Europa2050 hat geschrieben:(17 Dec 2018, 08:19)
Auf die Diskussion „Berliner Einserabitur konkurriert mit bayerischen Dreierabitur um NC-Studienplatz“ wollte ich gar nicht eingehen, das kommt noch oben drauf. Den NC muss der Schüler, der in der zehnten oder elften mit einem komplett unterschiedlichen Bildungsstand konfrontiert wird, auch erst mal hinkriegen.
Mir ging es gar nicht um den NC. Am Ende sitzen da Schüler aus 16 deutschen Schulsystemen, 50 oder mehr nationalen Oberstufen, Menschen auf dem zweiten Bildungsweg, Waldorfschüler und Hochbegabte alle vor demselben Dozenten, dem das schulische Vorwissen der Anfänger völlig Wurst ist. Grundkurs, Leistungskurs, Bayern-Schule - egal. Darauf soll Abitur vorbereiten. Dazu ist der konkrete Lehrinhalt ziemlich nachrangig. Im Gegenteil kömmt es dabei mehr aufs Lernenkönnen an, auf Selbstorganisation, Selbsteinschätzung.
Damit will ich nicht sagen, wie es heute so modisch ist, dass der Lehrplan beliebig sei oder zu dick oder sonst was. Mir geht es nur um den Aspekt, dass gerade die Spitzenschulen, also Gesamtschule und Gymnasium, vorwiegend Schüler haben sollten, die mit solchen Umbruchsituationen umgehen (lernen) können. Wenn dabei mal ein Halbjahreszeugnis schlechter ausfällt, bevor es wieder läuft - wem tut das weh? Das ist dann ein ehrlicher Report des Zwischenstandes, mit dem man umgehen lernen muss.
In Bayern wird auf sprachliche Bildung extrem viel Wert gelegt, MINT ist o.k.
In Sachsen laufen die Sprachen mit, dafür ist die MINT-Ausbildung sehr anspruchsvoll - die Sprachnoten wurden von Bayern nach Sachsen aus dem Stand um eine Stufe besser. In MINT wurde er gefordert, das ging aber.
Auch in Sachsen gibt es eher naturwissenschaftlich-technische und eher musisch-künstlerische oder altsprachliche Gymnasien, obwohl ganz Sachsen den selben Lehrplan hat. Mit steigendem Abstand zur DDR und steigendem Anteil von hereingeschmeckten oder später sozialisierten Lehrern dürfte ein früher erlebter pauschaler Unterschied Sachsen-Bayern sogar mit jedem Jahr immer mehr einem Unterschied diese Schule - jene Schule weichen. Bildung hat viele Aspekte, Philosophie der Einrichtung, Strategie der Kostenträger, Erfahrung und Ausbildung der Lehrer, Lehrplan auch, ja, Reichtum der jeweiligen Gemeinde, schülerarme oder schülerreiche Jahrgänge... so soll es auch sein. Ein Wettbewerb ums Beste in allen Aspekten, eben auch im Lehrplan - im Rahmen gemeinsamer Standards. Verstärkt bekommen wir es auch mit Privatschulen zu tun, die häufig in Wirklichkeit bloß Staatsgeld anders managen. Bei denen ist schon der Anspruch, dass es irgendwie anders läuft. Die grünen Einheitsfanatiker schalten da auf Durchzug und rennen begeistert hin.
In B-W hat mein Sohn in einem Schuljahr fast gar nix gelernt, dafür mit seinen sächsischen Vorkenntnissen top-Noten gehabt.
Von B-W nach Bayern kamen dann die Probleme im Sprachbereich (alle drei Sprachen, auch Deutsch).
Das ist so ein Aspekt, den ich kenne, aber nicht verstehe. Wie kann man in höheren Schuljahren Probleme mit dem deutschen Sprachunterricht haben als Muttersprachler? Ich hatte das nie, deshalb verstehe ich es vielleicht schlecht. Die Grammatik hat man spätestens irgendwo um die 6. Klasse auch formal begriffen, ob man nun Verb oder Tunwort sagt. Gerade, wer in Naturwissenschaften oder Mathematik brilliert, sollte das halbe Dutzend Regeln des Satzbaus locker beherrschen. Bleiben Wortschatz / Rechtschreibung und Literatur. Literaturunterricht ist zu 1/3 Fleiß, zu 1/3 Regelverständnis und zu 1/3 bestimmt von etwas drittem. Man muss den Scheißdreck lesen, man muss verinnerlichen, wie der Algorithmus für eine Inhaltsangabe, eine stilistische Analyse oder eine Interpretation jeweils ist. Das letzte Drittel nenne ich einmal kulturelle Präferenz, weil Willkür so böse klingt: Welche Deutung der klassischen Stoffe gefällt dem Lehrer? Welche von dir gefundenen Stilmittel hält er für relevant? Ist es ihm wichtiger, dass du (von ihm oder der Sekundärliteratur) anerkannte Muster findest und als wichtig unterstreichst oder dass du schematisch noch jede Alliteration, noch jede Ellipse aufspürst und dokumentierst, obwohl sie gar nicht stilprägend oder vielleicht sogar Zufall ist? Hier gibt es auch Luft, um persönliche Sympathien zu verstecken. Das ist aber von der Deutschnote nur ein kleiner Teil.
Und in Sachen Austauschjahr kommt doch mehreres zusammen:
- meist handelt es sich um eher sprachbegabte Schüler, die das machen
- ein eventuell nötiges Wiedereinsteigen in der niedrigeren Klasse wird zumeist einkalkuliert, ist kein Sitzenbleiben
Sie schaffen es häufig, in einem komplett fremden Schulsystem passabel mitzukommen. Französische Lehrer sind nicht für ihre Nachsicht mit Fremden bekannt. Selbst, wenn man die Sprache gut kann, ist doch das Schulsystem etwas anders, der Lehrplan anders, der Startpunkt des Schuljahres anders. Das geht. Aber die geringen Unterschiede zwischen zwei Bundesländer-Lehrplänen sind so fatal? Hast du mal einen Vergleich zu einem Schulwechsel innerhalb des Bundeslandes erlebt?
Und vor allem: Die Herausforderung ist freiwillig und nicht vom Staat aufoktroiert, wie bei einem Bundeslandswechsel. Das gilt auch für die bei dir erwähnten Alternativen Schulformen.
Der Staat hat die Kinder in ein anderes Bundesland geschickt? Glaube ich nicht. Das waren die Eltern, das Leben. Das Leben steckt voll Herausforderungen, die man sich oft gar nicht ausgesucht hat. Was soll ich dazu sagen?