100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

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Stoner

Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Stoner »

Humelix33 hat geschrieben:(07 Nov 2018, 23:41)

Naja, solche Aufstände sind eher schmeichelhaft und eigentlich weniger bedeutend, als sie heute gemacht werden, aber man braucht ja unbedingt was, um das Kaiserreich zum Ende hin absolut schlecht dastehen zu lassen.

Es gab ja Gründe, warum es einen Aufstand gab. Vor allem war es genau wie 1944 nachher, zu einem Zeitpunkt, wo klar war, das nichts mehr zu gewinnen war. Dennoch nicht vergleichbar, weil vor genau 100 Jahren sowohl Menschen, als auch Maschinen - hier Waffen - verheizt waren, während die Nazis noch Maschinen gehabt haben, aber keine Soldaten mehr. Von daher ja, der Aufstand hat vielleicht eine Kamikazeaktion verhindert, war aber nunmal so oder so nicht mehr bedeutsam, weil zu dem Zeitpunkt die sprichwörtliche Messe bereits gelesen war. Da hat Stauffenberg 1944 z.B. noch weit mehr Optionen für die Deutschen gehabt, wäre das Attentat geglückt.

Was man anerkennen kann, dass die Marinesoldaten ihr Leben gerettet haben, statt in die sinnlose geplante finale Seeschlacht gegen England rauszufahren, mehr und weniger aber auch nicht, weil wie erwähnt, sämtliche Jahrgänge an der Front bereits verheizt wurden. Und der Aufstand resultierte auch nur daraus, weil der Krieg verloren war, bedeutet, wäre man an der Front erfolgreich geblieben, hätten weiterhin alle mitgezogen. Bei Stauffenberg zum Vergleich kann man es ähnlich sehen, hätte er von den Konzentrationslagern gewusst, und daher so gehandelt, wäre es absolut heldenhaft gewesen, aber auch hier war der Grund vorrangig, Ende des Krieges WEIL es nichts mehr zu gewinnen gab, aufgrund der Anzahl der Feinde und eigenen Verluste.

Von daher halte ich die Heroisierung des Matrosenaufstandes für völlig überzogen und überbewertet, bei Stauffenberg sieht das anders aus, weil er damals auch wirklich gehandelt hat, Andere waren vorher zu feige den Versuch zu unternehmen Hitler zu töten, obwohl groß angekündigt.
Geschichte setzt sich zusammen aus Fakten, aber auch aus Bedeutungen. Rosa Parks hat sich einmal im Bus auf einen Platz gesetzt, der für andere reserviert war, und ist verhaftet worden. Ein ganz normaler Fall. Aber es ist etwas passiert, sie hat etwas ausgelöst. Wie die Matrosen in Kiel, was immer dort nun geschah oder nicht. Man muss halt sehen, dass auch im 21. JH ein Volk noch immer von unzähligen Mythen lebt, im Guten wie im Schlechten. Und, um eben doch nochmal auf die AfD zu kommen, das weiß die AfD und deshalb engagiert sie sich hier. Mythen leben nicht so sehr von den Fakten, als von den Deutungen, die damit einhergehen. Und Geschichte ist immer mit Mythen verbunden, die gedeutet werden wollen (Theodor Lessing hat die Geschichte deshalb auch als Sinngebung des Sinnlosen bezeichnet), und wer die Deutungshoheit über die Geschichte gewinnt, hat im Tagespolitischen einen Machtvorteil.
Humelix33
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Humelix33 »

MäckIntaier hat geschrieben:(08 Nov 2018, 08:22)

Geschichte setzt sich zusammen aus Fakten, aber auch aus Bedeutungen. Rosa Parks hat sich einmal im Bus auf einen Platz gesetzt, der für andere reserviert war, und ist verhaftet worden. Ein ganz normaler Fall. Aber es ist etwas passiert, sie hat etwas ausgelöst. Wie die Matrosen in Kiel, was immer dort nun geschah oder nicht. Man muss halt sehen, dass auch im 21. JH ein Volk noch immer von unzähligen Mythen lebt, im Guten wie im Schlechten. Und, um eben doch nochmal auf die AfD zu kommen, das weiß die AfD und deshalb engagiert sie sich hier. Mythen leben nicht so sehr von den Fakten, als von den Deutungen, die damit einhergehen. Und Geschichte ist immer mit Mythen verbunden, die gedeutet werden wollen (Theodor Lessing hat die Geschichte deshalb auch als Sinngebung des Sinnlosen bezeichnet), und wer die Deutungshoheit über die Geschichte gewinnt, hat im Tagespolitischen einen Machtvorteil.
In dem Fall hat die AfD nunmal Recht.

Der Aufstand wird als wer weiß was glorifiziert, und in einem völlig falschen Bild dargestellt. Historisch normalerweise nur eine Randnotiz, weil Ursache/Wirkung in dem Fall und für den allgemeinen Kriegsverlauf unbedeutend waren. Wie im vorherigen Beitrag erwähnt, die Matrosen haben für sich angemessen gehandelt, weil sie sich nicht abschlachten lassen wollten, und bereits kurz vor dem Aufstand alles vorbei war. Wäre die Situation dagewesen, und man hätte gewusst, man sei den Engländern überlegen, wären dieselben Matrosen wieder rausgefahren, so wie sie es vorher auch getan haben. Der kleine Spannungspunkt war nur, dass sie wegen Befehlsverweigerung Konsequenzen hätten befürchten müssen, aber selbst da hat sich gezeigt, dass wirklich schon alles vorbei war, weil kaum was nachkam. Die Einschätzung der Matrosen war daher richtig, aber dann auch keine Sensation im Verhalten.

Solange einige Historiker, auch Deutsche, das Kaiserreich auch als Hauptschuldigen des Ersten Weltkrieges sehen, sprechen wir sowieso von völlig falschen Fakten. Man soll jetzt nicht alles wieder toll finden müssen, aber differenziert zu betrachten aufgrund der Tatsachen wäre schon nicht verkehrt. Vor allem wenn man verstehen will, wie sich der Nationalsozialismus nachher entwickeln konnte, durch überzogene Sanktionen und erzwungene Schuldeingeständnisse, die völlig surreal waren, was auch von Historikern, außer französischen - weil die es richtig ausgekostet haben für 1871 - aus England, USA und Russland. Im übrigen waren diese Schuldeingständnisse und Sanktionen auch der Auslöser für den Aufschwung der Nazis, weil es keiner nachvollziehen konnte und Viele nicht wollten, was man da in Versailles unterschreiben musste. Unsere Vorfahren sind dem Bündnisaufruf gefolgt, die SPD hatte auch dafür gestimmt ja auch nach langer Überlegung, der Kaiser auch nicht, und man hat verloren, weil man irgendwann keine Soldaten mehr stellen konnte, und auch das Material zur Neige ging, nicht mehr und nicht weniger.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Dark Angel »

MäckIntaier hat geschrieben:(08 Nov 2018, 08:03)

Manches im Leben ändert sich nie. Die Sozialfaschismustheorie scheint eine solche Konstante zu sein.
Die Sozialfaschismus"Theorie" wurde von den Kommunisten aufgebracht.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Stoner »

Dark Angel hat geschrieben:(08 Nov 2018, 15:06)

Die Sozialfaschismus"Theorie" wurde von den Kommunisten aufgebracht.
Ja, und oben wird sie, ohne explizit benannt zu werden, inhaltlich wiederholt vom User.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Dark Angel »

Humelix33 hat geschrieben:(08 Nov 2018, 09:24)

In dem Fall hat die AfD nunmal Recht.

Der Aufstand wird als wer weiß was glorifiziert, und in einem völlig falschen Bild dargestellt. Historisch normalerweise nur eine Randnotiz, weil Ursache/Wirkung in dem Fall und für den allgemeinen Kriegsverlauf unbedeutend waren. Wie im vorherigen Beitrag erwähnt, die Matrosen haben für sich angemessen gehandelt, weil sie sich nicht abschlachten lassen wollten, und bereits kurz vor dem Aufstand alles vorbei war. Wäre die Situation dagewesen, und man hätte gewusst, man sei den Engländern überlegen, wären dieselben Matrosen wieder rausgefahren, so wie sie es vorher auch getan haben. Der kleine Spannungspunkt war nur, dass sie wegen Befehlsverweigerung Konsequenzen hätten befürchten müssen, aber selbst da hat sich gezeigt, dass wirklich schon alles vorbei war, weil kaum was nachkam. Die Einschätzung der Matrosen war daher richtig, aber dann auch keine Sensation im Verhalten.

Solange einige Historiker, auch Deutsche, das Kaiserreich auch als Hauptschuldigen des Ersten Weltkrieges sehen, sprechen wir sowieso von völlig falschen Fakten. Man soll jetzt nicht alles wieder toll finden müssen, aber differenziert zu betrachten aufgrund der Tatsachen wäre schon nicht verkehrt. Vor allem wenn man verstehen will, wie sich der Nationalsozialismus nachher entwickeln konnte, durch überzogene Sanktionen und erzwungene Schuldeingeständnisse, die völlig surreal waren, was auch von Historikern, außer französischen - weil die es richtig ausgekostet haben für 1871 - aus England, USA und Russland. Im übrigen waren diese Schuldeingständnisse und Sanktionen auch der Auslöser für den Aufschwung der Nazis, weil es keiner nachvollziehen konnte und Viele nicht wollten, was man da in Versailles unterschreiben musste. Unsere Vorfahren sind dem Bündnisaufruf gefolgt, die SPD hatte auch dafür gestimmt ja auch nach langer Überlegung, der Kaiser auch nicht, und man hat verloren, weil man irgendwann keine Soldaten mehr stellen konnte, und auch das Material zur Neige ging, nicht mehr und nicht weniger.
Die Bedeutung des Kieler Matrosenaufstandes liegt nicht so sehr in ihren Auswirkungen auf den Kriegsverlauf - da waren eh "alle Messen gesungen - sondern in den Ereignissen UND (politischen) Folgen, die durch diesen ausgelöst wurden.

Ganz nebenbei: es gibt KEINE "richtigen" und/oder "falschen" Fakten - es gibt einfach NUR Fakten.
Der Kieler Matrosenaufstand IST solch ein Fakt, denn er hat definitiv stattgefunden!
Es gibt lediglich unterschiedliche Interpretationen bzw Auslegung vorhandener Fakten. Da kann man ansetzen und diskutieren, aber NICHT bei den Fakten selbst.

Und noch etwas: Historiker sehen Deutschland seit mehreren Jahren nicht mehr als Hauptschuldigen am Ausbruch des WK1. Da hat längst ein Umdenkprozess stattgefunden.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von H2O »

Dark Angel hat geschrieben:(08 Nov 2018, 15:15)
...
... Historiker sehen Deutschland seit mehreren Jahren nicht mehr als Hauptschuldigen am Ausbruch des WK1. Da hat längst ein Umdenkprozess stattgefunden.
Sind deutsche Historiker nun dieser geänderten Meinung, oder ist diese Erkenntnis internationale Überzeugung? Wenn man bedenkt, wie sehr auf dem Kaiser & Cie und ihrem Größenwahn zu Lande, zu Wasser und in der Luft herum getrampelt wurde...
Ok, morsch war diese Gesellschaftsordnung in Europa ganz bestimmt... sonst wäre sie nicht gleich in 3 Kaiserreichen mitsamt einem riesigen Sultanat untergegangen.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Dark Angel »

H2O hat geschrieben:(08 Nov 2018, 17:18)

Sind deutsche Historiker nun dieser geänderten Meinung, oder ist diese Erkenntnis internationale Überzeugung? Wenn man bedenkt, wie sehr auf dem Kaiser & Cie und ihrem Größenwahn zu Lande, zu Wasser und in der Luft herum getrampelt wurde...
Ok, morsch war diese Gesellschaftsordnung in Europa ganz bestimmt... sonst wäre sie nicht gleich in 3 Kaiserreichen mitsamt einem riesigen Sultanat untergegangen.
Dieser Paradigmenwechsel ist internationaler Konsens - ausgehend von britischen und französischen Historikern und amerikanischen Historikern. Die deutschen taten und tun sich mit der veränderten Sichtweise deutlich schwerer. Das betrifft gleichermaßen die Sichtweise auf den Versailler Vertrag und die Zwischenkriegszeit.
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Julian
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Julian »

Kritikaster hat geschrieben:(08 Nov 2018, 07:18)

Wir stellen fest: Die im Sinne historischer Korrektheit vorgenommene Korrektur des Beschlußantrags erfolgte am 06.11.2018, also am Tag VOR der Plenarsitzung und damit nicht "still und heimlich" oder gar in Folge des Redebeitrags des AfD-Abgeordneten (die AfD-Urheberschaft der Änderung ist noch gleich wodurch belegt?). Sie lag allen Abgeordneten vor.

Es zeugt von ungenauem Arbeiten Brodehls, wissend um den korrigiert zur Abstimmung gestellten Text (womit ich unterstelle, dass er an der Stelle wusste, worüber er redete), diese behobene Ungenauigkeit aus einer vorangegangenen Fassung hervorzuheben.
Der Historiker Karl-Heinz Weißmann hielt bei der AfD-Fraktion im Kieler Landtag bereits am 2. November einen Vortrag zum Thema.

Hier die Ankündigung der Veranstaltung:
http://www.ltsh.de/presseticker/2018-11 ... i6-afd.pdf

Hier ein Video der Rede Weißmanns:
[youtube][/youtube]

War dies der Anlass, zumindest den einen, peinlichen Fehler mit der Obersten Heeresleitung versus der Seekriegsleitung zu korrigieren? Man kann es vermuten. Inwieweit die AfD-Fraktion von der Korrektur in Kenntnis gesetzt wurde, weiß ich nicht. Es ist aber durchaus üblich, AfD-Fraktionen in Parlamenten schlecht oder spät zu informieren. Das nennt sich Kampf gegen Rechts.

Im übrigen zeigt dieser eine Fehler ja nur symptomatisch, was passiert, wenn ideologiegetriebene Geschichtspolitik getrieben wird. Die Interpretation des Aufstandes ist ja weiterhin fehlerhaft und klar politisch so hingebogen, wie man es eben in seiner kindischen linksgrünen Art haben möchte.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Vongole »

Julian hat geschrieben:(08 Nov 2018, 19:10)

Der Historiker Karl-Heinz Weißmann hielt bei der AfD-Fraktion im Kieler Landtag bereits am 2. November einen Vortrag zum Thema.

Hier die Ankündigung der Veranstaltung:
http://www.ltsh.de/presseticker/2018-11 ... i6-afd.pdf

Hier ein Video der Rede Weißmanns:
(..)

Was dies der Anlass, zumindest den einen, peinlichen Fehler mit der Obersten Heeresleitung versus der Seekriegsleitung zu korrigieren? Man kann es vermuten. Inwieweit die AfD-Fraktion von der Korrektur in Kenntnis gesetzt wurde, weiß ich nicht. Es ist aber durchaus üblich, AfD-Fraktionen in Parlamenten schlecht oder spät zu informieren. Das nennt sich Kampf gegen Rechts.

Im übrigen zeigt dieser eine Fehler ja nur symptomatisch, was passiert, wenn ideologiegetriebene Geschichtspolitik getrieben wird. Die Interpretation des Aufstandes ist ja weiterhin fehlerhaft und klar politisch so hingebogen, wie man es eben in seiner kindischen linksgrünen Art haben möchte.
Danke für den Lacher des Abends, Julian, diese Reaktion war dermaßen vorhersehbar. :D
Weißmann, der Verteidiger von Ernst Jünger & Co., interpretiert den Matrosenaufstand, besser geht's nicht.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Kritikaster »

Julian hat geschrieben:(08 Nov 2018, 19:10)

War dies der Anlass, zumindest den einen, peinlichen Fehler mit der Obersten Heeresleitung versus der Seekriegsleitung zu korrigieren?
Das ist vollkommen unerheblich.

Auch wenn man sich der Verbreitung des AfD-Opfermythos verschrieben hat, macht es immer noch keinen Sinn, eine korrigierte Ungenauigkeit eines Textes gleich in eine "Fake News" umzudeuten. Wer das nötig hat, dem ist an Diskussion in der Sache erkennbar nicht gelegen. :rolleyes:
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von odiug »

Julian hat geschrieben:(08 Nov 2018, 19:10)

Der Historiker Karl-Heinz Weißmann hielt bei der AfD-Fraktion im Kieler Landtag bereits am 2. November einen Vortrag zum Thema.

Hier die Ankündigung der Veranstaltung:
http://www.ltsh.de/presseticker/2018-11 ... i6-afd.pdf

Hier ein Video der Rede Weißmanns: Bla bla bla

War dies der Anlass, zumindest den einen, peinlichen Fehler mit der Obersten Heeresleitung versus der Seekriegsleitung zu korrigieren? Man kann es vermuten. Inwieweit die AfD-Fraktion von der Korrektur in Kenntnis gesetzt wurde, weiß ich nicht. Es ist aber durchaus üblich, AfD-Fraktionen in Parlamenten schlecht oder spät zu informieren. Das nennt sich Kampf gegen Rechts.

Im übrigen zeigt dieser eine Fehler ja nur symptomatisch, was passiert, wenn ideologiegetriebene Geschichtspolitik getrieben wird. Die Interpretation des Aufstandes ist ja weiterhin fehlerhaft und klar politisch so hingebogen, wie man es eben in seiner kindischen linksgrünen Art haben möchte.
Den bitte was :?:
Welchen "peinlichen Fehler" :?:
Ludendorff war ein Kriegsverbrecher !
Den hätte man nach dem Krieg am erst besten Laternenpfahl aufhängen sollen zusammen mit all dem Junkergesocks und Kriegsgewinnlern... so sieht es aus!
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von odiug »

Dark Angel hat geschrieben:(08 Nov 2018, 15:15)

Die Bedeutung des Kieler Matrosenaufstandes liegt nicht so sehr in ihren Auswirkungen auf den Kriegsverlauf - da waren eh "alle Messen gesungen - sondern in den Ereignissen UND (politischen) Folgen, die durch diesen ausgelöst wurden.

Ganz nebenbei: es gibt KEINE "richtigen" und/oder "falschen" Fakten - es gibt einfach NUR Fakten.
Der Kieler Matrosenaufstand IST solch ein Fakt, denn er hat definitiv stattgefunden!
Es gibt lediglich unterschiedliche Interpretationen bzw Auslegung vorhandener Fakten. Da kann man ansetzen und diskutieren, aber NICHT bei den Fakten selbst.

Und noch etwas: Historiker sehen Deutschland seit mehreren Jahren nicht mehr als Hauptschuldigen am Ausbruch des WK1. Da hat längst ein Umdenkprozess stattgefunden.
Die "Schuldfrage" am Ausbruch des ersten Weltkriegs ist aber nicht sonderlich relevant.
Es ist die Art der Kriegsführung von Ludendorff und Hindenburg sowie der Militärputsch während des Krieges durch den Generalstab, welche man als Verbrechen ansehen muss.
Und ja ... ein Foch oder Douglas Haig waren auch nicht viel besser ... aber sie sind auch nicht unser Problem.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Progressiver »

Für den weiteren Verlauf des Krieges und die anschließende Novemberrevolution war es meines Erachtens völlig egal, wer den Befehl zu diesem finalen Himmelfahrtskommando gegeben hat. Die Soldaten in sämtlichen Armeen der beteiligten Kriegsgegner haben schon vorher gemeutert. Wenn die deutsche Führung dann noch sinnlos die Marine verheizen wollte, obwohl es schon feststand, dass der Krieg verloren war, dann beweist dies doch den ganzen Wahnsinn dieser Aktion. Die Matrosen haben das zurecht begriffen.

Ob die Marine jedenfalls sich selbstmörderisch in ein letztes Gefecht gestürzt hätte oder nicht, hat den Kriegsverlauf nicht verändert. Wichtig war er jedoch für die anschließende Novemberrevolution.
"Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum." Friedrich Nietzsche

"Wer nur einen Hammer als Werkzeug hat, dem wird bald jedes Problem zum Nagel."
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von odiug »

Progressiver hat geschrieben:(08 Nov 2018, 20:48)

Für den weiteren Verlauf des Krieges und die anschließende Novemberrevolution war es meines Erachtens völlig egal, wer den Befehl zu diesem finalen Himmelfahrtskommando gegeben hat. Die Soldaten in sämtlichen Armeen der beteiligten Kriegsgegner haben schon vorher gemeutert. Wenn die deutsche Führung dann noch sinnlos die Marine verheizen wollte, obwohl es schon feststand, dass der Krieg verloren war, dann beweist dies doch den ganzen Wahnsinn dieser Aktion. Die Matrosen haben das zurecht begriffen.

Ob die Marine jedenfalls sich selbstmörderisch in ein letztes Gefecht gestürzt hätte oder nicht, hat den Kriegsverlauf nicht verändert. Wichtig war er jedoch für die anschließende Novemberrevolution.
Richtig ... zumindest der letzte Punkt.
Ohne bewaffnete Kräfte wäre die Novemberrevolution zusammengeschossen worden und der Kaiser hätte nie abgedankt.
Ein Arbeiteraufstand wäre gescheitert.
Aber ein Soldatenaufstand ist ein ganz anderes Kaliber.
Stoner

Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Stoner »

Vongole hat geschrieben:(08 Nov 2018, 20:02)

Weißmann, der Verteidiger von Ernst Jünger & Co., interpretiert den Matrosenaufstand, besser geht's nicht.
Joschka Fischer hat Ernst Jünger auch verteidigt, als der den Goethepreis der Stadt Frankfurt bekam und es zu Protesten kam.

Dass solch ein Ereignis wie eine Ausstellung schon wieder zu solchen Grabenkämpfen führt, ist kein gutes Zeichen. Da wird die Sinngebung des Sinnlosen noch um einen weiteren Aspekt erweitert.

Und der "nächste Laternenpfahl" als Idee sei der Aufmerksamkeit des Users Progressiver für die Humanismusfrage ans Herz gelegt.

Schließlich an den User Julian: Geschichtspolitik wird im wesentlichen schon per definitionem ideologiegetrieben sein. Es gibt keinen überhistorischen Standpunkt, die "view from nowhere" ist nicht möglich. Vielleicht ist der schlichte Mythos eines Anfangs (Matrosenaufstand) mit umfassender Wirkung für den Historiker falsch. Aber ein Volk lebt von solchen Mythen, und gerade Sie oder Weißmann sind ja von der Grundauffassung her für diese überall auf Welt gängigen kollektiven Mythen empfänglich (wie auch ihre Gegner, die dem ihren kollektiven Mythos vom völlig losgelösten Individuum entgegensetzen).
odiug

Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von odiug »

MäckIntaier hat geschrieben:(08 Nov 2018, 21:39)

Joschka Fischer hat Ernst Jünger auch verteidigt, als der den Goethepreis der Stadt Frankfurt bekam und es zu Protesten kam.

Dass solch ein Ereignis wie eine Ausstellung schon wieder zu solchen Grabenkämpfen führt, ist kein gutes Zeichen. Da wird die Sinngebung des Sinnlosen noch um einen weiteren Aspekt erweitert.

Und der "nächste Laternenpfahl" als Idee sei der Aufmerksamkeit des Users Progressiver für die Humanismusfrage ans Herz gelegt.

Schließlich an den User Julian: Geschichtspolitik wird im wesentlichen schon per definitionem ideologiegetrieben sein. Es gibt keinen überhistorischen Standpunkt, die "view from nowhere" ist nicht möglich. Vielleicht ist der schlichte Mythos eines Anfangs (Matrosenaufstand) mit umfassender Wirkung für den Historiker falsch. Aber ein Volk lebt von solchen Mythen, und gerade Sie oder Weißmann sind ja von der Grundauffassung her für diese überall auf Welt gängigen kollektiven Mythen empfänglich (wie auch ihre Gegner, die dem ihren kollektiven Mythos vom völlig losgelösten Individuum entgegensetzen).
Ludendorff und Humanismus ... der ist echt gut :p
Ja ... man hätte Ludendorff zur Verantwortung ziehen müssen.
Und ja ... mich ärgert es, wie hier die üblichen Verdächtigen die Leistung der Kieler Matrosen und ihre Bedeutung für die Deutsche Geschichte kleinreden und es fast so erscheinen lassen, als seien sie Verbrecher gewesen, wobei jedem klar sein muss, wer die Verbrecher damals waren :mad2:
Stoner

Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Stoner »

odiug hat geschrieben:(08 Nov 2018, 22:13)

Ludendorff und Humanismus ... der ist echt gut :p
Ja ... man hätte Ludendorff zur Verantwortung ziehen müssen.
Ob man damals schon eine dem heutigen Begriff vergleichbare Vorstellung von Verantwortung hatte, darf man einmal außen vor lassen. Und selbst wenn man im Zeitalter des Humanismus für die Todesstrafe eintritt, würde "am nächsten Laternenpfahl aufhängen" nur ein "Ziehen" enthalten, nämlich das am Strick und das hieße einfach heute wie damals Mord.
odiug hat geschrieben:(08 Nov 2018, 22:13)
Und ja ... mich ärgert es, wie hier die üblichen Verdächtigen die Leistung der Kieler Matrosen und ihre Bedeutung für die Deutsche Geschichte kleinreden und es fast so erscheinen lassen, als seien sie Verbrecher gewesen, wobei jedem klar sein muss, wer die Verbrecher damals waren :mad2:
Dann wäre es gut, wenn Sie erklären könnten, was in der verlinkten Rede des Abgeordneten oder bei Weißmann denn tatsächlich falsch ist. Das hatten ja oben schon andere gefragt. Ärger und Empörung brauchen, um nachvollziehbar zu sein, auch eine Beschreibung der Ursachen.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Vongole »

MäckIntaier hat geschrieben:(08 Nov 2018, 21:39)

Joschka Fischer hat Ernst Jünger auch verteidigt, als der den Goethepreis der Stadt Frankfurt bekam und es zu Protesten kam.

Dass solch ein Ereignis wie eine Ausstellung schon wieder zu solchen Grabenkämpfen führt, ist kein gutes Zeichen. Da wird die Sinngebung des Sinnlosen noch um einen weiteren Aspekt erweitert.
(..)
Es ist mir herzlich egal, wer wann Ernst Jünger verteidigt hat.
Es ist mir aber nicht egal, wenn ein sogenannter Wissenschaftler wie Weißmann, der u.a.mit Kubitschek arbeitet und bei rechtsextremen Organisationen auftritt, sich hinstellt und versucht,
deutsche Geschichte in seinem Sinne umzudeuten, und diese kruden Ansichten dann von einer Partei verbreitet werden, die, wie wir wissen, die Nazizeit für einen "Vogelschiss der deutschen Geschichte" hält.

Es geht nicht um Grabenkämpfe, es geht darum, dass wir uns unserer Geschichte bewusst bleiben, und zwar unverfälscht.
Dass heute manches, gerade um den 1.Weltkrieg herum, von seriösen Wissenschaftlern in der Nachschau anders betrachtet wird, ist völlig in Ordnung.
Diese Wissenschaftler stellen sich Diskussionen, sowohl in Fachtagungen, Vorträgen, Publikationen vor einem internationalen Fachpublikum.
Weißmann dagegen stellt sich "Diskussionen" bei Vereinigungen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Julian »

odiug hat geschrieben:(08 Nov 2018, 20:20)

Den bitte was :?:
Welchen "peinlichen Fehler" :?:
Ludendorff war ein Kriegsverbrecher !
Den hätte man nach dem Krieg am erst besten Laternenpfahl aufhängen sollen zusammen mit all dem Junkergesocks und Kriegsgewinnlern... so sieht es aus!
Verwechslung der OHL mit der Seekriegsleitung, was dann in einer späteren Fassung korrigiert wurde (nachdem Weißmann seinen Vortrag gehalten hatte).
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Julian »

Vongole hat geschrieben:(09 Nov 2018, 00:42)

Es ist mir herzlich egal, wer wann Ernst Jünger verteidigt hat.
Es ist mir aber nicht egal, wenn ein sogenannter Wissenschaftler wie Weißmann, der u.a.mit Kubitschek arbeitet und bei rechtsextremen Organisationen auftritt, sich hinstellt und versucht,
deutsche Geschichte in seinem Sinne umzudeuten, und diese kruden Ansichten dann von einer Partei verbreitet werden, die, wie wir wissen, die Nazizeit für einen "Vogelschiss der deutschen Geschichte" hält.

Es geht nicht um Grabenkämpfe, es geht darum, dass wir uns unserer Geschichte bewusst bleiben, und zwar unverfälscht.
Dass heute manches, gerade um den 1.Weltkrieg herum, von seriösen Wissenschaftlern in der Nachschau anders betrachtet wird, ist völlig in Ordnung.
Diese Wissenschaftler stellen sich Diskussionen, sowohl in Fachtagungen, Vorträgen, Publikationen vor einem internationalen Fachpublikum.
Weißmann dagegen stellt sich "Diskussionen" bei Vereinigungen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Ich spreche mich für eine unabhängige historische Wissenschaft aus. Wie soll denn Geschichte unverfälscht bleiben, wenn in Parlamenten beschlossen werden muss, was passiert ist und wie es zu interpretieren ist?
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Julian »

MäckIntaier hat geschrieben:(08 Nov 2018, 21:39)
Schließlich an den User Julian: Geschichtspolitik wird im wesentlichen schon per definitionem ideologiegetrieben sein. Es gibt keinen überhistorischen Standpunkt, die "view from nowhere" ist nicht möglich. Vielleicht ist der schlichte Mythos eines Anfangs (Matrosenaufstand) mit umfassender Wirkung für den Historiker falsch. Aber ein Volk lebt von solchen Mythen, und gerade Sie oder Weißmann sind ja von der Grundauffassung her für diese überall auf Welt gängigen kollektiven Mythen empfänglich (wie auch ihre Gegner, die dem ihren kollektiven Mythos vom völlig losgelösten Individuum entgegensetzen).
Selbstverständlich ist Geschichtspolitik ideologiegetrieben; selbst die akademische Geschichtswissenschaft ist nicht frei davon, weil der Blick auf die Geschichte immer von einer bestimmten Perspektive ausgeht. Es gibt aber schon objektivere und weniger objektive Perspektiven.

Ich habe prinzipiell nichts dagegen, wenn sich Politiker auf dieses oder jenes historische Ereignis berufen, allerdings finde ich es absurd, dass ein Parlament darüber abstimmen soll, was vorgefallen und wie es zu interpretieren ist. Vor allem finde ich es aber lächerlich, wenn dann Leute, die sich dem Votum nicht anschließen, dafür verurteilt und ihnen unlautere Motive unterstellt werden.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Stoner »

Vongole hat geschrieben:(09 Nov 2018, 00:42)

Es ist mir herzlich egal, wer wann Ernst Jünger verteidigt hat.

Weißmann dagegen stellt sich "Diskussionen" bei Vereinigungen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Wenn man die Idee Ihres ersten Satzes auf die Idee Ihres zweiten Satzes anwendet, würde man sagen müssen: Es ist egal, wo ein Historiker (und Weißmann hat laut Wiki Theologie, Pädagogik und Geschichte studiert und ist Geschichtslehrer sowie Mitglied im Philologenverband) seine Vorträge hält. Was er vorträgt ist entweder richtig oder falsch. Wer ihn kritisiert, muss sagen, wo er irrt, nicht wo er redet oder mit wem er arbeitet. Und bisher hat hier keiner umfassend dargelgt, wo Weißmann oder der AfD-Abgeordnete historisch irrt. Dass Sie und ich vielleicht die Geschichte anders interpretieren oder andere Schlussfolgerungen daraus ziehen, bleibt davon unberührt. (Was Jünger in dieser Diskussion verloren hat, ist dabei nicht ganz verständlich). Anders ausgedrückt: Man sollte die Sachebene nicht ständig mit der Gesinnungsebene überdecken. Gesinnungen ersetzen keine Auseinandersetzungen mit Inhalten, sie greifen den Gegner immer nur als Menschen an.
Stoner

Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Stoner »

Julian hat geschrieben:(09 Nov 2018, 07:48)

Selbstverständlich ist Geschichtspolitik ideologiegetrieben; selbst die akademische Geschichtswissenschaft ist nicht frei davon, weil der Blick auf die Geschichte immer von einer bestimmten Perspektive ausgeht. Es gibt aber schon objektivere und weniger objektive Perspektiven.
Nein, Politik ist immer interessengetrieben und daher niemals objektiv. Man kann sich m.E. zu Fakten nicht "objektiv" verhalten, man interpretiert sie im weltanschaulichen Raum immer auf der Basis der eigenen Prämissen. Und da Geschichte, die als solches aus ziemlich sinnlosen Fakten besteht (wie oben andeutungsweise am "Fall" Rosa Parks kurz angedeutet), geht es immer darum, sich der Geschichte zu bemächtigen, weil man dann über das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft bestimmt. Deshalb war Geschichte auch immer so beliebt als Studienfach bei politisch interessierten Menschen. Wer Macht über die Vergangenheit gewinnt, bestimmt Gegenwart und Zukunft. Und wer Probleme mit Macht hat, hat deshalb ein Problem mit diesem immer totaleren Zugriff auf Geschichte. Es wäre besser, wenn solche Ausstellungen von Historikern und nicht von Politikern "betreut" würden, damit die Moral von der Geschichte dem Ausstellungsbesuch nicht schon vorangeht.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von odiug »

MäckIntaier hat geschrieben:(08 Nov 2018, 23:09)

Ob man damals schon eine dem heutigen Begriff vergleichbare Vorstellung von Verantwortung hatte, darf man einmal außen vor lassen. Und selbst wenn man im Zeitalter des Humanismus für die Todesstrafe eintritt, würde "am nächsten Laternenpfahl aufhängen" nur ein "Ziehen" enthalten, nämlich das am Strick und das hieße einfach heute wie damals Mord.



Dann wäre es gut, wenn Sie erklären könnten, was in der verlinkten Rede des Abgeordneten oder bei Weißmann denn tatsächlich falsch ist. Das hatten ja oben schon andere gefragt. Ärger und Empörung brauchen, um nachvollziehbar zu sein, auch eine Beschreibung der Ursachen.
Das hab ich schon.
Ein Arbeiteraufstand wäre gescheitert.
Ein Soldatenaufstand ist aber ein ganz anderes Kaliber.
Und ja ... der Krieg war schon lange verloren und auch ja, das Lametta von Gottes Gnaden suchten einen, der die Scheiße, in die sie Deutschland geritten haben irgendwie schon regeln soll.
Und hier mal der Punkt betreffend Ludendorff : das Kaiserreich hätte mehrmals einen Frieden schließen können.
Aber der Schlächter schwafelte was von "Lebensraum im Osten" ... ja das kommt von Ludendorff .. wie auch schon krude Ansätze der späteren Rassentheorie eines seiner Gefreiten :eek: und das Lametta von Gottes Gnaden geilte sich daran auf.
Zwischen Ludendorff und Mussolini besteht kein Unterschied und sie hätten das gleiche Ende verdient.
Entspricht das rechtsstaatlichen Vorstellungen ?
Nein !
Entspricht das der Gerechtigkeit ?
Absolut !
Abgesehen davon, Ludendorff wusste selbst sehr gut, woran er nach dem Krieg war.
Es hatte einen Grund, warum er sich nach Schweden absetzte.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von odiug »

MäckIntaier hat geschrieben:(09 Nov 2018, 08:22)

Nein, Politik ist immer interessengetrieben und daher niemals objektiv. Man kann sich m.E. zu Fakten nicht "objektiv" verhalten, man interpretiert sie im weltanschaulichen Raum immer auf der Basis der eigenen Prämissen. Und da Geschichte, die als solches aus ziemlich sinnlosen Fakten besteht (wie oben andeutungsweise am "Fall" Rosa Parks kurz angedeutet), geht es immer darum, sich der Geschichte zu bemächtigen, weil man dann über das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft bestimmt. Deshalb war Geschichte auch immer so beliebt als Studienfach bei politisch interessierten Menschen. Wer Macht über die Vergangenheit gewinnt, bestimmt Gegenwart und Zukunft. Und wer Probleme mit Macht hat, hat deshalb ein Problem mit diesem immer totaleren Zugriff auf Geschichte. Es wäre besser, wenn solche Ausstellungen von Historikern und nicht von Politikern "betreut" würden, damit die Moral von der Geschichte dem Ausstellungsbesuch nicht schon vorangeht.
Das mag ja sein ... macht aber das Revisionistengeschwafel nicht einen Deut besser.
Ich gebe dir auch darin recht, dass Objektivität in der Bewertung von historischen Ereignissen kaum eine absolute Größe darstellt.
Das legitimiert aber noch lange nicht, jeden subjektiven Mist, den so mancher hier ablässt.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Kritikaster »

Dark Angel hat geschrieben:(08 Nov 2018, 15:15)

Die Bedeutung des Kieler Matrosenaufstandes liegt nicht so sehr in ihren Auswirkungen auf den Kriegsverlauf - da waren eh "alle Messen gesungen - sondern in den Ereignissen UND (politischen) Folgen, die durch diesen ausgelöst wurden. (...)
Es gibt lediglich unterschiedliche Interpretationen bzw Auslegung vorhandener Fakten. Da kann man ansetzen und diskutieren, aber NICHT bei den Fakten selbst.
Diesen wesentlichen Gesichtspunkten ist zuzustimmen.
Der am höchsten entwickelte Sinn ist der Unsinn. (Peter E. Schumacher)
Wo der Sinn aufhört, beginnt der Wahnsinn. (Erhard Horst Bellermann)
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von odiug »

MäckIntaier hat geschrieben:(09 Nov 2018, 08:03)

Wenn man die Idee Ihres ersten Satzes auf die Idee Ihres zweiten Satzes anwendet, würde man sagen müssen: Es ist egal, wo ein Historiker (und Weißmann hat laut Wiki Theologie, Pädagogik und Geschichte studiert und ist Geschichtslehrer sowie Mitglied im Philologenverband) seine Vorträge hält. Was er vorträgt ist entweder richtig oder falsch. Wer ihn kritisiert, muss sagen, wo er irrt, nicht wo er redet oder mit wem er arbeitet. Und bisher hat hier keiner umfassend dargelgt, wo Weißmann oder der AfD-Abgeordnete historisch irrt. Dass Sie und ich vielleicht die Geschichte anders interpretieren oder andere Schlussfolgerungen daraus ziehen, bleibt davon unberührt. (Was Jünger in dieser Diskussion verloren hat, ist dabei nicht ganz verständlich). Anders ausgedrückt: Man sollte die Sachebene nicht ständig mit der Gesinnungsebene überdecken. Gesinnungen ersetzen keine Auseinandersetzungen mit Inhalten, sie greifen den Gegner immer nur als Menschen an.
Der Irrtum liegt darin, dass Joschka nicht Ernst Jünger verteidigte, sondern das Recht von Ernst Jünger zu reden.
Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Stoner

Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Stoner »

odiug hat geschrieben:(09 Nov 2018, 09:21)

Der Irrtum liegt darin, dass Joschka nicht Ernst Jünger verteidigte, sondern das Recht von Ernst Jünger zu reden.
Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Man wünscht sich so viel Sophistik bei manchen. Würde der Geist Fischers in dieser Sache wehen, würde eine Diskussion hier anders aussehen, außer den Usern Dark Angel und Kritikaster ist beisher noch viel starke Gesinnung zu lesen, aber leider wissen diejenigen, die von Geschichte über das, was in der Schule gelehrt wird, immer noch nicht, was falsch ist in der Sache.

Und weil der Geist, der im Fischer damals steckte, heute so sehr vermisst wird:

https://www.journal-frankfurt.de/journa ... 11433.html

(Dazu anderswo mehr)
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von DarkLightbringer »

odiug hat geschrieben:(08 Nov 2018, 07:39)

https://www.landtag.ltsh.de/presseticke ... 4-33-6351/
Das Interview belegt nur eins: Wer hat uns verraten ? Sozialdemokraten !
Schon 1914,bei der Bewilligung der Kriegsanleihen durch die SPD im Reichstag, wie auch 1918, als sie mit nationalistischen Kräften paktierten, um die Revolution zu ersticken.
Das macht der gute Doktor mal wieder klar und dafür kann man ihm beinahe dankbar sein .
Die Sozialdemokraten wollten keinen Bürgerkrieg nach russischem Vorbild. Demokratie aber wollten sie schon und die kam dann ja auch.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von DarkLightbringer »

Julian hat geschrieben:(09 Nov 2018, 07:48)

Selbstverständlich ist Geschichtspolitik ideologiegetrieben; selbst die akademische Geschichtswissenschaft ist nicht frei davon, weil der Blick auf die Geschichte immer von einer bestimmten Perspektive ausgeht. Es gibt aber schon objektivere und weniger objektive Perspektiven.

Ich habe prinzipiell nichts dagegen, wenn sich Politiker auf dieses oder jenes historische Ereignis berufen, allerdings finde ich es absurd, dass ein Parlament darüber abstimmen soll, was vorgefallen und wie es zu interpretieren ist. Vor allem finde ich es aber lächerlich, wenn dann Leute, die sich dem Votum nicht anschließen, dafür verurteilt und ihnen unlautere Motive unterstellt werden.
Es erschließt sich nicht, weshalb gewählte Volksvertreter im Parlament nicht über etwas abstimmen dürfen sollten.
Und es erschließt sich ebenfalls nicht, weshalb alternative Interpretationen nicht auch kritisiert werden sollten.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von odiug »

DarkLightbringer hat geschrieben:(09 Nov 2018, 10:25)

Die Sozialdemokraten wollten keinen Bürgerkrieg nach russischem Vorbild. Demokratie aber wollten sie schon und die kam dann ja auch.
Mag sein ... aber an den Verhältnissen änderte sich nichts.
Die Kraut und Rüben Junker saßen immer noch in ihren Herrenhäusern, die Krups und Thyssens in ihren Fabrikvillen, die Ludendorffs marschierten mit Hitler und faselten was von einem Dolchstoß, Linke Politiker und Arbeiterführer wurden reihenweise auf offener Straße ermordet, während die Sozen mit Freikorps paktierten, die Verbrecher wurden nicht zur Rechenschaft gezogen und das Volk mit einer Hyperinflation enteignet, um die Kriegsanleihen der Kriegsgewinnler zu finanzieren.
Ist nicht alles auf dem Mist der Sozen gewachsen und es hätte 1918 auch viel schlimmer kommen können ... stimmt ... aber es war eine halbseidene Revolution und darin lag auch das verdorbene Korn der ersten, deutschen Demokratie, das zu ihrem Scheitern führte.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von DarkLightbringer »

Im Grunde hat sich wenig geändert, was wiederum für die Aktualität des Gedenkens spricht. Die Enkel der Deutschalternativen haben ihre liebe Mühe mit dem Matrosenaufstand, die Enkel der Kommunisten betonen ihr Problem mit der SPD und die republiknahen Demokraten applaudieren der Initialzündung, die u. a. ja auch Pressefreiheit einforderte.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von odiug »

MäckIntaier hat geschrieben:(09 Nov 2018, 09:38)

Man wünscht sich so viel Sophistik bei manchen. Würde der Geist Fischers in dieser Sache wehen, würde eine Diskussion hier anders aussehen, außer den Usern Dark Angel und Kritikaster ist beisher noch viel starke Gesinnung zu lesen, aber leider wissen diejenigen, die von Geschichte über das, was in der Schule gelehrt wird, immer noch nicht, was falsch ist in der Sache.

Und weil der Geist, der im Fischer damals steckte, heute so sehr vermisst wird:

https://www.journal-frankfurt.de/journa ... 11433.html

(Dazu anderswo mehr)
Und :?:
Was wirfst du ihm jetzt vor :?:
Übrigens, auch wenn ich die Kritik an der Überreaktion der Grünen und SPD gegen die Preisverleihung an Ernst Jünger prinzipiell teile, so finde ich Kritik an der Jury und der Preisträger durchaus gerechtfertigt.
Das auch, wenn man sich die Nachwehen der Filbingeraffäre nochmals ins Gedächtnis ruft, die damals noch brandaktuell war.
Jüngers Landserpoisie ist und bleibt ein grausiges Beispiel von Romantisierung und Verharmlosung eines unmenschlichen Vernichtungskriegs und ist keines Preises würdig ... zumindest keines Preises, den man ernst nehmen sollte.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von odiug »

DarkLightbringer hat geschrieben:(09 Nov 2018, 12:12)

Im Grunde hat sich wenig geändert, was wiederum für die Aktualität des Gedenkens spricht. Die Enkel der Deutschalternativen haben ihre liebe Mühe mit dem Matrosenaufstand, die Enkel der Kommunisten betonen ihr Problem mit der SPD und die republiknahen Demokraten applaudieren der Initialzündung, die u. a. ja auch Pressefreiheit einforderte.
Ich bin kein Enkel eines Kommunisten ... um ehrlich zu sein, ich bin ein Enkel eines jener ostpreußischen Kraut und Rübenjunker ... wenn auch ein illegitimer Bastard :p
Ich fände es nur angebracht, wenn die SPD sich mal ihres Programms und ihres historischen Auftrags erinnern würde, anstatt mit Freikorps, oder aktuell mit neoliberalen CEOs zu klüngeln.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von DarkLightbringer »

odiug hat geschrieben:(09 Nov 2018, 12:09)

Mag sein ... aber an den Verhältnissen änderte sich nichts.
Die Kraut und Rüben Junker saßen immer noch in ihren Herrenhäusern, die Krups und Thyssens in ihren Fabrikvillen, die Ludendorffs marschierten mit Hitler und faselten was von einem Dolchstoß, Linke Politiker und Arbeiterführer wurden reihenweise auf offener Straße ermordet, während die Sozen mit Freikorps paktierten, die Verbrecher wurden nicht zur Rechenschaft gezogen und das Volk mit einer Hyperinflation enteignet, um die Kriegsanleihen der Kriegsgewinnler zu finanzieren.
Ist nicht alles auf dem Mist der Sozen gewachsen und es hätte 1918 auch viel schlimmer kommen können ... stimmt ... aber es war eine halbseidene Revolution und darin lag auch das verdorbene Korn der ersten, deutschen Demokratie, das zu ihrem Scheitern führte.
Es stimmt, dass es letztlich eine Revolution der Kompromisse war, ein Lavieren zwischen allumfassender Utopie und Verantwortung.
Aber das Scheitern der jungen Demokratie hat so gut wie nichts mit den Halbheiten der Revolution zu tun. Die Kriegslasten waren erheblich, die ehemaligen Gegner stur, dann gab es noch die Rechtsradikalen, die Verblendung der Kommunisten, die Inflation, die Krise, die Schwäche der liberalen Parteien und schließlich noch einen Reichspräsidenten, der kein Demokrat war. Das ganze Bild führte zum Scheitern, nicht ein Einzelmythos, der mal von links oder von rechts aus parteiischen Gründen zum Heißluftballon aufgeblasen wird.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Stoner »

odiug hat geschrieben:(09 Nov 2018, 12:23)

Jüngers Landserpoisie ist und bleibt ein grausiges Beispiel von Romantisierung und Verharmlosung eines unmenschlichen Vernichtungskriegs und ist keines Preises würdig ... zumindest keines Preises, den man ernst nehmen sollte.
Es gibt sicher sehr viele Nichtleser Jüngers, die das umgehend bestätigen werden.

Auf der diesjährigen dreitägigen Tagung der Jünger-Gesellschaft haben deshalb auch Verharmloser und Romantisierer wie Daniel-Pascal Zorn, Peter Trawny und Helmuth Kiesel den Landserpoeten verteidigt.

Vielleicht lieber doch zurück zum Matrosenaufstand: Was ist denn Ihre Meinung zur Ausgangsfrage des Strangeröffners? Und wie würden Sie denn denen, die von Geschichte nichts wissen und jetzt die Einlassung des AfD-Abgeordneten lesen oder sich Weißmann anhören, erklären, was daran falsch ist?
Stoner

Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Stoner »

DarkLightbringer hat geschrieben:(09 Nov 2018, 12:31)

Das ganze Bild führte zum Scheitern, nicht ein Einzelmythos,
Das wird der Sache gerecht. Ein Aufstand, der ein Fanal ist, die Dinge zu ändern, ist eben ein Einzelereignis. Aber es verwandelt ein Volk nicht in lauter Demokraten, dieser Weg ist mühsam und nie abgeschlossen. Und umkehrbar.
Zuletzt geändert von Stoner am Fr 9. Nov 2018, 12:44, insgesamt 1-mal geändert.
odiug

Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von odiug »

DarkLightbringer hat geschrieben:(09 Nov 2018, 12:31)

Es stimmt, dass es letztlich eine Revolution der Kompromisse war, ein Lavieren zwischen allumfassender Utopie und Verantwortung.
Aber das Scheitern der jungen Demokratie hat so gut wie nichts mit den Halbheiten der Revolution zu tun. Die Kriegslasten waren erheblich, die ehemaligen Gegner stur, dann gab es noch die Rechtsradikalen, die Verblendung der Kommunisten, die Inflation, die Krise, die Schwäche der liberalen Parteien und schließlich noch einen Reichspräsidenten, der kein Demokrat war. Das ganze Bild führte zum Scheitern, nicht ein Einzelmythos, der mal von links oder von rechts aus parteiischen Gründen zum Heißluftballon aufgeblasen wird.
Das stimmt nicht!
Stresemann hat die Reparationszahlungen nahezu negiert, und trotzdem wurde Stresemann von deutsch-nationalen Revisionisten erschossen.
Brühning zahlte gar nichts mehr an die Franzosen und die britische Regierung war sogar auf der Seite der Deutschen und sah selbst ein, dass der Vertrag von Versailles ein Fehler war.
Und dennoch marschierten die deutsch-nationalen alle mit Hitler ohne Widerstand in den Untergang ... so bedingungslos in ihrer "Treue", dass sie die Idee selbst derart diskreditierten, dass immerhin der Schock ihnen das Maul für fast 80 Jahre lang stopfte.
Doch nun kriechen sie wieder unter den Trümmern ihres Fiaskos hervor :eek:
Und diese Debatte um den Matrosenaufstand ist ein gutes Beispiel dafür.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Vongole »

Kritikaster hat geschrieben:(09 Nov 2018, 09:14)

Diesen wesentlichen Gesichtspunkten ist zuzustimmen.
Ja, die Faktenlage ist klar. Was mich bei Weißmann so aufbringt, ist, dass er Tatsachen benennt, um ihnen dann seine eigene Bedeutung zu geben.
Nicht aus dem Vortrag, sondern so als allgemeines Beispiel für das, was ich meine:

An einem (fiktiven) Tag der Geschichte hat es geregnet. Weißmann würde das nicht bestreiten, aber so interpretieren:
"Dass es geregnet hat, könnten wir aus der Tatsache schließen, dass die Leute Schirme trugen und der Boden nass war. Aber, meine Damen und Herren, vielleicht war es nur nass, weil ein Sprengwagen
vorbei fuhr? Schließlich kann man auch Wetteraufzeichnungen nur bedingt trauen, und so bekommen die Ereignisse dieses Tages eine ganz andere Bedeutung".
Am Yisrael Chai

"It's God's job to judge the terrorists, it's our duty to arrange that meeting." (IDF)
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Stoner »

Etwas Off-Topic aber trotzdem passend zum Strangthema: Auf 3sat gibt es heute Abend Stanley Kubricks "Wege zum Ruhm".
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von SirToby »

DarkLightbringer hat geschrieben:(09 Nov 2018, 12:07)

Es erschließt sich nicht, weshalb gewählte Volksvertreter im Parlament nicht über etwas abstimmen dürfen sollten.
Und es erschließt sich ebenfalls nicht, weshalb alternative Interpretationen nicht auch kritisiert werden sollten.
Schön gesagt...
Daniel Patrick Moynihan: "Sie haben ein Recht auf ihre eigene Meinung! Sie haben kein Recht auf ihre eigenen Fakten!"
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Skeptiker »

DarkLightbringer hat geschrieben:(09 Nov 2018, 12:07)
Es erschließt sich nicht, weshalb gewählte Volksvertreter im Parlament nicht über etwas abstimmen dürfen sollten.
Und es erschließt sich ebenfalls nicht, weshalb alternative Interpretationen nicht auch kritisiert werden sollten.
Natürlich darf das Parlament, von der legalen Seite her, beschließen was immer es will. Julian hat wohl kaum dem Parlament das Recht abgesprochen was auch immer zu beschließen. Genauso hat jeder das Recht jeden zu kritisieren. Hat irgendjemand irgendwem das Recht abgesprochen?

Eine andere Frage ist es, ob es sinnvoll ist das Parlament als gesellschaftliches Entscheidergremium für Geschichtsinterpretation zu gebrauchen. Da sehen ich eher andere Institutionen, die dazu besser geeignet wären - nämlich unabhängige Historiker, nicht vielfältig abhängige Politiker.

Ich halte das Ganze ehrlich gesagt für ein lächerliches Schmierentheater. Die einen überhöhen ein historisches Ereignis in der offenkundigen Absicht es zeitgeistlich opportunistisch einzufärben, die anderen halten dagegen um sich zu profilieren. Ganz großes Kino - eben Zeitvertreib um von echten Problemen abzulenken.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Dampflok94 »

Skeptiker hat geschrieben:(09 Nov 2018, 19:08)...
Eine andere Frage ist es, ob es sinnvoll ist das Parlament als gesellschaftliches Entscheidergremium für Geschichtsinterpretation zu gebrauchen. Da sehen ich eher andere Institutionen, die dazu besser geeignet wären - nämlich unabhängige Historiker, nicht vielfältig abhängige Politiker.
...
Geschichtswissenschaft ist vor allem eines: Eine Wissenschaft! Damit ist sie erst mal für die Ausarbeitung der Fakten zuständig. Wie diese dann zu interpretieren sind, ist dann hingegen nicht mehr ihr Monopol. Da hat dann jeder das Recht sich Gedanken drüber zu machen und diese ggf. auch öffentlich zu äußern. Gilt auch für die Politik. Problematisch wird es nur dann wenn aus politiscvhen Gründen versucht wird der Geschichtswissenschaft mit "alternativen Fakten" ins Handwerk zu pfuschen.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von imp »

Ich brauche zum Matronenaufstand keine Richtlinien aus der Berliner Quatschbude. Es ist verständlich, dass die Politiker gern was sagen wollen. Es bringt uns aber nicht weiter in der Erkenntnis und in unserem Leben.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Julian »

DarkLightbringer hat geschrieben:(09 Nov 2018, 12:12)

Im Grunde hat sich wenig geändert, was wiederum für die Aktualität des Gedenkens spricht. Die Enkel der Deutschalternativen haben ihre liebe Mühe mit dem Matrosenaufstand, die Enkel der Kommunisten betonen ihr Problem mit der SPD und die republiknahen Demokraten applaudieren der Initialzündung, die u. a. ja auch Pressefreiheit einforderte.
Die Parlamentarisierung Deutschlands und eine Regierungsbeteiligung der SPD erfolgte schon im Oktober, ganz unabhängig von irgendwelchen Matrosen.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von DarkLightbringer »

MäckIntaier hat geschrieben:(09 Nov 2018, 12:38)

Das wird der Sache gerecht. Ein Aufstand, der ein Fanal ist, die Dinge zu ändern, ist eben ein Einzelereignis. Aber es verwandelt ein Volk nicht in lauter Demokraten, dieser Weg ist mühsam und nie abgeschlossen. Und umkehrbar.
Die junge Republik hat viele Aspekte und es ist überfällig, diese Historie nicht nur als Vorgeplänkel zum Dritten Reich zu sehen, sondern als einen Abschnitt, der für sich steht. Von diesem modernen Ansatz ist auch die Serie "Babylon Berlin" geprägt.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von DarkLightbringer »

odiug hat geschrieben:(09 Nov 2018, 12:43)

Das stimmt nicht!
Stresemann hat die Reparationszahlungen nahezu negiert, und trotzdem wurde Stresemann von deutsch-nationalen Revisionisten erschossen.
Brühning zahlte gar nichts mehr an die Franzosen und die britische Regierung war sogar auf der Seite der Deutschen und sah selbst ein, dass der Vertrag von Versailles ein Fehler war.
Und dennoch marschierten die deutsch-nationalen alle mit Hitler ohne Widerstand in den Untergang ... so bedingungslos in ihrer "Treue", dass sie die Idee selbst derart diskreditierten, dass immerhin der Schock ihnen das Maul für fast 80 Jahre lang stopfte.
Doch nun kriechen sie wieder unter den Trümmern ihres Fiaskos hervor :eek:
Und diese Debatte um den Matrosenaufstand ist ein gutes Beispiel dafür.
Soziale Not gab es schon, Brüning war als Hungerkanzler sehr unbeliebt. Andererseits gab es teils auch Aufschwungjahre, die diplomatische Unterstützung durch Briten und Amerikaner, die Verständigung mit Briand und eine umfangreiche Sozialgesetzgebung.

Die gemäßigte Revolution ist aber nicht ursächlich für das Scheitern der Demokratie verantwortlich, das ist ein Verblendungsmythos der Kommunisten. Diese haben lieber selbst die junge Republik bekämpft, während die SPD bis zuletzt die Stütze war.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von DarkLightbringer »

SirToby hat geschrieben:(09 Nov 2018, 16:40)

Schön gesagt...
Vielen Dank. ;)

Man darf evtl. annehmen, dass gewisse Kreise etwas lichtempfindlich sind.
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von Julian »

odiug hat geschrieben:(09 Nov 2018, 12:43)

Das stimmt nicht!
Stresemann hat die Reparationszahlungen nahezu negiert, und trotzdem wurde Stresemann von deutsch-nationalen Revisionisten erschossen.[...]
Gustav Stresemann wurde nicht erschossen, sondern starb 1929 an den Folgen eines Schlaganfalls. Meinen Sie Walther Rathenau, der 1922 von Mitgliedern der sogenannten Organisation Konsul, einer nationalistischen und antisemitischen Terrorbande, erschossen wurde?
Victrix causa deis placuit, sed victa Catoni
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Re: 100 Jahre Matrosenaufstand in Kiel

Beitrag von odiug »

Julian hat geschrieben:(10 Nov 2018, 11:38)

Gustav Stresemann wurde nicht erschossen, sondern starb 1929 an den Folgen eines Schlaganfalls. Meinen Sie Walther Rathenau, der 1922 von Mitgliedern der sogenannten Organisation Konsul, einer nationalistischen und antisemitischen Terrorbande, erschossen wurde?
Stimmt . wo du recht hat, hast du recht!
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