die Außenpolitik von Qatar von der WM und Al Jazeera

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Platon
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die Außenpolitik von Qatar von der WM und Al Jazeera

Beitrag von Platon »

Wer die Politik in der arabischen Welt und auch darüber hinaus verfolgt hört immer wieder von einem Land - Qatar. In diesem Strang möchte ich über die Außenpolitik dieses kleinen Landes sprechen, welche für den arabischen Frühling wichtig und dazu überaus interessant ist.
Qatar ist ein sehr kleines Land am arabischen Golf, in dem aktuell etwas über 1,6 Mio Menschen leben. Davon sind allerdings nur ~20% wirkliche Qataris, die überwiegende Bevölkerungsmehrheit sind Gastarbeiter von überall auf der Welt. Hauptsächlich andere Araber, Inder, Philipinos, Nepalesen und Pakistaner.

http://images.fordaq.com/dcp-90000-8090 ... L--Map.gif

Der atemberaubende Wohlstand der Qataris gründet sich auf umfangreiche Öl- und ganz besonders Gasvorkommen (die Größten nach Russland und Iran) , Einnahmen von einem riesigen US-Stützpunkt, und auch die Fähigkeit große Summen weltweit zu investieren. Die Größtenordnung dürfte weltweit bei mindestens mehreren Hundert Milliarden Dollar liegen.

Die Außenpolitik des Staates wird vor allem von zwei Personen gelenkt.
1. dem Emir von Katar - Hamad bin Khalifa Al Thani
2. seinem Cousin Jassim bin Jaber Al Thani welcher derzeit in Personalunion Premierminister und Außenminister ist.

Wenn man sich die Außenpolitik der letzten Jahre anschaut fällt einem vor allem die Gründung von Al Jazeera, die mal mehr mal weniger erfolgreichen Versuche in Konflikten in der Region zu vermitteln und die Herstellung von Kontakten mit wirklich allen Akteuren in der Region auf. So hat Qatar gute Kontakte sowohl zum Iran, Hisbollah, Hamas oder al-Sadr aus dem Irak als auch zu Israel und den USA (Al Udeid Air Base - Wikipedia) in diesen Tagen gab es ja sogar die Meldung die Taliban würden ein Büro in Doha, der Hauptstadt Qatars errichten.
Dazu das sportliche Engagement mit der Ausrichtung der Asienspiele 2006 und natürlich die erfolgreiche Bewerbung um die FIFA-Fussballweltmeisterschaft 2022.
Die größten Erfolge in der Diplomatie war die Lösung einer langen politischen Krise im Libanon 2008 durch das Doha-Agreement sowie Vermittlung im Darfur-Konflikt. Auch das Büro der Taliban kann man sich sicherlich als Erfolg zu gute heißen, dazu hat man bei praktisch jedem Konflikt in der Region zu vermitteln versucht.
Qatar ist in der Lage durch seine große diplomatische Reputation und die Unmengen an Milliarden US-Dollar einen großen Einfluss über "Soft Power" zu nehmen.
Jedoch änderten sich die Methoden der katarischen Außenpolitik 2011 durch die Ereignisse im arabischen Frühling dramatisch. Man gab nämlich nicht nur dem Hauseigenen Fernsehsender Al Jazeera das Ok die arabischen Aufstände in Tunesien, Ägypten, Libyen und nach kurzem Zögern auch Syrien vorbehaltslos zu unterstützen (ganz eingeschränkt in Bahrain und in Saudi-Arabien überhaupt nicht), man setzte sich im Fall Libyens sogar an die Spitze der Gaddafi-Gegner. Man war nicht nur die ersten welche die Rebellen als offizielle Botschafter Libyens anerkannten, man lieferte diesen auch Waffen, finanzierte und trainierte sie - flog sie hierzu teilweise sogar nach Qatar ein - sondern man beteilligte sich auch selbst an Kampfhandlungen durch einige Hundert Soldaten (die auch aktiv an der Eroberung von Tripolis beteilligt gewesen sein sollen) sondern man stellte auch 6 Kampfflugzeuge für die "No Fly Zone" der NATO und sorgte dafür, dass Libyens Mitgliedschaft in der arabischen Liga suspendiert wurde, womit man der NATO ein arabisches Ok für ihren Krieg gegen Gaddafi lieferte.
In Syrien stellte man sich zunächst wie Saudi-Arabien auf die Seite von Assad, ab April allerdings änderte man seine Meinung und unterstützt seitdem eindeutig die Anti-Assad-Fraktion, gemeinsam mit Saudi-Arabien und Anderen. Auch Syriens Mitgliedschaft ist mittlerweile suspendiert, wenngleich die Bereitschaft für eine direkte Militärintervention derzeit noch überaus gering ist. Es gibt aber auch hier Gerüchte, dass man die Opposition finanziell und militärisch unterstützt. Damit spielt Qatar durch Al Jazeera sowie die Soft Power die es ausübt längst eine Schlüsselrolle in der Region in Zeiten der arabischen Revolten. Während die meisten anderen arabischen Ländern derzeit versuchen durch Reformen oder militärisch an der Macht zu bleiben, sofern es nicht längst zur Revolte gekommen ist, kann man selbst die Politik aktiv gestalten und man fördert dazu offensichtlich vor allem islamistische Mächte wie die An-Nahda in Tunesien oder der berühmt berüchtigte Abdelhakim Belhadj der es in seinem bewegten Leben bereits vom Al-Kaida-Terroristen zum Kommandeur von Tripolis und damit einem der Mächtigen in Lybien gebracht hat.
Dazu ist man natürlich ein wichtiger Investor sowohl in der arabischen Welt als auch im Westen.

Wie ist nun diese Außenpolitik Qatars zu erklären?
Es scheint dem Land vor allem um Souveränität, Stabilität und Einfluss zu gehen.
- Das Erlangen von größtmöglicher Souveränität ist zu erklären durch die Lage des Landes. Zwischen den derzeit beiden größten Mächten Saudi-Arabien und Iran ist es ein verschwindend kleines Eiland welches immer potenziell bedroht ist zwischen beiden Mächten aufgerieben zu werden. Das zeigt sich vor allem am Beispiel des Irans, denn der große Reichtum Qatars speist sich zu großen Teilen aus einem gigantischen Gasfeld im persischen Golf, welches allerdings teilweise vom Iran kontrolliert wird. siehe:
http://theenergylibrary.com/files/images/4-qatar.jpg

Es ist also durchaus möglich, dass ausländische Mächte versuchen könnten das Land zu dominieren weswegen es einleuchtend ist, dass man bemüht ist größtmögliche Unabhängigkeit von jedweder Macht zu erlangen. Man bemüht sich eine diplomatische Drehscheibe der Region zu sein, mit jedem gute Kontakte zu haben und durch Friedensschlüsse wie im Libanon oder das Ausrichten von Sportveranstaltungen wie die Asienspiele 2006 oder die FIFA WM 2022 das nationale Prestige zu steigern. Dazu gibt es regelmäßig alle möglichen Konferenzen und Veranstaltungen in praktisch sämtlichen Bereichen, wir alle dürften auch schon auf EuroSport die Werbung für Qatarische Sportinstitutionen gesehen haben.

Ein großes Interesse für Qatar scheint auch das Erreichen von Stabilität zu sein. Weil in einer arabischen Welt welche langfristig in Kriegen und Unruhen versinkt würde ein Land mit rund 250 000 "wirklichen" Einwohnern, aber den drittgrößten Gasreserven weltweit, doch arge Probleme bekommen. Dies schafft man durch das eigene Engagement bei Friedensverhandlungen und durch das Herstellen von Kontakten.
Man mag einwenden, dass die Unterstützung der arabischen Revolten diesem Ziel eher entgegenwirkt. Aber wenn die demokratischen Systeme mal etabliert sind wird das langfristig der Stabilität ziemlich förderlich sein.

Dazu sieht man gerade in diesem Jahr mit der Unterstützung vor allem islamistischer Akteure in Libyen (Belhadj), Tunesien (an-nahda), Palästina(Hamas) und nun auch Syrien, dass man bemüht ist den eigenen Einfluss in der Region auszubauen. Auch die Bereitschaft mit allen Akteuren in der Region Kontakte zu haben erhöht den eigenen Einfluss und man kann in Lücken schlüpfen wie es z.B. aktuell bei den Islamisten ist wo westliche Mächte zumeist eher vorsichtig sind. Man kann natürlich auch spekulieren, dass man als Golfemir aufgrund der eigenen islamischen Prägung auch besonders gerne mit islamisch orientierten Akteuren zusammenarbeitet als mit eher Säkularen.

Auch wenn es wohl etwas übertrieben wäre ihn allein als Instrument Qatarischer Außenpolitik zu sehen ist der Fall des ägyptischen Predigers Yusuf Al Qaradawi interessant, welcher wie so viele in Qatar Zuflucht suchte und der durch eine Fernsehsendung auf Al Jazeera zu großer Berühmtheit in der arabischen Welt und dann auch darüber hinaus gelangte. Dazu ist er weltweit hervorragend vernetzt und nutzt auch das Internet geschickt, aber das ist eine andere Sache. In jedem Fall wohnt er schon sehr lange in Qatar und hat auffallend oft diesselbe Meinung wie die qatarische Außenpolitik z.B. was Gaddafi und Assad betrifft. Er hatte öffentlich zum Tod von Gaddafi aufgerufen, Syriens Aufstand unterstützt allerdings Bahrains Revolution als sektiererisch verurteilt.

Ein wichtiger Teil der Außenpolitik des Emirs ist meines Erachtens Al Jazeera. Weil eigentlich sollte es ein unparteiischer Leuchtturm der Meinungsfreiheit in der Region sein. Es gibt allen Seiten die Möglichkeit ihre Sicht der Dinge zu erläutern seien es Israelis oder Taliban, gleitet aber allzu häufig in Populismus ab. Wie im Grunde alle Nachrichtensender und es ist wirklich lohnenswert mal reinzuschauen. Jedoch hat sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass sich die Berichterstattung je nach außenpolitischer Ausrichtung von Qatar ändert. So verschwanden Oppositionelle aus Saudi-Arabien auf einmal schlagartig als beide Länder sich aussöhnten und auch die Berichterstattung zu Syrien veränderte sich ab April. Somit spiegelt letztlich auch die Bereitschaft (fast) allen in ihren Sendungen eine Stimme zu geben nur Qatarische Außenpolitik wieder und weniger die wehende Flagge der arabischen Meinungsfreiheit.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Qatar bemüht ist eine möglichst unabhängige Außenpolitik zu betreiben, indem man versucht mit praktisch allen politischen Akteuren in der Region gute Beziehungen zu unterhalten und das eigene Prestige und Ansehen durch Engagement in Friedensverhandlungen und durch Ausrichtung von Sportveranstaltungen und Konferenzen zu erhöhen. Hierdurch ist es möglich zwischen den Regionalmächten Iran und Saudi-Arabien mittels Soft Power ein großes Maß an Unabhängigkeit zu erreichen. Im letztem Jahr sah man durch die arabischen Revolten vor allem gegen Gaddafi und Assad die Möglichkeit den Einfluss durch Unterstützung der Rebellen zu vergrößern. Im Moment ist man in praktisch alle wichtigen Themen federführend involviert und es gelingt als sehr kleines Land einen unverhältnismäßig großen Einfluss auszuüben. Man ist im Moment geradezu ein Schlüsselstaat in der Region der am Ehesten gestalterisch tätig werden kann und wird.

Artikel zum Thema:
Qatar Wields an Outsize Influence in Arab Politics
http://www.nytimes.com/2011/11/15/world ... &ref=world
Qatar’s Source of Arab Springs
http://www.project-syndicate.org/commen ... b2/English
Tiny Qatar’s Big Plans May Change Mideast: Meghan L. O’Sullivan
http://www.bloomberg.com/news/2011-10-0 ... livan.html
Scheichtum mit Ambitionen
http://www.taz.de/!73075/
Behind Qatar's Intervention In Libya
http://www.foreignaffairs.com/articles/ ... ?page=show
For Qatar, Libyan Intervention May Be a Turning Point
http://www.nytimes.com/2011/04/04/world ... .html?_r=1
How Saudi Arabia and Qatar Became Friends Again
http://www.foreignpolicy.com/articles/2 ... n?page=0,1
Video:Katar auf dem Weg zu politischem Einfluss
http://de.euronews.net/2011/04/13/katar ... -einfluss/
Politik mit Fernsehbildern
http://www.sueddeutsche.de/politik/arab ... -1.1142894
Qatar's influence increases in the Middle East
http://www.guardian.co.uk/commentisfree ... iddle-east
Qatar, Playing All Sides, Is a Nonstop Mediator
http://www.nytimes.com/2008/07/09/world ... gewanted=2
Zuletzt geändert von Platon am Donnerstag 5. Januar 2012, 22:51, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: die Außenpolitik von Qatar von der WM und Al Jazeera

Beitrag von Platon »

Ein aktueller Fall für die Verschwörungstheoretiker und Anti-Imperialisten unter uns ist auch die Meldung der lybische Kommandeuer mit Al-Qaida-Vergangenheit Abdulhakim Belhadj würde sich in an der Türkisch-Syrischen Grenze aufgehalten haben und mit Leuten von der Free Syrian Army über Unterstützung reden und eine Armee zum Sturz von Assad aufbauen.
Leading Libyan Islamist met Free Syrian Army opposition group

Libyan authorities this week dispatched the country's most renowned Islamist militia leader to meet senior figures of the Free Syrian Army, The Daily Telegraph has learned.

Abdulhakim Belhadj, head of the Tripoli Military Council and the former leader of the Libyan Islamic Fighting Group, "met with Free Syrian Army leaders in Istanbul and on the border with Turkey," said a military official working with Mr Belhadj. "Mustafa Abdul Jalil (the interim Libyan president) sent him there."

The "covert operation" was immediately laid bare when a rival Libyan rebel brigade detained Belhaj at Tripoli airport, accused him of travelling on a fake passport, and declared they would jail the senior military leader.

Only a letter from the country's interim president was enough to persuade them to let him leave the country.

The meetings came as a sign of a growing ties between Libya's fledgling government and the Syrian opposition. The Daily Telegraph on Saturday revealed that the new Libyan authorities had offered money and weapons to the growing insurgency against Bashar al-Assad.

Mr Belhaj also discussed sending Libyan fighters to train troops, the source said. Having ousted one dictator, triumphant young men, still filled with revolutionary fervour, are keen to topple the next. The commanders of armed gangs still roaming Tripoli's streets said yesterday that "hundreds" of fighters wanted to wage war against the Assad regime.[...]
Leading Libyan Islamist met Free Syrian Army opposition group
The Qatar oil emirate, encouraged by its successful participation in the campaign to overthrow Libya's Muammar Qaddafi, has established a Sunni Arab intervention force to expedite the drive for Syrian President Bashar Assad's ouster, debkafile's military sources report. The new highly mobile force boosts the anti-Assad Free Syrian Army, whose numbers have jumped to 20,000 fighters, armed and funded by Qatar and now forming into military battalions and brigades at their bases in Turkey.
When they saw the Syrian massacre continuing unabated this month, the Qatari and Saudi rulers approved a crash program for the Qatari chief of staff Maj.-Gen Hamas Ali al-Attiya to weld this mobile intervention Sunni Muslim force out of al Qaeda linked-operatives for rapid deployment on the Turkish-Syrian border.
A force of 2,500 has been recruited up until now, our sources report. The hard core is made up of 1,000 members of the Islamic Fighting Group in Libya-IFGL, which fought Qaddafi, and 1,000 operatives of the Ansar al-Sunna, the Iraqi Islamists which carried out 15 coordinated bomb attacks in Baghdad last Thursday killing 72 people and injuring 200.
Qatar has just had them airlifted from Libya and Iraq to the southern Turkish town of Antakya (Antioch) in the border province of Hatay.[...]
http://www.debka.com/article/21602/

http://english.pravda.ru/world/asia/01- ... s_Syria-0/
http://www.presstv.ir/detail/218149.html
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