Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

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Quatschki
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Quatschki »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 08:33)

Klar, der hätte dann bei ihrer Tochter gehangen. Die ganzen SED-Mitglieder haben auch Westradio gehört.
Glaub ich kaum.
Ab dem Moment, wo die Lehrerin daraus eine Szene gemacht hat, war es ein offizielles Vorkommnis an einer sozialistischen Schule.
Und da niemand wußte, auf wem Saurons Auge ruht und wer alles dem Ministerium für politische Schönheit Bericht erstattet, waren alle Beteiligten bemüht, sich keine Blöße zu geben und dem sozialistischen Klassenstandpunkt Geltung zu verschaffen.
Natürlich wäre dem Delinquenten nicht der Kopf abgerissen worden, aber man hätte doch erwartet, dass er seine Verfehlung einsieht und die Scharte mit doppeltem Eifer auswetzt!
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imp
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

Quatschki hat geschrieben:(04 Dec 2018, 13:37)

Glaub ich kaum.
Kann man nachlesen in zahlreichen Artikeln und Biographien. Im Gegensatz zum Nationalsozialismus haben die Ostsozialdemokraten eher selten wen umgebracht für unerwünschte Oppositionssprüche, das falsche Buch im Schrank oder ähnliches.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Quatschki »

schokoschendrezki hat geschrieben:(04 Dec 2018, 09:17)
... Und nun, 1988, das Sputnik-Verbot wegen eines Artikels zum Hitler-Stalin-Pakt ... Nicht die "Kirche von Unten", nicht die sonstigen Oppositionsbewegungen waren plötzlich Feind Nummer Eins. Was war daran so besorgniserregend für die Genossen? Ich sags dir: Dass man einen Blick hinter die Fassaden wagt. Ideologiekritik ist Fassadenkritik. Darauf ließ man sich noch ein. Aber bitte nicht hinter die Fassaden schauen. Das geht gar nicht. Immer gibt es Fassaden und Tatsächlichkeiten. Und wer die wirklichen Zusammenhänge verstehen will, muss hinter die Fassaden und auf die Tatsächlichkeiten blicken wollen. "Nationalsozialismus" ist eine ideologische Fassade.
Das "Sputnikverbot" hat eher innerhalb der SED, also innerhalb jener Kreise, die sich für "gute Sozialisten" hielten, für Unruhe und Debatten gesorgt.
Außerhalb gab es eher Spott, weil die Genossen ihrer eigenen Parole "Von der Sowjetunion lernen heißt Siegen lernen!" nicht mehr über den Weg trauten.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von schokoschendrezki »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 08:33)
Die ganzen SED-Mitglieder haben auch Westradio gehört.
Unterschiedlich. Ich selbst habe mir einen sehr ernst gemeinten Direktoren-Elternbesuch wegen eines vergleichsweise harmlosen politischen Gedichts eingehandelt. Und nur ganz kurze Zeit später als pubertierender kleiner Junge quer durchs Schulhaus gerufen, die DDR-Staatsführung würde ja doch nur "nach Moskaus Pfeife" tanzen. Da war auch zufällig der Direktor grad auf dem Flur. Der mir mit wohlwollenden Geste andeutete: He, Junge, nicht hier im Haus und nicht so laut. (Dieser Direktor selbst wurde allerdings zusammen mit FDJ-Leiter und Stellvertreter anlässlich der Biermann-Ausweisung gefeuert). Ich nenne es mal das Autokratie-Paradoxon. Autokratische Systeme haben die Eigenschaft, dass an den meisten Stellen Personen darüber entscheiden, wies lang geht. Im positiven wie im negativen Sinn. Ich kenne eine Lyrikerin, die für ihre Gedichte einen von der FDJ gestifteteten Preis gewann. Und für dieselben Texte igrendwo in Anhalt von der Schule geworfen werden sollte. In ganz diktatorischen Systemen hat nur der Diktatoren-Clan etwas zu sagen. In autokratischen Systemen gehts oft nach der Regel "RUssland ist groß und der Zar ist weit". Sprich: Es können vernünftige Leute vor Ort das sagen haben, es kann aber auch sein, dass lokale rote Barone ein weit schlimmeres Regime führen, als es die zentrale Staatsgewalt vorgibt.

Die NS-Zeit in Deutschland war aber nochmal ein ganz anderer Fall. Ein diktatorisches System auf der einen mit als "völkisch" ausgegebenen Merkmalen auf der anderen Seite. Der sprichwörtliche Blockwart. Das gab es in der DDR allerdings auch. Die geistige Enge durch den bestimmenden Einfluss von Hausmeistern und Zeltplatzwarten bzw. Leuten, die man für solche halten konnte. Die Lehre daraus besteht darin, Sprüche wie "Wir sind das Volk" kritisch zu hinterfragen. Wenn sie auf ein "Wir hier in Heidenau begrüßen uns mit einem Guten Tag und unsere Frauen tragen keine Kopftücher" hinauslaufen, befinden wir uns in einer analogen SItuation wie 1933 oder auch in einigen besonders geistig verengten Regionen der Ex-DDR. Außenseiter, überhaupt irgendwie "andere" werden nicht geduldet.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Quatschki »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 13:39)

Kann man nachlesen in zahlreichen Artikeln und Biographien. Im Gegensatz zum Nationalsozialismus haben die Ostsozialdemokraten eher selten wen umgebracht für unerwünschte Oppositionssprüche, das falsche Buch im Schrank oder ähnliches.
Meine Großeltern hatten seit den 20er Jahren haufenweise Literatur linker und jüdischer Schriftsteller im Schrank und wurden nicht umgebracht.
Wie die von dir als "Ostsozialdemokraten" bezeichneten Machthaber im Kriegsfall, wo sowieso Millionen sterben würden, mit "unzuverlässigen oder feindlich-negativen Elementen" verfahren wären, kann man nur erahnen. Die Nationalsozialisten haben in der Friedensphase bis 1939 auch nur wenige Leute umgebracht. Anders als die sowjetischen Freunde.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von schokoschendrezki »

Quatschki hat geschrieben:(04 Dec 2018, 13:43)

Das "Sputnikverbot" hat eher innerhalb der SED, also innerhalb jener Kreise, die sich für "gute Sozialisten" hielten, für Unruhe und Debatten gesorgt.
Außerhalb gab es eher Spott, weil die Genossen ihrer eigenen Parole "Von der Sowjetunion lernen heißt Siegen lernen!" nicht mehr über den Weg trauten.
Das hat es. Weil weder die Auflagen noch das Kaufinteresse für "Sputnik" oder "Sinn und Form" besonders groß war. Aber die Frage stellt sich dennoch, warum ausgerechnet ein Artikel zum Hitler-Stalin-Pakt die Genossen so in Aufregung versetzte. Kurz vorher erst waren einige sowjetische Filme herausgekommen wie etwa "Abschied von Matjora", in denen es um aktuell viel brisantere Themen ging. Umweltprobleme, Tschernobyl, Afghanistan-Einmarsch. Die Artikel zum Hitler-Stalin-Pakt und seinen geheimen Zusatzprotokollen jedoch brechen ein bestimmtes Tabu: Indem sie nämlich nicht nur Kritik an einer Ideologie und an bestehenden Fassaden üben sondern die Frage stellen, was sich eigentlich tatsächlich hinter den Fassaden verbirgt. Den Umgang mit der "freien Stimme der freien Welt", mit Plädoyer für Marktwirtschaft statt Sozialismus und Planwirtschaft usw. ... damit wusste man umzugehen. Aber zu hinterfragen, was es denn und ob es denn überhaupt etwas mit "Antifaschismus" auf sich hat .... das bricht die Tabus. Dass man dahinter kommen könnte, dass "Ideologien" eigentlich nur für die Dummen gemacht sind. Und es tatsächlich den Mächtigen um ihre Macht geht. Dass ein Stalin um seiner Macht willen nicht nur mit Hitler sondern gern auch mit dem Teufel einen Pakt schließt. Dass ein Orbán sich eigentlich einen Scheiß um Nation, christliches ABendland und Ungarntum schert sondern mit diesen Begriffen und dieser Rhetorik erfolgreich seine Macht befestigt.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Di 4. Dez 2018, 14:11, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

Quatschki hat geschrieben:(04 Dec 2018, 13:55)

Meine Großeltern hatten seit den 20er Jahren haufenweise Literatur linker und jüdischer Schriftsteller im Schrank und wurden nicht umgebracht.
Das ist gut für deine Großeltern und niemand wird etwas dagegen sagen. Die Ehrenrettung des NS ist es nicht.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Stoner »

Hat denn eigentlich wirklich jemand Mein Kampf im Schrank und das auch tatsächlich gelesen? Mit welchem Mehrwert wofür? Welchen Wert soll das für Nicht-Historiker haben? Irgendwie ist mir dieser Hitlerhype suspekt. Unzählige Biografen mit tausenden von Seiten, irgendwann scheint jeder Tag des Mannes ausgeleuchtet. Im Fall der Zeitfälle wäre es sinnvoller, seine Zeit dafür zu verwenden, um die Bücher der verbrannten Dichter zu lesen und den Mann mit seinem unsäglichen Konvolut voller Ressentiments und abstruser Metaphern nun endlich auf dem Müllberg der Geschichte verrotten zu lassen.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

Es ist nie verkehrt, ein Buch wirklich gelesen zu haben.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Stoner »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 14:34)

Es ist nie verkehrt, ein Buch wirklich gelesen zu haben.
Das ist zu wenig. Wer 20 oder 30 ist, mag seine Lebenszeit noch unter ein solches Motto stellen, wer nicht mehr so viel Zeit hat, dem müsste von einem Leser eines solchen Buches der konkrete anstelle des abstrakten Wertes erklärt werden. Und wäre ich 20 oder 30 und politisch interessiert, dann würde ich mich um die Probleme der Gegenwart kümmern statt in diesem Sprach- und Gedankenmüll zu schmökern. Irgendwann muss doch die Faszination für diesen gescheiterten Kunstmaler und Massenmörder einmal enden, keiner seiner Ideenschnipsel ist doch nicht schon von Generationen von Historikern beleuchtet worden. Davon abgesehen: Hat dagegen mal wer Mein zwanzigstes Jahrhundert von Ludwig Marcuse gelesen oder Ernst Erich Noth? Jemand Wassermann oder Stefan und Arnold Zweig? Warum und zu welchem Nutzen ausgerechnet Mein Kampf? Vielleicht kann ja ein Leser mal erklären, wozu ein Junger oder ein Alter seine Zeit dafür verschwenden sollte. Was wäre noch daraus zu lernen, was nicht längst gelernt wurde oder was Junge unbedingt wissen müssten, was sie anders nicht erfahren? Man wünscht sich als Leser, es würden ein paar von den verbrannten Dichtern ähnliche Auflagen und Aufmerksamkeit außerhalb akademischer Zirkel erfahren. Aber es ist halt wie immer: Der Täter fasziniert mehr als das Opfer.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

MäckIntaier hat geschrieben:(04 Dec 2018, 15:44)

Das ist zu wenig. Wer 20 oder 30 ist, mag seine Lebenszeit noch unter ein solches Motto stellen
Wer Mein Kampf mit 30 noch nicht gelesen hat, interessiert sich eben nicht dafür. Ist ja nicht so, dass man nicht drankäme.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Stoner »

JunkerPhil hat geschrieben:(04 Dec 2018, 15:50)


Was heißt drankommen ? Wenn man in der Google Suchzeile Mein Kampf eingibt ist ein PDF Volltext auf der ersten Seite zu finden. Deshalb ist die Debatte um die unzensierte Veröffentlichung von Mein Kampf nur eine Spielerei der Medien.
In den Neunzigern bei einem Gang durch Bibione gab's das in riesigen Bücherkörben auch schon zu kaufen, wie in manchem anderen Land auch.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

JunkerPhil hat geschrieben:(04 Dec 2018, 15:50)

Bücher machen Leute ! Deshalb Vorsicht mit solchen Pauschalisierungen.



Was heißt drankommen ? Wenn man in der Google Suchzeile Mein Kampf eingibt ist ein PDF Volltext auf der ersten Seite zu finden. Deshalb ist die Debatte um die unzensierte Veröffentlichung von Mein Kampf nur eine Spielerei der Medien.
Du musst das in der Rückblende betrachten. Auch früher kam man mühelos dran, vor dem Internet. Als noch irgendwer ernsthaft wusste, wer Marcuse überhaupt ist und die Studenten sich einen auf Teddy Adorno gerubbelt haben.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Moses »

Bitte umgehend zum Thema zurück kehren. Eine ausschweifende Diskussion zu diesem Buch kann an anderer Stelle geführt werden.

Danke

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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Ammianus »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 13:39)

Kann man nachlesen in zahlreichen Artikeln und Biographien. Im Gegensatz zum Nationalsozialismus haben die Ostsozialdemokraten eher selten wen umgebracht für unerwünschte Oppositionssprüche, das falsche Buch im Schrank oder ähnliches.
Hier ist dann doch eine Grenze überschritten. Das Wort "Ostsozialdemokraten" für die von Stalin in seiner Besatzungszone eingesetzten Kommunisten, die den roten Terror im Moskauer Exil überlebt hatten ist eine mehr als drastische Verfälschung der Geschichte.

Die Sozialdemokraten als überall bei freien Wahlen die Kommunisten übertrumpfend wurden von diesen noch vor Gründung der DDR vernichtet. Die Stalinisten bedienten sich dabei der Täuschung, der Lüge, des Betrugs und des blanken Terrors.

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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

Ammianus hat geschrieben:(04 Dec 2018, 16:17)

Hier ist dann doch eine Grenze überschritten. Das Wort "Ostsozialdemokraten" für die von Stalin in seiner Besatzungszone eingesetzten Kommunisten, die den roten Terror im Moskauer Exil überlebt hatten ist eine mehr als drastische Verfälschung der Geschichte.

Die Sozialdemokraten als überall bei freien Wahlen die Kommunisten übertrumpfend wurden von diesen noch vor Gründung der DDR vernichtet. Die Stalinisten bedienten sich dabei der Täuschung, der Lüge, des Betrugs und des blanken Terrors.

(vergessenes Wort eingesetzt, Ammianus)
Man mahnt uns, näher am NS-Thema zu bleiben. Eine der Lehren aus dieser Epoche ist es, sich nicht im Gegner zu vertun, wenn die Braunen dabei lachende Dritte sind. Folglich das Zusammengehen vieler Sozialisten mit der SPD bei uns, Marginalisierung der West-KPD schon vor ihrem unsinnigen Verbot - und bei euch Zwang und Agitation, um die Sozialdemokraten-Mehrheit unter die Führung der Moskautruppe zu bringen.

Die KAS hat die Auflösung der wild entstandenen Einheitsparteien vor Gründung der SPD ( Gruppe Ackermann) und KPD (Gruppe Ulbricht) einmal untersucht und dabei den Begriff Zwangsvereinigung auch neu fundiert.

http://www.kas.de/upload/ACDP/HPM/HPM_0 ... 3_96_5.pdf

Viele lokale Gruppen hatten zunächst kein Interesse an der Fortsetzung des fatalen Konflikts zwischen S und K aus der Weimarer Zeit, zumal es einiges dazwischen gab. Die Sowjets und die Anführer in Deutschland wollten es schließlich anders. Näheres in unserem PDF.

In der Folge waren die linken Teile der Arbeitnehmer bei uns bis 1990 ganz überwiegend vereinigt in der SPD und drüben in der SED. Die Nazis dagegen zersplittert, sektiererisch, erfolgreich auch abgewehrt bis auf eine Episode um 1960. Das ist ein Erfolg und eine Lehre aus dem NS, die man sich gerade heute in Erinnerung holen sollte.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Stoner »

Moses hat geschrieben:(04 Dec 2018, 16:11)

Bitte umgehend zum Thema zurück kehren. Eine ausschweifende Diskussion zu diesem Buch kann an anderer Stelle geführt werden.

Danke

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Es wäre aber im Sinne des Strangthemas angemessen, wenn die Behauptung, man müsse das, als Lehre oder um Lehren ziehen zu können, tatsächlich lesen, irgendwie begründet würde. Die Wichtigkeit der Lektüre, die oben behauptet wurde, muss sich ja über die bloße Behauptung hinaus auch auf irgendeinen entsprechenden und damit vermittelbaren Leitgedanken stützen - ohne dass deshalb der Inhalt des Buches nun zu diskutieren wäre. Dass es nichts schadet, ist da kein wirklich aufschlussreiches Argument für eine Lektüre.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

MäckIntaier hat geschrieben:(04 Dec 2018, 18:00)

Es wäre aber im Sinne des Strangthemas angemessen, wenn die Behauptung, man müsse das, als Lehre oder um Lehren ziehen zu können, tatsächlich lesen, irgendwie begründet würde. Die Wichtigkeit der Lektüre, die oben behauptet wurde, muss sich ja über die bloße Behauptung hinaus auch auf irgendeinen entsprechenden und damit vermittelbaren Leitgedanken stützen - ohne dass deshalb der Inhalt des Buches nun zu diskutieren wäre. Dass es nichts schadet, ist da kein wirklich aufschlussreiches Argument für eine Lektüre.
Jetzt lass das Thema halt, wenn der Weihnachtsmann nein gesagt hat. Neben dem Buch gab es zu der Zeit auch andere Hitler-Originaltöne, die man hören oder leden konnte und heute nachlesen kann. Jeder konnte damals wissen und kann heute nachlesen, was die Nazibewegung vor hat und jeder konnte sich leicht das Urteil bilden, dass dies mit althergebrachten Werten, egal ob links oder rechts, liberal, aristokratisch oder spartakistisch, nicht zusammengeht. Man musste damals schon angestrengt wegschauen oder dem Kulturbruch zustimmen, wenn man für Hitler war - und das waren viele. Auch das eine Erkenntnis aus der NS-Geschichte, die man heute nicht mehr gern hat. Stattdessen das Gequatsche vom eindimensionalen Menschen ohne Werturteile - als habe nicht jeder, der da mitmachte oder heute nachmacht, ein überdeutliches Urteil bereits gefällt. Man kann den NS nicht rein technokratisch reflektieren, wenn man Hitler nur 20-30 Seiten im Original gelesen hat.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Stoner »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 18:11)

Jetzt lass das Thema halt, wenn der Weihnachtsmann nein gesagt hat. Neben dem Buch gab es zu der Zeit auch andere Hitler-Originaltöne, die man hören oder leden konnte und heute nachlesen kann. Jeder konnte damals wissen und kann heute nachlesen, was die Nazibewegung vor hat und jeder konnte sich leicht das Urteil bilden, dass dies mit althergebrachten Werten, egal ob links oder rechts, liberal, aristokratisch oder spartakistisch, nicht zusammengeht. Man musste damals schon angestrengt wegschauen oder dem Kulturbruch zustimmen, wenn man für Hitler war - und das waren viele.
Wenn man Behauptungen aufstellt ("ist als/zur Lehre wichtig, zu lesen"), hat man auch Begründungen. Das kann man auf Nachfrage ja darstellen, dazu ist Kommunikation ja da.

Dass damals jeder wissen konnte, was die Nazis vorhaben, ist einfach nur im Nachhinein behauptbar. Wir Heutigen sehen das Gesamtbild, das Ergebnis, und wir haben den Naziuntrgang nicht als Niederlage, sondern als Beffreiung aufgefasst. Etwas, was die Mehrheit damals ganz sicher nicht auf WK 1 angewandt hatte. Und die Mehrheit hatte Demokratie weder gelernt noch stand sie hoch im Kurs, weder bei den Nazis noch den Kommunisten, schon gar nicht bei der Aristokratie, der Wirtschaft und den Junkern. Und Menschenvernichtungsfabriken waren dem Durchschnittsbürger ganz bestimmt keine auch nur ansatzweise Vorstellung. Das scheint mir zu viel Projektion aus heutiger Sicht.

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 18:11)
Auch das eine Erkenntnis aus der NS-Geschichte, die man heute nicht mehr gern hat. Stattdessen das Gequatsche vom eindimensionalen Menschen ohne Werturteile - als habe nicht jeder, der da mitmachte oder heute nachmacht, ein überdeutliches Urteil bereits gefällt. Man kann den NS nicht rein technokratisch reflektieren, wenn man Hitler nur 20-30 Seiten im Original gelesen hat.
Es gibt überhaupt keinen Menschen ohne Werturteile, wenigstens gegenwärtig. Das mag die KI-verbesserte Variante dann "besser" lösen. Und das technische Reflektieren mag etwas für Spezialisten sein, dem normalen Menschen reicht vielleicht das Handeln, die Ereignisse, das Ergebnis, um ein Werturteil zu fällen. Und selbst ideegeschichtlich gibt es da bessere Quellen, als des Führers Kampfschrift. Wer denn lesen möchte, der mag ja nicht abgehalten sein, aber ein Sollen erschließt sich als Lehre aus dem Nationalsozialismus nicht. Ich hatte schon mehrfach gesagt, dass der übermäßige Gebrauch von Analogien die Vergangenheit verniedlicht und die Gegenwart trübe macht, und ein solches Werk zu lesen, um es dann als Kampfkeule gegen heutige Autoritäre zu schwingen ist selbst schon grenzwertig, besonders dann, wenn man übersieht, dass Faschismus auch eine Methode ist. Und diese Methode ist keine Erfindung der Nazis, sie waren nur einer ihrer Großmeister.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

Dass damals jeder wissen konnte, was die Nazis vorhaben, ist einfach nur im Nachhinein behauptbar.
Es steht im Buch, es zieht sich durch die Redemanuskripte. Das Buch bereits vor 1933 ein Bestseller, danach sowieso, in allen Medien diskutiert.
Wie heute beim Sarrazin kannte die Kerninhalte praktisch jeder.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Ammianus »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 19:43)

Es steht im Buch, es zieht sich durch die Redemanuskripte. Das Buch bereits vor 1933 ein Bestseller, danach sowieso, in allen Medien diskutiert.
Wie heute beim Sarrazin kannte die Kerninhalte praktisch jeder.
Jeder bestimmt nicht. Es gab und gibt wie überall und zu jeder Zeit einen großen Anteil vollkommen an jeder Form von Politik desinteressierten Menschen. Wobei der Grad des Desinteresses natürlich unterschiedlich ist. Die können dir vielleicht gerade einmal sagen, wer Bundeskanzler ist - vielleicht. Ich habe Leute kennengelernt die wussten das nicht und das war denen auch völlig egal oder sie sagten einen Namen, der aus Vor- und Nachnamen verschiedener Politiker zusammengesetzt war. Sie hatten das eben irgendwann mal gehört. Ich kannte Familien in der DDR, da standen in der Schrankwand genau 2 Bücher. "Weltall-Erde-Mensch", das gab es zur Jugendweihe, dem Konfirmationsersatz und "Vom Sinn des Soldatseins" das gab es für die Wehrpflichtigen bei der Armee. Beides kostenlos. Nach der Wende kam dann das Telefonbuch dazu.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

Ammianus hat geschrieben:(04 Dec 2018, 19:55)

Jeder bestimmt nicht. Es gab und gibt wie überall und zu jeder Zeit einen großen Anteil vollkommen an jeder Form von Politik desinteressierten Menschen. Wobei der Grad des Desinteresses natürlich unterschiedlich ist. Die können dir vielleicht gerade einmal sagen, wer Bundeskanzler ist - vielleicht. Ich habe Leute kennengelernt die wussten das nicht und das war denen auch völlig egal oder sie sagten einen Namen, der aus Vor- und Nachnamen verschiedener Politiker zusammengesetzt war. Sie hatten das eben irgendwann mal gehört. Ich kannte Familien in der DDR, da standen in der Schrankwand genau 2 Bücher. "Weltall-Erde-Mensch", das gab es zur Jugendweihe, dem Konfirmationsersatz und "Vom Sinn des Soldatseins" das gab es für die Wehrpflichtigen bei der Armee. Beides kostenlos. Nach der Wende kam dann das Telefonbuch dazu.
Sicher nicht falsch. Doch sind die, die nicht mal den Kanzler kennen, unbedingt die großen Hitlerwähler und NS-Nachbeter gewesen?
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Ammianus »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 19:58)

Sicher nicht falsch. Doch sind die, die nicht mal den Kanzler kennen, unbedingt die großen Hitlerwähler und NS-Nachbeter gewesen?
Unter bestimmten Umständen kann man Teile von diesen mobilisieren und sogar zu fanatischen Freaks machen. Die meisten Menschen wollen nicht auffallen, sich nicht von der Masse absetzen. Vor 80-70 Jahren war dieses Verhalten noch weit verbreiteter als heute. Sie wollen keinen Ärger und keine Konflikte mit denen da oben. Hängen die Nachbarn die Fahne raus, dann tun sie es auch um nicht aufzufallen. Und wenn es sich so gehört bei Vorbeifahrt des Führers begeistert zu klatschen und zu winken und dabei ein vorher verteiltes Fähnchen zu schwenken, dann tun sie das
Was geschieht, wenn ganz normale Menschen in die Situation kommen feige erbarmungslose Mörder zu sein, ist im Buch "Hitlers willige Vollstrecker" von Daniel Goldhagen beschrieben.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

Ammianus hat geschrieben:(04 Dec 2018, 20:37)

Unter bestimmten Umständen kann man Teile von diesen mobilisieren und sogar zu fanatischen Freaks machen. Die meisten Menschen wollen nicht auffallen, sich nicht von der Masse absetzen. Vor 80-70 Jahren war dieses Verhalten noch weit verbreiteter als heute. Sie wollen keinen Ärger und keine Konflikte mit denen da oben. Hängen die Nachbarn die Fahne raus, dann tun sie es auch um nicht aufzufallen. Und wenn es sich so gehört bei Vorbeifahrt des Führers begeistert zu klatschen und zu winken und dabei ein vorher verteiltes Fähnchen zu schwenken, dann tun sie das
Was geschieht, wenn ganz normale Menschen in die Situation kommen feige erbarmungslose Mörder zu sein, ist im Buch "Hitlers willige Vollstrecker" von Daniel Goldhagen beschrieben.
Ich verstehe, wo das hingeht. Wenn diese Menschen bloß mitschwimmen wollten, kommt es umso mehr auf die immer noch sehr große Zahl an, die bewusst wählten und taten.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Stoner »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 19:43)

Es steht im Buch, es zieht sich durch die Redemanuskripte. Das Buch bereits vor 1933 ein Bestseller, danach sowieso, in allen Medien diskutiert.
Wie heute beim Sarrazin kannte die Kerninhalte praktisch jeder.
Ja, die hätten das damals alle im Internet nachlesen können. Und wer Mein Kampf mit irgendwas vom Sarrazin vergleicht, hat Sinn und Grenzen von Geschichte nicht verstanden und tut genau das, was ich schrieb: Vergangenheit als Schablone über die Gegenwart legen. Damit verfehlt man beides, die Geschichte und die Vergangenheit. Aber sei's drum, ich bin aus dem Thema endgültig raus, denn eine Antwort auf die eigentliche Frage scheint ja nicht möglich, und der Rest mag mäandern, wie er mag.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

MäckIntaier hat geschrieben:(04 Dec 2018, 22:05)

Ja, die hätten das damals alle im Internet nachlesen können. Und wer Mein Kampf mit irgendwas vom Sarrazin vergleicht, hat Sinn und Grenzen von Geschichte nicht verstanden und tut genau das, was ich schrieb: Vergangenheit als Schablone über die Gegenwart legen. Damit verfehlt man beides, die Geschichte und die Vergangenheit. Aber sei's drum, ich bin aus dem Thema endgültig raus, denn eine Antwort auf die eigentliche Frage scheint ja nicht möglich, und der Rest mag mäandern, wie er mag.
Ein Internet war gar nicht nötig.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Nomen Nescio »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 19:43)

Es steht im Buch, es zieht sich durch die Redemanuskripte. Das Buch bereits vor 1933 ein Bestseller, danach sowieso, in allen Medien diskutiert.
im vorgänger dieses forums gab es mal den user »falke«, der außerordentlich gut informiert war über die zeit des interbellums.
er machte mal eine bemerkung, die ich nie vergaß. es war 1933 und AH war reichskanzler geworden. der oberbürgermeister von magdeburg war damals ernst reuter, später OB berlins.
der sagte an jenem abend auf dem platz vor allen dort gesammelten menschen was die folgen wären. er vorhersah die judenverfolgung, krieg, unterdrückung.
leider habe ich nie eine reaktion von magdeburg auf meine frage um auskunft bekommen.

übrigens muß den begriff »bestseller« annotiert werden. es war sozusagen ein pflichtkauf. vielen haben es nicht/kaum gelesen. ein schlechter schreiber und eine inkoherente formulierung. ich finde es gute einschlaflektur.
einmal reichskanzler bekamen alle neu-vermahlten deutschen ein exemplar vom deutschen reich geschenkt. so wird etwas zum bestseller.


an sich aber hast du recht. wer las und verstand, war gewarnt.
nathan über mich: »er ist der unlinkste Nicht-Rechte den ich je kennengelernt habe. Ein Phänomen!«
blues über mich: »du bist ein klassischer Liberaler und das ist auch gut so.«
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

Nomen Nescio hat geschrieben:(04 Dec 2018, 22:35)

im vorgänger dieses forums gab es mal den user »falke«, der außerordentlich gut informiert war über die zeit des interbellums.
er machte mal eine bemerkung, die ich nie vergaß. es war 1933 und AH war reichskanzler geworden. der oberbürgermeister von magdeburg war damals ernst reuter, später OB berlins.
der sagte an jenem abend auf dem platz vor allen dort gesammelten menschen was die folgen wären. er vorhersah die judenverfolgung, krieg, unterdrückung.
leider habe ich nie eine reaktion von magdeburg auf meine frage um auskunft bekommen.

übrigens muß den begriff »bestseller« annotiert werden. es war sozusagen ein pflichtkauf. vielen haben es nicht/kaum gelesen. ein schlechter schreiber und eine inkoherente formulierung. ich finde es gute einschlaflektur.
einmal reichskanzler bekamen alle neu-vermahlten deutschen ein exemplar vom deutschen reich geschenkt. so wird etwas zum bestseller.


an sich aber hast du recht. wer las und verstand, war gewarnt.
Ja, Reuter war einer, der es gut vorhersagen konnte. Man konnte wissen, was der ungefähre Plan ist.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Nomen Nescio »

MäckIntaier hat geschrieben:(04 Dec 2018, 19:37)

Dass damals jeder wissen konnte, was die Nazis vorhaben, ist einfach nur im Nachhinein behauptbar. Wir Heutigen sehen das Gesamtbild
ich habe mit vielen »zeitzeugen über die damalige zeit gesprochen. sag mal dauernd ab 1960.

eine sache kostete mich viel mühe zu verstehen. eigentlich sollten sie die briefe von james von moltke an seiner frau lesen um begreifen zu können was damals geschah und wie man dachte.
die menschen KONNTEN nicht glauben was passierte. ein deutliches beispiel ist die zeile über die verbrechen der nazis »wenn der führer das wüßte...«.
n.m.m. war (erst) um 1944 dem großen teil der deutschen deutlich wie schlimm die nazis waren. aber dann gab es ja den terror.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

MäckIntaier hat geschrieben:(03 Dec 2018, 21:31)

Was sollte daran wichtig sein? Wer so viel Zeit hat, liest vielleicht mal etwas, was einen Bezug zum Hier und Jetzt hat oder mal Keyserling (Eduard von) oder Günter Kunert oder Ludwig Marcuse oder den Zauberberg.
Weil Sie die paar Sätze von mir offenbar sehr aufregen, nur noch so viel: Es hat vor einiger Zeit einen Streit in den Medien gegeben, ob man das Machwerk nun nochmal veröffentlichen und zur allgemeinen Lektüre freigeben soll oder nicht. Der Tenor war da wohl gewesen, ja, wenn es eine Veröffentlichung mit kritischen Historiker-Anmerkungen ist, dann könne man das tun. Und dem stimmte ich halt zu, aber lediglich im Zusammenhang mit diesem öffentlich in den Medien diskutierten Pro und Kontra. Direkt empfehlen würde ich das Elaborat nun auch nicht gerade, dazu ist es zu unwichtig. Zumal es ganz sicher Exzerpte gibt. Mir ging es nur darum, dass sich heute wieder bestimmte Leute sowieso sowas besorgen und lesen, vor allem gerade dann, wenn es verboten ist bzw. nicht empfohlen wird und möglicherweise sogar in "Giftschränken" lagert. Also sollte man das Ganze schlicht entmystifizieren und einfach mit kommentierenden Anmerkungen versehen. Wie es ja im Übrigen auch getan wurde. Ganze Schulklassen befassen sich nun auf kritische Art und Weise damit. Dazu bedarf es allerdings wirklich einer kritischen Sicht und keiner geschichtsrevisionistischen.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von schokoschendrezki »

MäckIntaier hat geschrieben:(03 Dec 2018, 21:31)
Was sollte daran wichtig sein? Wer so viel Zeit hat, liest vielleicht mal etwas, was einen Bezug zum Hier und Jetzt hat oder mal Keyserling (Eduard von) oder Günter Kunert oder Ludwig Marcuse oder den Zauberberg.
Günter Kunert, alle Achtung, Mäckinthaler ... ich bin seit einiger Zeit mit der Sortierung eines großen persönlichen Nachlasses befasst ... der unter anderem auch die Manuskripte und den Briefwechsel zu den Nachdichtungen Kunerts aus dem Ungarischen betrifft. Es gibt den weltbekannten ungarischen Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger jüdischer Herkunft Imre Kertész. Und es gibt eine ganze Reihe jüdischer ungarischer Autoren, die nicht weniger genial, nur aber etwas unbekannter geblieben sind. Gábor Hajnal ist einer von ihnen und Günter Kunert hat in der deutschen Lyrikausgabe "Walpurgisnacht" den wesentlichen Anteil an Nachdichtungen dazu geleistet. Er ist vergessen. Es ist einigen wenigen Aktivisten zu verdanken, dass es eine Begräbnisstätte und einen Wikipedia-Artikel zu Hajnal gibt. Ich hatte die Ehre und - man muss wirklich sagen - auch das Vergnügen, ihn in den 70ern in Budapest persönlich kennenzulernen. Ein (für mich damals) älterer Herr, der dir als klassischer Intellektueller in einem klassischen Kaffeehaus ein bissel die Welt erklärt. Und eines der von Kunert nachgedichteten Hajnal-Texte geht so (im Original: "Mindenütt akadnak ilyen emberek")
Von Leuten, die es überall gibt

Bei einem Waldbrand
faseln sie von der Schönheit des Laubes.

Der fernen Länder rauchende Vulkane, denen
Tod und Verderben entquillt, finden sie malerisch.

Am Panzerwagen prüfen sie mit dem Nagel
den grünen Lack, ob er haltbar ist
und dem ihres eigenen Autos gleicht.
Im letzten Krieg zerstörten sie
Das halbe Europa bis auf die Fundamente, doch
erinnern sie sich
nur noch des Kognaks in Saint-Nazaire und
der süßen Himbeeren am Wolgaufer.

Jedes System kennt sie: die Leute, die
nichts sind als das. Dienstbar
jedem und jeglichen. Einmal mehr murrrend und
einmal weniger.

Der Sozialismus, in dem sie leben, ist ihnen
geläufig von den Inschriften an den Fabriken,
von der Grußformel
auf den Briefen, die sie unterzeichnen.

Auch die schönen Künste wissen von ihrem
Wirken: der elend unter dem Knüppel der Schergen
Gefallne scheint gestorben, damit sie
ein flottes Bild davon fertigen: Markig und musklig.

Denn von allen Dingen entdecken sie einzig:
die Schale. Und begehren allein diese. Und dringen
bis zum Kern nie.

Sie haben nur einen Feind, der sie quält und
peinigt, sie belauert und angreift,
dessen hauptquartier sie vergeblich suchen,
weil es getarnt liegt und einbetoniert
fast unangreifbar im
eigenen Kopf.Von Leuten, die es überall gibt
Die, die einzig die Schale interessiert, sind die Dummen, die sich einzig an Ideologien festbeißen und nicht hinter die Fassaden blicken wollen. Und die "Leute, die nichts sind als das" sind heute die, die "Wir sind das Volk" schreien.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

Selina hat geschrieben:(04 Dec 2018, 23:05)

Weil Sie die paar Sätze von mir offenbar sehr aufregen, nur noch so viel: Es hat vor einiger Zeit einen Streit in den Medien gegeben, ob man das Machwerk nun nochmal veröffentlichen und zur allgemeinen Lektüre freigeben soll oder nicht. Der Tenor war da wohl gewesen, ja, wenn es eine Veröffentlichung mit kritischen Historiker-Anmerkungen ist, dann könne man das tun. Und dem stimmte ich halt zu, aber lediglich im Zusammenhang mit diesem öffentlich in den Medien diskutierten Pro und Kontra.
Es ist immer besser, sich mit einer Sache zu befassen als damit, wer sich mit einer Sache befasst hat.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Stoner »

schokoschendrezki hat geschrieben:(05 Dec 2018, 08:56)

Günter Kunert, alle Achtung, Mäckinthaler ... ich bin seit einiger Zeit mit der Sortierung eines großen persönlichen Nachlasses befasst ... der unter anderem auch die Manuskripte und den Briefwechsel zu den Nachdichtungen Kunerts aus dem Ungarischen betrifft. Es gibt den weltbekannten ungarischen Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger jüdischer Herkunft Imre Kertész. Und es gibt eine ganze Reihe jüdischer ungarischer Autoren, die nicht weniger genial, nur aber etwas unbekannter geblieben sind. Gábor Hajnal ist einer von ihnen und Günter Kunert hat in der deutschen Lyrikausgabe "Walpurgisnacht" den wesentlichen Anteil an Nachdichtungen dazu geleistet. Er ist vergessen. Es ist einigen wenigen Aktivisten zu verdanken, dass es eine Begräbnisstätte und einen Wikipedia-Artikel zu Hajnal gibt. Ich hatte die Ehre und - man muss wirklich sagen - auch das Vergnügen, ihn in den 70ern in Budapest persönlich kennenzulernen. Ein (für mich damals) älterer Herr, der dir als klassischer Intellektueller in einem klassischen Kaffeehaus ein bissel die Welt erklärt. Und eines der von Kunert nachgedichteten Hajnal-Texte geht so (im Original: "Mindenütt akadnak ilyen emberek")


Die, die einzig die Schale interessiert, sind die Dummen, die sich einzig an Ideologien festbeißen und nicht hinter die Fassaden blicken wollen. Und die "Leute, die nichts sind als das" sind heute die, die "Wir sind das Volk" schreien.
Kunerts "Erwachsenenspiele" wäre die zeitgeschichtliche Alternative zur Hitler-Lektüre. Kunert, laut Selbstauskunft ein Bewohner von "Ambivalencien", war, seit ich ihn in einer der frühen Talkshows um 1979/1980 herum in einem wunderbaren Streitgespräch über Utopien mit Wolf Biermann sah, so etwas wie einer meiner persönlichen Richtschnur-Autoren (er hatte mich auch zu dem heute leider vergessenen und nicht mehr aufgelegten Theodor Lessing geführt). Biermann war damals trotz seiner Erfahrungen ja noch immer sozialistisch und utopistisch gestimmt, während Kunert nach seinen Erfahrungen unbeirrbar auf den eigenen Kopf bestand und sich gegen alle heilsgeschichtlichen Kollektivismen aussprach und einen sehr klaren anthropologischen Pessimismus vertrat, den er nie aufgegeben hat und der ihn übrigens, wie in seinen jüngsten Aufzeichnungen nachzulesen, auch zu einem sehr luziden und unbestechlichen, an keinerlei Ideologie festgemachten kritischen Kommentator der Flüchtlingspolitik macht (Siehe "Ohne Umkehr"). Seine Kritik am Menschen im Allgemeinen und im Besonderen, geschult an Montaigne, hat leider wie er selbst in diesem Lande keine große Konjunktur. Was immer man aus dem Nationalsozialismus gelernt hat, der Abschied von heilsgeschichtlichen Erzählungen (und auch manche Spielarten des Individualismus sind in solche heilsgeschichtlichen Erzählungen eingebunden) gehört nicht dazu. Wer liest schon Kunert oder auch Cioran oder Pessoa und hält die Ambivalenz des Lebens aus.
Zuletzt geändert von Stoner am Mi 5. Dez 2018, 10:49, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

Eine Lehre aus dem Nationalsozialismus ist es, solche Bagatellisierungen wie "Idioten" und "Irre" und "blöd" im Zusammenhang mit den Hitlergruß zeigenden Rechtsextremisten unbedingt beim Namen zu nennen und deutlich zu kritisieren. Vor allem, wenn diese Bagatellisierungen von Leuten wie Gauland kommen, die bekanntlich selbst Geschichtsrevisionisten reinsten Wassers sind. Da hilft es auch nichts, wenn solche Leute dann verheuchelt von irgendeinem "Schaden" reden. Wer Nazis zu "Irren" erklärt, sie lediglich für "blöd" und "ungefährlich" hält, hat die Tragweite des Rechtsruckes und des Erstarkens der Rechtsextremisten nicht verstanden. Beziehungsweise will sie mit Absicht verschleiern. Zu Beginn des Dritten Reiches sprachen viele auch von "armen Irren", "paar Idioten", "die sich nicht lange halten werden" und dergleichen mehr. Wozu diese paar "armen Irren" zum Schluss in der Lage waren, ist hinlänglich bekannt. Vor solchen Bagatellisierungen kann man nur warnen.

Zitat:

Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland hält Personen, die öffentlich den Hitlergruß zeigen, für blöd, aber ungefährlich. Das erklärte er in einem Interview mit dem FOCUS. Angesprochen auf Provokationen aus seiner Partei mit NS-Anklängen erklärte Gauland: "Nun gibt es immer wieder Irre, die vor allem den Tabubruch suchen, gerade junge Leute in einer jungen Partei. Das sind keine Nazis und Umstürzler. Ich halte auch Leute für ungefährlich, die öffentlich den Hitlergruß zeigen." Als Begründung für seine Aussagen erklärte Gauland, diese Personen seien "viel zu blöd, als dass sie die freiheitliche Grundordnung stürzen könnten." Im weiteren Gespräch fügte er hinzu: "Ja, klar schadet es uns. Es schadet uns, weil nicht nur alles, was auch nur nationalsozialistisch angehaucht ist, falsch ist – sondern auch, weil es in Deutschland besonders falsch ist." Der Hitlergruß ist in Deutschland eine Straftat (§86 StGB).

https://www.focus.de/politik/deutschlan ... 34214.html
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Darkfire
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Darkfire »

Wäre es nicht auch interessant, als eine Lehre aus dem Nationalsozialismus, die Mechanismen zu erkennen die Menschen dazu verführt starken Führern nachzurennen ?
Nicht nur braune Führer sind gefährlich, alle Führer welche die Mechanismen nützen die andere Menschen zu Fanatikern für diese Sache machen.
Ob das nun Faschismus ist oder ein Nationalismus oder auch gerne mal die Religion.
Ein Hitler auf dem Höhepunkt seiner Macht konnte man nur schwer stoppen, was ist aber mit einem Hitler als er noch am Aufbau war ?
Ein Hitler der wäre er vor 38 gestorben, wohl seinen Platz in der deutschen Geschichte als einer der großartigsten deutschen Politiker sicher gehabt hätte ?
Welche Mechanismen führen dazu, daß der Wunsch nach starken Männern denen man nur bedingungslos genug folgen muss und dann wird alles gut, in uns Menschen steckt.
Wieso ist es unter Experten bekannt daß bei Leuten die einmal auf Pyramidenspiele reingefallen sind, es immer wieder tun und sie nicht aus Schaden lernen ?
Es war reiner Zufall das sich in der Weimarer Republik die rechten Fanatiker und nicht die linken durchgesetzt haben.
Wieso glaubt man also die Gefahr wäre dann gebannt wenn der Führer rot ist und nicht braun ?
Schon ein Cäsar hat als die Grundlage für seinen Erfolg einen Völkermord an den Galliern auf dem Gewissen und trotz dem wird er heute oft als Held gefeiert.
Ein Napoleon hat bedenkenlos Millionen von Menschen in den Tot getrieben und gilt vielen als Held.
Wieso gibt es also fanatische Anhänger, was sind die Mechanismen die offensichtlich in uns Menschen stecken die uns dazu bringen bestimmten Menschen kritiklos zu folgen, sie mit unbegrenzter Macht über Leben und Tot auszustatten ?
Müssen wir das Monster nicht dort suchen wo es ist, nämlich in unseren Köpfen, selbst bei Menschen die glauben wenn sie sie gegen den "Faschismus" kämpfen sie automatisch immer im Recht sind ?
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Selina
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

Zuerst einmal sollten Deutsche die Mechanismen erkennen, die Deutsche dazu gebracht haben, einem machtbesessenen, brutalen und menschenfeindlichen Führer und seinen Gefolgsleuten hinterherzurennen. Begeistert und frenetisch. Es geht zuerst einmal um uns Deutsche und nicht um irgendein allgemeines Führer-Anbetungs-Problem. Ich glaube, wir brauchen noch Generationen, bis das einmal aufgearbeitet ist. Warum wurde gerade in Deutschland der Boden für den so genannten "Nationalsozialismus" bereitet? Warum klappte das alles so gut mit uns Deutschen? Wie verführbar sind wir? Wo stehen wir da heute? Kann uns brauner Ungeist immer noch verführen?
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Ammianus
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Ammianus »

Selina hat geschrieben:(08 Dec 2018, 13:22)

Zuerst einmal sollten Deutsche die Mechanismen erkennen, die Deutsche dazu gebracht haben, einem machtbesessenen, brutalen und menschenfeindlichen Führer und seinen Gefolgsleuten hinterherzurennen. Begeistert und frenetisch. Es geht zuerst einmal um uns Deutsche und nicht um irgendein allgemeines Führer-Anbetungs-Problem. Ich glaube, wir brauchen noch Generationen, bis das einmal aufgearbeitet ist. Warum wurde gerade in Deutschland der Boden für den so genannten "Nationalsozialismus" bereitet? Warum klappte das alles so gut mit uns Deutschen? Wie verführbar sind wir? Wo stehen wir da heute? Kann uns brauner Ungeist immer noch verführen?
Die Mechanismen, die unsere Vorfahren dazu gebracht haben einen Hitler zu bejubeln dürften sich nicht wesentlich von denen unterscheiden, die einen Musolini bejubelten, einen Putin verehren oder einen Chamenei für die "Heiligkeit unserer Zeit" halten. Wie kam es zu dem Wahlsieg eines Rechten in Brasilien, warum wird Erdogan so bejubelt, warum geben Millionen ihre Stimme einem Trump. Es gibt Mechanismen, die dafür sorgen, dass innerhalb bestimmter Gruppen einem "Alphatier" wiederspruchslos gefolgt wird. Das Thema ist viel zu komplex, um es rein auf "Deutsch" zu beschränken.
Ein gutes aktuelles Beispiel ist der Hang von größeren Bevölkerungsgruppen in Osteuropa und auch in den östlichen Bundesländern Populisten zu folgen. Und wenn man dann all die von mir aufgezeigten Beispiele betrachtet und mit dem Verhalten von Zustimmern des Rechtspopulismus im heutigen Deutschland oder in dem der beginnenden Dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts vergleicht, wird man auf ganze Reihen von Paralellen stoßen und daraus wichtige Schlüsse zum Verständnis ziehen können.
"Ich möchte an einem Ort sein, an dem es keine Politik gibt, keine Waffen, keine Religion."
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von schokoschendrezki »

Ammianus hat geschrieben:(08 Dec 2018, 15:22)

Die Mechanismen, die unsere Vorfahren dazu gebracht haben einen Hitler zu bejubeln dürften sich nicht wesentlich von denen unterscheiden, die einen Musolini bejubelten, einen Putin verehren oder einen Chamenei für die "Heiligkeit unserer Zeit" halten. Wie kam es zu dem Wahlsieg eines Rechten in Brasilien, warum wird Erdogan so bejubelt, warum geben Millionen ihre Stimme einem Trump. Es gibt Mechanismen, die dafür sorgen, dass innerhalb bestimmter Gruppen einem "Alphatier" wiederspruchslos gefolgt wird. Das Thema ist viel zu komplex, um es rein auf "Deutsch" zu beschränken.
Ein gutes aktuelles Beispiel ist der Hang von größeren Bevölkerungsgruppen in Osteuropa und auch in den östlichen Bundesländern Populisten zu folgen.
Es mag in einigen Ländern Ostueropas wie auch natürlich in Russland, Türkei und vielen anderen etwas mehr auf Personen bezogen sein. Aber die politischen Prozesse - zumindest in den Ländern des globalen Nordens - ähneln sich strukturell doch mehr als dass sie sich grundätzlich unterscheiden. Ist die Unterstellung eines "Hangs" nicht selbst bereits wieder ein kulturalistischer "Hang"? Haben die Leute so gewählt, weil sie so gewählt haben oder weil sie "eben so sind"?

Ein aktueller Feuilleton-KOmmentar beginnt so:
Deutschland verändert sich. Ein Riss spaltet die Gesellschaft, er verläuft nicht zwischen rechts und links, sondern zwischen Globalisten und Kommunitaristen.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/pl ... _id=435049
Der Riss geht zum Teil quer durch die Familien. Ich weiß es von Budapest und ich lese und höre es immer wieder von Barcelona. Bei der Trump-Wahl standen sich grob gesagt die Bewohner der großen Küstenstädte den Bewohnern des Landesinneren gegenüber. Die letzten Präsidenten-Wahlen in Österreich oder auch TSchechien. Die Brexit-Entscheidung. Immer gibt es zumindest einen Teilaspekt Globalisten vs. Kommunitaristen. Und interessanterweise ist das Zahlenverhältnis der Gruppen fast immer fast fifty fifty.

Das Problem sehe ich darin, dies als eine negativ konnotierte "Spaltung der Gesellschaft" anzusehen. Anders als 1933 sehen wir heute Vielfalt, Diversität usw, als positiv. Kommunitarismus ist nicht so etwas wie das heliozentrische Weltbild nach dem geozentrischen. Also die ABlösung des total Falschen durch das total Richtige. WIr werden damit leben müssen, dass es in unseren Gesellschaften ganz unterschiedliche Sichtweisen gibt. Die politische STrategie sollte sein, dies positiv umzudeuten, Nicht als "Spaltung" sondern als Vielfalt und DIversität.

Es ist doch völlig offensichtlich, dass dieser "Spaltungs"-Begriff suggestiv, demagogisch benutzt wird. Da legt jemand die Axt an die Gesellschaft an, und dann, mein Gott, ist sie "gespalten". "Tut doch was!" würde die BILD schreiben. Schon vergessen, dass das Kürzel SED unter anderem "Einheit" als Begriff enthielt? Ich will keine Einheit sondern Vielfalt, Differenz und UNterschiedlichkeit.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Sa 8. Dez 2018, 18:52, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von schokoschendrezki »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 16:43)

Man mahnt uns, näher am NS-Thema zu bleiben.
Ich habe heute einen Radio-Beitrag gehört ... da ging es um die aktuellen Entwicklungen bei der "Privatisierung des Krieges". Vor allem in den USA. Also von Blackwater 2007 bis Academi heute. Krieg als Geschäft. Und warum Leute in den USA versuchen, dass für sie schwierige WOrt "Landsknecht" auszusprechen. Für Talkshows und Interviews. Was hat der 30jährige Krieg in Europa mit ganz aktuellen Entwicklungen in der globalen Militärpolitik zu tun?
„Ich meine, man könnte fast dieses Paradox so formulieren: Je ferner eine Vergangenheit ist, und je weniger wir mit ihr vertraut sind, desto sexier ist ihre Wiederbelebung, gewissermaßen auf der rein phänomenologischen Ebene: die Wiederkehr von Söldnern und Warlords, die wir ja auch in unserer Zeit in den letzten 20 Jahren verstärkt beobachten.“
https://www.deutschlandfunk.de/soeldner ... _id=433958
Macht euch doch mal ein bissel frei. Für nichttriviale Gedanken muss man in der Lage sein, scheinbar und auf den ersten Blick völlig unzusammenhängende und weit auseinanderliegende Gegenstände verknüpfen zu können.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Stoner

Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Stoner »

schokoschendrezki hat geschrieben:(08 Dec 2018, 18:12)

Es mag in einigen Ländern Ostueropas wie auch natürlich in Russland, Türkei und vielen anderen etwas mehr auf Personen bezogen sein. Aber die politischen Prozesse - zumindest in den Ländern des globalen Nordens - ähneln sich strukturell doch mehr als dass sie sich grundätzlich unterscheiden. Ist die Unterstellung eines "Hangs" nicht selbst bereits wieder ein kulturalistischer "Hang"? Haben die Leute so gewählt, weil sie so gewählt haben oder weil sie "eben so sind"?

Ein aktueller Feuilleton-KOmmentar beginnt so:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/pl ... _id=435049
Der Riss geht zum Teil quer durch die Familien. Ich weiß es von Budapest und ich lese und höre es immer wieder von Barcelona. Bei der Trump-Wahl standen sich grob gesagt die Bewohner der großen Küstenstädte den Bewohnern des Landesinneren gegenüber. Die letzten Präsidenten-Wahlen in Österreich oder auch TSchechien. Die Brexit-Entscheidung. Immer gibt es zumindest einen Teilaspekt Globalisten vs. Kommunitaristen. Und interessanterweise ist das Zahlenverhältnis der Gruppen fast immer fast fifty fifty.

Das Problem sehe ich darin, dies als eine negativ konnotierte "Spaltung der Gesellschaft" anzusehen. Anders als 1933 sehen wir heute Vielfalt, Diversität usw, als positiv. Kommunitarismus ist nicht so etwas wie das heliozentrische Weltbild nach dem geozentrischen. Also die ABlösung des total Falschen durch das total Richtige. WIr werden damit leben müssen, dass es in unseren Gesellschaften ganz unterschiedliche Sichtweisen gibt. Die politische STrategie sollte sein, dies positiv umzudeuten, Nicht als "Spaltung" sondern als Vielfalt und DIversität.

Es ist doch völlig offensichtlich, dass dieser "Spaltungs"-Begriff suggestiv, demagogisch benutzt wird. Da legt jemand die Axt an die Gesellschaft an, und dann, mein Gott, ist sie "gespalten". "Tut doch was!" würde die BILD schreiben. Schon vergessen, dass das Kürzel SED unter anderem "Einheit" als Begriff enthielt? Ich will keine Einheit sondern Vielfalt, Differenz und UNterschiedlichkeit.
Ich habe diesen Beitrag auch gehört und dazu einen eigenen Strang aufgemacht:
MäckIntaier hat geschrieben:(09 Dec 2018, 13:05)

Ich würde das lieber dort und außerhalb dieses Strangs diskutieren, um es nicht auf das historische Thema einzuengen.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Europa2050 »

Selina hat geschrieben:(08 Dec 2018, 13:22)

Zuerst einmal sollten Deutsche die Mechanismen erkennen, die Deutsche dazu gebracht haben, einem machtbesessenen, brutalen und menschenfeindlichen Führer und seinen Gefolgsleuten hinterherzurennen. Begeistert und frenetisch. Es geht zuerst einmal um uns Deutsche und nicht um irgendein allgemeines Führer-Anbetungs-Problem. Ich glaube, wir brauchen noch Generationen, bis das einmal aufgearbeitet ist. Warum wurde gerade in Deutschland der Boden für den so genannten "Nationalsozialismus" bereitet? Warum klappte das alles so gut mit uns Deutschen? Wie verführbar sind wir? Wo stehen wir da heute? Kann uns brauner Ungeist immer noch verführen?
Ich würde ein klassisches Jein erwidern wollen.

Wenn man auf Europa am 30.1.1933 schaut, waren nur noch Skandinavien (ohne Finnland) Westeuropa (GB, F. Benelux und Schweiz) und die ČSR als Demokratie zu bezeichnen. Ansonsten faschistische Diktaturen, Autokratien, Monarchien oder kommunistische Diktaturen. Da war Deutschland leider nichts Besonderes.
Die viel gescholtene Weimarer Republik hat sich bei ihren schlechten Rahmenbedingungen sogar recht gut gehalten.
Und gerade diese gegenseitige Ansteckung sehe ich auch heute als eine Gefahr. Russland, Ungarn, Türkei, Lega Nord, AfD, Le Pen - in der Ablehnung der Demokratie vereint.

Während aber andere nationalistische/faschistische Diktaturen - z.B. Polen, Finnland oder auch Spanien sich auf Unterdrückung der Oppositionellen und an sonsten Machterhalt beschränkt hatten, haben die Deutschen es nicht geschafft, die wirren Ideen ihres Führers dem es eben nicht nur um Machterhalt, sondern seine eigene diabolische Agenda ging, einzubremsen.

Das sind die Lehren. Nicht nur „wehret den Anfängen“ sondern auch Hirn benutzen und „Bremsen bevor es zu spät ist“. Und weil nicht alle Helden sind, notfalls auch dem Regime durch Emmigration Gefolgschaft verweigern. Das zumindestens kann jeder.

Das Singuläre war also m.E. nicht der NS als solches, der war eine schmutzige Zeiterscheinung, der die Deutschen leider willig gefolgt sind.
Das Singuläre ist, wie die Deutschen ohne nachzudenken und inne zu halten immer tiefer in Bestialität und Aggression versanken und dieses auch in überwiegender Mehrheit für richtig hielten und aktiv mit Denunziation und ähnlichem unterstützten, im überwiegenden Fall auch ohne Gestapo.

Deshalb auch eine Lehre: Immer hinterfragen, ein einmal gemachter Fehler muss nicht unbedingt den Nächsten nach sich ziehen.

Und natürlich trotzdem: Wehret den Anfängen. Menschen- und Freiheitsrechte stehen über allem. Immer.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Darkfire »

Das Problem das dann aber viele haben, ist daß aus einer Gewissheit, ich habe ja alles im Griff ich weis schon wo das Böse ist eine Ohnmacht erwachsen kann.

„Es geht zuerst einmal um uns Deutsche und nicht um irgendein allgemeines Führer-Anbetungs-Problem. „

Solange man also in Deutschland aufpasst das hier keine Leute mit Hackenkreuzen herumrennen kann gar nichts passieren.
Die Argumentation des Rassismus ist daß es ein Volk gibt mit ganz bestimmten Merkmalen.

„Warum wurde gerade in Deutschland der Boden für den so genannten "Nationalsozialismus" bereitet? Warum klappte das alles so gut mit uns Deutschen? Wie verführbar sind wir? Wo stehen wir da heute? Kann uns brauner Ungeist immer noch verführen?“

Andere sind vollkommen Immun, es ist ein spezielles Deutsches Gen das uns anders macht.
Wir sind etwas Besonderes.
Somit müssen wir also nur Stellvertretend für die Welt büssen und schon ist die Welt vor allem bösen sicher.

„Ich glaube, wir brauchen noch Generationen, bis das einmal aufgearbeitet ist.“

Ist es also die Pflicht der Deutschen schön aufzupassen das hier keiner mit Hackenkreuz herumläuft, ist das die Verantwortung der Deutschen dafür was sie angerichtet haben.
Erledigt man das in dem man sich zu Profibösewicht ernennt, glaubt man wäre etwas besonderes was es in der Welt nur in Deutschland gibt und rettet somit die Welt in dem man das so aufarbeitet ?

Wäre es nicht gerade die Pflicht der Deutschen, nicht nur auf die Zeit des Holocaust zu schauen, sondern auf die Zeit in der diese Personen ihre Macht erhalten haben, welche ihnen das alles ermöglichte?
War es wirklich so das bei den Deutschen in dieser Zeit plötzlich ein kollektiver Wahnsinn ausbrach, den wir heute so gar nicht mehr verstehen können und plötzlich alle ganz bewusst böse wurden ?

Ich empfinde es als eine der Pflichten welche Deutschland hat, nicht diese Verbrechen nur aufzuarbeiten wie hier empfohlen wurde, sondern darum zu verstehen warum so etwas geschehen konnte.
Aber vielleicht ist das ja enttäuschend wenn man selber eben nicht so etwas besonderes ist, das potentielle Material aus dem Monster sind.
Man ist nicht die Bestie die man nur mit Mühe im Zaum halten kann, sondern nur das einfache dumme menschliche Wesen, daß eben wegschaut.
Es waren nicht die Menschen die einem Hitler hinterher rannten, es waren die noch viel mehr Menschen die zugeschaut haben.
Die gedacht haben ok eigentlich ist das ja ganz gut was er macht, hin und wieder mal eine geile Parade und da wird das Sudentenland heimgeholt, die Medien schwärmen von ihm, also kann ich ja auch mal wegschauen wenn meine Jüdischen Nachbarn abgeholt werden, tun ja eh alle.
Das Böse kommt eben nicht mit einem Blaulicht auf dem Kopf um die Ecke und sag ich bin das böse.
Wäre Hitler vor 38 gestorben, währe er wohl als einer der größten Deutschen Gestalten in die Geschichte eingegangen.
Wie sich ein Mensch entwickelt wenn es die Macht hat kann man nie wissen, aber man kann sehr gut beobachten wie es dazu kommt das so jemand an die Macht kam.
Leute wie Hitler gibt es viele, nicht nur in Deutschland.
Aber welch ein System kann es geben, welches zulässt das eben so ein Führer-Anbetungs-Problem entsteht ?
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Selina
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

Europa2050 hat geschrieben:(11 Dec 2018, 06:57)

Ich würde ein klassisches Jein erwidern wollen.

Wenn man auf Europa am 30.1.1933 schaut, waren nur noch Skandinavien (ohne Finnland) Westeuropa (GB, F. Benelux und Schweiz) und die ČSR als Demokratie zu bezeichnen. Ansonsten faschistische Diktaturen, Autokratien, Monarchien oder kommunistische Diktaturen. Da war Deutschland leider nichts Besonderes.
Die viel gescholtene Weimarer Republik hat sich bei ihren schlechten Rahmenbedingungen sogar recht gut gehalten.
Und gerade diese gegenseitige Ansteckung sehe ich auch heute als eine Gefahr. Russland, Ungarn, Türkei, Lega Nord, AfD, Le Pen - in der Ablehnung der Demokratie vereint.

Während aber andere nationalistische/faschistische Diktaturen - z.B. Polen, Finnland oder auch Spanien sich auf Unterdrückung der Oppositionellen und an sonsten Machterhalt beschränkt hatten, haben die Deutschen es nicht geschafft, die wirren Ideen ihres Führers dem es eben nicht nur um Machterhalt, sondern seine eigene diabolische Agenda ging, einzubremsen.

Das sind die Lehren. Nicht nur „wehret den Anfängen“ sondern auch Hirn benutzen und „Bremsen bevor es zu spät ist“. Und weil nicht alle Helden sind, notfalls auch dem Regime durch Emmigration Gefolgschaft verweigern. Das zumindestens kann jeder.

Das Singuläre war also m.E. nicht der NS als solches, der war eine schmutzige Zeiterscheinung, der die Deutschen leider willig gefolgt sind.
Das Singuläre ist, wie die Deutschen ohne nachzudenken und inne zu halten immer tiefer in Bestialität und Aggression versanken und dieses auch in überwiegender Mehrheit für richtig hielten und aktiv mit Denunziation und ähnlichem unterstützten, im überwiegenden Fall auch ohne Gestapo.

Deshalb auch eine Lehre: Immer hinterfragen, ein einmal gemachter Fehler muss nicht unbedingt den Nächsten nach sich ziehen.

Und natürlich trotzdem: Wehret den Anfängen. Menschen- und Freiheitsrechte stehen über allem. Immer.
Deutschland war durchaus etwas "Besonderes": Der Holocaust und der grausame Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941, der zum beispiellosen Vernichtungskrieg wurde und 20 Millionen Sowjetbürgern das Leben kostete, belegen das.

Zitat:

Aber mit dem Holocaust allein hat es nicht sein Bewenden. Zwei weitere große Verbrechen weisen die Hamburger Historiker der Wehrmacht nach, an denen sie aktiv und als Gesamtorganisation beteiligt war: den Massenmord an sowjetischen Kriegsgefangenen und den Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten des Ostens, auf dem Balkan und in Italien. Exemplarisch vorgeführt werden zwei Schauplätze: Serbien und Weißrußland, außerdem in Bild und Wort eine "kollektive Biographie" der 6. Armee, jener bei Stalingrad untergegangenen Armee, deren Name hierzulande gemeinhin Mitleid und Trauer hervorruft.

Nun können wir sie auf ihrem langen Weg bis zur Wolga begleiten, und am Wegesrand stehen die Galgen und liegen riesige Massengräber (wie das von Babi Jar), in denen gemordete wehrlose Menschen, Männer, Frauen, Kinder, verscharrt wurden.

Diese Wahrheit offenzulegen war gar nicht so einfach. Denn die Wehrmacht achtete peinlich darauf, ihre Verbrechen zu vertuschen. Dauernd ergehen drohende Befehle an die Truppe, das Photographieren bei Massenhinrichtungen zu unterlassen - es geschah dennoch in ungeahntem Ausmaße. Welch Feingefühl spricht aus dem Erlaß des Wehrmachtbefehlshabers Ostland vom 15. November 1941, worin er das Verschicken eines solchen Photos in die Heimat untersagt, "da es im höchsten Grade unerwünscht ist, daß Bilder derart unästhetischer Motive unter der Zivilbevölkerung verbreitet werden". Aber mancher Soldat brachte die Bilder beim Urlaub dennoch mit nach Hause.

Allerdings, und diese Frage entzweit die Besucher und die Teilnehmer bei den Diskussionen im umfangreichen Beiprogramm: Wie weit darf man pauschalieren? Die Wehrmacht eine Verbrecherorganisation? Es war doch nicht jede Kompanie an den Massakern beteiligt. Hingegen: Viele Soldaten haben in den Urlauberzügen eine Menge gruseliger Erzählungen gehört. Und in den Lazaretten wurden Photos von Massengräbern herumgereicht. Zu Hause jedoch erzählten die Landser und die Heimkehrer am liebsten, wie friedlich und einträchtig sie mit den russischen Bauern in der Etappe monatelang zusammengelebt hatten. Was sie verschwiegen: Beim Rückzug legten sie - Befehl ist Befehl!? - Feuer an die Strohdächer.

Der Feind im Osten wurde schon vor Feldzugsbeginn stigmatisiert: Juden waren Partisanen, Zigeuner Kriminelle, Frauen in Uniform Flintenweiber, Kinder Kundschafter. Und jedes Stigma wurde nur zu oft zum Todesurteil. Ein Hauptmann Finselberg vom Infanterie-Regiment 6 machte seine Kompanie vor dem Grenzübertritt mit dem Kommissarbefehl vertraut: Diese politischen Offiziere der Roten Armee, erkennbar am Stern auf dem Ärmel, seien "wahre Teufel in Menschengestalt" und ohne weiteres zu erschießen.

Im Laufe der Operationen, die viel länger dauerten, als sich das der größenwahnsinnige Generalstab erhofft hatte, kam noch ein neues Feindbild hinzu: Herumstreuner. Da sich nach den großen Kesselschlachten in der Ukraine Massen versprengter Soldaten in Wäldern und Sümpfen versteckten - es hatte sich inzwischen herumgesprochen, daß die Deutschen ihre Kriegsgefangenen verhungern ließen oder am Wegesrand und in den Lagern erschossen -, beschloß man kurzerhand, sie alle als Freischärler zu betrachten, die nach Kriegsrecht zu behandeln seien. Der Stab der 6. Armee registriert Ende 1941 voller Zufriedenheit, daß es in Charkow keine Sabotageakte mehr gebe, seit man "mehrere hundert Partisanen und verdächtige Elemente in der Stadt aufgehängt habe". Verdächtig machte sich jeder, der einen Deutschen auch nur schief anguckte. Da wurde jeder Landser zum Herrn über Leben und Tod.


https://www.zeit.de/1995/12/Als_Soldate ... en/seite-2
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Europa2050 »

Selina hat geschrieben:(12 Dec 2018, 18:49)

Deutschland war durchaus etwas "Besonderes": Der Holocaust und der grausame Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941, der zum beispiellosen Vernichtungskrieg wurde und 20 Millionen Sowjetbürgern das Leben kostete, belegen das.
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Da hast du komplett recht, und offensichtlich habe ich mich da unklar ausgedrückt:

Singulär war die Machtergreifung 1933 leider nicht, zu viele Demokratien waren zwischen 1918 und1933 schon der Diktatur anheimgefallen, von Finnland über die Türkei bis Portugal.

Singulär war jedoch die Tatsache, dass die Deutschen der Verwandlung ihres Kulturstaates in die größte Barbarei aller Zeiten nicht Einhalt geboten. Das wiederum gab es in den anderen Diktaturen nicht. Shoa und Vernichtungskrieg waren dann eben singulär - und ja, jeder der sich dem nicht entzog oder Einhalt gebot machte sich schuldig - ob enthusiastisch, mitlaufend oder resigniert, mag noch über die Schwere befinden, nicht über die Tatsache.
Es war eben die Maßlosigkeit in der Deutschland seinen Faschismus auslebte, die „Besonders“ war.

Aber prinzipiell liegen wir da schon beinand.
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Selina
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

Europa2050 hat geschrieben:(12 Dec 2018, 20:50)

Da hast du komplett recht, und offensichtlich habe ich mich da unklar ausgedrückt:

Singulär war die Machtergreifung 1933 leider nicht, zu viele Demokratien waren zwischen 1918 und1933 schon der Diktatur anheimgefallen, von Finnland über die Türkei bis Portugal.

Singulär war jedoch die Tatsache, dass die Deutschen der Verwandlung ihres Kulturstaates in die größte Barbarei aller Zeiten nicht Einhalt geboten. Das wiederum gab es in den anderen Diktaturen nicht. Shoa und Vernichtungskrieg waren dann eben singulär - und ja, jeder der sich dem nicht entzog oder Einhalt gebot machte sich schuldig - ob enthusiastisch, mitlaufend oder resigniert, mag noch über die Schwere befinden, nicht über die Tatsache.
Es war eben die Maßlosigkeit in der Deutschland seinen Faschismus auslebte, die „Besonders“ war.

Aber prinzipiell liegen wir da schon beinand.
Ja, nunmehr sehr "beinand" ;)
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