Volksentscheide, direkte Demokratie: Pro & Contra

Moderator: Moderatoren Forum 2

Benutzeravatar
Watchful_Eye
Beiträge: 3129
Registriert: Sa 7. Jun 2008, 12:13
Kontaktdaten:

Volksentscheide, direkte Demokratie: Pro & Contra

Beitrag von Watchful_Eye »

Mich erinnert der aktuelle Aufstieg der AfD ja an eine Debatte, die wir vor 10 Jahren hatten, als unter Schröder die Hartz-Gesetze eingeführt wurden.

Damals machte die SPD damit eine wirtschaftsliberale Politik, die zuvor nicht einmal von der Schwarz-Gelben Kohl-Regierung gewagt worden war. Die Folge war, dass Oskar Lafontaine den Kurs nicht mittrug und die sozialistische radikale Linke erstarkte. Sarah Wagenknecht war ständig in den Talkshows und die Medien stellten sie als populistische Spinnerin dar. Die Leute wollten diese Partei oftmals eigentlich nicht wählen, wussten aber nicht, wie sie ihren Protest zu den Hartz-Gesetzen anderweitig zum Ausdruck bringen sollten.

Nun dasselbe umgekehrt: Die CDU macht eine Asylpolitik, die man bestenfalls von Rot-Grün erwartet hätte. Die Folge ist, dass rechte Kräfte, oftmals ehemalige CDUler, erstarkten. Man sieht irgendwelche rechten in Talkshows, die in den Medien als populistische oder gar gefährliche Spinner dargestellt werden. Die meisten wollen die AfD gar nicht wählen, wissen aber nicht, wie sie ihren Protest zur Asylpolitik von Merkel anders zum Ausdruck bringen sollen.

Ich sehe darin ein Problem der parlamentarischen Demokratie. Dieses System ist zu unflexibel. Wenn eine große Partei eine Politik macht, die eigentlich eher ihrer eigenen Opposition zuzutrauen wäre, fehlt eine sinnvolle Alternative. So bleibt dem wählenden Volk nichts anderes übrig, als irgendwelche radikalen Splitterparteien zu wählen. Wenn man derzeit als Wähler die CDU für die Asylpolitik abstrafen will, muss man "mit Kanonen auf Spatzen schießen" und ein komplett rechtes Paket (inkl. Dinge wie Ablehnung von Abtreibung und Homo-Ehe) wählen, dabei wären die nicht-radikalen Kritiker bereits mit einer restriktiveren Politik á la CSU/Seehofer bereits zufriedenzustellen.

Ich glaube nicht daran, dass die parlamentarische Demokratie für mehr Stabilität sorgt. Zwar rückt der Zwang, sich für ein Paket zu entscheiden, die Wähler zunächst in Richtung Mitte, sobald aber "der Damm gebrochen ist", kann potentiell daraus sogar eine radikalere Politik entstehen, als von den Wählern eigentlich gewünscht ist.
Zuletzt geändert von Brainiac am Mi 6. Apr 2016, 18:03, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: [MOD] Titel aufgrund Threadzusammenführung geändert
"In a world where I feel so small, I can't stop thinking big." (Rush - Caravan)
steve1974
Beiträge: 1926
Registriert: Do 14. Mai 2015, 19:17

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von steve1974 »

-
Ich wäre für mehr Volksentscheide.
und nur für Abgeordnete ohne Parteien.
Die transparent alle Einkünfte offenlegen müssen,
keine Aufsichtsratsposten oder sonstige Industrieposten haben dürfen,
und nur nach Information und bestem Gewissen entscheiden .
Nicht nach Fraktionszwang .
Und für eine Wahl der Minister direkt vom Volk.

Ich halte das bestehende System für überholt und verfault .
-
Benutzeravatar
Yossarian
Beiträge: 3836
Registriert: Do 24. Sep 2015, 13:06

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Yossarian »

Gut analysiert, kann ich zustimmen. Aber nur ein Faktor der zum erstarken reaktionärer (kann man schon davon sprechen?) Kräfte in Europa aber auch den USA beiträgt.

Die Ursachen sind komplex, von Globalisierung über Finanzkrise und Strukturkrisen in der Eu, Kultur- und Medienkampf, Flüchtlingskrise bishin zu den Brandstiftern in Russland und ähnlich autoritären Staaten. Aufzuhalten sind sie nicht mehr, die Chance hatte vielleicht auch nur Obama vor 2014. Nun, Vorhang auf Film ab, zumindest kann man sich gute Plätze sichern für die Show.
Wenn ich einen Vogel sehe der wie eine Ente watschelt und wie eine Ente schwimmt und wie eine Ente quakt dann nenne ich ihn eine Ente. Und wenn der Vogel dementiert eine Ente zu sein ist es eine russische Ente.
Benutzeravatar
Quatschki
Beiträge: 13178
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 09:14
Wohnort: Make Saxony great again

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Quatschki »

Ein anderes Problem dieser Demokratie:
In der Vergangenheit mußten Politiker oft wegen Spendenaffairen oder Bonusmeilenmißbrauchs zurücktreten
Wenn sie aber Mißwirtschaft in Milliardenhöhe betreiben, die Bundeswehr verrotten lassen, einen außenpolitischen Scherbenhaufen anrichten oder das ganze Land gegen den Baum zu fahren drohen, dann ist das kein Grund, sie abzulösen?
Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
„Dies ist wieder ein Exempel!“
Benutzeravatar
3x schwarzer Kater
Beiträge: 25726
Registriert: Mo 26. Mai 2014, 16:25
user title: Do legst di nieda
Wohnort: Schwaben

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von 3x schwarzer Kater »

steve1974 hat geschrieben:(22 Feb 2016, 22:22)

-
Ich wäre für mehr Volksentscheide.
und nur für Abgeordnete ohne Parteien.
Die transparent alle Einkünfte offenlegen müssen,
keine Aufsichtsratsposten oder sonstige Industrieposten haben dürfen,
und nur nach Information und bestem Gewissen entscheiden .
Nicht nach Fraktionszwang .

-
Welche Verbesserung erwartest du dir davon?
„Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem.“ (Karl Valentin)
Svi Back

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Svi Back »

Watchful_Eye hat geschrieben:(22 Feb 2016, 22:13)

Wenn man derzeit als Wähler die CDU für die Asylpolitik abstrafen will, muss man "mit Kanonen auf Spatzen schießen" und ein komplett rechtes Paket (inkl. Dinge wie Ablehnung von Abtreibung und Homo-Ehe) wählen, dabei wären die nicht-radikalen Kritiker bereits mit einer restriktiveren Politik á la CSU/Seehofer bereits zufriedenzustellen.
Was du schreibst ist durchaus richtig. Auf diesen Absatz muss ich jedoch eingehen. Soweit ich mitbekommen
habe, will die AfD eine Veränderung des Abtreibungsparagraph (was ich für falsch halte). Von Verbot war noch nie die Rede. Im Übrigen ist auch die CDU gegen die Homoehe und wie die AfD für die Beibehaltung der eingetragenen Partnerschaften (was ich für richtig halte).

Also, wenn man sich der Problematik AfD seriös nähern will, muss man bei Fakten bleiben und keinen Popanz aufbauen.
Benutzeravatar
3x schwarzer Kater
Beiträge: 25726
Registriert: Mo 26. Mai 2014, 16:25
user title: Do legst di nieda
Wohnort: Schwaben

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von 3x schwarzer Kater »

Svi Back hat geschrieben:(22 Feb 2016, 22:48)



Also, wenn man sich der Problematik AfD seriös nähern will, muss man bei Fakten bleiben und keinen Popanz aufbauen.
Fakten würde aber bedingen ein Parteiprogramm zu haben. Das hst die AfD nicht.
„Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem.“ (Karl Valentin)
Svi Back

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Svi Back »

3x schwarzer Kater hat geschrieben:(22 Feb 2016, 23:00)

Fakten würde aber bedingen ein Parteiprogramm zu haben. Das hst die AfD nicht.
Richtig, das hatten wir aber schon. Musst dich halt noch gedulden.
Ich habe jedoch nur von Verschärfung der Abtreibungsparagraph gelesen und nichts von Verbot und ich hatte auch
gelesen, dass man "eingetragene Lebenspartnerschaften" richtig findet.
Es ist egal was man dazu sagt, das sind völlig legitime politische Ansichten, die sich nicht für einen Popanz
eignen. Man kann sagen, man findet das falsch oder richtig mit Argumenten dafür werben oder dagegen argumentieren und das war es auch. Null Thema für Aufregung.
Benutzeravatar
3x schwarzer Kater
Beiträge: 25726
Registriert: Mo 26. Mai 2014, 16:25
user title: Do legst di nieda
Wohnort: Schwaben

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von 3x schwarzer Kater »

Svi Back hat geschrieben:(22 Feb 2016, 23:13)

Richtig, das hatten wir aber schon. Musst dich halt noch gedulden.
Ich habe jedoch nur von Verschärfung der Abtreibungsparagraph gelesen und nichts von Verbot und ich hatte auch
gelesen, dass man "eingetragene Lebenspartnerschaften" richtig findet.
Es ist egal was man dazu sagt, das sind völlig legitime politische Ansichten, die sich nicht für einen Popanz
eignen. Man kann sagen, man findet das falsch oder richtig mit Argumenten dafür werben oder dagegen argumentieren und das war es auch. Null Thema für Aufregung.
Ein Parteiprogramm ist für mich essentiell um überhaupt zu beurteilen, ob eine Partei wählbar ist. Hat die AfD nicht, also unwählbar.
„Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem.“ (Karl Valentin)
Svi Back

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Svi Back »

3x schwarzer Kater hat geschrieben:(22 Feb 2016, 23:19)

Ein Parteiprogramm ist für mich essentiell um überhaupt zu beurteilen, ob eine Partei wählbar ist. Hat die AfD nicht, also unwählbar.
das kannst du so sehen, andere sehen das anders. Nichts unnormales. Ich vermute 80% der Wähler kennen
kein einziges Parteiprogramm irgendeiner Partei.
Benutzeravatar
John Galt
Beiträge: 15306
Registriert: So 1. Jun 2008, 23:44
user title: No Gods or Kings. Only Man.

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von John Galt »

Die Spannungen entstehen eben vor allem dadurch, dass der Wähler nur alle 4 Jahre sein Stimmchen abgeben darf. Gerade deshalb benötigt man auf Bundesebene eine Möglichkeit der direkten Mitbestimmung. Wir haben das Geld und die Ressourcen, daran soll es nicht scheitern. Das Volk soll allerdings seine Klappe halten, dann kommt eben die Rechnung nach den 4 Jahren.

Natürlich kann man auch innerparteilich den Kurs ändern. Wir haben aber die niedrigsten Parteimitgliederzahlen seit langem. Von ~60 Millionen Wählern, sind gerade noch 1 Millionen und ein paar Zerquetschte in einer Partei.

Auch innerparteilich lässt sich kurzfristig ohne Geld und Einfluss nichts bewirken.
Civilization is the progress toward a society of privacy. The savage’s whole existence is public, ruled by the laws of his tribe. Civilization is the process of setting man free from men.
Benutzeravatar
Cat with a whip
Beiträge: 13369
Registriert: Fr 4. Jul 2008, 21:49

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Cat with a whip »

Watchful_Eye hat geschrieben:(22 Feb 2016, 22:13)

Wenn man derzeit als Wähler die CDU für die Asylpolitik abstrafen will, muss man "mit Kanonen auf Spatzen schießen" und ein komplett rechtes Paket (inkl. Dinge wie Ablehnung von Abtreibung und Homo-Ehe) wählen.
Warum muß man das? Das versteh ich nicht. Man kann doch auch eine menschenfreundlichere Politik wählen.
"Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen." Joseph Weizenbaum
Benutzeravatar
Cat with a whip
Beiträge: 13369
Registriert: Fr 4. Jul 2008, 21:49

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Cat with a whip »

Watchful_Eye hat geschrieben:(22 Feb 2016, 22:13)
Die Folge war, dass Oskar Lafontaine den Kurs nicht mittrug und die sozialistische radikale Linke erstarkte.
Die radikalen linken Parteien blieben weiter bedeutungslos. Das was sich links von der SPD formte waren das was die SPD aufgab. Radikal war das nicht, sondern sozialdemokratisch.
"Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen." Joseph Weizenbaum
Benutzeravatar
Cat with a whip
Beiträge: 13369
Registriert: Fr 4. Jul 2008, 21:49

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Cat with a whip »

Watchful_Eye hat geschrieben:(22 Feb 2016, 22:13)

Nun dasselbe umgekehrt: Die CDU macht eine Asylpolitik, die man bestenfalls von Rot-Grün erwartet hätte.
Ganz und gar nicht. Für diese Erwartungshaltung müsste man schon eine ziemlich verdrehte Sicht auf die Welt haben oder ganz rechts politisch angesiedelt sein.
"Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen." Joseph Weizenbaum
Benutzeravatar
Cat with a whip
Beiträge: 13369
Registriert: Fr 4. Jul 2008, 21:49

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Cat with a whip »

Watchful_Eye hat geschrieben:(22 Feb 2016, 22:13)
Ich glaube nicht daran, dass die parlamentarische Demokratie für mehr Stabilität sorgt.

Gerade in Zeiten wie diesen wo die menschenfeindlichen nationalistischen Hetzer Aufwind bekommen zeigt sich wie stabilisierend unsere parlamentarische Demokratie ist. Denn das Gesamtbild ist ja entscheidend.
Wir haben eben nicht mehr Weimarer Verhältnisse, so sehr sich dies auch einige herbeisehnen.
"Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen." Joseph Weizenbaum
Benutzeravatar
Watchful_Eye
Beiträge: 3129
Registriert: Sa 7. Jun 2008, 12:13
Kontaktdaten:

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Watchful_Eye »

Cat with a whip hat geschrieben:(22 Feb 2016, 23:42)

Warum muß man das? Das versteh ich nicht. Man kann doch auch eine menschenfreundlichere Politik wählen.
Das ist ein "Wenn, dann"-Satz. Wenn man mit der CDU einverstanden ist, kann man das natürlich auch nicht tun.
Ganz und gar nicht. Für diese Erwartungshaltung müsste man schon eine ziemlich verdrehte Sicht auf die Welt haben oder ganz rechts politisch angesiedelt sein.
Naja, die Mehrheit der EU-Länder handhabt ja die Asylpolitik restriktiver. Und unter der CDU selbst (bzw CDU/SPD) wurde im Jahre 1993 die massive Einschränkung des Asylrechts als sog "Asylkompromiss" eingeführt. Ich sehe da schon einen Bruch, unabhängig davon, ob man das jetzt gut oder schlecht findet.

Übrigens bin ich zwar kein Mod in diesem Forum, aber ich würde dich bitten, der Übersicht halber auf einen Post nicht gleich mit 4 Posts zu antworten.
"In a world where I feel so small, I can't stop thinking big." (Rush - Caravan)
Benutzeravatar
Cat with a whip
Beiträge: 13369
Registriert: Fr 4. Jul 2008, 21:49

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Cat with a whip »

Watchful_Eye hat geschrieben:(23 Feb 2016, 00:16)

Das ist ein "Wenn, dann"-Satz. Wenn man mit der CDU einverstanden ist, kann man das natürlich auch nicht tun.
Sie hätte sich selbst fragen sollen wieso sie selbstredend davon ausgehen, dass ein CDU-Wähler, der die CDU für ihre Asylpolitik "abstrafen" will (als ob es ein Vergehen wäre) ist eine restriktivere Alternative sucht.
Kann ja sein dass es CDU-Wähler gibt die sich eine offenere und menschenfreundlichere Asylpolitik wünschen. Würde ich mir schonmal vorstellen können bei einer Partei die sich aufs Christentum und seine Werte wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit beruft.
Oder passt das nicht in Ihr Stereotyp vom CDU-Wähler?
"Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen." Joseph Weizenbaum
Benutzeravatar
Watchful_Eye
Beiträge: 3129
Registriert: Sa 7. Jun 2008, 12:13
Kontaktdaten:

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Watchful_Eye »

Die CDU ist zumindestens die Partei, die den Konservatismus verkörpert. Dort würde ich so eine Denkweise in der Tat eher erwarten als bei den davon links stehenden Parteien. Ausnahme ist vielleicht noch die FDP.

Verstehe ich es richtig, dass sie davon ausgehen (ich duze übrigens lieber im Internet), dass es abgesehen von jenen AFD-wählenden Rechten/Rechtsradikalen praktisch keine Deutschen gibt, die eine restriktivere Flüchtlingspolitik wünschen?

Was ich dazu spontan gefunden habe:
Merkels Flüchtlingspolitik: Ähnlich viel Zustimmung wie Ablehnung
47 Prozent der Deutschen stellen Angela Merkel für ihre Arbeit im Bereich Flüchtlinge und Asyl ein gutes Zeugnis aus, 50 Prozent sind unzufrieden. Damit ist die Kritik an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin gegenüber Januar (Jan. I: 56 Prozent; Jan. II: 54 Prozent) leicht zurückgegangen und umgekehrt die Akzeptanz leicht gestiegen (Jan. I: 39 Prozent; Jan. II: 41 Prozent). Mehrheitliche Unterstützung für ihren Kurs erfährt sie in den eigenen Reihen (CDU/CSU-Anhänger: 67 Prozent), bei den Anhängern der Grünen (67 Prozent) und der SPD (55 Prozent). Die Anhänger der Linken sind gespalten (gut: 48 Prozent; schlecht: 51 Prozent) und für die meisten Anhänger der FDP (62 Prozent) und nahezu alle Anhänger der AfD (97 Prozent) macht sie ihre Sache beim Thema Flüchtlinge eher schlecht.
http://www.forschungsgruppe.de/Aktuelle ... barometer/

Fairerweise muss man sagen, dass diese Umfrage nicht beantwortet, ob die unzufriedenen eine restriktivere oder eine lockerere Flüchtlingspolitik wünschen. Im Falle der CDU-, FDP- und wahrscheinlich auch SPD-Wähler würde es mich allerdings wundern, wenn der Anteil derjenigen, die eine lockerere Flüchtlingspolitik als Merkel wünschen, überwiegen sollte.
"In a world where I feel so small, I can't stop thinking big." (Rush - Caravan)
Benutzeravatar
Yossarian
Beiträge: 3836
Registriert: Do 24. Sep 2015, 13:06

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Yossarian »

Cat with a whip hat geschrieben:(22 Feb 2016, 23:55)

Ganz und gar nicht. Für diese Erwartungshaltung müsste man schon eine ziemlich verdrehte Sicht auf die Welt haben oder ganz rechts politisch angesiedelt sein.
Quark. Die Spd vertritt teils rechtere positionen als die cdu, alles Nazis in dem Fall?
Wenn ich einen Vogel sehe der wie eine Ente watschelt und wie eine Ente schwimmt und wie eine Ente quakt dann nenne ich ihn eine Ente. Und wenn der Vogel dementiert eine Ente zu sein ist es eine russische Ente.
Benutzeravatar
Flat
Beiträge: 4912
Registriert: Sa 7. Mär 2015, 17:14

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Flat »

Moin,

Volksabstimmungen laufen auf eine ja-nein-Alternative hinaus. Die ist aber bei komplexen politischen Fragestellungen oft gar nicht möglich. Genauso wie es nicht möglich ist, dass sich ein Großteil der Bevölkerung in komplexe Fragestellungen einarbeitet und dazu fundiert Stellung nehmen kann.

Volksabstimmungen sind mehr von Stimmungen und weniger von Wissen beeinflusst.

Nehmen wir mal an, wir würden über Todesstrafe abstimmen.
2 Tage vor der Abstimmung geht ein Fall von einem unschuldig Hingerichteten in den USA durch die Presse -> 80 % Ablehnung
2 Tage vorher geschieht ein bestialischer Mord an einem kleinen Kind durch einen mehrfach Vorbestraften -> 55-60 % Zustimmung

Ich halte es für einen Trugschluss, dass die Masse der Bevölkerung vernünftig entscheidet.

Deshalb halte ich die repräsentative Demokratie als Korrektiv bei allen Problemen für die richtige.
_______
wer Rechtsradikales sagt und tut, ist rechtsradikal. Das hat nichts mit Nazikeule zu tun.
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/inte ... 62231.html
Demolit

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Demolit »

Richtig,...die repräsentative Demokratie ist die beste Form der Demokratie. Volksentscheide sind ja in D auch vorgesehen mit der sinnvollen Einrichtung von Hürden dazu. Wenn ich mir die Propagandisten von Volksentscheidungen so ansehe, dann grauer mir ob deren heutigen Ausrichtung und deren intellektuellen Er Fassungsvermögen......

Verbesserungsmöglichkeiten in der Repräsentanten.. Demokratie liegen nur in der Anforderung an die Verantwortung der Repräsentanten. Diese sind aber nur ( so ja gewollt) Spiegelbild der repräsentierten Gesellschaft...........wenn der Bürger ein Schnäppchenjäger ist, dann.....

echt:-)
Benutzeravatar
Keoma
Beiträge: 18417
Registriert: Mi 25. Jun 2008, 13:27
user title: Drum Legend
Wohnort: Österreich

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Keoma »

Volksabstimmungen sind immer dann gut, wenn die "Partei" gewinnt, der man angehört.
In Österreich gab es die Abstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf, in der Folge hat es bei uns nie ein Atomkraftwerk gegeben.
Vor Kurzem gab es eine Abstimmung über ein Berufsheer, die so in den Medien ausgetragen wurde, dass die Wehrpflicht beibehalten wird.
Jedenfalls ist die direkte Demokratie nicht der Weisheit letzter Schluss, denn die Schwarmintelligenz halte ich für ein Gerücht.
Der Gescheitere gibt nach!
Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit.

Marie von Ebner-Eschenbach
Benutzeravatar
nichtkorrekt
Beiträge: 6485
Registriert: So 19. Aug 2012, 12:10
Wohnort: Neufünfland

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von nichtkorrekt »

Watchful_Eye hat geschrieben:(22 Feb 2016, 22:13)

Mich erinnert der aktuelle Aufstieg der AfD ja an eine Debatte, die wir vor 10 Jahren hatten, als unter Schröder die Hartz-Gesetze eingeführt wurden.

Damals machte die SPD damit eine wirtschaftsliberale Politik, die zuvor nicht einmal von der Schwarz-Gelben Kohl-Regierung gewagt worden war. Die Folge war, dass Oskar Lafontaine den Kurs nicht mittrug und die sozialistische radikale Linke erstarkte. Sarah Wagenknecht war ständig in den Talkshows und die Medien stellten sie als populistische Spinnerin dar. Die Leute wollten diese Partei oftmals eigentlich nicht wählen, wussten aber nicht, wie sie ihren Protest zu den Hartz-Gesetzen anderweitig zum Ausdruck bringen sollten.

Nun dasselbe umgekehrt: Die CDU macht eine Asylpolitik, die man bestenfalls von Rot-Grün erwartet hätte. Die Folge ist, dass rechte Kräfte, oftmals ehemalige CDUler, erstarkten. Man sieht irgendwelche rechten in Talkshows, die in den Medien als populistische oder gar gefährliche Spinner dargestellt werden. Die meisten wollen die AfD gar nicht wählen, wissen aber nicht, wie sie ihren Protest zur Asylpolitik von Merkel anders zum Ausdruck bringen sollen.
Es gibt meine ich ein Paradox, dass jeweils nur die andere politische Seite so eine Politik durchführen kann, so nach dem Motto nur Reagan konnte nach China fahren, ich hoffe man versteht worauf ich hinauswill. Das Problem der CDU ist, dass sie zu einer Ein-Frau-Partei geworden ist, die CDU hat keine Inhalte außer Merkel mehr, das wird ihr zum Verhängnis werden, die CDU ist nicht mehr konservativ, sie steht nicht mehr für innere Sicherheit, die CDU heute ist so konservativ wie Peter Hartz' SPD sozial ist.
Wer nicht AfD wählt, wählt Merkel.
Benutzeravatar
garfield336
Beiträge: 14071
Registriert: Mo 25. Mär 2013, 21:05
Wohnort: Luxemburg

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von garfield336 »

Watchful_Eye hat geschrieben:(22 Feb 2016, 22:13)

Mich erinnert der aktuelle Aufstieg der AfD ja an eine Debatte, die wir vor 10 Jahren hatten, als unter Schröder die Hartz-Gesetze eingeführt wurden.

Damals machte die SPD damit eine wirtschaftsliberale Politik, die zuvor nicht einmal von der Schwarz-Gelben Kohl-Regierung gewagt worden war. Die Folge war, dass Oskar Lafontaine den Kurs nicht mittrug und die sozialistische radikale Linke erstarkte. Sarah Wagenknecht war ständig in den Talkshows und die Medien stellten sie als populistische Spinnerin dar. Die Leute wollten diese Partei oftmals eigentlich nicht wählen, wussten aber nicht, wie sie ihren Protest zu den Hartz-Gesetzen anderweitig zum Ausdruck bringen sollten.

Nun dasselbe umgekehrt: Die CDU macht eine Asylpolitik, die man bestenfalls von Rot-Grün erwartet hätte. Die Folge ist, dass rechte Kräfte, oftmals ehemalige CDUler, erstarkten. Man sieht irgendwelche rechten in Talkshows, die in den Medien als populistische oder gar gefährliche Spinner dargestellt werden. Die meisten wollen die AfD gar nicht wählen, wissen aber nicht, wie sie ihren Protest zur Asylpolitik von Merkel anders zum Ausdruck bringen sollen.

Ich sehe darin ein Problem der parlamentarischen Demokratie. Dieses System ist zu unflexibel. Wenn eine große Partei eine Politik macht, die eigentlich eher ihrer eigenen Opposition zuzutrauen wäre, fehlt eine sinnvolle Alternative. So bleibt dem wählenden Volk nichts anderes übrig, als irgendwelche radikalen Splitterparteien zu wählen. Wenn man derzeit als Wähler die CDU für die Asylpolitik abstrafen will, muss man "mit Kanonen auf Spatzen schießen" und ein komplett rechtes Paket (inkl. Dinge wie Ablehnung von Abtreibung und Homo-Ehe) wählen, dabei wären die nicht-radikalen Kritiker bereits mit einer restriktiveren Politik á la CSU/Seehofer bereits zufriedenzustellen.

Ich glaube nicht daran, dass die parlamentarische Demokratie für mehr Stabilität sorgt. Zwar rückt der Zwang, sich für ein Paket zu entscheiden, die Wähler zunächst in Richtung Mitte, sobald aber "der Damm gebrochen ist", kann potentiell daraus sogar eine radikalere Politik entstehen, als von den Wählern eigentlich gewünscht ist.
Das könnte man besser auflösen indem man den Menschen mehr Mitbestimmung bei der Aufstellung der Wahllisten gibt, so könnte man einzelne ungeliebte Personen innerhalb der Parteien abwählen.

Wer CDU wählt der wählt Merkel. Das ist Fakt. Wer Merkel nicht will, mus was anderes wählen.
Benutzeravatar
garfield336
Beiträge: 14071
Registriert: Mo 25. Mär 2013, 21:05
Wohnort: Luxemburg

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von garfield336 »

Das belgische und luxemburgische Wahlrecht kennt zum Beispiel Wahlbezirke in denen man panachieren und kumulieren darf.

Da kann man die liberale DP wählen, ohne den Premierminister Bettel wählen zu müssen.
Benutzeravatar
garfield336
Beiträge: 14071
Registriert: Mo 25. Mär 2013, 21:05
Wohnort: Luxemburg

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von garfield336 »

Keoma hat geschrieben:(23 Feb 2016, 07:52)

Volksabstimmungen sind immer dann gut, wenn die "Partei" gewinnt, der man angehört.
In Österreich gab es die Abstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf, in der Folge hat es bei uns nie ein Atomkraftwerk gegeben.
Vor Kurzem gab es eine Abstimmung über ein Berufsheer, die so in den Medien ausgetragen wurde, dass die Wehrpflicht beibehalten wird.
Jedenfalls ist die direkte Demokratie nicht der Weisheit letzter Schluss, denn die Schwarmintelligenz halte ich für ein Gerücht.
Referenden, spalten und polarisieren. Das ist nicht immer gesund.
Benutzeravatar
Tom Bombadil
Beiträge: 73236
Registriert: Sa 31. Mai 2008, 16:27
user title: Non Soli Cedit

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Tom Bombadil »

Eine gesunde Demokratie kann radikale Parteien wie die Linke oder die AfD aus- und auch im Zaum halten. Man muss allerdings hoffen, dass der Spaltpilz, den Merkel gepflanzt hat, nicht zu tief eindringt und die Struktur unserer Demokratie und die europäische Einigung gefährdet. Umso wichtiger ist es, jetzt sehr schnell Lösungen zu finden, mit denen sowohl der Bürger als auch die EU leben kann.
The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots and tyrants. It is its natural manure.
Thomas Jefferson
---
Diffamierer der Linken.
Benutzeravatar
Laertes
Beiträge: 1157
Registriert: So 1. Nov 2015, 07:56
user title: E PLURIBUS UNUM

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Laertes »

Watchful_Eye hat geschrieben:(22 Feb 2016, 22:13)
Ich glaube nicht daran, dass die parlamentarische Demokratie für mehr Stabilität sorgt.
Kannst du mir ein politisches System nennen, dass es nachweislich über Dekaden besser geschafft hat die unterschiedlichen Interessen von Millionen Bürgern auszugleichen. Ohne dass es die Gesellschaft sozial zerreißt und bürgerkriegsähnliche oder totalitäre Zustände herrschen? Angesichts der Zustände in Ländern ohne parlamentarische Demokratie (einschließlich Gewaltenteilung und Bürgerrechten) fällt mir gerade kein Vorbild ein, dass es besser macht.
"Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann."
(Ernst-Wolfgang Böckenförde)
Benutzeravatar
ThorsHamar
Beiträge: 25671
Registriert: Di 19. Mai 2009, 22:53
user title: Jury Jury
Wohnort: Berlin

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von ThorsHamar »

Watchful_Eye hat geschrieben:(22 Feb 2016, 22:13)

.... Ich sehe darin ein Problem der parlamentarischen Demokratie. Dieses System ist zu unflexibel. Wenn eine große Partei eine Politik macht, die eigentlich eher ihrer eigenen Opposition zuzutrauen wäre, fehlt eine sinnvolle Alternative. ....

Das ist imho nicht richtig analysiert.

Das Problem fehlender tatsächlicher Opposition als Alternative ist kein Manko der parlamentarischen Demokratie an sich, sondern ein Ergebnis unserer Variante von professioneller Parteienregentschaft.
Die sog. etablierten Parteien sind praktisch Firmen, welche sich am Markt orientieren und somit selbstredend egozentrisch agieren.
Opposition ist dabei lediglich eine Werbemassnahme.
In Regierungsverantwortung kommend, wird der Kurs der Vorgänger dann doch fortgeführt, wegen des Sachzwangs .... :cool:
Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft; wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.
Eric Arthur Blair
Benutzeravatar
Flat
Beiträge: 4912
Registriert: Sa 7. Mär 2015, 17:14

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Flat »

garfield336 hat geschrieben:(23 Feb 2016, 09:05)

Das belgische und luxemburgische Wahlrecht kennt zum Beispiel Wahlbezirke in denen man panachieren und kumulieren darf.
Moin,

so etwas gibt es kommunal auch mittunter in Deutschland. Überfordert meines Wissens sehr viele Wähler.
_______
wer Rechtsradikales sagt und tut, ist rechtsradikal. Das hat nichts mit Nazikeule zu tun.
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/inte ... 62231.html
Benutzeravatar
Unité 1
Beiträge: 4428
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 21:18
user title: fsociety

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Unité 1 »

Flat hat geschrieben:(23 Feb 2016, 07:28)

Moin,

Volksabstimmungen laufen auf eine ja-nein-Alternative hinaus. Die ist aber bei komplexen politischen Fragestellungen oft gar nicht möglich. Genauso wie es nicht möglich ist, dass sich ein Großteil der Bevölkerung in komplexe Fragestellungen einarbeitet und dazu fundiert Stellung nehmen kann.

Volksabstimmungen sind mehr von Stimmungen und weniger von Wissen beeinflusst.

Nehmen wir mal an, wir würden über Todesstrafe abstimmen.
2 Tage vor der Abstimmung geht ein Fall von einem unschuldig Hingerichteten in den USA durch die Presse -> 80 % Ablehnung
2 Tage vorher geschieht ein bestialischer Mord an einem kleinen Kind durch einen mehrfach Vorbestraften -> 55-60 % Zustimmung

Ich halte es für einen Trugschluss, dass die Masse der Bevölkerung vernünftig entscheidet.

Deshalb halte ich die repräsentative Demokratie als Korrektiv bei allen Problemen für die richtige.
Ich stimme dir grundsätzlich zu, halte es aber weder für unmöglich noch für undenkbar, dass ein Großteil der Bevölkerung sich informieren könnte. Geht es um komplexe Thematiken, sehe ich Politiker und Medien in der Pflicht, diese in angemessener, verständlicher Sprache auszudrücken und zu kommunizieren; mit anderen Worten der Bevölkerung überhaupt erst Teilnahme am politischen Prozess zu ermöglichen. Das gilt übrigens auch für die repräsentative Demokratie. Ohne ein wenigstens grundlegendes Verständnis von Themen bleiben Wahlen von Parteien nämlich das, was sie augenscheinlich derzeit sind: Von Stimmungen und Emotionen beeinflusstes Kreuzchensetzen, also das, was du zu Recht als Gefahr von Volksabtsimmungen identifizierst. Ein anschauliches Beispiel dafür bietet die Wiederwahl Schröders 2002, die ohne Flut ins Wasser gefallen wäre. Nicht ohne Grund geben sich die Parteien während der Wahlkämpfe größte Mühe, nicht inhaltlich über Themenkomplexe zu reden, sondern diese zu verschlagworten sowie an Instinkte und Affekte der Wähler zu appellieren. Ein informierter Wähler scheint ein gefährlicher zu sein. Sicher gibt es Partei- und Wahlprogramme, anhand derer man sich informieren kann. Mein Beitrag zielt aber auf die mediale Darstellung ab und das öffentliche Gerieren ab. Hier wird mMn deutlich, dass das oben Monierte bereits zutrifft in der repräsentativen Demokratie. Wenige informieren sich und denken sich ein, der Großteil lässt sich berieseln - so scheint es wenigstens -, weswegen dein Einwand ins Leere läuft. Er markiert keinen Unterschied zwischen repräsentativer und direkter Demokratie.

Tatsächlich sehe ich eher Möglichkeiten, in einer direkteren Form der Demokratie das Informationsdefizit anzugehen. Denkbar wäre es, keine kurzfristigen Abstimmungen zu erlauben, sondern beispielsweise als Vorlaufzeit ein Jahr anzusetzen, in dem das Für und Wider öffentlich in der Breite und in der Tiefe diskutiert wird. In solchem Rahmen wirken sich kurzfristige Ereignisse wie ein brutaler Mord erheblich geringer aus. Eine andere Möglichkeit wäre, die Teilnahme an Volksabstimmungen mit der Teilnahme an DIskussions- und Informationsveranstaltungen zu verknüpfen. Ohne (nachgewiesene) Teilnahme kein Abstimmen.

Ob man eher zu einer repräsentativen oder einer direkten Form der Demokratie geneigt ist - Vor- sowie Nachteile habe beide -, die Vermittlung von Wissen, Informationen, Problemen, Krisen, Zusammenhängen ist in beiden Fällen eine Unumgänglichkeit, wenn Menschen als mündige Bürger verantwortliche Entscheidungen treffen sollen.
We're more like FDP, ambitious and misunderstood!
Benutzeravatar
Flat
Beiträge: 4912
Registriert: Sa 7. Mär 2015, 17:14

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Flat »

Unité 1 hat geschrieben:(23 Feb 2016, 12:38)

Tatsächlich sehe ich eher Möglichkeiten, in einer direkteren Form der Demokratie das Informationsdefizit anzugehen. Denkbar wäre es, keine kurzfristigen Abstimmungen zu erlauben, sondern beispielsweise als Vorlaufzeit ein Jahr anzusetzen, in dem das Für und Wider öffentlich in der Breite und in der Tiefe diskutiert wird. In solchem Rahmen wirken sich kurzfristige Ereignisse wie ein brutaler Mord erheblich geringer aus. Eine andere Möglichkeit wäre, die Teilnahme an Volksabstimmungen mit der Teilnahme an DIskussions- und Informationsveranstaltungen zu verknüpfen. Ohne (nachgewiesene) Teilnahme kein Abstimmen.

Ob man eher zu einer repräsentativen oder einer direkten Form der Demokratie geneigt ist - Vor- sowie Nachteile habe beide -, die Vermittlung von Wissen, Informationen, Problemen, Krisen, Zusammenhängen ist in beiden Fällen eine Unumgänglichkeit, wenn Menschen als mündige Bürger verantwortliche Entscheidungen treffen sollen.
Moin,

die Risiken in einer repräsentativen Demokratie sind geringer, weil eben die Parteien einiges abfedern. Das führt allerdings zu einer Art Einheitsbrei der Mitte, wie wir es bei den Etablierten ja auch haben.

Bleiben wir mal bei der Todesstrafe. Ich glaube nicht, dass das ein Jahr diskutiert würde sondern das würde dann 5-6 Wochen vor der Abstimmung langsam hochkochen. Ist bei jetzigen Abstimmungen in Bundesländern nicht viel anders (Hamburg hat damit ja so seine Erfahrung). Und ein positives wie negatives Ereignis würde trifft dann eben nicht auf eine fundierte Grundüberzeugung, die kaum noch zu beeinflussen ist sondern es wird eben doch eher eine Spontanentscheidung.

Ob die Teilnahmepflicht an Diskussionsveranstaltungen durchsetzbar wäre, glaube ich eher nicht.

Ich denke, der Bürger kann sich heute über fast alles (außer TTIP) recht gut informieren. Die wenigsten machen es.
_______
wer Rechtsradikales sagt und tut, ist rechtsradikal. Das hat nichts mit Nazikeule zu tun.
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/inte ... 62231.html
Benutzeravatar
Unité 1
Beiträge: 4428
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 21:18
user title: fsociety

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Unité 1 »

Flat hat geschrieben:(23 Feb 2016, 13:07)

Moin,

die Risiken in einer repräsentativen Demokratie sind geringer, weil eben die Parteien einiges abfedern. Das führt allerdings zu einer Art Einheitsbrei der Mitte, wie wir es bei den Etablierten ja auch haben.

Bleiben wir mal bei der Todesstrafe. Ich glaube nicht, dass das ein Jahr diskutiert würde sondern das würde dann 5-6 Wochen vor der Abstimmung langsam hochkochen. Ist bei jetzigen Abstimmungen in Bundesländern nicht viel anders (Hamburg hat damit ja so seine Erfahrung). Und ein positives wie negatives Ereignis würde trifft dann eben nicht auf eine fundierte Grundüberzeugung, die kaum noch zu beeinflussen ist sondern es wird eben doch eher eine Spontanentscheidung.

Ob die Teilnahmepflicht an Diskussionsveranstaltungen durchsetzbar wäre, glaube ich eher nicht.

Ich denke, der Bürger kann sich heute über fast alles (außer TTIP) recht gut informieren. Die wenigsten machen es.
In den Parteien selbst wirkt doch der gleiche Mechanismus bzw. sind diese oft selbst Motoren affektgeladener Meinungsbeeinflussung. Als Beispiel dafür kann zum einen die kürzliche Einschränkung des Abschiebeschutzes von überführten kriminellen Ausländern herhalten, die im Zuge der Kölner Übergriffe erfolgte. Gesellschaftliche Debatte oder tiefer angelegte parlamentarische Auseinandersetzung - Fehlanzeige. Die naheliegende Entgegnung, das sei nur eine überfällige Reform/Anpassung/Überarbeitung gewesen, lässt sich witzigerweise ebenso 1 zu 1 auf das Beispiel einer Todesstrafenvolksabstimmung übertragen, immerhin zeigte der bestialische Kindsmord doch nur, wie überfällig die Höchststrafenreform war. Zum anderen beweist das ständige Fordern von Vorratdatenspeicherung!, Gesetzesverschärfung!, Sozialkürzung! bei jeder passenden sowie unpassenden Gelegenheit das bereits stattfindende agenda-setting durch Ausnutzen bzw. Schüren von Affekten und Stimmungen.
Ich bin mir also nicht so sicher, dass die Risiken von affekt-, statt vernunftgelenkter Politik in einer direkteren Demokratie größer sind. Sichtbarer allerdings schon, wenn ich da nur an das Bauverbot von Minaretten in der Schweiz denke. Das wäre in der Form durch einen Parlamentsbeschluss mMn nicht möglich. In der repräsentativen Demokratie mag durch die Existenz zum Bewahren und graduellen Ändern neigender Institutionen derart drastisches unwahrscheinlicher sein, dafür ist die Bevölkerung solchen Stimmungshaschereien permanent ausgesetzt und daran wird sich eher nichts ändern. Zustimmung zu verschiedenen Politiken erreicht man nun mal am schnellsten durch den Appell an die Leidenschaft, nicht an die Vernunft. Und die Zeit tickt, die nächste Wahl naht.

Zum Thema Volksabstimmungen zurückfindend, würde ich noch einwenden, dass so etwas wie z.B. die Todesstrafe keineswegs zur Abstimmung geführt werden sollte. Das wäre ebenso wenig im Sinne einer modernen, lies rechtsstaatlichen Demokratie wie die Abstimmung über Grundrechtsartikel, was offenkundig den Grund für die seltsam anmutende Liebe zur Abstimmung durch den Souverän elitärer Scheißvereine wie die AfD - pardon, -parteien, natürlich - darstellt. Eine direktere Demokratie bzw. die Einführung von Volksentscheiden kann nur erfolgen, wenn ein starker rechtlicher Rahmen die Grenzen möglicher Abstimmungsgegenstände absteckt. Sonst wär's ja keine Demokratie, sondern eine Pöbelherrschaft. Krummnasen, Neger, Penner würden im andern Fall Volkes gerechten Zorn schon zu spüren bekommen, wenn ich das mal so drastisch ausdrücken darf.

Meine Vorstellungen von der Vertiefung von zur Abstimmung stehender Thematiken waren mehr Gedankenspiele als konkrete Forderungen. Vor allem zur Kontrastierung zur derzeit stattfindenden Debatten- und Informationskultur. Dass man sich über fast alles informieren kann, stimmt wohl. Das sehe ich übrigens als Problem. Die Informationsflut ist schwer zu durchdringen, von obskuren indirekten Folgen getroffener (Nicht-)Entscheidungen mal ganz zu schweigen. Die Sortierung und Aufbereitung von Informationen sowie deren Einordnung in Kontexte erachte ich wie gesagt als Pflicht von Politikern und Medien, es ist eine originär öffentliche Aufgabe. Die Missachtung dieser Pflicht ist für mich gleichbedeutend mit dem Bruch des demokratischen Versprechens, das erweitert die öffentliche Behandlung öffentlicher Belange beinhaltet, wenigstens aber dass die Bevölkerung der Souverän bzw. die Legitimationsbasis des Souveräns sei, wozu eine informierte Öffentlichkeit unabdingbar ist, da sie sonst gar nicht in der Lage ist, ihrer Rolle als Souverän gerecht zu werden oder diesem die notwendige Legitimation zu verleihen.

Meiner Meinung nach muss sich hier das Selbstverständnis öffentlicher Akteure dahingehend ändern. NIcht der bloße Quellenverweis, sondern die verständliche Wiedergabe von Zusammenhängen stellt eine angemessene Kommunikation dar. Gerade komplexe Themen sind doch selbst für Informierte und Spezialisten nur schwer bis kaum zu durchdringen, überdies sind jene in anderen Feldern notwendigerweise Laien, das bedingt die Spezialisierung. Soll eine Demokratie also eine öffentliche Angelegenheit verantwortungsvoller Bürger sein, ist ein Paradigmenwechsel der Informations- und Kommunikationskultur unerlässlich. Und das korrespondiert mit Übergängen hin zu einer direkteren Demokratie.
We're more like FDP, ambitious and misunderstood!
Benutzeravatar
Fadamo
Beiträge: 13343
Registriert: Di 7. Feb 2012, 18:19

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Fadamo »

Watchful_Eye hat geschrieben:(22 Feb 2016, 22:13)

Mich erinnert der aktuelle Aufstieg der AfD ja an eine Debatte, die wir vor 10 Jahren hatten, als unter Schröder die Hartz-Gesetze eingeführt wurden.

Damals machte die SPD damit eine wirtschaftsliberale Politik, die zuvor nicht einmal von der Schwarz-Gelben Kohl-Regierung gewagt worden war. Die Folge war, dass Oskar Lafontaine den Kurs nicht mittrug und die sozialistische radikale Linke erstarkte. Sarah Wagenknecht war ständig in den Talkshows und die Medien stellten sie als populistische Spinnerin dar. Die Leute wollten diese Partei oftmals eigentlich nicht wählen, wussten aber nicht, wie sie ihren Protest zu den Hartz-Gesetzen anderweitig zum Ausdruck bringen sollten.

Nun dasselbe umgekehrt: Die CDU macht eine Asylpolitik, die man bestenfalls von Rot-Grün erwartet hätte. Die Folge ist, dass rechte Kräfte, oftmals ehemalige CDUler, erstarkten. Man sieht irgendwelche rechten in Talkshows, die in den Medien als populistische oder gar gefährliche Spinner dargestellt werden. Die meisten wollen die AfD gar nicht wählen, wissen aber nicht, wie sie ihren Protest zur Asylpolitik von Merkel anders zum Ausdruck bringen sollen.

Ich sehe darin ein Problem der parlamentarischen Demokratie. Dieses System ist zu unflexibel. Wenn eine große Partei eine Politik macht, die eigentlich eher ihrer eigenen Opposition zuzutrauen wäre, fehlt eine sinnvolle Alternative. So bleibt dem wählenden Volk nichts anderes übrig, als irgendwelche radikalen Splitterparteien zu wählen. Wenn man derzeit als Wähler die CDU für die Asylpolitik abstrafen will, muss man "mit Kanonen auf Spatzen schießen" und ein komplett rechtes Paket (inkl. Dinge wie Ablehnung von Abtreibung und Homo-Ehe) wählen, dabei wären die nicht-radikalen Kritiker bereits mit einer restriktiveren Politik á la CSU/Seehofer bereits zufriedenzustellen.

Ich glaube nicht daran, dass die parlamentarische Demokratie für mehr Stabilität sorgt. Zwar rückt der Zwang, sich für ein Paket zu entscheiden, die Wähler zunächst in Richtung Mitte, sobald aber "der Damm gebrochen ist", kann potentiell daraus sogar eine radikalere Politik entstehen, als von den Wählern eigentlich gewünscht ist.

ich verstehe die Medien auch nicht.
Erst will man mit den Rechten nicht reden und dann werden sie sogar in Talkshows eingeladen. :D
Politik ist wie eine Hure,die kann man nehmen wie man will
Benutzeravatar
Brainiac
Beiträge: 9189
Registriert: Do 30. Jun 2011, 11:41

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Brainiac »

Nicht dass ich die Todesstrafe einführen möchte, aber das Befürworten der direkten Demokratie, jedoch Auschließen-Wollen solcher Entscheidungen, hat für mich etwas von "wasch mich, aber mach mich nicht nass".
History doesn't repeat itself, but it often rhymes (Twain). Unfortunately, we can't predict the rhyme.
hafenwirt
Beiträge: 7785
Registriert: Mo 16. Mär 2009, 07:21

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von hafenwirt »

Brainiac hat geschrieben:(24 Feb 2016, 16:49)

Nicht dass ich die Todesstrafe einführen möchte, aber das Befürworten der direkten Demokratie, jedoch Auschließen-Wollen solcher Entscheidungen, hat für mich etwas von "wasch mich, aber mach mich nicht nass".
Nun, manch Fragestellung sollte eben außen vor gelassen werden.

Eine direktdemokratische Abstimmung über die Abschaffung der Demokratie und Einführung einer Diktatur (beispielsweise) wäre vielleicht korrekt direktdemokratisch und das, was die Menschen wollen, aber letztendlich ja nicht so recht zweckdienlich.
Benutzeravatar
Brainiac
Beiträge: 9189
Registriert: Do 30. Jun 2011, 11:41

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Brainiac »

hafenwirt hat geschrieben:(24 Feb 2016, 17:13)

Nun, manch Fragestellung sollte eben außen vor gelassen werden.
Aber was ist das Kriterium dafür?
"Mag ich nicht"?
History doesn't repeat itself, but it often rhymes (Twain). Unfortunately, we can't predict the rhyme.
Benutzeravatar
d'Artagnan
Beiträge: 3134
Registriert: Mo 23. Jan 2012, 11:21
user title: Superintendent Lookout
Wohnort: Packfreies Europa

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von d'Artagnan »

Brainiac hat geschrieben:(24 Feb 2016, 17:21)

Aber was ist das Kriterium dafür?
"Mag ich nicht"?
Warum orientiert man sich da nicht an der Schweiz?
Dort erfolgt mWn automatisch eine verfassungsrechtliche Prüfung des Entwurfes das dem Wahlvolk zur Abstimmung vorgelegt wird.
Die Todesstrafe wäre ein klarer Widerspruch zu Art 102 GG und somit nicht per einfachen Volksentscheid einführbar.
Um diesen Artikel zu ändern müsste eine 2/3 Mehrheit in Bundestag und Bundesrat organisiert werden.
Unter solchen apokalyptischen Mehrheitsverhältnissen todesstrafenbefürwortender Politiker in den beiden Kammern
- wären aber direktdemokratische Strukturen doch wesentlich mehr Segen als Fluch: Jedenfalls besser, als wenn das Volk ohne gefragt zu werden so einer "Todesstrafen-Parteieneinheitsfront" ausgesetzt wäre...
(Abgesehen davon, dass höchstwahrscheinlich das BVerfG einen Verstoß gegen Art 1GG feststellen würde, und den kann man nicht ändern.)

Meine Meinung: Macht es wie die Schweizer!
“Most men would rather deny a hard truth than face it.”
(Ser Barristan)
Bitku ne dobiva mač u ruci, već srce u grudima junaka.
hafenwirt
Beiträge: 7785
Registriert: Mo 16. Mär 2009, 07:21

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von hafenwirt »

d'Artagnan hat geschrieben:(24 Feb 2016, 19:26)

(Abgesehen davon, dass höchstwahrscheinlich das BVerfG einen Verstoß gegen Art 1GG feststellen würde, und den kann man nicht ändern.)
Man könnte aber direktdemokratisch das BVerfG abschaffen oder, dass die Änderung von Art1GG möglich ist.
Benutzeravatar
Brainiac
Beiträge: 9189
Registriert: Do 30. Jun 2011, 11:41

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Brainiac »

d'Artagnan hat geschrieben:(24 Feb 2016, 19:26)

Warum orientiert man sich da nicht an der Schweiz?
Dort erfolgt mWn automatisch eine verfassungsrechtliche Prüfung des Entwurfes das dem Wahlvolk zur Abstimmung vorgelegt wird.
Die Todesstrafe wäre ein klarer Widerspruch zu Art 102 GG und somit nicht per einfachen Volksentscheid einführbar.
Um diesen Artikel zu ändern müsste eine 2/3 Mehrheit in Bundestag und Bundesrat organisiert werden.
Unter solchen apokalyptischen Mehrheitsverhältnissen todesstrafenbefürwortender Politiker in den beiden Kammern
- wären aber direktdemokratische Strukturen doch wesentlich mehr Segen als Fluch: Jedenfalls besser, als wenn das Volk ohne gefragt zu werden so einer "Todesstrafen-Parteieneinheitsfront" ausgesetzt wäre...
(Abgesehen davon, dass höchstwahrscheinlich das BVerfG einen Verstoß gegen Art 1GG feststellen würde, und den kann man nicht ändern.)

Meine Meinung: Macht es wie die Schweizer!
Also grundsätzlich finde ich, wenn man schon Volksentscheide über Grundsatzfragen befürwortet (und da machen sie m.E. vor allem Sinn), sollte auch eine GG-Änderung so herbeigeführt oder mindestens mitentschieden werden können. Die Hürden müssten aber sicherlich wesentlich höher sein als bei Fragen, die das GG nicht tangieren.

Falls wir uns irgendwann doch auf so etwas wie die Vereinigten Staaten von Europa zubewegen sollten (was ich hoffe), dann ist eine wesentlich weitgehendere Kompetenzabgabe an die Union (im Vergleich zu heute) sicherlich nicht 1:1 mit dem derzeitigen GG vereinbar. Genau das sind Fragen, wo das Volk mindestens mitbestimmen sollte.

Vielleicht sollte man in solchen Fällen 2/3-Mehrheitsentscheidungen per direkter UND repräsentativer Demokratie fordern. Weigern sich die Parlamentarier, müssten sie abgewählt werden. Auch schwierig. :|
History doesn't repeat itself, but it often rhymes (Twain). Unfortunately, we can't predict the rhyme.
Benutzeravatar
d'Artagnan
Beiträge: 3134
Registriert: Mo 23. Jan 2012, 11:21
user title: Superintendent Lookout
Wohnort: Packfreies Europa

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von d'Artagnan »

hafenwirt hat geschrieben:(24 Feb 2016, 19:31)

Man könnte aber direktdemokratisch das BVerfG abschaffen oder, dass die Änderung von Art1GG möglich ist.
Ne. :D
Der Verfassungskern ist unveränderlich. Nach Art 79 GG. Diesen Artikel müsste erstmal die Parteien mit massiver 2/3 Mehrheit versuchen auszuhebeln. Doch da würde aber das BVerfG selbst dann dazwischen hauen, wenn seine Mitglieder aus lauter dauerbekifften und betrunkenen Jura-Erstsemestern bestünde.

Und es ist ja eben nicht so dass die direktdemokratischen Elemente dem BVerfG übergeordnet wären, sondern umgekehrt.
Natürlich müsste das - so wie in der Schweiz- entsprechend gesetzlich geregelt sein, und zwar mit Verfassungsrang.
Damit wäre sichergestellt, dass auch eine Initiative die das BVerfG abschaffen wollte dem BVerfG vorgelegt werden müsste.
Hmmm, und wie würde das BVerfG dann wohl entscheiden?
;)

Nochmal:
Wenn die Lage so katastrophal wäre dass 2/3 Mehrheiten in Bundesrat und Bundestag die Abschaffung des Verfassungskerns betrieben und die Bundesverfassungsrichter als willfährige Helfer dies zuließen, dann bewegen wir uns in einem apokalyptischen Szenario, in dem wir um direktdemokratische Elemente beten müssten, um dieser (in dem fiktiven Fall könnte man sie wohl kaum anders bezeichnen) Autokratenclique etwas entgegenzusetzen.
“Most men would rather deny a hard truth than face it.”
(Ser Barristan)
Bitku ne dobiva mač u ruci, već srce u grudima junaka.
hafenwirt
Beiträge: 7785
Registriert: Mo 16. Mär 2009, 07:21

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von hafenwirt »

d'Artagnan hat geschrieben:(24 Feb 2016, 20:02)

Ne. :D
Der Verfassungskern ist unveränderlich. Nach Art 79 GG. Diesen Artikel müsste erstmal die Parteien mit massiver 2/3 Mehrheit versuchen auszuhebeln. Doch da würde aber das BVerfG selbst dann dazwischen hauen, wenn seine Mitglieder aus lauter dauerbekifften und betrunkenen Jura-Erstsemestern bestünde.

Und es ist ja eben nicht so dass die direktdemokratischen Elemente dem BVerfG übergeordnet wären, sondern umgekehrt.
Natürlich müsste das - so wie in der Schweiz- entsprechend gesetzlich geregelt sein, und zwar mit Verfassungsrang.
Damit wäre sichergestellt, dass auch eine Initiative die das BVerfG abschaffen wollte dem BVerfG vorgelegt werden müsste.
Hmmm, und wie würde das BVerfG dann wohl entscheiden?
;)
Nun, ist halt fraglich, ob diejenigen, die in den letzten Jahren immer "Volksabstimmung!!!" gebrüllt haben, sich damit zufrieden geben würden, wenn es letztlich doch eine übergeordnete Instanz gibt, die "Volkes Willen" ausbremst. Außerdem würde man GG und BVerfG, sofern nie veränderbar, einem gottgebenen Status zuweisen.
Benutzeravatar
Scipio
Beiträge: 303
Registriert: So 7. Feb 2016, 19:14

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Scipio »

Unité 1 hat geschrieben:(23 Feb 2016, 12:38)

Ich stimme dir grundsätzlich zu, halte es aber weder für unmöglich noch für undenkbar, dass ein Großteil der Bevölkerung sich informieren könnte. Geht es um komplexe Thematiken, sehe ich Politiker und Medien in der Pflicht, diese in angemessener, verständlicher Sprache auszudrücken und zu kommunizieren; mit anderen Worten der Bevölkerung überhaupt erst Teilnahme am politischen Prozess zu ermöglichen. Das gilt übrigens auch für die repräsentative Demokratie. Ohne ein wenigstens grundlegendes Verständnis von Themen bleiben Wahlen von Parteien nämlich das, was sie augenscheinlich derzeit sind: Von Stimmungen und Emotionen beeinflusstes Kreuzchensetzen, also das, was du zu Recht als Gefahr von Volksabtsimmungen identifizierst. Ein anschauliches Beispiel dafür bietet die Wiederwahl Schröders 2002, die ohne Flut ins Wasser gefallen wäre. Nicht ohne Grund geben sich die Parteien während der Wahlkämpfe größte Mühe, nicht inhaltlich über Themenkomplexe zu reden, sondern diese zu verschlagworten sowie an Instinkte und Affekte der Wähler zu appellieren. Ein informierter Wähler scheint ein gefährlicher zu sein. Sicher gibt es Partei- und Wahlprogramme, anhand derer man sich informieren kann. Mein Beitrag zielt aber auf die mediale Darstellung ab und das öffentliche Gerieren ab. Hier wird mMn deutlich, dass das oben Monierte bereits zutrifft in der repräsentativen Demokratie. Wenige informieren sich und denken sich ein, der Großteil lässt sich berieseln - so scheint es wenigstens -, weswegen dein Einwand ins Leere läuft. Er markiert keinen Unterschied zwischen repräsentativer und direkter Demokratie.

Tatsächlich sehe ich eher Möglichkeiten, in einer direkteren Form der Demokratie das Informationsdefizit anzugehen. Denkbar wäre es, keine kurzfristigen Abstimmungen zu erlauben, sondern beispielsweise als Vorlaufzeit ein Jahr anzusetzen, in dem das Für und Wider öffentlich in der Breite und in der Tiefe diskutiert wird. In solchem Rahmen wirken sich kurzfristige Ereignisse wie ein brutaler Mord erheblich geringer aus. Eine andere Möglichkeit wäre, die Teilnahme an Volksabstimmungen mit der Teilnahme an DIskussions- und Informationsveranstaltungen zu verknüpfen. Ohne (nachgewiesene) Teilnahme kein Abstimmen.

Ob man eher zu einer repräsentativen oder einer direkten Form der Demokratie geneigt ist - Vor- sowie Nachteile habe beide -, die Vermittlung von Wissen, Informationen, Problemen, Krisen, Zusammenhängen ist in beiden Fällen eine Unumgänglichkeit, wenn Menschen als mündige Bürger verantwortliche Entscheidungen treffen sollen.
Ein guter Post. Aber du vergisst etwas: Du sagst, dass die Politiker die Aufgabe haben, erläuternd und aufklärend zu wirken. Du wirst aber genau das nicht feststellen, dass dies der Fall sein wird. Das ist bereits jetzt der Fall (siehe alleine die Auseinandersetungen in den Talkshows) und in der Schweiz. Jedeer Politiker wird das subjektiv von ihm vertretene versuchen zu vermitteln. Ob das die Wahrheit/Richtig o.ä. ist.
Elvis Domestos

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Elvis Domestos »

Auch ich finde diesen Thread sehr lehrreich. Auch in mir ist irgendwie eine Wechselstimmung, aber ich kann meine Regierung nicht abwählen, egal was ich wähle, die GROKO bleibt, oder mind. Merkel! Die CDU ist mit rot, grün und gelb kompatibel!
97 % der CDU- Mitglieder auf dem Parteitag unterstützen Merkels Kurs, ein paar Tage später stehen die Landtagswahlen vor der Tür und Klöckner redet wie Seehofer. Sorry, ich kann mich einfach nicht mehr orientieren, es sind alle unberechenbar und beliebig geworden, die ehemaligen Grenzlinien der Parteien haben sich teilweise aufgelöst oder verschoben, Symbolpolitik je nach Stimmungslage der Nachrichten und Talkshows, heute so, morgen so, eine Wahl ist da eigentlich überflüssig.
Ich fürchte die AFD wird einschlagen wie eine Bombe und das macht mir Angst! Ich sage es aber ehrlich, ein Stegner, ein Volker Beck oder eine Merkel sind mir genauso unheimlich!

Ich hoffe dieser Thread bringt weiter viele lesenswerte Einträge..
Benutzeravatar
d'Artagnan
Beiträge: 3134
Registriert: Mo 23. Jan 2012, 11:21
user title: Superintendent Lookout
Wohnort: Packfreies Europa

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von d'Artagnan »

hafenwirt hat geschrieben:(24 Feb 2016, 20:22)

Nun, ist halt fraglich, ob diejenigen, die in den letzten Jahren immer "Volksabstimmung!!!" gebrüllt haben, sich damit zufrieden geben würden, wenn es letztlich doch eine übergeordnete Instanz gibt, die "Volkes Willen" ausbremst. Außerdem würde man GG und BVerfG, sofern nie veränderbar, einem gottgebenen Status zuweisen.
Ja. Na und? Diesen Status haben sie doch jetzt auch schon.
Was ist denn daran schlimm?

Was ich mit den Ausführungen oben zeigen wollte: Das von Gegnern der Stärkung direkter Demokratie immer wieder vorgebrachte "Argument" nur eine "Parteiendemokratie" hindere die Gesellschaft in eine "furchtbare Herrschaft des Pöbels" zu zerfallen greift mEn nicht.
Logisch dass die Parteifunktionäre gerne ihre eigene Machtfülle verteidigen, insbesondere von denjenigen Parteien, die sich etabliert haben und Jahr für Jahr den Löwenanteil vom Kuchen verschlingen.
(Bei Parteien die noch nicht etabliert sind ist das naturgemäß weniger der Fall. Die predigen gerne die direkte Demokratie. "Mysteriöserweise" lässt dieser Wunsch dann nach, wenn sich deren Vertreter in Machtpositionen befinden. Siehe die Grünen, die waren mal ganz doll für Basisdemokratie. Und jetzt ist es für sie Teufelswerk... Schon schade, aber wenn der Wähler sowas mit sich machen lässt, dann wird es halt schwer mit der Emanzipation!)

Was mich ärgert ist dass häufg eine arrogante bürgerabwertende Denke dahinter steckt die man bereits zu Feudalzeiten pflegte. Tenor: Das Volk, "der große Lümmel", sei dumm und leicht verhetzbar, und brauche die Edlen und Auserwählten die sich in den Parteienzirkeln etabliert haben, zu ihrer Lenkung, sonst regiere das Chaos.
Fakt ist: Die direktdemokratischste Nation in Europa ist gleichzeitig diejenige die innen- wie außenpolitisch am wenigsten Blut vergossen hat. Die schlimmsten Massenmorde hingegen standen unter Regie von straff durchorganisierten Parteien und etablierter "Eliten"strukturen.
Daher finde ich es gelinde gesagt "dreist" wenn bspw. deutsche Parteienvertreter dem Schweizer Modell mit dem mahnendem Zeigefinger kommen und was von "die Vergangenheit mahnt!" faseln.
“Most men would rather deny a hard truth than face it.”
(Ser Barristan)
Bitku ne dobiva mač u ruci, već srce u grudima junaka.
Elvis Domestos

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Elvis Domestos »

d'Artagnan hat geschrieben:(25 Feb 2016, 01:51)

Ja. Na und? Diesen Status haben sie doch jetzt auch schon.
Was ist denn daran schlimm?

Was ich mit den Ausführungen oben zeigen wollte: Das von Gegnern der Stärkung direkter Demokratie immer wieder vorgebrachte "Argument" nur eine "Parteiendemokratie" hindere die Gesellschaft in eine "furchtbare Herrschaft des Pöbels" zu zerfallen greift mEn nicht.
Logisch dass die Parteifunktionäre gerne ihre eigene Machtfülle verteidigen, insbesondere von denjenigen Parteien, die sich etabliert haben und Jahr für Jahr den Löwenanteil vom Kuchen verschlingen.
(Bei Parteien die noch nicht etabliert sind ist das naturgemäß weniger der Fall. Die predigen gerne die direkte Demokratie. "Mysteriöserweise" lässt dieser Wunsch dann nach, wenn sich deren Vertreter in Machtpositionen befinden. Siehe die Grünen, die waren mal ganz doll für Basisdemokratie. Und jetzt ist es für sie Teufelswerk... Schon schade, aber wenn der Wähler sowas mit sich machen lässt, dann wird es halt schwer mit der Emanzipation!)

Was mich ärgert ist dass häufg eine arrogante bürgerabwertende Denke dahinter steckt die man bereits zu Feudalzeiten pflegte. Tenor: Das Volk, "der große Lümmel", sei dumm und leicht verhetzbar, und brauche die Edlen und Auserwählten die sich in den Parteienzirkeln etabliert haben, zu ihrer Lenkung, sonst regiere das Chaos.
Fakt ist: Die direktdemokratischste Nation in Europa ist gleichzeitig diejenige die innen- wie außenpolitisch am wenigsten Blut vergossen hat. Die schlimmsten Massenmorde hingegen standen unter Regie von straff durchorganisierten Parteien und etablierter "Eliten"strukturen.
Daher finde ich es gelinde gesagt "dreist" wenn bspw. deutsche Parteienvertreter dem Schweizer Modell mit dem mahnendem Zeigefinger kommen und was von "die Vergangenheit mahnt!" faseln.
Die direkte Demokratie ist in Deutschland gestärkt worden, so manch ein Bauvorhaben wurde dadurch verhindert. Die Grünen haben tatsächlich in ihren Reihen erhebliches Potenzial das diesen Fortschritt entgegentritt, als Beispiel nenne ich hier die Energiewende! Das geht so weit das man offen fordert, sog. Energiewendegegnern (was für ein Wort!), den Strom abzustellen! Hier wird also voll auf die Staatsgewalt gesetzt! Oder soll ich lieber staatliche Gewalt schreiben!
Nun, die direkte Demokratie muss ja nicht eine parlamentarische Demokratie ersetzen, sie kann aber die direkte Bürgerbeteiligung mehr Gewicht verleihen. Auch wäre es mMn sehr wichtig die innerparteiliche Demokratie zu stärken, um die Repräsentative Willensbildung- und Bekundung zu wahren! Also mehr Demokratie durch mehr innerparteiliche Demokratie. Dazu ein Wikilink;
https://de.wikipedia.org/wiki/Innerpart ... Demokratie
Genau hier möchte ich bei der CDU ansetzen und aufzeigen, dass eher SED- anmutende Gefolgsschaftstreue ihren Charakter abbildet, als Umsetzung größtmöglicher Willensbekundungen! Wie funktioniert das? Merkels Freundin stimmt auf dem Parteitag "natürlich" für den Merkelkurs, um ein paar Tage später, "natürlicherweise" eine Kurskorrektur einzufordern. Man könne es schizophren nennen, oder doch lieber Taktik um den Wahlverein zu lenken? Dein Argument >>
Was mich ärgert ist dass häufg eine arrogante bürgerabwertende Denke dahinter steckt die man bereits zu Feudalzeiten pflegte. Tenor: Das Volk, "der große Lümmel", sei dumm und leicht verhetzbar, und brauche die Edlen und Auserwählten die sich in den Parteienzirkeln etabliert haben, zu ihrer Lenkung, sonst regiere das Chaos.<< möchte ich insofern beistimmen wollen, wenn ich diese Argumentation als Gesellschaftskritik im allgemeinen verstehen darf. Auf Parteien und deren Spitzen möchte ich dieses nicht reduzieren wollen. Ich erinnere an den Dr. aus dem Süden der den Boulevard füllte und eher einen Prinzen abbildete als einen Politiker. Insofern möchte man eher Glaubwürdigkeit projizieren, statt sie wirklich zu empfinden...
Benutzeravatar
bakunicus
Beiträge: 25037
Registriert: Sa 31. Mai 2008, 18:52
user title: no place to hide
Wohnort: westfalen-lippe

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von bakunicus »

d'Artagnan hat geschrieben:(25 Feb 2016, 01:51)

Siehe die Grünen, die waren mal ganz doll für Basisdemokratie. Und jetzt ist es für sie Teufelswerk... Schon schade, aber wenn der Wähler sowas mit sich machen lässt, dann wird es halt schwer mit der Emanzipation!)
woher hast du denn den unsinn ...
meines wissens fordern die grünen nach wie vor mehr volksabstimmungen, auch wenn sie bei der hamburger schulreform eine krachende niederlage erfahren haben.

was aber sicherlich nicht geht, und was sich manche hier wünschen, das ist mit einer volksabstimmung über zentrale inhalte des grundgesetz abstimmen zu lassen, nach dem motto "ausländer raus" ja/nein ...

dazu muß es wirklich einer 2/3 mehrheit des bundestags brauchen, weil das entscheidungen von großer tragweite sind, die man nicht "mal eben so" treffen kann.
da muß der kategorische imperativ als leitmotiv erhalten bleiben.
Benutzeravatar
bakunicus
Beiträge: 25037
Registriert: Sa 31. Mai 2008, 18:52
user title: no place to hide
Wohnort: westfalen-lippe

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von bakunicus »

Watchful_Eye hat geschrieben:(22 Feb 2016, 22:13)

Mich erinnert der aktuelle Aufstieg der AfD ja an eine Debatte, die wir vor 10 Jahren hatten, als unter Schröder die Hartz-Gesetze eingeführt wurden.

Damals machte die SPD damit eine wirtschaftsliberale Politik, die zuvor nicht einmal von der Schwarz-Gelben Kohl-Regierung gewagt worden war. Die Folge war, dass Oskar Lafontaine den Kurs nicht mittrug und die sozialistische radikale Linke erstarkte. Sarah Wagenknecht war ständig in den Talkshows und die Medien stellten sie als populistische Spinnerin dar. Die Leute wollten diese Partei oftmals eigentlich nicht wählen, wussten aber nicht, wie sie ihren Protest zu den Hartz-Gesetzen anderweitig zum Ausdruck bringen sollten.

Nun dasselbe umgekehrt: Die CDU macht eine Asylpolitik, die man bestenfalls von Rot-Grün erwartet hätte. Die Folge ist, dass rechte Kräfte, oftmals ehemalige CDUler, erstarkten. Man sieht irgendwelche rechten in Talkshows, die in den Medien als populistische oder gar gefährliche Spinner dargestellt werden. Die meisten wollen die AfD gar nicht wählen, wissen aber nicht, wie sie ihren Protest zur Asylpolitik von Merkel anders zum Ausdruck bringen sollen.

Ich sehe darin ein Problem der parlamentarischen Demokratie. Dieses System ist zu unflexibel. Wenn eine große Partei eine Politik macht, die eigentlich eher ihrer eigenen Opposition zuzutrauen wäre, fehlt eine sinnvolle Alternative. So bleibt dem wählenden Volk nichts anderes übrig, als irgendwelche radikalen Splitterparteien zu wählen. Wenn man derzeit als Wähler die CDU für die Asylpolitik abstrafen will, muss man "mit Kanonen auf Spatzen schießen" und ein komplett rechtes Paket (inkl. Dinge wie Ablehnung von Abtreibung und Homo-Ehe) wählen, dabei wären die nicht-radikalen Kritiker bereits mit einer restriktiveren Politik á la CSU/Seehofer bereits zufriedenzustellen.

Ich glaube nicht daran, dass die parlamentarische Demokratie für mehr Stabilität sorgt. Zwar rückt der Zwang, sich für ein Paket zu entscheiden, die Wähler zunächst in Richtung Mitte, sobald aber "der Damm gebrochen ist", kann potentiell daraus sogar eine radikalere Politik entstehen, als von den Wählern eigentlich gewünscht ist.
zu dem thema gab es vor kurzem einen sehr interessanten artikel bei spiegel online ...

http://www.spiegel.de/politik/ausland/e ... 78084.html
Parteien in Europa: Das Ende der Demokratie, wie wir sie kennen

SPD und CDU haben seit 1990 fast die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Die Erosion der Parteien ist kein deutsches Phänomen, sie findet in ganz Europa statt. Unsere Demokratie ändert sich dadurch grundlegend.

... Wer vermisst denn mäkelnde Mitglieder, endlose Programmdiskussionen mit den Delegierten von Hessen-Süd oder Köln-Nord, Wahlkampfauftritte bei den Parteifreunden in Annaberg-Buchholz oder Nürnberg-Langwasser? Und tatsächlich haben sich ja die meisten Parteien zu ganz anderen Organisationen entwickelt - in denen sich die Mitglieder überflüssig fühlen und in denen sie auch weitgehend überflüssig sind. Parteien als schlanke Unternehmen, die den Wählern ihr Führungspersonal anbieten, das diese mit Stimmzetteln kaufen können. Das ist zeitgemäß.

Personen statt Programme

Programme sind out, Weltanschauung war gestern. Vor allem die richtige Person an der Spitze ist heute entscheidend für den Erfolg einer Partei.

Ob bei der CDU oder bei Siriza in Griechenland, bei der PD in Italien oder Podemos in Spanien - Personen verdrängen die Programme und ersetzen in der öffentlichen Wahrnehmung häufig die Parteien. Man ist für oder gegen Merkel, nicht für oder gegen die CDU. Man findet Pablo Iglesias oder Alexis Tsipras gut oder schlecht. Italiens Regierungschef Matteo Renzi ist für die einen "der Beste", für die anderen "der Schlechteste" - aber er ist, so eine aktuelle Umfrage, immer die Nummer eins, auf der Positiv- wie auf der Negativseite.
theoretisch gibt es also die möglichkeit als parteimitglied über die wahlprogramme einfluß zu nehmen, und so der eigenen stimme sogar weit mehr gewicht zu geben als der gemeine wähler es hat.
nur will das keiner mehr machen, weil das ebenso mühselig wie frustrierend ist.

da liegt die zentrale erosion der repräsentativen demokratie ...
pikant
Beiträge: 54531
Registriert: Mi 10. Feb 2010, 13:07

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von pikant »

d'Artagnan hat geschrieben:(25 Feb 2016, 01:51)

Siehe die Grünen, die waren mal ganz doll für Basisdemokratie. Und jetzt ist es für sie Teufelswerk...
Woher haben Sie denn diesen Mist?

die Gruenen sind nach wie vor fuer basisdemokratische Elemente auch in der Bundespoltik, nur die CDU blockiert da.
da stimmen sogar die Gruenen mit der CSU ueberein - wussten Sie das nicht?
Elvis Domestos

Re: Am Aufstieg der AfD erkennt man erneut das Problem der parlamentarischen Demokratie

Beitrag von Elvis Domestos »

sorry doppel
Zuletzt geändert von Elvis Domestos am Do 25. Feb 2016, 17:16, insgesamt 1-mal geändert.
Antworten