einfach + gerecht = einfach ungerecht!?!

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Der Neandertaler
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einfach + gerecht = einfach ungerecht!?!

Beitrag von Der Neandertaler »

  • "Einfach. Niedrig. Sozial."
Mit diesem Heilsversprechen trat seinerzeit der FDP-Finanzpolitiker Hermann Otto Solms an, das Steuersystem etwas einfacher und damit gerechter zu machen. Der deutsche Verfassungs- und Steuerrechtler Paul Kirchhof legte im Wahlkampf 2005 seine "Vorschläge zur Reform des Bundessteuergesetzes" vor. Inhalt: die sogenannte "Flat Tax". Friedrich Merz war schon vorher mit dem Vrersprechen angetreten, jeder solle "sehr einfach, etwa auf einem Bierdeckel, ausrechnen können, wie hoch ihre Steuerschuld ist". Zu Zeiten des "Neoliberalismus", den der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder und der Grünen-Matador Joschka Fischer 2002 angeblich ausgerufen hatten, paßte das kampagnenfähige und einfache "Bierdeckel"-Steuerkonzept sehr gut.

Allen drei Vorhaben war gemein, daß jedem Erwachsenen und jedem Kind dabei ein einheitlicher Grundfreibetrag von 8000 Euro jährlich zustehen sollte. Oberhalb der 8000 Euro sah das Solms-Konzept Stufen von 12 Prozent für die ersten 16.000 Euro und 24 Prozent für das restliche Einkommen vor. Es sollte demnach letztlich dazu führen, daß eine vierköpfige Familie noch bei einem Jahreseinkommen von 40.700 Euro steuerfrei bleibt. Merz versprach drei klare und gerechte Stufen: bis 16.000 Euro - 12 Prozent, bis 40.000 Euro - 24 Prozent und darüber 36 Prozent. Seinem Steuerkonzept nach sollte beispielsweise eine Familie mit vier Personen und einem Einkommen von 60.000 Euro jährlich nur 5.280 Euro Abgaben entrichten müssen.
Das überarbeitete Steuerkonzept des Heidelberger Juraprofessor Paul Kirchhof, den der damalige SPD-Kanzlerkandidat und jetzige Gasableser aus Moskau, Gerhard Schroeder herablassend als diesen "Professor aus Heidelberg" zum ulkigen Bücherkauz abgestempelt und somit ohne soziale Verantwortung verächtlich gemacht hat, ... dieses Konzept von 2011 sah einen einfachen und gerechten Steuersatz von nur 25 Prozent vor, sowie Freibeträge und einen niedrigeren Eingangssteuersatz für Geringverdiener.
  • >>> Schnitt! <<<
Wir haben etliche Bücher über "ganz legale Steuertricks" und jährlich kommen viele hinzu. Wir benötigen teilweise auch Steuerberater, die sich in den (Un-) Tiefen des Steuerrechts auskennen. Herrliche Zeiten würden anbrechen, wenn jeder "sehr einfach"und "auf einem Bierdeckel" seine Steuerschuld ausrechnen kann.

Von Zeit zu Zeit kommt die Forderung nach Durchforstung und Vereinfachung unserer Gesetze auf. So brauchte es wohl vielleicht nur den Paragraphen 1 der StVo, wonach die Teilnahme am Straßenverkehr "ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht" erfordert und jeder, der am Verkehr teilnimmt, sich so zu verhalten hat, "daß kein anderer geschädigt, gefährdet oder, mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird." Was aber würde geschehen, würden wir die StVo darauf begrenzen, jeder aber 'seinen' Fall als 'speziellen Fall' betrachtet haben will?
  • Einfach - gerecht?
Ist die Kompliziertheit nicht dem geschuldet, weil wir 'Einzelfallgerechtigkeit' wollen?
Wohl deshalb sind auch einige EU-Richtlinien und Verordnungen recht kompliziert aufgebaut. Etwa die 'Feinstaub-Richtlinie'! Oder EU-Abstimmungsverfahren und die Beschlußfassung mit einer "doppelten Mehrheit"?!?

Einfache Frage:
  • ist also einfach auch gerecht?
    • ... immer und in jedem Fall?
      • ... in jedem Einzelfall?
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Maikel
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Re: einfach + gerecht = einfach ungerecht!?!

Beitrag von Maikel »

Der Neandertaler hat geschrieben:(03 Jan 2019, 15:34)

Ist die Kompliziertheit nicht dem geschuldet, weil wir 'Einzelfallgerechtigkeit' wollen?
Ja, sicherlich; ein Problem dabei ist aber, daß die Kompliziertheit auch wieder zu Ungerechtigkeiten führt: z.B. beim Ausfüllen des Steuerbescheides haben diejenigen Vorteile, die die komplizierten Regeln kennen und sie nutzen können.
Entsprechendes gilt für die Beantragung von Zuschüssen etc.
Die menschliche Sprache ist einzigartig, aber nicht eindeutig.
Jeder Versuch, sich mitzuteilen, kann nur mit dem Wohlwollen der anderen gelingen.
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Der Neandertaler
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Re: einfach + gerecht = einfach ungerecht!?!

Beitrag von Der Neandertaler »

Hallo Maikel.
Maikel hat geschrieben:... beim Ausfüllen des Steuerbescheides haben diejenigen Vorteile, die die komplizierten Regeln kennen und sie nutzen können.
Entsprechendes gilt für die Beantragung von Zuschüssen etc.
Wäre das nicht immer der Fall?
    • ... daß ich also weiß was ich tue?
      • ... oder mir eventuell Hilfe dazu einhole?
Ich muß nicht alles wissen - ich muß nur wissen wo es steht!
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imp
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Re: einfach + gerecht = einfach ungerecht!?!

Beitrag von imp »

Eine vierköpfige Familie mit einem Jahreseinkommen um 40.000 hat nach Abzug der SV und des Kinderfreibetrages gar nicht so wahnsinnig viel Geld übrig - um deren Steueraufkommen geht es überhaupt nicht. Der Streit um Flachsteuern kommt eher von den spitzen Einkommensgruppen. Da fragt man sich doch, warum? Wollen SPD und Linke Familien ärgern? Oder ist das einfach nur ein Steuersparprogramm für die üblichen Verdächtigen?

In Zeiten, da der Staat den Normalarbeitern Pauschalsteuererklärungen vordruckt und ein Programm zur selbstgenähten Steuererklärug 12 Euro kostet, sollte niemand mehr an volksfreundliche Märchen aus Heidelberg glauben.
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Little Joe
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Re: einfach + gerecht = einfach ungerecht!?!

Beitrag von Little Joe »

Ein einfaches Gerechtigkeitsverständnis führt oft zu Ungerechtigkeit. Denn wer legt den Begriff " gerecht " aus ? Nach einem Kneipenabend hat Otto Solms vielleicht ein einfaches Gerechtigkeitskorsett an, ob dieses aber in den Augen anderer gerecht erscheint kann mit gutem Gewissen bezweifelt werden.
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Wissen ist besser für den Verstand.
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