Uffhausen hat geschrieben:(19 Jan 2019, 17:38)
Persönlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass es vorrangig ein gesellschaftliches Problem ist und eher ganz am Rande ein politisches. Und die Gesellschaft, die diese Problematik im Grunde fördert, sind nicht die "Anderen" - sondern WIR selber!
Ich war fünf Jahre lang in der Mitarbeitervertretung (MAV) meines Heims, also sowas wie ein Betriebsrat. Regelmäßig kam man auf mich zu wegen der ewigen Überstunden und warum ich nicht darfür sorgen würde, dass der Chef mehr Personal einstellt. Ich habe dann immer - ganz ohne Absicht, den Chef zu verteidigen - klipp und klar sagen müssen, dass es eben dieses gewünschte Mehr an Personal tatsächlich nicht gibt! Und die Überstundenschieberei ließe sich ganz einfach lösen - nämlich, wenn wir uns mal ALLE an unseren Arbeitsvertrag halten würden! Wir sind nicht verpflichtet, Überstunden zu leisten (außer freilich in ganz besonderen Ausnahmesituationen, aber nicht wenn ausnahmsweise mal jemand krank ist). In unseren Arbeitsverträgen ist unsere Arbeitszeit ganz genau festgelegt. Wenn da bspw. steht, dass du im Monat 100 Arbeitstunden abzuleisten hast, dann heißt das nicht, dass du auch 120 oder nur 80 Stunden arbeiten kannst. Nur wenn du die 100 Stunden erfüllst, ist auch dein Vertrag erfüllt. Mehr oder weniger geleistete Arbeitsstunden sind im Grunde nichts anderes als ein Vertragsbruch. Nicht nur vom Personal, sondern auch vom Chef - der hat ja schließlich den Vertrag AUCH unterschreiben müssen und sich somit mit den jeweiligen Vereinbarungen und gesetzlichen Vorschriften einverstanden erklärt!
Soweit, sogut - DAS leuchtet jedem ein. Jetzt fehlt nur noch die (konsequente) Umsetzung - und daran mangelt's; und zwar MASSIV! Wenn man Überstunden angetragen bekommt, kann man NEIN! sagen - und muss auch nicht mehr sagen! Man muss nicht angeben, warum man nicht einspringen kann oder anbieten, persönliche Termine dafür zu verschieben o. ä. - es geht niemand was an, ob man persönlich einen dringenden Arzttermin hat oder ob man einfach nur ein das Bedürfnis hat, bspw. zuhause faul auf dem Sofa abzuhängen und sich einen gemütlichen DVD-Abend mit Cola und Chips zu genehmigen. NEIN heißt nein; immer UND überall - und es ist immer wieder traurig zu erleben, dass es dafür "eigentlich" Gesetze braucht! Die Frauen wissen, auf was ich damit anspiele...
"Wenn ich aber NEIN sage, dann leiden die Bewohner drunter und/oder die Kolleginnen/Kollegen haben mehr Arbeit!" hört man da dann immer wieder - FALSCH! Im Fall des Falles wird der Arbeitsumfang dann halt nur auf die Grundversorgung "heruntergefahren"; zu nichts anderem sind wir gesetzlich verpflichtet. Wir müssen nicht mit den Bewohnern bspw. Kuchenbacken - das ist nur ein zusätzliches Beschäftigungsangebot unseres Hauses. Wenn entsprechend benötiges Personal fehlt, welches dieses Angebot ausführen kann, dann gibt's halt was fertiges aus der Heimküche zum nachmittäglichen Kaffeetrinken. Oder wir müssen die Bewohner nicht am Bildervortrag im Veranstaltungssaa loder an den Gottesdiensten in der Hauskapelle teilnehmen lassen, wenn wir gleichzeitig Personal zwecks dortiger Aufsicht mit abzweigen müssen. Dann bleiben die Bewohner halt auf der Station; dort haben wir auch viel gezieltes oder sonstiges Beschäftigungsmaterial zur Verfügung. Oder wir müssen nicht mit Bewohnern Bewegungs- oder Gehübungen machen, weil es ihre selbstständige Mobilität fördert/erhält; das braucht schließlich Zeit und wenn wir diese Zeit nicht aufbringen können, weil es an Personal fehlt, welches diese Zeit anderorts z. B. via "Katzenwäsche" reinholen muss, dann tut's auch der Rollstuhl. Oder wir müssen ihnen kein entspannendes, einstündiges duftiges Schaumbad ermöglichen - wenn's nicht anders geht, wird hat nur kurz geduscht. Eigentlich entsteht nicht mal viel Mangel an Aufenthaltsqualität, sondern nur an zusätzlichen "Events". Aber es gab auch schon Tage und diese immer öfter, die uns aus personeller Sicht schon die Einhaltung der Grundversorgung nahezu unmöglich gemacht haben. Z. B. in der sommerlichen Urlaubszeit, wenn dann noch zusätzlich Personal erkrankt, dann wird's happig und superstressig. Oder wenn in der kalten Jahreszeit ein Magen-Darm-Virus die Runde macht.
Wo war ich gleich - ach ja, die Umsetzung der Einhaltung des Arbeitsvertrags. Habe ich meine Kolleginnen und Kollegen immer und wieder dazu ermahnt. Wenn sie was ändern wollen, dann müssen was dafür tun: Nämlich sich selbst ändern! Nur wollte das einfach keiner tun. "Ich will keinen Ärger bekommen!" oder "Ich will nicht, das mein Name genannt wird" oder "Am Ende bin ich doch nur ein Buhmann" hieß es u. a. - wovor sie Angst haben, konnten sie mir aber nicht erklären. Eine Kollegin meinte tatsächlich, sie habe Angst, entlassen zu werden! Hallo, erstens wären die Heime schon saublöd, wenn sie (verständlich kritisierendes) Personal entlassen würden, wenn sie doch auf dem freien Markt keinen Ersatz beschaffen könnten. Und zweitens, braucht man sich bspw. als Pflegefachkraft vor Arbeitslosigkeit nicht fürchten - einfach zum nächsten Heim gehen und sich anbieten, die nehmen dich sofort und mit Kusshand. Auch einmal hieß es: "Wir müssen demonstrieren, damit die Öffentlichkeit aufmerksam auf uns wird!" - Quatsch! Bringt uns überhaupt nix, wenn wir die Arbeit niederlegen und auf die Straße gehen. Deswegen entscheiden sich nicht mehr Leute für den Pflegeberuf. Allein das Fehlen von qualifiziertem Nachwuchs oder das politische Betreben, ausländische Fachkräfte nach Deutschland zulocken, ist doch schon Beleg genug dafür, dass unser Job schlicht nicht attraktiv genug ist und somit in der Öffentlichkeit VOLL angekommen ist. Und ich möchte es in Frage stellen, ob sich daran was ändert, wenn wir besser bezahlt werden würden. Ein Ingenieur in der Eletrotechnik wird unverschämt gut bezahlt (z. B. mein Vater), aber trotzdem fehlt es in dieser Branche an Nachwuchs. Und demonstrieren tun die ja schließlich auch nicht.
Ich habe mich Anfang letzten Jahres nicht mehr für eine weitere Amtszeit als MAV aufstellen lassen - machte einfach keinen Sinn mehr für mich; die Angestellten jammern und klagen, wollen selbst aber nichts ändern. Hätten wohl gern, dass ich allein Kämpfe für sie ausfechte und wenn sich die Frage auftun würde, "wer" da eigentlich was will und ich verweise auf die Kolleginnen und Kollegen, dann kann ich mit felsenfester Sicherheit jetzt schon sagen, dass die große Mehrheit mir in den Rücken fallen würde. Zwar nicht aus Bosheit, aber aus völlig unbegründeter FEIGHEIT!
Im Mai letzten Jahres wurde ich von meinem Chef aufgefordert, mir meine Überstunden ausbezahlen zulassen; er hätte deswegen Ärger mit dem Wirtschaftsprüfer gehabt - da hab' ich auf den Tisch gehauen und gesagt, dass mich sein Ärger mit dem Wirtschaftsprüfer nicht im Mindesten interessiert; als Einrichtungsleiter sei es schließlich seine Aufgabe, über die ausufernden Überstunden seiner Angestellten Bescheid zu wissen und entsprechend zu handlen und nicht erst, wenn ein Wirtschaftsprüfer ihn drauf aufmerksam macht. Desweiteren werde ich mir meine Überstunden NICHT ausbezahlen lassen, weil wir BEIDE dabei nur draufzahlen - weil eben der Staat ein Nimmersatt ist. Er müsse meine schließlich meine Überstunden samt sämtlicher Steuern ausbezahlen und auf meinen Konto würden am Ende nur rund 50% des eigentlichen Wertes landen. Als Chef habe er damit unnötige Ausgaben und ich habe halb für umsonst mehr gearbeitet. Sehe ich absolut nicht ein. Ja, was er sonst tun solle, wollte mein Chef von mir wissen und lächelte blöd - ich habe mich dann weit zu ihm vorgebeugt und ihm im scharfen Ton gesagt: "In meinem Arbeitsvertrag steht"s!" Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass er sich in Zukunft an meinen Arbeitsvertrag hält und ich ihm dafür garantiere, keine Überstunden mehr zu machen. Und oh - Wunder: Es funktioniert! Ich bin von ~280 Überstunden mittlerweile auf ~50 runter, ganz ohne Ausbezahlen. Bei meinen Kolleginnen und Kollegen siehts nicht so aus, tw. steigen deren Überstunden an. Wie ich das denn hinbekommen habe, wollte unlängst eine Kollegin wissen, die sich zuvor über ihre Ü100 aufgeregt hat. "Auf die Art und Weise, vor der ihr alle so entsetzlich Angst hattet: Nein sagen und die Vorgaben des Arbeitsvertrages einhalten und einfordern!".
Eine Alternative ist - und von der hört man auch immer öfter (und ich finde das gar nicht mal so verquer) - dass die Pflegeheime oder Krankenhäuser ihre Aufnahmemöglichkeiten dem Ist-Bestand des Personals anpassen und somit Betten/Zimmer nicht mehr belegen. Heißt, wenn sie bspw. 100 Betten/Zimmer belegen können, aber nur Personal haben für 80, dann müssen 20 hilfs- oder pflegebedürftige Menschen gucken, wo sie bleiben. Das wird die Gesellschaft und vielleicht auch die Politik in naher Zukunft auch auf den Plan rufen. Nämlich allein in meiner Einrichtung ist die Anfrage nach Heimplätzen doppelt so hoch, wie unsere Kapazität. Und wenn wir im Fall des Falles noch ein paar Zimmer schließen müssten... Schlimm, dass es erst immer soweit kommen muss!
Das Herholen von ausländischen Fachkräften mag zwar auf den ersten Blick logisch und verständlich sein, aber ich halte nicht viel davon; sehe es sogar eher als Bedrohung - eben aufgrund meiner Erfahrung als MAV weiß ich, dass sich die ausländischen Kolleginnen und Kollegen weniger beklagen, als die deutschen - liegt auch auf der Hand, schließlich ist die Bezahlung und das Arbeitsrecht bspw. in Osteuropa wesentlich schlechter, als in Deutschland. Somit verbinden unsere ungezählten osteuropäischen Kolleginnen und Kollegen in der deutschen Pflege eigentlich nur positive Eigenschaften mit ihrer Arbeit. Mehr Geld, mehr Recht und noch dazu ein Leben in einem westlichem, demokratischerem und freiheitlicherem Staat. Die mangelnde gesamtgesellschaftliche Anerkennung ist ihnen auch weniger wichtig, weil sie sich ohnehin vorrangig und ganz bewusst innerhalb IHRER Gesellschaft bewegen; sprich: Unter Landsleuten. Und das ist in Deutschland bspw. bei Russen oder Polen alles andere als ein Problem.
Es ist doch fragwürdig, warum die Politik (und Gesellschaft!) sich nicht damit beschäftigt, warum die Deutschen weniger oder gar nicht in der Pflege arbeiten wollen, sondern unumwunden auf das Ausland als Rettung angesehen wird - liegt es daran, dass - wie ich oben beschrieben habe - ein steigender ausländischer Anteil an Pflegekraften auch automatisch eine steigene Zufriedenheit aller Pflegebeschäftigten nach sich ziehen würde? Denk' mal sachlich darüber nach - und bitte OHNE mich in die "neurechte" Schublade zu verfrachten.
In einem anderen hiesigem Forum wurde in einem Thread angesprochen, dass es pflegeberufliche Chinesen nach Deutschland zieht; u. a. weil bei uns die Lebenshaltungskosten so niedrig seien. Ein Deutscher sieht das bestimmt genau anders und würde auf unsere permanent steigenden Lebensmittel-, Miet- und Energiekosten verweisen. Ein User befürwortete, dass in der deutschen Pflege "billige Chinesen" eingesetzt werden sollen. Und "billig" meinte hier nicht die Herkunft, sondern die Bezahlung. Da tut sich was mit gewaltigem Konfliktpotential auf, Selina. Wenn das so weiter geht mit den "billigen" Arbeitskräften aus dem Ausland, wirkt sich das vielleicht positiv für die Wirtschaft aus, aber negativ für die generelle Entlohnung in Teilen der arbeitenden Gesellschaft bei gleichzeitig steigenden Lebenhaltungskosten. Ein Ausländer, der nach Deutschland kommt, weil er hier mehr verdient als daheim, der setzt sich nicht dafür ein, dass er noch mehr verdient, nur weil die Einheimischen unzufrieden mit ihren Lohn sind.