauswurf" - oder auch Zuwendungskürzungen als Vorstufe dazu - aus ungarischer Sicht mE. schon ein sehr ungutes Szenario. Es wird nicht geschehen, denn die EU besitzt die dazu erforderliche innere Stärke nicht. Das ist aber ein anderes Thema.
Wenn die Normalverbraucher Ungarns durch einen Rausschmiß (der ja technisch gar nicht möglich ist!) aus der EU hart getroffen würden, dann würde ich innerlich diesem Rauswurf niemals zustimmen. Die EU ist gottlob nicht so stark, daß sie solche halbwegs Gewaltakte auf den Weg bringen könnte. Aber es gibt feinere Justierschrauben, mit denen die EU Widerborste zum verschärften Nachdenken veranlassen kann. Man kann Politiker schneiden, man kann Zuwendungen stufenweise abschichten, Bürgschaften auslaufen lassen, die Grundfreiheiten des Binnenmarkts stufenweise abbauen. Man muß das nur wollen. Alles das sind vertraglich festgeschriebene Leistungen der zusammenwachsenden EU, und was unter Vertrag ist, das kann mit Hilfe des EuGH auch wieder kassiert werden. Das Einzige, an dem ich nie rühren würde, das wäre die Beweglichkeit der Jugend im Jugendaustausch und zum Studium. Den soll schon die ungarische Regierung erschweren oder unmöglich machen, wenn sie das als Strafmaßnahme gegen den Westen so haben will.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(02 Oct 2018, 05:51)

Das geht jetzt eher in die Richtung einer allgemeinen System-, Großkonzern- und Kapitalismuskritik. Ich sehe das anders, aber das führt hier zu weit.

Wenn man aber mal nur für diesen Strang das existente kapitalistische Wirtschaftssystem, zu dem meines Wissens noch keine bessere Alternative gefunden wurde, als gegebene Rahmenbedingung akzeptiert, dann bleibt festzustellen: Wenn man die Staaten und deren Bevölkerung wie deren Haushalte betrachtet, dann scheinen mir der ungarische Staat und seine Bevölkerung erheblich mehr von der EU zu profitieren, als umgekehrt. Die Strukturförderung haben wir schon erschöpfend diskutiert. Und die Investitionen von VW und anderen Großunternehmen in Ungarn nutzen direkt der ungarischen Bevölkerung (über Arbeitsplätze) und dem ungarischen Staat (über Steuereinnahmen). Der deutschen Bevölkerung und dem deutschen Staatshaushalt nutzen sie erst mal gar nichts. Oder wirken sogar negativ, da hier entfallend / wegverlagert.

Für dich gilt anscheinend irgendwie "VW = Deutschland". Diese Betrachtungsweise führt mE. bei global agierenden Konzernen in die Irre. VW = VW.

Und vor diesem Hintergrund, back to topic, wäre der "Rauswurf" - oder auch Zuwendungskürzungen als Vorstufe dazu - aus ungarischer Sicht mE. schon ein sehr ungutes Szenario. Es wird nicht geschehen, denn die EU besitzt die dazu erforderliche innere Stärke nicht. Das ist aber ein anderes Thema.
Der Vorwurf "pauschale Kapitalismuskritik" ... das kann ich schon verstehen und vom Eindruck meiner Argumentation ist das schon verständlich. Und für mich gilt absolut nicht "VW=Deutschland". Das kann ich dir versichern. Aber dennoch: In keinster Weise gilt "Land = Staatshaushalt". Wir würden absolut nix vom Gang der politischen Entwicklungen verstehen, wenn wir Politik als ausschließliches Geschäft von Regierungen und Staatenbünden sehen würden. Beziehungsweise mit der Relation VW=VW Wirtschaftsbeziehungen einfach ausklammern würden. Schau dir das Beispiel Ukraine an. Oder Russland. Es ist inzwischen unklar, ob da eigentlich Regierungen oder Regierungs-Wirtschafts-Konglomerate agieren. In Deutschland gehe ich von einer immer noch bestehenden Trennung aus. Aber in welchem Verhältnis tatsächlich laufende reale Prozesse von Regierungs- oder Unternehmenspolitik abhängen ... die Frage ist zumindest nicht einfach trivial beantwortbar. Trivial scheint mir dagegen die Erkenntnis zu sein, dass mit einer einfachen und schlichten Größenbeschränkung ohne jegliche Einschränkung sonstiger marktwirtschaftlicher Prinzipien es erreicht werden würde, dass Politik die Sache von demokratisch gewählten Regierungen und Wirtschaft die Sache von Wirtschaftsunternehmen wäre. Anderes Thema sicherlich.

Back to topic heißt für mich vor allem back to the Frage, warum es vor der unrealisierbaren Atombombe EU-Rauswurf des Landes definitv keinen realisierbaren EVP-Rauswurf der Orbán-Partei gibt.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(02 Oct 2018, 08:14)

Wenn die Normalverbraucher Ungarns durch einen Rausschmiß (der ja technisch gar nicht möglich ist!) aus der EU hart getroffen würden, dann würde ich innerlich diesem Rauswurf niemals zustimmen. Die EU ist gottlob nicht so stark, daß sie solche halbwegs Gewaltakte auf den Weg bringen könnte. Aber es gibt feinere Justierschrauben, mit denen die EU Widerborste zum verschärften Nachdenken veranlassen kann. Man kann Politiker schneiden ...
Richtig. Aber genau das tut man eben nicht. Es gibt verbale Empörungen, ja: Geschenkt! Mein EIndruck ist, dass die Popularität und die Wahlerfolge Orbáns in hohem Maße seinem Geschick zu verdanken sind, die EU praktisch auszutricksen. Und das ist ihm wieder mal gelungen. Und deshalb wird seine Popularität om Ungarn weiter wachsen. Und eigentlich ist der Fall Rumänien noch weitaus problematischer. Mit "Das peinliche Schweigen des Martin Schulz" war ein Artikel im Tagesspiegel überschrieben. Es geht um die fehlende Kritik der SPD an den politisch geradezu ungeheuerlichen Vorgängen in Rumänien. Aber die rumänische Regierungspartei PSD, rein formal und vom Namen her "Sozialdemokratisch" bildet eben zahlenmäßig einen beträchtlichen Teil der zweitgrößten Fraktion S&D im EU-Parlament. Gleichauf mit den französischen Sozialisten. Gegen das, was in jüngerer Zeit von dieser Partei in Rumänien veranstaltet wird, ist der Demokratieabbau in Ungarn ein Pappenstiel. Aber die SPD stellt sich davor. Denn es geht in Wahrheit um Machtgeschachere. "Werte" sind etwas fürs Publikum. Da verurteilt man natürlich Machenschaften wie die der rumänischen PSD öffentlich. Und macht real etwas ganz anderes.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(02 Oct 2018, 11:10)

Richtig. Aber genau das tut man eben nicht. Es gibt verbale Empörungen, ja: Geschenkt! Mein EIndruck ist, dass die Popularität und die Wahlerfolge Orbáns in hohem Maße seinem Geschick zu verdanken sind, die EU praktisch auszutricksen. Und das ist ihm wieder mal gelungen. Und deshalb wird seine Popularität om Ungarn weiter wachsen. Und eigentlich ist der Fall Rumänien noch weitaus problematischer. Mit "Das peinliche Schweigen des Martin Schulz" war ein Artikel im Tagesspiegel überschrieben. Es geht um die fehlende Kritik der SPD an den politisch geradezu ungeheuerlichen Vorgängen in Rumänien. Aber die rumänische Regierungspartei PSD, rein formal und vom Namen her "Sozialdemokratisch" bildet eben zahlenmäßig einen beträchtlichen Teil der zweitgrößten Fraktion S&D im EU-Parlament. Gleichauf mit den französischen Sozialisten. Gegen das, was in jüngerer Zeit von dieser Partei in Rumänien veranstaltet wird, ist der Demokratieabbau in Ungarn ein Pappenstiel. Aber die SPD stellt sich davor. Denn es geht in Wahrheit um Machtgeschachere. "Werte" sind etwas fürs Publikum. Da verurteilt man natürlich Machenschaften wie die der rumänischen PSD öffentlich. Und macht real etwas ganz anderes.
Die EU bringt Rumänien wegen dieser Winkelzüge (Strafvereitelung) der führenden Politiker Rumäniens vor den EuGH. Mehr kann man von der EU-Kommission als Hüter der Verträge nicht erwarten. Mit dem Urteil des EuGH muß der EU-Ministerrat umgehen.

Die Schacherei der "Volksparteien" wird diese teuer zu stehen kommen, Neulich beschwerten Sie sich über die EVP = CDU/CSU wegen der Kumpanei mit Orban, und nun über den "glühenden" Europäer Martin Schulz wegen der Kumpanei mit den rumänischen Sozialdemokraten.

So etwas spricht sich herum. Die SPD wird soeben von den GRÜNEN auf Bundesebene eingeholt oder überholt. Die CDU ist inzwischen nicht mehr unerreichbar auf Abstand zu den GRÜNEN. Fehlt noch, daß die CDU/CSU die Kanzlerin zu Fall bringt mit weiteren persönlichen Reibereien anstatt sachlicher Regierungsarbeit, und dann fliegen die Fetzen. Die Leute haben allesamt den Schuß noch nicht gehört!

Ich meine schon, daß die EU weiterhin formal eine Wertegemeinschaft ist; so ganz verstehe ich aber nicht mehr das Handeln unserer Regierungskoalition, auch in Sachen EU. Kein erkennbares Entwicklungskonzept für die EU, nur irgendwie durchwursteln. Allein kann Präsident Macron die EU nicht in die Zukunft treiben... und inzwischen habe ich das Gefühl, daß die deutsche Seite mit dem Stillstand ganz zufrieden ist.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(02 Oct 2018, 19:29)
Die Schacherei der "Volksparteien" wird diese teuer zu stehen kommen, Neulich beschwerten Sie sich über die EVP = CDU/CSU wegen der Kumpanei mit Orban, und nun über den "glühenden" Europäer Martin Schulz wegen der Kumpanei mit den rumänischen Sozialdemokraten.
Ja, aber das steht doch gar nicht im Widerspruch zueinander. Meine Position hier ist nach wie vor: NIcht "Ungarn" oder "Rumänien" sollten an den Pranger gestellt werden sondern die verantwortlichen Regierungsparteien bzw. Regierungen.

Man muss natürlich aufpassen, dass man bei aller berechtigten Kritik an Machtgeschachere von Parteien nicht in ein populistisches Generalbashing verfällt. Parteien sind die zentralen Akteure im demokratischen politischen Geschehen. Ich bin misstrauisch sowohl gegenüber direkter Demokratie und Volksabstimmungen als auch gegenüber hierarchisch von oben konzipierten Vorstellungen von Europa, bei denen Staatsoberhäupter zu den Klängen von Nationalhymnen Ehrenformationen abschreiten und sich gemeinsamer "Werte" verpflichten. Parlamentarismus und Stärkung der Legislative stehen für mich im Zentrum. Sowohl auf nationaler Ebene wie auch auf europäischer. Und wenn es da nun eine EVP-Fraktion mit der Fidesz (und übrigens auch immer noch mit der Forza Italia in beträchtlicher Stärke) gibt ... und eine "sozialdemokratische" S&D mit der rumänischen PSD, eine der korruptesten und kriminellsten Parteien ganz Europas ... dann ist für mich das zentrale Vehikel einer EU-Demokratie entwertet. Was soll ich damit? Ich entwickle in gewisser Weise inzwischen regelrecht Sympathien für die in politischer Hinsicht für mich völlig und absolut abgelehnte polnische PiS. Weil es da in EU-Fraktionshinsicht klare Verhältnisse gibt. Wenn die britische Konservative Partei da raus ist, ist die PiS mit Abstand die stärkste Partei in der nationalkonservativ-rechtspopulistischen EKR-Fraktion. Da weiß man, woran man ist.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

...ist die PiS mit Abstand die stärkste Partei in der nationalkonservativ-rechtspopulistischen EKR-Fraktion. Da weiß man, woran man ist.
Um so klarer kann man mit der Neugestaltung der EU als Wertegemeinschaft beginnen. Übrigens ist bei so engen Beziehungen wie zwischen Frankreich und Deutschland die Ehrenformation nur noch die Ausnahme. Man trifft sich "ganz einfach", und das ziemlich ungezwungen.

Ich sehe eher diesen Umgang miteinander als Auszeichnung... die formale Tünche des diplomatischen Umgangs von Staaten miteinander ist dort weitgehend entbehrlich. Das sollte der Weg sein zur europäischen Gemeinsamkeit.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(04 Oct 2018, 08:48)
Um so klarer kann man mit der Neugestaltung der EU als Wertegemeinschaft beginnen. Übrigens ist bei so engen Beziehungen wie zwischen Frankreich und Deutschland die Ehrenformation nur noch die Ausnahme. Man trifft sich "ganz einfach", und das ziemlich ungezwungen.
Unter "ziemlich einfach und ungezwungen" verstehe ich das (bis heute bestehende) Verhältnis zu einer französischen Austauschstudentin, die vor einiger Zeit für ein Jahr bei uns wohnte ... Das hat aus meiner Sicht nur wenig mit den Staatsbeziehungen zu tun.

In einer Retrospektive zum Münchner Abkommen vor ziemlich genau 80 Jahren: Da haben sich die Oberhäupter zweier mit Blut und Waffen zusammengeklaubter Großkolonialreiche, Chamberlain und Deladier mit zwei faschistsichen Dikatoren, Hitler und Mussolini getroffen. Ein Vertreter des Staats, um den es eigentlich ging, die Tschechoslowakei war gar nicht eingeladen. Chamberlain sprach von einem "fernen Staat", dessen Probleme den Westen nix anginge. Und Deladier von der Notwendigkeit, (zunächst) die sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei Hitler zu überlassen, um "den Frieden" in Europa abzusichern. Es handelte sich bei der Tschechoslowakei allerdings um die letzte verbliebene Demokratie ohne Kolonialreich in Europa. Mit einem Präsidenten, der zuletzt (auf Deutsch) die Kinder im Sudetengebiet aufforderte, die jeweils andere Sprache zu lernen und sich gegenseitig zu respektieren. Und es wurde mit dem Münchner Abkommen nicht der Frieden abgesichert sondern der letzte Dammbruch zum schlimmsten Krieg der Weltgeschichte in Gang gesetzt. Aber Deutschland, Italien, Großbritannien und Frankreich sind ja klassische westliche Kulturnationen und Tschechen und Slowaken irgendwelche osteuropäischen Untermenschen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

In Europa wollten wir einen Neubeginn wagen. Und da kommen Sie mit diesen alten Kamellen! Wir sollten schon in der Gegenwart bleiben und uns an geschlossene Verträge halten. Dann klappt das auch mit der Wertegemeinschaft und schnörkellosen Umgangsformen in einer Schicksalsgemeinschaft.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(01 Oct 2018, 22:14)

Könntest du dazu bitte mal eine halbwegs plausible Modellrechnung erstellen oder verlinken?
EU-Streit um Transfers: Warum Osteuropäer die wahren Nettozahler sind. Im "Manager-Magazin", jeder politischen Ideologie unnverdächtig, wird alles erklärt. Im Schnitt transferieren die Länder Osteuropas unter dem Strich etwa doppelt soviel in die EU wie sie von dort erhalten. Selbstverständlich wäre es ohne den Anschub aus der EU nicht dazu gekommen. Nur: Mit jedem weiteren Jahr verschiebt sich dieses Verhältnis weiter. Da Anschubfinanzierungen nun mal im wesentlichen einmalig erfolgen. Völlig richtig ist von einem (wörtlich) "selbstzentrierten franko-deutschen Blick" die Rede.


Und. Wie ich auch schon schrieb:
Ein Schluss jedoch bleibt: Im Konflikt (haben) die West-Staaten der EU mehr zu verlieren als die im Osten.
http://www.manager-magazin.de/politik/e ... 230-2.html
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 10:33)

EU-Streit um Transfers: Warum Osteuropäer die wahren Nettozahler sind. Im "Manager-Magazin", jeder politischen Ideologie unnverdächtig, wird alles erklärt. Im Schnitt transferieren die Länder Osteuropas unter dem Strich etwa doppelt soviel in die EU wie sie von dort erhalten. Selbstverständlich wäre es ohne den Anschub aus der EU nicht dazu gekommen. Nur: Mit jedem weiteren Jahr verschiebt sich dieses Verhältnis weiter. Da Anschubfinanzierungen nun mal im wesentlichen einmalig erfolgen. Völlig richtig ist von einem (wörtlich) "selbstzentrierten franko-deutschen Blick" die Rede.


Und. Wie ich auch schon schrieb:

http://www.manager-magazin.de/politik/e ... 230-2.html
Diesen Zahlen mißtraue ich; ohne die westlichen Zuwendungen zur Modernisierung der Gesellschaften dort würde sich nur sehr schleppend etwas in dieser Art rühren. Die Gesellschaft würde weiter im 20. Jahrhundert hängen bleiben.

Ich kann das hier vor Ort in Pommern gut beobachten. Hier betreiben LIDL, NETTO, INTERMARCHÉ, KAUFLAND die neuen Märkte; dafür verschwinden die Tante-Emma-Läden, die vor 5 Jahren hier das Bild noch beherrschten. Das Angebot steht dem in Deutschland nicht nach, wobei die Zulieferketten überwiegend in Polen, Tschechien und Ungarn liegen. Aber eine eiserne Qualitätssicherung liegt vor jeder Lieferung. Allein dieses Management , das so zu sagen gar nichts kostet, stellt aus meiner Sicht einen hohen Wert dar. Daß aus dieser Geschäftstätigkeit die Gewinne nach Steuern erst einmal in der LIDL-Kriegskasse landen, das halte ich für selbstverständlich. Woher sollen denn sonst neue Investitionen in Modernisierung und Qualitätssicherung kommen? Daß die Verbraucherpreise dort deutlich unter denen in Tante-Emma-Läden liegen, das versteht sich von allein, und über die Qualität des Angebots läßt sich überhaupt nicht streiten.

Mit etwas Phantasie komme ich auch dem Geschäftsmodell der deutschen Autobauer näher. Die haben angebotene und erbetene Investitionen im Osten vorgenommen, nachdem sie feststellen konnten, daß dort preisgünstige Fachleute verfügbar sind. Sie haben also einen Teil ihrer Fertigung und Entwicklung dorthin verlagert. Das Produkt, das dort entsteht, ist Teil eines umfassenden Wettbewerbs weltweit, wo Märkte gepflegt werden wollen, Modernisierung des Produkts durch Wettbewerb notwendig ist. Die Strategie des Unternehmens und die Vermarktung der Produkte sind an anderer Stelle konzentriert... und die Oststaaten würden in keiner Weise in diesem Wettbewerb bestehen... oder nur in Ausnahmefällen. Die Unternehmen bringen das oft geniale Design eines Produkts aus Italien mit der Ingenieurleistung in Deutschland und dem Fleiß und Können der Menschen im Osten zusammen. Wenn sich dieses Geschäftsmodell nicht lohnte, sondern dieses Unternehmensmanagement nur unter politischen Risiken und drohenden Verlusten zu betreiben wäre, dann bäckt man besser ganz kleine Brötchen und behält seine Talerchen zu Hause und die Leute im Osten hinter dem Mond.

Das ist aber nun einmal nicht so, und alle sind glücklich und zufrieden. Eine neue Zeit wird auch dort eingeläutet.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(11 Oct 2018, 14:14)

Diesen Zahlen mißtraue ich; ohne die westlichen Zuwendungen zur Modernisierung der Gesellschaften dort würde sich nur sehr schleppend etwas in dieser Art rühren. Die Gesellschaft würde weiter im 20. Jahrhundert hängen bleiben.

Ich kann das hier vor Ort in Pommern gut beobachten. Hier betreiben LIDL, NETTO, INTERMARCHÉ, KAUFLAND die neuen Märkte; dafür verschwinden die Tante-Emma-Läden, die vor 5 Jahren hier das Bild noch beherrschten. Das Angebot steht dem in Deutschland nicht nach, wobei die Zulieferketten überwiegend in Polen, Tschechien und Ungarn liegen. Aber eine eiserne Qualitätssicherung liegt vor jeder Lieferung. Allein dieses Management , das so zu sagen gar nichts kostet, stellt aus meiner Sicht einen hohen Wert dar. Daß aus dieser Geschäftstätigkeit die Gewinne nach Steuern erst einmal in der LIDL-Kriegskasse landen, das halte ich für selbstverständlich. Woher sollen denn sonst neue Investitionen in Modernisierung und Qualitätssicherung kommen? Daß die Verbraucherpreise dort deutlich unter denen in Tante-Emma-Läden liegen, das versteht sich von allein, und über die Qualität des Angebots läßt sich überhaupt nicht streiten.

Mit etwas Phantasie komme ich auch dem Geschäftsmodell der deutschen Autobauer näher.
Ich bitte Sie ... Lidl braucht Kassiererinnen, Aufsteller und mal einen Filialleiter. Bei allem Respekt. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie es in einem hochmodernen Motorenentwicklungszentrum wie dem von Audi Hungaria im ungarischen Györ zugeht?
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 14:22)

Ich bitte Sie ... Lidl braucht Kassiererinnen, Aufsteller und mal einen Filialleiter. Bei allem Respekt. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie es in einem hochmodernen Motorenentwicklungszentrum wie dem von Audi Hungaria im ungarischen Györ zugeht?
Ach ja, das war mir ganz entfallen... also lieber Schokoschendretzki: Ich meine ich hätte komplexere Zusammenhänge dargestellt als die Notwendigkeit, einen Supermarkt mit dem notwendigen Personal aus zu statten. Ich weiß sogar, welche Einkünfte diese Mitarbeiter erzielen.

Und bei allem Respekt... wie eine wettbewerbsfähige Entwicklungsabteilung tickt, das habe ich nun Zeit meines Lebens selbst maßgeblich mitgestaltet, mitsamt der zugehörigen Personalwerbung. Die Abteilung dort, das Tochterunternehmen, ist nicht von allein entstanden, sondern vom Betreiber aus den seinerzeit vor Ort möglichen
Voraussetzungen, schön klein-klein, damit denkbare Verluste sich in erträglichen Grenzen halten. Und danach lotet man ständig aus, welche Erweiterungen des Betriebs mit Gewinn möglich sind und tut das nach etlichen "Kriegsräten" mit den Kaufleuten und der Geschäftsleitung auch.

Hinzu kommt noch der Gesichtspunkt, daß man als "inländisches Unternehmen" einen neuen Absatzmarkt gewinnt. Damit ist beiden Seiten gedient, den Verbrauchern und den Herstellern.

Anders geht es doch gar nicht, und Geld verdienen will ein Unternehmen auch, möglichst viel davon um so besser!
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 10:33)

Und. Wie ich auch schon schrieb:

http://www.manager-magazin.de/politik/e ... 230-2.html
Ach der Piketty, man wird hier wirklich vor nichts verschont.

"Über die Jahre 2010 bis 2016 betrachtet, hat Polen demnach 4,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung als Kapitaleinkommen gen Westen geschickt - und zugleich nur 2,7 Prozent netto aus dem EU-Haushalt erhalten."

Piketty vergleicht hier die Kapitaleinkommen der Unternehmen mit den EU-Nettotransferzahlungen. Soll das jetzt als Scherz gedacht sein? Warum nennt er nicht die Mrd-Investitionen der Unternehmen in Osteuropa als Voraussetzung für die erzielten Kapitaleinkommen? Oder wachsen Büros und 'Fabriken in Osteuropa so einfach auf der grünen Wiese ohne dass jemand dort sein Kapital investiert? Wenn Ungarn die Kapitaleinkommen behalten möchte müssen sie einfach nur die von westlichen Unternehmen gegründeten Zweigwerke und Niederlassungen verstaatlichen. Dann wird sicher Milch und Honig fließen in Ungarn und die Mitarbeiter bekommen dann sicher alle Löhne auf Westniveau. Mit der Ausbeutung und Knechtschaft westlicher Unternehmen ist es dann endlich vorbei. Glückliches Ungarn! Wieso hat Orban das nicht schon längst gemacht?
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(11 Oct 2018, 14:44)

Ach ja, das war mir ganz entfallen... also lieber Schokoschendretzki: Ich meine ich hätte komplexere Zusammenhänge dargestellt als die Notwendigkeit, einen Supermarkt mit dem notwendigen Personal aus zu statten. Ich weiß sogar, welche Einkünfte diese Mitarbeiter erzielen.
Und dennoch sind es aber Handelsketten. Das Problem, so wie ich es verstehe, ist, dass wir von einem "deutschen Autobauer" reden wenn wir ein eigentlich längst "internationales Unternehmen" meinen. Und uns damit sozusagen alte Geschichten wiedererzählen, statt zu schauen, was tatsächlich läuft. Auch wenn in vielen Fällen der Hauptstammsitz eines solchen Unternehmens sich in Deutschland befindet. "Nearshoring" heißt speziell das Konzept der Verlagerung von Dienstleistungen, Produktion, Entwicklung in den Nahbereich. Und in Europa heißt Nearshoring in aller Regel "Nach Osteuropa". Und bei den IT-Dienstlsieistungen oder SW-Entwicklung ist das ganze vielleicht noch relevanter als in der Automobilbranche. Und ein nicht unwesentlicher Punkt bei diesem Nearshoring innerhalb der EU besteht darin, dass benötigte Infrastukruktur, Verkehrsinfrastruktur insbesondere quasi frei Haus durch EU-Zahlungen getätigt wird, die der Allgemeinheit dann als aussschließliche Zuwendungen an die Staaten allein erscheint.

Ich wüsste auch keinen Grund, grundsätzlich an den im Manager-Magazin vorgelegten Zahlen zu zweifeln. Die Zeitschrift steht nicht gerade im Verdacht, ideologisch ausgerichtet zu sein. Der verwiesene Blogeintrag des französischen Ökonomen Piketty bei LeMonde weist gleich in der ersten Grafik klar das aus, was die Artikelüberschrift zusammenfasst: Warum Osteuropäer die wahren Nettozahler sind: http://piketty.blog.lemonde.fr/2018/01/ ... of-europe/

Worin ich Ihnen zustimme ist diese Anschubfrage. Nur wird die mit jedem Jahr irrelevanter.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Orbiter1 hat geschrieben:(11 Oct 2018, 15:04)

Ach der Piketty, man wird hier wirklich vor nichts verschont.

"Über die Jahre 2010 bis 2016 betrachtet, hat Polen demnach 4,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung als Kapitaleinkommen gen Westen geschickt - und zugleich nur 2,7 Prozent netto aus dem EU-Haushalt erhalten."

Piketty vergleicht hier die Kapitaleinkommen der Unternehmen mit den EU-Nettotransferzahlungen. Soll das jetzt als Scherz gedacht sein? Warum nennt er nicht die Mrd-Investitionen der Unternehmen in Osteuropa als Voraussetzung für die erzielten Kapitaleinkommen? Oder wachsen Büros und 'Fabriken in Osteuropa so einfach auf der grünen Wiese ohne dass jemand dort sein Kapital investiert?
Erstens: Wie schon (mehrfach) geschrieben: Erstinvestitionen sind Aufwendungen die im Großen und Ganzen einmalig sind und im Laufe der Zeit gegenüber den ständig fließenden Gewinnen an Bedeutung verlieren. Und der Umkehrpunkt dürfte da schon vor einiger Zeit erreicht worden sein. Und zweitens (ebenfalls mehrfach): EU-Zuwendungen gehen zu großen Teilen in Infrastrukturprojekte, die eigentlich selbst Teil und Voraussetzung solcher Investitutionen sind. Die EU unterstützt nicht nur die Staaten Osteuropas sondern auch die Investoren. Das ist doch völlig klar.
Wenn Ungarn die Kapitaleinkommen behalten möchte müssen sie einfach nur die von westlichen Unternehmen gegründeten Zweigwerke und Niederlassungen verstaatlichen. Dann wird sicher Milch und Honig fließen in Ungarn und die Mitarbeiter bekommen dann sicher alle Löhne auf Westniveau. Mit der Ausbeutung und Knechtschaft westlicher Unternehmen ist es dann endlich vorbei. Glückliches Ungarn! Wieso hat Orban das nicht schon längst gemacht?
Orbán hat ein Interesse: Seinen eigenen Machterhalt. Sonst nix. Außer Fußball vielleicht. Natürlich funktioniert dieses Modell nur im Großen und Ganzen so wie es momentan läuift. Verhältnismäßig geringe Löhne. Ziemlich geringe Arbeitslosigkeit. Steuereinnahmen. Und vor allem: Technologieförderung. Das ist der Unterschied zu reinen Produktionsstandortverlagerungen. Es wird langfristig dennoch Schwierigkeiten geben. Wegen Fachkräfteabwanderung auf der einen und weiterem Wachstum auf der anderen Seite.

Ein ganz anderes Szenario gäbe es, wenn sich zwischen Westeuropa und Osteuropa etwas ähnliches tun würde wie momentan zwischen den USA und Mexiko. Die Entwicklung dort würde ich mir mal anschauen, um eine Ahnung davon zu bekommen, wenn in Europa der Eiserne Vorhang wieder hochgezogen würde. Vor allem auch in wirtschaftlicher Hinsicht.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 15:10)

Und dennoch sind es aber Handelsketten. Das Problem, so wie ich es verstehe, ist, dass wir von einem "deutschen Autobauer" reden wenn wir ein eigentlich längst "internationales Unternehmen" meinen. Und uns damit sozusagen alte Geschichten wiedererzählen, statt zu schauen, was tatsächlich läuft. Auch wenn in vielen Fällen der Hauptstammsitz eines solchen Unternehmens sich in Deutschland befindet. "Nearshoring" heißt speziell das Konzept der Verlagerung von Dienstleistungen, Produktion, Entwicklung in den Nahbereich. Und in Europa heißt Nearshoring in aller Regel "Nach Osteuropa". Und bei den IT-Dienstlsieistungen oder SW-Entwicklung ist das ganze vielleicht noch relevanter als in der Automobilbranche. Und ein nicht unwesentlicher Punkt bei diesem Nearshoring innerhalb der EU besteht darin, dass benötigte Infrastukruktur, Verkehrsinfrastruktur insbesondere quasi frei Haus durch EU-Zahlungen getätigt wird, die der Allgemeinheit dann als aussschließliche Zuwendungen an die Staaten allein erscheint.

Ich wüsste auch keinen Grund, grundsätzlich an den im Manager-Magazin vorgelegten Zahlen zu zweifeln. Die Zeitschrift steht nicht gerade im Verdacht, ideologisch ausgerichtet zu sein. Der verwiesene Blogeintrag des französischen Ökonomen Piketty bei LeMonde weist gleich in der ersten Grafik klar das aus, was die Artikelüberschrift zusammenfasst: Warum Osteuropäer die wahren Nettozahler sind: http://piketty.blog.lemonde.fr/2018/01/ ... of-europe/

Worin ich Ihnen zustimme ist diese Anschubfrage. Nur wird die mit jedem Jahr irrelevanter.
Nein, die nackten Zahlen bezweifele ich gar nicht; nur wollte ich auf ganz andere Werte hinweisen, ohne die diese nackten Zahlen gar nicht entständen. Das ist mir nur zum Teil gelungen. Eine erfolgreiche Geschäftsidee etwa erzeugt Gewinne, die Apple in 30 Jahren zum wertvollsten Unternehmen der Welt machen. Unsere Autobauer und Betriebe der Elektrotechnik und des Maschinenbaus sind deutlich älter, ihre Technik vermutlich ausgereizt. Aber sie sind kapitalstark oder höchst kreditwürdig.

Der Anschub im Osten wäre gar nicht denkbar ohne diese Produkte und mögliche Investitionen. Auch ein frei laufender Betrieb ist kaum vorstellbar unter den herrschenden Wettbewerbsbedingungen. So entsteht aus bescheidenen Anfängen ein ertragreiches Tochterunternehmen, das aber kaum als selbständiges Unternehmen bestehen würde. Dann müßte eine besonders klevere Führungskraft sich aus eigenen Stücken mit einem in der Art einzigartigen Produkt hervor tun und sich damit "outsourcen". Das ist auch nicht besonders ungewöhnlich, aber doch selten. Dann müßte es schon ziemlichen Ärger mit der Unternehmensführung geben.

Sie haben natürlich Recht: Da entstehen Weltunternehmen, wahrlich weltumspannend. Und wir tun so, als ob das "deutsche" Unternehmen sind. Die Ursprünge sind deutsch, oder US-amerikanisch, oder französisch, und entsprechend sympathisch sind uns diese erfolgreichen Unternehmen. Die Unternehmen werden international an der Börse gehandelt, entsprechend gestreut ist das Eigentum an diesen Unternehmen.

Aber, um zum Thema zurück zu finden: Wenn es politisch so richtig Ärger gibt, etwa bei schwindender Rechtssicherheit (Polen, Ungarn, Rumänien), dann kann die Bundesregierung Bürgschaften zurück ziehen und diese Unternehmen die Risiken allein tragen lassen. Und dann geht das alles sehr schnell... wie man am Beispiel Türkei erkennen kann. Eben noch auf stolzen Rossen...
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(11 Oct 2018, 15:34)

Nein, die nackten Zahlen bezweifele ich gar nicht; nur wollte ich auf ganz andere Werte hinweisen, ohne die diese nackten Zahlen gar nicht entständen. Das ist mir nur zum Teil gelungen. Eine erfolgreiche Geschäftsidee etwa erzeugt Gewinne, die Apple in 30 Jahren zum wertvollsten Unternehmen der Welt machen. Unsere Autobauer und Betriebe der Elektrotechnik und des Maschinenbaus sind deutlich älter, ihre Technik vermutlich ausgereizt. Aber sie sind kapitalstark oder höchst kreditwürdig.

Der Anschub im Osten wäre gar nicht denkbar ohne diese Produkte und mögliche Investitionen. Auch ein frei laufender Betrieb ist kaum vorstellbar unter den herrschenden Wettbewerbsbedingungen. So entsteht aus bescheidenen Anfängen ein ertragreiches Tochterunternehmen, das aber kaum als selbständiges Unternehmen bestehen würde. Dann müßte eine besonders klevere Führungskraft sich aus eigenen Stücken mit einem in der Art einzigartigen Produkt hervor tun und sich damit "outsourcen". Das ist auch nicht besonders ungewöhnlich, aber doch selten. Dann müßte es schon ziemlichen Ärger mit der Unternehmensführung geben.

Sie haben natürlich Recht: Da entstehen Weltunternehmen, wahrlich weltumspannend. Und wir tun so, als ob das "deutsche" Unternehmen sind. Die Ursprünge sind deutsch, oder US-amerikanisch, oder französisch, und entsprechend sympathisch sind uns diese erfolgreichen Unternehmen. Die Unternehmen werden international an der Börse gehandelt, entsprechend gestreut ist das Eigentum an diesen Unternehmen.

Aber, um zum Thema zurück zu finden: Wenn es politisch so richtig Ärger gibt, etwa bei schwindender Rechtssicherheit (Polen, Ungarn, Rumänien), dann kann die Bundesregierung Bürgschaften zurück ziehen und diese Unternehmen die Risiken allein tragen lassen. Und dann geht das alles sehr schnell... wie man am Beispiel Türkei erkennen kann. Eben noch auf stolzen Rossen...
Es hängt wie gesagt davon ab, ob man - wie in den polnischen SWZs einfach Produktionsstätten samt Personal vermietet, mal vereinfacht gesagt, oder ob man wirtschaftlich mehr oder weniger eigenständige Unternehmen wie VW/Skoda, Renault/Dacia oder auch Audi/Hungaria mitsamt Entwicklungsabteilungen betreibt. Sollten tatsächlich neue Produktionslinien wie etwa Elektromobilität bei Audi Hungaria von Anfang an in Ungarn beginnen - und so scheint es auszusehen - kann man nicht mehr so einfach einen "Hahn abdrehen." Noch einmal anders sieht es bei IT-DIenstleistungen aus. Wer den Schaden hat, wenn ein großes IT-Support-Zentrum, das in Rumänien für Deutsche Kunden arbeitet, zugemacht, abgschnitten wird ... dürfte klar sein.

Der Widerspruch und das Problem liegt genau in den von Piketty vorgelegten Zahlen. Auf die eine oder andere Art und Weise ist die Diskrepanz für einen osteuropäischen SW-Entwickler oder Ingenieur zu spüren. Er weiß und merkt es nämlich persönlich ganz genau, dass aus seinem Land mehr Geld in die EU fließt als umgekehrt. Weil es heutzutage überhaupt kein Problem ist, herauszubekommen, was er mit seiner Qualifikation woanders bekäme.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Und die politische Entwicklung: Also Einschränkung von Rechtsfreieheit, Pressefreieheit und dergleichen: Die ist unter anderem deshalb so fatal, weil sie - wenn auch in anderer Form und Stärke - ja auch bei uns stattfindet. Ich sehe die Reihen derer bei uns, die sich für den Erhalt einer freien Presse und freier Medien einsetzen mehr und mehr schwinden und die Reihen derer, die "Lügenpresse" schreien mehr und mehr wachsen. Und diejenigen, die - ähnlich wie UNgarn in der neuen Verfassung - aus einer "Republik" eine expliiziit christlich-abendländische Nation machen wollen, sehe ich auch nicht gerade auf dem Rückzug. Von denen, die wie Orbán die Grenzen für Flüchtlinge zumachen wollen mal ganz zu schweigen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 15:56)
...

...Auf die eine oder andere Art und Weise ist die Diskrepanz für einen osteuropäischen SW-Entwickler oder Ingenieur zu spüren. Er weiß und merkt es nämlich persönlich ganz genau, dass aus seinem Land mehr Geld in die EU fließt als umgekehrt. Weil es heutzutage überhaupt kein Problem ist, herauszubekommen, was er mit seiner Qualifikation woanders bekäme.
Ja, das Gefühl kenne ich aus den 1960er Jahren. Damals suchten die USA weltweit Ingenieure, um das Rennen zum Mond zu gewinnen. Es gab Gehälter um 80.000 $, was damals etwa dem 4-fachen in Deutschland erzielbaren Gehalt entsprach. Dennoch sind keine Heerscharen in die USA aufgebrochen.

Als dann das Ziel erreicht war, klappten die USA dieses Buch zu, und hochqualifizierte Ingenieure fanden sich als Taxifahrer wieder, weil der Markt für diese teuren Leute zusammen gebrochen war. Das hat einige Jahre gedauert, bis die Dinge sich zurecht gerüttelt hatten. Damals habe ich das in EDN (Electronic Design News) einigermaßen aufmerksam verfolgt.

Niemand wird Ungarn und Rumänen daran hindern, in Deutschland ihren Traumberuf aus zu üben. Die EU macht's möglich.

Vermutlich haben viele verstanden, daß man in Deutschland deutsche Preise für Wohnung und allgemeinen Lebensunterhalt zu bezahlen hat. Dann sind die Vorteile schnell dahin, weit weg von Freunden und Familie.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 10:33)

EU-Streit um Transfers: Warum Osteuropäer die wahren Nettozahler sind. Im "Manager-Magazin", jeder politischen Ideologie unnverdächtig, wird alles erklärt. Im Schnitt transferieren die Länder Osteuropas unter dem Strich etwa doppelt soviel in die EU wie sie von dort erhalten. Selbstverständlich wäre es ohne den Anschub aus der EU nicht dazu gekommen. Nur: Mit jedem weiteren Jahr verschiebt sich dieses Verhältnis weiter. Da Anschubfinanzierungen nun mal im wesentlichen einmalig erfolgen. Völlig richtig ist von einem (wörtlich) "selbstzentrierten franko-deutschen Blick" die Rede.


Und. Wie ich auch schon schrieb:

http://www.manager-magazin.de/politik/e ... 230-2.html
Ich kann Orbiter1 nur beipflichten - das ist ein Vergleich von Äpfeln und Birnen. Hier werden Privateinkünfte staatlichen Mittelflüssen gegenübergestellt. Kann man natürlich machen, um zu einer grundlegenden Kapitalismuskritik anzusetzen. Dann müsste man aber auch in Deutschland und anderswo das Verhältnis zwischen Privat- und Staatsvermögen bzw. -einnahmen und -gewinnen betrachten und kritisieren (wird ja auch gern getan). Das hat mit der Frage, wer einen EU-Austritt mehr zu fürchten habe, eher wenig zu tun.

Was würde denn passieren, wenn die EU ihre Zuwendungen stoppen würde und wenn Konzerne wie VW weniger in Ungarn oder Polen investieren würden. Dann gäbe es in diesen Ländern, über die entfallenden Zuwendungen hinaus, weniger Arbeitsplätze, Lohnzahlungen und Steuereinnahmen. Ein klarer Nachteil.

Was hat Deutschland weniger? Weniger Privateinkünfte, ok. Aber nicht notwendigerweise weniger Steuereinnahmen. Die Versteuerung der Umsätze und Gewinne findet ja zu wesentlichen Teilen in den Ländern statt, über die wir hier reden (was übrigens, neben den bereits angesprochenen Investitionen, bei dem zitierten Vergleich völlig unter den Tisch fällt). Auch nicht weniger Arbeitsplätze - vielleicht sogar mehr, da eine Rückverlagerung stattfinden könnte. Deutschland <> VW, wie ich schon mal schrieb. Im Übrigen ist ja nicht gesagt, dass das dortige Engagement der genannten Großkonzerne mit einem EU-Austritt dieser Länder enden würde.

Dieselbe Diskussion gibt es übrigens ja auch regelmäßig, wenn es um Entwicklungsländer in Afrika oder anderswo geht. Dann wird immer gern kritisiert, dass ausländische Konzerne dort Geld verdienen. Aber warum zum Teufel denn nicht, wenn es der dortigen Bevölkerung unterm Strich ebenfalls nützt?

Der einzige Punkt, wo ich dir Recht gebe: Wenn man das alles als einen großen politischen Deal betrachtet, ist es sicher so, dass in einem solchen Szenario die genannten Großkonzerne Druck auf die Bundesregierung und die EU auszuüben versuchen würden, und ggfs den hiesigen Regierungen andere Vorteile anbieten würden im Gegenzug dafür, dass sie weiter so günstig wie bisher in den östlichen EU-Staaten investieren und produzieren können. Aber diese Informationen dürften nicht so einfach zu recherchieren sein.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(11 Oct 2018, 18:48)

Ich kann Orbiter1 nur beipflichten - das ist ein Vergleich von Äpfeln und Birnen. Hier werden Privateinkünfte staatlichen Mittelflüssen gegenübergestellt. Kann man natürlich machen, um zu einer grundlegenden Kapitalismuskritik anzusetzen. Dann müsste man aber auch in Deutschland und anderswo das Verhältnis zwischen Privat- und Staatsvermögen bzw. -einnahmen und -gewinnen betrachten und kritisieren (wird ja auch gern getan). Das hat mit der Frage, wer einen EU-Austritt mehr zu fürchten habe, eher wenig zu tun.

Was würde denn passieren, wenn die EU ihre Zuwendungen stoppen würde und wenn Konzerne wie VW weniger in Ungarn oder Polen investieren würden.
Sie investieren aber eben nicht mehr sondern transferieren Gewinne. Der wesentliche Punkt ist, dass diese internationalen Unternehmen zwar einvernehmlich und nach wie vor "Investoren" genannt werden ... Eine Firma wie Audi Hungaria ist aber einfach ein Unternehmen, das in UNgarn Motoren und Automobile unter dem Namen "Audi" entwickelt, Gewinne abwirft, ab 2019 das neue Modell Audi Q4 vollständig in Ungarn produziert und weiterentwickelt und natürlich selbst, aus den eigenen durch Produktion und Entwicklung in UNgarn erzielten Umsätzen investiert. Es gibt keinen Kassenwart in Ingolstadt, der irgendwleche Transfers genehmigt. Diese grundlegenden Umwälzungen in der globalisierten Wirtschaft sind irgendwie immer noch nicht angekommen, "Deutscher Autoibauer" ... das ist einfach ein Marketing-Konzept, eine PR-Geschichte. Die Unternehmen intern sind da längst weiter.

Und politisch gesehen und da ich von ganzem Herzen und aus tiefster Überzeugung ein Gegner der Orbán-Politik bin, will ich in der Diskussion so effektiv wie als Einzelperson irgendwie möglich dazu beitragen, dass es mobilisierbare Gegenkräfte gibt, Und aus dieser Verantwortlichkeit heraus sage ich: Es nützt nix, zu denken, man könnte irgendeinen finanziellen Hebel ansetzen. Länder wie Ungarn irgendwie auf die Art in die Zange zu nehmen. Weil wir, die Westmitteleuropäer die tatsächlichen Profiteure der EU-Osterweiterung sind.

Ich hatte die Parallele Westeuropa/Osteuropa und USA/Mexiko genannt. Mexiko ist inzwischen der 7-größte Automobilbauer der Welt und dreiviertel der Produktion geht in die USA. Und auch in Mexiko spielt VW die Hauptgeige. Diese Verhältnisse sollen jetzt von der Trump-Regierung vollständig revidiert werden. Und Ökonomen sind sich sicher: Verlierer werden am Ende die USA selbst sein.

Die Grundidee grundsätzlich offener Gesellschaften. Dass dies denMenschen nützt und nicht schadet. WIrtschaftlich, kulturell, politisch muss befördert werden. IN westeuropa wie auch in Osteuropa.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(11 Oct 2018, 18:48)
Dieselbe Diskussion gibt es übrigens ja auch regelmäßig, wenn es um Entwicklungsländer in Afrika oder anderswo geht. Dann wird immer gern kritisiert, dass ausländische Konzerne dort Geld verdienen. Aber warum zum Teufel denn nicht, wenn es der dortigen Bevölkerung unterm Strich ebenfalls nützt?
Da bin ich völlig bei dir. Ich weiß ganz genau, dass ein generelles Kaufboykott von Textilien aus Bangla Desh vor allem eines zu Folge haben wird: Dass die, die jetzt in den Textilienfabriken für KiK & Co für einen beschämend niedrigen Lohn arbeiten, wieder in das Hungerelend der 60-er bis 80-er zurückfallen werden, Heißt ja nicht, dass man die dortigen Praktiken nicht dennoch kritisieren sollte.

Der Fall Osteuropa sieht jedoch grundsätzlich anders aus. Hier "lässt man" nicht einfach produzieren und entwickeln sond hier "wird" produziert und entwickelt.

Als politisch denkender Mensch hat man doch irgendwann das Bedürfnis, sich einen Reim darauf zu machen, dass ein Viktor Orbán in der EU nicht einen Zentimeter zurückweicht, absolut selbstbewusst und mit diesem typischen arroganten Grinsen von Leuten auftritt, die ganz genau wissen, dass sie vielleicht nicht am längeren aber jedenfalls ganz gewiss nicht am kürzeren Hebel sitzen. Einer der Gründe sind diese wirtschaftlichen Gegebenheiten und Zahlenverhältnisse wie sie oben angebeben wurden.

Journalisten, Künstler und Intellektuelle in Ungarn regen sich zurecht darüber auf, dass da jemand mit dem geistig-kulturellen Horizont eines 10jährigen Buben das Land regiert. Aber sie verstehen einfach nicht, dass dieser Bub, der vormittags künstlerisch wertvolle Gemälde im Budapester Parlament entfernen und durch grauenhaftes nationalistisches Zeug ersetzen lässt, sich am nachmittag mit Industrievertretern aus Westeuropa trifft und per Du und souverän die Ansiedlung eines weiteren großen Forschungs- und Entwicklungszentrums einfädelt. Und am nächsten Tag mit Putin per Telefon die Modernisierung des einen ungarischen Atomkraftwerks. Vielleicht liegts ja daran, dass aktuell mit Putin, Orbán, Trump, Erdogan oder Söder überall in der internationalen Politik kluge, kommunikative, geschickte Leute mit dem geistig-kulturellen Horizont 10-jähriger Buben das Sagen haben. Wo man hinschaut gemeine, egoistische kleine Jungs und Massen von Leuten, die ihnen begeistert zujubeln.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Oct 2018, 09:58)

Sie investieren aber eben nicht mehr sondern transferieren Gewinne.
Woraus soll hervorgehen, dass sie nicht mehr investieren? Investitionsgüter, gerade Anlagen zum Automobilbau, sind nicht, einmal gebaut, für alle Zeiten fertig und können sich 30 Jahre amortisieren. Da gibt es ständigen Reinvestitionsbedarf. Gerade in der heutigen Zeit vor dem Hintergund immer weiter fortschreitender Automatisierung.
Der wesentliche Punkt ist, dass diese internationalen Unternehmen zwar einvernehmlich und nach wie vor "Investoren" genannt werden ... Eine Firma wie Audi Hungaria ist aber einfach ein Unternehmen, das in UNgarn Motoren und Automobile unter dem Namen "Audi" entwickelt, Gewinne abwirft, ab 2019 das neue Modell Audi Q4 vollständig in Ungarn produziert und weiterentwickelt und natürlich selbst, aus den eigenen durch Produktion und Entwicklung in UNgarn erzielten Umsätzen investiert. Es gibt keinen Kassenwart in Ingolstadt, der irgendwleche Transfers genehmigt. Diese grundlegenden Umwälzungen in der globalisierten Wirtschaft sind irgendwie immer noch nicht angekommen, "Deutscher Autoibauer" ... das ist einfach ein Marketing-Konzept, eine PR-Geschichte. Die Unternehmen intern sind da längst weiter.
Da sind wir uns dann ja einig. VW <> Deutschland. Und Audi Hungaria, oder die Mercedes-Benz Polen GmbH, schon gar nicht.
Und politisch gesehen und da ich von ganzem Herzen und aus tiefster Überzeugung ein Gegner der Orbán-Politik bin, will ich in der Diskussion so effektiv wie als Einzelperson irgendwie möglich dazu beitragen, dass es mobilisierbare Gegenkräfte gibt, Und aus dieser Verantwortlichkeit heraus sage ich: Es nützt nix, zu denken, man könnte irgendeinen finanziellen Hebel ansetzen. Länder wie Ungarn irgendwie auf die Art in die Zange zu nehmen. Weil wir, die Westmitteleuropäer die tatsächlichen Profiteure der EU-Osterweiterung sind.
Dieses "wir" ist in dieser Allgemeinheit immer noch nicht plausibel belegt. Vielleicht gilt die Aussage für einige Eigentümer / Aktionäre der genannten, global tätigen Konzerne. Aber damit noch nicht für dich und mich und die westmitteleuropäischen Staaten und Gesellschaften insgesamt. Diesen Effekt sehe ich einfach nicht.

Orbán könnte ja deutlich machen, dass ihm die EU-Zuwendungen relativ egal seien - würde doch gut zu seinem sonstigen Auftreten passen. Das tut er aber mitnichten, im Gegenteil.
Die EU-Kommission will den Haushalt deutlich aufstocken und Förderungen kürzen. Ungarn und Polen kündigen daraufhin massiven Widerstand an.[...]„Dieser Haushalt muss einstimmig beschlossen werden“[...]„so lange die Ungarn nicht sagen: "Geht in Ordnung", gibt es keinen Haushalt“[...]
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(02 Oct 2018, 10:22)
Back to topic heißt für mich vor allem back to the Frage, warum es vor der unrealisierbaren Atombombe EU-Rauswurf des Landes definitv keinen realisierbaren EVP-Rauswurf der Orbán-Partei gibt.
... letzteres wurde unlängst von Juncker gefordert. Und wer sprach dagegen?

http://m.spiegel.de/politik/ausland/seb ... 33134.html

Das ist eben Orbans wahres Pfund: Der Rechtsruck in fast allen mittel- und westeuropäischen Parlamenten. Seine Kritiker sind mittlerweile politisch viel zu schwach auf der Brust.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Brainiac hat geschrieben:(14 Oct 2018, 10:27)

... letzteres wurde unlängst von Juncker gefordert. Und wer sprach dagegen?

http://m.spiegel.de/politik/ausland/seb ... 33134.html

Das ist eben Orbans wahres Pfund: Der Rechtsruck in fast allen mittel- und westeuropäischen Parlamenten. Seine Kritiker sind mittlerweile politisch viel zu schwach auf der Brust.
Vor dem Rausschmiß (Entzug des Stimmrechts) kommen sicher noch viele Schritte in Betracht. Der erste davon wäre das Drehen an den Zuwendungen an unliebsame Partner nach einem entsprechenden Urteil des EuGH.

Das nächste Mittel wäre ein Schneiden bei EU-Zusammenkünften, oder sogar das Treffen im "kleinen Kreis", wo gemeinsame Lösungen besprochen werden, an denen diese Kameraden ohnehin nur empfangend beteiligt sind.

Wenn die EU der Willigen selbst das nicht auf die Reihe bringt, dann kann sie sich beerdigen lassen.
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