MäckIntaier hat geschrieben:(20 Aug 2018, 08:12)
Mehr als seine Autorität kraft Amtes scheint der Mann hierbei nicht in die Waagschale des Argumentativen zu legen haben. Vom Rechnen mit dem Schafscharakter der Untertanen scheint auch dejenige nicht frei, der sich selbst den Aufklärern zurechnet.
Weder Riexinger noch Bartsch wollen da ernsthaft reinpieksen. Die haben besseres zu tun, als diese Bewegung als vorrangig links schielend darzustellen. Mit Kipping kann sowieso niemand. Die ist inzwischen der von allen geduldete irrelevante Platzhalter auf dem Chefsessel, der die Parteibürokratie verwaltet und ansonsten verhindert, dass da die jeweilige Konkurrenz der verschiedenen Kreise sitzt. Der Parteivorsitzende der Linken ist traditionell eine schwache Figur, anders als teilweise die Landesvorsitzenden.
Vielleicht wäre es sinnvoll, die Frage nicht nur im Sinne des politischen Boulevards zu betrachten, sondern diesen Gründungsversuch einmal in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Der oben verlinkte Colin Crouch hat zumindest in einem Recht, dass nämlich den Parteien, und zwar nicht nur den Sozialdemokraten, im Zuge der Veränderung der Gesellschaft die klassische Klientel abhanden gekommen ist. Die deutsche Parteienlandschaft müsste in diesem Sinne noch einmal völlig neu geordnet werden, die Parteien müssten sich im Idealfall auflösen und entlang bestimmter grundsätzlicher Themen dann noch einmal neu zusammenschließen.Teile der Linken stehen den Grünen nahe, andere, insbesondere im Osten, der CDU viel näher als jeder anderen Partei, gerade im nicht-urbanen Bereich. Das gälte es, als Botschaft dieses Gründungsversuchs unter anderem herauszulesen.
Ich mach das jetzt mal ganz platt und ungerecht, damit auch keiner denkt, irgendwer käme zu gut weg:
Es gab aus der Linken oder PDS heraus immer mal wieder Versuche, das aufzulösen. Als die Kipping-Fraktion noch jung war, standen ihre Vertreter sinngemäß für "scheiß auf ossi, wir sind links" und hatten dabei vor allem einen Schwerpunkt bei Meinungsthemen - Rechtsextremismus, Drogen, Studiengebühren, Feminismus, "Demokratisierung der Demokratie", Kritik an Militarismus und Weltordnungsbemühungen, Abgrenzungsdebatten von der DDR oder den 68ern (wahlweise), so Israelzeug (überwiegend pro), lauter so Sachen, die irgendwie wichtig sind und traditionelle Rechts-Links-Scheidelinien darstellen. Dagegen gab es unter den "konservativen" Linke-Vertretern zwei andere Stoßrichtungen. Lafontaine, Wagenknecht, Brie/Klein/Brie, übrigens auch Bartsch standen über viele Jahre bei "Sozialstaat zuerst" - Dritter Arbeitsmarkt, Mindestlohn bzw Gewerkschaften, Kündigungsschutz, Kitas - Themen, wo die damaligen Jungen Wilden nicht unbedingt dagegen sprachen, die ihnen aber im Zweifel am Studenten-Arsch vorbei gingen. Allenfalls bei Bafög gab es da mal Schnittmengen. Der Konflikt dreht sich hier eher um die Ansprache der Wähler. Da sind sich die beiden Gruppen im Weg. Wer mit FDP und Grünen um orientierungslose junge Freiheitsliebende balgt, findet die Ansprache der Sozialwähler vieles "nicht links", "autoritär" oder wenn man bös sein will wahlweise DDR-nostalgisch oder rechtsoffen. Dabei ist das Thema DDR eigentlich bei einem anderen Flügel zuhause, den nenne ich mal CSU des Ostens. Die SED, PDS als (ehemals) dominierende Partei in 40 Jahren DDR hatte zahlreiche Mitglieder und Sympathisanten, die an der vorfindlichen Gesellschaft praktische gute Momente fanden, die ihren Platz hatten und im Sinne von Karriere und Lebensqualität an dieser DDR mitbastelten, ob nun als Kita-Angestellte, ehemalige Kulturbund-Mitarbeiter, Theaterdarsteller, Polizist, was auch immer. Die interessierten sich typischerweise nicht für Ideologie im engeren Sinne, sondern für praktische Fragen, waren in der Nachbarschaft und Stadtgesellschaft halbwegs wohlgelitten und wurden, so sie Mitglieder wurden oder blieben, nach 1990 reihenweise in Kommunalparlamente und Landtage gespült: Halbwegs vorzeigbare Leute von nebenan, die mit dem alten DDR-"Way of Life" arrangiert waren, der gerade für alle sichtbar zusammenbrach, die eben nicht aus der Kaderelite im engeren Sinne kamen, keine Predigten hielten und sich darum kümmerten, so viel wie möglich Liebgewonnenes durch Krise, Reorganisation und Delegitimation der alten Welt hindurchzuretten. Parteilich gesehen hat dieser Flügel bei den zweiten Wahlen 1994/5 und den Bundestagswahlen 1994/1998 das Rückgrat dieser Linkenpartei dargestellt, hat den immer noch desorganisierten Torso, der in Bayern oder Hessen lange nichts zu melden hatte, in die Parlamente gerettet. Diese Leute, die es auch in der SPD gab, haben dazu beigetragen, dass das relativ dichte Kita-Netz im Osten so lange überlebte, bis der Lauf der Zeit und die gesellschaftliche Veränderung den Aufbau von Ganztagsschulen und Kitas selbst in Bayern zum Normal machten. Die Koalition aus den Osttypen und den Sozialtypen war der Stoff, aus dem relative Mehrheiten Ost gemacht sind. Die Koalition aus Sozialstaatstypen und Linksfreiheitlichen war der vermittelbare Mix für die Westausdehnung, der solchen Regionalmehrheiten, Landrats- und Ministerpräsidententräumen im Weg stand.
Es ist dieser Teil der SED/PDS/Linke, der am Ehesten assoziiert werden kann mit einer nicht ideologischen, eher habituellen Bejahung von DDRismen, von einer verklärenden Sicht einer Generation auf ihre Jugend und diese "es war doch nicht alles schlecht"-Redeweise. Es ist eine Art Volkstümlichkeit, die politisch über die Zeit hinweg ein wenig beliebig aussieht, die vor allem für radikale Linke oder Liberale gleichermaßen und für viele Bundesdeutsche absolut unvermittelbar ist. So, wie die CSU in ihrer ganzen Machart vielen Nichtbayern unerträglich scheint, ohne dass man viel über konkrete Politik reden müsste. Die Vertreter dieses Flügels sind über die Jahre alt geworden, politisch besiegt oder abtrünnig geworden, sie sind teilweise sehr schräg in andere Parteien gewechselt (CDU, FDP) oder ganz einfach gestorben. Es gibt heute für eine spezifisch ostdeutsche Gemeinsamkeit, die nicht im engeren Sinne sächsisch oder brandenburgisch... ist auch keine große Nachfrage mehr. Dies und nicht etwa die Fusion mit der WASG und die inzwischen weitgehend passierte Westausdehnung hat diesen Flügel politisch besiegt. Das hat sich in Wahlen zunächst nicht weiter geäußert, weil die Linke zunächst das einzige echte Angebot an diese Wähler wurde.
Heute, etwa eine Generation Jahre später, versucht sich die AfD in einer Art nationalem Sozialismus, bedient neuere Ängste, die in den 90ern eine sehr untergeordnete Rolle gespielt haben. Während das Ostalgie-Klientel nicht mehr da ist (und auch keine Vertreter mehr da sind, die es brauchbar ansprechen könnten), ist dessen etwas autoritäre, partikularistische Nachfolge bei Ost-CDU und AfD halbwegs zuhause. Dort trifft es sich wieder mit Leuten, denen Sozialstaat wichtig ist und Modernität suspekt und deren Chiffre der Umgang mit dem muslimischen Zuwanderer ist. Das macht zusammen eine Schrumpfung der Ostlinken von fast 30 % auf eher 15-22%.
Wollen wir mal ganz bösartig die Karrieren von Leuten umschreiben, die in diesem Umfeld agierten, können wir sagen: Beim Sozial-zuerst-Flügel war früher der Herausgeber des rechtsradikalen Compact-Magazins Jürgen Elsässer sehr populär. Wie sehr die Sammlungsbewegung von Lafontaine und Wagenknecht diesen Spuren folgt oder tatsächlich links sein will im Sinne von Freiheit, Modernität, Minderheitenschutz, das wird sich zeigen.
Auch mancher einstige Anhänger des Kipping-Flügels ist über Jungle World längst bei der WELT gelandet und vertritt heute, dass man zum Schutz von Frauen, Juden und Schwulen am Besten alle Muslime so hart wie möglich drangsaliert und am Besten rauswirft bzw im Falle Israels zu möglichst robustem Vorgehen gegen Nachbarn und Autonomiegebiete aufruft. Für eine irgendwie seriöse Debatte um die Zukunft Deutschlands sind diese Typen längst verloren, die haben andere "Probleme".
Ja, die Parteienkonstellation der 90er hat ihre Wählerschaft verändert, weil die Gesellschaft eine andere geworden ist. Die Sammlungsbewegung versucht eine Art Antwort darauf zu bieten, während die neuere Parteiaristokratie zu vielen dieser Fragen sprachlos und stumm ist und allenfalls erklären kann, dass sie da eben nichts dran tun kann.
Exemplarisch Benjamin Hoff
https://www.huffingtonpost.de/entry/thu ... 2d49af33c5
“Wir können uns als Linke nicht inhaltlich selbst entkernen, um eine Gruppe von Wählern zu halten, die unsere Grundwerte explizit nicht teilen”, sagte Hoff im Gespräch mit der HuffPost.