Diskutant hat geschrieben:(28 Feb 2018, 00:25)
hallo selina,
ich möchte mit dir gerne den artikel diskutieren. zunächst sei gesagt, das die verwendung des begriffes 'islamophobie' dem artikel einen unangenehmen beigeschmack gibt, weil dieser impliziert kritik am islam wäre eine krankheit. dabei sind weltanschauungen und religionen selber niemals wertfrei und rufen immer zustimmung/anerkennung ablehnung/kritik hervor. kritik an einer religion zum gegenstand eines krankheitsbildes zu machen ist mMn höchst problematisch.
Einverstanden. Dann nennen wir es halt Islamfeindlichkeit. Denn das, was ich meine, hat wirklich nichts mit einer Krankheit, sondern mit Machtpolitik zu tun. Unter dem Deckmantel der Kritik am Islam will man Stück für Stück suggerieren, dass die Flüchtlinge, die ja größtenteils Muslime sind, hier nichts zu suchen hätten. Man will niemanden von ihnen hier dulden, vor allem dann nicht, wenn sie sich nicht assimilieren (ich bin für Integration statt Assimilation) und so verunglimpft man eben alle über Bausch und Bogen. Die Argumente, die zur Verunglimpfung verwendet werden, sind bekannt. Was ich aber an diesem Zeit-Beitrag recht gelungen finde (ohne ihn nun gleich für das Nonplusultra zu halten), ist, dass die Autorin antithetisch herangeht und niemals nur Positives nennt, sondern immer auch das in ihren Augen Kritikwürdige.
Diskutant hat geschrieben:zum anderen schreibt die autorin unter anderem von den vielfältigen realitäten des islams. "Es gibt den liberalen, Alkohol trinkenden syrischen Filmemacher ebenso wie die konservative libanesische Großfamilie."
jetzt möchte ich von dir wissen, welche der in diesem satz genannten gruppen unter den asylbewerbern die größere stellt. gibt es mehr syrische, alkoholtrinkende flimemacher oder mehr islam-konservative libanesische großfamilien unter den asylbewerbern? meine meinung ist, das die dosis das gift macht und man aus den erfahrungen der vergangenheit lernen sollte. du kannst dich ja zum thema libanesische großfamilien in deutschland einlesen, und mir dann beantworten warum man der einwanderung von syrischen großfamilien im großen maßstab nicht ablehnend gegenüber stehen sollte.
Die Autorin sagt ja gar nicht, dass man solche Erscheinungen nicht kritisch sehen soll oder darf. Sie nennt immer beide Seiten. Und in dieser Gegenüberstellung kann man sich seine Meinung bilden. Das vollständige Zitat geht ja so:
Die Lebensweisen der Muslime im Nahen Osten (nicht alle Araber sind Muslime, es gibt auch arabische Juden, Christen, Atheisten) sind nicht weniger vielfältig als die der Muslime in Deutschland und Europa. Einige Muslime sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, andere sind vor Krieg und Terror hierher geflohen, wieder andere sind etwa als Gastarbeiter aus der Türkei gekommen. Es gibt den liberalen, Alkohol trinkenden syrischen Filmemacher ebenso wie die konservative libanesische Großfamilie. Es gibt Muslime, die sich streng an die Gebote des Koran halten, und andere, die den Koran noch nie gelesen haben. Sie alle verstehen ihre Religion auf unterschiedliche Weise. Doch in Deutschland wird es immer schwieriger, differenziert über die vielen Facetten des Islam, die Abgrenzung zu Islamismus und Dschihadismus zu diskutieren. Der Ton ist schriller geworden, die Debatten sind vergiftet. Der Diskurs über die arabische Welt hat sich sukzessive verschärft – und so auch das Bild der Muslime in Deutschland negativ geprägt.
Diskutant hat geschrieben:mich macht ebenso mißtrauisch, das die autorin mit keinem wort die weibliche beschneidung erwähnt, die für mehr als 80% der ägypterinnen zu einer der im artikel genannten realitäten des islams gehört.
Die Autorin erwähnt es aber (nicht ausführlich, da es ja nicht Hauptthema ihres Beitrages ist, aber sie erwähnt es in den vielen gegensätzlichen Facetten, die sie aufzählt). Ich zitiere:
Ich kenne die Schwierigkeiten, die es in einigen arabischen Ländern gibt. In Ägypten habe ich erlebt, wie es ist, wenn Religion und Staat nicht getrennt sind, Presse- und Meinungsfreiheit nicht existieren, die Opposition ausgeschaltet wird. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man die Straßenseite wechselt, um den herablassenden Kommentaren männlicher Passanten zu entgehen. Wie es ist, wenn 30 Männer mit Stöcken in der Hand hinter einem herrennen, weil sie glauben, dass man eine Spionin sei. Aber ich habe auch erlebt, wie Ägypterinnen Demonstrationen für Frauenrechte anführen, Männer gegen Genitalverstümmelung kämpfen, wie sich schwule Aktivisten organisieren. Die jungen Ägypter, Syrer, Tunesier, die Technopartys feiern, die Feministinnen, die sich von den Dogmen der Eltern lossagen, die liebevollen Familienväter, die Gastfreundschaft.
Das antithetische Herangehen im Zeit-Beitrag finde ich gut. Es geht immer um "einerseits" und "andererseits". Diese Differenziertheit fehlt halt oft in den Diskussionen. Da wird aus politischem Kalkül einseitig ein negatives Bild über die Muslime in ihrer Gesamtheit vermittelt, das mich einfach skeptisch macht. Der Islam hat weltweit 1,6 Milliarden Anhänger. Die alle undifferenziert abzulehnen, finde ich kindisch und unüberlegt. Und niemand - falls er nicht gerade Islamwissenschaftler ist - hat so viele Kenntnisse über das Denken und Leben all dieser Menschen in ihrer Differenziertheit, dass er sich so ein Pauschalurteil erlauben darf. Ich selbst bin Atheistin und sehe auch im Christentum und bei seinen Anhängern Dinge und Erscheinungen, die mir nicht gefallen, die ich rückschrittlich finde (etwa die Einstellung vieler Christen zum Schwangerschaftsabbruch oder zur Cannabisfreigabe), aber ich käme nie auf die Idee, alle Christen gleichermaßen und über Bausch und Bogen zu verurteilen.
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitges ... islam-3-02
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz